Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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»Cibola! Cibola!« schrie Müll verzückt. »Mein Leben für dich!«
Er paddelte wie ein Hund um die Fontäne herum, trank noch einmal, kletterte dann über den Rand und ließ sich mit einem ungeschickten Plumpser auf den Rasen fallen. Es hatte sich gelohnt, alles hatte sich gelohnt. Wasserkrämpfe schüttelten ihn plötzlich, und er übergab sich mit einem lauten Grunzen. Sogar das Übergeben war großartig.
Er kam auf die Füße, hielt sich mit der Klauenhand am Brunnenrand fest und trank noch einmal. Diesmal akzeptierte sein Magen die Gabe dankbar.
Er schwappte wie ein voller Ziegenlederschlauch, als er zur Alabastertreppe taumelte, die in diesen legendären Ort hineinführte, zwischen den goldenen Pyramiden hindurch. Auf halber Treppe packte ihn ein Wasserkrampf, und er klappte zusammen. Als es vorbei war, torkelte er wacker weiter.
Oben war eine Drehtür; er mußte sämtliche schwachen Kraftreserven aufbringen, um sie in Bewegung zu bringen. Er drang in eine Halle mit Plüschteppichboden ein, die meilenlang zu sein schien. Der Teppich unter seinen Füßen war dick und weich und preiselbeerfarben. Es gab einen Schreibtisch der Rezeption, einen Schreibtisch für die Post, einen Schreibtisch für die Schlüssel, die Fenster der Geldwechsler. Alles leer. Rechter Hand lag das Casino hinter einem geschnitzten Geländer. Der Mülleimermann sah es ehrfürchtig an – reihenweise Spielautomaten wie Soldaten bei einer Parade, dahinter Rouletteund Würfeltische, die Marmorgeländer, welche die Backaratische abgrenzten.
»Ist wer da?« krächzte Müll, bekam aber keine Antwort. Da bekam er es mit der Angst zu tun, denn dies war ein Ort der Geister, wo Monster lauern mochten, aber seine Müdigkeit dämpfte die Angst. Er stolperte die Stufen ins Casino hinunter, an der Cub Bar vorbei, wo Lloyd Henreid stumm in dem tiefen Schatten saß, ein Glas Mineralwasser in der Hand hielt und ihn beobachtete. Er kam zu einem mit grünem Filz bespannten Tisch, auf dem die mystischen Worte GEBER MUSS 16 ERREICHEN UND BEI 17 PASSEN. Müll kletterte hinauf und schlief sofort ein. Wenig später standen ein halbes Dutzend Männer um die zerlumpte Vogelscheuchengestalt des Mülleimermanns herum.
»Was machen wir mit ihm?« fragte Ken DeMott.
»Schlafen lassen«, antwortete Lloyd. »Flagg will ihn haben.«
»Ach ja? Wo steckt Flagg eigentlich?« fragte ein anderer. Lloyd drehte sich zu dem Mann um, der fast kahl und ganze dreißig Zentimeter größer als Lloyd selbst war. Dennoch wich er einen Schritt zurück, als er Lloyds Blick sah. Der Stein um Lloyd Henreids Hals war der einzige, der nicht pechschwarz war; in seinem Inneren glomm ein winziger, beunruhigender roter Makel.
»Bist du so scharf drauf, ihn zu sehen, Heck?« fragte Lloyd.
»Nein«, sagte der Kahle. »He, Lloyd, weißt du, ich wollte nicht...«
»Schon klar.« Lloyd betrachtete den Mann, der auf dem Blackjacktisch schlief. »Flagg wird schon aufkreuzen«, sagte er. »Er hat auf diesen Typen gewartet. Dieser Typ ist was Besonderes.«
Auf dem Tisch schlief der Mülleimermann selig und bekam von alledem nichts mit.
Müll und The Kid verbrachten die Nacht des 18. Juli in einem Motel in Golden, Colorado. Kid wählte zwei Zimmer mit Verbindungstür. Die Verbindungstür war verschlossen. Kid, der inzwischen schon reichlich zugedröhnt war, löste dieses unbedeutende Problem, indem er das Schloß mit drei Kugeln aus einem seiner 45er wegpustete. Kid hob einen winzigen Stiefel und trat die Tür ein. Sie ging im feinen blauen Dunst des Revolverrauchs auf.
»Siehste, Scheiß-A«, sagte er. »Welches Zimmer? Entscheide dich, Mülli.«
Mülleimer entschied sich für das Zimmer rechts und durfte eine Weile alleine bleiben. Kid war weggegangen. Mülleimer überlegte, ob er ganz einfach in der Dämmerung verschwinden sollte, bevor etwas Schlimmes passierte – er versuchte, diese Möglichkeit gegen das durchaus real existente Fehlen eines jeglichen Transportmittels abzuwägen -, als Kid zurückkam. Mülleimermann stellte erschrocken fest, daß er einen Einkaufswagen schob, der voll beladen mit Sechserpacks Coors-Bier war. Die Puppenaugen waren jetzt blutunterlaufen und von roten Ringen umgeben. Die Pompadourfrisur zerfiel wie eine kaputte, ausgeleierte Uhrfeder, fettige Haarsträhnen hingen Kid über Ohren und Wangen, so daß er wie ein gefährlicher (wenngleich widersinniger) Höhlenmensch aussah, der eine von einem Zeitreisenden vergessene Lederjacke gefunden und angezogen hatte. Die Hasenpfoten am Gürtel der Jacke baumelten hin und her.
»Es ist warm«, sagte Kid, »aber wen schert das schon, hab' ich recht?«
»Vollkommen recht«, sagte der Mülleimermann.
»Nimm 'n Bier, Arschloch«, sagte Kid und warf ihm eine Dose zu. Als Mülleimer den Ring abzog, bekam er eine Gesichtvoll Schaum ab, und Kid wurde von einem seltsam verhaltenen Lachen geschüttelt und hielt sich den flachen Bauch mit beiden Händen. Müll lächelte ergeben. Er beschloß, später in der Nacht, wenn dieses kleine Monster eingeschlafen war, einfach weiterzuziehen. Er hatte genug. Und was Kid über den dunklen Priester gesagt hatte... Mülleimermanns Angst war so groß, daß er sie nicht einmal ausdrücken konnte. So etwas zu sagen, und sei es im Scherz, war etwa so, als würde man in der Kirche auf den Altar scheißen oder bei einem Gewitter das Gesicht himmelwärts heben und den Blitz auffordern, einen zu treffen.
Das Schlimmste war aber, er glaubte nicht, daß Kid gescherzt hatte. Mülleimermann hatte nicht die Absicht, mit diesem irren Zwerg, der den ganzen Tag trank (und höchstwahrscheinlich auch die ganze Nacht) und davon sprach, den dunklen Mann zu stürzen und seine Stelle einzunehmen, in die Berge und durch sämtliche Haarnadelkurven zu fahren.
Derweil hatte Kid zwei Bier in zwei Minuten gekippt, die Dosen zusammengedrückt und gleichgültig auf eines der Doppelbetten des Zimmers geworfen. Er hielt eine frische Dose Coors in der linken und den 45er, mit dem er die Verbindungstür aufgeschossen hatte, in der rechten Hand und starrte verdrossen den RCA Chromacolor an.
»Kein Scheißstrom, also auch kein Scheißfernsehen«, sagte er. Je betrunkener er wurde, um so deutlicher wurde sein Südstaatenakzent und machte die Worte pelzig. »Wie mir das stinkt. Freut mich, daß sämtliche Arschlöcher abgenibbelt sind, aber Himmelarschundzwirn, wo ist HBO? Wo sind die elenden Sportsendungen? Wo ist der Playboy Channel? Der war gut, Mülli. Ich meine, die haben nie Typen gezeigt, die Muschis geleckt, haarige Pflaumen vernascht haben, du weißt schon, was ich meine, aber ein paar Damen dort hatten Beine bis rauf zum Kinn, ist dir klar, was ich sage?«
»Klar«, sagte Mülleimer.
»Bist 'n Scheiß-A. Brauchst du mir nicht zu sagen, ich sag's dir.«
Kid starrte den Fernseher an. »Taube Fotze«, sagte er und schoss auf den Fernseher. Die Bildröhre implodierte mit einem lauten, hohlen Plopp. Glas wurde auf den Teppichboden gerülpst. Mülleimermann hob die Arme, um das Gesicht zu schützen, dabei blubberte Bier auf den grünen Nylonteppich.
»Sieh dir das an, Dummkopf!« rief Kid. Sein Ton war zutiefst erbost. Plötzlich war der Fünfundvierziger auf Müll gerichtet, und die Mündung war so groß und dunkel wie der Schornstein eines Ozeanriesen. Mülleimer spürte, wie sein Unterleib taub wurde. Es war möglich, daß er sich vollpißte, aber er war nicht sicher.
»Dafür mach' ich 'n Sieb aus deiner Denkmaschine«, sagte Kid.
»Man verschüttet kein Bier. Beiner annern Marke würdichs nich machn, aber du hast Coors verschüttet. Ich wurde Coors pissen, wenn ich könnte, glaubst die Heißescheiße?«
»Klar«, flüsterte Mülleimer.
»Und glaubst du, sie brauen heutzutage noch Coors, Müll? Scheint das besonders wahrscheinlich?«
»Nein«, flüsterte Mülleimer. »Wohl nicht.«
»Stimmt auffallend. Eine vom Aussterben 'drohte Rasse.« Er hob den Revolver etwas. Mülleimer dachte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Dann senkte Kid die Waffe wieder... etwas. Sein Gesicht hatte einen vollkommen leeren Ausdruck. Mülleimer vermutete, dieser Ausdruck deutete angestrengtes Nachdenken an.
»Ich sag' dir was, Müll. Du holst dir noch 'ne Dose und kippst sie ex. Wenn du das ganze Ding ex kippen kannst, schick ich dich nicht zur Cadillac Ranch. Glaubste die Heißescheiße?«
»Was ist... was ist >ex kippen«
»Allmächtiger, du bist dumm wie Schifferscheiße! Die ganze Dose saufen, ohne abzusetzen, das ist ex kippen! Wo bisten die ganze Zeit gewesen, in Afrika, wo der Pfeffer wächst? Solltest dir Mühe geben, Mülli. Wenn ich dir eine reinballern muß, geht sie mitten ins rechte Auge. Die Knarre hier ist mit Dumdums geladen. Reißt dich auf bis hinten und macht ein Fressen für die Wanzen in dieser Absteige aus dir.« Er gestikulierte mit der Pistole und nahm kein blutunterlaufenes Auge von Müll. Er hatte einen Flecken Bierschaum auf der Oberlippe.
Mülleimer ging zum Karton, wählte ein Bier und zog den Ring ab.
»Los doch. Runter damit. Und wenn du's wieder auskotzt, biste wech vom Fensta.«
Mülleimermann hielt die Dose hoch. Bier schäumte heraus. Er trank verzweifelt, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab wie ein Affe auf der Stange. Als die Dose leer war, warf er sie zwischen die Beine, kämpfte einen scheinbar endlosen Kampf mit dem Erbrechen und gewann sein Leben mit einem langen, dröhnenden Rülpser zurück.
Kid warf den kleinen Kopf zurück und lachte vor Vergnügen. Müll schwankte auf den Füßen und grinste angewidert. Plötzlich war er nicht mehr nur ein wenig, sondern sehr betrunken.
Kid steckte die Waffe ins Halfter zurück.
»Okay. Nicht schlecht, Müllimann. Gar nicht übel.«
Kid trank weiter. Zerdrückte Dosen häuften sich auf dem Motelbett. Müll hielt eine Dose Coors zwischen den Knien und nippte jedesmal daran, wenn Kid ihn mißbilligend anzusehen schien. Kid murmelte unablässig vor sich hin, seine Stimme wurde immer lauter, der Südstaatenakzent immer ausgeprägter, während der Berg leerer Dosen wuchs. Er sprach von Orten, wo er gewesen war. Rennen, die er gewonnen hatte. Eine Ladung Stoff, die er mit einem Wäschelaster mit einem halben 44er-Motor unter der Haube über die mexikanische Grenze gebracht hatte. Schlimmes Zeug, sagte er. Jeder Stoff war schlimmes Zeug. Er selbst rührte das Zeug nie an, aber hallo, wenn man ein paar Ladungen davon geschmuggelt hatte, konnte man sich den Arsch mit goldenem Toilettenpapier abwischen. Schließlich döste er ein, die kleinen roten Augen blieben immer länger zu und kamen dann widerwillig wieder auf Halbmast.
»Ich krieg' ihn, Mülli«, murmelte Kid. »Ich geh' da raus, check es ab und leck' ihm den verwichsten Arsch, bis ich weiß, wie der Hase läuft. Aber keiner kommandiert Kid herum. Keine Sau. Nicht lange. Ich mach' kein' Kleinkram.
Wenn ich was mache, dann als Boss. Das ist mein Stil. Keinen Schimmer, wer er ist, woher er kommt oder wie er in unsere elenden Denkmaschinen senden kann, aber ich werd' ihn...« gewaltiges Gähnen »...ausser Stadt rausjagen. Bleib bei mir, Wühlmann oder wiede heißt.«
Er kippte langsam rückwärts aufs Bett. Die Bierdose, die er gerade erst aufgemacht hatte, fiel ihm aus der schlaffen Hand. Coors floss auf den Teppich. Der Kasten war leer, Müll rechnete aus, daß Kid allein einundzwanzig Dosen getrunken hatte. Mülleimer wußte nicht, wie so ein kleiner Kerl soviel Bier trinken konnte, aber er wußte, dass es Zeit war: Zeit zu verschwinden. Das wußteer, aber er fühlte sich betrunken und schwach und elend. Mehr als alles auf der Welt wollte er eine Weile schlafen. Das machte nichts, oder? Kid würde wahrscheinlich die ganze Nacht wie ein Toter schlafen, vielleicht sogar den halben Vormittag. Zeit genug, daß er selbst ein Nickerchen machen konnte.
Also ging er ins Nebenzimmer (auf Zehenspitzen, obwohl Kid fast im Koma lag) und machte die Verbindungstür, so gut es ging, zu. Es ging nicht sehr gut. Die Wucht der Kugeln hatte sie irgendwie verzogen. Auf dem Nachttisch stand ein Wecker zum Aufziehen. Müll zog ihn auf, stellte ihn auf Mitternacht, weil er nicht wußte, wie spät es tatsächlich war (und es ihn auch nicht interessierte), und den Weckton auf fünf. Er legte sich auf eine Seite des Doppelbetts, ohne auch nur die Turnschuhe auszuziehen. Innerhalb von fünf Minuten war er eingeschlafen.
Irgendwann später wachte er im dunklen Grab des Morgens auf, und der Geruch von Bier und Kotze wehte ihm in kurzen, schalen Böen übers Gesicht. Etwas war bei ihm im Bett, etwas Heißes, Glattes und Wendiges. Sein erster panischer Gedanke war, daß ein Wiesel aus dem Traum von Nebraska in die Wirklichkeit herübergekommen war. Er gab ein leises, wimmerndes Stöhnen von sich, als ihm klar wurde, daß das Tier in seinem Bett zwar nicht groß war, aber zu groß für ein Wiesel. Er hatte Kopfschmerzen vom Bier; sie bohrten sich gnadenlos in seine Schläfen.
»Faß mich an«, flüsterte Kid im Dunkeln. Mülleimers Hand wurde gepackt und zu etwas Hartem, Zylinderförmigen geführt, das wie ein Kolben pulsierte. »Wichs mir einen. Los doch, wichs mir einen, du weißt, wie das geht, das war mir klar, als ich dich gesehen hab'. Los doch, Wichser, hol mir einen runter.«
Mülleimermann wußte, wie das ging. Es war in vieler Hinsicht eine Erleichterung. Er kannte es von den langen Nächten im Knast. Sie sagten, es sei schlimm, es sei schwul, aber was die Schwulen machten, war besser als das, was viele andere trieben, die die ganze Nacht damit verbrachten, Löffelspitzen zu Dolchen zu schleifen, oder einfach auf den Pritschen lagen, die Knöchel knacken ließen, einen ansahen und grinsten.
Kid hatte Mülleimers Hand auf die Art Knarre gelegt, mit der er umgehen konnte. Er schloß die Hand fest darum und fing an. Wenn es vorbei war, würde Kid wieder einschlafen. Dann würde sich Müll davonschleichen.
Kids Atem wurde keuchend. Er bewegte die Hüften im Rhythmus von Mülleimers Handbewegungen. Müll merkte zuerst gar nicht, daß Kid auch Mülls Gürtel aufmachte und Jeans und Unterhose zu den Knien runterschob. Müll ließ ihn gewähren. Es war unwichtig, ob ihm Kid einen reinschieben wollte. Müll hatte schon welche reingeschoben bekommen. Man starb nicht. Es war nicht giftig.
Dann erstarrte seine Hand. Etwas drückte plötzlich gegen seinen After, aber es war kein Fleisch. Es war kalter Stahl.
Und plötzlich wußteer, was es war.
»Nein«, flüsterte er. Seine Augen waren im Dunkeln weit aufgerissen und entsetzt. Jetzt konnte er das mörderische Puppengesicht im Spiegel sehen, es sah über seine Schulter, Haarsträhnen hingen ihm in die roten Augen.
»Doch«, flüsterte Kid zurück. »Und du solltest nicht einmal aus dem Rhythmus kommen, Mülli. Nicht ein einzigesverdammtes Mal. Sonst könnte ich einfach abdrücken. Deine Scheißfabrik in die Hölle pusten. Dumdums, Mülli. Glaubste die Heißescheiße?«
Wimmernd fing Mülleimer wieder an, ihn zu streicheln. Aus seinem Wimmern wurden leise Schmerzenslaute, als sich der Lauf des 45ers in ihn bohrte, sich drehte, stieß und riß. Konnte es sein, dass ihm das Spaß machte? Ja.
Schließlich merkte auch Kid seine Erregung.
»Gefällt dir, was?« keuchte Kid. »Hab' ich's doch gewußt, Schleimbeutel. Magst es im Arsch, was? Sag ja, Schleimbeutel. Sag ja, oder du gehst zum Teufel.«
»Ja«, winselte der Mülleimermann.
»Soll ich's dir besorgen?«
Das wollte er nicht. Erregt oder nicht, das wollte er nicht. Aber er hatte Verstand genug, es nicht zu sagen. »Ja.«
»Ich würde deinen Pimmel nicht anrühren, wenn er aus Diamanten wäre. Mach's dir doch selber. Was meinst du, warum Gott dir zwei Hände gegeben hat?«
Wie lange dauerte es? Gott mochte es wissen; der Mülleimermann jedenfalls nicht. Eine Minute, eine Stunde, eine Ewigkeit -wo lag der Unterschied? Er kam zur Überzeugung, daß er, wenn Kid seinen Orgasmus hatte, zweierlei gleichzeitig spüren würde; den heißen Strahl des Samens dieses kleinen Ungeheuers auf dem Bauch und den explodierenden Schmerz des Dumdumgeschosses, das sich durch seine Eingeweide bohrte. Der endgültige Einlauf. Dann verkrampften sich die Hüften von Kid, sein Penis zuckte in Mülls Hand. Seine Faust wurde glitschig wie ein Gummihandschuh. Einen Augenblick später wurde die Pistole herausgezogen. Stumme Tränen der Erleichterung flössen über Mülls Wangen. Er hatte keine Angst vor dem Sterben, jedenfalls nicht im Dienste des dunklen Mannes, aber er wollte nicht in diesem dunklen Motelzimmer von einem Psychopathen ermordet werden. Nicht bevor er Cibola gesehen hatte. Er hätte zu Gott gebetet, wußte aber instinktiv, dass Gott keinem Gehör schenken würde, der sich dem dunklen Mann verschworen hatte. Und was hatte Gott schon je für den Mülleimermann getan? Oder für Donald Merwin Elbert, was das anbetraf?
Im keuchenden Schweigen ertönte die Stimme von Kid, der falsch und krächzend und verschlafen ein Lied anstimmte:
»My buddies an me aregettin real well known... yeah, the badguys know us an they leave us alone...«
Er fing an zu schnarchen.
Jetzt gehe ich,dachte der Mülleimermann, aber er hatte Angst, er würde Kid aufwecken, wenn er sich bewegte. Ich gehe, sobald ich sicher bin, daß er wirklich schläft. Fünf Minuten. Länger sollte es nicht dauern.
Aber niemand weiß, wie lange fünf Minuten in der Dunkelheit sind; man könnte zutreffend sagen, daß in der Dunkelheit fünf Minuten nicht existieren. Er wartete. Er döste ein und wurde wieder wach, ohne zu wissen, daß er gedöst hatte. Es dauerte nicht lange, da war er die Rutsche des Schlafs ganz hinuntergeschlittert. Er war auf einer dunklen Straße, die sehr hoch war. Die Sterne schienen zum Greifen nahe zu sein; es war, als könnte man sie einfach vom Himmel pflücken und wie Glühwürmchen in ein Glas sperren. Es war bitterkalt. Es war dunkel. Im frostigen Sternenlicht konnte er düster das Antlitz der Felswände sehen, durch die der Highway hindurchschnitt.
Und in der Dunkelheit kam ihm etwas entgegen.
Und dann seine Stimme, die von überall und nirgends kam: In den Bergen gebe ich dir ein Zeichen. Ich beweise dir meine Macht. Ich zeige dir, was mit denen geschieht, die sich gegen mich stellen. Sei wachsam.
Rote Augen öffneten sich in der Dunkelheit, als hätte jemand drei Dutzend Warnleuchten mit Kapuzen aufgestellt und zog nun die Kapuzen paarweise ab. Es waren Augen, die den Mülleimermann umkreist hatten. Zuerst hielt er sie für die Augen von Wieseln, aber als der Ring enger wurde, sah er, daß es sich um graue Gebirgswölfe handelte, die die Ohren gestellt hatten und von deren dunklen Schnauzen Schaum troff.
Er hatte Angst.
Sie kommen nicht deinetwegen, mein guter und getreuer Diener. Siehst du?
Dann waren sie fort. Die hechelnden grauen Wölfe waren einfach fort.
Sei wachsam, sagte die Stimme.
Warte, sagte die Stimme.
Der Traum ging zu Ende. Er wachte auf und sah hellen Sonnenschein, der durch das Motelzimmer hereinfiel. Kid stand davor, sein Kampf mit der inzwischen aus dem Geschäft ausgestiegenen Firma Adolph Coors vom Vorabend war ihm nicht mehr anzusehen. Das Haar war zu den altbekannten glänzenden Schnörkeln und Tollen gekämmt, und er bewunderte sein Spiegelbild im Glas. Die Lederjacke hatte er über eine Stuhllehne gehängt. Die Hasenpfoten baumelten vom Gürtel wie winzige Leichen von einem Galgen.
»He, Schleimbeutel, hab' schon gedacht, ich müßte dir noch mal die Hand einseifen, daßde wach wirst. Komm schon, wir ham 'n großen Tag vor uns. Heut wird 'ne Menge passieren, hab' ich recht?«
»Unbedingt«, antwortete Mülleimer mit einem seltsamen Lächeln.
Als der Mülleimermann am Abend des 5. August aus dem Schlaf erwachte, lag er immer noch auf dem Blackjacktisch im Casino des MGM Grand Hotel. Vor ihm saß ein junger Mann mit strohblondem Haar und Spiegelbrille verkehrt herum auf einem Stuhl. Als erstes fiel Mülleimer der Stein auf, der ihm im V des offenen Freizeithemds um den Hals hing. Schwarz, mit einem roten Makel in der Mitte. Wie das Auge eines Wolfs in der Nacht.
Er wollte sagen, daß er Durst hatte, brachte aber nur ein schwaches »Gah!« heraus.
»Schätze, du hast einige Zeit in der heißen Sonne verbracht«, sagte Lloyd Henreid.
»Bist du er?« flüsterte Müll. »Bist du...«
»Der Große? Nein, der bin ich nicht. Flagg ist in L.A. Aber er weiß, daß du hier bist. Ich habe heute nachmittag per Funk mit ihm gesprochen.«
»Kommt er?«
»Was denn, nur um dichzu sehen? Herrje, nein! Er wird hier sein, wenn die Zeit gekommen ist.« Dann wiederholte er die Frage, die er dem großen Mann gestellt hatte, nachdem Mülleimer am Morgen gerade hereingetaumelt war. »Bist du so scharf drauf, ihn zu sehen?«
»Ja... nein... ich weiß nicht.«
»Nun, wie immer es kommen wird, du bekommst deine Chance.«
»Durst...«
»Klar. Hier.« Er gab ihm eine große Thermosflasche voll Fruchtsaftgetränk Kirsch. Mülleimer leerte sie mit einem Zug, dann beugte er sich nach vorne, hielt sich den Bauch und stöhnte. Als der Krampf nachgelassen hatte, sah er Lloyd voll dumpfer Dankbarkeit an.
»Meinst du, du kannst was essen?«
»Ja, ich glaube schon.«
Lloyd drehte sich zu einem Mann um, der hinter ihnen stand. Der Mann ließ müßig eine Roulettescheibe kreisen und dann die kleine weiße Kugel hüpfen und klappern.
»Roger, sag Whitney oder Stephanie-Ann, sie sollen dem Mann ein paar Fritten und Hamburger machen. Nee, Scheiße, was red' ich denn da? Er wird hier alles vollreihern. Suppe. Bring ihm Suppe. Okay, Mann?«
»Irgendwas«, sagte Müll dankbar.
»Wir haben einen Typen hier, Whitney Morgan, der war Metzger. Er ist fett und ein Schreihals, aber kochen kann der! Und sie haben alles hier. Als wir hergekommen sind, waren die Generatoren noch am Laufen, die Kühlhallen sind voll. Vegas! Ist das nicht die tollste Stadt, die du je gesehen hast?«
»Ja«, sagte Müll. Er mochte Lloyd bereits und kannte nicht einmal seinen Namen. »Es ist Cibola.«
»Wie?«
»Cibola. Von vielen gesucht.«
»Stimmt, im Laufe der Jahre haben viele Leute danach gesucht, aber den meisten hat's leid getan, daß sie es gefunden haben. Meinetwegen kannst du es nennen, wie du willst, Kumpel – sieht aus, als hättest du dich auf dem Weg hierher fast selbst gegrillt. Wie heißt du?«
»Mülleimermann.«
Für Lloyd schien das überhaupt kein seltsamer Name zu sein. »Ich wette, mit so einem Namen warst du Rocker.« Er streckte die Hand aus. Seine Fingerspitzen trugen immer noch leichte Spuren seines Aufenthalts im Gefängnis von Phoenix, wo er fast verhungert wäre. »Ich bin Lloyd Henreid. Freut mich, dich kennenzulernen, Müll. Willkommen an Bord des guten Schiffes Lollypop.«
Mülleimer schüttelte die dargebotene Hand und mußte sich zusammennehmen, nicht vor Dankbarkeit zu weinen. Soweit er sich erinnern konnte, hatte ihm eben zum ersten Mal in seinem Leben jemand die Hand gegeben. Er war da. Er war akzeptiert worden. Er war endlich bei etwas dabei. Er wäre doppelt so lange durch die Wüste gegangen, nur um diesen Augenblick zu erleben, und hätte sich den anderen Arm und beide Beine auch noch verbrannt.
»Danke«, murmelte er. »Danke, Mr. Henreid.«
»Scheiße, Bruder – wenn du mich nicht Lloyd nennst, müssen wir die Suppe wegschütten.«
»Dann Lloyd. Danke, Lloyd.«
»Schon besser. Wenn du gegessen hast, gehen wir nach oben und geben dir ein Zimmer. Morgen bekommst du was zu tun. Ich glaube, der Boss hat was Besonderes mit dir vor, aber bis dahin ist genügend für dich zu tun. Wir haben den Laden weitgehend wieder in Schwung gebracht, aber noch längst nicht alles. Oben am Damm von Boulder ist ein Team und versucht, den Strom wieder anzuschalten. Ein weiteres arbeitet an der Wasserversorgung. Wir haben Kundschafter losgeschickt, wir führen täglich sechs bis acht Leute hierher, aber davon werden wir dich eine Weile freistellen. Sieht aus, als hättest du genug Sonne für mindestens einen Monat abbekommen.«
»Kann schon sein«, sagte der Mülleimermann mit einem schwachen Lächeln. Er war schon bereit, sein Leben für Lloyd Henreid zu lassen. Er nahm allen Mut zusammen und deutete auf den Stein, der in der Grube von Lloyds Hals hing. »Das...«
»Ja, wer hier was zu sagen hat, trägt so einen. SeinEinfall. Das ist Gagat. Eigentlich gar kein Stein, weißt du. Wie eine Ölblase.«
»Ich meine... das rote Licht. Das Auge.«
»Findest du, daß es so aussieht, hm? Das ist ein Makel. Eigens von ihm. Ich bin nicht der Klügste, den er hat, nicht einmal der Klügste in Lost Wages, längst nicht. Aber ich bin... Scheiße, man könnte wohl sagen, ich bin sein Maskottchen.« Er sah Müll eindringlich an. »Du vielleicht auch, wer weiß? Ich nicht, soviel steht fest. Er ist verschlossen, das ist Flagg. Wie auch immer, wir haben speziell von dir gehört. Ich und Whitney. Das ist keineswegs Routine. Es kommen soviel bei, die nicht eigens angekündigt werden.« Pause. »Aber erkönnte es, wenn er wollte. Ich glaube, erkönnte jeden ankündigen.«
Der Mülleimermann nickte.
»Er kann Wunder vollbringen«, sagte Lloyd mit leicht heiserer Stimme. »Weißt du, ich möchte nicht zu denen gehören, die gegen ihn sind.«
»Ja«, sagte Mülleimermann. »Ich habe gesehen, was mit Kid passiert ist.«
»Welchem Kid?«
»Mit dem ich unterwegs war, bis wir in die Berge kamen.« Er erschauerte. »Ich will nicht davon sprechen.«
»Okay, Mann. Da kommt deine Suppe. Und Whitney hat doch einen Burger dazugelegt. Wird dir schmecken. Der Typ macht Superhamburger, aber versuch, nicht zu kotzen, okay?«
»Okay.«
»Ich, ich muß mich umsehen, um die Leute kümmern. Wenn mein alter Kumpel Poke mich so sehen könnte, würde er es nicht glauben. Ich hab' mehr zu tun als ein Einbeiniger beim Arschtrittwettbewerb. Wir sehn uns später.«
»Klar«, sagte Mülleimer und fügte dann fast schüchtern hinzu:
»Danke. Danke für alles.«
»Dank nicht mir«, sagte Lloyd liebenswürdig. »Dank ihm.«
»Mach' ich«, sagte der Mülleimermann. »Jede Nacht.« Aber er sprach mit sich selbst. Lloyd war schon halb durch die Halle und sprach mit dem Mann, der Suppe und Hamburger gebracht hatte. Mülleimermann sah ihnen liebevoll nach, bis sie weg waren, dann fing er an zu essen und schlang, bis fast alles verputzt war. Alles wäre gut gewesen, hätte er nicht in die Suppenschüssel gesehen. Es war Tomatensuppe, und sie hatte die Farbe von Blut.
Er schob die Schüssel von sich und hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Es war schön und gut, Lloyd Henreid zu erzählen, daß er nicht über Kid sprechen wollte; aber nicht daran zu denken, was mit ihm passiert war, stand wieder auf einem anderen Blatt.
Er ging zur Roulettescheibe und trank dabei aus dem Glas Milch, das mit dem Essen gekommen war. Er stieß die Scheibe müßig an und ließ die kleine weiße Murmel hineinfallen. Sie rollte um den Rand, dann fiel sie in die Schlitze und hüpfte auf und ab. Er dachte an The Kid. Er fragte, ob jemand kommen und ihm zeigen würde, welches sein Zimmer war. Er dachte an Kid. Er fragte sich, ob die Kugel in einem schwarzen oder roten Feld landen würde... aber hauptsächlich dachte er an Kid. Die klappernde, hüpfende Kugel landete in einem Feld, diesmal endgültig. Die Scheibe kam zum Stillstand. Die Kugel lag in der grünen Doppel-Null.
Das Haus gewinnt.
An dem wolkenlosen, siebenundzwanzig Grad warmen Tag, als sie auf der Interstate 70 von Golden aus nach Westen direkt in die Rockies fuhren, gab Kid Coors zugunsten einer Flasche Whiskey Marke Rebell Yell auf. Zwei weitere Flaschen standen zwischen ihnen auf der Wölbung des Lenkgestänges, jede fein säuberlich in einen leeren Milchkarton verpackt, damit die Flaschen nicht herumkullern und zerbrechen konnten. Kid trank einen Schluck, spülte den Schluck mit einem großen Schluck Pepsi hinunter und grölte dann aus voller Brust Hotdamn! oder Yahoo! oder Sex machine! Er bemerkte mehrmals, daß er Rebell Yell pissenwürde, wenn er könnte. Er fragte den Mülleimermann, ob er diese Heißescheiße glaubte. Der Mülleimermann, leichenblaß vor Angst und immer noch verkatert von den drei Bier am Abend zuvor, sagte ja.
Nicht einmal Kid konnte auf diesen Straßen mit neunzig dahindonnern. Er bremste auf sechzig ab und verfluchte die verdammten Berge unablässig. Dann strahlte er. »Wenn wir drüben in Utah und Nevada sind, holen wir jede Menge Zeit auf, Mülli. Mein kleiner Schatz hier schafft hunnertsechzig auf der Ebene. Glaubst die Heißescheiße?«
»Echt tolles Auto«, sagte Müll mit einem Lächeln wie ein kranker Hund.
»Kannst Gift rauf nehmen.« Er trank Rebell Yell. Spülte mit Pepsi nach. Schrie aus voller Brust Yahoo!
Müll betrachtete morbid die vorüberrasende Landschaft, die jetzt im morgendlichen Sonnenschein erstrahlte. Die Interstate war in den Berg gesprengt worden, manchmal fuhren sie zwischen gigantischen Felsklippen dahin. Es waren genau die Klippen, die er in der Nacht zuvor in seinem Traum gesehen hatte. Würden sich die roten Augen nach Einbruch der Dunkelheit vielleicht wieder öffnen? Er erschauerte.
Wenig später stellte er fest, daß sie von sechzig auf vierzig abgebremst hatten. Dann auf dreißig. Kid fluchte monoton und gräßlich. Das Coupe fuhr Slalom durch zunehmend dichteren Verkehr, der ausnahmslos stand und totenstill war.
»Was soll denn dieKacke?« tobte Kid. »Was haben die denn bloss gemacht? Alle beschlossen, gemeinsam in dreitausend Meter Höhe zu krepieren? He, ihr dummen Wichser, aus'm Weg mit euch! Habt ihr nicht gehört? Los! Aus'm Weg, verdammt!«
Mülleimermann verkroch sich im Sitz.
Sie kamen um eine Kurve und sahen einen schlimmen Unfall mit vier Autos, die die westlichen Fahrspuren der 1-70 vollständig versperrten. Ein toter Mann voll Blut, das längst zu einer rissigen, unebenmäßigen Glasur erstarrt war, lag mit von sich gestreckten Gliedmaßen Gesicht nach unten auf der Straße. Neben ihm lag eine zerschellte Chatty-Cathy-Puppe. Der Weg links um des Unfall herum wurde von zwei Meter hohen stählernen Leitpfosten versperrt. Rechts fiel das Land in wolkige Tiefe ab.
Kid trank Rebell Yell und steuerte das Coupe Richtung Abgrund.
»Festhalten, Mülli«, flüsterte er, »wir fahren drumrum.«
»Kein Platz«, krächzte Mülleimermann. Sein Hals fühlte sich an wie eine Eisenraspel.
»Doch, reicht gerade«, flüsterte Kid. Seine Augen funkelten. Er steuerte das Auto von der Straße. Die rechten Reifen zischten im Staub des Straßenrands.
»Ohne mich«, sagte Mülleimer hastig und streckte die Hand nach dem Türgriff aus.
»Sitzenbleiben«, befahl Kid, »oder du bist ein toter Schleimbeutel.«
Müll drehte sich um und sah in den Lauf eines Fünfundvierzigers. Kid kicherte nervös.
Mülleimermann lehnte sich zurück. Er wollte die Augen zumachen, konnte es aber nicht. Auf seiner Seite des Autos verschwanden die letzten zehn Zentimeter Böschung außer Sichtweite. Er sah ein langgezogenes Panorama blaugrauer Pinien und riesiger Felsblöcke. Er konnte sich vorstellen, wie die Breitreifen des Coupes noch acht Zentimeter vom Abgrund entfernt waren... noch vier...