Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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Wir alle schüttelten die Köpfe.
»Solltet ihr nachholen«, sagte er. »Staunton war das, was meine Studenten vor zwanzig Jahren einen >echt klugen Kopf< genannt haben würden – ein sanftmütiger klinischer Soziologe, der das Okkulte als eine Art Hobby studierte. Er hat eine ganze Anzahl Artikel über beide Gebiete verfaßt, bevor er auf die andere Seite ging, um Nachforschungen aus erster Hand anzustellen.«
Harold schnaubte, aber Stu und Mark grinsten. Ich auch, fürchte ich.
»Erzählen Sie uns von den Zügen und Flugzeugen«, sagt Peri.
»Nun, Staunton besorgte sich Statistiken über mehr als fünfzig Flugzeugabstürze seit 1925 und mehr als zweihundert Zugunglücke seit 1900. Er gab alle Daten in einen Computer ein. Im Grunde genommen verglich er drei Faktoren: die Anwesenden bei einem Ereignis, das mit einer Katastrophe endete, die ums Leben Gekommenen und die Kapazität des Fahrzeugs.«
»Ich verstehe nicht, was er beweisen wollte«, sagte Stu.
»Um das zu verstehen, muß man auch wissen, daß er eine zweite Datenfolge in den Computer eingegeben hat – diesmal dieselbe Anzahl Passagiere, Züge und Flugzeuge, die nicht Opfer einer Katastrophe wurden.«
Mark nickte. »Eine Kontrollgruppe und eine Experimentiergruppe. Klingt hieb– und stichfest.«
»Was er herausfand, war ziemlich einfach, aber in seiner Bedeutung umwerfend. Eine Schande, daß man so viele Umwege in Kauf nehmen muß, um die zugrundeliegenden statistischen Fakten herauszubekommen.«
» Was für Fakten?« fragte ich.
»Voll besetzten Zügen und Flugzeugen stößt selten ein Unglück zu.«
»Ach, verdammte SCHEISSE!« schreit Harold beinahe.
»Ganz und gar nicht«, sagt Glen ruhig. »Das war Stauntons Theorie, und der Computer hat sie bestätigt. Wenn einem Zug oder Flugzeug ein Unglück zustößt, ist die Passagierkapazität zu einundsechzig Prozent ausgelastet. Tritt keine Katastrophe ein, beträgt die Auslastung sechsundsiebzig Prozent. Das macht einen Unterschied von fünfzehn Prozent bei einem ausgedehnten Computerexperiment, und eine so starke Abweichung ist signifikant. Staunton weist darauf hin, daß statistisch gesehen schon eine Abweichung von drei Prozent signifikant wäre, und er hat recht. Aber fünfzehn Prozent ist eine Anomalie so groß wie Texas. Staunton hat daraus abgeleitet, daß die Leute wissen, welche Flugzeuge und Züge verunglücken werden... daß sie unterbewußt die Zukunft vorhersehen.
Tante Sally bekommt Magenschmerzen, bevor Flug 61 von Chicago nach San Diego startet. Und wenn das Flugzeug über der Wüste von Nevada abstürzt, sagt jeder: >Oh, Tante Sally, diese Magenschmerzen waren ein Geschenk Gottes.< Aber bevor James Staunton seine Studie erstellte, war keinem bewußt, daß es sich in Wahrheit um dreißig Menschen mit Magenschmerzen handelte... oder Kopfschmerzen... oder einfach nur dem komischen Gefühl in den Beinen, das man hat, wenn der Körper dem Kopf sagen will, dass etwas total schiefgehen wird.«
»Das kann ich einfach nicht glauben«, sagt Harold und schüttelt verdrossen den Kopf.
»Paßt auf«, sagte Glen, »etwa eine Woche, nachdem ich Stauntons Artikel zum ersten Mal gelesen hatte, ist ein Flugzeug von Majestic Airlines auf dem Flughafen von Logan abgestürzt. Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, habe ich das Büro von Majestic in Logan angerufen. Ich habe ihnen gesagt, ich wäre Reporter vom Manchester Union-Leader, eine kleine Notlüge für einen guten Zweck. Ich sagte ihnen, wir würden für eine Serie über Flugzeugunglücke recherchieren und wollte wissen, ob sie mir sagen konnten, wie viele Passagiere den Unglücksflug nicht angetreten hatten. Der Mann schien überrascht, denn er sagte mir, darüber hätte sich das Personal auch unterhalten. Die Zahl war sechzehn. Sechzehn Passagiere waren nicht erschienen. Ich fragte den Mann nach der Zahl der durchschnittlichen Rücktritte bei Flügen von Denver nach Boston, und er sagte, es wären drei.«
»Drei«, sagte Perion erstaunt.
»Richtig. Aber der Mann ging noch weiter. Er sagte auch, es wären fünfzehn Stornierungen eingegangen, der Durchschnitt wäre acht. Die Schlagzeile lautete zwar: 94 MENSCHEN KOMMEN BEI FLUGZEUGABSTURZ IN LOGAN UMS LEBEN, aber sie hätte auch lauten können: 35 ENTGEHEN TOD BEI FLUGZEUGABSTURZ IN LOGAN.«
Nun, es wurde noch viel über übersinnliche Phänomene geredet, aber wir entfernten uns immer weiter vom Thema unserer Träume und ob sie vom Großen Vater im Himmel kommen oder nicht. Nachdem Harold stocksauer unsere Runde verlassen hatte, wandte sich Stu an Glen: »Wenn wir alle übersinnliche Fähigkeiten entwickeln, wie kommt es dann, daß wir nicht wissen, wann ein Geliebter gestorben ist oder unser Haus gerade von einem Tornado weggerissen wurde, oder so was?«
»Es gibt Fälle, wo genau das passiert ist«, sagte Glen, »aber ich muß zugeben, sie sind bei weitem nicht so verbreitet... oder mit einem Computer so leicht zu beweisen. Eine interessante Frage übrigens. Ich habe eine Theorie... «
(Hat er das nicht immer, liebes Tagebuch?)
».. .daß das etwas mit der Evolution zu tun hat. Ihr wißt schon, die Vorfahren der frühmenschlichen Formen hatten Schwänze, waren am ganzen Körper behaart, und ihre Sinne waren viel besser ausgebildet als unsere. Warum haben wir das alles nicht mehr? Schnell, Stu! Das ist Ihre Chance, Klassenprimus zu werden, mit Doktorhut und allem drum und dran.«
»Na, aus demselben Grund, warum die Leute beim Autofahren keine Schutzbrillen und Lederkappen mehr tragen müssen. Manchmal wird etwas überflüssig. Einmal kommt der Punkt, da braucht man irgendwas nicht mehr.«
»Genau. Und was hat es für einen Sinn, eine übersinnliche Begabung zu haben, die in praktischer Hinsicht nutzlos ist? Was würde es dir nützen, wenn du im Büro sitzt und plötzlich weißt, dass deine Frau auf dem Heimweg vom Einkauf einen Autounfall hatte und ums Leben kam? Jemand wird dich anrufen und es dir sagen, stimmt's? Die übersinnliche Begabung, falls unsere Vorfahren sie je hatten, könnte verkümmert sein, könnte den Weg unserer Schwänze und Pelze gegangen sein.
Was mich an unseren Träumen interessiert«, fuhr er fort, »ist die Tatsache, daß sie auf einen künftigen Kampf hinzudeuten scheinen. Wir bekommen unscharfe Bilder eines Protagonisten... und eines Gegenspielers. Eines Widersachers, wenn ihr so wollt. Wenn das zutrifft, wäre es so, als hätten wir einen Flug gebucht, stünden vor der Maschine... und haben plötzlich Bauchweh. Wir bekommen möglicherweise die Mittel, mit denen wir unsere eigene Zukunft formen können. Eine Art vierdimensionalen freien Willen: die Chance, uns vor dem Eintritt der Ereignisse zu entscheiden.«
»Aber wir wissen nicht, was die Träume bedeuten«, sagte ich.
»Nein, das wissen wir nicht. Aber vielleicht erfahren wir es. Ich weiss nicht, ob das kleine Rinnsal übersinnlicher Wahrnehmung bedeutet, daß wir göttlicher Herkunft sind. Viele Menschen nehmen das Wunder des Augenblicks als gegeben hin, ohne darin einen Beweis für die Existenz Gottes zu sehen, und zu denen gehöre ich auch; aber ich glaube auch, daß diese Träume eine konstruktive Kraft sind, obwohl sie uns angst machen. Deswegen habe ich Zweifel, was das Veronal betrifft. Die Pillen zu schlucken ist etwa so, als würde man Pepto-Bismol einnehmen, um den Magen zu beruhigen, und dann trotzdem in das Flugzeug einzusteigen.«
Zur Erinnerung: Rezession, Verknappung, den Ford Growler, der auf dem Highway mit knapp vier Litern Sprit sechzig Meilen weit fahren konnte. Das Wunderauto. Das reicht; ich höre auf. Wenn ich mich nicht kürzer fasse, wird dieses Tagebuch länger als Vom Winde verweht, noch ehe der Einsame Reiter eintrifft (aber bitte nicht auf einem weißen Pferd namens Silver). Ach ja, noch etwas, das man nicht vergessen sollte. Edgar Cayce. Ihn kann ich nicht vergessen. Er hat angeblich in seinen Träumen die Zukunft gesehen.
16. Juli 1990
Nur zwei Anmerkungen, beide zu den Träumen (siehe Eintrag von vor zwei Tagen). Erstens: Glen Bateman war die beiden vergangenen Tage sehr blaß und still, und ich habe gesehen, daß er heute abend eine besonders hohe Dosis Veronal genommen hat. Ich vermute, er hat die Tabletten vorher nicht geschluckt und darum ein paar SEHR SCHLIMME Träume gehabt. Das beunruhigt mich. Wenn ich nur wüßte, wie ich ihn darauf ansprechen soll, aber mir fällt nichts ein.
Zweitens: Meine eigenen Träume. Vorgestern nacht nichts (die Nacht nach unserer Diskussion); ich habe geschlafen wie ein Baby und kann mich an nichts erinnern. Gestern nacht habe ich zum ersten Mal von der alten Frau geträumt. Habe dem, was bereits gesagt worden ist, nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, daß sie eine Aura des FREUNDLICHEN, des GÜTIGEN ausstrahlt. Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum Stu trotz Harolds Sarkasmus nach Nebraska wollte. Ich bin heute morgen durch und durch erfrischt aufgewacht und habe mir gedacht, wenn wir zu dieser alten Frau gehen könnten, Mutter Abagail, dann würde alles gut werden. Ich hoffe, sie ist wirklich dort. (Ich bin übrigens ziemlich sicher, daß der Name der Stadt Hemingford Home ist.)
Zur Erinnerung: Mutter Abagail!
47
Als es passierte, passierte es schnell.
Es war gegen Viertel vor zehn am 30. Juli; sie waren erst eine Stunde unterwegs. Sie kamen nur mühsam voran, weil es vergangene Nacht stark geregnet hatte und die Straße immer noch rutschig war. Seit gestern morgen hatten die vier kaum miteinander gesprochen, als Stu erst Frannie geweckt hatte, dann Harold und Glen, um ihnen von Perions Selbstmord zu erzählen. Er gab sich selbst die Schuld, dachte Fran voller Trauer und Mitleid, gab sich die Schuld für etwas, das ebensowenig seine Schuld war wie ein Gewitter.
Das hätte sie ihm gerne gesagt, teils, weil er für sein Selbstmitleid gescholten werden mußte, teils, weil sie ihn liebte. Letzteres war eine Tatsache, die sie nicht mehr vor sich verheimlichen konnte. Sie glaubte, sie könnte ihn überzeugen, daß Peris Tod nicht seine Schuld war... aber dabei hätte sie ihm ihre Gefühle für ihn offenbaren müssen. Sie mußte ihm das Herz ausschütten, damit er es einsah. Unglücklicherweise würde es dann aber auch Harold mitbekommen. Also war es verschoben... aber nur vorläufig. Sie entschied, daß sie es bald tun mußte, Harold hin oder her. Sie konnte ihn nur eine gewisse Zeit schonen. Dann mußte er es erfahren... und es entweder akzeptieren oder nicht. Sie fürchtete, Harold würde es nicht einfach hinnehmen. So eine Entscheidung konnte zu etwas Schrecklichem führen. Immerhin hatten sie eine Menge Schießeisen bei sich.
Diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, als sie um eine Kurve bogen und einen großen umgestürzten Wohnwagen sahen, der die Straße von einer Seite zur anderen versperrte. Auf der rostigen rosa Seite glänzte noch der Regen der vergangenen Nacht. Das wäre schon überraschend genug gewesen, aber es gab noch mehr Überraschungen – drei Autos, allesamt Kombis, und ein großer Abschleppwagen parkten am Straßenrand. Und Leute standen herum, mindestens ein Dutzend.
Fran war so überrascht, daß sie zu plötzlich bremste. Die Honda, die sie fuhr, rutschte weg, und Fran wäre beinahe gestürzt, bevor sie die Maschine wieder unter Kontrolle bekam. Dann standen sie alle vier in einer Reihe auf der Straße und blinzelten mehr als erstaunt über den Anblick so vieler lebender Menschen.
»Okay, steigt ab«, sagte einer der Männer. Er war groß, hatte einen sandfarbenen Bart und trug eine dunkle Sonnenbrille. Frans Verstand ging auf eine Zeitreise: Sie befand sich auf der Mautstraße in Maine und wurde von einem State Trooper wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten.
Als nächstes will er unseren Führerschein sehen, dachte Fran. Aber dies war kein einsamer State Trooper, der Verkehrssünder anhielt und Strafzettel schrieb. Es waren vier Männer. Drei standen als kurze Gefechtslinie hinter dem Mann mit dem sandfarbenen Bart.
Alle anderen waren Frauen. Insgesamt acht. Sie sahen ängstlich und blaß aus und drängten sich in kleinen Gruppen um die geparkten Kombis.
Der Mann mit dem sandfarbenen Bart hatte eine Pistole. Die Männer hinter ihm hatten Gewehre. Zwei trugen Teile von Armeeausrüstungen.
» Steigt ab, verdammt«, sagte der Bärtige, während einer von den Männern hinter ihm sein Gewehr durchlud. Es war ein lautes, bitter befehlendes Geräusch in der nebligen Morgenluft.
Glen und Harold sahen verwirrt und ängstlich drein. Mehr nicht. Zielscheiben, dachte Frannie mit aufkeimender Panik. Sie begriff die Situation selbst noch nicht, aber sie wußte, die Gleichung hier stimmte nicht. Vier Männer, acht Frauen, sagte ihr Verstand und wiederholte es dann, lauter und in besorgtem Tonfall: Vier Männer! Acht Frauen!
»Harold«, sagte Stu mit leiser Stimme. Etwas war in seinen Augen. Eine Erkenntnis. »Harold, nicht...« Und dann geschah alles gleichzeitig.
Stu hatte das Gewehr über der Schulter hängen. Ein kurzer Ruck, und der Trageriemen rutschte ihm am Arm entlang; dann hielt er das Gewehr in der Hand.
»Nicht!« schrie der bärtige Mann wütend. »Garvey! Virge! Ronnie! Schnappt sie! Verschont die Frau!«
Harold griff nach den Pistolen und vergaß zunächst, daß sie noch in den Halftern festgezurrt waren.
Glen Bateman saß immer noch fassungslos erstaunt hinter Harold.
» Harold!« rief Stu noch einmal.
Fran wand ihr eigenes Gewehr los. Ihr war, als wäre die Luft um sie herum plötzlich von unsichtbarer Molasse erfüllt, von zäher Masse, die sie niemals würde rechtzeitig durchdringen können. Ihr wurde klar, daß sie hier möglicherweise sterben würden.
Eines der Mädchen schrie: »JETZT!«
Während sie sich mit dem Gewehr abmühte, sah Frannie zu dem Mädchen hinüber. Eigentlich war es gar kein Mädchen; sie war mindestens fünfundzwanzig. Ihr aschblondes Haar klebte ihr wie ein deformierter Helm am Kopf; es sah aus, als hätte sie ihr Haar erst vor kurzem mit einer Heckenschere geschnitten.
Nicht alle Frauen bewegten sich; manche schienen vor Angst fast gelähmt zu sein. Aber das blonde Mädchen und drei weitere handelten.
Alles geschah innerhalb weniger Sekunden.
Der bärtige Mann hatte die Pistole auf Stu gerichtet. Als die blonde junge Frau Jetzt! schrie, ruckte der Lauf leicht in ihre Richtung wie eine Wünschelrute, die auf Wasser reagiert. Die Waffe ging mit einem Laut los, als würde Stahl durch Pappkarton gestoßen werden. Stu fiel vom Motorrad, und Frannie kreischte seinen Namen. Dann stützte sich Stu auf beide Ellbogen (die vom Sturz aufgeschürft waren; die Honda lag auf seinem Bein) und feuerte. Der Bärtige schien rückwärts zu tanzen wie ein Vaudevillestar, der nach einer Zugabe die Bühne verläßt. Das verblichene karierte Hemd, das er trug, bauschte sich auf. Er riß die Pistole, eine Automatik, himmelwärts, und das Geräusch von Stahl durch Pappkarton wiederholte sich viermal. Er fiel auf den Rücken.
Beim Schrei der blonden Frau waren zwei der drei Männer hinter dem Bärtigen herumgefahren. Einer drückte beide Abzüge der Waffe, die er in der Hand hatte, eine altmodische Remington Kaliber 12. Er hatte das Schulterstück des Gewehrs nirgends angelegt – er hielt es neben der rechten Hüfte -, als es mit einem Laut wie Donner in einem kleinen Zimmer losging, flog es ihm nach hinten aus der Faust und riß dabei Haut von den Fingern. Es fiel polternd auf die Straße. Das Gesicht einer der Frauen, die nicht auf den Ruf der Blonden reagiert hatten, verschwand in einem unglaublichen Blutschwall; einen Augenblick konnte Frannie ihr Blut tatsächlich auf den Asphalt regnen hören, wie bei einem plötzlichen Wolkenbruch. Ein Auge starrte unverletzt durch die Maske aus Blut, die die Frau jetzt trug. Es war glasig und leer. Dann fiel die Frau vornüber auf die Straße. Der Kombi hinter ihr, ein Country Squire, war vom Schrot durchsiebt. Ein Fenster war ein Wasserfall milchiger Risse. Das blonde Mädchen rang mit dem zweiten Mann, der sich ihr zugewandt hatte. Das Gewehr des Mannes ging zwischen den beiden los. Ein Mädchen rannte auf die zu Boden gefallene Schrotflinte zu.
Der dritte Mann, der sich nichtzu den Frauen umgedreht hatte, feuerte auf Fran. Frannie saß breitbeinig auf dem Motorrad und blinzelte ihn dümmlich an. Er hatte olivfarbene Haut und sah wie ein Italiener aus. Sie spürte eine Kugel an der linken Schläfe vorbeisirren.
Harold hatte endlich eine Pistole aus dem Holster bekommen. Er hob sie und schoß auf den Mann mit der olivfarbenen Haut. Die Entfernung betrug etwa fünfzehn Schritte. Harold schoß fehl. Im Blech des rosa Wohnwagens, unmittelbar links vom Kopf des Mannes mit der olivfarbenen Haut, war ein Einschußloch zu sehen. Der Mann mit der olivfarbenen Haut sah Harold an und sagte: »Jetzt massakrier' ich dich, Hurensohn!«
» Nein, nicht!« schrie Harold. Er ließ die Pistole fallen und breitete die leeren Hände aus.
Der Mann mit der olivfarbenen Haut feuerte dreimal auf Harold. Alle drei Schüsse gingen daneben. Der dritte kam am nächsten; er heulte als Querschläger vom Auspuff von Harolds Yamaha ab. Die Maschine kippte um; Harold und Glen wurden abgeworfen. Inzwischen waren zwanzig Sekunden verstrichen. Harold und Stu lagen flach am Boden. Glen saß mit überkreuzten Beinen auf der Straße. Er machte immer noch den Eindruck, als wüßte er nicht genau, wo er war oder was vor sich ging. Frannie versuchte verzweifelt, den Mann mit der olivfarbenen Haut zu erschießen, bevor er Harold und Stu erschießen konnte, aber ihr Gewehr ging nicht los, es schoß nicht, weil sie vergessen hatte, den Sicherungsbolzen mit dem Daumen zurückzuschieben. Die blonde Frau kämpfte noch mit dem zweiten Mann, und die Frau, die zu der Schrotflinte auf dem Boden gerannt war, rang jetzt mit einer anderen Frau um die Waffe.
Der Mann mit der olivfarbenen Haut, der in einer Sprache fluchte, bei der es sich ganz zweifellos um Italienisch handelte, legte wieder auf Harold an, dann feuerte Stu; die Stirn des Mannes mit der olivfarbenen Haut wurde nach innen gedrückt, und er klappte zusammen wie ein Sack Kartoffeln.
Mittlerweile beteiligte sich noch eine dritte Frau am Gerangel um die Schrotflinte. Der Mann, der sie verloren hatte, bemühte sich, alle drei wegzudrängen. Die dritte Frau griff ihm zwischen die Beine, packte den Schritt seiner Jeans und drückte zu. Fran sah, wie ihre Sehnen bis hinauf zum Ellbogen hervortraten. Der Mann schrie. Der Mann verlor das Interesse an der Schrotflinte. Der Mann griff sich an die Genitalien und humpelte vornübergebeugt davon.
Harold kroch über die Straße zu seiner Pistole und warf sich darauf. Er hob sie und schoß auf den Mann, der sich die Genitalien hielt. Er feuerte dreimal – und dreimal daneben.
Wie bei Bonnie und Clyde, dachte Frannie. Herrgott, überall Blut!
Die blonde Frau mit dem geschorenen Haar hatte den Kampf um die Waffe des zweiten Mannes verloren. Er riß sich los und trat nach der Frau, möglicherweise nach dem Magen, aber statt dessen traf er sie mit einem schweren Stiefel am Oberschenkel. Sie kippte nach hinten, ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und landete mit einem feuchten Platscher auf dem Hintern.
Jetzt erschießt er sie, dachte Frannie, aber der zweite Mann wirbelte herum wie ein betrunkener Soldat, der eine Kehrtwendung macht, und feuerte rasch hintereinander in die Gruppe der drei Frauen, die sich immer noch an die Seite des Country Squire drängten.
»Jaaa! Flittchen!« schrie dieser Herr. »Jaaaa! Ihr Flittchen!«
Eine der Frauen kippte um und zappelte auf dem Asphalt zwischen Kombi und umgestürztem Wohnwagen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die beiden anderen Frauen stürmten los. Stu feuerte auf den Schützen und verfehlte ihn. Der zweite Mann schoß auf eine der fliehenden Frauen und verfehlte nicht. Sie warf die Hände hoch und stürzte zu Boden. Die andere schlug einen Haken nach links und verschwand hinter dem rosa Wohnwagen.
Der dritte Mann, der die Schrotflinte verloren und nicht zurückbekommen hatte, stolperte immer noch herum und hielt sich den Unterleib. Eine der Frauen richtete die Schrotflinte auf ihn und drückte beide Abzüge – sie hatte die Augen zugekniffen und den Mund in Erwartung des Knalls verzerrt. Der Knall erfolgte nicht. Die Schrotflinte war leer. Die Frau drehte sie um, so daß sie die Waffe am Lauf hielt, und holte in weitem Bogen mit dem Kolben aus. Sie verfehlte seinen Kopf, traf aber die Stelle, wo der Hals in die rechte Schulter überging. Der Mann sank auf die Knie. Er kroch davon. Die Frau, die ein blaues Sweatshirt mit der Aufschrift KENT STATE UNIVERSITY und verwaschene Jeans trug, ging neben ihm her und schlug dabei mit der Schrotflinte auf ihn ein. Der Mann kroch weiter und blutete mittlerweile ganze Sturzbäche, und die Frau im Sweatshirt von Kent State drosch immer noch auf ihn ein.
»Jaaaaa, ihr Flittchen!« schrie der zweite Mann und feuerte auf eine benommen murmelnde Frau mittleren Alters. Die Entfernung zwischen Frau und Mündung betrug bestenfalls drei Schritte; sie hätte fast die Hand ausstrecken und den Lauf mit einem rosa Finger berühren können. Er verfehlte. Er drückte noch einmal den Abzug, aber diesmal löste sich kein Schuß mehr.
Harold hielt die Pistole jetzt mit beiden Händen, wie er es bei Polizisten im Film gesehen hatte. Er drückte ab, die Kugel zerschmetterte dem zweiten Mann den Ellbogen. Der zweite Mann ließ das Gewehr fallen, tanzte auf und ab und gab ein schrilles, abgehacktes Wimmern von sich. Frannie fand, er hörte sich ein wenig wie Roger Rabbit an, der » B -b-biiiitte!« sagte.
»Ich hab' ihn!« kreischte Harold wie von Sinnen. »Hab' ihn! Bei Gott, ich habe ihn!«
Schließlich fiel Frannie der Sicherungsbolzen ihres Gewehrs wieder ein. Sie drückte ihn in dem Moment mit dem Daumen hinunter, als Stu noch einmal schoß. Der zweite Mann stürzte und hielt sich jetzt den Magen, nicht mehr den Ellbogen. Er schrie weiterhin.
»Mein Gott, mein Gott«, sagte Glen leise. Er verbarg das Gesicht in den Händen und fing an zu weinen.
Harold schoß noch einmal mit der Pistole. Der Körper des zweiten Mannes zuckte. Er hörte auf zu schreien.
Die Frau im Kent -State-University-Sweatshirt schlug wieder mit dem Kolben der Schrotflinte zu; diesmal erwischte sie den Kopf des kriechenden Mannes mit voller Wucht. Es hörte sich an, als hätte Jim Rice – Wumm! – einen hohen, harten Fastball getroffen. Sowohl der Walnußkolben der Schrotflinte als auch der Kopf des Mannes zersplitterten.
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ein Vogel unterbrach es: Witwit... witivit... witwit.
Dann stellte sich das Mädchen im Sweatshirt breitbeinig über den Leichnam des dritten Mannes und stieß einen langen, urwelthaften Triumphschrei aus, der Fran Goldsmith für den Rest ihres Lebens verfolgen sollte.
Das blonde Mädchen war Dayna Jürgens aus Xenia, Ohio. Das Mädchen im Sweatshirt der Kent State war Susan Stern. Die dritte Frau, die den Schrotflintenschützen in die Genitalien gekniffen hatte, war Patty Kroger. Die beiden anderen waren deutlich älter. Die älteste, sagte Dayna, war Shirley Hammett. Den Namen der anderen Frau, die Mitte Dreißig zu sein schien, kannt en sie nicht; sie war im Trancezustand durch die Straßen geschlendert, als AI, Garvey, Virge und Ronnie sie vor zwei Tagen in der Stadt Archbold aufgelesen hatten.
Die neun verließen den Highway und lagerten in einem Farmhaus westlich von Columbia, jenseits der Staatsgrenze lowas. Sie alle standen unter Schock, und Fran dachte später oft, der Fußmarsch der Gruppe vom umgestürzten rosa Wohnwagen auf der Mautstraße durch die Felder müßte einem zufälligen Beobachter wie der Ausflug der Insassen des nächstgelegenen Irrenhauses vorgekommen sein. Das Gras, das hoch war und noch naß vom nächtlichen Regen, hatte ihre Hosen bald durchweicht. Weiße Schmetterlinge, noch träge mit ihren feuchten Flügeln, flatterten in trunkenen Kreisen und Achten auf sie zu und wieder weg. Die Sonne bemühte sich durchzukommen, hatte es aber noch nicht geschafft; sie war ein heller, wäßriger Fleck, der schwach eine eintönige weiße Wolkendecke erhellte, die sich von einem Horizont zum nächsten spannte. Aber mit oder ohne Wolkendecke, der Tag war jetzt schon heiß und schwül; kreisende Krähenschwärme mit ihren krächzenden, häßlichen Schreien zogen am Himmel dahin. Es gibt jetzt mehr Krähen als Menschen, dachte Fran benommen. Wenn wir nicht aufpassen, picken sie uns buchstäblich vom Antlitz der Erde. Rache der schwarzen Vögel. Waren Krähen Fleischfresser? Sie hatte die starke Befürchtung.
Hinter diesem unablässigen, sinnlosen Strom, kaum sichtbar wie die Sonne hinter der schmelzenden Wolkendecke (aber kräftig wie die Sonne an diesem schrecklichen, schwülen Morgen des 30. Juli 1990), rasten immer wieder die Bilder Schießerei durch ihr Hirn. Das Gesicht der Frau, das von der Schrotsalve zerfetzt wurde. Stu, wie er zu Boden stürzte. Der Augenblick des Entsetzens, als sie sicher gewesen war, daß es Stu erwischt hatte. Ein Mann, der Jaaa, ihr Flittchen! schrie und sich anhörte wie Roger Rabbit, als Harold ihn durchlöcherte. Das Stahl-durch-Pappkarton-Geräusch der Pistole des Bärtigen. Susan Sterns animalischer Siegesschrei, als sie breitbeinig über dem Leichnam ihres Feindes stand, während sein noch warmes Gehirn aus seinem zertrümmerten Schädel quoll. Glen ging neben ihr; sein schmales, sonst sardonisches Gesicht war jetzt beunruhigt, das graue Haar flatterte strähnig um seinen Kopf, als wollte es die Schmetterlinge nachahmen. Er hielt ihre Hand und tätschelte sie ständig wie zwanghaft.
»Du darfst dich nicht davon beeinflussen lassen«, sagte er. »Solche Schrecken... mußten passieren. Der beste Schutz dagegen ist Vielzahl. Gesellschaft, weißt du. Gesellschaft ist das Fundament des Bauwerks, das wir Zivilisation nennen, der einzig wirksame Schutz gegen Gesetzlosigkeit. Du mußt solche... solche Vorkommnisse als Gang der Dinge sehen. Das vorhin war ein absoluter Einzelfall. Stell dir einfach vor, es waren Trolle. Ja! Trolle oder Gnome oder Bestien. Monster der übelsten Sorte. Kannst du das? Ich bin überzeugt, dass Wahrheit für sich sprechen muß. Eine sozio-konstitutionelle Ethik, könnte man sagen. Ha! Ha!«
Sein Lachen war mehr ein Stöhnen. Sie kontrapunktierte jeden seiner unvollendeten Sätze mit einem »Ja, Glen«, aber er schien es nicht zu hören. Glen roch leicht nach Erbrochenem. Die Schmetterlinge prallten gegen sie und flatterten auf ihren unergründlichen Schmetterlingswegen weiter. Fran und die anderen waren nun fast beim Farmhaus angelangt. Der Kampf hatte weniger als eine Minute gedauert. Weniger als eine Minute, aber Frannie vermutete, daß sie die Bilder lange nicht aus dem Kopf bekommen würde. Glen tätschelte ihre Hand. Sie wollte ihm sagen, er möge das sein lassen, befürchtete aber, daß er dann zu weinen anfing. Das Tätscheln konnte sie ertragen. Sie war nicht sicher, ob sie es ertragen konnte, Glen Bateman weinen zu sehen.
Stu wurde auf der einen Seite von Dayna Jürgens, dem blonden Mädchen, und auf der anderen von Harold flankiert. Susan Stern und Patty Kroger hatten die namenlose katatonische Frau zwischen sich, die in Archbold aufgelesen worden war. Shirley Hammett, die von dem Mann, der im Todeskampf Roger Rabbit gespielt hatte, auf kürzeste Distanz verfehlt worden war, ging ein Stück links, murmelte und schnappte ab und zu nach einem vorbeiflatternden Schmetterling. Die Gruppe kam langsam voran, aber Shirley Hammett konnte selbst dieses Tempo kaum mithalten. Das graue Haar hing ihr wirr ins Gesicht, ihre benommenen Augen sahen in die Welt wie ängstliche Mäuse, die aus einem vorübergehenden Versteck blickten.
Harold sah Stu unbehaglich an. »Wir haben sie vernichtet, Stu, was? Wir haben sie weggepustet. Ihnen die Ärsche aufgerissen.«
»Stimmt, Harold.«
»Mann, aber wir mußtenes tun«, sagte Harold eindringlich, als hätte Stu angedeutet, daß es auch anders hätte kommen können. »Sie oder wir!«
»Sie hätten euch die Köpfe weggepustet«, sagte Dayna Jürgens leise. »Ich war mit zwei Typen zusammen, als die Kerle uns erwischt haben. Sie haben Rieh und Dämon aus dem Hinterhalt erschossen. Als es vorbei war, haben sie jedem noch eine Kugel in den Kopf gejagt, um ganz sicher zu gehen. Ihr mußtet es tun, jawohl. Normalerweise müßtet ihr jetzt tot sein.«
»Normalerweise müßten wir jetzt tot sein!« rief Harold zu Stu.
»Schon gut«, sagte Stu. »Nimm's nicht so schwer, Harold.«
»Klar. Null Problemo!« sagte Harold von Herzen. Er kramte mit fliegenden Fingern im Rucksack, holte einen Payday-Schokoriegel heraus und ließ ihn beinahe fallen, als er hektisch das Papier abriß. Er verfluchte ihn bitter, dann schlang er den Riegel hinunter, wobei er ihn wie einen Lutscher mit beiden Händen hielt. Sie hatten das Farmhaus erreicht. Harold mußte sich verstohlen betasten, während er den Schokoriegel aß – um sicherzustellen, dass er nicht verletzt war. Ihm war kotzübel. Er wagte kaum, sich zwischen die Beine zu sehen. Er war sicher, daß er in die Hose gepinkelt hatte, als das Fest beim rosa Wohnwagen so richtig in Schwung gekommen war.
Dayna und Susan erzählten während eines späten Frühstücks, bei dem alle niedergeschlagen auf ihren Tellern herumstocherten, ohne daß jemand einen Bissen aß, was sich zugetragen hatte. Patty Kroger, die siebzehn und eine Schönheit war, fügte gelegentlich etwas hinzu. Die namenlose Frau drückte sich in die entfernteste Ecke der Küche des Farmhauses. Shirley Hammett saß am Tisch, verdrückte schale Nabisco-Honigschnitten und murmelte vor sich hin.
Dayna hatte Xenia in Begleitung von Richard Darliss und Dämon Bracknell verlassen. Wie viele andere nach der Supergrippe noch in Xenia gelebt hatten? Sie hatte nur drei gesehen, einen alten Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen. Dayna und ihre Freunde fragten das Trio, ob sie mitkommen wollten, aber der alte Mann winkte ab und erzählte etwas von »Geschäften in der Wüste«.
Am 8. Juli litten Dayna, Richard und Dämon unter Alpträumen vom Schwarzen Mann. Schlimmen Alpträumen. Rieh war sogar zur Überzeugung gelangt, daß es den Schwarzen Mann tatsächlich gab, sagte Dayna, und daß er in Kalifornien lebte. Rieh hatte die Vermutung, daß es sich bei diesem Mann um das »Geschäft in der Wüste« handelte, von dem der Alte in Xenia geredet hatte. Dayne und Dämon fürchteten um Richs geistige Gesundheit. Er nannte den Traum-Mann den »Hartgesottenen« und behauptete, daß er eine Armeevon Hartgesottenen um sich versammelte. Er sagte, diese Armee würde bald von Westen aus losziehen und alle noch Lebenden versklaven, zuerst in Amerika, dann im Rest der Welt. Dayna und Dämon unterhielten sich heimlich darüber, ob sie Rieh eines Nachts zurücklassen sollten, denn sie waren zu der Überzeugung gekommen, daß ihre eigenen Alpträume die Folge von Richs beängstigenden Hirngespinsten waren.