Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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Die Tür schlug zu, als Glen wieder auf die Veranda kam.
»Was ihn angegriffen hat, hat die lebenswichtigen Organe nur knapp verfehlt«, sagte Stu.
»Die Wunden waren tief, er hat viel Blut verloren«, stimmte Glen zu.
»Ich komme einfach nicht darüber hinweg, daß das alles auf mein Konto geht.«
»Dick hat von Wölfen gesprochen.«
»Wölfe, vielleicht Kojoten... aber er hielt es für unwahrscheinlich, dass Kojoten so etwas machen, und ich habe zugestimmt.«
Stu tätschelte Kojaks Rumpf, Kojak drehte sich wieder auf den Bauch. »Wie kommt es, daß fast alle Hunde ausgestorben, aber noch genügend Wölfe da sind – auch noch östlich der Rockies -, dass sie einen guten Hund so zurichten können?«
»Das werden wir wohl nie erfahren«, sagte Glen. »Genausowenig, warum die gottverdammte Seuche alle Pferde umgebracht hat, aber nicht die Rinder und die meisten Menschen, aber nicht uns. Ich will nicht einmal mehr darüber nachdenken. Ich werde mir einen großen Vorrat an Hundefutter anlegen und ihn füttern.«
»Ja.« Stu sah Kojak an, dem die Augen zugefallen waren. »Er ist ziemlich lädiert, aber seine Organe sind noch in Ordnung – das hab' ich gesehen, als er sich umgedreht hat. Wir sollten uns nach einer Hündin umsehen, findest du nicht auch?«
»Ja, stimmt«, sagte Glen nachdenklich. »Willst du einen warmen Gin Tonic, Ost-Texaner?«
»Um Gottes willen, nein. Ich mag zwar nur ein Jahr die Berufsschule besucht haben, aber deswegen bin ich kein Barbar. Hast du ein Bier?«
»Eine Dose Coors könnte ich vielleicht auftreiben. Aber warm.«
»Gekauft.« Bevor er Glen ins Haus folgte, drehte er sich mit dem Türgriff in der Hand noch einmal zu dem schlafenden Hund um.
»Schlaf gut, alter Junge«, sagte er dem Hund. »Schön, daß du hier bist.«
Glen und er gingen hinein.
Aber Kojak schlief nicht.
Er befand sich irgendwo dazwischen, wo sich die meisten Lebewesen befinden, wenn sie schwer verletzt sind, aber nicht so schwer, daß der Schatten des Todes über ihnen liegt. Ein Juckreiz lag in seinem Bauch, der Juckreiz der Heilung. Glen würde viele Stunden damit verbringen müssen, ihn von diesem Juckreiz abzulenken, damit er sich nicht den Verband abriß, die Wunden aufkratzte und erneut infizierte. Aber das kam später. Vorläufig gab sich Kojak damit zufrieden (der sich gelegentlich immer noch für Big Steve hielt, denn das war sein ursprünglicher Name gewesen), in diesem Dazwischen vor sich hinzudämmern. Die Wölfe waren in Nebraska über ihn hergefallen, als er noch verzweifelt an dem Haus auf Wagenhebern in der kleinen Stadt Hemingford Home schnüffelte. Der Geruch des MANNES – das Gefühl des MANNES – hatten ihn hergeführt und dann aufgehört. Wohin war er verschwunden? Kojak wußte es nicht. Und dann waren die Wölfe, vier an der Zahl, mit gesträubtem Nackenhaar wie Totengeister aus dem Mais gekommen. Ihre Augen hatten Kojak angefunkelt, die Lefzen hatten sie von den Zähnen gefletscht und das tiefe, fauchende Knurren ihrer bösen Absicht herausgelassen. Kojak war vor ihnen zurückgewichen und hatte selbst geknurrt und mit steifen Pfoten den Sand von Mutter Abagails Hof aufgescharrt. Links hing die Reifenschaukel, die einen flachen, runden Schatten warf. Der Leitwolf hatte in dem Augenblick angegriffen, als Kojaks Hinterteil im Schatten der Veranda verschwand. Er kam von unten und wollte an den Bauch, die anderen folgten. Kojak sprang auf und über das schnappende Maul des Leitwolfs hinweg, präsentierte ihm den Bauch, und als er ihn biß, grub Kojak die Zähne in die Kehle des Wolfs und biß so fest zu, daß Blut kam, der Wolf heulte und sich losriß und plötzlich keinen Mut mehr hatte. Bevor er sich befreien konnte, biß Kojak ihm in die empfindliche Schnauze, und der Wolf stieß einen heulenden Schmerzensschrei aus, als ihm die Nase bis zu den Nüstern aufgerissen und zerfetzt wurde. Er floh heulend vor Qual, schüttelte wild den Kopf hin und her, so daß Blut nach allen Seiten spritzte, und aufgrund der groben Telepathie, die verwandte Tiere miteinander verbindet, konnte Kojak seinen unablässigen Gedanken lesen:
(Wespen in mir o die Wespen die Wespen in meinem Kopf mein Kopf ist voller Wespen o)
Und dann fielen die anderen über ihn her, einer von links, einer von rechts, wie riesige weiche Geschosse, und der dritte kam schnappend von unten und wollte ihm die Eingeweide herausreißen. Mit heiserem Gebell war Kojak nach rechts gesprungen, hatte wütend gekläfft und sich erst um diesen kümmern wollen, damit er unter die Veranda kriechen konnte. Wenn er unter die Veranda kam, konnte er sie abwehren, vielleicht für immer. Jetzt lag er auf Glens Veranda und erlebte den Kampf noch einmal in einer Art Zeitlupe: das Knurren und Heulen, das Zuschnappen und Zurückweichen, den Blutgeruch, der ihm ins Gehirn gedrungen war und ihn in eine Kampfmaschine verwandelt hatte, so daß er die eigenen Wunden nicht spürte, erst später. Den Wolf, der von rechts angegriffen hatte, nahm er an wie den ersten, biß ihm ein Auge aus und fügte ihm eine klaffende und wahrscheinlich tödliche Wunde am Hals zu. Aber der Wolf hatte auch ihn verletzt; das meiste war oberflächlich, aber am Bauch hatte er zwei tiefe Wunden, die zu hartem Gewebe in Form eines gekritzelten kleinen t vernarben würden. Und noch als ganz altem Hund (Kojak lebte noch sechzehn Jahre, als Glen Bateman schon lange gestorben war) machten ihm diese Narben an feuchten Tagen zu schaffen und pochten. Er hatte sich freigekämpft und war unter die Veranda gekrochen, und als einer der beiden Wölfe in seiner Blutgier versuchte, ihn bis unter die Veranda zu verfolgen, sprang Kojak ihn an, nagelte ihn fest und zerfleischte ihm den Hals. Der andere zog sich fast bis zum Rand des Maisfelds zurück und winselte nervös. Wenn Kojak sich zum Kampf gestellt hätte, wäre der Wolf mit eingezogenem Schwanz davongerannt. Aber Kojak kam nicht heraus, noch nicht. Er war am Ende. Er konnte nur auf der Seite liegen, rasch und schwach hecheln, sich die Wunden lecken, und immer wenn er sah, daß der Schatten des Wolfs sich näherte, leise knurren. Dann war es dunkel, und ein nebelverhangener Halbmond stand am Himmel über Nebraska. Und jedesmal wenn der letzte Wolf hörte, daß Kojak noch lebte und vermutlich bereit war, ihn anzuspringen, zog er sich winselnd zurück.
Irgendwann nach Mitternacht verschwand er und ließ Kojak allein zurück. In den frühen Morgenstunden hatte er die Anwesenheit eines anderen Tieres gespürt, von etwas, das ihn so in Angst versetzte, daß er mehrmals leise winselte. Es war etwas im Maisfeld, etwas, das durch den Mais ging und vielleicht nach ihm suchte. Kojak blieb zitternd liegen und wartete ab, ob dieses Wesen ihn finden würde, dieses schreckliche Wesen, das nach seinem Gefühl ein Mann und ein Wolf und ein Auge war, ein dunkles Wesen im Mais, wie ein altes Krokodil. Eine unbekannte Zeitspanne später, als der Mond untergegangen war, spürte Kojak, daß es verschwunden war. Er schlief ein. Er hatte drei Tage unter der Veranda gelegen und war nur herausgekommen, wenn Hunger und Durst ihn trieben. Unter der Handpumpe auf dem Hof fand er immer etwas Wasser, das sich dort angesammelt hatte, und im Haus gab es alle möglichen Brocken, hauptsächlich Reste der Mahlzeit, die Mutter Abagail für Nicks Gruppe zubereitet hatte. Als Kojak sich in der Lage fühlte weiterzulaufen, wußte er, wohin. Das sagte ihm nicht seine Witterung; es war ein Hitzegefühl tief in seinem sterblichen Wesen, daß sich weit im Westen Hitze konzentrierte. Und so kam er, hinkte den größten Teil der letzten fünfhundert Meilen auf drei Beinen, und der Schmerz nagte ständig in seinem Leib. Von Zeit zu Zeit roch er den MANN und wußte, daß er auf der richtigen Spur war. Schließlich war er angekommen. Der MANN war hier. Hier waren keine Wölfe. Hier gab es Futter. Hier spürte er das dunkle Wesen nicht... den Mann mit dem Gestank eines Wolfes, der ein Auge hatte, mit dem er über Meilen sehen konnte. Vorerst war alles in Ordnung. Mit diesen Gedanken (soweit ein Hund in einer Welt denken kann, die er fast nur mit dem Gefühl wahrnimmt) entschlummerte Kojak tiefer, nun in richtigen Schlaf, in einen Traum, einen guten Traum, in dem er Kaninchen durch Klee und Wiesenlischgras jagte, das ihm bis zum Bauch reichte und taufeucht war. Sein Name war Big Steve. Dies war der vierzigste Breitengrad. Und an diesem grauen und endlosen Morgen waren überall Kaninchen... Während er träumte, zuckte er mit den Pfoten.
53
Auszüge aus dem Protokoll der Sitzung des Ad-hoc-Komitees
17. August 1990
Die Sitzung fand in der Wohnung Larry Underwoods in der South 4 znd Street im Stadtteil Table Mesa statt. Alle Mitglieder des Komitees waren da...
Der erste Punkt betraf die Wahl des Ad-hoc -Komitees zum ständigen Komitee von Boulder. Fran Goldsmith erhielt das Wort. Fran: »Stu und ich sind uns darüber einig, daß wir am problemlosesten gewählt würden, wenn Mutter Abagail die Vorschlagsliste gutheißen würde. Dann hätten wir nicht das Problem, daß zwanzig Leute von ihren Freunden nominiert werden und uns eventuelle Schwierigkeiten machen. Aber jetzt muß die Sache anders gehandhabt werden. Ich werde nichts vorschlagen, das nicht absolut demokratisch wäre, und ihr kennt ohnehin alle unseren Plan, aber ich will noch einmal deutlich darauf hinweisen, daß jeder von uns jemand finden muß, der ihn nominiert, und noch jemand, der die Nominierung unterstützt. Wenn ihr keinen findet, der euch nominiert und unterstützt, könnt ihr gleich einpacken.«
Sue: »Mann! Das ist fies, Fran!«
Fran: »Ja – ein bißchen.«
Glen: »Wir kommen wieder aufs Thema der Moral des Komitees zu sprechen, und ich bin sicher, wir alle halten das für ein endlos faszinierendes Thema, aber ich würde es trotzdem gerne für die nächsten Monate vertagt sehen. Ich glaube, wir müssen uns einfach darauf einigen, daß wir die Interessen der Freien Zone vertreten und es dabei belassen.«
Ralph: »Du hörst dich ein wenig sauer an, Glen.«
Glen: »Ich binein wenig sauer. Das gebe ich zu. Allein die Tatsache, daß wir soviel Zeit mit diesem Thema vergeudet und uns gequält haben, spricht eigentlich deutlich dafür, was wir im Herzen empfinden.«
Sue: »Die Straße zur Hölle ist gepflastert mit...«
Glen: »Guten Absichten, ich weiß, und da wir uns alle ständig wegen unserer Absichten Gedanken machen, müssen wir auf jeden Fall auf dem Highway zum Himmel sein.«
Darauf sagte Glen, daß er das Komitee auf das Thema Kundschafter oder Spione oder wie man sie immer nennen wollte, anzusprechen gedachte, aber statt dessen nun den Antrag stellen wollte, das Thema auf den 19. zu verschieben. Stu fragte, warum. Glen: »Weil wir am 19. vielleicht nicht mehr alle hier sind. Vielleicht wird jemand abgewählt. Eine entfernte Möglichkeit, aber niemand weiß, was eine große Menschenmenge macht, wenn alle an einem Platz versammelt sind. Wir sollten so vorsichtig sein, wie wir können.«
Das sorgte für einen Augenblick Stille, dann beschloß das Komitee 7:0, sich am 19. zu treffen – als ständiges Komitee – und die Frage von Kundschaftern ... oder Spionen... oder was auch immer zu diskutieren.
Stu erhielt das Wort, um einen dritten Tagesordnungspunkt vorzutragen, der Mutter Abagail betraf.
Stu: »Wie ihr wißt, ist sie aus persönlichen Gründen fortgegangen. Ihre Notiz besagt, daß sie >eine Weile< fort sein wird, was ziemlich vage klingt, und daß sie wiederkommen wird, >wenn es Gottes Wille ist<. Das klingt nicht sehr ermutigend. Unser Suchtrupp ist schon seit drei Tagen unterwegs, und wir haben noch nichts gefunden. Wenn sie nicht zurückkommen will, werden wir sie nicht zwingen, aber wenn sie ein Bein gebrochen hat oder möglicherweise bewußtlos irgendwo liegt, ist es etwas anderes. Das Problem ist teilweise, dass wir nicht genügend Leute haben, um die gesamte Umgebung gründlich abzusuchen. Und noch ein anderes Problem macht uns zu schaffen. Es ist dasselbe Problem, das unsere Arbeiten im Kraftwerk behindert: Keine Organisation. Ich beantrage daher, das Thema Suchtrupp auf die Tagesordnung der großen Versammlung zu setzen, die morgen stattfindet, ebenso die Themen Kraftwerk und Beerdigungskomitee. Ich möchte die Leitung gern Harold Lauder übertragen, denn es war schließlich sein Vorschlag.«
Glen meinte, daß ein Suchtrupp nach etwa einer Woche wohl keine gute Nachricht nach Hause bringen würde. Die fragliche Dame war immerhin hundertacht Jahre alt. Das Komitee war seiner Meinung und nahm Stus Antrag, wie er ihn gestellt hatte, mit 7:0 an. Damit diese Aufzeichnungen so ehrlich wie möglich sind, sollte ich hinzufügen, daß es mehrere Einwände gab, Harold die Leitung des Suchtrupps zu übertragen... aber wie Stu ausgeführt hatte, war es ursprünglich sein Vorschlag gewesen, und ihm die Leitung nicht zu übertragen wäre für ihn ein Schlag ins Gesicht.
Nick: »Ich ziehe meinen Einwand gegen Harold zurück, nicht aber meine grundsätzlichen Bedenken. Ich mag ihn nun mal nicht besonders.«
Ralph Brentner fragte, ob Glen oder Stu den die Suche betreffenden Antrag von Stu schriftlich festhalten würde, damit er ihn auf die Tagesordnung setzen könnte, die er heute noch in der High School drucken wollte. Stu sagte, das würde er mit Vergnügen machen. Larry Underwood beantragte dann eine Vertagung, Ralph unterstützte ihn, und der Antrag wurde 7:0 angenommen.
Frances Goldsmith, Protokollführerin
Fast alle Einwohner nahmen am nächsten Abend an der Versammlung teil, und zum ersten Mal bekam Larry Underwood, der sich erst seit einer Woche in der Freien Zone aufhielt, einen Eindruck davon, wie groß die Gemeinschaft inzwischen geworden war. Es war ein Unterschied, ob man die Leute auf der Straße allein oder zu zweit kommen und gehen sah oder ob sie alle in einem Raum versammelt waren – dem Chautauqua-Auditorium. Der Saal war voll, jeder Platz besetzt, und in den Gängen saßen noch mehr Menschen oder standen hinten im Saal. Man hörte aus der Menge nur unterdrückte Geräusche; die Leute murmelten oder flüsterten, aber keiner sprach laut. Heute hatte es zum ersten Mal, seit er in Boulder war, den ganzen Tag geregnet, zuerst ein leichtes Nieseln, das schon lange in der Luft gehangen hatte und einen eher einnebelte als durchnäßte, und selbst in dieser Versammlung von fast sechshundert konnte man das leise Geräusch des Regens auf dem Dach hören. Das lauteste Geräusch im Saal war das ständige Rascheln von Papier, wenn die Leute die hektografierte Tagesordnung durchblätterten, die auf zwei Kartentischen gleich innerhalb der Doppeltür gestapelt war. Diese Tagesordnung lautete folgendermaßen:
FREIE ZONE BOULDER
Tagesordnung der öffentlichen Versammlung
18. August 1990
Folgende Punkte werden zur Diskussion vorgeschlagen:
Ob die Freie Zone einverstanden ist, die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zu verlesen und zu bekräftigen.
Ob die Freie Zone einverstanden ist, die Menschenrechte zusätzlich zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zu verlesen und zu bekräftigen.
Ob die Freie Zone einen Rat von sieben Repräsentanten nominieren und wählen soll, der als Regierung fungiert.
Ob die Freie Zone bereit ist, Abagail Freemantle ein Vetorecht bei allen von den Repräsentanten der Freien Zone beschlossenen Angelegenheiten einzuräumen.
Ob die Freie Zone ein Beerdigungskomitee von mindestens zwanzig Personen einsetzt, die den in Boulder an der Supergrippe Verstorbenen ein würdiges Begräbnis zuteil werden lassen sollen.
Ob die Freie Zone ein Energiekomitee mit mindestens sechzig Personen einsetzt, dessen Aufgabe sein soll, die Stromversorgung vor Einbruch der kalten Witterung sicherzustellen.
Ob die Freie Zone einen Suchtrupp mit mindestens fünfzig Personen zusammenstellt, dessen Aufgabe sein soll, wenn möglich den Aufenthaltsort von Abagail Freemantle zu ermitteln.
Larry stellte fest, daß er die Tagesordnung, die er fast auswendig kannte, in seiner Nervosität zu einem Papierflugzeug gefaltet hatte. Es hatte Spaß gemacht, im Ad-hoc -Komitee mitzuarbeiten, es war ein Spiel – Kinder, die in einem Wohnzimmer Parlament spielten, herumsaßen, Cola tranken, Kuchen aßen, den Frannie gebacken hatte, und sich unterhielten. Selbst der Gedanke, Spione über die Berge und direkt in den Schoß des dunklen Mannes zu schicken, hatte etwas von einem Spiel an sich, teils weil es ihm unvorstellbar erschien, so etwas selbst zu machen. Man müßte ja auch nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, sich so einem lebenden Alptraum auszusetzen. Aber in den geheimen Sitzungen, im behaglichen Licht der Coleman-Gaslampen, hatte es sich gut angehört. Und ob der Richter oder Dayna Jürgens oder Tom Cullen erwischt wurden, erschien – wenigstens in den geheimen Sitzungen – nicht wichtiger, als beim Schach einen Turm oder die Dame zu verlieren. Aber jetzt saß er hier im Saal zwischen Lucy und Leo (Nadine hatte er den ganzen Tag noch nicht gesehen, und Leo schien auch nicht zu wissen, wo sie sich aufhielt; »Weg«, war seine gleichgültige Antwort gewesen), und jetzt wurde ihm das ganze Ausmaß bewußt, und ihm war, als würde ein Rammbock in seinem Magen toben. Es war kein Spiel. Hier saßen fünfhundertachtzig Leute, und die meisten hatten keine Ahnung, daß Larry Underwood kein netter Kerl war und daß der erste Mensch, dem er nach der Epidemie helfen wollte, an einer Überdosis Tabletten gestorben war.
Seine Hände waren feucht und kalt. Sie versuchten schon wieder, die Tagesordnung zu einem Papierflugzeug zusammenzufalten, und er untersagte es ihnen. Lucy nahm eine seiner Hände, drückte sie und lächelte ihn an. Er konnte nur mit einer Grimasse reagieren, und in seinem Innern hörte er die Stimme seiner Mutter: Irgend etwas fehlt dir, Larry.
Ein Gefühl der Panik beschlich ihn, als er daran dachte. Gab es noch einen Ausweg, oder war die Sache schon zu weit gediehen? Er wollte diesen Mühlstein nicht. Er hatte schon einen Antrag in geheimer Sitzung gestellt, der Richter Farris in den Tod schicken konnte. Wenn man ihn abwählte und jemand anderen für ihn nahm, würden sie über die Entsendung des Richters neu abstimmen müssen, oder nicht? Klar doch. Und sie würden einen anderen schicken. Wenn Laurie Constable mich nominiert, stehe ich einfach auf und sage, daß ich ablehne. Wer braucht diesen Ärger überhaupt?
Wayne Stukey hatte vor langer Zeit an jenem Strand zu ihm gesagt: Bei dir ist es, als ob man auf Stanniol beißt.
Lucy sagte leise: »Du wirst es schon schaffen.«
Er zuckte zusammen. »Hm?«
»Ich sagte, du wirst es schon schaffen. Oder nicht, Leo?«
»O ja«, sagte Leo und nickte mit dem Kopf. Er nahm keinen Blick vom Publikum, als wären seine Augen noch nicht imstande gewesen, dem Gehirn dessen Größe zu übermitteln. »Bestimmt.«
Du hast keine Ahnung, du dumme Kuh, dachte Larry. Du hältst meine Hand und begreifst nicht, daß ich eine falsche Entscheidung treffen könnte, die für euch beide den Tod bedeutet. Ich bin jetzt schon im Begriff, Richter Farris umzubringen, und er unterstützt auch noch meine verdammte Nominierung. Was für ein Schlamassel das alles ist. Er seufzte leise.
»Hast du was gesagt?« fragte Lucy.
»Nein.«
Dann ging Stu über die Bühne zum Rednerpult. Sein roter Pullover und seine Bluejeans strahlten hell und klar im Schein der Notleuchten, die von einem Honda-Generator gespeist wurden, den Brad Kitchner mit einigen seiner Leute aus dem Kraftwerk aufgestellt hatte. Irgendwo in der Mitte des Saales begann der Applaus, Larry wußte nicht genau wo, und der Zyniker in ihm war überzeugt, dass dieser Applaus von Glen Bateman, dem hiesigen Fachmann für Massenbeeinflussung, arrangiert worden war. Es spielte eigentlich auch keine Rolle. Nach dem anfänglichen zögernden Klatschen schwoll der Applaus zu einem Orkan an. Auf der Bühne blieb Stu am Rednerpult stehen und wirkte komisch erstaunt. Jetzt mischten sich Hochrufe und schrille Pfiffe in den Applaus.
Dann standen die Anwesenden auf; der Beifall schwoll an wie das Prasseln heftigen Regens und die Leute schrien: »Bravo! Bravo!«
Stu hob die Hände, aber sie hörten nicht auf; der Beifall wurde sogar doppelt so laut. Larry sah Lucy an und stellte fest, daß sie begeistert klatschte. Sie hielt den Blick auf Stu gerichtet. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem zitternden, aber triumphierenden Lächeln.
Sie weinte. Auf der anderen Seite applaudierte Leo ebenfalls und klatschte so heftig in die Hände, daß Larry fürchtete, sie würden abfallen, wenn Leo nicht aufhörte. In seiner Freude hatte Leo seinen mühsam wiedererlangten Wortschatz vergessen, so wie ein Mann oder eine Frau das Englische vergessen, wenn sie es als Fremdsprache gelernt haben. Er konnte nur laut und begeistert johlen.
Brad und Ralph hatten auch ein Mikrofon an den Generator angeschlossen, und nun blies Stu hinein und sagte: »Ladies and Gentlemen...«
Aber der Applaus hielt an.
»Ladies and Gentlemen, wenn Sie bitte Platz nehmen wollen...«
Aber sie waren nicht bereit, sich zu setzen. Der Applaus ging immer weiter, und Larry sah nach unten, weil seine eigenen Hände schmerzten, und merkte, daß er selbst genauso frenetisch klatschte wie die anderen.
»Ladies and Gentlemen...«
Der Applaus donnerte und hallte. Eine Familie Schwalben, die sich, nachdem die Seuche zugeschlagen hatte, in diesem schönen ruhigen Saal eingenistet hatten, flatterten panisch herum und versuchten verzweifelt, irgendwohin zu fliegen, wo keine Menschen waren.
Wir applaudieren uns selbst, dachte Larry. Wir applaudieren der Tatsache, daß wir hier zusammen sind und noch leben. Vielleicht sagen wir unserem neuen Gruppenbewußtsein Hallo, ich weiß nicht. Hallo, Boulder. Endlich. Schön, daß wir hier sind, schön, daß wir leben.
»Ladies and Gentlemen, nehmen Sie bitte Platz, das wäre mir sehr recht.«
Der Applaus ließ allmählich ein wenig nach. Jetzt hörte man Frauen – und auch ein paar Männer – schluchzen. Nasen wurden geschneuzt. Unterhaltungen wurden geflüstert. Das typische Auditoriumsrauschen, als die Leute sich wieder setzten.
»Ich bin froh, daß Sie alle hier sind«, sagte Stu. »Ich bin auch froh, daß ich selbst hier bin.« Aus dem Mikrofon kamen pfeifende Rückkopplungsgeräusche, und Stu murmelte: »Verdammtes Ding«, was deutlich in den ganzen Saal übertragen wurde. Hier und da wurde gelacht; Stu wurde rot. »Ich glaube, an so was werden wir uns alle erst wieder gewöhnen müssen«, sagte er, und das löste wieder Beifall aus.
Als der nachgelassen hatte, sagte Stu: »Für diejenigen, die mich nicht kennen, ich bin Stuart Redman aus Arnette, Texas, und ich kann Ihnen sagen, das liegt ziemlich weit von hier entfernt.« Er räusperte sich, und wieder erklang Rückkopplungspfeifen, so daß er argwöhnisch einen Schritt vom Mikro zurücktrat. »Außerdem bin ich ziemlich nervös hier oben, haben Sie bitte Verständnis...«
»Haben wir, Stu!« brüllte Harry Dunbarton fröhlich, und einige lachten zustimmend. Wie die Zeltmission, dachte Larry. Als nächstes werden sie anfangen, Psalmen zu singen. Wenn Mutter Abagail hier wäre, würden wir es sicher schon.
»Ich habe zuletzt vor so vielen Leuten gestanden, als unsere kleine High School an den Footballmeisterschaften teilnehmen durfte, und da standen außer mir noch einundzwanzig andere Jungs zum Ansehen da, ganz abgesehen von Mädchen in kurzen Röcken.«
Eine herzliche Lachsalve.
Lucy zupfte Larry am Hals und flüsterte ihm ins Ohr: »Worüber hat er sich Sorgen gemacht? Er ist ein Naturtalent.«
Larry nickte.
»Aber wenn Sie Verständnis haben, werde ich es schon irgendwie durchstehen«, sagte Stu.
Wieder Applaus. Diese Menge würde bei Nixons Rücktrittsansprache applaudieren und verlangen, daß er sie mit Klavierbegleitung wiederholt, dachte Larry.
»Zuerst sollte ich Ihnen einiges über das Ad-hoc-Komitee erzählen, und warum ich überhaupt hier bin«, sagte Stu. »Wir haben uns zu siebt zusammengesetzt und diese Versammlung geplant, denn es ist dringend erforderlich, daß wir uns irgendwie organisieren. Es gibt viel zu tun, und ich möchte Ihnen jedes Mitglied unseres Komitees vorstellen. Ich hoffe, daß Sie für diese Leute ebenfalls noch ein wenig Beifall übrig haben, denn sie haben mit viel Fleiß die Tagesordnung ausgearbeitet, die Sie jetzt in Händen halten. Zuerst Miss Frances Goldsmith. Steh auf, Frannie, damit die Leute sehen, wie du in einem Kleid aussiehst.«
Fran stand auf. Sie trug ein hübsches mattgrünes Kleid und eine schlichte Perlenkette, die früher zweitausend Dollar gekostet haben mochte. Die Leute klatschten, und in den Applaus mischten sich beifällige Pfiffe.
Fran setzte sich errötend wieder, und bevor der Applaus ganz abklingen konnte, fuhr Stu fort: »Mr. Glen Bateman aus Woodsville, New Hampshire.«
Glen stand auf, und sie applaudierten ihm. Er machte mit beiden Händen die Geste des V, worauf die Menge zustimmend tobte. Als zweitletzten stellte Stu Larry vor, und der stand auf, merkte, dass Lucy ihm zulächelte, und dann schlug auch über ihm eine warme Woge Applaus zusammen. Früher, dachte er, in einer anderen Welt, hätte es Konzerte gegeben, und diese Art Beifall wäre dem letzten Lied vorbehalten gewesen, einem unwichtigen kleinen Song mit dem Titel »Baby, Can You Dig Your Man?« Aber dies war besser. Er stand nur eine Sekunde, aber es kam ihm länger vor. Er wußte jetzt, daß er seine Nominierung nicht ablehnen würde.
Stu stellte Nick als letzten vor, und der bekam den längsten und lautesten Applaus.
Als er abflaute, sagte Stu: »Es ist zwar in der Tagesordnung nicht vorgesehen, aber ich schlage vor, daß wir zuerst die Nationalhymne singen. Ich denke, Sie werden sich an Text und Melodie erinnern.«
Scharren und Rascheln, als die Leute aufstanden, dann eine Pause, während alle darauf warteten, daß jemand anfing. Dann sang ein Mädchen mit wohlklingender Stimme die ersten drei Silben: »Oh, say can -« Es war Frannies Stimme, aber ganz kurz kam es Larry so vor, als würde sie eine andere Stimme begleiten, seine eigene, und er war nicht in Boulder, sondern in Vermont, es war der 4. Juli, die Republik war zweihundertvierzehn Jahre alt, und Rita lag mit grüner Kotze im Mund tot hinter ihm im Zelt, die Flasche mit den Tabletten noch in der steifen Hand.
Eine Gänsehaut überlief ihn, und plötzlich hatte er das Gefühl, dass sie beobachtet wurden, von etwas beobachtet, das, wie es in dem alten Song der Who hieß, for miles and miles and miles sehen konnte. Etwas Schrecklichem und Dunklem und Fremdem. Einen Augenblick lang verspürte er den Drang, von hier wegzulaufen, zu laufen und nie mehr stehenzubleiben. Dies war kein Spiel. Es war eine ernste Angelegenheit; eine tödliche Angelegenheit. Vielleicht noch schlimmer.
Dann fielen andere Stimmen ein. » ...can you see, by the dawn's early light«, und Lucy sang mit, hielt dabei seine Hand, weinte wieder, und auch andere weinten, die meisten weinten, weinten um alles Verlorene und Bittere, um den verschwundenen amerikanischen Traum mit chromglänzenden Rädern und Einspritzmotor, und Larry dachte nicht mehr an Rita, die tot im Zelt lag, sondern an sich und seine Mutter im Yankee-Stadion – es war der 29. September, die Yankees lagen nur eineinhalb Spiele hinter den Red Sox, alles war noch möglich. Im Stadion waren 55000 Menschen, alle standen, die Spieler auf dem Platz hielten die Mützen ans Herz, Guidry auf dem Hügel, Ricky Henderson im hinteren Mittelfeld (» ...by the twilight's last gleaming...«), und in der purpurfarbenen Dämmerung war das Flutlicht eingeschaltet, Falter und andere nächtliche Insekten flogen mit weichem Aufprall dagegen, und um sie herum lag das pulsierende New York, Stadt der Nacht und des Lichts.
Larry stimmte ein, und als die Hymne verklungen war und der Beifall wieder einsetzte, weinte auch er ein wenig. Rita war tot. Alice Underwood war tot. New York war tot. Amerika war tot. Und selbst, wenn es ihnen gelang, Randall Flagg zu besiegen, nichts würde mehr so sein wie jene Welt der dunklen Straßen und strahlenden Träume.
Stu, der unter den hellen Notleuchten schwitzte, rief die einzelnen Punkte auf: Verlesung und Ratifizierung der Verfassung und der Menschenrechte. Das Absingen der Nationalhymne hatte auch ihn tief gerührt, und er war nicht der einzige. Die Hälfte der Zuhörer waren in Tränen ausgebrochen.
Niemand bestand darauf, daß die beiden Dokumente auch tatsächlich verlesen wurden – was nach dem parlamentarischen Verfahren ihr gutes Recht gewesen wäre -, und dafür war Stu ausgesprochen dankbar. Im Vorlesen war er nicht gut. Die Punkte wurden von den Bürgern der Freien Zone ohne Lesung gebilligt. Glen Bateman stand auf und beantragte, beide Dokumente als für die Freie Zone gültiges Recht anzuerkennen.
Hinten rief eine Stimme: »Ich unterstütze den Antrag.«
»Gestellt und unterstützt«, sagte Stu. »Wer dafür ist, sagt ja.«
»JA!« erklang es bis unters Dach. Kojak, der neben Glens Stuhl geschlafen hatte, sah hoch, blinzelte, dann ließ er die Schnauze wieder auf die Pfoten sinken. Einen Moment später sah er wieder auf, als die Menge sich selbst donnernden Beifall spendete. Das Abstimmen gefällt ihnen, dachte Stu. Sie haben das Gefühl, als hätten sie endlich wieder etwas unter Kontrolle. Weiß Gott, sie brauchen dieses Gefühl. Wir brauchen dieses Gefühl. Wir brauchen es alle.
Nachdem dieser Punkt erledigt war, spürte Stu, wie sich nervöse Spannung in seine Muskeln schlich. Jetzt, dachte er, werden wir sehen, ob ein paar häßliche Überraschungen auf uns warten.
»Der dritte Punkt der Tagesordnung lautet«, sagte er und mußte sich wieder räuspern. Rückkopplungsgeräusche pfiffen ihm entgegen; er schwitzte noch mehr als vorher. Fran sah ihn ruhig an und nickte ihm ermutigend zu. »Er lautet: feststellen, ob die Freie Zone einen Rat von sieben Repräsentanten nominieren und wählen wird, der als Regierung fungiert.< Das bedeutet...«
»Herr Vorsitzender? Herr Vorsitzender!«
Stu sah von seinen Notizen auf und erlebte einen echten Anflug von Angst, begleitet von einer bösen Vorahnung. Es war Harold Lauder.
Harold trug Anzug und Krawatte, sein Haar war ordentlich gekämmt, er stand halb oben im mittleren Gang. Glen hatte einmal gesagt, die Opposition wird sich möglicherweise um Harold formieren. Aber jetzt schon? Hoffentlich nicht. Ganz kurz dachte er daran, Harold einfach zu ignorieren – aber Nick und Glen hatten ihn vor den Gefahren gewarnt, die damit verbunden waren, diese Sache mit der Holzhammermethode durchzuziehen. Er fragte sich, ob Harold tatsächlich ein anderer geworden war. Sah aus, als sollte er das heute erfahren.