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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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Er wandte den Blick wieder nach Norden, nach Gary. Er konnte die Stadt jetzt sehen; ihre großen Industrieschornsteine standen ruhig und unschuldig da wie Kreidestriche auf einer hellblauen Wandtafel. Dahinter Chicago. Wie viele Öltanks? Wie viele Tankstellen? Wie viele Züge voll Benzin oder brennbarer Düngemittel standen dort auf den Abstellgleisen? Wie viele Slums mit Häusern so trocken wie Zunder? Wie viele Städte hinter Gary und Chicago?

Ein ganzes Land lag unter der Sommersonne und war bereit, verbrannt zu werden.

Grinsend stand der Mülleimermann auf und ging weiter. Seine Haut wurde schon krebsrot. Er merkte es nicht, obwohl er deshalb in der Nacht nicht würde schlafen können. Die Schmerzen würden ihn in einer Art Ekstase wach halten. Es lagen noch größere und schönere Feuer vor ihm. Seine Augen blickten sanft und heiter und völlig irre. Es waren die Augen eines Mannes, der die große Achse seines Schicksals entdeckt und seine Hand darauf gelegt hatte.

35

»Ich möchte aus der Stadt raus«, sagte Rita, ohne sich umzudrehen. Sie stand auf dem kleinen Balkon des Apartments, der Morgenwind spielte mit dem durchsichtigen Nachthemd, das sie trug, und wehte den Stoff durch die offene Schiebetür herein.

»Gut«, sagte Larry. Er saß am Tisch und aß ein Spiegeleisandwich. Sie drehte sich mit verhärmtem Gesicht zu ihm um. Als er sie im Park kennengelernt hatte, hatte sie wie eine elegante Spätvierzigerin ausgesehen, aber jetzt wirkte sie wie eine Frau, die auf des zeitlichen Messers Schneide tanzte, welche Anfang von Ende Sechzig trennte. Sie hatte eine Zigarette zwischen den Fingern, deren Spitze zitterte, so daß Rauchfähnchen aufstiegen, wenn sie sie zum Mund führte und rauchte, ohne zu inhalieren.

»Wirklich, es ist mein Ernst.«

Er wischte sich mit der Serviette den Mund. »Das weiß ich«, sagte er, »und ich verstehe es. Wir müssen weg.«

Ihre Gesichtsmuskeln wurden schlaff, als etwas wie Erleichterung in ihre Züge trat, und Larry stellte beinahe (aber nicht ganz) voll unterbewußtem Ekel fest, daß sie dadurch noch älter aussah.

»Wann?«

»Warum nicht gleich heute?« fragte er.

»Bist ein lieber Junge«, sagte sie. »Möchtest du noch Kaffee?«

»Kann ich selbst holen.«

»Unsinn. Bleib sitzen, wo du bist. Ich habe meinem Mann auch immer eine zweite Tasse geholt. Er bestand darauf. Und dabei habe ich beim Frühstück immer nur seinen Haaransatz gesehen. Der Rest steckte hinter dem Wall Street Journaloder einem gräßlich schweren Stück Literatur. Nicht nur etwas Bedeutungsvolles oder etwas mit Tiefgang, sondern etwas definitiv vor Bedeutung Triefendes. Böll. Camus. Milton, um Himmels willen. Du bist eine willkommene Abwechslung.« Auf dem Weg zur Kochnische sah sie über die Schulter; ihre Miene war schelmisch. »Es wäre jammerschade, dein Gesicht hinter einer Zeitung zu verstecken.«

Er lächelte verhalten. Heute morgen schien ihr Humor gezwungen zu sein, wie gestern nachmittag schon. Er erinnerte sich, wie er sie im Park kennengelernt hatte und ihre Unterhaltung ihm wie achtlos auf den grünen Filz eines Billardtischs gestreute Diamanten erschienen war. Seit gestern nachmittag waren Unterhaltungen wie funkelnde Zirkone, perfekte Imitationen, aber eben nur Imitationen.

»Hier.« Sie stellte die Tasse ab, und weil ihre Hand immer noch zitterte, tropfte ihm heißer Kaffee auf den Unterarm. Er zuckte mit einem katzenhaft zischenden Einatmen vor ihr zurück.

»Oh, tut mir leid...« Ihr Gesicht drückte mehr als Betroffenheit aus; es war fast so etwas wie Entsetzen.

»Schon gut...«

»Nein, ich hole nur... ein kaltes Tuch... sitz nicht... einfach so da... ich Dummkopf.«

Sie brach in Tränen aus und schluchzte abgehackt, als hätte sie gerade den scheußlichen Tod eines guten Freundes mit ansehen müssen und nicht nur ihn leicht mit etwas Kaffee verbrüht. Er stand auf, nahm sie in den Arm und nahm nicht ohne Mißfallen zur Kenntnis, wie fest sie ihn ihrerseits hielt. Es war beinahe ein Umklammern. Kosmische Umklammerung – Cosmic Clutch, das neue Album von Larry Underwood, dachte er unglücklich. O Scheiße. Du bist kein netter Kerl. Schon wieder.

»Tut mir leid, ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich bin sonst nie so, es tut mir so leid...«

»Schon gut, das macht doch nichts.« Er fuhr fort, sie mechanisch zu trösten und ihr mit den Händen über das melierte Haar zu streichen, das viel besser aussehen würde (wie überhaupt alles an ihr), wenn sie mal wieder längere Zeit im Bad verbringen würde. Selbstverständlich wußte er, was teilweise dafür verantwortlich war. Etwas Persönliches und etwas Allgemeines. Es hatte auch ihn beeinflußt, aber nicht so plötzlich und tiefgreifend. Bei ihr war es, als wäre in den letzten vierundzwanzig Stunden oder so ein innerer Kristall geborsten.

Allgemein, vermutete er, war es der Geruch. Derzeit kam er durch die Öffnung zwischen Wohnzimmer und Balkon herein – mit der kühlen Morgenbrise, die später stehender, schwüler Hitze weichen würde, wenn sich der Tag so wie die vorhergehenden entwickelte. Der Geruch war schwer so zu definieren, daß es korrekt und trotzdem nicht so schmerzhaft wie die nackte Wahrheit war. Man konnte sagen, er war wie schimmlige Orangen oder verdorbener Fisch oder der Gestank in U-Bahn-Schächten, den man mitbekam, wenn die Fenster offen waren; nichts davon traf den Kern der Sache genau. Den Kern traf voll und ganz, daß es der Geruch Tausender Menschen war, die hinter geschlossenen Türen in der Hitze verwesten, aber vor diesem Eingeständnis scheute man denn doch etwas zurück.

In Manhattan funktionierte der Strom noch, aber Larry glaubte nicht, daß das noch lange so weitergehen würde. In den meisten anderen Stadtteilen war er schon ausgegangen. Gestern abend hatte er, als Rita schon eingeschlafen war, auf dem Balkon gestanden, und von da oben konnte man sehen, daß die Lichter in halb Brooklyn und ganz Queens ausgegangen waren. Jenseits der North bis zum Ende von Manhattan Island war eine dunkle Fläche. In der anderen Richtung konnte er noch helle Lichter in Union City und – möglicherweise – Bayonne sehen, aber ansonsten war New Jersey schwarz.

Die Schwärze freilich bedeutete mehr als nur den Ausfall des Lichts. Unter anderem bedeutete sie den Ausfall der Klimaanlagen, diesem modernen Komfort, der es möglich machte, nach Mitte Juni in dieser besonders eklatanten Stadt zu leben. Sie bedeutete, daß alle Menschen, die friedlich in ihren Wohnungen gestorben waren, jetzt in Backöfen verwesten, und jedesmal, wenn er daran dachte, mußte er wieder an das Ding denken, das er in der öffentlichen Toilette an der Transverse Number One gesehen hatte. Er hatte davon geträumt, und in seinen Träumen erwachte diese schwarze Süßigkeit zum Leben und lockte ihn.

Persönlich machte ihr seiner Meinung nach zu schaffen, was sie herausgefunden hatten, als sie gestern durch den Park gegangen waren. Am Anfang war sie heiter und schwatzhaft und fröhlich gewesen, aber als sie zurückkam, fing sie an zu altern. Der Monster-Schreier hatte auf einem der Wege in einer Lache seines eigenen Blutes gelegen. Seine Brille, beide Gläser gesplittert, lagen zertreten neben seiner ausgestreckten linken Hand. Offenbar war doch ein Monster unterwegs gewesen. Der Mann wies zahlreiche Stichwunden auf. Larry betrachtete ihn ekelerfüllt und fand, daß er wie ein menschliches Nadelkissen aussah. Sie hatte nicht mehr aufgehört zu schreien, und als ihre Hysterie schließlich abgeklungen war, hatte sie darauf bestanden, daß sie ihn begruben. Also hatten sie es getan. Als sie in die Wohnung zurückgingen, war sie die Frau geworden, die er heute morgen vorgefunden hatte.

»Schon gut«, sagte er. » Nur leicht verbrüht. Die Haut ist nicht mal gerötet.«

»Ich hole Brandsalbe. Im Arzneischränkchen ist welche.«

Sie wollte weggehen, aber er hielt sie fest an den Schultern und drückte sie auf den Stuhl. Sie sah ihn mit dunklen Ringen unter den Augen an.

»Nein, du wirst essen«, sagte er. »Rührei, Toast, Kaffee. Dann besorgen wir uns Stadtpläne und suchen den besten Weg, Manhattan zu verlassen. Dir ist klar, daß wir zu Fuß gehen müssen.«

»Ja... das müssen wir wohl.«

Er ging in die Kochnische, weil er das stumme Flehen in ihren Augen nicht mehr sehen wollte, und nahm die beiden letzten Eier aus dem Kühlschrank. Er schlug sie in eine Schüssel, warf die Schalen in den Müllschlucker und fing an, sie zu verquirlen.

»Wohin willst du?« fragte er.

»Was? Ich weiß nicht...«

»In welche Richtung?« sagte er mit einem Anflug von Ungeduld. Er goß Milch in die Eier und stellte die Stielpfanne wieder auf den Herd.

»Nach Norden? Dort liegt Neuengland. Süden? Scheint mir sinnlos zu sein. Wir könnten nach...«

Ein ersticktes Schluchzen. Er drehte sich um und stellte fest, daß sie ihn mit glänzenden Augen ansah und ihre Hände im Schoß dabei miteinander kämpften. Sie versuchte, sich zu beherrschen, hatte aber keinen Erfolg damit.

»Was ist denn los?« sagte er und ging zu ihr. »Was hast du?«

»Ich glaube nicht, daß ich etwas essen kann«, schluchzte sie. »Ich weiß, du willst es... ich versuche es... aber der Geruch...«

Er ging durchs Wohnzimmer, schob die Balkontür auf ihrer Schiene aus rostfreiem Stahl zu und verschloß sie fest.

»So«, sagte er und wünschte sich etwas, daß man ihm seinen Zorn auf sie nicht zu sehr anmerken würde. »Besser?«

»Ja«, sagte sie übereifrig. »Viel besser. Jetzt kann ich essen.«

Er ging in die Kochnische zurück und rührte die Eier um, die Blasen zu werfen begannen. In der Besteckschublade war eine Reibe, und er rieb noch einen Würfel Käse damit und machte ein kleines Häufchen, das er über die Eier streute. Sie bewegte sich hinter ihm, und einen Augenblick später ertönte Debussy durch das Apartment – für Larrys Geschmack zu leicht und hübsch. Ihm lag nichts an leichter klassischer Musik. Wenn man sich schon den klassischen Scheiß anhören mußte, dann sollte man aber auch auf die Vollen gehen und sich Beethoven oder Wagner oder so was reinziehen. Warum herumalbern?

Sie hatte ihn beiläufig gefragt, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente ... der Beiläufigkeit von jemand, überlegte er mißfällig, für den so etwas Nebensächliches wie »Lebensunterhalt« nie ein Problem gewesen war. Ich war Rocksänger, hatte er ihr gesagt und sich dabei gewundert, wie mühelos ihm die Vergangenheitsform über die Lippen kam. Habe eine Weile mit dieser Band gesungen, dann mit jener. Manchmal Studioaufnahmen. Sie hatte genickt, und das war's gewesen. Er verspürte nicht den Wunsch, ihr von »Baby, Can You Dig Your Man?« zu erzählen – das war jetzt Vergangenheit. Die Kluft zwischen diesem und jenem Leben war so riesig, daß er sie noch gar nicht richtig begriffen hatte. In jenem Leben war er vor einem Kokaindealer davongelaufen; in diesem konnte er einen Mann im Central Park begraben und es (mehr oder weniger) als natürlichen Lauf der Dinge akzeptieren.

Er tat die Eier auf einen Teller, stellte eine Tasse löslichen Kaffee mit viel Milch und Zucker dazu (Larry selbst hielt sich an den TruckerWahlspruch: »Wenn du eine Tasse Milch und Zucker willst, warum bestellst du dann Kaffee?«) und trug alles zum Tisch. Sie saß auf einem Sitzkissen, hielt sich die Ellbogen und war der Stereoanlage zugewandt. Debussy erklang wie geschmolzene Butter aus den Lautsprechern.

»Zur Suppe«, rief er.

Sie kam zaghaft lächelnd zu Tisch und betrachtete die Eier ungefähr so, wie ein Hürdenläufer eine Reihe Hürden ansehen würde; dann fing sie an zu essen.

»Gut«, sagte sie. »Hast recht gehabt. Danke.«

»Mehr als gern geschehen«, sagte er. »Und jetzt paß auf. Ich habe folgenden Vorschlag. Wir gehen die Fifth bis zur 39th Street runter und biegen nach Westen ab. Im Lincoln Tunnel durch New Jersey. Der 495 können wir bis Passaic nach Nordwesten folgen und... sind die Eier gut? Sie sind doch nicht verdorben, oder?«

Sie lächelte. »Prima.« Sie schaufelte mehr in den Mund und spülte mit einem Schluck Kaffee nach. »Genau das, was ich brauche. Sprich weiter, ich höre zu.«

»Von Passaic aus arbeiten wir uns einfach nach Westen vor, bis die Straßen so weit frei sind, daß wir fahren können. Ich dachte mir, dann könnten wir nach Nordosten fahren, Richtung Neuengland. Eine Art Haken schlagen, klar? Sieht vielleicht länger aus, aber ich glaube, wir werden jede Menge Kilometer sparen. Vielleicht nehmen wir uns in Maine ein Haus am Meer. Kitterey, York, Wells, Ogunquit, vielleicht Scarborough oder Boothbay Harbor. Wie hört sich das an?«

Er hatte zum Fenster hinausgesehen und beim Sprechen nachgedacht, jetzt drehte er sich zu ihr um. Was er sah, machte ihm einen Moment große Angst – es war, als hätte sie den Verstand verloren. Sie lächelte, aber es war ein Starrkrampf der Pein und des Entsetzens. Große, runde Schweißperlen standen ihr im Gesicht.

»Rita? Herrgott, Rita, was...«

»... tut mir leid...« Sie sprang auf, stieß den Stuhl dabei um und lief quer durchs Wohnzimmer. Sie blieb mit einem Fuß an dem Sitzkissen hängen, auf dem sie gesessen hatte; es kippte um wie ein riesiger Damestein. Sie wäre um ein Haar selbst gestürzt.

» Rita

Dann war sie im Bad, und er konnte die Würgelaute ihres Frühstücks hören, das wieder hochkam. Er schlug erbost mit der flachen Hand auf den Tisch, dann stand er auf und ging ihr nach. Herrgott, er konnte es nicht ab, wenn Leute kotzten. Man wollte dann immer selbst gleich mitkotzen. Als er den anverdauten Reibkäse im Bad roch, war ihm selbst nach Würgen zumute. Rita saß auf dem meisenblauen Fliesenboden, hatte die Beine untereinander verschränkt und hing immer noch schlapp über der Kloschüssel. Sie wischte sich den Mund mit einem Stück Toilettenpapier ab und sah ihn dann mit leichenblassem Gesicht flehentlich an.

»Tut mir leid, ich konnte es einfach nicht essen, Larry. Wirklich nicht. Es tut mir so leid.«

»Mein Gott, wenn du das so genau gewußt hast, warum hast du es dann überhaupt versucht

»Weil du es wolltest. Ich wollte nicht, daß du böse auf mich bist. Aber das bist du jetzt, nicht? Du bist böse auf mich.«

Er mußte an gestern nacht denken. Sie hatte so hemmungslos mit ihm geschlafen, daß er zum ersten Mal an ihr Alter gedacht und Ekel empfunden hatte. Ihm war gewesen, als stecke er in einer dieser Trainingsmaschinen fest. Er war schnell gekommen, beinahe wie in Selbstverteidigung, und sie war lange Zeit später keuchend und unbefriedigt zurückgesunken. Später, als er kurz vor dem Einschlafen war, hatte sie sich dicht an ihn gekuschelt, und er hatte erneut ihr Duftkissen riechen können, eine teurere Version des Geruches, den seine Mutter immer aufgelegt hatte, wenn sie ins Kino gegangen waren, und da hatte sie etwas gemurmelt, das ihn zurückgerissen und noch zwei Stunden lang wach gehalten hatte: Du verläßt mich doch nicht, oder? Du wirst mich doch nicht verlassen? 

Davor war sie gut im Bett gewesen, so gut, daß er fassungslos war. Nach ihrem Abendessen am Tag, als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn mit hierher gebracht, und was sich ergeben hatte, hatte sich ganz natürlich ergeben. Er erinnerte sich an einen Augenblick des Ekels, als er sah, wie schlaff ihre Brüste und wie blau die Adern zu sehen waren (er mußte an die Krampfadern seiner Mutter denken), aber das alles hatte er vergessen, als sie die Beine angezogen und die Schenkel mit erstaunlicher Kraft gegen seine Schenkel gedrückt hatte.

Langsamhatte sie gelacht. Die Letzten werden die Ersten und die Ersten die Letzten sein.

Er war kurz davor gewesen, als sie ihn von sich herunter stieß und aufstand, um Zigaretten zu holen.

Scheiße, was machst du da?fragte er fassungslos, während sein Johannes sichtlich pulsierend und ungehalten in die Luft ragte.

 Sie hatte gelächelt. Du hast eine Hand frei, oder? Ich auch.

Also hatten sie das gemacht, während sie rauchten, und sie schwatzte unbekümmert über alles mögliche – aber ihre Wangen bekamen Farbe, und nach einer Weile wurde ihr Atem abgehackter, und was sie sagte, blieb unvollendet und vergessen.

Jetzt, hatte sie gesagt, seine und ihre Zigarette genommen und ausgedrückt. Mal sehen, ob du zu Ende bringen kannst, was du angefangen hast. Wenn nicht, reiße ich dich wahrscheinlich in Stücke.

Er brachte es für sie beide einigermaßen befriedigend zu Ende, danach waren sie eingeschlafen. Irgendwann nach vier wachte er auf und überlegte sich, daß doch etwas dran war an der Erfahrung. Er hatte in den vergangenen Jahren eine ganze Menge gevögelt, aber das, was vorhin passiert war, war nicht nur Vögeln gewesen. Es war viel besser, wenn auch ein klein wenig dekadent.

Nun, sie hat natürlich Liebhaber gehabt.

Das hatte ihn wieder erregt, und er hatte sie geweckt. So war es gewesen, bis sie den Monster-Schreier gefunden hatten, bis letzte Nacht. Vorher war es auch zu Vorfällen gekommen, die ihn beunruhigten, aber er hatte sie akzeptiert. Wenn einen so etwas, hatte er es begründet, nur ein klein wenig verschroben machte, geht's einem noch ganz gut.

Vor zwei Nächten war er gegen zwei aufgewacht und hatte gehört, wie sie sich im Bad ein Glas Wasser einschenkte. Er wußte, sie nahm wahrscheinlich wieder eine Schlaftablette. Sie hatte diese großen rot-gelben Gelatinekapseln, die an der Westküste als »Gelbjacken« bekannt waren. Starke Schlaffmacher. Er sagte sich, daß sie sie wahrscheinlich schon lange vor der Supergrippe genommen hatte.

Dann die Art, wie sie ihm auch in der Wohnung auf Schritt und Tritt folgte und sogar unter der Badezimmertür stand, wenn er duschte oder sich erleichterte. Er selbst war im Bad gerne ungestört, sagte sich aber, daß das nicht auf alle zutreffen mußte. Kam wohl auf die Erziehung an. Er würde mit ihr reden ... irgendwann einmal. Aber jetzt...

Würde er sie auf dem Rücken tragen müssen? Himmel, hoffentlich nicht. Sie hatte einen stärkeren Eindruck gemacht, wenigstens anfangs. Das war ein Grund, warum sie ihm damals im Park so gut gefallen hatte... eigentlich der Hauptgrund. Ebenso wenig wahr wie die Werbung, dachte er verbittert. Verdammt, wie sollte er sich um sie kümmern, wenn er nicht einmal auf sich selbst aufpassen konnte? Und das hatte er ja hinreichend bewiesen, als seine Platte den Durchbruch geschafft hatte. Auch Wayne Stukey hatte ihm das nur allzu deutlich zu verstehen gegeben.

»Nein«, sagte er zu ihr. »Ich bin nicht böse. Es ist einfach so, weißt du... ich bin nicht dein Boß. Wenn du nichts essen willst, sag es einfach.«

»Ich habe es dir gesagt... ich habe gesagt, ich glaube nicht, dass ich...«

»Einen Scheißdreck hast du«, schnappte er aufgebracht. Sie beugte den Kopf nach unten und sah auf ihre Hände, und er wußte, sie bemühte sich, nicht zu schluchzen, weil ihm das nicht gefallen würde. Einen Moment lang machte ihn das wütender denn je, und er hätte beinahe geschrien: Ich bin nicht dein Vater oder dein dicker, fetter Mann! Ich habe keine Lust, auf dich aufzupassen! Herrgott, du bist dreißig Jahre älter als ich!Aber dann verspürte er die altbekannte Abscheu vor sich selbst und fragte sich, was nur mit ihm los sein mochte.

»Tut mir leid«, sagte er. »Ich bin ein gefühlloses Arschloch.«

»Nein, das bist du nicht«, sagte sie schniefend. »Es ist nur... allmählich wird mir alles erst richtig bewußt. Es... gestern... dieser arme Mann im Park... Ich dachte mir: Niemand wird je die Leute schnappen, die ihm das angetan haben, und sie ins Gefängnis bringen. Sie können es immer wieder machen. Wie Tiere im Dschungel. Und plötzlich war alles schreckliche Wirklichkeit. Verstehst du das, Larry? Ist dir klar, was ich meine?« Sie sah mit verweinten Augen zu ihm auf.

»Ja«, sagte er, verspürte aber immer noch Zorn auf sie, gemischt mit einem ganz klein wenig Verachtung. Es war eine reale Situation, wie sollte es anders sein? Sie steckten mittendrin, er hatte selbst mit ansehen müssen, wie es so weit gekommen war. Seine eigene Mutter war tot; er hatte sie sterben sehen. Wollte sie etwa sagen, daß sie allem gegenüber viel feinfühliger war als er? Er hatte seine Mutter verloren und sie den Mann, der ihren Mercedes vorgefahren hatte, aber irgendwie schien ihr Verlust angeblich größer zu sein. Das war Scheiße. Schlicht und einfach Scheiße.

»Bitte sei nicht böse auf mich«, sagte sie. »Ich versuche mich zu bessern.«

Das hoffe ich. Das hoffe ich wirklich.

»Du bist großartig«, sagte er und half ihr auf die Beine. »Komm jetzt. Was meinst du? Wir haben viel vor uns. Fühlst du dich dazu imstande?«

»Ja«, sagte sie, aber ihr Gesichtsausdruck war derselbe wie eben, als er ihr die Eier angeboten hatte.

»Wenn wir aus der Stadt sind, geht es dir wieder besser.«

Sie sah ihn unverhohlen an. »Wirklich?«

»Klar«, sagte Larry aus tiefstem Herzen. »Auf jeden Fall.«



Sie gingen ins erste Haus am Platz.

Manhattan Sporting Goods war verschlossen, aber Larry schlug mit einem langen Eisenrohr, das er gefunden hatte, ein Loch ins Schaufenster. Der Einbruchalarm heulte sinnlos in die verlassene Straße. Er stellte ein großes Bündel für sich und ein kleineres für Rita zusammen. Sie hatte ihnen beiden zweimal Kleidungsstücke zum Wechseln eingepackt – mehr duldete er nicht -, die trug er in einer Reisetasche von PanAm, die sie im Schrank gefunden hatte, zusammen mit den Zahnbürsten. Die Zahnbürsten kamen ihm etwas absurd vor. Rita hatte sich für den Fußmarsch sportlich gekleidet weiße Seidenhose und Chiffonbluse. Larry trug verwaschene Jeans und ein weißes Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren. Sie luden gefriergetrocknete Lebensmittel in die Rucksäcke, sonst nichts. Es hatte keinen Sinn, sagte Larry ihr, sich mit unnützem Zeug zu belasten – einschließlich Kleidung -, wo sie sich doch auf der anderen Seite des Flusses einfach nehmen konnten, was sie wollten. Sie stimmte ergeben zu, und ihr mangelndes Interesse brachte ihn erneut auf die Palme.

Nach einem kurzen, inneren Streitgespräch mit sich selbst, packte er auch eine doppelläufige Flinte Kaliber 30 und hundert Schuss Munition ein. Es war ein wunderschönes Gewehr; auf dem Preisschild, das er vom Abzug riß und gleichgültig auf den Boden fallen ließ, stand vierhundertfünfzig Dollar.

»Glaubst du wirklich, daß wir die brauchen?« fragte sie furchtsam. Sie hatte ihre Zweiunddreißiger immer noch in der Handtasche.

»Ich glaube, wir sollten sie lieber mitnehmen«, sagte er ihr; mehr wollte er nicht sagen, aber er mußte an das häßliche Ende des Monster-Schreiers denken.

»Oh«, sagte sie mit leiser Stimme, und er sah ihren Augen an, dass sie ebenfalls daran dachte.

»Der Rucksack ist nicht zu schwer für dich, oder?«

»O nein. Auf keinen Fall. Nein.«

»Die Dinger werden mit der Zeit schwerer. Sag einfach Bescheid, dann trage ich ihn eine Weile für dich.«

»Ich schaffe es«, sagte sie und lächelte. Als sie wieder auf dem Gehweg standen, sah sie in beide Richtungen und sagte: »Wir verlassen New York.«

»Ja.«

Sie drehte sich zu ihm um. »Ich bin froh. Ich komme mir vor wie... oh, als ich ein kleines Mädchen war. Und mein Vater sagte: >Heute machen wir einen Ausflug.< Kannst du dich auch erinnern, wie das war?«

Larry lächelte ebenfalls verhalten und dachte an die Abende, wenn seine Mutter gesagt hatte: >Der Western, den du sehen wolltest, läuft unten im Crest, Larry. Mitchum und Palance. Was meinst du?<

»Ich kann mich erinnern«, sagte er.

Sie streckte sich auf Zehenspitzen und rückte den Rucksack etwas auf den Schultern zurecht.

»Der Anfang einer Reise«, sagte sie, und dann so leise, daß er nicht sicher war, ob er richtig verstanden hatte: » Die Straße gleitet fort und fort...«

»Was?«

»Das ist ein Zitat von Tolkien«, sagte sie. » Der Herr der Ringe. Ich habe es immer als eine Art Tor ins Abenteuer betrachtet.«

»Je weniger Abenteuer, desto besser«, sagte Larry, aber er verstand fast gegen seinen Willen, was sie meinte.

Sie betrachtete immer noch die Straße. Hier, an dieser Kreuzung, war sie ein schmaler Canyon zwischen hohen Steinmauern und Abschnitten mit Thermopanescheiben, in denen sich die Sonne spiegelte, und von meilenlangen Autoschlangen verstopft. Es war, als hätte sich ganz New York gleichzeitig überlegt, auf der Straße zu parken.

Sie sagte: »Ich war in Bermuda und England und Jamaica und Montreal und Saigon und in Moskau. Aber einen Ausflug habe ich nicht mehr gemacht, seit ich ein kleines Mädchen war und mein Vater mich und meine Schwester Bess in den Zoo mitgenommen hat. Gehen wir, Larry.«



Es war ein Spaziergang, den Larry Underwood nie vergaß. Er dachte, daß sie nicht so unrecht gehabt hatte, Tolkien zu zitieren, Tolkien mit seinen mythischen Ländern, die durch die Linse der Zeit und halb verrückter, halb erhabener Ideen gesehen wurden und von Eiben und Ents und Trollen und Orks bevölkert waren. Das alles gab es in New York natürlich nicht, aber es hatte sich so viel verändert, so vieles war aus den Fugen geraten, daß es unmöglich war, nicht an Fantasy zu denken. An einem Laternenpfahl der Fifth und East 45th, unterhalb des Parks in einer freundlichen Wohngegend, hing ein Mann, der ein Schild mit dem Wort PLÜNDERER um den Hals hatte. Eine Katze lag auf einem sechseckigen Abfalleimer (auf dessen Seiten immer noch Plakate einer Broadway-Show klebten, die wie neu aussahen), säugte ihre Jungen und genoß die Morgensonne. Ein junger Mann mit breitem Grinsen und einem Aktenkoffer unter dem Arm kam zu Larry und sagte ihm, er würde ihm eine Million geben, wenn er die Frau fünfzehn Minuten benützen dürfe. Die Million befand sich wahrscheinlich in dem Aktenkoffer. Larry nahm die Flinte zur Hand und sagte ihm, er solle sich seine Million woanders hin stecken. »Klar, Mann. Nimm's mir nicht übel, klar? Versuchen kann man's ja mal, oder? Schönen Tag noch. Und immer schön locker bleiben.«

Kurz nach der Begegnung mit dem Mann (den Rita voll hysterischer Heiterkeit John Bearsford Tipton nannte, ein Name, der Larry nichts sagte) kamen sie zur Ecke Fifth und East 39th. Es war fast Mittag, und Larry schlug vor, daß sie etwas essen sollten. An der Ecke war ein Imbiß, aber als er die Tür aufstieß, wich sie vor dem Gestank verfaulenden Fleisches zurück, der herausströmte.

»Wenn ich das bißchen Appetit nicht verlieren will, sollte ich besser nicht da hineingehen«, sagte sie als Entschuldigung.

Larry dachte sich, daß er unverdorbene Lebensmittel drinnen finden könnte – Salami, Pepperoniwurst, so etwas -, aber nachdem sie vier Blocks zurück »John Bearsford Tipton« über den Weg gelaufen waren, wollte er sie nicht einmal die kurze Zeit allein lassen, die er brauchen würde, um reinzugehen und nachzusehen. Daher setzten sie sich einen halben Block westlich auf eine Bank und aßen getrocknetes Obst und Dörrfleisch. Als Nachtisch gab es Käse auf Ritz Crackers, dazu reichten sie eine Thermoskanne eisgekühlten Kaffee hin und her.

»Diesmal hatte ich echt Hunger«, sagte sie stolz.

Er lächelte sie an und fühlte sich besser. Einfach unterwegs zu sein, etwas zu unternehmen, war gut. Er hatte ihr gesagt, wenn sie New York hinter sich hätten, würde es ihr bessergehen. Das hatte er nur so hingesagt gehabt. Aber wenn er jetzt überlegte, wie sehr sich seine Laune verbessert hatte, mußte doch was drangewesen sein. New York war wie ein Friedhof, wo die Toten noch nicht ganz ruhig waren. Je früher sie wegkamen, desto besser. Vielleicht würde sie wieder so werden wie an jenem ersten Tag im Park. Sie würden sich auf Nebenstraßen nach Maine durchschlagen und einen Haushalt in einem Sommerhaus der Stinkreichen einrichten. Jetzt nach Norden, und im September oder Oktober nach Süden. Boothbay Harbor im Sommer, Key Biscayne im Winter. Hörte sich gut an. Weil er so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, sah er nicht, wie sie vor Schmerzen das Gesicht verzog, während sie aufstand und die Waffe, die er mitgenommen hatte, über die Schulter hängte.

Sie gingen jetzt nach Westen, und ihre Schatten folgten ihnen – anfangs als platt gequetschte Frösche, später länger, je weiter der Nachmittag fortschritt. Sie überquerten die Avenue of the Americans, Seventh Avenue, Eigth, Ninth, Tenth. Die Straßen waren verstopft und stumm, gefrorene Automobilflüsse in allen Farben, aber beherrscht vom Gelb der Taxis. Viele der Autos waren zu Leichenwagen geworden, die verwesenden Fahrer saßen noch am Lenkrad, die Passagiere waren zusammengesunken, als hätten sie den Stau satt und wären eingedöst. Larry begann zu erwägen, ob sie sich vielleicht Motorräder besorgen sollten, wenn sie aus der Stadt waren. Damit wären sie beweglich und könnten die schlimmsten Staus abgestellter Fahrzeuge, die überall die Highways verstopfen mußten, umgehen.

Immer vorausgesetzt, sie kann ein Motorrad fahren, dachte er. Und wie die Dinge so liefen, würde sich sicher herausstellen, daß sie es nicht konnte. Das Zusammenleben mit Rita wurde zu einer regelrechten Belastung, wenigstens in mancher Hinsicht. Aber wenn es hart auf hart ging, konnte sie wohl auf dem Soziussitz mit ihm fahren.

An der Kreuzung Thirty-ninth und Seventh sahen sie einen jungen Mann, der abgeschnittene Jeans anhatte und sonst nichts, auf dem Dach eines Ding-dong Taxi liegen.

»Ist er tot?« fragte Rita, und beim Klang ihrer Stimme setzte der junge Mann sich auf, schaute sich um, sah sie und winkte. Sie winkten zurück. Der junge Mann legte sich ruhig wieder hin. Kurz nach zwei Uhr überquerten sie die Eleventh Avenue. Larry hörte einen unterdrückten Schmerzensschrei hinter sich und merkte, daß Rita nicht mehr links neben ihm ging.

Sie war auf ein Knie gesunken und hielt sich den Fuß. Mit so etwas wie Entsetzen sah Larry zum ersten Mal, daß sie teure offene Sandaletten trug, wahrscheinlich in der Größenordnung achtzig Dollar, genau das richtige für einen Schaufensterbummel auf der Fifth Avenue, aber für einen langen Fußmarsch – fast eine Expedition -, den sie vor sich hatten...

Die Riemchen hatten die Haut aufgescheuert. Blut rann an ihren Knöcheln hinab.

»Larry, es tut mir so...«

Er riß sie unsanft auf die Füße. »Was hast du dir eigentlich gedacht?« schrie er ihr ins Gesicht. Er empfand einen Augenblick Scham, weil sie so kläglich zurückzuckte, aber gleichzeitig ein gemeines Vergnügen. »Hast du gedacht, du könntest mit dem Taxi in deine Wohnung zurück, wenn deine Füße müde werden?«

»Ich dachte nie...«

»Herrgott noch mal!« Er fuhr sich mit den Händen durch das Haar.

»Natürlich nicht. Du blutest, Rita. Wie lange tut es schon weh?«

Ihre Stimme klang so tief und heiser, daß er selbst in dieser unnatürlichen Stille Mühe hatte, sie zu verstehen. »Seit... ungefähr seit Fifth und Fortyninth, glaube ich.«


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