Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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Maifeier
Endlich lag der Winter hinter ihnen.
Er war lang gewesen, und Stu, dem Mann aus Ost-Texas, war er furchtbar hart vorgekommen. Zwei Tage nach seiner Rückkehr nach Boulder war sein rechtes Bein wieder gebrochen und gerichtet worden. Dieses Mal wurde es fest eingegipst. Der Gipsverband, der inzwischen aussah wie eine Landkarte, wurde erst Anfang April abgenommen. Es schien fast, als hätte jeder Einwohner der Zone sein Autogramm daraufgesetzt. Das war allerdings praktisch unmöglich, denn seit Anfang März gab es wieder Neuzugänge in Boulder – der Pilgerstrom begann wieder zu tröpfeln -, und an dem Tag, der in der alten Welt der letzte Termin für das Einreichen der Einkommensteuererklärung gewesen war, zählte die Freie Zone fast elftausend Seelen, jedenfalls nach Aussage von Sandy DuChiens, die jetzt in ihrem Volkszählungsbüro ein rundes Dutzend Leute beschäftigte und das Computerterminal der First Bank of Boulder zur Verfügung hatte.
Jetzt standen Stu und Fran mit Lucy Swann am Picknick-Hang des Flagstaff Mountain und beobachteten das Maifeiertreiben. Es sah aus, als ob alle Kinder der Zone sich daran beteiligten (und auch nicht wenige von den Erwachsenen). Tom Cullen trug den mit Früchten und Spielsachen gefüllten Maikorb, an dem bunte Bänder flatterten. Das war Frans Idee gewesen.
Tom hatte sich Bill Gehringer geschnappt, der sich eifrig an der Jagd beteiligte (obwohl er zuerst lautstark beteuert hatte, er sei zu alt für solche Kinderspiele), und die beiden hatten nun den jungen Upshaw geschnappt – oder hieß er Upson? Stu hatte Schwierigkeiten, die Namen zu behalten – und die drei stöberten Leo Rockway auf, der sich hinter dem Brentner-Felsen versteckt hatte. Tom selbst verpaßte ihm das Band.
Die Jagd ging kreuz und quer durch den westlichen Teil Boulders. Gruppen von Kindern und Jugendlichen rannten in den immer noch ziemlich leeren Straßen umher. Tom schwang seinen Korb und jagte ihnen nach. Schließlich näherten sie sich wieder der Wiese am Flagstaff Mountain, wo die Sonne schien und ein warmer Wind wehte. Die Gruppe der »gefangenen« Kinder war jetzt über zweihundert Köpfe stark, und sie jagten das letzte halbe Dutzend Kinder, die noch »draußen« waren. Die Wildtiere, die hier sonst friedlich ästen, hatten längst die Flucht ergriffen. Zwei Meilen weiter oben, am Sunrise Amphitheater, wo Harold Lauder einst auf den richtigen Augenblick gewartet hatte, um in sein Walkie-Talkie zu sprechen, war ein riesiges Picknick vorbereitet worden. Mittags würden zwei– oder dreihundert Leute hier zusammensitzen und bei Erdnußbutter und Gelee-Sandwiches, Wildbret, Soleiern und Apfelkuchen nach Osten blicken. Dies würde wahrscheinlich die letzte große Massenversammlung der Leute in der Freien Zone sein, es sei denn, sie gingen das nächste Mal nach Denver in das große Stadion, wo die Broncos einst Football gespielt hatten. Jetzt, im Mai, war das Tröpfeln des Pilgerstroms inzwischen zu einer Flut von Einwanderern angewachsen. Seit dem 15. April waren weitere achttausend Menschen dazugekommen, und Boulder hatte jetzt ungefähr neunzehntausend Einwohner – aber genau konnte das keiner sagen, denn Sandys Büro kam mit dem Zählen nicht nach. Ein Tag mit nur fünfhundert Neuzugängen war eine Seltenheit.
Peter, der in seinem Laufställchen saß, das Stu mit heraufgebracht hatte, fing kräftig an zu schreien. Fran drehte sich um, aber Lucy, mit einem riesigen Bauch und im achten Monat, war schneller gewesen.
»Ich warne dich«, sagte Fran. »Es sind die Windeln. Das höre ich am Klang seiner Stimme.«
»Ein bißchen A-a wird mich nicht gleich umbringen.« Lucy hob den empört schreienden Peter aus seinem Ställchen und schüttelte ihn sanft hin und her. »Hallo, Baby, was ist denn los? Gefällt dir irgendwas nicht?«
Peter hörte auf zu schreien.
Lucy setzte ihn auf eine Wolldecke, die als Wickeltisch dienen sollte.
Peter fing an herumzukrabbeln. Lucy drehte ihn auf den Rücken, um ihm sein blaues Cordhöschen auszuziehen. Peter strampelte fröhlich mit den Beinen.
»Warum macht ihr nicht einen kleinen Spaziergang?« fragte Lucy. Sie lächelte Fran an, aber Stu fand, daß es ein trauriges Lächeln war.
»Warum eigentlich nicht«, meinte Fran und hängte sich bei Stu ein. Er ließ sich von ihr führen. Sie gingen über die Straße und dann auf eine grüne Wiese, die unter dem klaren blauen Himmel mit seinen segelnden weißen Wolken ziemlich steil anstieg.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Stu.
»Wie bitte?« Aber Frans Gesichtsausdruck war ein klein wenig zu unschuldig.«
»Dieser Blick.«
»Welcher Blick?«
»Ich erkenne einen Blick, wenn ich ihn sehe«, sagte Stu. »Ich weiss zwar nicht immer, was er bedeuten soll, aber daß er etwas bedeuten sollte, das weiß ich.«
»Komm, setz dich zu mir, Stu.«
»So ist das also.«
Sie setzten sich und schauten in die Ferne, wo das Land nach Osten immer weiter abfiel, um schließlich in blaßblauem Dunst zu verschwimmen. Irgendwo da hinten lag Nebraska.
»Es ist ein ernstes Problem, Stuart. Und ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.«
»Fang einfach an und erzähl es mir«, sagte er und nahm ihre Hand. Aber Fran sagte nichts. Statt dessen fing es in ihrem Gesicht an zu arbeiten. Ihre Mundwinkel zuckten, und eine Träne fiel herab.
»Fran...«
»Nein, ich willnicht weinen!« sagte sie ärgerlich. Und dann gab es mehr Tränen, und sie fing heftig an zu schluchzen. Erschrocken legte Stu einen Arm um sie und wartete.
Als sie sich etwas beruhigt hatte, sagte er: »Jetzt sag mir, was los ist, Fran.«
»Ich habe Heimweh, Stu. Ich will zurück nach Maine.«
Hinter ihnen lachten und schrien die Kinder. Stu sah Fran verblüfft an. Dann grinste er etwas unsicher. »Ist das alles? Ich dachte schon, du hättest beschlossen, dich von mir scheiden zu lassen. Das war das mindeste, was ich befürchtet hatte. Obwohl wir ja bisher ohne den Segen der Kirche und des Staates ausgekommen sind.«
»Ohne dich gehe ich nirgendwohin.« Sie wischte sich die Augen mit einem Papiertaschentuch ab. »Weißt du das nicht?«
»Das weiß ich, Fran.«
»Aber ich möchte zurück nach Maine. Ich träume davon. Träumst du nie von Ost-Texas, Stu? Arnette?«
»Nein«, sagte er wahrheitsgemäß. »Ich brauche Arnette nicht, um glücklich zu leben und glücklich zu sterben. Möchtest du nach Ogunquit, Frannie?«
»Vielleicht. Kann sein. Aber nicht gleich. Der Westen von Maine ist sehr schön. Sie nannten es das Seengebiet. Als wir dich in New Hampshire trafen, Harold und ich, da waren wir ganz in der Nähe. Es gibt dort ein paar sehr schöne Ortschaften, Stu. Bridgeton... Sweden... Castle Rock. Die Seen müßten jetzt voller Fische sein, könnte ich mir vorstellen. Vielleicht finden wir später mal dort an der Küste ein neues Zuhause. Aber nicht schon im ersten Jahr. Da gibt es zu viele Erinnerungen. Das könnte ich am Anfang nicht ertragen. Das Meer ist zu groß.« Sie blickte auf ihre Hände. »Wenn du hierbleiben willst... ihnen helfen, hier alles in Gang zu bringen... Ich kann das verstehen. Die Berge sind auch schön, aber... ich fühle mich hier nicht zu Hause.«
Er schaute nach Osten, und plötzlich erkannte er den Grund für die Unruhe, die ihm seit der Schneeschmelze zu schaffen machte: Es war der Wunsch weiterzuziehen. Hier gab es zu viele Menschen; nicht so viele, daß man sich gegenseitig auf die Füße trat, aber es fing an, ihm auf die Nerven zu gehen. Es gab Zoner (so nannten sie sich mittlerweile), denen das nichts ausmachte – einige schienen es sogar zu genießen. Zum Beispiel Jack Jackson, der erste Mann des neuen Komitees der Freien Zone (dessen Mitgliederzahl inzwischen auf neun erhöht worden war). Oder Brad Kitchner – Brad hatte Dutzende von Projekten laufen und genoß es, all die vielen Helfer in Bewegung zu halten. Es war seine Idee gewesen, eine der Fernsehstationen in Denver in Betrieb zu nehmen. Jetzt flimmerten jeden Tag von abends sechs bis nachts um eins alte Filme über die Bildschirme, sowie eine zehnminütige Nachrichtensendung um neun Uhr.
Und der Mann, der während Stus Abwesenheit seinen Posten als Ordnungshüter übernommen hatte, Hugh Petrella, war ihm ausgesprochen unsympathisch. Allein die Tatsache, daß Petrella sich nach dem Posten gedrängthatte, fand Stu abstoßend. Er war ein harter, puritanischer Mann mit einem Gesicht, das aussah, als sei es mit dem Beil modelliert. Er hatte siebzehn Helfer und erklärte auf jeder Versammlung, daß er mehr brauche – wenn Glen hier wäre, dachte Stu, würde er sagen, daß der endlose amerikanische Kampf zwischen dem Gesetz und der Freiheit des Individuums wieder begonnen hat. Petrella war kein schlechter Mensch, aber er war hart... und sein fester Glaube, daß jedes Problem sich per Gesetz lösen läßt, machte ihn sicher zu einem besseren Polizeichef, als Stu es je hätte sein können. Das war jedenfalls Stus Ansicht.
»Ich weiß, daß man dir einen Sitz im Komitee angeboten hat«, sagte Fran zögernd.
»Ich habe das Gefühl, es ist wohl mehr als Ehrenamt zu verstehen. Du nicht?«
Fran wirkte erleichtert. »Nun...«
»Ich glaube, die wären ganz froh, wenn ich ablehnte. Ich bin der letzte Vertreter des alten Komitees. Und wir waren ein Krisenkomitee. Jetzt gibt es keine Krise mehr. Und was ist mit Peter, Frannie?«
»Ich denke, im Juni wird er alt genug sein, um auf Reisen zu gehen. Ich möchte sowieso warten, bis Lucy ihr Baby hat.«
Seit Peters Geburt am 4. Januar waren noch achtzehn Kinder in der Freien Zone zur Welt gekommen. Vier waren gestorben. Den anderen ging es gut. Und jetzt würde es nicht mehr lange dauern bis zur Geburt des ersten Babys, dessen beide Eltern gegen die Grippe immun waren. Vielleicht würde Lucy die erste sein. Ihr Termin war der 14. Juni.
»Was hältst du davon, wenn wir am ersten Juli abreisen?« fragte Stu.
Fran strahlte. »Du willst es auch? Wirklich?«
»Sicher.«
»Du sagst es nicht nur, um mir einen Gefallen zu tun?«
»Nein«, sagte er. »Es gibt noch mehr Leute, die fort wollen. Nicht viele. Noch nicht. Aber einige schon.«
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihn. »Vielleicht wird es nur eine Urlaubsreise«, sagte sie. »Aber vielleicht... vielleicht wird es uns auch gefallen.« Sie sah ihn schüchtern an. »Vielleicht gefällt es uns so, daß wir bleiben wollen.«
Er nickte. »Vielleicht.« Aber er fragte sich, ob es ihnen gefallen würde, jahrelang an demselben Ort zu bleiben.
Er schaute zu Lucy und Peter hinüber. Lucy saß auf der Wolldecke und ließ Peter wie einen Gummiball auf und ab hüpfen. Er kicherte und versuchte, Lucys Nase zu greifen.
»Hast du daran gedacht, daß er krank werden könnte? Und du. Was ist, wenn du wieder schwanger wirst?«
Sie lächelte. »Es gibt Bücher. Die können wir beide lesen. Wenn wir Angst vor dem Leben haben, können wir lieber gleich damit aufhören.«
»Du hast recht.«
»Bücher und Medikamente. Wir müssen lernen, sie richtig zu gebrauchen. Wir können auch lernen, uns unsere eigenen Medikamente zu machen. Und was Krankheit und Tod betrifft...« Sie sah den Kindern nach, die verschwitzt und außer Atem über die Wiese zum Picknickplatz hinaufliefen. »Das wird es hier auch geben. Erinnerst du dich an Rieh Moffat?« Er nickte. »Und an Shirley Hammett?«
»Ja.« Shirley war im Februar an einem Schlaganfall gestorben. Frannie nahm seine Hände. Ihre Augen strahlten. »Laß uns das Risiko eingehen und unser Leben so leben, wie es uns gefällt.«
»Ja, Fran. Das hört sich gut an. Das hört sich richtig gut an.«
»Ich liebe dich, Ost-Texaner.«
»Ich dich auch, Fran.«
Peter fing wieder an zu weinen.
»Laß uns nachsehen, was unserem kleinen Tyrannen fehlt.« Frannie stand auf und wischte sich ein paar Grashalme von der Hose.
»Er ist beim Krabbeln auf die Nase gefallen«, sagte Lucy und reichte ihn Fran. »Armes Baby.«
»Armes Baby«, sagte auch Fran und drückte ihn an sich. Er lehnte seinen Kopf vertrauensvoll an Frans Schulter, blickte zu Stu auf und lächelte. Stu lächelte zurück.
»Hallo, Kleiner«, sagte er, und Peter lachte.
Lucy sah Frannie an, dann Stu, und dann wieder Frannie. »Ihr wollt gehen, habe ich recht?« sagte sie schließlich. »Du hast ihn dazu überredet.«
»Ich glaube, das hat sie«, sagte Stu. »Wir werden aber noch lange genug bleiben, um deinen Stammhalter zu begrüßen.«
»Das freut mich«, sagte Lucy.
In der Ferne fing eine Glocke an zu läuten, in kräftigen, klangvollen Tönen.
»Das Picknick fängt an«, sagte Lucy und stand auf. Sie tätschelte ihren gigantischen Bauch. »Hörst du das, Junior? Es gibt was zu essen. Au, nicht treten! Ich geh' ja schon.«
Stu und Fran standen auch auf. »Hier. Du nimmst den Jungen«, sagte Fran.
Peter war eingeschlafen. Die drei gingen gemeinsam zum Sunrise Amphitheater hinauf.
Dämmerung an einem Sommerabend
Als die Sonne unterging, saß sie auf der Veranda und schaute zu, wie Peter begeistert auf dem Hof im Sand herumkrabbelte. Stu sass in einem Rohrstuhl, dessen Sitz vom jahrelangen Gebrauch schon ganz ausgebeult war. Neben ihm zur Linken, im Schaukelstuhl, sass Fran. Im Hof zeichnete das letzte Tageslicht den Schatten des Schaukelreifens in den Sand.
»Hier hat sie lange gelebt, nicht wahr?« sagte Fran leise.
»Sehr, sehr lange«, sagte Stu und zeigte auf Peter. »Er macht sich unheimlich dreckig.«
»Hier gibt es Wasser. Sie hatte eine Handpumpe. Man muß sie nur bedienen. Sie hatte alles, was man braucht, Stuart.«
Er nickte und zog schweigend an seiner Pfeife. Peter sah sich um, um sich zu vergewissern, daß sie noch da waren.
»Hallo, Baby«, sagte Stu und winkte.
Peter fiel um und richtete sich wieder auf, um von neuem im Kreis herumzukriechen. Wo der Feldweg zwischen wildem Mais endete, stand ein kleiner Winnebago-Campingwagen mit einer Abschleppvorrichtung. Sie hielten sich zwar an Nebenstraßen, aber es kam doch ziemlich oft vor, daß sie einen Wagen aus dem Weg räumen mußten.
»Fühlst du dich einsam?« fragte Fran.
»Noch nicht. Vielleicht später.«
»Macht dir das Baby Sorgen?« Fran strich sich über ihren absolut flachen Bauch.
»Nein.«
»Es wird Peter auf die Nase hauen.«
»Dann wird Peter zurückhauen. Und Lucy hat Zwillinge.« Er lachte.
»Kannst du dir das vorstellen?«
»Ich habe sie gesehen. Und Sehen und Glauben, sagt man. Was glaubst du, wann wir in Maine sind, Stu?«
Er zuckte die Achseln. »Ende Juli vielleicht. Jedenfalls früh genug, um uns auf den Winter vorzubereiten. Hast du Angst?«
»Nein«, sagte sie und stand auf. »Sieh dir den Dreckspatz an.«
»Ich habe dich gewarnt.«
Er blickte ihr nach, wie sie die Verandastufen hinunterging und das Baby aufhob. Er saß dort, wo Mutter Abagail oft und lange gesessen hatte, und dachte an das Leben, das vor ihnen lag. Er glaubte, dass sie es richtig gemacht hatten. Irgendwann würden sie sicher nach Boulder zurückkehren. Wenn auch vielleicht nur, damit ihre Kinder Gleichaltrige kennenlernen, sich einen Partner suchen, heiraten und selbst Kinder zeugen konnten. Aber vielleicht würde Boulder auch zu ihnen kommen. Einige Leute hatten sich sehr genau nach ihren Plänen erkundigt, sie regelrecht ausgefragt... aber der Ausdruck in ihren Augen war nicht ärgerlich oder ablehnend gewesen, sondern sehnsüchtig. Stu und Fran waren offensichtlich nicht die einzigen Reiselustigen. Harry Dunbarton, der einstige Brillenverkäufer, hatte von Minnesota gesprochen, und Mark Zellman von Hawaii. Ausgerechnet. Er wollte fliegen lernen und nach Hawaii ziehen.
»Mark, du wirst dich umbringen!« hatte Fran geschimpft. Aber Mark hatte nur grinsend gesagt: »Ausgerechnet du sagst mir das, Fran?«
Und Stan Nogotny hatte nachdenklich erklärt, er würde am liebsten nach Süden gehen, vielleicht ein paar Jahre in Acapulco leben, dann vielleicht weiterziehen nach Peru. »Ich will dir mal was sagen, Stu«, hatte er gesagt, »alle diese Leute hier machen mich so nervös wie einen Einbeinigen in einem Arschtritt-Wettbewerb. Von einem Dutzend Leuten kenne ich kaum einen, und nachts verriegeln sie ihre Türen... das kannst du mir gern glauben, es ist eine Tatsache. Wer mich so reden hört, wird wohl kaum glauben, daß ich sechzehn Jahre lang in Miami gelebt habe. Natürlich habe ich da auch jede Nacht mein Haus verriegelt, aber das war eine Gewohnheit, die ich verdammt gern aufgegeben habe! Egal – es wird mir hier einfach zu eng. Ich denke viel an Acapulco. Wenn ich nur auch Janey davon überzeugen könnte...«
Es wäre sicher nicht das schlechteste, dachte Stu, während er Fran beim Wasserpumpen beobachtete, wenn die Freie Zone auseinanderfiele. Das würde auch Glen Bateman sagen, da war er ganz sicher. Sie hat ihren Zweck erfüllt, würde Glen sagen. Besser, sie löst sich auf, bevor...
Bevor was?
Ach ja, auf der letzten Versammlung des Komitees vor ihrer Abreise hatte Hugh Petrella verlangt, daß seine Hilfssheriffs bewaffnet würden, und er hatte die Ermächtigung dazu erhalten. Während ihrer letzten Woche in Boulder war es das Thema gewesen – und jeder hatte Partei ergriffen. In den ersten Junitagen war es zu einer Auseinandersetzung zwischen einem Betrunkenen und einem Hilfssheriff gekommen, und dabei war der Hilfssheriff durch das Spiegelglasfenster des Broken Drum, einer Bar in der Pearl Street, geflogen. Er brauchte danach eine Bluttransfusion und mußte mit mehr als dreißig Stichen wieder zusammengeflickt werden. Petrellas Argument war gewesen, daß die ganze Sache nie passiert wäre, wenn sein Mann den Betrunkenen mit einem Revolver hätte einschüchtern können. Und das war die Streitfrage, die heftig diskutiert wurde. Es gab eine Menge Leute (unter ihnen Stu, der allerdings seine Meinung meistens für sich behielt), die glaubten, daß es bei diesem Zwischenfall einen toten Trunkenbold statt eines verwundeten Hilfssheriffs gegeben hätte, wenn dieser bewaffnet gewesen wäre.
Was passiert, wenn man die Hilfssheriffs mit Waffen ausrüstet, hatte sich Stu gefragt. Wie geht es weiter? Und er hörte die dozierende, etwas trockene Stimme Glen Batemans antworten: Man muß ihnen bessere Waffen geben. Und Autos. Und wenn man unten in Chile eine Freizonengesellschaft entdeckt, oder oben in Kanada, dann macht man Hugh Petrella vorsichtshalber zum Verteidigungsminister, und vielleicht schickt man Suchtrupps aus, denn schließlich...
Das Zeug liegt ja frei herum, wartet nur darauf, aufgelesen zu werden.
»Wir müssen ihn zu Bett bringen«, sagte Fran, die mit dem Baby im Arm die Verandastufen hochstieg.
»Gut.«
»Was brütest du so finster vor dich hin?«
»Hab' ich das?«
»Ganz bestimmt.«
Er schob die Finger in die Mundwinkel und zog die Lippen zu einem Lächeln in die Breite. »Besser?«
»Viel besser. Hilf mir, ihn zu Bett zu bringen.«
»Es ist mir ein Vergnügen.«
Als er ihr in Mutter Abagails Haus folgte, dachte er, es würde besser sein, viel besser, wenn die Menschen hier sich trennten und sich zerstreuten. Organisation schien immer die Ursache des Problems zu sein. Wenn die Zellen sich zusammenklumpten und dunkel wurden. Man brauchte den Polizisten keine Waffen zu geben, solange die Polizisten sich an die Namen erinnern konnten ... an die Gesichter...
Fran zündete eine Kerosinlampe an, und sie verbreitete ein weiches gelbes Licht. Peter war still geworden. Die Augen fielen ihm schon fast zu. Er hatte sich müdegekrabbelt. Fran zog ihm sein Nachthemd an.
Wir müssen versuchen, Zeit zu gewinnen,dachte Stu. Peters Lebenszeit, die Lebenszeit seiner Kinder, vielleicht die meiner Urenkel. Bis zum Jahre 2100, vielleicht. Vielleicht auc h weniger. Zeit für unsere arme alte Mutter Erde, sich ein bißchen zu regenerieren. Eine Ruhepause.
»Was?« fragte Fran, und er merkte, daß er laut vor sich hin gemurmelt hatte.
»Eine Ruhepause«, wiederholte er.
»Was soll das heißen?«
»Alles«, sagte er und nahm ihre Hand.
Er blickte auf das schlafende Kind und dachte: Wenn wir ihm erzählen, was passiert ist, wird er es vielleicht seinen Kindern weitererzählen. Wird sie warnen. Liebe Kinder, dieses Spielzeug bedeutet Tod – Feuertod, Strahlenkrankheit und schwarze Seuche, an der man erstickt. Diese Spielzeuge sind gefährlich. Der Teufel in den Köpfen der Menschen hat Gott die Hand geführt, als die Menschen sie herstellten. Spielt nicht mit diesem Spielzeug, liebe Kinder. Bitte. Tut das niemals. Nie wieder. Bitte lernt aus unseren Fehlern. Laßt euch diese leere Welt eine Warnung sein.
»Frannie«, sagte er und wandte sich zu ihr um.
»Was ist, Stuart?«
» Glaubst du... glaubst du, daß die Menschen jemals vernünftig werden ?«
Sie sah ihn schweigend an. Die Kerosinlampe flackerte. Ihre Augen schienen sehr blau.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich. Sie schien mit ihrer Antwort nicht zufrieden zu sein; sie schien mit sich zu kämpfen, etwas hinzuzufügen, um ihre Antwort zu erhellen, und konnte nur wiederholen:
Ich weiß es nicht.