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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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Darunter sah Müll ein gelbschwarzes Emblem mit drei spitzwinkligen Dreiecken, die nach unten zeigten.

Das Symbol für radioaktive Strahlung.

Der Mülleimermann lachte wie ein Kind und klatschte in der Stille in die Hände.

69

Whitney Horgan fand Lloyd in seinem Zimmer, wo er auf dem großen runden Bett lag, das er noch bis vor kurzem mit Dayna Jürgens geteilt hatte. Auf seiner nackten Brust balancierte er einen großen Gin Tonic. Er betrachtete feierlich sein Bild im Deckenspiegel.

»Komm rein«, sagte er, als er Whitney sah. »Mach keine Umstände, verdammt. Du brauchst nicht klopfen, Dummkopf.« Es hörte sich wie »Dummoff« an.

»Bist du besoffen, Lloyd?« fragte Whitney mißtrauisch.

»Nein. Noch nicht. Aber das kommt noch.«

»Ist erhier?«

»Wer? Der furchtlose Führer?« Lloyd setzte sich auf. »Er muss irgendwo sein. Der Mitternachtsstreuner.« Er lachte und legte sich zurück.

Whitney sagte mit leiser Stimme: »Sei vorsichtig, es ist nicht gut, was du sagst.«

»Scheiß drauf.«

»Vergiß nicht, was mit Heck Drogan passiert ist. Und Strellerton.«

Lloyd nickte. »Du hast recht. Die Wände haben Ohren. Die verdammten Wände haben Ohren. Hast du den Spruch schon mal gehört?«

»Ja, ein– oder zweimal. Hier stimmt es wirklich, Lloyd.«

»Darauf kannst du dich verlassen.« Lloyd richtete sich plötzlich auf und warf den Drink durchs Zimmer. Das Glas zerbarst. »Der ist für die Putzfrau, stimmt's, Whitney?«

»Alles in Ordnung, Lloyd?«

»Mir geht es ausgezeichnet. Willst du einen Gin Tonic?«

Whitney zögerte einen Augenblick. »Nein. Ich mag ihn nicht ohne Zitrone.«

»Herrgott, sag deshalb nicht nein. Ich habe Zitrone. Die muß man aus einer kleinen Flasche quetschen.« Lloyd ging zur Bar und hielt eine Plastikflasche hoch. »Sieht aus wie das linke Ei von Meister Proper. Komisch, was?«

»Schmeckt es wie Zitrone?«

»Natürlich«, sagte Lloyd mürrisch. » Was meinst du denn, wie es schmeckt? Kartoffelchips? Was ist jetzt? Sei ein Mann und trink einen mit mir.«

»Nun... okay.«

»Wir trinken sie am Fenster und genießen die Aussicht.«

»Nein«, sagte Whitney schroff und hastig. Lloyd blieb auf dem Weg zur Bar stehen, sein Gesicht war blaß geworden. Er sah Whitney an, und ihre Blicke trafen sich einen Moment.

»Ja, okay«, sagte Lloyd. »Tut mir leid. Das war geschmacklos.«

»Schon gut.«

Aber es war nicht gut, und sie wußten es. Die Frau, die Flagg als seine »Braut« vorgestellt hatte, war am Vortag gesprungen. Lloyd erinnerte sich daran, daß Ace High gesagt hatte, Dayna könne gar nicht vom Balkon springen, weil die Fenster sich nicht öffnen ließen. Aber das Penthouse hatte ein Sonnendach. Sie mußten geglaubt haben, daß von den wirklich Reichen – meistens Araber – niemand springen würde.

Er machte Whitney einen Gin Tonic, und sie setzten sich und tranken eine Weile schweigend. Draußen ging die Sonne rot leuchtend unter. Schließlich sagte Whitney so leise, daß es kaum zu hören war:

»Glaubst du wirklich, daß sie gesprungen ist?«

Lloyd zuckte die Achseln. »Was spielt das für eine Rolle. Klar. Ich glaube, daß sie gesprungen ist. Würdest du das nicht auch, wenn du mit ihm verheiratet wärst? Hast du schon ausgetrunken?«

Whitney betrachtete sein Glas und stellte erstaunt fest, daß es tatsächlich leer war. Er gab es Lloyd, der es zur Bar trug. Lloyd schenkte reichlich Gin ein, und Whitney war bald ziemlich betrunken. Wieder tranken sie eine Weile schweigend und betrachteten den Sonnenuntergang.

»Was hörst du von diesem Cullen?« fragte Whitney schließlich.

»Nichts. Nullo. Finito. Ich höre nichts. Und Barry hört auch nichts. Nicht von der Route 40, von Route 30, von Route 2. und 74 oder der 1-15. Nichts von den Nebenstraßen. Dabei werden sie alle überwacht. Er ist irgendwo draußen in der Wüste, und wenn er nachts unterwegs ist und weiß, wo Osten ist, wird er durchkommen. Was spielt das für eine Rolle? Was kann er ihnen erzählen ?«

»Das weiß ich nicht.«

»Ich auch nicht. Laßt ihn laufen, das ist meine Meinung.«

Whitney fühlte sich unbehaglich. Lloyd war wieder gefährlich nahe dran, den Boß zu kritisieren. Er selbst begann den Alkohol zu spüren, und darüber war er froh. Vielleicht fand er bald den Mut zu sagen, warum er gekommen war.

»Ich will dir was sagen«, meinte Lloyd und beugte sich nach vorne.

»Er kippt bald. Hast du den Spruch schon mal gehört? Wir sind in der achten Spielrunde, und er ist am-Kippen. Und niemand ist auf der Reservebank, der an seine Stelle treten könnte.«

»Lloyd, ich...«

»Noch einen?«

»Meinetwegen.«

Lloyd machte ihnen frische Drinks. Er reichte Whitney einen, und als Whitney trank, durchlief ihn ein leichter Schauer. Es war fast purer Gin.

»Er ist bereits am Kippen«, fuhr Lloyd fort. »Erst Dayna, dann dieser Cullen. Seine eigene Frau – wenn sie das war – geht hin und springt vom Dach. Glaubst du etwa, daß ihr doppelter Rittberger vom Terrassendach auf dem Spielplan stand?«

»Wir sollten nicht darüber sprechen.«

»Und der Mülleimermann. Sieh doch mal, was der alles ganz allein geschafft hat. Wenn man solche Freunde hat, braucht man dann noch Feinde? Das möchte ich gern wissen.«

»Lloyd...«

Lloyd schüttelte den Kopf. »Ich begreife das Ganze nicht. Es lief alles so gut. Bis zu dem Abend, an dem er ankam und uns erzählte, daß die alte Dame drüben in der Freien Zone gestorben ist. Er sagte, das letzte Hindernis sei jetzt aus dem Weg geräumt. Aber gerade seit dem Zeitpunkt ist fast alles schiefgegangen. «

»Lloyd, wir sollten wirklich nicht...«

»Ich weiß nicht mehr, was Sache ist. Wir können sie im nächsten Frühjahr wahrscheinlich mit Landstreitkräften erledigen. Aber wer weiß, was sie bis zum nächsten Frühjahr selbst auf die Beine gestellt haben? Wir wollten sie schlagen, bevor sie uns ei ne komische Überraschung bereiten können, aber das geht jetzt nicht mehr. Und, Gott im Himmel, wir müssen noch an Mülli denken. Er ist irgendwo draußen in der Wüste, und ich bin verdammt sicher ...«

»Lloyd«, sagte Whitney mit leiser, erstickter Stimme. »Hör mir zu.«

Lloyd beugte sich vor. »Was? Was ist los, altes Haus?«

»Ich wußte nicht, ob ich überhaupt den Mut haben würde, dich zu fragen«, sagte Whitney. Er umklammerte das Glas krampfhaft. »Ich und Ace High und Ronnie Sykes und Jenny Engstrom. Wir hauen ab. Willst du mitkommen? Mein Gott, ich muß verrückt sein, dir das zu sagen, wo du doch seine rechte Hand bist.«

»Abhauen? Wohin?«

»Wahrscheinlich Südamerika. Brasilien. Das dürfte weit genug sein.«

Er schwieg, suchte nach Worten, dann sprach er schnell weiter.

»Viele Leute verschwinden. Nun ja, so viele nicht, aber immerhin einige, und es werden jeden Tag mehr. Sie glauben nicht, daß Flagg es schafft. Einige gehen nach Norden, nach Kanada. Das ist mir zu kalt. Aber ich muß raus. Ich würde in den Osten gehen, wenn ich sicher sein könnte, daß sie mich aufnehmen.« Whitney schwieg. Er sah Lloyd kläglich an. Das Gesicht eines Mannes, der fürchtet, zu weit gegangen zu sein.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Lloyd leise. »Ich werde dich nicht verpfeifen, altes Haus.«

»Es ist einfach... alles so schlecht geworden«, sagte Whitney verzweifelt.

»Wann willst du verschwinden?« fragte Lloyd.

Whitney sah ihn mißtrauisch an.

»Ach, vergiß, daß ich gefragt habe«, sagte Lloyd. »Fertig?«

»Noch nicht«, sagte Whitney und sah in sein Glas.

»Ich schon.« Er ging zur Bar. Mit dem Rücken zu Whitney sagte er:

»Ich kann nicht.«

»Hm?«

» Kann nicht!« sagte Lloyd schneidend und drehte sich zu Whitney um. »Ich schulde ihm was. Ich schulde ihm eine Menge. Er hat mich in Phoenix aus einer schlimmen Klemme befreit, und seither bin ich bei ihm. Scheint länger her zu sein, als es in Wirklichkeit ist. Scheint eine Ewigkeit zu sein.«

»Jede Wette.«

»Aber es ist mehr als das. Er hat etwas mit mir angestellt, mich schlauer gemacht oder so. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich bin nicht mehr der alte, Whitney. Ganz und gar nicht. Vor... ihm... war ich nur dritte Garnitur. Jetzt läßt er mich den Laden hier schmeißen, und ich mache es gut. Es scheint, als könnte ich besser denken. Ja, er hat mich schlauer gemacht.« Lloyd hob den Stein mit dem Makel von der Brust, betrachtete ihn kurz und ließ ihn wieder fallen. Er wischte sich die Hände an den Hosen ab, als hätte er etwas Ekliges angefaßt. »Ich weiß, ich bin immer noch kein Genie. Ich muß alles in ein Notizbuch schreiben, was ich erledigen muß, sonst vergesse ich es. Aber mit ihm hinter mir kann ich Befehle geben, und meistens klappt alles ganz gut. Vorher konnte ich nur Befehle empfangen und in Schwulitäten geraten. Ich habe mich verändert... und er hat mich verändert. Ja, scheint länger her zu sein, als es in Wirklichkeit ist. Als wir nach Vegas kamen, waren nur sechzehn Leute hier. Ronnie war einer davon; ebenso Jenny und der arme alte Heck Drogan. Sie haben auf ihn gewartet. Als er in die Stadt kam, fiel Jenny Engstrom auf die hübschen Knie und hat ihm die Stiefel geküßt. Ich wette, das hat sie dir im Bett nie erzählt.« Er lächelte Whitney schief an. »Und jetzt will sie die Platter machen. Nun, ich mache ihr keinen Vorwurf, und dir auch nicht. Aber es ist wahrscheinlich nicht viel erforderlich, eine gute Sache zu verderben, was?«

»Du bleibst?«

»Bis zum bitteren Ende, Whitney. Seinem oder meinem. Das bin ich ihm schuldig.« Er fügte nicht hinzu, daß er immer noch genügend Glauben in den dunklen Mann hatte zu denken, daß Whitney und die anderen höchstwahrscheinlich am Kreuz enden würden. Und da war noch etwas. Hier war er Flaggs Stellvertreter. Was konnte er in Brasilien sein? Whitney und Ronnie waren beide schlauer als er. Er und Ace High würden als unterste Ränge enden, und das war nicht nach Lloyds Geschmack. Früher hätte ihm das nichts ausgemacht, aber die Lage hatte sich verändert. Und wenn sich der Kopf veränderte, mußte er feststellen, war die Veränderung meistens unumkehrbar.

»Nun, vielleicht wird es für uns alle gut«, sagte Whitney halbherzig.

»Klar«, sagte Lloyd und dachte: Aber ich möchte nicht in deiner Haut stecken, wenn Flagg sich am Ende doch durchsetzt. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, wenn du in Brasilien bist und er endlich Zeit hat, sich um dich zu kümmern. An einem Kreuz zu hängen dürfte dann deine geringste Sorge sein.

Lloyd hob sein Glas. »Ein Trinkspruch, Whitney.«

Auch Whitney hob sein Glas.

»Keinem wird was geschehen«, sagte Lloyd. »Das ist mein Trinkspruch. Keinem wird was geschehen.«

»Mann, darauf trinke ich gerne«, sagte Whitney nachdrücklich, und sie stießen an.

Bald darauf ging Whitney. Lloyd trank weiter. Gegen halb zehn war er volltrunken und schlief auf seinem runden Bett ein. Er schlief traumlos, und das war genug Entschädigung für den Kater am nächsten Tag.

Als die Sonne am Morgen des 17. September aufging, schlug Tom Cullen nördlich von Gunlock, Utah, sein Lager auf. Es war so kalt, daß er seinen Atem Wölkchen bilden sah. Seine Ohren waren abgestorben und kalt. Aber er fühlte sich gut. In der Nacht war er ganz dicht an der Nebenstraße vorbeigekommen und hatte drei Männer an einem kleinen Lagerfeuer sitzen sehen. Alle drei waren bewaffnet.

Als er versuchte, über ein Geröllfeld an ihnen vorbeizuschleichen – er war jetzt am westlichen Rand der Wüste von Utah -, lösten sich ein paar Steine und rollten in ein ausgetrocknetes Flußbett. Tom erstarrte. Warmes Pipi lief ihm an den Beinen hinab, aber er merkte erst eine Stunde später, daß er sich in die Hose gemacht hatte wie ein kleines Baby.

Alle drei Männer drehten sich um, zwei von ihnen brachten ihre Gewehre in Anschlag. Tom hatte sich nicht mehr verstecken können. Er war ein Schatten unter Schatten. Der Mond stand hinter einer Wolkenbank. Wenn er in diesem Augenblick herauskam... t Einer entspannte sich. »Es ist nur ein Reh«, sagte er. »Davon gibt es hier genug.«

»Vielleicht sollten wir das lieber prüfen«, sagte der zweite.

»Steck dir den Daumen in den Arsch, dann kannst du den prüfen«, sagte der dritte, und damit hatte es sich. Sie blieben ruhig am Feuer sitzen, und Tom kroch vorsichtig weiter und achtete auf jeden Schritt. Viel zu langsam wurde das Lagerfeuer hinter ihm kleiner. Aber nach einer Stunde war es nur noch als kleiner Funke zu erkennen. Schließlich war es weg, und ihm fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt fühlte er sich wieder sicher. Er war immer noch im Westen, und er wußte, daß er aufpassen mußte – meine Fresse, ja -, aber die Gefahr erschien nicht mehr so drohend, als wären überall um ihn herum Indianer oder Räuber.

Und jetzt, als die Sonne aufging, rollte er sich in einem dichten Gebüsch zusammen, um zu schlafen. Ich muß mir ein paar Wolldecken besorgen, dachte er. Es wird kalt.Dann überkam ihn der Schlaf plötzlich und fest, wie immer.

Er träumte von Nick.

70

Der Mülleimermann hatte gefunden, was er wollte.

Tief unter der Erde fuhr er durch einen langen Gang, einen Gang so dunkel wie ein Kohlebergwerk. In der linken Hand hielt er eine Taschenlampe, in der rechten Hand das Gewehr, denn hier unten war es unheimlich. Er fuhr einen Elektrowagen, der fast geräuschlos durch den breiten Gang rollte. Das schwache Summen des Antriebs war kaum zu hören.

Der Wagen hatte nur einen Sitz für den Fahrer und eine große Ladefläche. Auf dieser Ladefläche lag ein Atomsprengkopf. Er war schwer.

Müll hatte keine Ahnung, wie schwer er war, denn mit eigener Kraft hatte er ihn nicht bewegen können. Er war lang und zylindrisch. Er war kalt. Als Müll mit der Hand über die gerundete Oberfläche strich, hatte er sich kaum vorstellen können, daß dieses kalte Stück Metall das Potential für eine so gewaltige Hitze barg.

Er hatte ihn um vier Uhr morgens gefunden. Er war zum Fuhrpark gegangen und hatte dort einen Flaschenzug besorgt. Er hatte den Flaschenzug mit nach unten genommen und über dem Sprengkopf installiert. Neunzig Minuten später stand er mit der Nase nach oben auf dem Elektrowagen. Oben war A161410USAF aufgestempelt. Die Hartgummireifen des Wagens hatten sich durch das Gewicht erheblich verformt.

Jetzt erreichte er das Ende des Gangs. Direkt vor ihm lag ein großer Lastenaufzug, dessen Türen einladend offenstanden. Er war gross genug, den Wagen aufzunehmen, aber es gab natürlich keinen Strom. Müll war über die Treppe nach unten gegangen, und auf diesem Weg hatte er auch den Flaschenzug nach unten transportiert. Verglichen mit dem Sprengkopf war der Flaschenzug leicht. Er wog nur etwa hundertfünfzig Pfund. Dennoch war es Schwerarbeit gewesen, ihn fünf Treppenfluchten nach unten zu schleppen.

Wie sollte er den Sprengkopf die Treppen hinaufbekommen?

Eine motorgetriebene Winde, flüsterte sein Verstand.

Er saß auf dem Fahrersitz, leuchtete mit der Taschenlampe die Umgebung ab und nickte. Klar, das war die Lösung. Mit einer Winde hochziehen. Oben einen Motor aufstellen und ihn notfalls Treppenabsatz für Teppenabsatz hochziehen. Aber wo konnte er eine fünfzehn Meter lange Kette auf treiben?

Wahrscheinlich nirgends. Aber er konnte Teile von Ketten zusammenschweißen. Konnte das klappen? Würden die Schweißstellen halten? Schwer zu sagen. Und selbst wenn, was war mit den Biegungen der Treppe?

Er sprang herunter und strich in der stillen Dunkelheit zärtlich mit einer Hand über die glatte, tödliche Oberfläche des Sprengkopfs. Liebe findet immer einen Weg.

Er ließ den Sprengkopf auf dem Wagen und stieg die Treppen hoch, um geeignetes Material zu suchen. In einer solchen Anlage mußte es von allem etwas geben. Er würde finden, was er brauchte.

Nach der zweiten Treppe blieb er stehen, um zu verschnaufen. Plötzlich überlegte er: Habe ich Strahlung abbekommen?Dieses Zeug hatte zwar eine Ummantelung, eine Ummantelung aus Blei. Aber in den Filmen im Fernsehen trugen die Leute, die mit radioaktivem Zeug umgingen, immer Schutzanzüge und beschichtete Streifen, die sich verfärbten, wenn die Dosis zu hoch wurde. Denn die Strahlung war nicht zu hören. Nicht zu sehen. Sie lagerte sich einfach im Fleisch und in den Knochen ab. Man wußte erst, daß man krank war, wenn man anfing zu kotzen und die Haare zu verlieren und alle paar Minuten aufs Klo rennen mußte.

Würde ihm das auch passieren?

Er stellte fest, daß es ihm gleichgültig war. Er wollte diese Bombe nach oben schaffen. Irgendwie würde es ihm gelingen. Irgendwie würde er sie nach Las Vegas bringen. Er mußte die schreckliche Tat wiedergutmachen, die er in Indian Springs angerichtet hatte. Wenn er sterben mußte, um zu sühnen, dann würde er sterben.

»Mein Leben für dich«, flüsterte er in der Dunkelheit und stieg weiter die Treppe hinauf.

71

Am Abend des 17. September, kurz vor Mitternacht, war Randall Flagg in der Wüste, von Kopf bis Fuß in drei Wolldecken gewickelt. Eine vierte war wie ein Burnus um seinen Kopf geschlungen, so dass nur noch Augen und Nasenspitze zu sehen waren. Er blickte zu den hellen Sternen über der Wüste hinauf.

Nach und nach verdrängte er jeden Gedanken. Er lag vollkommen ruhig da. Die Sterne waren kaltes Feuer. Hexenlicht. Er schickte das Auge aus.

Er spürte, wie es sich mit einem leichten, schmerzlosen Ruck von ihm löste. Es schwebte davon, leise wie ein Habicht, der sich in düsteren Aufwinden emporschwingt. Jetzt war er eins mit der Nacht. Er war das Auge der Krähe, das Auge des Wolfes, das Auge des Wiesels, das Auge der Katze. Er war der Skorpion, die lauernde Minierspinne. Er war ein tödlicher Giftpfeil, der endlos durch die Wüstenluft glitt. Was immer auch geschehen sein mochte, das Auge war noch sein, gehorchte ihm.

Er schwebte mühelos, und die der Erde verhafteten Dinge breiteten sich wie ein Ziffernblatt unter ihm aus.

Sie kommen... sie sind schon fast in Utah...

Er flog hoch und weit und stumm über eine Friedhofswelt. Vom dunklen Band der Interstate durchschnitten, lag die Wüste unter ihm wie ein geweißtes Grab. Den Körper weit zurücklassend, dessen glitzernde Augen nur blindes Weiß zeigten, flog er nach Osten und war jetzt über der Grenze zwischen den beiden Staaten. Die Landschaft unter ihm veränderte sich. Felskuppen und seltsame, vom Wind gefurchte Steinsäulen und Tafelberge. Schnurgerade verlief die Interstate. Weit im Norden lagen die Bonneville Sah Fiats. Skull Valley lag irgendwo im Westen. Er flog. Tot und weit entfernt das Geräusch des Windes...

Irgendwo südlich von Richfield saß ein Adler in der höchsten Astgabel einer alten, vom Blitz abgespaltenen Fichte, und sein Instinkt ließ ihn spüren, daß etwas Todbringendes, etwas, das sehen konnte, an ihm vorbeihuschte. Furchtlos breitete er die Schwingen aus, um anzugreifen, aber das Grinsen einer tödlichen Kälte ließ ihn zurückfahren. Der Adler stürzte fast bis auf den Erdboden, bevor er den Schock überwand, die Flügel ausbreitete und den Sturz abfing.

Das Auge des dunklen Mannes flog weiter gen Osten.

Jetzt lag die I-70 unter ihm. Die gedrängten Gebäudeansammlungen der Städte lagen verlassen da. Nur Ratten und Katzen streunten herum, und auch das Rotwild hatte sich aus den Wäldern gewagt, nachdem die Witterung der Menschen sich verloren hatte. Städte mit Namen wie Freemont und Green River und Sego und Thompson und Harley Dome. Dann eine etwas größere, ebenfalls verlassene Stadt. Grand Junction, Colorado. Dann...

Gleich östlich von Grand Junction sah er die Glut eines Lagerfeuers. Spiralförmig raste das Auge in die Tiefe.

Das Feuer erlosch allmählich, und um die niederbrennenden Flammen herum lagen vier schlafende Gestalten.

Es stimmte also.

Kalt musterte das Auge die Gestalten. Sie kamen also tatsächlich – aus Gründen, die er nicht kannte. Nadine hatte die Wahrheit gesagt. Ein leises Knurren stieg zu ihm auf, und das Auge wandte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers stand mit gesenktem Kopf und über die Geschlechtsteile eingezogenem Schwanz ein Hund. Seine Augen glühten wie unheilvolle Perlen aus Bernstein. Sein stetiges Knurren hörte sich an wie zerreißender Stoff. Das Auge starrte ihn an, und der Hund starrte furchtlos zurück. Er zog die Lefzen hoch und fletschte die Zähne.

Eine der Gestalten richtete sich auf. »Kojak«, murmelte der Mann.

»Sei endlich still, verdammt noch mal!«

Kojak knurrte weiter; seine Nackenhaare hatten sich gesträubt. Der Mann, der erwacht war – es war Glen Bateman -, blickte sich um, von einer plötzlichen Unruhe ergriffen. »Wer ist denn da, alter Junge?« flüsterte er dem Hund zu. »Ist da etwas?«

Kojak knurrte weiter.

»Stu!« Der Mann schüttelte die Gestalt, die neben ihm lag. Diese murmelte irgend etwas und verstummte dann wieder in ihrem Schlafsack.

Der dunkle Mann, der nun das dunkle Auge war, hatte genug gesehen. Er schoß schraubenförmig in die Höhe und sah noch, wie der Hund den Kopf hob und ihm hinterherblickte. Das leise Knurren wurde zu einer lauten Gebellsalve, die leiser und leiser wurde und schließlich verstummte.

Stille und rauschende Dunkelheit.

Irgendwann später verhielt er über der Wüste und blickte auf sich selbst hinunter. Langsam sank er in die Tiefe, näherte sich seinem Körper. Dann versank er in sich selbst. Er verspürte ein leichtes Schwindelgefühl des Verschmelzens zweier Dinge. Dann war das Auge verschwunden, und nur noch seine Augen waren da, die zum kalten Glanz der Sterne emporschauten.

Sie kamen, ja.

Flagg lächelte. Hatte die alte Frau ihnen befohlen zu gehen? Würden diese Menschen der Alten sogar dann noch gehorchen, wenn sie ihnen auf ihrem Totenbett aufgetragen hatte, auf diese neuartige Weise Selbstmord zu begehen? Er hielt es für möglich. Woran er nicht gedacht hatte, war so erschreckend einfach, daß er sich geradezu gedemütigt vorkam. Auch sie hatten ihre Probleme. Auch sie hatten Angst... und das Ergebnis war, daß sie einen gewaltigen Fehler machten.

War es vielleicht möglich, daß die Alte sie fortgejagt hatte? Er schwelgte genüßlich in diesem Gedanken, mußte sich letztlich aber eingestehen, daß er nicht daran glaubte. Nein, sie kamen aus freien Stücken. Sie kamen, in ihre eigene Rechtschaffenheit gehüllt wie eine Gruppe von Missionaren, die sich einem Kannibalendorf nähert.

Ach, es war so herrlich!

Die Zweifel würden enden. Die Angst würde enden. Es brauchte dazu nur den Anblick ihrer vier auf Pfähle gesteckten Köpfe vor dem Brunnen des MGM Grand Hotel. Er würde alle Einwohner von Las Vegas versammeln und sie zwingen, daran vorbeizugehen und sich das Schauspiel anzusehen. Er würde Aufnahmen machen und Flugblätter drucken lassen und sie nach Los Angeles und San Francisco und Spokane und Portland schicken.

Fünf Köpfe, denn auch den Kopf des Hundes würde er auf einen Pfahl stecken.

»Braves Hundchen«, sagte Flagg, und zum erstenmal, seit Nadine ihn dazu verleitet hatte, sie vom Dach zu schleudern, lachte er laut.

»Braves Hundchen«, sagte er noch einmal und grinste.

In dieser Nacht schlief er ausgezeichnet, und am nächsten Morgen gab er den Befehl, auf allen Straßen in Utah und Nevada die Wachen zu verdreifachen. Aber jetzt suchten sie keinen Mann mehr, der nach Osten ging, sondern vier Männer und einen Hund, die auf dem Weg in den Westen waren. Und sie mußten lebend ergriffen werden. Sie mußten um jeden Preis lebend ergriffen werden.

O ja.


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