Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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»Ich fürchte mich nicht vor dem Bösen«, sagte er wieder. Dann schlief er ein. Sein Gesicht war ganz ruhig, und kein Traum störte seinen friedlichen Schlaf.
Am nächsten Morgen um zehn Uhr, vierundzwanzig Stunden nachdem sie die Straßensperre von weitem gesehen hatten, suchten Randall Flagg und Lloyd Henreid Glen Bateman auf.
Glen saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden seiner Zelle. Er hatte unter seiner Pritsche ein Stück Holzkohle gefunden und hatte zwischen den in die Wand geritzten männlichen und weiblichen Genitalien, Namen, Telefonnummern und kleinen obszönen Gedichten eine eigene Inschrift hinzugefügt: Ich bin nicht der Töpfer und auch nicht die Töpferscheibe, ich bin des Töpfers Ton; hängt nicht der Wert der endlich erlangten Gestalt ab vom inneren Wert des Tons, der Töpferscheibe und der Kunst des Meisters?Glen bewunderte sein Sprichwort – oder war es ein Aphorismus? -, als die Temperatur in dem verlassenen Zellenblock plötzlich um zehn Grad zu sinken schien. Das Gitter am Ende des Korridors schob sich rasselnd auf. Glen hatte plötzlich keinen Speichel mehr im Mund. Das Stück Holzkohle zerbrach zwischen seinen Fingern.
Schritte kamen den Gang herauf. Andere Schritte, kleiner und unbedeutender, setzten den Kontrapunkt und mühten sich, nicht zurückzubleiben.
Das ist er. Ich werde sein Gesicht sehen.
Plötzlich wurde seine Arthritis schlimmer. Entsetzlich, genauer gesagt. Als wären seine Knochen plötzlich ausgehöhlt und mit gemahlenem Glas gefüllt worden. Und doch drehte er sich mit einem interessierten, erwartungsvollen Lächeln um, als die Schritte vor seiner Zellentür verstummten.
»Da sind Sie ja«, sagte Glen. »Sie sind ja überhaupt nicht das Schreckgespenst, für das wir Sie immer gehalten haben.«
Jenseits der Gitterstäbe standen zwei Männer. Flagg stand von Glen aus gesehen rechts. Er trug Bluejeans und ein weißes Seidenhemd, das unter der trüben Beleuchtung gelblich schimmerte. Er grinste Glen an. Neben ihm stand ein kleinerer Mann, der überhaupt nicht lächelte. Er hatte ein etwas zu kurzes Kinn, und seine Augen waren zu groß für sein Gesicht. Sein Teint war von der Sorte, zu der das Wüstenklima nie freundlich ist: Die Sonne hatte ihm das Gesicht verbrannt, die Haut hatte sich abgeschält, und dann war der nächste Sonnenbrand gekommen. Um den Hals trug er an einer Kette einen schwarzen Stein mit einem roten Fleck. Der Stein hatte ein fettiges, harziges Aussehen.
»Ich möchte Sie gern mit meinem Partner bekannt machen«, sagte Flagg und kicherte. »Lloyd Henreid, darf ich dich mit Glen Bateman bekannt machen, Soziologe, Mitglied des Komitees der Freien Zone und seit Nick Andros' Tod einziges existierendes Mitglied der Gedankenfabrik der Freien Zone.«
»Freut mich«, murmelte Lloyd.
»Was macht Ihre Arthritis, Glen?« fragte Flagg. Das klang mitfühlend, aber in seinen Augen lag heiterer Spott und geheimes Wissen.
Immer wieder ballte Glen die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder.
Niemand würde je ermessen können, wie schwer ihm sein freundliches Lächeln fiel.
Der innere Wert des Tons.
»Gut«, sagte Glen. »Seit ich wieder in einem abgeschlossenen Raum schlafe, ist es viel besser geworden, vielen Dank.«
Flagg lächelte nicht mehr ganz so breit. Glen registrierte bei ihm Überraschung und Wut. Aus Angst geboren?
»Ich habe beschlossen, Sie gehen zu lassen«, sagte Flagg schnell. Wieder lächelte er, strahlend und wie ein Fuchs. Lloyd hielt vor Staunen den Atem an, und Flagg wandte sich ihm zu. »Stimmt's, Lloyd?«
»Äh... natürlich«, sagte Lloyd. »Und ob.«
»Das ist ja sehr schön«, sagte Glen leichthin. Er spürte, wie die Arthritis ihm immer tiefer in die Gelenke fuhr. Sie wurden kalt wie Eis und loderten wie Feuer.
»Man wird Ihnen ein kleines Motorrad zur Verfügung stellen, und Sie können, wann immer Sie wollen, wieder nach Hause fahren.«
»Ich kann natürlich nicht ohne meine Freunde fahren.«
»Natürlich nicht. Sie brauchen mich nur darum zu bitten. Fallen Sie vor mir auf die Knie, und bitten Sie mich darum.«
Glen mußte herzlich lachen. Er warf den Kopf zurück und lachte lange und laut. Und während er lachte, nahmen die Schmerzen in seinen Gelenken immer mehr ab. Er fühlte sich besser, stärker, hatte sich wieder unter Kontrolle.
»Sie sind vielleicht ein Typ«, sagte er. »Ich will Ihnen sagen, was Sie tun können. Suchen Sie sich einen riesigen Sandhaufen und besorgen Sie sich einen großen Hammer. Und dann hämmern Sie sich den ganzen Sand in den Arsch.«
Flaggs Gesicht wurde dunkel. Das Lächeln war verschwunden. Seine Augen, die vorher so dunkel waren wie der Stein, den Lloyd um den Hals trug, schienen jetzt gelb zu glitzern. Er griff mit der Hand an die Verriegelung der Zellentür und umklammerte sie mit den Fingern. Ein elektrisches Summen war zu hören, und zwischen seinen Fingern flackerten Flammen auf. Die Luft roch heiß und verbrannt. Qualmend und schwarz fiel das Schloß zu Boden. Lloyd Henreid stieß einen Schrei aus. Der dunkle Mann griff an die Gitterstäbe und ließ die Tür zurückgleiten.
»Hören Sie auf zu lachen.«
Glen lachte noch lauter.
»Hören Sie auf, mich auszulachen!«
»Sie sind ein Nichts!« sagte Glen und wischte sich die tränenden Augen. Er kicherte immer noch. »Oh, entschuldigen Sie bitte... wir hatten alle solche Angst.. .wir haben Sie für wer weiß wie wichtig gehalten... ich lache genauso sehr über unsere Dummheit wie über Ihren bedauernswerten Mangel an Substanz...«
Flagg wandte sich an seinen Begleiter. »Erschieß ihn, Lloyd.« Sein Gesicht hatte sich grauenhaft verzerrt. Seine Hände hatten sich zu Raubtierklauen gekrümmt.
»Bringen Sie mich doch selbst um, wenn Sie mich schon umbringen wollen«, sagte Glen. »Dazu sind Sie doch gewiß in der Lage. Berühren Sie mich mit dem Finger und halten Sie mein Herz an. Machen Sie das Zeichen des umgekehrten Kreuzes, und verpassen Sie mir eine kräftige Gehirnembolie. Holen Sie Blitze aus dem Himmel, die mich in zwei Teile spalten. Oh... o nein... o nein!«
Brüllend vor Lachen sank Glen auf seine Pritsche.
» Erschieß ihn!« donnerte der dunkle Mann.
Lloyd war blaß und zitterte vor Angst. Er nestelte die Pistole aus seinem Gürtel, und fast wäre sie ihm aus der Hand geglitten. Dann versuchte er, die Waffe auf Glen zu richten. Er mußte sie mit beiden Händen festhalten.
Glen sah Lloyd an und lächelte immer noch. Er hätte genausogut auf einer Cocktail-Party der Fakultät zu Hause in Woodsville, New Hampshire, sein können, wo er sich gerade von einem guten Witz erholte und sich anschickte, wieder ein wenig ernst zu werden.
»Wenn Sie unbedingt jemanden erschießen müssen, Mr. Henreid, dann erschießen Sie ihn.«
»Los, Lloyd.«
Lloyd drückte blindlings ab. In dem geschlossenen Raum hallte das Echo des Schusses besonders laut. Wütend hallte es immer wieder nach. Aber das Geschoß riß zwei Zoll neben Glen nur Betonsplitter aus der Wand, prallte ab, traf etwas anderes und zischte jaulend durch die Luft.
»Kannst du denn gar nichts richtig machen?« brüllte Flagg.
»Erschieß ihn, du Schwachkopf! Er steht doch direkt vor dir!«
»Ich versuch' es ja...«
Glen lächelte immer noch und war bei dem Schuß kaum zusammengezuckt. »Ich wiederhole, wenn du jemanden erschießen mußt, dann erschieß ihn. Er ist in Wirklichkeit gar kein Mensch. Ich habe ihn einem Freund gegenüber mal als letzten Magier des rationalen Denkens geschildert, Mr. Henreid. Das trifft besser auf ihn zu, als ich damals dachte. Aber seine Magie verläßt ihn. Die Dinge gleiten ihm aus der Hand, und er weiß es. Auch du weißt es. Wenn du ihn jetzt erschießt, würdest du uns allen Gott weiß wieviel Blutvergießen und Tod ersparen.«
Flaggs Gesicht zeigte keine Regung mehr. »Erschieß auf jeden Fall einen von uns, Lloyd«, sagte er. »Ich habe dich aus der Zelle geholt, als du schon fast verhungert warst. An Leuten wie ihm wolltest du dich doch rächen. An kleinen Leuten mit großen Klappen.«
»Mister, mich können Sie nicht zum Narren halten«, sagte Lloyd zu Glen. »Es ist so, wie Randy Flagg sagt.«
»Aber er lügt. Du weißt doch, daß er lügt.«
»Er hat mir mehr Wahrheit beigebracht, als es alle anderen in meinem lausigen Leben je versucht haben«, sagte Lloyd und schoss dreimal auf Glen.
Glen wurde herumgerissen und zurückgeschleudert wie eine Puppe. Blut spritzte durch die Luft. Er sank auf die Pritsche und rollte auf den Fußboden. Es gelang ihm noch, sich auf einem Ellenbogen aufzurichten.
»Schon gut, Mr. Henreid«, flüsterte er. »Sie wissen es nicht besser.«
» Halt's Maul, du blöder alter Schwätzer!« brüllte Lloyd. Er feuerte noch einmal, und Glen Batemans Gesicht verschwand. Wieder feuerte er, und Glens Körper zuckte. Ohne Leben. Aber Lloyd drückte noch einmal ab. Er weinte. Tränen rollten über sein wütendes, von der Sonne verbranntes Gesicht. Er dachte an das Kaninchen, das er vergessen und das seine eigenen Pfoten gefressen hatte. Er dachte an Poke und die Leute im weißen Connie. Er dachte an den schönen George. Er erinnerte sich an den Knast in Phoenix und daran, daß er die Füllung seiner Matratze nicht hatte essen können. Er dachte an die Ratte und Trask und Trasks Bein, das zuletzt wie ein Brathähnchen ausgesehen hatte. Wieder drückte er ab, aber die Pistole gab nur ein leeres Klicken von sich.
»Okay«, sagte Flagg leise. »Okay. Gut gemacht. Gut gemacht, Lloyd.«
Lloyd ließ die Pistole auf den Fußboden fallen und sprang ein Stück zurück. »Fassen Sie mich nicht an!« rief er. »Ich habe es nicht für Sie getan!«
»Doch, hast du«, sagte Flagg sanft. »Du glaubst es vielleicht nicht, aber du hast es für mich getan.« Er streckte die Hand aus und ergriff den schwarzen Stein, den Lloyd um den Hals hängen hatte. Er nahm ihn in die Hand, und als er die Hand wieder öffnete, war der Stein verschwunden, und statt dessen hing an der Kette ein kleiner silberner Schlüssel.
»Ich glaube, ich hatte dir das hier versprochen«, sagte der dunkle Mann. »In einem anderen Gefängnis. Er hat unrecht... ich halte meine Versprechungen, nicht wahr, Lloyd?«
»Ja.«
»Die anderen gehen fort. Oder sie haben die Absicht fortzugehen. Ich weiß, wer sie sind. Ich kenne alle Namen. Whitney... Ken... Jenny, o ja, ich kenne alle Namen.«
»Aber warum tun Sie denn...«
»Warum ich nichts dagegen unternehme? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es besser, sie gehen zu lassen. Aber du, Lloyd. Du bist mein guter und getreuer Diener, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte Lloyd. Das endgültige Eingeständnis. »Ja, das bin ich wohl.«
»Ohne mich hättest du höchstens lächerliche Kleinigkeiten geschafft. Selbst wenn du das Gefängnis überlebt hättest. Stimmt's?«
»Ja.«
»Der junge Lauder wußte das. Er wußte, daß ich ihn größer machen konnte. Stärker. Deshalb wollte er zu mir kommen. Aber er hat sich zu viele Gedanken... er hat sich zu viele...« Er sah plötzlich wirr und alt aus. Dann machte er eine ungeduldige Handbewegung, und sein Gesicht war wieder ein einziges Lächeln. »Vielleicht geht es wirklich schief, Lloyd. Vielleicht. Ich kenne die Gründe nicht. Aber der alte Magier kann immer noch mit ein paar Tricks aufwarten, Lloyd. Und jetzt hör zu. Wir haben nicht mehr viel Zeit, wenn wir diese... diese Vertrauenskrise stoppen und im Keim ersticken wollen. Morgen werden Underwood und Brentner erledigt. Jetzt hör mir genau zu...«
Lloyd ging nach Mitternacht ins Bett und schlief erst gegen Morgen ein. Er hatte mit dem Rattenmann gesprochen. Er hatte mit Paul Burlson gesprochen. Mit Barry Dorgan, der ebenfalls der Meinung war, daß der Befehl des dunklen Mannes schon vor Morgengrauen ausgeführt sein könnte und wohl auch sollte. Am neunundzwanzigsten September gegen zehn Uhr abends begannen auf dem Rasen vor dem MGM Grand Hotel die entsprechenden Vorbereitungen. Ein Arbeitstrupp von zehn Männern brachte Schweißgeräte und Hämmer und Bolzen und einen ausreichenden Vorrat an langen Stahlrohren. Vor dem Brunnen des MGM Grand setzten sie die Rohre auf den Ladeflächen zweier Lastwagen zusammen. Die Schweißarbeiten zogen bald eine Menge Neugieriger an.
»Guck mal, Angie-Mom«, rief Dinny. »Ein Feuerwerk.«
»Ja, aber alle braven kleinen Jungs müssen jetzt ins Bett.« Angie Hirschfield zog den Jungen mit sich fort. In ihrem Herzen hatte sich Angst eingenistet. Sie spürte, daß hier etwas Schlimmes stattfinden sollte, vielleicht etwas genauso Schlimmes wie die Supergrippe.
»Will aber nicht! Will die Funken sehen!« jammerte Dinny, aber rasch und energisch zog sie ihn mit sich.
Julie Lawry sprach mit dem Rattenmann. Er war der einzige Bursche in Las Vegas, der ihr zu unheimlich war, als daß sie mit ihm ins Bett gegangen wäre... außer vielleicht im Notfall. Seine schwarze Haut glänzte im blauweißen Licht der Schweißgeräte. Er hatte sich ausstaffiert wie ein äthiopischer Pirat – weiße Seidenhose, eine rote Schärpe und ein Halsband aus Silberdollars um den dürren Hals.
»Was ist das, Ratty?«
»Der Rattenmann weiß es nicht, mein Schatz, aber der Rattenmann kann es sich denken. Ja, das kann er. Das wird schwarze Arbeit morgen, sehr schwarz. Willst du nicht mal schnell mit Ratty ins Gebüsch, mein Schatz?«
»Ja, aber nur, wenn du mir sagst, was das hier soll.«
»Morgen weiß es ganz Las Vegas«, sagte Ratty. »Darauf kannst du deinen süßen kleinen Hintern wetten. Komm mit dem Rattenmann, mein Schatz, und er zeigt dir die neuntausend Namen Gottes.«
Aber zum großen Mißvergnügen des Rattenmannes war Julie inzwischen verschwunden.
Als Lloyd endlich einschlief, war die Arbeit getan, und die Menge hatte sich zerstreut. Auf den Ladeflächen der Lastwagen standen zwei große Käfige. Rechts und links hatten die beiden Käfige je zwei quadratische Löcher. In der Nähe standen vier Autos mit Anhängerkupplungen. An jeder Kupplung war eine Kette befestigt, die sich über den Rasen schlängelte und in einem der quadratischen Löcher an den Käfigen endete. Am Ende jeder Kette hing eine einzelne Handschelle.
Als am 30. September der Morgen dämmerte, hörte Larry das Tor am anderen Ende des Zellentrakts zurückgleiten. Rasch näherten sich Schritte. Larry lag auf seiner Pritsche, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er hatte in der vergangenen Nacht nicht geschlafen. Er hatte
(nachgedacht? gebetet?)
Es war gleichgültig. Was immer er getan hatte, die alte Wunde in ihm hatte sich geschlossen und störte seinen Frieden nicht mehr. Er hatte gespürt, daß die beiden Menschen, die er sein Leben lang gewesen war – die wirkliche Person und die Idealgestalt – sich zu einem einzigen Menschen verbunden hatten. Dieser Larry hätte seiner Mutter gefallen. Und Rita Blakemoor. Es war ein Larry, dem Wayne Stukey nie hätte erzählen müssen, was Sache ist. Es war ein Larry, den selbst jene längst vergessene Oralhygienikerin gemocht hätte.
Ich werde sterben. Wenn es einen Gott gibt – und inzwischen glaube ich, daß es ihn geben muß -, dann ist es sein Wille. Wir werden alle sterben, und irgendwie wird unser Tod all dem hier ein Ende machen.
Er hatte den Verdacht, daß Glen Bateman schon gestorben war. Am Tag zuvor war im anderen Flügel geschossen worden. Sehr viel geschossen. Es war wohl aus dem Trakt gekommen, in den sie Glen geführt hatten, und nicht aus Ralphs Trakt. Er erinnerte sich noch an die Richtung. Nun, Glen war schon alt gewesen, und die Arthritis hatte ihn geplagt, und was Flagg ihnen für heute morgen zugedacht hatte, konnte nur sehr unangenehm sein.
Die Schritte hatten seine Zelle erreicht.
»Steh auf, du Wunderkind«, rief eine fröhliche Stimme. »Der Rattenmann ist gekommen, um dir deinen blassen Arsch aufzureißen.«
Larry drehte sich um. Ein schwarzer Pirat mit einer Kette aus Silberdollars um den Hals stand vor seiner Zellentür, einen gezogenen Säbel in der Hand. Hinter ihm stand der bebrillte Buchhaltertyp. Er hieß Burlson.
»Was ist los?« fragte Larry.
»Lieber Mann«, sagte der Pirat. »Dies ist das Ende. Das endgültige Ende.«
»Also gut«, sagte Larry und stand auf.
Burlson sprach schnell, und Larry merkte, daß er Angst hatte. »Ich möchte Ihnen noch sagen, daß dies nicht meine Idee war.«
»Wie alles andere hier auch, soweit ich das sehen kann«, sagte Larry. »Wer wurde gestern getötet?«
»Bateman«, sagte Burlson und senkte den Blick. »Er wollte fliehen.«
»Versucht zu fliehen«, murmelte Larry. Er fing an zu lachen. Der Rattenmann lachte mit, lachte ihn aus. Sie lachten gemeinsam. Die Zellentür öffnete sich. Burlson trat mit Handschellen auf Larry zu, und Larry leistete keinen Widerstand. Er hielt nur die Hände hin. Burlson legte ihm die Stahlfesseln an.
»...versucht zu fliehen«, sagte Larry. »Eines Tages wirst du erschossen, wenn du versuchst zu fliehen, Burlson.« Sein Blick zuckte hinüber zum Piraten. »Du auch, Ratty. Ihr werdet einfach auf der Flucht erschossen.« Er fing wieder an zu lachen, aber diesmal lachte der Rattenmann nicht mit. Er blickte Larry düster an und hob den Säbel.
»Nimm das Ding runter, du Arschloch«, sagte Burlson. Sie verließen hintereinander die Zelle. Burlson zuerst, dann Larry, hinter ihm der Rattenmann. Als sie durch die Tür am Ende des Zellentrakts gingen, trafen sie auf fünf andere Männer. Einer von ihnen war Ralph, der ebenfalls Handschellen trug.
»He, Larry«, sagte Ralph trübselig. »Hast du schon gehört? Haben sie es dir gesagt?«
»Ja. Hab's gehört.«
»Diese Schweine. Dabei sind sie fast am Ende, stimmt's?«
»Ja. Stimmt.«
»Hört auf zu quasseln!« knurrte einer der Männer. »Ihr seid fast am Ende. Ihr werdet gleich sehen, was euch erwartet. O Mann, das wird vielleicht 'ne Party!«
»Nein, es ist vorbei«, sagte Ralph beharrlich. »Wißt ihr das nicht? Spürt ihr das nicht?«
Der Rattenmann stieß Ralph, so daß er stolperte. »Halt's Maul!« rief er. »Der Rattenmann will diesen beschissenen faulen Zauber nicht mehr hören.«
»Du bist schrecklich blaß, Ratty«, sagte Larry grinsend. »Schrecklich blaß. Jetzt bist du es, der aussieht wie ranziges Fleisch.«
Der Rattenmann fuchtelte wieder mit dem Säbel, aber diesmal war es keine Drohgebärde. Er sah aus, als ob er Angst hätte. Alle sahen so aus. Es lag etwas Seltsames in der Luft, ein Gefühl, daß sie alle im Schatten eines großen Ereignisses standen, das bald eintreten würde.
Ein olivgrüner Transporter mit der Aufschrift LAS VEGAS COUNTY JAIL an der Seite stand auf dem von der Sonne beschienenen Hof. Larry und Ralph wurden in den Wagen gestoßen. Die Türen wurden zugeschlagen, der Motor wurde angelassen, und die Fahrt ging los.
Sie saßen auf den harten Holzbänken, die mit Handschellen gefesselten Hände zwischen den Knien.
»Ich habe gehört, daß alle Einwohner von Las Vegas kommen werden«, sagte Ralph mit gesenkter Stimme. »Glaubst du, daß sie uns kreuzigen wollen, Larry?«
»Das oder etwas Ähnliches.« Er betrachtete den großen kräftigen Mann. Ralphs schweißgetränkter Hut saß ihm fest auf dem Kopf. Die Feder war zerfetzt und verblichen, aber sie ragte immer noch trotzig aus dem Hutband heraus.
»Hast du Angst, Ralph?«
»Fürchterliche Angst«, sagte Ralph. »Ich konnte noch nie Schmerzen aushalten. Ich hatte sogar Schiß, zum Arzt zu gehen, wenn ich eine Spritze bekommen sollte. Ich wünschte, mir fiele was ein, damit sie die Sache aufschieben. Und was ist mit dir?«
»Ich habe auch Angst. Setz dich doch neben mich.«
Ralph stand auf, und seine Handschellen klirrten. Er setzte sich neben Larry. Eine Weile saßen sie schweigend da. Dann sagte Ralph leise: »Wir haben uns ganz schön lange gemeinsam durchgeschlagen.«
»Das stimmt.«
»Ich möchte bloß wissen, wozu. Er will mit uns eine Show veranstalten. Damit jeder sieht, daß er immer noch der große Boss ist. Haben wir nur deshalb den weiten Weg gemacht?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie schwiegen wieder. Nur das Dröhnen des Motors unterbrach die Stille. Ohne zu sprechen, saßen sie auf der Bank und hielten sich bei den Händen. Larry hatte zwar Angst, aber das Gefühl, mit sich ins reine gekommen zu sein, blieb unerschütterlich.
»Ich fürchte mich nicht vor dem Bösen«, murmelte er, aber er hatte Angst. Er schloß die Augen, dachte an Lucy. Er dac hte an seine Mutter. Flüchtige Gedanken. Wie er an manch kaltem Morgen aufgestanden war, um sich für die Schule fertig zu machen. Wie er sich mal in der Kirche übergeben hatte. Wie er im Rinnstein ein Pornoheft gefunden und sich gemeinsam mit Rudy die Bilder angesehen hatte; sie beide mußten damals etwa neun Jahre alt gewesen sein. Wie er im ersten Frühling, den er in L. A. verbrachte, mit Yvonne Wetterlin die Baseball-Meisterschaft angeschaut hatte. Er wollte nicht sterben, er hatte Angst zu sterben, aber er hatte seinen Frieden mit sich selbst gemacht, so gut er konnte. Sein Weg ging hier zu Ende, aber er hatte diesen Weg nicht bestimmt, und er war zu der Überzeugung gelangt, daß der Tod nichts weiter war als ein Raum hinter der Bühne, wo man auf einen neuen Auftritt wartet, ja, ein Ort des Wartens, an dem man sich aufhält, bis die Show weitergeht.
Er versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben, sich zu sammeln. Sich bereit zu machen.
Der Wagen hielt an, und die Türen wurden aufgerissen. Helles Sonnenlicht fiel herein, und er und Ralph blinzelten. Der Rattenmann und Burlson sprangen zu ihnen in den Wagen. Zusammen mit den Sonnenstrahlen drang ein leiseres, rauschendes Murmeln in das Wageninnere, und Ralph hob mißtrauisch den Kopf. Aber Larry kannte das Geräusch.
1981 hatten die Tattered Remnants ihren größten Auftritt gehabt – sie spielten im Vorprogramm vor dem Auftritt von Van Haien und Chavez Ravine. Und das Geräusch, das sie vor ihrem Auftritt hörten, war genau wie dieses. Als er jetzt aus dem Wagen sprang, wußte er genau, was er erwarten konnte, und er verzog keine Miene, obwohl er Ralphs leises Keuchen neben sich hörte.
Sie standen auf dem Rasen eines riesigen Hotel-Casinos. Der Eingang war von zwei goldenen Pyramiden flankiert. Auf dem Rasen standen zwei Lastwagen mit einer glatten Ladefläche. Auf jeder dieser Ladeflächen stand ein aus Stahlrohren errichteter Käfig. Um sie herum eine Menschenmenge.
Die Leute bildeten einen großen Kreis um die Lastwagen. Sie standen auf dem Parkplatz des Hotels und auf den Eingangsstufen oder an der Auffahrt, wo früher die Gäste geparkt hatten, während der Portier einen Hotelpagen herbeipfiff. Auch auf der Straße selbst standen Leute. Einige der jüngeren Männer hatten ihre Freundinnen auf die Schultern genommen, damit sie besser sehen konnten. Das Fest konnte beginnen. Die Menschenmenge war wie ein großes Tier, und das leise Gemurmel war der Laut dieses Tieres. Larry schaute sich unter der Menge um, aber wenn ihn ein Blick traf, sah der Betreffende rasch weg. Die Gesichter wirkten blaß, abweisend, vom Tod gezeichnet, und die Leute schienen es zu wissen. Dennoch waren sie hier.
Er und Ralph wurden zu den Käfigen geführt, und Larry sah die Ketten an den Anhängerkupplungen der Wagen. Aber Ralph erkannte als erster ihren Zweck. Schließlich hatte er den größten Teil seines Lebens mit und an Maschinen verbracht.
»Larry«, sagte er heiser. »Sie wollen uns in Stücke reißen!«
»Rein mit euch«, sagte der Rattenmann und blies ihm stinkenden Knoblauchatem ins Gesicht. »Du auch, Wunderknabe. Du und dein Kumpel, ihr macht jetzt 'ne Spazierfahrt.«
Larry stieg auf die Ladefläche.
»Gib mir dein Hemd, Wunderknabe.«
Larry zog sein Hemd aus und stand mit nacktem Oberkörper in der angenehm kühlen Morgenluft. Auch Ralph hatte sein Hemd schon ausgezogen. Das Gemurmel der Menge schwoll an und verstummte wieder. Während des langen Fußmarsches waren sie beide abgemagert, und ihre Rippen waren deutlich zu sehen.
»In den Käfig, Jammerlappen.«
Larry ging rückwärts in den Käfig.
Jetzt gab Barry Dorgan die Befehle. Er ging von einer Ecke zur anderen und überprüfte die Vorrichtungen. In seinem Gesicht spiegelten sich Ekel und Widerwillen.
Die vier Fahrer stiegen in die Wagen und starteten die Motoren. Ralph stand einen Augenblick wie abwesend da. Dann ergriff er eine der angeschmiedeten Handschellen, die in seinen Käfig hineinhingen, und warf sie durch das Loch nach draußen. Sie traf Paul Burlson am Kopf, und ein Raunen ging durch die Menge.
»Tu das lieber nicht noch mal. Ich schicke gleich ein paar Leute rauf, damit sie dich festhalten.«
»Sollen sie doch tun, was sie vorhaben«, sagte Larry zu Ralph. Er blickte zu Dorgan hinunter. »He, Barry. Haben sie dir das bei der Polizei in Santa Monica beigebracht?«
In der Menge wurde gelacht. »Dein Freund und Helfer!« rief ein besonders Mutiger. Dorgan wurde rot, sagte aber nichts. Er schob die Kette ein Stück weiter in Larrys Käfig hinein, und Larry spuckte darauf. Er war selbst erstaunt, daß er noch genug Speichel hatte. Von hinten waren aus der Menge leise Jubelrufe zu hören. Vielleicht kommt es jetzt, dachte Larry. Vielleicht versuchen sie einen Aufstand...
Aber in seinem Herzen glaubte er es nicht. Ihre Gesichter waren zu blaß, zu verschlossen. Die trotzigen Rufe von hinten waren ohne Bedeutung – übermütige junge Leute. Es gab Zweifel – das spürte er -, und es gab Unzufriedenheit. Aber auch das nahm Flagg in Kauf. Diese Leute würden sich mitten in der Nacht davonstehlen, um irgendwo in dem riesigen leeren Raum zu verschwinden, zu dem die Welt geworden war. Und der Wandelnde Geck würde sie ziehen lassen, denn er wußte, daß er nur einen harten Kern brauchte, Leute wie Dorgan und Burlson. Die Deserteure und die mitternächtlichen Davonschleicher konnte man später wieder einfangen, vielleicht, um sie für ihren Mangel an Glauben zu bestrafen. Eine offene Rebellion würde es hier nicht geben.
Dorgan, der Rattenmann und ein dritter Mann traten jetzt in seinen Käfig. Der Rattenmann hatte die an die Ketten geschweißten Handschellen in der Hand, um sie Larry anzulegen.
»Geben Sie die Arme her«, sagte Dorgan.
»Ist Recht und Ordnung nicht eine feine Sache, Barry?«
»Her mit den Armen, verdammt noch mal!«
»Du siehst nicht gut aus, Dorgan – wie geht's deinem Herzen in letzter Zeit?«
»Ich sage es Ihnen zum letzten Mal, mein Freund. Schieben Sie die Hände durch diese Löcher!«
Larry tat es. Sie legten ihm die Fesseln an und drehten den Schlüssel um. Larry blickte nach rechts und sah Ralph in seinem Käfig stehen. Er hielt den Kopf gesenkt und ließ die Arme hängen. Auch ihn hatten sie schon an die Ketten angeschlossen.
»Ihr alle wißt, daß dies ein Verbrechen ist!« rief Larry, und seine durch jahrelanges Singen geübte Stimme hallte überraschend laut und klar über den Platz. »Ich erwarte von euch nicht, daß ihr es verhindert, aber ich erwarte, daß ihr immer daran denkt! Wir werden hier hingerichtet, weil Randall Flagg Angst vor uns hat! Vor uns und den Leuten, von denen wir kommen!« Ein Raunen lief durch die Menge, wurde lauter und lauter. »Vergeßt nicht, auf welche Weise wir gestorben sind! Und denkt daran, daß eines Tages vielleicht auch ihr auf diese Weise sterben werdet, ohne Würde und wie ein Tier im Käfig!«
Wieder ein Raunen, das anschwoll und aus dem Wut herauszuhören war... und dann Stille.
»Larry!« rief Ralph.
Flagg kam die Eingangstreppe des Grand Hotels herunter, und neben ihm erschien Lloyd Henreid. Flagg trug Jeans, ein kariertes Hemd, seine Jeansjacke mit den zwei Ansteckern auf der Tasche und seine abgelaufenen Cowboystiefel. In der plötzlichen Stille war das Klappern der Absätze auf dem Betonpfad das einzige Geräusch. Der dunkle Mann grinste.
Larry starrte auf ihn nieder. Flagg blieb zwischen beiden Käfigen stehen und blickte zu ihm auf. Sein Grinsen war von einem düsteren Charme. Er hatte sich vollständig unter Kontrolle, und Larry wußte plötzlich, daß dies der entscheidende Moment war, die Apotheose seines Lebens.
Flagg wandte sich von ihnen ab und trat vor sein Volk. »Lloyd«, sagte er leise, und Lloyd, der blaß und krank aussah, reichte Flagg ein Papier, das wie ein Pergament zusammengerollt war. Der dunkle Mann entrollte es und fing an zu sprechen. Er hatte eine tiefe, sonore und angenehme Stimme, die durch die Stille drang, wie eine kleine silbrige Welle über einen dunklen Teich läuft. »Hiermit verkünde ich, daß dies ein gültiges Urteil ist, das ich, Randall Flagg, am dreißigsten September neunzehnhundertneunzig, nunmehr das Jahr eins nach der Seuche, mit meinem Namen unterzeichnet habe.«
»Du heißt nicht Flagg!« brüllte Ralph. In der Menge entstand entsetztes Geraune. »Warum nennst du ihnen nicht deinen richtigen Namen?«
Flagg überging den Zwischenruf. »Hiermit verkünde ich, daß diese Männer, Lawson Underwood und Ralph Brentner, Spione sind, die in böser Absicht und um Aufruhr zu schüren nach Las Vegas gekommen sind und sich heimlich und im Schutz der Dunkelheit in diese Stadt geschlichen haben...«
»Das ist sehr gut«, sagte Larry, »zumal wir am hellichten Tag über die Route 70 gekommen sind.« Er hob die Stimme zu einem Brüllen.
»Sie haben uns auf der Interstate festgenommen! Nennt man das heimlich und im Schutz der Dunkelheit?«
Auch diesen Einwurf ertrug Flagg geduldig, als spürte er, daß Ralph und Larry das Recht hatten, sich zu den Vorwürfen zu äußern... wenn es auch an der Situation nichts änderte.
Er fuhr fort: »Hiermit verkünde ich, daß die Sabotagetrupps dieser Leute für die Bombenanschläge auf die Hubschrauber in Indian Springs verantwortlich sind und damit auch für den Tod von Carl Hough, Bill Jamieson und Cliff Benson. Sie sind des Mordes schuldig.«
Larrys Blick traf sich mit dem eines Mannes, der vorn in der Menge stand. Es war Stan Bailey, der die Anlage in Indian Springs leitete, wenn Larry das auch nicht wußte. Er sah Verblüffung und Erstaunen im Gesicht des Mannes, der dann etwas Lächerliches sagte, das sich ungefähr wie Eimermannanhörte.
»Hiermit verkünde ich, daß diese Leute noch weitere Spione zu uns geschickt haben, die inzwischen getötet wurden. Das Urteil lautet denn auch darauf, daß diese Männer auf angemessene Weise vom Leben zum Tod befördert werden. Sie werden zerrissen. Jeder von euch hat die Pflicht, dieser Hinrichtung beizuwohnen, auf daß er sie niemals vergesse und anderen berichten kann, was er hier heute gesehen hat.«
Wieder grinste Flagg, und es sollte ein besorgtes Lächeln werden, aber es strahlte nicht mehr Wärme und Herzlichkeit aus als das Grinsen eines Haifisches.
»Eltern mit Kindern sind entschuldigt.«
Er wandte sich den Fahrzeugen zu, deren Motoren liefen und kleine Abgaswolken in die Luft bliesen. Als er das tat, entstand vorn in der Menge plötzlich Bewegung. Ein Mann drängte sich auf den freien Platz an den beiden Wagen. Er war groß und sein Gesicht war fast so weiß wie seine Küchenschürze. Der dunkle Mann hatte Lloyd die Papierrolle zurückgegeben und Lloyds Hände zuckten nervös, als Whitney Horgan auf ihn zutrat. Er zerriß die Rolle, und das Geräusch war in der Stille deutlich zu hören.