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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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Inzwischen war Richard, der älteste Sohn, erschreckt und mit blassem Gesicht gelaufen gekommen. Er und sein Vater wechselten einen ernsten, ängstlichen Blick.

»In meinem ganzen Leben hab' ich ein Wiesel so was noch nicht machen sehen«, sagte John Freemantle und hielt seine schluchzende Tochter an den Schultern. »Gott sei Dank, daß deine Mutter mit den Bohnen unterwegs war.«

»Vielleicht war es tollw...«, begann Richard.

»Du hältst den Mund«, warf sein Vater ein, bevor Richard weitersprechen konnte. Seine Stimme klang kalt und wütend und ängstlich zugleich. Und Richard hieltden Mund – er klappte ihn sogar so schnell und fest zu, daß Abby die Zähne klacken hörte. Dann sagte ihr Vater zu ihr: »Gehen wir zur Pumpe, Abby, Liebes, und waschen wir den Schlamassel ab.«

Ein Jahr später sagte Luke ihr, was Richard auf Geheiß seines Vaters nicht laut aussprechen durfte: daß das Wiesel mit Sicherheit tollwütig gewesen sein mußte, so etwas zu machen, und wenn es tollwütig gewesen wäre, dann wäre sie eines schrecklichen Todes gestorben, schlimmer als die schlimmste Folter, wie die Menschen sie kannten. Aber das Wiesel war nicht tollwütig gewesen; die Wunde war sauber verheilt. Dennoch hatte Abby von diesem Tag an bis heute eine Todesangst vor solchen Geschöpfen – eine Angst, wie andere Menschen sie vor Ratten und Spinnen haben. Wenn die Seuche doch sie anstatt der Hunde weggerafft hätte! Aber es war anders gekommen, und sie selbst war...

Dein Blut ist in meinen Fäusten. Eines sprang näher und riß an der groben Naht des Sacks.

» Ih!« kreischte sie. Das Wiesel huschte davon, schien zu grinsen und hatte einen Fetzen vom Sack zwischen den Zähnen. Er hatte sie geschickt – der dunkle Mann.

Entsetzen packte sie. Jetzt waren es Hunderte, graue, braune und schwarze, und alle rochen die Hühner. Sie säumten beide Straßenseiten und drängten sich übereinander, um möglichst schnell an das heranzukommen, was sie rochen.

Ich muß sie ihnen geben. Es war alles umsonst. Wenn ich sie ihnen nicht gebe, reißen sie mich in Stücke, um sie zu bekommen. Alles umsonst.

In der Dunkelheit ihrer Gedanken sah sie den dunklen Mann grinsen, sah die Fäuste, die er ausstreckte, und das Blut, das von ihnen tropfte.

Wieder ein Zerren am Sack. Dann noch eines.



Die Wiesel auf der anderen Straßenseite kamen jetzt auf sie zu; ihre Bäuche schleiften im Staub. Ihre bösartigen kleinen Augen glänzten im Mondschein wie Eiszapfen.

Doch siehe, wer an mich glaubt, der soll nicht zuschanden werden... denn ich habe mein Zeichen auf ihn gesetzt, und nichts soll ihm geschehen ...er ist mein, spricht der Herr...

Sie stand auf, hatte immer noch schreckliche Angst, wußte jetzt aber, was sie zu tun hatte. »Verschwindet!« schrie sie. »Ja, es sind Hühner, aber sie sind für meine Gäste! Und jetzt macht, daß ihr fortkommt!«

Sie zogen sich zurück. Ihre kleinen Augen schienen unruhig zu werden. Und plötzlich waren sie verschwunden wie Rauch, der sich in der Luft auflöst. Ein Wunder, dachte sie, Freude erfüllte sie, sie lobte den Herrn. Dann wurde ihr plötzlich kalt.

Irgendwo weit entfernt im Westen, jenseits der Rockies, die nicht einmal am Horizont zu sehen waren, schienen sich glitzernde Augen plötzlich weit zu öffnen und forschend nach ihr suchen. So deutlich, als würden die Worte laut gesprochen, hörte sie ihn sagen: Wer ist dort? Bist du es, alte Frau?

»Er weiß, daß ich hier bin«, flüsterte sie in der Nacht. »Hilf mir, o Herr. Hilf mir, hilf uns allen.«

Sie zog den Sack hinter sich her und machte sich auf den Heimweg. Sie kamen zwei Tage später, am 24. Juli. Was Abbys Vorbereitungen anbetraf, war sie nicht so weit, wie ihr lieb gewesen wäre; sie war wieder einmal kreuzlahm und schwach, konnte nur mit dem Stock von einem Ort zum ändern hinken und kaum Wasser aus dem Brunnen heraufpumpen. Am Tag, nachdem sie die Hühner geschlachtet und die Wiesel in die Flucht geschlagen hatte, war sie am Nachmittag lange und erschöpft eingeschlafen. Sie träumte, dass sie sich auf einem hohen, kalten Paß mitten in den Rockies befand, westlich der Kontinentalscheide. Highway 6 schlängelte sich zwischen hohen Felswänden hindurch, die diese Kluft den ganzen Tag über in Schatten hüllten; nur von elf Uhr fünfundvierzig am Vormittag bis gegen zwölf Uhr fünfzig am Nachmittag schien die Sonne in die Schlucht. Aber in ihrem Traum herrschte kein Tageslicht, sondern undurchdringliche Neumond-Dunkelheit. Irgendwo heulten Wölfe. Und plötzlich öffnete sich ein Auge in der Dunkelheit, das gräßlich von einer Seite zur anderen blickte, während der Wind einsam durch die Pinien und blauen Bergfichten heulte. Es war er, und er suchte nach ihr.

Sie war aus diesem langen, tiefen Schlaf erwacht und hatte sich nicht so ausgeruht wie vorher gefühlt, und sie hatte wieder zu Gott gebetet, er möge sie in Frieden lassen oder ihr wenigstens die Richtung zeigen, in die er sie schicken wollte.

Norden, Süden oder Osten, Herr, und ich werde Hemingford verlassen und Dein Loblied singen. Aber nicht nach Westen, nicht zum dunklen Mann.

Die Rockies sind nicht groß genug zwischen ihm und uns. Die Anden wären nicht groß genug.

Aber das spielte keine Rolle mehr. Früher oder später, wenn der Mann sich stark genug fühlte, würde er nach denen suchen kommen, die sich gegen ihn stellten. Wenn nicht dieses Jahr, dann im nächsten. Die Hunde waren dahin, die Seuche hatte sie ausgerottet, aber die Wölfe lebten noch in den Hochländern der Berge und waren bereit, dem Dämon Satans zu dienen.

Aber nicht nur die Wölfe würden ihm dienen.



Am Morgen des Tages, an dem ihre Gäste endlich ankamen, hatte sie um sieben Uhr mit der Arbeit angefangen; sie hatte Holzscheite geschleppt, immer zwei auf einmal, bis der Herd heiß und die Holzkiste voll war. Gott hatte ihr einen kühlen, wolkenverhangenen Tag beschert, den ersten seit Wochen. Heute abend könnte es regnen. Ihre Hüfte, die sie sich 1958 gebrochen hatte, prophezeite es jedenfalls.

Sie backte ihre ersten Kuchen mit den eingemachten Früchten aus der Speisekammer und frischem Rhabarber und Erdbeeren aus dem Garten. Die Erdbeeren waren gerade reif, Gott sei gelobt, und es war gut zu wissen, daß sie nicht verderben würden. Allein das Kochen bewirkte, daß sie sich besser fühlte, denn Kochen war Leben. Ein Blaubeerkuchen, zwei Kuchen mit Rhabarber und Erdbeeren, ein Apfelkuchen. Ihr Duft zog durch die morgendliche Küche. Sie stellte sie zum Abkühlen auf die Fensterbank, wie sie es ihr Leben lang getan hatte.

Sie gab sich große Mühe mit dem Teig, obwohl es ohne frische Eier gar nicht so leicht war – dabei war sie im Hühnerhaus gewesen; es war ihre eigene Schuld. Eier oder nicht, am frühen Nachmittag roch die kleine Küche mit ihrem unebenen Fußboden und dem abgewetzten Linoleum nach Brathühnern. Es war drinnen recht heiss geworden, daher humpelte sie auf die Veranda, um wie jeden Tag zu lesen; dann fächelte sie sich mit ihrem eselsohrigen Exemplar von The Upper Room kühle Luft ins Gesicht.

Die Hühner gelangen ihr so knusprig und gut, wie man es sich nur wünschen konnte. Einer der Burschen konnte hinausgehen und zwei Dutzend frische Maiskolben holen, und sie würden sich zu einer herrlichen Mahlzeit ins Freie setzen.

Nachdem sie die Brathühner auf Papiertücher gelegt hatte, setzte sie sich mit der Gitarre auf die hintere Veranda und fing an zu spielen. Sie sang alle ihre Lieblingslieder; ihre hohe, zitternde Stimme ertönte in die stille Sommerluft.

»Have we trials and temptations, 

Are we cumbered with a load of care? 

We must never be discouraged, 

Take it to the Lord in prayer.«


Sie fand, die Musik klang so wunderbar (obwohl ihre Hörkraft stark abgenommen hatte, so daß sie nicht mehr sicher sein konnte, ob die alte Gitarre richtig gestimmt war), daß sie noch ein Lied spielte, noch eins und noch eins.

Sie sang gerade » We Are Marching to Zion«, als sie Motorengeräusch im Norden vernahm, das auf der County Road näher kam. Sie hörte auf zu singen, aber ihre Finger strichen noch geistesabwesend über die Saiten, als sie den Kopf schräg hielt und lauschte. Sie kommen, ja, Herr, sie haben den Weg gut gefunden, und jetzt konnte Abby den Staub sehen, den die Räder des Wagens aufwirbelten, als er vom Asphalt auf den Sandweg gelenkt wurde, der zu ihrem Haus führte. Sie freute sich darauf, die Gäste zu begrüßen, und war froh, daß sie ihr bestes Kleid angezogen hatte. Sie stellte die Gitarre zwischen die Knie und hielt die Hand über die Augen, obwohl die Sonne immer noch nicht schien.

Jetzt war das Motorengeräusch schon viel lauter. Noch einen Moment, und dort, wo der Mais aufhörte und der Bewässerungsgraben von Cal Coodell anfing...

Ja, jetzt sah sie ihn, einen alten Chevrolet-Lieferwagen, der langsam fuhr. Die Fahrerkabine war voll; wie es aussah, drängten sich dort vier Leute (selbst mit hundertacht konnte Abby noch sehr gut auf weite Entfernung sehen), und auf der Ladefläche saßen noch drei, die jetzt aufstanden und über das Fahrerhaus blickten. Sie sah einen schlanken blonden Mann, ein Mädchen mit roten Haaren, und in der Mitte... ja, das war er, ein Junge, der gerade die letzten Lektionen lernte, was es heißt, ein Mann zu sein. Dunkles Haar, schmales Gesicht, hohe Stirn. Er sah sie auf der Veranda sitzen und winkte aufgeregt. Ein wenig später tat der blonde Mann es ihm nach. Das rothaarige Mädchen schaute nur. Mutter Abagail hob die Hand und winkte zurück.

»Gott sei Lob, daß er sie hergebracht hat«, murmelte sie heiser. Tränen liefen ihr heiß über die Wangen. »Herr, ich danke Dir so sehr.«

Der Wagen fuhr holpernd und rumpelnd auf den Hof. Der Mann am Steuer trug einen Strohhut mit blauem Samtband, in dem eine Feder steckte.

» Jjuuhuuuuh!« schrie er und winkte. »Hallo, Mutter! Nick sagte, dass Sie hier sein müssen, und das sind Sie ja auch, juuhuuuu!« Er drückte auf die Hupe. Neben ihm im Fahrerhaus saßen ein Mann um die Fünfzig, eine Frau im gleichen Alter und ein kleines Mädchen im roten Cordoverall. Das kleine Mädchen winkte schüchtern; den Daumen der anderen Hand hatte es fest in den Mund gedrückt. Der junge Mann mit der Augenklappe und dem dunklen Haar – Nick – sprang herunter, bevor der Wagen hielt. Er behielt das Gleichgewicht und kam langsam auf sie zu. Sein Gesicht war ernst, aber die Augen strahlten vor Freude. Er blieb vor den Stufen zur Veranda stehen und sah sich erstaunt um... Hof, Haus, den alten Baum mit der Reifenschaukel. Aber ganz intensiv sah er Abby an.

»Hallo, Nick«, sagte sie. »Ich freue mich, dich zu sehen. Gott segne dich.«

Er lächelte, und auch bei ihm flossen jetzt Tränen. Er ging die Stufen hinauf zu ihr und nahm ihre Hände. Sie bot ihm ihre faltige Wange, und er küßte sie behutsam. Inzwischen hatte der Wagen hinter ihm angehalten, und die anderen waren ausgestiegen. Der Mann, der gefahren war, hielt das kleine Mädchen im roten Overall, das am rechten Bein einen Gipsverband trug, an sich gedrückt. Sie hatte die Arme fest um den sonnengebräunten Nacken des Fahrers geschlungen. Neben ihm stand die etwa fünfzigjährige Frau, neben dieser der Rotschopf und der blonde junge Mann mit Bart. Nein, kein Mann, dachte Mutter Abagail; er ist schwach. Als letzter in der Reihe stand der Mann, der im Fahrerhaus gesessen hatte. Er putzte die Gläser seiner Nickelbrille.

Nick sah Abby auffordernd an, und sie nickte.

»Du hast das Richtige getan«, sagte sie. »Der Herr hat dich geschickt, und Mutter Abagail wird dir zu essen geben. Ihr seid alle willkommen!« fügte sie mit lauterer Stimme hinzu. »Wir können nicht lange bleiben, aber bevor wir aufbrechen, werden wir ausruhen, zusammen das Brot brechen und gute Gemeinschaft halten.«

Das kleine Mädchen auf den sicheren Armen des Fahrers piepste:

»Bist du die älteste Lady der Welt?«

Die etwa fünfzigjährige Frau sagte: »Pssst, Gina!«

Aber Mutter Abagail legte eine Hand an die Hüfte und lachte.

»Vielleicht, mein Kind. Vielleicht.«



Sie ließ ihr rotkariertes Taschentuch hinter dem alten Apfelbaum ausbreiten, und die beiden Frauen, Olivia und June, trugen das Picknick nach draußen, während die Männer Mais pflücken gingen. Dieser war rasch gedünstet, und wenn auch keine richtige Butter im Haus war, hatte sie doch genügend Öl und Salz.

Während des Essens wurde kaum geredet – nur Kaugeräusche und hin und wieder ein leises Grunzen des Behagens waren zu hören. Es tat ihrem Herzen gut, Leute mit solchem Appetit essen zu sehen, und diese Leute erwiesen ihrem Essen alle Ehre. Ihr Ausflug zur Farm der Richardsons und die Rangelei mit den Wieseln waren nicht vergeblich gewesen. Ihre Gäste waren nicht gerade ausgehungert, aber wenn man über einen Monat lang nur aus Dosen lebt, bekommt man Heißhunger auf etwas frisch Gekochtes. Sie selbst aß drei Stückchen Huhn, einen Maiskolben und ein kleines Stück Kuchen mit Erdbeeren und Rhabarber. Als sie alles gegessen hatte, war sie so satt wie eine Bettwanze in der Matratze.

Als sie fertig waren und der Kaffee eingeschenkt wurde, sagte der Fahrer, ein sympathischer Mann namens Ralph Brentner: »Das war ein Knüller von einer Mahlzeit, Madam. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir je etwas so gut geschmeckt hat. Unseren besten Dank.«

Die anderen murmelten zustimmend. Nick lächelte und nickte. Das kleine Mädchen sagte: »Darf ich bei dir sitzen, Grannylady?«

»Ich fürchte, du bist zu schwer, Liebes«, sagte Olivia Walker, die ältere Frau.

»Unsinn«, sagte Abagail. »Der Tag, an dem ich ein kleines Mädchen nicht mehr auf den Schoß nehmen kann, ist der, wenn man mich ins Leichentuch hüllt. Komm nur, Gina.«

Ralph trug sie zu ihr hinüber und setzte sie ab. »Wenn sie zu schwer wird, sagen Sie es mir.« Er setzte sich wieder hin.

»Was ist mit deinem Bein passiert, Gina?« fragte Abagail.

»Ich habe es gebrochen, als ich vom Heuboden gefallen bin«, sagte Gina. »Dick hat es wieder heilgemacht. Ralph sagt, Dick hat mir das Leben gerettet. « Sie warf dem Mann mit der Nickelbrille eine Kußhand zu, er errötete leicht, hüstelte und lächelte. Nick, Tom Cullen und Ralph hatten Dick Ellis mitten in Kansas getroffen, als er mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem Stock in der Hand die Straße entlangging. Er war Tierarzt. Am nächsten Tag, als sie durch die kleine Stadt Lindsbourg kamen, hatten sie gerastet, um zu Mittag zu essen, und vom südlichen Ende der Stadt Ginas schwache Schreie gehört. Wenn der Wind in die andere Richtung geweht hätte, wären ihnen die Schreie nie aufgefallen.

»Gottes Barmherzigkeit«, sagte Abagail selbstvergessen und strich dem kleinen Mädchen über das Haar.

Gina war drei Wochen allein gewesen. Einen oder zwei Tage vorher hatte sie in der Scheune ihres Onkels auf dem Heuboden gespielt, als die morschen Bretter nachgaben und sie zwölf Meter tief auf den Scheunenboden gestürzt war. Zwar hatte das Heu den Fall gebremst, aber sie war heruntergerollt und hatte sich das Bein gebrochen. Zuerst hatte Dick Ellis ihr kaum Chancen gegeben. Er hatte sie örtlich betäubt, um das Bein zu richten; sie hatte soviel Gewicht verloren, und ihre allgemeine Verfassung war so erbärmlich, daß er befürchtet hatte, sie würde sterben (während der Schlüsselworte dieser Unterhaltung spielte Gina McCone sorglos mit den Knöpfen an Mutter Abagails Kleid).

Gina hatte sich aber so schnell erholt, daß alle überrascht waren. Sie hatte sofort Zuneigung zu Ralph und seinem kecken Hut entwickelt. Mit leiser, verhaltener Stimme sagte Ellis, er vermutete, ihr größtes Problem sei wohl die erdrückende Einsamkeit gewesen.

»Natürlich war es das«, sagte Abagail. »Wenn ihr sie nicht gehört hättet, wäre sie gestorben.«

Gina gähnte. Sie hatte große, glasige Augen.

»Ich nehme sie jetzt«, sagte Olivia Walker.

»Bring sie in den kleinen Raum am Ende des Korridors«, sagte Abby. »Wenn du willst, kannst du bei ihr schlafen. Das andere Mädchen... wie war der Name, Honey? Ich habe ihn ganz vergessen.«

»June Brinkmeyer«, sagte die Rothaarige.

»Nun, du kannst bei mir im Zimmer schlafen, June, es sei denn, du möchtest es nicht. Das Bett ist allerdings nicht breit genug für zwei, aber du wirst ohnehin wohl kaum neben einem alten Knochengestell wie mir schlafen wollen. Doch oben auf dem Boden liegt noch eine Matratze, die es eigentlich tun müßte, falls sich kein Ungeziefer darin eingenistet hat. Einer der starken Männer könnte sie dir herunterholen, glaube ich.«

»Klar«, sagte Ralph.

Olivia brachte Gina, die schon eingeschlafen war, zu Bett. Die Küche war jetzt so voll, wie schon seit Jahren nicht mehr und halb dunkel in der Dämmerung. Ächzend stand Mutter Abagail auf und zündete drei Petroleumlampen an; eine stellte sie auf den Tisch, eine auf den Herd (der gußeiserne Blackwood kühlte ab und knackte zufrieden vor sich hin) und die dritte auf den Fenstersims zur Veranda. Die Dunkelheit war zurückgedrängt.

»Vielleicht sind die alten Methoden die besten«, sagte Dick plötzlich, und alle sahen ihn an. Er errötete und hustete wieder, aber Abagail kicherte nur.

»Ich meine«, fuhr Dick ein wenig defensiv fort, »das war die erste selbstgekochte Mahlzeit seit... ich glaube, seit dem 30. Juni. Dem Tag, als der Strom ausfiel. Und das Essen habe ich selbst gekocht. Aber was ich fabriziert habe, konnte man kaum ein Essen nennen. Meine Frau... die war eine ganz ausgezeichnete Köchin. Sie...« Er verstummte tonlos.

Olivia kam wieder herein. »Fest eingeschlafen«, sagte sie. »Ein müdes kleines Mädchen.«

»Backen Sie Ihr Brot noch selbst?« fragte Dick Mutter Abagail.

»Gewiß. Wie immer. Natürlich kein Hefebrot; die ganze Hefe ist hinüber. Aber es gibt auch noch andere Sorten.«

»Ich sterbe für Brot«, sagte er schlicht. »Helen... meine Frau... hat zweimal die Woche Brot gebacken. In letzter Zeit scheint das mein einziger Wunsch zu sein. Ich glaube, ich könnte glücklich sterben, wenn ich drei Scheiben Brot und etwas Erdbeermarmelade bekommen würde.«

»Tom Cullen ist müde«, sagte Tom plötzlich. »M-O-N-D, das buchstabiert man müde.« Er gähnte, daß seine Kieferknochen knackten.

»Du kannst draußen im Schuppen schlafen«, sagte Abagail. »Er riecht ein bißchen muffig, ist aber trocken.«

Eine Weile lauschten sie dem gleichmäßigen Rauschen des Regens, der schon seit einer Stunde fiel. Wäre Abby allein gewesen, hätte es sich trostlos angehört. In Gesellschaft war es ein angenehmes, geheimnisvolles Geräusch, das sie alle gemeinsam umfing. Er gurgelte durch die galvanisierten Blechrinnen und plätscherte in die Regentonne, die Abby noch auf der anderen Seite des Hauses stehen hatte. Donner grollte über dem fernen lowa.

»Ihr habt gewiß Camping-Ausrüstung?« fragte sie sie.

»Alles mögliche«, sagte Ralph. »Wir kommen zurecht. Komm, Tom.«

»Ich frage mich«, sagte Abagail, »ob Nick und du noch eine Weile bleiben könnt, Ralph.«

Nick hatte während der ganzen Unterhaltung am Tisch gesessen, von Abbys Schaukelstuhl aus gesehen auf der anderen Seite des Zimmers. Man sollte meinen, dachte sie, daß ein Mann, der nicht hören kann, sich in einem Raum voller Menschen verloren vorkommt, daß er ganz einfach untergeht. Aber Nick hatte etwas an sich, das dem entgegenstand. Er saß völlig ruhig da; seine Augen folgten der Unterhaltung reihum; man sah seiner Miene die Reaktion auf das Gesagte an. Er hatte ein offenes und intelligentes Gesicht, aber etwas verhärmt für einen so jungen Mann. Abby bemerkte, dass die Leute im Verlauf der Unterhaltung häufig Nick ansahen, als erwarteten sie seine Zustimmung oder Ablehnung. Sie schienen seine Meinung hoch zu schätzen. Ein paarmal sah Abby, wie Nick mit besorgtem Gesicht nach draußen in die Dunkelheit blickte.

»Könnte ich jetzt die Matratze bekommen?« fragte June leise.

»Nick und ich holen sie«, sagte Ralph und stand auf.

»Ich will nicht allein in den Schuppen gehen«, sagte Tom. »Meine Güte, nein.«

»Ich gehe mit dir raus, Boß«, sagte Dick. »Wir zünden die ColemanLampe an und legen uns schlafen.« Er stand auf. »Nochmals danke, Ma'am. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wunderbar das alles war.«

Auch die anderen bedankten sich noch einmal. Nick und Ralph holten die Matratze, die sich als ungezieferfrei erwies. Tom und Dick – denen nur noch ein Harry fehlte, dann wären sie komplett, dachte Abagail – gingen in den Schuppen hinaus, wo schon bald die Coleman-Lampe aufleuchtete. Kurz darauf waren Nick, Ralph und Mutter Abagail allein in der Küche.

»Stört es Sie, wenn ich rauche, Ma'am?« fragte Ralph.

»Nein, solange Sie nicht die Asche auf den Fußboden werfen. Gleich hinter Ihnen im Schrank steht ein Aschenbecher.«

Ralph stand auf, ihn zu holen, und Abby sah Nick an. Er trug ein Khakihemd, Blue jeans und eine verblichene Drillichweste. Er hatte etwas an sich, das ihr das Gefühl gab, als hätte sie ihn schon vorher gekannt oder als wäre es ihr immer vorherbestimmt gewesen, ihn kennenzulernen. Wenn sie ihn ansah, verspürte sie ein stilles Gefühl des Wissens und der Vollendung, als wäre dieser Augenblick einfach Schicksal gewesen. Als wäre an einem Ende ihres Lebens ihr Vater John Freemantle gewesen, groß und schwarz und stolz, und dieser Mann am anderen Ende, jung, weiß und stumm, mit einem strahlenden, ausdrucksvollen Auge, das sie aus diesem verhärmten Gesicht ansah.

Sie schaute zum Fenster hinaus und erblickte das Licht der Coleman-Batterielampe, das zum Schuppenfenster herausschien und ein Stück des Hofes beleuchtete. Sie fragte sich, ob der Schuppen immer noch nach Kuh roch; sie war seit fast drei Jahren nicht mehr dort gewesen. Unnötig. Daisy, ihre letzte Kuh, war 1975 verkauft worden, aber 1987 hatte der Schuppen immer noch nach Kuh gerochen. Was wahrscheinlich bis auf den heutigen Tag so geblieben war. Einerlei; es gab schlimmere Gerüche.

»Ma'am?«

Sie sah wieder auf. Ralph saß jetzt neben Nick, hielt einen Zettel in der Hand und betrachtete ihn blinzelnd im trüben Licht der Petroleumlampe. Nick hielt Schreibblock und Kugelschreiber. Er sah sie immer noch aufmerksam an.

»Nick sagt...« Ralph räusperte sich verlegen.

»Nur weiter.«

»Auf dem Zettel steht, es ist so schwer, Ihnen von den Lippen zu lesen, weil...«

»Ich glaube, ich weiß, warum«, sagte sie. »Keine Angst.«

Sie stand auf und schlurfte zum Schreibpult. Auf dem zweiten Regal darüber stand ein Plastikbehälter, in dem in einer milchigen Flüssigkeit zwei Gebißplatten wie medizinische Ausstellungsstücke schwammen.

Sie fischte sie heraus und spülte sie in einem Krug Wasser ab.

»Mein Gott, habe ich gelitten«, sagte Mutter Abagail kläglich und setzte das Gebiß ein.

»Wir müssen miteinander reden«, sagte sie. »Ihr zwei seid die Anführer, und wir müssen uns über ein paar Dinge klar werden.«

»Nun«, sagte Ralph, »ich nicht. Ich war nie mehr als Vollzeitfabrikarbeiter und Teilzeitfarmer. Ich habe zu meiner Zeit mehr Schwielen als Einfälle gehabt. Ich glaube eher, Nick hat das Sagen.«

»Stimmt das?« fragte sie und sah Nick an.

Nick schrieb kurz, und Ralph las es laut vor, und so hielt er es auch weiterhin.

»Es war meine Idee, hierherzukommen, ja. Aber ob ich der Anführer bin, weiß ich nicht.«

»June und Olivia haben wir etwa neunzig Meilen südlich von hier getroffen«, sagte Ralph. »Das war vorgestern, Nick, nicht?«

Nick nickte.

»Da waren wir schon auf dem Weg zu Ihnen, Mutter. Die Frauen waren auch nach Norden unterwegs. Und Dick. Wir haben uns zusammengetan.«

»Habt ihr sonst noch Leute gesehen?« fragte sie.

»Nein«, schrieb Nick. »Aber ich hatte das Gefühl – Ralph auch -, dass da noch andere waren, die sich versteckt hatten und uns beobachteten. Ich denke, sie hatten Angst. Sie müssen noch den Schock überwinden.«

Sie nickte.

»Dick hat gesagt, am Tag, bevor er uns getroffen hat, hat er irgendwo im Süden ein Motorrad gehört. Also sind noch andere Menschen unterwegs. Ich glaube, eine so große Gruppe macht ihnen angst.«

»Warum seid ihr hergekommen?« Ihre Augen blickten Nick aus einem Gewirr von Runzeln gespannt an.

Nick schrieb: »Ich habe von Ihnen geträumt. Dick Ellis auch einmal, sagt er. Und die kleine Gina nannte Sie schon lange, bevor wir hier waren, >Grannylady<. Sie hat Ihr Haus beschrieben. Die Reifenschaukel.«

»Gott segne das Kind«, sagte Mutter Abagail zerstreut. Sie sah Ralph an. »Und du?«

»Ein– oder zweimal, Ma'am«, sagte Ralph. Er fuhr mit der Zunge über die Lippen. »Ich habe hauptsächlich von diesem... von diesem anderen Kerl geträumt.«

»Von welchem Kerl?«

Nick schrieb. Kreiste das Geschriebene ein. Gab es ihr diesmal. Auf die Nähe konnte sie ohne ihre Brille oder die Leuchtlupe, die sie vor einem Jahr im Hemingford Center gekauft hatte, nicht mehr gut sehen, aber dies konnte sie lesen. Es war groß geschrieben wie die Flammenschrift, die Gott in Belsazers Palast an der Wand erscheinen ließ. Der bloße Anblick des Eingekreisten machte sie schon frösteln. Sie dachte an die Wiesel, die auf dem Bauch über die Straße krochen und mit nadelspitzen Killerzähnen an dem Sack zerrten. Sie dachte an ein einzelnes rotes Auge, das sich in der Dunkelheit öffnete, das schaute und suchte, jetzt nicht nur eine alte Frau, sondern eine ganze Gruppe Männer und Frauen... und ein kleines Mädchen.

Die drei eingekreisten Worte waren: Der dunkle Mann.



»Ich habe erfahren«, sagte sie, faltete den Zettel zusammen, klappte ihn auf, faltete ihn wieder zusammen und dachte momentan gar nicht an die Schmerzen ihrer Arthritis, »daß wir nach Westen gehen sollen. Das hat mir Gott der Herr im Traum gesagt. Ich wollte nicht darauf hören. Ich bin eine alte Frau und möchte nur auf diesem Stück Land sterben. Es gehört seit hundertzwölf Jahren meiner Familie, aber es ist mir genauso wenig bestimmt, hier zu sterben, wie es Moses bestimmt war, mit den Kindern Israels nach Kanaan zu gehen.«

Sie schwieg. Die beiden Männer sahen sie im Schein der Lampe an, draußen rauschte langsam und unaufhörlich der Regen. O Herr, dachte sie, dieses Gebiß tut mir im Mund weh. Ich möchte es rausnehmen und ins Bett gehen.

»Schon zwei Jahre bevor diese Seuche ausbrach, hatte ich Träume. Ich habe immer geträumt, und manchmal wurden meine Träume wahr. Weissagungen sind eine Gabe Gottes, jeder hat ein wenig davon. Meine Großmutter nannte sie den Lampenschein Gottes, manchmal auch nur das Shining. In meinen Träumen sah ich mich nach Westen gehen. Zuerst nur mit wenigen Leuten, dann mit ein paar mehr, dann noch ein paar. Westen, immer Westen, bis ich die Rocky Mountains sehen konnte. Zuletzt waren wir eine ganze Karawane, zweihundert oder mehr. Und es gab Zeichen... nein, keine Zeichen von Gott, sondern gewöhnliche Straßenzeichen, und auf allen stand so etwas wie BOULDER, COLORADO, 609 MEILEN oder RICHTUNG BOULDER.«

Sie machte eine Pause.

»Diese Träume, die haben mir angst gemacht. Ich hab' nie einer Menschenseele erzählt, daß ich sie hatte, solche Angst hab' ich gehabt. Mir war etwa so zumute, wie Hiob zumute gewesen sein muß, als Gott aus dem Wirbelwind zu ihm gesprochen hat. Ich hab' sogar so getan, als wären es nur Träume; ich war eine dumme alte Frau, die vor Gott weggelaufen ist wie Jonas. Aber du siehst, der große Fisch hat uns trotzdem verschluckt. Und wenn Gott zu Abby sagt: Du mußt es erzählen!, dann muß ich es erzählen. Und ich habe mir immer gedacht, daß jemand zu mir kommen würde, jemand ganz Besonderes, und so würde ich erfahren, daß die Zeit gekommen ist.«

Sie betrachtete Nick, der am Tisch saß und sie mit seinem guten Auge ernst durch den Dunst von Ralph Brentners Zigarettenrauch ansah.

»Ich wußte es, als ich dich gesehen habe«, sagte sie. »Du bist es, Nick. Gott hat seinen Finger auf dein Herz gelegt. Aber er hat mehr als einen Finger, und draußen sind andere, die noch kommen, und auch auf sie hat er seinen Finger gelegt. Ich träume von ihm, wie er immer nach uns sucht, und, Gott vergebe meinem kranken Geist, ich verfluche ihn von ganzem Herzen.« Sie fing an zu weinen und stand auf, um Wasser zu trinken und sich etwas ins Gesicht zu spritzen. Ihre Tränen waren das Menschliche an ihr, schwach und gebrechlich.

Als sie sich wieder umdrehte, schrieb Nick etwas. Schließlich riß er den Zettel ab und gab ihn Ralph.

»Ich weiß nichts von Gott, aber ich weiß, daß etwas im Gange ist. Alle, die wir getroffen haben, waren auf dem Weg nach Norden. Als wüßten Sie die Antwort. Haben Sie auch von den anderen Leuten geträumt? Dick? June oder Olivia? Vielleicht von dem kleinen Mädchen?«

'Von denen nicht. Von einem Mann, der nicht viel redet. Von einer schwangeren Frau. Von einem jungen Mann in deinem Alter, der seine Gitarre mitbringt. Und von dir, Nick.«

»Und Sie glauben, daß es das Richtige wäre, nach Boulder zu gehen?«

Mutter Abagail sagte: »Wir sollendorthin gehen.«

Nick kritzelte einen Moment müßig auf seinem Notizblock herum, dann schrieb er: »Was wissen Sie über den dunklen Mann? Wissen Sie, wer er ist?«

»Ich weiß, was er vorhat, aber nicht, wer er ist. Er ist das reinste Böse, das es auf der Welt noch gibt. Die übrigen Bösen sind kleine Fische. Ladendiebe und Sexualverbrecher und Leute, die gern die Fäuste gebrauchen. Aber er wird sie rufen. Er hat schon angefangen. Er versammelt sie viel schneller um sich, als wir uns zusammenfinden. Nicht nur die Bösen, die wie er sind, auch die Schwachen... die Einsamen... und diejenigen, die Gott nicht in ihr Herz lassen.«

»Vielleicht gibt es ihn gar nicht«, schrieb Nick. »Vielleicht ist er nur...« Er mußte eine Weile an seinem Stift knabbern und nachdenken. Schließlich fügte er hinzu: »...das Ängstliche, Böse in uns allen. Vielleicht träumen wir nur die Dinge, vor denen wir selbst Angst haben, wir könnten sie tun.«

Ralph runzelte die Stirn, als er das laut vorlas, aber Abby verstand sofort, was Nick meinte. Es unterschied sich kaum von dem, was diese neuen Prediger redeten, die seit ungefähr zwanzig Jahren durch das Land zogen. In Wirklichkeit gab es keinen Satan, das war ihr Evangelium. Es gab das Böse, und das war wahrscheinlich auf die Erbsünde zurückzuführen, aber es steckte in uns allen, und es war genauso unmöglich, es auszutreiben, wie man ein Ei aus der Schale holen konnte, ohne sie zu zerbrechen. Wie diese neuen Prediger behaupteten, war Satan wie ein Puzzle – jeder Mann, jede Frau, jedes Kind auf Erden fügte sein kleines Teil zum Ganzen hinzu. Ja, das klang alles ziemlich modern; das Dumme war nur, dass es nicht stimmte. Und wenn Nick es noch länger glaubte, würde ihn der dunkle Mann zum Frühstück verspeisen.

Sie sagte: »Du hast von mir geträumt. Gibt es mich etwa nicht?«


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