Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
Жанр:
Ужасы
сообщить о нарушении
Текущая страница: 57 (всего у книги 100 страниц)
Aber wie sich herausstellte, war viel mehr als nichts oder niemand an Larry Underwood dran, er war wie ein optische Täuschung (vielleicht sogar für sich selbst), wo das Wasser seicht aussieht, nur drei, vier Zentimeter tief, aber wenn man die Hand hineinstreckt, ist der Arm plötzlich bis zur Schulter naß. Wie er Joes Zuneigung gewonnen hatte, war eines. Wie Joe auf ihn ansprach, etwas anderes, und ihre wachsende Eifersucht auf die Beziehung zwischen Joe und Larry das dritte. In der Motorradvertretung in Wells hatte Larry dem Jungen die Finger beider Hände anvertraut und gewonnen.
Hätten sie nicht ihre volle Aufmerksamkeit auf den Deckel über dem Benzintank konzentriert, hätten sie sehen können, wie sie vor Überraschung den Mund aufklappte. Sie hatte dagestanden und sie beobachtet, hatte sich nicht bewegen können, den Blick einzig auf das helle Metall der Brechstange gerichtet und darauf gewartet, dass sie erst wackeln und dann wegkippen würde. Erst als es vorbei war, wurde ihr klar, daß sie auf die Schreie gewartet hatte. Der Deckel war offen und beiseite geklappt, und sie erkannte ihre Fehleinschätzung, einen geradezu fundamentalen Fehler ihrerseits. In diesem Fall hatte er Joe besser gekannt als sie, ohne besondere Ausbildung und schon nach kürzester Zeit. Sie begriff nur intuitiv, wie bedeutend der Vorfall mit der Gitarre gewesen war, wie schnell und grundlegend dieser Larrys Beziehung zu Joe bestimmt hatte. Und was lag im Mittelpunkt dieser Beziehung?
Selbstverständlich Abhängigkeit – was sonst hätte diesen plötzlichen Stromstoß der Eifersucht durch ihren ganzen Körper jagen können? Wenn Joe von Larry abhängig gewesen wäre, dann wäre das eine Sache gewesen, normal und akzeptabel. Sie war beunruhigt, weil Larry auch von Joe abhängig war und Joe auf eine Weise brauchte, wie sie nicht... und Joe wußte es.
Hatte sie Larrys Charakter falsch eingeschätzt? Jetzt glaubte sie, daß die Antwort darauf ja lautete. Dieses nervöse, selbstsüchtige Äußere war eine Larve, die vom vielen Gebrauch abgenutzt wurde. Allein die Tatsache, daß er sie während dieser weiten Reise alle zusammengehalten hatte, sprach für seine Entschlossenheit. Die Schlußfolgerung schien klar. Hinter der Entscheidung, mit Larry zu schlafen, war ein Teil von ihr immer noch diesem anderen Mann verpflichtet... und wenn sie mit Larry schlief, war das, als würde sie diesen Teil für immer abtöten. Sie war nicht sicher, ob sie das konnte.
Und inzwischen war sie nicht mehr die einzige, die von dem dunklen Mann träumte.
Das hatte sie erst beunruhigt, dann geängstigt. Als sie es mit Joe und Larry zu tun gehabt hatte, war es Angst gewesen; als sie Lucy Swann getroffen hatten und diese behauptete, sie habe dieselben Träume gehabt, wurde die Angst zu einer Art rasendem Entsetzen. Sie konnte sich nicht länger einreden, daß deren Träume sich nur wie ihre anhörten. Und wenn alle Überlebenden sie hatten? Wenn die Zeit des dunklen Mannes endlich gekommen war – nicht nur für sie, sondern für alle, die noch auf diesem Planeten lebten?
Mehr als alles andere löste dieser Gedanke widerstreitende Empfindungen von höchstem Entsetzen und starker Anziehung in ihr aus. Sie hatte sich fast panisch an den Gedanken an Stovington geklammert. Es stand allein durch die Natur seiner Funktion als Symbol der Normalität und Vernunft gegen die ansteigende Flut dunkler Magie ringsum. Aber Stovington war verlassen, ein Hohn auf den sicheren Hort, zu dem sie es in ihren Vorstellungen gemacht hatte. Das Symbol von Normalität und Vernunft, ein Totenhaus.
Während sie nach Westen fuhren und weitere Überlebende um sich scharten, war die Hoffnung, es könnte ohne Konfrontation für sie enden, erloschen. Sie erlosch, und Larry stieg in ihrer Wertschätzung. Er schlief jetzt mit Lucy Swann, aber was machte das schon? Über sie war entschieden. Die anderen hatten zwei entgegengesetzte Träume gehabt: der dunkle Mann und die alte Frau. Die alte Frau schien, genau wie der dunkle Mann, eine Art elementare Kraft zu verkörpern. Die alte Frau war der Kern, um den sich die anderen allmählich sammelten.
Nadine hatte nie von ihr geträumt.
Nur von dem dunklen Mann. Und während die Träume der anderen plötzlich so unerklärlich verblaßten, wie sie gekommen waren, schienen ihre eigenen an Kraft und Klarheit zuzunehmen. Sie wußte vieles, was die anderen nicht wußten. Der dunkle Mann hieß Randall Flagg. Diejenigen im Westen, die sich ihm widersetzt oder gegen sein Vorgehen Einwände erhoben hatten, waren entweder gekreuzigt oder irgendwie wahnsinnig gemacht und in den kochenden Hexenkessel des Death Valley geschickt worden. In San Francisco und Los Angeles gab es kleinere Gruppen von technisch versierten Leuten, aber das war nur vorübergehend; bald würden sie sich nach Las Vegas begeben, wo sich die Hauptmacht seiner Leute konzentrierte. Er hatte keine Eile. Der Sommer neigte sich dem Ende zu. Bald würden die Pässe der Rocky Mountains einschneien, und es gab zwar Schneepflüge, um sie freizumachen, aber nicht genügend warme Leiber, um die Pflüge zu bemannen. Ein langer Winter würde folgen, in dem sie sich konsolidieren konnten. Und im nächsten April... oder Mai...
Nadine lag im Dunkeln und sah zum Himmel empor.
Boulder war ihre letzte Hoffnung. Die alte Frau war ihre letzte Hoffnung. Die Normalität und Vernunft, die sie in Stovington zu finden gehofft hatte, schien sich in Boulder abzuzeichnen. Sie waren die Guten, dachte sie, die Guten; könnte es doch auch für sie so einfach sein, die sie sich in einem verrückten Netz widerstreitender Begierden verfangen hatte.
Über allem erklang wie ein vorherrschender Akkord ihr fester Glaube, daß Mord in einer so dezimierten Welt die schwerste Sünde war, und ihr Herz sagte ihr deutlich und bestimmt, daß der Tod Randall Flaggs Geschäft war. Aber oh, wie sehnte sie sich nach seinem kalten Kuß – viel mehr als nach den Küssen des Jungen von der High School oder des Jungen vom College... mehr sogar, fürchtete sie, als nach Larry Underwoods Küssen und Umarmungen.
Morgen werden wir in Boulder sein, dachte sie. Vielleicht werde ich dann wissen, ob die Reise zu Ende ist oder...
Eine Sternschnuppe zog ihre Feuerspur am Himmel, und wie ein kleines Kind wünschte sie sich etwas.
50
Die Dämmerung kam und malte den östlichen Himmel in zarten Rosatönen. Stu Redman und Glen Bateman hatten den Flagstaff Mountain in West Boulder, wo die ersten Vorgebirge der Rockies sich wie eine Vision der Vorgeschichte aus der Ebene erheben, halb erklommen. Im Licht der Dämmerung fand Stu, daß die Pinien, welche zwischen den nackten und fast lotrechten Felswänden wuchsen, wie die Adern einer Riesenhand aussahen, die aus der Erde herausgriff. Irgendwo im Osten versank Nadine Cross endlich in einen leichten, unbefriedigenden Schlaf.
»Ich werde heute nachmittag Kopfschmerzen bekommen«, sagte Glen. »Ich glaube, ich habe seit dem College keine ganze Nacht mehr durchgetrunken.«
»Der Sonnenaufgang ist es wert«, sagte Stu.
»Das stimmt. Wunderschön. Warst du vorher schon einmal in den Rockies?«
»Nee«, sagte Stu. »Aber ich bin froh, daß ich hergekommen bin.« Er hob den Weinkrug hoch und trank einen Schluck. »Ich hab' selbst ordentlich einen in der Krone.« Er betrachtete den Ausblick ein paar Augenblicke stumm, dann drehte er sich mit einem schiefen Eächeln zu Glen um. »Was wird jetzt passieren?«
»Passieren?« Glen zog die Brauen hoch.
»Klar. Darum bin ich hier raufgekommen. Ich hab' zu Frannie gesagt:
>Ich mach' ihn betrunken, und dann werde ich ihn aushorchen.< Prima, hat sie gesagt. «
Glen grinste. »Auf dem Grund einer Weinflasche sind keine Teeblätter.«
»Nein, aber sie hat mir erklärt, was genau du eigentlich gemacht hast. Soziologie. Die Lehre von Gruppenwechselwirkungen. Also stell ein paar wohlbegründete Vermutungen an.«
»Mach ein silbernes Kreuz auf meine Handfläche, o Aspirant des Wissens.«
»Vergiß das Silber, Kahlkopf. Ich geh' morgen mit dir zur First National Bank von Boulder und geb' dir eine Million Dollar. Wie ist das?«
»Im Ernst, Stu – was willst du wissen?«
»Ich denke, dasselbe, was auch dieser Stumme Nick Andros wissen will. Was wird als nächstes passieren? Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll.«
»Es wird sich eine Gesellschaft bilden«, sagte Glen langsam.
»Welcher Art? Das kann man jetzt unmöglich sagen. Es sind jetzt fast vierhundert Menschen hier. Wie sie momentan eintreffen – jeden Tag mehr -, schätze ich, daß wir am ersten September fünfzehnhundert sein werden. Viereinhalbtausend am ersten Oktober und möglicherweise achttausend, bis im November der Schnee fällt und die Straßen unpassierbar werden. Schreib das als Vorhersage Nummer eins auf.«
Zu Glens Belustigung brachte Stu tatsächlich ein Notizbuch aus der Gesäßtasche seiner Jeans zum Vorschein und schrieb auf, was er gerade gesagt hatte.
»Kann ich kaum glauben«, sagte Stu. »Wir sind durch das ganze Land gereist und haben alles in allem keine hundert Menschen gesehen.«
»Ja, aber es kommen doch ständig welche, nicht?«
»Ja... in Grüppchen und Stüppchen.«
»In was?« fragte Glen grinsend.
»Grüppchen und Stüppchen. Hat meine Mutter immer gesagt. Verscheißerst du die Ausdrücke meiner Mutter?«
»Der Tag wird niemals kommen, an dem ich genügend Respekt vor meiner eigenen Haut verliere, daß ich eine texanische Mutter verscheißere, Stuart.«
»Nur, sie kommen, das stimmt. Ralph hat momentan Kontakt mit fünf oder sechs Gruppen, die unsere Zahl bis Ende der Woche auf fünfhundert bringen.«
Glen lächelte wieder. »Ja, und Mutter Abagail sitzt bei ihm in seiner >Funkzentrale<, weigert sich aber, über CB zu sprechen. Sagt sie hat Angst, sie könnte einen Stromschlag bekommen.«
»Frannie vergöttert die alte Frau«, sagte Stu. »Teilweise, weil sie soviel darüber weiß, wie man Kinder entbindet, aber teilweise auch nur... weil sie sie eben gern hat. Klar?«
»Ja. Fast alle denken genauso.«
»Achttausend Menschen im Winter«, sagte Stu und kam wieder zum ursprünglichen Thema zurück. »Mann o Mann.«
»Simple Arithmetik. Sagen wir, die Grippe hat neunundneunzig Prozent der Bevölkerung ausgelöscht. Vielleicht war es nicht so schlimm, aber gehen wir von dieser Zahl als Grundlage aus. Wenn die Grippe in neunundneunzig Prozent der Fälle tödlich war, so bedeutet das, sie hat fast zweihundertachtzehn Millionen Menschen umgebracht – allein in diesem Land.« Er sah Stus schockiertes Gesicht und nickte grimmig. »Vielleicht war es nicht so schlimm, aber wir können gut und gerne davon ausgehen, daß diese Zahl hinkommt. Dagegen wirken die Nazis wie Stümper, was?«
»Mein Gott«, sagte Stu mit trockener Stimme.
»Aber dann blieben immer noch über zwei Millionen Menschen übrig, ein Fünftel der Bevölkerung Tokios vor der Seuche, ein Viertel der Bevölkerung New Yorks vor der Seuche. Und das allein in diesem Land. Ich glaube allerdings, daß etwa zehn Prozent dieser zwei Millionen die Nachwirkungen der Grippe nicht überlebt haben. Leute, die dem Schock danach zum Opfer gefallen sind. Leute wie der arme Mark Braddock mit seinem geplatzten Blinddarm, aber auch Unfallopfer, Selbstmorde und auch Morde. Das bringt uns auf 1,8 Millionen. Aber wir vermuten ja, daß wir einen Gegenspieler haben, nicht wahr? Den dunklen Mann, von dem wir geträumt haben. Irgendwo westlich von uns. Da drüben liegen sieben Staaten, die legitim als sein Territorium bezeichnet werden könnten... wenner wirklich existiert.«
»Ich glaube schon, daß er existiert«, sagte Stu.
»Das Gefühl habe ich auch. Aber hat er einfach die Macht über alle Leute da drüben? Das glaube ich nicht, ebensowenig wie Mutter Abagail automatisch Macht über die Leute in den anderen einundvierzig Staaten von Kontinentalamerika hat. Ich glaube, momentan ist alles noch fließend, aber dieser Zustand geht dem Ende entgegen. Die Leute schließen sich zusammen. Als du und ich uns damals in New Hampshire darüber unterhalten haben, hatte ich mir Dutzende kleiner Gesellschaften vorgestellt. Was ich nicht einberechnet hatte – weil ich nicht davon wußte -, war die fast unwiderstehliche Wirkung dieser beiden gegensätzlichen Träume. Das war eine neue Tatsache, die niemand vorhersehen konnte.«
»Willst du damit sagen, daß wir am Ende neunhunderttausend Leute haben werden und eram Ende neunhunderttausend Leute haben wird?«
»Nein. Erstens wird der kommende Winter seine Opfer fordern. Er wird sie hier fordern, aber noch schlimmer wird es für die kleinen Gruppen, die es nicht bis hierher schaffen, bevor der Schnee einsetzt. Hast du daran gedacht, daß wir in der Freien Zone nicht einmal einen Arzt haben? Unser medizinisches Personal besteht aus einem Tierarzt und Mutter Abagail, die mehr Naturheilkunde vergessen hat, als du oder ich je lernen werden. Dennoch würden sie dumm dastehen, wenn sie eine Stahlplatte in deinen Schädel einsetzen müßten, nachdem du gestürzt bist und dir den Hinterkopf aufgeschlagen hast, meinst du nicht auch?«
Stu kicherte. »Der olle Rolf Dannemont würde wahrscheinlich seine Remington holen und mir ein Loch verpassen, durch das Tageslicht scheint.«
»Ich schätze, die Gesamtzahl der amerikanischen Bevölkerung dürfte sich bis nächstes Frühjahr auf 1,6 Millionen reduziert haben – und das ist eine optimistische Schätzung. Ich hoffe, daß wir davon eine Million bekommen.«
»Eine Million Menschen«, sagte Stu ehrfürchtig. Er sah über die ausgedehnte, größtenteils verlassene Stadt Boulder, die heller wurde, während die Sonne sich über den flachen östlichen Horizont erhob. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Stadt würde aus den Nähten platzen.«
»Boulder könnte sie nicht fassen. Ich weiß, man dreht durch, wenn man durch die verlassenen Straßen Richtung Table Mesa geht, aber es ist unmöglich. Wir müßten die Gemeinden ringsum besiedeln. Man hätte die Situation einer riesigen Gemeinschaft hier, während der Rest des Landes östlich von hier völlig verlassen wäre.«
»Warum meinst du, daß wir die Mehrzahl bekommen?«
»Aus einem sehr unwissenschaftlichen Grund«, sagte Glen und zauste sich mit einer Hand seine Tonsur. »Ich möchte glauben, dass die meisten Menschen gut sind. Und ich glaube, daß der Mann, der im Westen den Laden schmeißt, wahrhaftig böse ist. Und ich habe so eine Ahnung...« Er verstummte.
»Los, spuck's aus.«
»Werd' ich, weil ich betrunken bin. Aber es bleibt unter uns, Stuart.«
»Gut.«
»Dein Wort?«
»Mein Wort«, sagte Stu.
»Ich glaube, er wird die meisten Techniker bekommen«, sagte Glen schließlich. »Frag mich nicht, warum; es ist nur eine Ahnung. Techniker arbeiten größtenteils gern in einer Atmosphäre strenger Disziplin und fest abgesteckter Ziele. Sie haben es gern, wenn die Züge pünktlich sind. Wir haben hier in Boulder ein riesiges Durcheinander, alle wursteln vor sich hin und ziehen ihre eigene Sache durch... und wir müssen etwas unternehmen, um alles auf die Reihe zu bekommen, wie meine Studenten gesagt hätten. Aber dieser andere Bursche... Ich wette, bei ihmsind die Züge pünktlich, und alle stehen in Reih und Glied. Und Techniker sind Menschen wie du und ich, sie gehen dorthin, wo sie am meisten gebraucht werden. Ich habe den Verdacht, daß unser Gegenspieler so viele haben will, wie er bekommen kann. Zum Teufel mit den Farmern, lieber will er ein paar Männer, die in Idaho die Raketensilos abstauben und wieder funktionsfähig machen können. Ebenso Panzer und Hubschrauber und vielleicht einen oder zwei B52-Bomber, nur so zum Spaß. Ich bezweifle, ob er schon soweit ist – nein, ich bin sicher, daß nicht. Wir wüßten es. Im Augenblick konzentriert er sich wahrscheinlich noch darauf, den Strom anzuschalten und die Nachrichtenverbindungen wiederherzustellen... vielleicht hat er sogar ein paar Zweifler ausmerzen können. Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden, das weiß er. Er hat Zeit. Aber wenn ich abends die Sonne untergehen sehe – das ist mein Ernst, Stuart, habe ich Angst. Ich brauche keine Alpträume mehr, um Angst zu haben. Ich muß nur an die Leute auf der anderen Seite der Rockies denken, die fleißig wie die Bienen sind.«
»Was sollen wir tun?«
»Soll ich dir eine Liste geben?« erwiderte Glen grinsend. Stuart deutete auf das zerfledderte Notizbuch. Auf dem grellrosa Umschlag waten die Silhouetten zweier Tänzer und die Worte BOOGIE DOWN! zu sehen. »Ja«, sagte er.
»Du machst Witze.«
»Im Gegenteil. Du hast selbst gesagt, Glen, wir müssen alles in den Griff bekommen. Mit jedem Tag verlieren wir mehr Zeit. Wir können nicht einfach hier herumsitzen, die Hände in den Schoß legen und CB-Funk hören. Sonst wachen wir eines Morgens auf und stellen fest, daß dieser Verbrecher an der Spitze einer bewaffneten Streitmacht in Boulder einrückt – mit Luftunterstützung. «
»Aber doch nicht gleich morgen«, sagte Glen.
»Nein. Aber wie ist es nächsten Mai?«
»Möglich«, sagte Glen. »Ja, durchaus möglich.«
»Und was glaubst du, wird dann aus uns?«
Glen antwortete nicht mit Worten. Er machte mit dem Zeigefinger der rechten Hand eine vielsagende Geste, als würde er eine Pistole abdrücken, und trank hastig den Rest Wein aus.
»Ja«, sagte Stu. »Deshalb sollten wir es allmählich auf die Reihe bekommen.«
Glen machte die Augen zu. Die aufgehende Sonne schien auf seine faltigen Wangen und Stirn.
»Okay«, sagte er. »Hör zu, Stu. Erstens. Amerika neu erschaffen.
Klein-Amerika. Mit fairen und unfairen Mitteln. Zuerst kommen Organisation und Regierung. Wenn wir jetzt anfangen, können wir die Regierung bilden, die wir wollen. Wenn wir warten, bis sich die Bevölkerung verdreifacht hat, bekommen wir ernste Probleme. Sagen wir, wir berufen für heute in einer Woche eine Versammlung ein, das wäre am achtzehnten August. Jeder muß teilnehmen. Vor der Versammlung sollte ein Ad-hoc-Organisationskomitee gebildet werden. Ein Komitee mit, sagen wir mal, sieben Leuten. Du, ich, Andros, Fran, Harold Lauder vielleicht, und ein paar andere. Die Aufgabe des Komitees wäre es, die Tagesordnung für die Versammlung am achtzehnten August zusammenzustellen. Und ich könnte dir schon jetzt ein paar Punkte sagen, die diese Tagesordnung enthalten sollte.«
»Schieß los.«
»Erstens, Verlesung und Ratifizierung der Unabhängigkeitserklärung. Zweitens der Verfassung. Drittens Erklärung der Menschenrechte. Alle Ratifikationen durch mündliche Abstimmung.«
»Herrgott, Glen, wir sind doch alle Amerikaner.«
»Nein, genau da irrst du dich«, sagte Glen und machte die Augen auf. Sie waren blutunterlaufen und lagen tief in den Höhlen. »Wir sind eine Bande Überlebende ohne Regierung. Ein zusammengewürfelter Haufen aus jeder Altersgruppe, Religionszugehörigkeit, Gesellschaftsschicht und Rasse. Regierung ist eine Vorstellung, Stu, mehr nicht, wenn man die Bürokratie und den ganzen Mist wegläßt. Ich gehe sogar noch weiter. Sie ist eine Einprägung, nichts weiter als ein durchs Gehirn getretener Erinnerungspfad. Momentan arbeitet der Kulturschock für uns. Die meisten Menschen hier glauben noch an die Regierung mittels gewählter Vertreter – die Republik -, das, was sie als >Demokratie< ansehen. Aber der Kulturschock dauert nie lange. Nach einer Weile kommen die Einsichten: der Präsident ist tot, das Pentagon steht leer, im Repräsentantenhaus und im Senat debattiert niemand außer vielleicht Termiten und Küchenschaben. Unsere Leute werden einsehen, daß die alte Lebensweise dahin ist und sie die Gesellschaft neu erschaffen können, wie sie sie wollen. Wir sollten – wir müssen– sie überrumpeln, bevor sie aufwachen und etwas Dummes anstellen.«
Er deutete mit dem Finger auf Stu.
»Wenn jemand am achtzehnten August in der Versammlung aufstehen und vorschlagen würde, Mutter Abagail zur uneingeschränkten Anführerin zu wählen, mit dir und mir und diesem Andres als Beratern, würden die Leute ihrer Ernennung durch Zuruf zustimmen und nicht einmal wissen, daß sie damit die erste funktionierende Diktatur in Amerika seit Huey Long an die Macht gebracht haben.«
»Oh, das kann ich nicht glauben. Wir haben Universitätsstudenten hier, Rechtsanwälte, politische Aktivisten...«
»Das waren sie vielleicht. Jetzt sind sie nur ein Haufen müder, verängstigter Leute, die nicht wissen, was aus ihnen werden soll. Einige würden vielleicht motzen, aber sie würden die Klappe halten, wenn ihnen jemand erzählt, daß Mutter Abagail und ihre Berater binnen sechzig Tagen für Strom sorgen. Nein, Stu, es ist sehr wichtig, daß wir den Geistder alten Gesellschaft schnellstmöglich wieder festschreiben. Das habe ich mit >Amerika neu erschaffen< gemeint. Und es muß so geschehen, solange wir unter der direkten Bedrohung durch den Mann operieren, den wir den Gegenspieler nennen.«
»Weiter.«
»Na gut. Der nächste Punkt der Tagesordnung wäre, daß wir die Regierung organisieren wie eine Stadt in Neuengland. Vollkommene Demokratie. Solange wir relativ wenige sind, wird das prima funktionieren. Nur, statt eines Stadtverordnetenrats haben wir sieben... Repräsentanten, denke ich. Repräsentanten der Freien Zone. Wie hört sich das an?«
»Hört sich gut an.«
»Finde ich auch. Und wir werden dafür sorgen, daß die Leute, die gewählt werden, dieselben sind, die auch dem Ad-hoc-Komitee angehören. Wir werden so schnell wählen lassen, daß die Leute keine Zeit haben, sich mit ihren Freunden zu besprechen. Wir können uns die Leute aussuchen, die uns nominieren und dann unterstützen. Die Abstimmung wird so reibungslos ablaufen wie Scheiße durchs Toilettenrohr.«
»Toll«, sagte Stu bewundernd.
»Klar«, sagte Glen. »Wenn du den demokratischen Prozess kurzschließen willst, frag einen Soziologen.«
»Was dann?«
»Das dürfte sehr populär werden. Der nächste Punkt der Tagesordnung würde lauten: Beschlußfassung: Mutter Abagail wird das absolute Vetorecht gegen jede von den Repräsentanten vorgeschlagene Handlung eingeräumt.«
»Mein Gott! Wird sie damit einverstanden sein?«
»Ich glaube ja. Ich kann mir allerdings keine Situation vorstellen, in der sie dieses Vetorecht je ausüben würde. Wir dürfen nicht erwarten, hier eine handlungsfähige Regierung zu bekommen, wenn wir sie nicht zum nominellen Staatsoberhaupt machen. Sie ist unsere Gemeinsamkeit. Wir haben alle paranormale Erlebnisse gehabt, die sich um sie drehen. Und sie hat... eine gewisse Aura. Die Leute benutzen alle dieselben Adjektive, wenn sie sie beschreiben: gut, freundlich, alt, weise, schlau, nett. Diese Leute haben einen Traum gehabt, der ihnen eine Heidenangst gemacht hat, und einen anderen, bei dem sie sich sicher und geborgen fühlten. Sie lieben die Quelle des guten Traumes und vertrauen ihr um so mehr wegen des Traums, der ihnen Angst gemacht hat. Und wir können ihr klarmachen, daß sie nur nominell unsere Anführerin ist. Ich glaube, das ist ihr auch lieber. Sie ist alt, müde...«
Stu schüttelte den Kopf. »Sie ist alt und müde, aber sie sieht das Problem des dunklen Mannes als religiösen Kreuzzug, Glen. Und sie ist nicht die einzige. Das weißt du.«
»Du meinst, sie könnte sich entschließen, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen?«
»Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht«, meinte Stu. »Schließlich haben wir von ihrgeträumt, nicht von einem Repräsentantenrat.«
Glen schüttelte den Kopf. »Nein, ich kann den Gedanken nicht akzeptieren, daß wir alle Figuren in einem post-apokalyptischen Spiel zwischen Gut und Böse sind, Träume hin, Träume her. Verdammt, das ist irrational!«
Stu zuckte die Achseln. »Gut, darauf müssen wir jetzt nicht eingehen. Ich finde deine Idee gut, ihr ein Vetorecht einzuräumen. Ich finde sogar, daß das nicht weit genug geht. Wir sollten ihr auch ein Vorschlagsrecht einräumen.«
»Auf der Seite dürfte sie aber keine absolute Gewalt haben«, sagte Glen schnell.
»Nein, ihre Vorschläge müßten vom Repräsentantenrat ratifiziert werden«, sagte Stu und fügte dann listig hinzu: »Aber am Ende sind wir vielleicht ihre ausführenden Organe, statt umgekehrt.«
Ein längeres Schweigen folgte. Glen stützte die Stirn auf eine Hand. Schließlich sagte er: »Du hast recht. Sie kann nicht nur eine Galionsfigur sein... wir müssen mindestens damit rechnen, daß sie eigene Vorstellungen haben könnte. Und hier muß ich meine umwölkte Kristallkugel einpacken, Mann aus Ost-Texas. Denn sie ist das, was wir Freunde von der soziologischen Fakultät >fremdbestimmt< nennen.«
»Wer ist dieser >Fremde«
»Gott? Thor? Allah? Peewee Herman? Spielt keine Rolle. Es bedeutet, daß ihre Absichten sich nicht notwendigerweise an den Bedürfnissen der Gesellschaft oder deren Moral orientieren. Sie wird auf eine andere Stimme hören. Wie die Jungfrau von Orleans. Du hast mich darauf gebracht, daß wir hier am Ende noch eine Theokratie bekommen.«
»Theo-was?«
»Einen Gottes-Trip«, sagte Glen. Er schien nicht sehr glücklich darüber zu sein. »Als du ein kleiner Junge warst, Stu, hast du da jemals auch nur im Traum daran gedacht, daß du eines Tages einer von sieben Hohepriestern oder -priesterinnen einer hundertacht Jahre alten schwarzen Frau aus Nebraska sein würdest?«
Stu starrte ihn an. Schließlich sagte er: »Haben wir noch Wein?«
»Alles weg.«
»Scheiße.«
»Ja«, sagte Glen. Sie sahen einander schweigend ins Gesicht und fingen plötzlich laut an zu lachen.
Es war bestimmt das schönste Haus, in dem Mutter Abagail je gewohnt hatte, und hier auf dieser verglasten Veranda zu sitzen rief ihr den Handelsvertreter wieder ins Gedächtnis, der 1936 oder 1937 bei ihr in Hemingford an der Tür geklingelt hatte. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie jemanden getroffen, der so schön reden konnte; er hätte die Vögel von den Bäumen herunterlocken können. Sie hatte diesen jungen Mann, Mr. Donald King mit Namen, gefragt, was denn sein Geschäft war und was er von Abby Freemantle wollte, und er hatte geantwortet: »Mein Geschäft, Ma'am, ist Vergnügen. Ihr Vergnügen. Lesen Sie gern? Hören Sie vielleicht gern Radio? Oder stellen vielleicht nur Ihre müden Füße auf das Kissen und lauschen der Welt, wie sie die riesige Bowlingbahn des Universums hinabrollt?«
Sie hatte zugegeben, daß ihr das alles gefiel, aber sie hatte nicht zugegeben, daß sie vor einem Monat das Motorola verkauft hatte, um neunzig Ballen Heu zu bezahlen.
»Nun, das alles verkaufe ich«, hatte der Schönschwätzer zu ihr gesagt. »Man könnte es einen Electrolux-Staubsauger mit allem Zubehör nennen, aber in Wirklichkeit ist es Freizeit. Sie müssen nur den Stecker in die Steckdose stecken, und es eröffnen sich Ihnen ungeahnte Möglichkeiten der Entspannung. Und die Ratenzahlungen sind genauso leicht, wie es Ihre Hausarbeit in Zukunft sein wird.«
Damals hatten sie tief in der Depression gesteckt, und sie hatte an den Geburtstagen der Enkelinnen nicht einmal zwanzig Cent für Haarschleifen aufbringen können, und den Electrolux konnte sie sich schon gar nicht leisten. Aber hatte dieser Mr. Donald King aus Peru, Indiana, nicht schön geredet? Herrje! Sie hatte ihn nie wiedergesehen, aber sie hatte seinen Namen auch nie vergessen. Sie hätte wetten mögen, daß er weitergezogen war, um einer weißen Dame das Herz zu brechen. Einen Staubsauger bekam sie erst, als der Nazi-Krieg zu Ende war und es schien, als könne sich jeder plötzlich alles leisten, und sogar das arme weiße Gesindel einen Mercury im Schuppen stehen hatte.
Dieses Haus, das, hatte Nick ihr gesagt, in Boulders Stadtteil Mapleton Hill lag (Mutter Abagail glaubte nicht, daß vor Ausbruch der Seuche viele Schwarze hier oben gelebt hatten), besaß alle Geräte, von denen sie je gehört, und auch ein paar, von denen sie noch nie gehört hatte. Geschirrspüler. Zwei Staubsauger, einen nur für den ersten Stock. Müllschlucker in der Spüle. Mikrowellenherd. Waschmaschine und Trockner. In der Küche war ein Gerät, das wie ein Stahlkasten aussah, und Nicks guter Freund Ralph Brentner hatte ihr gesagt, das war eine »Müllpresse«, in die konnte man hundert Pfund Küchenabfall werfen, und unten kam ein kleiner Block Müll heraus, so groß wie ein Fußschemel. Die Wunder hörten niemals auf.
Aber wenn man es genau bedachte, einige doch.
Als sie so schaukelnd auf der Veranda saß, fiel ihr Blick auf eine in den Sockel eingelassene Steckdosenleiste. Wahrscheinlich, damit die Leute im Sommer hier draußen sitzen und Radio hören oder sogar Baseball in einem kleinen tragbaren Fernseher sehen konnten. Im ganzen Land gab es nichts Normaleres als diese kleinen Wandleisten mit den Anschlüssen. Sie hatte sogar in ihrem Abort in Hemingford welche gehabt. Man verschwendete überhaupt keinen Gedanken daran... es sei denn, sie funktionierten nicht mehr. Dann wurde einem klar, daß ein Großteil des Lebens aus ihnen kam. Die ganze Freizeit, das Vergnügen, welches ihr der längst vergangene Don King versprochen hatte... das kam aus diesen Steckdosen in der Wand. Wenn kein Strom mehr da war, konnte man die kleinen Dinger gut und gerne wie die ganzen Geräte wie Mikrowelle und »Müllpresse« nehmen und als Kleiderständer benützen.
O ja! Ihr eigenes kleines Haus war besser ausgerüstet gewesen, mit dem Tod der kleinen Steckdosen fertig zu werden, als dieses hier. Hier mußte ihr jemand das Wasser vo m Boulder Creek hertragen, und es mußte abgekocht werden, bevor man es benützen konnte, aus Sicherheitsgründen. Daheim hatte sie ihre Handpumpe gehabt. Hier hatten Nick und Ralph eine häßliche chemische Port-O-SanToilette antransportieren müssen; sie hatten sie im Garten aufgestellt. Daheim hatte sie ihren Abort gehabt. Sie hätte die Waschmaschinen/Trockner-Kombination von Maytag ohne zu zögern gegen ihren Waschzuber getauscht; daher hatte sie Nick gebeten, ihr einen zu suchen, und Brad Kitchner hatte ihr irgendwo ein Waschbrett und etwas gute alte Kernseife besorgt. Wahrscheinlich dachten sie, daß sie eine alte Nervensäge war, weil sie selbst Wäsche waschen wollte – und dann noch so viel -, aber sauber war gleichbedeutend mit göttlich, und sie hatte die Wäsche in ihrem ganzen Leben nicht weggegeben und wollte jetzt erst gar nicht damit anfangen. Sie hatte von Zeit zu Zeit ihre kleinen Unfälle, wie das bei alten Leuten häufig vorkam, aber solange sie die Wäsche noch selbst wusch, ging das außer ihr selbst keinen etwas an.
Sie würden den Strom natürlich wieder einschalten. Das hatte Gott ihr auch in einem Traum gezeigt. Sie wußte eine ganze Menge darüber, was hier geschehen würde; manches aus Träumen, manches durch gesunden Menschenverstand. Beide waren aber so eng miteinander verflochten, daß sie sie nicht unterscheiden konnte.