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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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Hm-hmm, Kumpel. Werd' ich's dann doch lieber aussitzen. Bin ich eben feige, na und. Ätsch-ätsch-ätsch.

Er ging zu der Stelle zurück, wo das Zelt aufgebaut war, und schlug die Klappe zurück. Er suchte einen langen Stock. Dann holte er einmal tief frische Luft, hielt den Atem an und fischte seine Kleidung mit dem Stock heraus. Wich damit zurück, zog sie an. Holte noch einmal tief Luft, hielt den Atem an und fischte mit dem Stock seine Stiefel heraus. Er setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und zog auch sie an.

Der Geruch saß in seiner Kleidung.

»Scheiße«, flüsterte er.

Er sah sie halb im Schlafsack, die steife Hand, die noch die Tablettenflasche hielt, die nicht mehr da war. Ihre halbgeöffneten Augen schienen ihn vorwurfsvoll anzusehen. Er mußte wieder an den Tunnel und seine Vision von dem wandelnden Toten denken. Er nahm rasch den Stock und machte die Zeltklappe zu. Aber er hatte immer noch ihren Geruch an sich.

Also machte er doch noch Halt in Bennington, zog in Bennington's Men Shop seine alte Kleidung aus und holte sich neue, dreimal Sachen zum Wechseln, vier Paar Socken und Shorts. Er fand sogar ein neues Paar Stiefel. Als er sich im dreiteiligen Spiegel betrachtete, sah er hinter sich den leeren Laden und draußen die Harley, die aufdringlich am Bordstein lehnte.

»Scharfe Sachen«, murmelte er. »Geil, geil.« Aber es war niemand da, der seinen Geschmack bewundern konnte.

Er verließ den Laden und ließ die Harley an. Er sollte eigentlich beim Eisenwarengeschäft anhalten, dachte er, und nachsehen, ob sie ein Zelt und einen neuen Schlafsack hatten, aber er wollte nur fort von Bennington. Er würde anderswo anhalten.

Er blickte zu der Stelle zurück, wo das Land sanft anstieg, und sah, während er mit der Harley aus dem Ort fuhr, den Zwölf-Meilen-Punkt, aber nicht, wo sie das Zelt aufgeschlagen hatten. Das war auch am besten so, es war...

Larry sah wieder auf die Straße, und Entsetzen schoß ihm den Hals hinunter. Ein International-Harvester-Kleintransporter mit Pferdeanhänger hatte einem Auto ausweichen wollen, dabei war der Pferdeanhänger umgestürzt. Er hatte nicht aufgepaßt, und jetzt fuhr er mit der Harley direkt darauf zu.

Er riß die Maschine nach rechts, sein neuer Stiefel schleifte über die Straße, und er hatte es fast geschafft, aber die linke Fußraste verhakte sich an der hinteren Stoßstange des Hängers und riß das Motorrad unter ihm weg. Larry landete mit einem Aufprall, der jeden Knochen erschütterte, auf der Standspur. Die Harley tuckerte noch eine Weile und ging dann aus.

»Alles in Ordnung?« fragte er laut. Gott sei Dank war er nur etwa zwanzig gefahren. Gott sei Dank war Rita nicht bei ihm, sie wäre vor Hysterie wieder ausgerastet. Allerdings hätte er auch nicht dort hoch gesehen, wenn Rita bei ihm gewesen wäre, er hätte ADWG – »auf den Weg geachtet«, für die Abkürzungsfetischisten unter euch.

»Alles in Ordnung«, beantwortete er seine Frage, war aber nicht ganz sicher. Er richtete sich auf. Die Stille wurde ihm wieder bewußt; es war so still, daß man verrückt werden konnte, wenn man darüber nachdachte. Selbst Ritas Geschrei wäre in diesem Augenblick eine Wohltat gewesen. Plötzlich schienen überall Sterne hell aufzublitzen, und er glaubte voll Entsetzen, daß er das Bewußtsein verlieren würde.

Er dachte: Ich bin verletzt. In einer Minute, wenn der Schock abgeklungen ist, werde ich es spüren. Ich habe schlimme Schnittwunden, oder so, und wer soll mir einen Druckverband anlegen?

Aber als der Schwächeanfall vorbei war, sah er an sich hinab und stellte fest, daß ihm doch nichts weiter passiert war. Er hatte sich beide Hände aufgerissen, und seine neue Hose war am rechten Knie zerfetzt – auch das Knie war aufgeschlagen -, aber es waren alles nur Kratzer, und was war schon dabei, verdammt, jeder schmeißt mal sein Motorrad hin, irgendwann passiert das jedem. Aber er wußte genau, was los war. Er hätte mit dem Kopf unglücklich aufschlagen und sich den Schädel brechen können, und dann hätte er hier in der heißen Sonne gelegen, bis er gestorben wäre. Oder er hätte an seiner eigenen Kotze ersticken können, wie eine gewisse, inzwischen leider verschiedene Freundin von ihm.

Er ging zitternd zur Harley hinüber und richtete sie auf. Sie schien nicht weiter beschädigt zu sein, sah aber jetzt anders aus. Vorher war sie nur eine Maschine gewesen, eine sehr schöne Maschine, die den doppelten Zweck erfüllte, daß sie ihn beförderte und er sich gleichzeitig wie James Dean oder wie Jack Nicholson in Hell's Angels on Wheelsfühlen konnte. Aber jetzt schien das Chrom ihn anzugrinsen wie ein Jahrmarktsschreier, der ihn aufzufordern schien, doch raufzukommen und zu zeigen, ob er Manns genug war, das Monster mit den zwei Rädern zu reiten.

Beim dritten Versuch sprang sie an, und er fuhr im Schrittempo aus Bennington hinaus. Er trug Ringe aus kaltem Schweiß an den Armen, und nie in seinem ganzen Leben hatte er sich so sehnlich wie in diesem Augenblick gewünscht, ein menschliches Gesicht zu sehen.

Aber an diesem Tag sah er keins mehr.



Am Nachmittag fuhr er etwas schneller, brachte es aber nicht über sich, das Gas weiter aufzudrehen, sobald die Tachonadel bei zwanzig Meilen stand, nicht einmal, wenn er sehen konnte, daß die Straße vor ihm frei war. Am Stadtrand von Wilmington fand er ein Sport– und Motorradgeschäft, hielt an und holte sich dicke Handschuhe und einen Helm, aber nicht einmal damit fuhr er schneller als fünfundzwanzig. An unübersichtlichen Kurven bremste er so stark ab, daß er die große Maschine praktisch schob. Er sah förmlich vor Augen, wie er bewußtlos am Straßenrand lag und verblutete.

Um fünf Uhr näherte er sich Brattleboro, und die Temperaturanzeige der Harley leuchtete rot auf. Larry hielt an und würgte sie mit gemischten Gefühlen von Erleichterung und Verdrossenheit ab.

»Hättest auch schieben können«, sagte er. »Sie ist für sechzig Stundenmeilen gedacht, Dummkopf!«

Er ließ sie stehen und ging zu Fuß in die Stadt, ohne zu wissen, ob er sie wieder holen würde.

In dieser Nacht schlief er unter dem Dach des Musikpavillons im öffentlichen Stadtpark von Brattleboro. Er legte sich hin, sobald es dunkel geworden war, und schlief fast auf der Stelle ein. Einige Zeit später weckte ihn ein Geräusch, und er schrak hoch. Er sah auf die Uhr. Die dünnen Radiumlinien auf dem Zifferblatt zeigten 11:20 Uhr. Er stützte sich auf einen Ellbogen und sah in die Dunkelheit, spürte den riesigen Musikpavillon ringsum und vermißte das kleine Zelt, das seine Körperwärme festgehalten hatte. Warm wie in einem hübschen kleinen Mutterleib aus Segeltuch.

Falls da ein Geräusch gewesen war, war es jetzt nicht mehr da; sogar die Grillen waren verstummt. War das richtig? Konnte es richtig sein?

»Ist jemand da?« rief Larry, und seine eigene Stimme machte ihm angst. Er griff nach der doppelläufigen 30er und konnte sie einen panischen Augenblick, der sich in die Länge zog, nicht finden. Als er sie hatte, betätigte er, ohne nachzudenken, den Abzug, wie ein im Meer Ertrinkender den Rettungsring drückt, den man ihm zuwirft. Wäre das Gewehr nicht gesichert gewesen, hätte er es abgefeuert. Wahrscheinlich gegen sich selbst.

Etwas lauerte in der Stille. Vielleicht ein Mensch, vielleicht ein gefährliches Tier. Natürlich konnte auch ein Mensch gefährlich sein.

Ein Mensch wie der, der den Monster-Schreier mit zahllosen Stichen ermordet hatte, oder wie John Bearsford Tipton, der ihm für seine Frau eine Million in bar geboten hatte.

»Wer ist da?«

Er hatte eine Taschenlampe im Rucksack, aber um danach zu suchen, hätte er das Gewehr loslassen müssen, das er über den Schoß gezogen hatte. Außerdem... wollte er wirklich sehen, wer es war?

Und so saß er nur still da, wartete auf eine Bewegung oder eine Wiederholung des Geräuschs, das ihn geweckt hatte ( wares ein Geräusch gewesen oder hatte er es nur geträumt?), und nach einer Weile nickte ihm erst der Kopf nach unten, dann döste er ein. Plötzlich riß er ruckartig den Kopf hoch, machte die Augen weit auf und spürte, wie sein Fleisch gegen die Knochen zu schrumpeln schien. Jetzthatte er ein Geräusch gehört, und wenn die Nacht nicht bewölkt gewesen wäre, hätte der Mond, der beinahe voll war, ihm gezeigt...

Aber er wollte es nicht sehen. Nein, er wollte es ganz eindeutig nicht sehen. Dennoch beugte er sich nach vorne und lauschte mit geneigtem Kopf den Geräuschen staubiger Stiefelabsätze, die sich auf dem Gehweg der Main Street in Brattleboro, Vermont, in westlicher Richtung von ihm entfernten und immer leiser wurden, bis sie in der allgemeinen Geräuschkulisse untergingen.

Larry verspürte den plötzlichen, irren Impuls, aufzuspringen, den Schlafsack um die Knöchel hinunterrutschen zu lassen und zu schreien: Kommen Sie zurück, wer Sie auch sein mögen! Es ist mir gleich! Kommen Sie zurück!Aber er wollte eigentlich niemandem so einen Blankoscheck ausschreiben. Der Musikpavillon hätte seinen Ruf verstärkt – sein Flehen. Und was wäre, wenn die Stiefelschritte tatsächlichzurückkämen, in der Stille, in der nicht einmal Grillen zirpten, immer lauter würden?

Statt aufzustehen, legte er sich wieder hin und rollte sich in Embryonalhaltung zusammen, ohne die Flinte loszulassen. Heute nacht mache ich kein Auge mehr zu, dachte er, aber schon nach drei Minuten war er wieder eingeschlafen und ganz sicher, daß er alles nur geträumt hatte.

42

Während Larry Underwood am 4. Juli nur einen Staat weiter mit dem Motorrad stürzte, saß Stuart Redman auf einem großen Stein am Straßenrand und verzehrte sein Frühstück. Er hörte Motorenlärm, der näher kam. Stu trank seine Dose Bier in einem Zug leer und faltete die Rolle mit den Ritz Crackers sorgfältig oben zu. Sein Gewehr lehnte neben ihm an dem Stein. Er nahm es auf, entsicherte es und stellte es wieder hin, ein wenig näher zur Hand. Dem Geräusch nach waren es leichte Motorräder. Zweihundertfünfziger? Bei der Stille ließ sich unmöglich abschätzen, wie weit sie noch entfernt waren. Zehn Meilen vielleicht, aber nur vielleicht. Zeit genug, noch eine Kleinigkeit zu essen, aber er wollte nicht. Inzwischen genoß er den Sonnenschein und freute sich darauf, Menschen zu begegnen. Seit er Glen Batemans Haus in Woodville verlassen hatte, war ihm keine Menschenseele begegnet. Er betrachtete sein Gewehr. Er hatte es entsichert, weil die Neuankömmlinge vielleicht wie Eider waren. Er ließ das Gewehr an den Stein gelehnt, weil er hoffte, daß sie wie Bateman sein würden – vielleicht nicht so pessimistisch, was die Zukunft anbetraf. Die Gesellschaft wird erstehen, hatte Bateman gesagt. Beachten Sie, daß ich nicht »neu« erstehen gesagt habe. Das wäre nicht angemessen. Es gibt verdammt wenig Neues unter den Menschen.

Bateman selbst wollte nichts mit dem Wiederaufbau der Gesellschaft zu tun haben. Er schien durchaus zufrieden zu sein – jedenfalls vorläufig -, mit Kojak spazierenzugehen, seine Bilder zu malen, in seinem Garten herumzubasteln und über die soziologischen Folgen der beinahe völligen Ausrottung nachzudenken.

Wenn Sie wieder herkommen und Ihr Angebot erneuern, mich »einzureihen«, Stu, werde ich wahrscheinlich einwilligen. Das ist der Fluch der Menschheit. Der Herdentrieb. Christus hätte sagen sollen: »Ja, wahrlich, wenn zwei oder drei von euch beisammen sind, wird irgendein anderer Typ fürchterlich eins auf die Rübe kriegen.« Soll ich Ihnen sagen, was uns die Soziologie über die menschliche Rasse lehrt? Ich fasse mich kurz. Zeigen Sie mir einen einzelnen Mann oder eine Frau, und Sie werden einen Heiligen oder eine Heilige sehen. Zeigen Sie mir zwei Menschen, und sie werden sich ineinander verlieben. Geben Sie mir drei, und sie werden das bezaubernde Ding erfinden, das wir » Gesellschaft« nennen. Geben Sie mir vier, und sie werden eine Pyramide bauen. Geben Sie mir fünf, und sie werden einen zum Paria stempeln. Geben Sie mir sechs, und sie werden das Vorurteil neu erfinden. Geben Sie mir sieben, und in sieben Jahren erfinden sie den Krieg neu. Der Mensch mag nach Gottes Ebenbild erschaffen worden sein, die menschliche Gesellschaft aber ganz sicherlich nach dem Ebenbild seines Gegenspielers, und sie will immer wieder nach Hause. 

Stimmte das? Wenn es stimmte, dann mochte ihr Gott helfen. Stu hatte oft an alte Freunde und Bekannte gedacht. In der Erinnerung offenbarte sich eine gewisse Tendenz, ihre weniger liebenswerten Seiten herunterzuspielen oder ganz zu vergessen – Bill Hapscombs Angewohnheit, in der Nase zu bohren und den Popel an der Schuhsohle abzustreifen, Norm Bruetts übermäßige Strenge gegenüber seinen Kindern, Billy Vereckers unangenehme Methode, die Anzahl der Katzen in der Nähe seines Hauses dadurch zu reduzieren, daß er die dünnen Schädel der jungen Kätzchen mit den Absätzen seiner Range-Rider-Stiefel zertrat.

Man wollte nur gute Erinnerungen. Der Jagdausflug im Morgengrauen in gesteppten Jacken und orangeroten Day -GloWesten. Die Pokerabende bei Ralph Hodges und Willy Craddocks Gejammer, daß er schon vier Dollar im Einsatz habe, obwohl er schon zwanzig gewonnen hatte. Wie sie einmal mit sechs oder sieben Mann Tony Leominsters Scout wieder auf die Straße geschoben hatten, mit dem er stockbesoffen in den Graben gefahren war. Tony war herumgetorkelt und hatte bei Gott und allen Heiligen geschworen, er habe nur einem Trupp illegaler mexikanischer Einwanderer ausweichen wollen. Herrgott, hatten sie gelacht. Chris Ortegas unendlich reicher Schatz an Minderheiten-Witzen. Der Abend im Puff von Huntsville, als sich Joe Bob Brentwood Filzläuse geholt hatte und jedem erzählen wollte, er hätte sie vom Sofa unten in der Halle und nicht von dem Mädchen im ersten Stock. Das waren verdammt schöne Zeiten gewesen. Nicht was diese vornehmen Leute mit ihren Nachtklubs und ausgefallenen Restaurants und Museen schön nennen würden, vielleicht aber trotzdem schöne Zeiten. Er dachte an das alles, es ging ihm immer wieder durch den Kopf, so wie ein alter Einsiedler mit fettigen, abgegriffenen Karten eine Patience nach der anderen legt. Am meisten wollte er menschliche Stimmen hören, jemanden kennenlernen, sich zu ihm umdrehen können und sagen: Hast du das gesehen?, wenn so etwas geschah wie der Meteoritenschwarm, den er gestern nacht gesehen hatte. Er war kein redseliger Mensch, aber auch nicht gern allein, noch nie gewesen.

Er richtete sich ein wenig auf, als die Motorräder endlich um die Kurve gerauscht kamen, und sah, daß es zwei 250er Hondas waren, die von einem etwa achtzehnjährigen Jungen und einem hübschen Mädchen gefahren wurden, das wahrscheinlich etwas älter als der Junge war. Das Mädchen trug eine gelbe Bluse und hellblaue Levi's. Sie sahen ihn auf dem Stein sitzen, beide Hondas schlingerten ein wenig, als die Überraschung der Fahrer die Oberhand gewann. Der Junge klappte den Mund auf. Einen Augenblick war nicht sicher, ob sie anhalten oder einfach weiter nach Westen brausen würden. Stu hob eine Hand und rief mit freundlicher Stimme: »Hi!« Sein Herz schlug heftig in der Brust. Er wollte, daß sie anhielten. Sie hielten. Einen Moment wunderte er sich über die angespannte Haltung der beiden. Besonders der Junge sah aus, als wäre literweise Adrenalin in seinen Blutkreislauf geschüttet worden. Stu hatte natürlich sein Gewehr, aber er hielt es nicht in der Hand, und die beiden waren ebenfalls bewaffnet; er trug eine Pistole, und sie hatte eine kleine Jagdflinte umgehängt, wie eine Schauspielerin, die nicht sehr überzeugend Patty Hearst darzustellen versuchte.

»Ich glaube, es ist in Ordnung, Harold«, sagte das Mädchen, aber der Junge, den sie mit Harold angeredet hatte, blieb auf dem Motorrad sitzen und betrachtete Stu mit einer Mischung aus Überraschung und Feindseligkeit.

»Ich sagte, ich glaube...« fing sie wieder an.

»Woher wollen wir das wissen?« fauchte Harold, der sie nicht aus den Augen ließ.

»Nun, ich freue mich, Sie zu sehen, wenn Ihnen das hilft«, sagte Stu.

»Und wenn ich Ihnen das nicht glaube?« forderte Harold ihn heraus, und Stu sah, daß er grün vor Angst war. Angst vor ihm und seiner Verantwortung für das Mädchen.

»Dann weiß ich auch nicht.« Stu kletterte von seinem Stein hinunter. Harolds Hand fuhr zum Griff seiner Pistole.

»Harold, laß das«, sagte das Mädchen. Dann schwieg sie, und eine Weile schienen sie alle nicht recht zu wissen, wie es weitergehen sollte – eine Anordnung von drei Punkten, die, wenn man sie miteinander verband, ein Dreieck bilden würden, dessen genaue Form noch nicht abzusehen war.

»Ooooh«, sagte Frannie, als sie sich am Straßenrand auf ein moosbewachsenes Fleckchen unter einer Ulme niederließ. »Die Schwielen am Hintern werde ich nie wieder los, Harold.«

Harold grunzte mürrisch.

Sie wandte sich an Stu. »Sind Sie schon einmal hundertsiebzig Meilen auf einer Honda gefahren, Mr. Redman? Nicht zu empfehlen.«

Stu lächelte. »Wohin fahren Sie?«

»Was geht Sie das an?« fragte Harold grob.

»Und was ist das für ein Benehmen?« fragte Frannie ihn. »Mr. Redman ist der erste Mensch, den wir gesehen haben, seit Gus Dinsmore gestorben ist. Ich meine, wir sind doch aufgebrochen, um Menschen zu finden!«

»Er paßt eben auf Sie auf«, sagte Stu ruhig. Er pflückte einen Grashalm und nahm ihn in den Mund.

»Ganz recht, so ist es«, sagte Harold, der keineswegs besänftigt war.

»Ich dachte, jeder paßt auf den anderen auf«, sagte sie, und Harold wurde dunkelrot.

Stu dachte: Geben Sie mir drei Menschen, und sie werden eine Gesellschaft bilden. Aber waren diese beiden die Richtigen für ihn? Das Mädchen gefiel ihm, aber der Junge kam ihm wie ein feiger Wichtigtuer vor. Und unter den richtigen – oder falschen – Umständen konnte ein feiger Wichtigtuer ein sehr gefährlicher Mann sein.

»Wie du meinst«, sagte Harold. Er sah Stu drohend an und holte eine Packung Marlboro aus der Brusttasche. Er rauchte wie jemand, der es sich erst kürzlich angewöhnt hatte. Zum Beispiel vorgestern.

»Wir fahren nach Stovington, Vermont«, sagte Frannie. »Zum Seuchenzentrum. Wir – was ist denn los, Mr. Redman?« Er war plötzlich blaß geworden, und der Grashalm, an dem er gekaut hatte, fiel ihm aus dem Mund.

»Warum dorthin?« fragte Stu.

»Weil es dort eine Abteilung gibt, wo ansteckende Krankheiten studiert werden«, sagte Harold von oben herab. »Ich habe mir gedacht, wenn es überhaupt noch eine Ordnung in diesem Land gibt und wenn es noch verantwortliche Leute gibt, die dieser jüngsten Geißel entgangen sind, dann werden sie wahrscheinlich in Stovington oder Atlanta sein, wo es ein ähnliches Institut gibt.«

»Das stimmt«, sagte Frannie.

Stu sagte: »Sie verschwenden Ihre Zeit.«

Frannie sah ihn verblüfft an. Harold war empört; die Röte stieg ihm wieder aus dem Kragen. »Ich glaube kaum, daß Sie das beurteilen können, guter Mann.«

»Ich glaube doch. Ich komme von dort.«

Jetzt waren sie beide verblüfft. Verblüfft und erstaunt.

»Sie kennen es?« fragte Frannie fassungslos. »Sie haben sich da umgesehen?«

»Nein, ganz so war es nicht. Es...«

»Sie sind ein Lügner!« Harolds Stimme war hoch und schrill geworden.

Fran sah ein gefährliches Aufblitzen kalter Wut in Redmans Augen, dann waren sie wieder braun und freundlich. »Nein. Bin ich nicht.«

»Das sind Sie doch!«

» Halt den Mund, Harold!«

Harold sah sie gekränkt an. »Aber Frannie, wie kannst du nur glauben...«

»Und wie kannst du so unhöflich und feindselig sein?« fragte sie aufbrausend. »Willst du dir nicht wenigstens anhören, was er zu sagen hat, Harold?«

»Ich traue ihm nicht.«

Recht und billig, dachte Stu, damit sind wir quitt.

»Wie kannst du einem Menschen nicht trauen, dem du eben erst begegnet bist? Wirklich, Harold, du bist ekelhaft.«

»Ich will Ihnen erzählen, warum ich das weiß«, sagte Stu gelassen. Er gab ihnen eine Kurzfassung der Geschichte, die damit anfing, dass Campion Haps Zapfsäulen umgemäht hatte. Er schilderte seine Flucht aus Stovington vor einer Woche. Harold betrachtete mißmutig seine Hände. Er hatte ein wenig Moos ausgerissen, das er jetzt zerkrümelte. Aber das Gesicht des Mädchens zeigte grenzenlose Enttäuschung, und sie tat Stu leid. Sie war mit diesem Jungen zusammen losgefahren (der, das mußte man ihm lassen, eine gute Idee gehabt hatte) und hatte verzweifelt gehofft, irgendwo noch etwas vom alten Lauf der Dinge vorzufinden. Nun war sie enttäuscht. Bitter enttäuscht, wie man ihr deutlich ansah.

»Atlanta auch? Die Seuche hat beide Zentren erwischt?« fragte sie.

»Ja«, sagte Stu, und sie brach in Tränen aus.

Er hätte sie gern getröstet, aber das hätte der Junge nicht geduldet. Harold sah verstört zu Fran und betrachtete dann das Moos an seinen Ärmeln. Stu gab ihr sein Taschentuch. Sie dankte ihm zerstreut, ohne ihn anzusehen. Harold starrte Stu wieder wütend an, die Blicke eines trotzigen kleinen Jungen, der die ganze Plätzchendose für sich allein haben will. Wird der überrascht sein, dachte Stu, wenn er feststellt, daß ein Mädchen keine Plätzchendose ist.

Als ihr Weinen zu Schniefen geworden war, sagte sie: »Ich glaube, Harold und ich müssen uns bei Ihnen bedanken. Auf jeden Fall haben Sie uns eine lange Fahrt erspart, an deren Ende eine Enttäuschung gewartet hätte.«

»Soll das heißen, daß du ihm glaubst? Einfach so? Er erzählt dir eine irre Geschichte, und du... du kaufst sie ihm einfach ab?«

»Harold, warum sollte er lügen. Was hätte er davon?«

»Weißt du, was er im Sinn hat?« fragte Harold brutal. »Vielleicht Mord. Oder Vergewaltigung.«

»Ich selber halte nichts von Vergewaltigung«, sagte Stu freundlich.

»Davon verstehen Sie vielleicht mehr als ich.«

»Schluß jetzt!« sagte Fran. »Harold, würdest du bitte versuchen, nicht so abscheulich zu sein?«

» Abscheulich?« brüllte Harold. »Ich versuche, auf dich aufzupassen – auf uns -, und das soll abscheulich sein?«

»Sehen Sie mal«, sagte Stu und schob den Ärmel hoch. In seiner Armbeuge waren mehrere heilende Einstiche und die letzten Reste eines blauen Flecks zu sehen. »Sie haben mir alles mögliche injiziert.«

»Vielleicht sind Sie ein Junkie«, sagte Harold.

Wortlos krempelte Stu den Ärmel wieder herunter. Es ging natürlich um das Mädchen. Er hatte ihr gegenüber eine Art Besitzdenken entwickelt. Nun, einige Mädchen konnte man besitzen, andere nicht. Dieses Mädchen schien zur letzteren Sorte zu gehören. Sie war gross und hübsch und wirkte sehr frisch. Ihr dunkles Haar und die dunklen Augen unterstrichen einen Ausdruck, den man für Hilflosigkeit hätte halten können. Man übersah nur allzu leicht die Linie zwischen ihren Augenbrauen (die Ich-will-Linie, hatte Stus Mutter sie genannt), die so deutlich hervortrat, wenn sie sich aufregte, ihre geschickten Handbewegungen und selbst die Art, wie sie das Haar aus der Stirn zurückwarf.

»Und was machen wir jetzt?« fragte sie und ging gar nicht auf Harolds letzten Beitrag zur Diskussion ein.

»Auf jeden Fall weiterfahren«, sagte Harold, und als sie ihn mit dieser steilen Falte zwischen den Brauen ansah, fügte er hastig hinzu: »Irgendwohin müssen wir ja fahren. Wahrscheinlich sagt er die Wahrheit, aber das könnten wir prüfen.Und dann überlegen wir uns, was wir tun wollen.«

Fran sah Stu mit einem >Ich-will-Ihre-Gefühle-nicht-verletzen-aber

»Okay?« drängte Harold.

»Es kommt wohl nicht mehr drauf an«, sagte Frannie. Sie pflückte einen ausgeblühten Löwenzahnstengel und pustete, so daß die Samen wegflogen.

»Sie haben überhaupt keinen Menschen gesehen, von wo Sie gekommen sind?« fragte Stu.

»Einen Hund, der wohlauf zu sein schien. Keine Menschen.«

»Einen Hund habe ich auch gesehen.« Er erzählte ihnen von Bateman und Kojak. Als er damit fertig war, sagte er: »Ich wollte zur Küste, aber wenn Sie mir sagen, daß es dort keine Menschen gibt, nimmt mir das ziemlich den Wind aus den Segeln.«

»Tut mir leid«, sagte Harold, aber es hörte sich ganz wie das Gegenteil an. Er stand auf. »Bist du soweit, Fran?«

Sie sah Stu an, zögerte und stand ebenfalls auf. »Vielen Dank, dass Sie uns gesagt haben, was Sie wissen, Mr. Redman, auch wenn die Auskunft alles andere als gut war.«

»Einen Augenblick«, sagte Stu und stand auch auf. Er zögerte und fragte sich noch einmal, ob sie die Richtigen waren. Das Mädchen schien in Ordnung zu sein, aber der Junge war erst siebzehn und litt an einem schlimmen Fall Menschenhaß. Aber gab es noch so viele Menschen, daß man wählerisch sein konnte? Das bezweifelte Stu.

»Ich glaube, wir suchen alle andere Menschen«, sagte er. »Ich würde mich euch gern anschließen, wenn es euch recht ist.«

»Nein«, sagte Harold sofort.

Fran sah besorgt von Harold zu Stu. »Vielleicht sollten wir...«

»Vergiß es, ich sage nein.«

»Habe ich kein Stimmrecht?«

»Was ist denn los mit dir? Siehst du nicht, daß er nur eins will? Mein Gott!«

»Drei sind besser als zwei, wenn es Schwierigkeiten gibt«, sagte Stu, »und ich weiß, sie sind besser als einer.«

»Nein«, wiederholte Harold. Er legte die Hand auf den Griff der Pistole.

»Ja«, sagte Fran. »Sie sind uns willkommen, Mr. Redman.«

Harold drehte sich mit beleidigtem und wütendem Gesicht zu ihr um. Stu verkrampfte sich einen Moment, weil er dachte, Harold würde sie schlagen, aber dann entspannte er sich wieder. »So sieht das also aus, ja? Du hast nur auf die passende Gelegenheit gewartet, mich loszuwerden, ich verstehe.« Er war so wütend, daß ihm Tränen in die Augen traten, was ihn noch wütender machte. »Wenn du es so haben willst, okay. Geh mit ihm. Ich bin mit dir fertig.« Er stapfte zu der Stelle, wo die Hondas standen.

Frannie sah Stu flehentlich an, dann drehte sie sich zu Harold um.

»Einen Augenblick«, sagte Stu. »Bitte, bleiben Sie hier.«

»Tun Sie ihm nicht weh«, sagte Fran. »Bitte.«

Stu ging zu Harold, der schon auf seiner Honda saß und versuchte, die Maschine zu starten. In seiner Wut hatte er das Gas ganz aufgedreht, und es war gut für ihn, daß der Motor absoff. Wenn der Motor mit so viel Gas angesprungen wäre, hätte die Maschine sich aufgebäumt wie ein Einrad, hätte Harold an den nächsten Baum geschleudert und wäre auf ihn gestürzt.

»Bleiben Sie weg!« schrie Harold ihn wütend an, und seine Hand fiel wieder auf den Griff der Pistole. Stu legte seine Hand auf Harolds Hand und hielt mit der anderen seinen Arm fest. Harold riß die Augen weit auf, und Stu hatte das Gefühl, daß er jeden Augenblick durchdrehen könnte. Er war nicht nur eifersüchtig, das wäre eine allzu große Vereinfachung gewesen. Es ging um seine persönliche Würde und um seine Rolle als Beschützer des Mädchens. Gott weiß, was für ein Arschloch er vorher gewesen sein mochte, mit seinem fetten Wanst, den spitzen Stiefeln und der gespreizten Redeweise. Aber unter dem neuen äußeren Bild blieb die Überzeugung, daß er immer noch ein Arschloch war und es ewig bleiben würde. Darunter lag die Überzeugung, daß es so etwas wie einen Neuanfang nicht gab. Er hätte Bateman gegenüber genauso reagiert oder gegenüber einem zwölfjährigen Jungen. In jeder Dreieckssituation würde er sich als den Geringsten einschätzen.

»Harold«, sagte Stu fast in Harolds Ohr.

»Lassen Sie mich los.« Sein schwerer Körper wirkte leicht vor Anspannung; er summte wie ein Stromkabel.

»Harold, schläfst du mit ihr?«

Durch Harolds Körper ging ein Ruck, und Stu wußte, daß es nicht der Fall war.

»Das geht Sie nichts an!«

»Nein. Aber wir müssen darüber reden, damit wir wissen, wo wir stehen. Sie gehört nicht mir, Harold. Sie gehört sich selbst. Und ich will sie dir nicht wegnehmen. Es tut mir leid, daß ich so offen reden muß, aber das läßt sich nicht vermeiden. Jetzt sind wir zwei und einer, und wenn du wegfährst, sind wir wieder zwei und einer. Und haben nichts gewonnen.«

Harold sagte nichts, aber er zitterte nicht mehr.

»Ich will so offen sein wie nötig«, fuhr Stu fort, sprach immer noch dicht an Harolds Ohr (in dem braunes Ohrenschmalz klebte) und machte sich die Mühe, sehr, sehr ruhig zu sprechen. »Du und ich wissen beide, daß es ein Mann nicht nötig hat, eine Frau zu vergewaltigen. Nicht, wenn er weiß, was er mit seinen Händen anfangen kann.«

»Das ist...« Harold leckte sich die Lippen und sah zum Straßenrand, wo Frannie mit unter den Brüsten verschränkten Armen stand und sie besorgt beobachtete. »Das ist ziemlich ekelhaft.«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht, aber wenn ein Mann mit einer Frau zusammen ist, die ihn nicht im Bett haben will, dann hat er die Wahl. Ich wähle jedesmal die Hand. Du wahrscheinlich auch, denn sie bleibt ja freiwillig bei dir. Ich will nur offen mit dir reden, unter uns. Ich will dich nicht rausdrängen wie ein Abschläger beim Volkstanz.«

Harold nahm die Hand von der Pistole und sah Stu an. »Ist das Ihr Ernst? Ich... versprechen Sie mir, nichts zu sagen?«

Stu nickte.

»Ich liebe sie«, sagte Harold heiser. »Sie liebt mich nicht, das weiss ich, aber ich rede offen, wie Sie sagten.«

»Das ist auch das beste. Ich will mich nicht einmischen. Ich will nur mitkommen.«

Harold sagte zwanghaft: »Versprochen?«

»Versprochen.«

»Okay.«

Er stieg langsam von der Honda. Er und Stu gingen zu Fran.

»Er kann mitkommen«, sagte Harold. »Und ich...« Er sah Stu an und sagte, um Haltung bemüht: »Entschuldigen Sie, daß ich mich so blöd benommen habe.«

»Hurra«, sagte Frannie und klatschte in die Hände. »Das wäre also geregelt, und wohin fahren wir?«

Schließlich einigten sie sich darauf, in die Richtung zu fahren, für die Fran und Harold sich entschieden hatten, nach Westen. Stu sagte, daß Bateman sie gern bei sich übernachten lassen würde, wenn sie bei Einbruch der Dunkelheit Woodville erreichten – vielleicht würde er sogar bereit sein, am nächsten Morgen mit ihnen weiterzufahren (worauf Harold wieder finster dreinblickte). Stu fuhr Frans Honda, sie saß bei Harold auf dem Rücksitz. In Twin Mountain hielten sie an, um etwas zu essen, und begannen den vorsichtigen, mühsamen Prozeß, sich kennenzulernen. Stu fand ihren Dialekt komisch, sie dehnten das A und ließen manchmal das R aus. Vielleicht fanden sie seinen Dialekt genauso komisch, wenn nicht noch komischer. Sie aßen in einer verlassenen Imbißstube, und Stu mußte immer wieder Frans Gesicht betrachten – ihre lebhaften Augen, das schmale, energische Kinn, die Linie zwischen den Augen, an der man ihre Stimmungslage ablesen konnte. Ihm gefiel ihre Art, sich zu bewegen und zu reden; ihm gefiel auch, wie ihr Haar von den Schläfen nach hinten fiel. Und allmählich erkannte er, daß er sie doch begehrte.


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