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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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»Ja«, sagte Stu. »Es ist kaum zu glauben. Eine alte Frau irrt dort draußen herum, und alle sagen: Oho, ich frage mich, ob sie rechtzeitig zur Versammlung die Zehn Gebote auf Steintafeln mitbringt.«

»Vielleicht tut sie es ja«, sagte Glen ernst. »Übrigens sagen nicht alle Oho. Ralph Brentner rauft sich die Haare.«

»Schön für Ralph.« Er sah Glen eingehend an. »Und was ist mit dir, Platte? Wie denkst du über die ganze Sache?«

»Wenn du mich nur nicht so nennen würdest. Es ist so würdelos. Aber ich will dir mal was sagen... es ist ein bißchen komisch. Es stellt sich heraus, daß der alte Ost-Texaner gegen den Gotteszauber, den sie über diese Gemeinschaft gelegt hat, eher immun ist als der ungläubige alte Soziologe. Ich glaube, daß sie zurückkommen wird. Wie denkt Frannie darüber?«

»Ich weiß nicht. Ich habe sie den ganzen Morgen noch nicht gesehen. Womöglich ist sie auch dort draußen und ißt mit Mutter Abagail Heuschrecken und wilden Honig.« Er sah zu den Flatirons, die sich aus dem Dunst des frühen Nachmittags erhoben. »Mein Gott, Glen, ich hoffe nur, der alten Dame ist nichts passiert.«



Fran wußte nicht einmal, daß Mutter Abagail verschwunden war. Sie hatte den Vormittag in der Bibliothek verbracht und über Gartenbau gelesen. Und sie war nicht die einzige Studentin. Sie sah zwei oder drei Leute mit Büchern über Ackerbau, einen brillentragenden jungen Mann von etwa fünfundzwanzig mit einem Buch, das den Titel trug: Sieben unabhängige Energiequellen für Ihr Heim, und ein hübsches blondes Mädchen von ungefähr vierzehn Jahren mit einem zerlesenen Taschenbuch mit dem Titel 600 einfache Rezepte.

Gegen Mittag verließ sie die Bibliothek und ging zur Walnut Street hinunter. Sie war schon halb zu Hause, als sie Shirley Hammett traf, die ältere Frau, die mit Dayna, Susan und Patty Kroger gereist war. Shirleys Aussehen hatte sich seither auffallend verbessert. Jetzt sah sie wie eine hübsche, lebhafte Dame von Welt aus.

Sie blieb stehen und begrüßte Fran. »Was meinst du, wann kommt sie zurück? Ich habe jeden gefragt. Wenn diese Stadt eine Zeitung hätte, könnte ich es glatt als Umfrage veröffentlichen. >Was halten Sie von Senator Bungholes Stellungnahme zur Ölverknappung?< Was in der Art.«

»Wann wer zurückkommt?«

»Mutter Abagailnatürlich. Wo warst du, Mädchen, in der Tiefkühltruhe?«

»Was soll das alles?« fragte Fran aufgeschreckt. »Was ist passiert?«

»Das ist es ja gerade. Niemand weiß es genau.« Und Shirley erzählte Fran, was vorgefallen war, während sich Fran in der Bibliothek aufgehalten hatte.

»Sie ist einfach... weggegangen?« fragte Frannie stirnrunzelnd.

»Ja. Selbstverständlich kommt sie zurück«, fügte Shirley zuversichtlich hinzu. »Das steht in dem Brief.«

»>Wenn es Gottes Wille ist?<«

»Ich bin sicher, das ist nur so ein Ausdruck«, sagte Shirley und sah Fran mit einer gewissen Kühle an.

»Nun... hoffentlich. Danke, daß du es mir gesagt hast, Shirley. Hast du immer noch Kopfschmerzen?«

»O nein. Die sind jetzt weg. Ich stimme für dich, Fran.«

»Hmmm?« Ihr Verstand war weit entfernt und jagte diesen neuen Informationen hinterher; einen Augenblick hatte sie nicht die leiseste Ahnung, wovon Shirley sprach.

»Für das ständige Komitee«

»Oh. Ja, danke. Ich bin nicht mal sicher, ob ich den Job überhaupt will.«

»Ihr werdet es prima machen. Du und Susy. Aber jetzt muß ich los, Fran. Tschüs.«

Sie gingen auseinander. Fran hastete zur Wohnung, weil sie vor allem anderen Stu sehen wollte. So kurz nach dem Treffen gestern abend erfüllte das Verschwinden der alten Frau ihr Herz mit einer Art abergläubischem Grauen. Es gefiel ihr nicht, daß sie ihre wichtigsten Entscheidungen – zum Beispiel, Leute nach Westen zu schicken – nicht Mutter Abagail vorlegen konnten. Jetzt, da sie weg war, spürte Fran zuviel Verantwortung auf den eigenen Schultern. Als sie nach Hause kam, war die Wohnung leer. Sie hatte Stu um etwa fünfzehn Minuten verpaßt. Auf einem Zettel unter der Zuckerdose stand nur: »Bin 9:30 wieder da. Bin bei Ralph und Harold. Keine Sorge. Stu.«

Ralph und Harold? dachte sie und verspürte erneutes Grauen, das nichts mit Mutter Abagail zu tun hatte. Und warum sollte sie sich Sorgen um Stu machen? Mein Gott, wenn Harold versucht hat, etwas zu machen... nun, etwas Komisches... Stu würde ihn in Stücke reißen. Es sei denn... es sei denn, Harold schlich sich von hinten an und... <

Sie umklammerte die Ellbogen, fror, fragte sich, was Stu bei Harold und Ralph suchen konnte.

Bin 9:30 wieder da.

Herrgott, das war noch so lange.

Sie stand noch einen Augenblick in der Küche und betrachtete den Rucksack, den sie auf die Theke gestellt hatte.

Bin bei Ralph und Harold.

Das bedeutete, Harolds kleines Haus draußen an der Arapahoe würde heute abend bis gegen halb zehn verlassen sein. Es sei denn, sie waren dort, und wenn, konnte sie zu ihnen gehen und ihre Neugier befriedigen. Sie konnte mit dem Rad ganz schnell hinfahren. Wenn niemand dort war, fand sie vielleicht etwas, das sie beruhigen würde... oder... aber darüber wollte sie nicht nachdenken.

Dich beruhigen?nagte die innere Stimme. Oder alles noch schlimmer machen? Angenommen, du findest WIRKLICH Komisches? Was dann? Was wirst du unternehmen?

Sie wußte es nicht. Sie hatte nicht einmal den leisesten Schimmer einer Idee.

Keine Sorge. Stu.

Aber sie machte sich Sorgen. Der Daumenabdruck in ihrem Tagebuch bedeutete, daß es Grund zur Sorge gab. Denn ein Mann, der ein Tagebuch stahl und fremde Gedanken las, war ein Mann ohne Prinzipien und Skrupel. So ein Mann konnte sich durchaus hinter jemanden schleichen, den er haßte, und ihn aus der Höhe herunterstoßen. Oder einen Stein nehmen. Oder ein Messer. Oder eine Pistole.

Keine Sorge. Stu.

Wenn Harold so etwas tat, wäre er in Boulder erledigt. Und was konnte er dann machen?

Aber Fran wußte, was dann. Sie wußte nicht, ob Harold der Typ Mensch war, den sie sich ausgemalt hatte – noch nicht, nicht mit Bestimmtheit -, aber sie wußte tief in ihrem Herzen, daß es heute einen Platz für solche Menschen gab. O ja, wahrhaftiglich. Sie schnallte den Rucksack mit eckigen Bewegungen auf und ging zur Tür hinaus. Drei Minuten später radelte sie im hellen Nachmittagssonnenschein den Broadway entlang Richtung Arapahoe und dachte: Sie sitzen ganz bestimmt in Harolds Wohnzimmer, trinken Kaffee und reden über Mutter Abagail, und alles ist prima. Einfach prima.



Aber Harolds Haus war dunkel, verlassen... und abgeschlossen. Das an sich war in Boulder schon seltsam. Früher schloß man das Haus ab, damit niemand den Fernseher, die Juwelen der Frau oder die Stereo-Anlage stahl. Aber Fernseher und Stereo-Anlagen gab es umsonst, wenn man ohne Saft auch nichts mit ihnen anfangen konnte, und was Juwelen betraf, so konnte man jederzeit nach Denver fahren und sich einen Sack voll holen.

Warum schließt du deine Tür ab, Harold, wo alles umsonst ist? Weil niemand so viel Angst vor einem Einbruch hat wie ein Dieb? Könnte es das sein?

Sie war kein Schloßknacker. Sie hatte sich schon damit abgefunden, unverrichteter Dinge zu gehen, als ihr die Kellerfenster einfielen. Sie lagen dicht über dem Erdboden und waren staubblind. Das erste, das sie probierte, ließ sich seitlich aufschieben, gab quietschend nach; Dreck rieselte auf den Kellerboden.

Fran sah sich um, aber die Welt war still. Außer Harold hatte sich noch niemand an diesem entlegenen Ende der Arapahoe Street niedergelassen. Auch das war seltsam. Harold mochte lächeln, bis ihm das Gesicht platzte, den Leuten auf die Schultern klopfen, den Tag mit ihnen verbringen und ihnen seine Hilfe anbieten, wenn er darum gebeten wurde, und manchmal auch, wenn nicht; er mochte und konnte sich noch so beliebt machen – und Tatsache war, daß er in Boulder hohes Ansehen genoß. Aber wo er seinen Wohnort gewählt hatte... das stand wieder auf einem anderen Blatt, richtig?

Das zeigte eine etwas andere Ansicht Harolds über die Gesellschaft und seinen Platz darin... vielleicht. Vielleicht gefiel ihm auch einfach nur die Stille.

Sie zwängte sich durch das Fenster, wobei sie sich die Bluse schmutzig machte, und sprang auf den Boden. Jetzt war das Fenster in Augenhöhe. Sie war genausowenig Sportlerin wie Schloßknackerin und würde sich auf etwas stellen müssen, wenn sie wieder hinauswollte.

Fran sah sich um. Der Keller war zu einem Spiel– oder Hobbyraum ausgebaut. So etwas hat ihr Daddy immer gewollt, war aber nie dazu gekommen, dachte sie mit einem Anflug von Traurigkeit. In die mit Fichtenholz getäfelten Wände waren Quadrophonie-Lautsprecher eingelassen, die Decke war mit Holz verkleidet, sie sah einen Kasten mit Puzzlespielen und Büchern, eine elektrische Eisenbahn, eine Autorennbahn. In einer Ecke stand ein Tischhockeyspiel, auf das Harold achtlos eine Kiste Cola gestellt hatte. Es war ein Kinderzimmer gewesen, an den Wänden hingen Poster – das größte – mittlerweile alt und zerrissen – zeigte George Bush, der mit hoch erhobenen Händen und einem breiten Grinsen im Gesicht aus einer Kirche in Harlem herauskam. Die Legende, in großen roten Buchstaben, lautete: MAN KOMMT DEM KING OF ROCK AND ROLL NICHT MIT BOOGIE -WOOGIE DAHER!

Plötzlich war sie traurig wie... nun, wie schon lange nicht mehr, um ehrlich zu sein. Sie hatte Schock und Angst und regelrechtes Entsetzen erlebt und war vor Kummer wie betäubt gewesen, aber diese tiefe und quälende Traurigkeit war etwas Neues. Mit ihr kam ein plötzliches Heimweh nach Ogunquit, nach dem Meer, nach dem schönen Maine mit seinen Hügeln und Tannenwäldern. Ohne ersichtlichen Grund mußte sie plötzlich an Gus denken, den Wachmann auf dem öffentlichen Strandparkplatz von Ogunquit, und einen Moment dachte sie, ihr Herz würde vor Kummer und Verlust zerspringen. Was hatte sie hier zwischen den Ebenen und den Bergen, die das Land durchteilten, verloren? Es war nicht ihre Heimat. Sie gehörte nicht hierher.

Sie schluchzte, und es hörte sich so verzweifelt und einsam an, dass sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag die Hände vor den Mund schlug. Schluß, frannte, altes Mädchen. Über etwas so Großes kommt man nicht so schnell hinweg. Nur ganz allmählich. Und wenn du unbedingt heulen mußt, dann später und nicht ausgerechnet in Harold Lauders Keller. Erst das Geschäft.

Auf dem Weg zur Treppe ging sie an dem Poster vorbei, und ein bitteres, kurzes Lächeln huschte über ihr Ges icht, als sie an George Bushs grinsendem und unermüdlich fröhlichem Gesicht vorbeiging.

Dir sind sie ganz schön mit einem Boogie-Woogie dahergekommen, dachte sie. Jedenfalls irgendwer.

Als sie oben auf der Kellertreppe war, kam sie zur Überzeugung, die Tür würde verschlossen sein, aber sie ließ sich mühelos öffnen. Die Küche war ordentlich und blitzblank, das Geschirr war gespült und trocknete auf der Spüle, der kleine Coleman-Gasofen war abgewaschen und funkelte... aber alter Fettgeruch hing noch in der Luft wie ein Geist von Harolds altem Wesen, dem Harold, der in ihr Leben getreten war, als er am Steuer von Roy Brannigans Cadillac hinter ihrem Haus vorgefahren war, wo sie gerade ihren Vater begrub.

Ich würde ganz schön in der Klemme sitzen, wenn Harold ausgerechnet jetzt zurückkäme, dachte sie. Bei dem Gedanken sah sie plötzlich über die Schulter. Sie rechnete fest damit, Harold unter der Wohnzimmertür stehen und sie angrinsen zu sehen. Es war niemand da, aber ihr Herz schlug unangenehm gegen die Rippen. In der Küche war nichts, daher ging sie ins Wohnzimmer. Dort war es so dunkel, daß sie nervös wurde. Harold schloß nicht nur die Tür ab, er hatte auch die Jalousien heruntergelassen. Wieder war ihr, als würde sie Zeugin einer unterbewußten äußerlichen Manifestation von Harolds Persönlichkeit werden. Warum sollte jemand die Jalousien in einer kleinen Stadt herunterlassen, wo die Lebenden daran die Häuser der Toten erkannten?

Das Wohnzimmer war, genau wie die Küche, makellos sauber, aber das Mobiliar war alt und sah verwohnt aus. Das Schönste in dem Zimmer war ein riesiger, gemauerter Kamin mit so breitem Sims, dass man darauf sitzen konnte. Sie setzte sich tatsächlich einen Moment und sah sich nachdenklich um. Als sie sich bewegte, spürte sie einen lockeren Stein unter dem Allerwertesten und wollte gerade aufstehen und ihn sich ansehen, als jemand an der Tür klopfte. Angst senkte sich auf sie wie eine erstickende Last Federn. Sie war plötzlich wie gelähmt vor Entsetzen. Ihr Atem stockte, und sie sollte erst später bemerken, daß sie ein wenig eingenäßt hatte. Es klopfte wieder, sechs rasche, feste Schläge.

Mein Gott, dachte sie. Aber die Jalousien sind runtergelassen. Gott sei Dank, wenigstens das.

Diesem Gedanken folgte eine plötzliche, eiskalte Gewißheit, daß sie ihr Fahrrad draußen gelassen hatte, wo jeder es sehen konnte. Ja? Sie versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, aber sie bekam lange nichts zusammen, außer Gestammel, das auf beunruhigende Weise vertraut war: Bevor du den Splitter aus dem Auge deines Nächsten entfernst, nimm den Balken aus deinem eigenen ...

Es klopfte wieder, dann eine Frauenstimme: »Jemand daheim?«

Fran saß stockstill da. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie das Fahrrad hinten abgestellt hatte, unter Harolds Wäscheleine. Von vorne nicht zu sehen. Aber wenn Harolds Besucherin es an der Hintertür versuchte...

Der Knauf der Eingangstür – Frannie konnte ihn durch den kurzen Dielenabschnitt sehen – drehte sich in frustrierten Halbkreisen hin und her.

Wer sie auch sein mag, hoffentlich hat sie von Schlössern genauso wenig Ahnung wie ich, dachte Frannie und mußte sich wieder die Hände vor den Mund halten, um einen irren Lachanfall zurückzuhalten. Sie sah auf ihre Hose und merkte, daß sie wirklich große Angst gehabt haben mußte. Wenigstens war es keine Scheißangst, dachte Fran. Noch nicht. Das Lachen wollte aus ihr heraus, es war hysterisch und entsetzt, dicht unter der Oberfläche.

Mit unbeschreiblicher Erleichterung hörte sie Schritte sich entfernen und über den Beton von Harolds Einfahrt zur Straße gehen.

Was Frannie als nächstes tat, war keine bewußte Entscheidung. Sie lief nach vorn und spähte durch den schmalen Spalt zwischen Jalousie und Fensterrahmen. Sie sah eine Frau mit langem dunklen Haar, das weiße Streifen hatte. Diese stieg auf einen kleinen VespaMotorroller, der am Bordstein parkte. Als der Motor ansprang, warf sie das Haar zurück und steckte es fest.

Das ist diese Cross – die mit Larry Underwood gekommen ist! Kennt sie Harold?

Dann legte Nadine den Gang ein. Sie fuhr ruckartig an und war bald nicht mehr zu sehen. Fran stieß einen lauten Seufzer aus; ihre Beine wurden zu Wasser. Sie machte den Mund auf, um das Lachen herauszulassen, das unter der Oberfläche blubberte, und wußte schon, wie es sich anhören würde – zitterig erleichtert. Statt dessen fing sie an zu weinen.

Fünf Minuten später – zu nervös, um sich weiter umzusehen – schob sie einen Korbstuhl ans Kellerfenster und kletterte nach draußen. Es gelang ihr, ihn ein Stück wegzuschieben, damit nicht auffiel, dass jemand darauf aus dem Fenster gestiegen war. Er stand noch immer nicht so wie vorher, aber so etwas bemerken die Leute meistens nicht... und es sah nicht so aus, als ob Harold den Keller benutzte, außer als Vorratskammer für seine Cola.

Sie schob das Fenster wieder zu und nahm ihr Fahrrad. Wenigstens trocknen meine Hosen, dachte sie. Wenn du das nächste Mal einbrechen gehst, Frances Rebecca, solltest du lieber eine Gummihose tragen.

Sie strampelte aus Harolds Garten, bog so schnell wie möglich von der Arapahoe Street ab und fuhr über den Canyon Boulevard zur Innenstadt. Fünfzehn Minuten später war sie wieder in ihrer Wohnung.

Dort war es totenstill.

Sie schlug ihr Tagebuch auf, betrachtete den schmutzigen Fingerabdruck und überlegte sich, wo Stu sein konnte. Sie fragte sich, ob Harold bei ihm war.

O Stu, bitte komm nach Hause. Ich brauche dich.



Nach dem Mittagessen hatte Stu sich von Glen verabschiedet und war nach Hause gegangen. Er hatte eine Weile düster im Wohnzimmer gesessen, überlegt, wo Mutter Abagail sein mochte und sich gefragt, ob Nick und Glen recht hatten, wenn sie die Sache auf sich beruhen lassen wollten, als es klopfte. »Stu?« rief Ralph Brentner. »Hallo, Stu, bist du da?« Harold Lauder war bei ihm. Harolds Lächeln war heute gedämpft, aber nicht ganz verschwunden; er sah aus wie ein fröhlicher Hinterbliebener, der bei der Beerdigung ernst wirken will.

Ralph, der wegen Mutter Abagails Verschwinden tief betrübt war, hatte Harold vor einer halben Stunde getroffen, als Harold auf dem Heimweg war, nachdem er einer Gruppe geholfen hatte, Wasser vom Boulder Creek zu holen. Ralph mochte Harold, der immer Zeit zum Zuhören und Trösten hatte, wenn jemand eine traurige Geschichte loswerden wollte... und Harold schien nie eine Gegenleistung zu erwarten. Ralph hatte ihm von Mutter Abagails Verschwinden und seinen Befürchtungen erzählt, sie könnte einen Herzanfall erleiden, sich einen ihrer spröden Knochen brechen oder an Unterkühlung sterben, wenn sie nachts draußen blieb.

»Du weißt ja, es regnet jetzt schon jeden verdammten Nachmittag«, sagte Ralph, während Stu Kaffee einschenkte. »Wenn sie durchnäßt wird, erkältet sie sich bestimmt. Was dann? Wahrscheinlich Lungenentzündung.«

»Was können wir unternehmen?« fragte Stu die beiden. »Wir können sie nicht mit Gewalt zurückholen, wenn sie nicht will.«

»Das nicht«, gab Ralph zu. »Aber Harold hat eine echt gute Idee.«

Stu sah ihn an. »Wie geht es dir überhaupt, Harold?«

»Ganz gut. Und dir?«

»Prima.«

»Und Fran? Paßt du gut auf sie auf?« Harold sah Stu unverwandt an, und seine Augen behielten ihren freundlichen und leicht belustigten Ausdruck, aber einen Moment erinnerten Harolds lächelnde Augen Stu an Sonnenlicht auf dem Wasser von Breekman's Quarry zu Hause – das Wasser sah so einladend aus, aber unter seiner Oberfläche lagen schwarze Tiefen, die nie ein Sonnenstrahl erreichte, und in diesem Wasser hatten im Laufe der Jahre vier Jungen ihr Leben gelassen.

»So gut ich kann«, sagte er. »Was für eine Idee, Harold?«

»Hör zu. Ich verstehe Nicks Standpunkt. Glens auch. Sie haben erkannt, daß die Freie Zone Mutter Abagail als theokratisches Symbol sieht... und sie sind ja jetzt gewissermaßen Sprecher der Zone, oder nicht?«

Stu trank Kaffee. »Theokratisches Symbol, was meinst du damit?«

»Ich würde es ein irdisches Symbol für einen Bund mit Gott nennen«, sagte Harold, und seine Augen verschleierten sich ein wenig. »Wie die heilige Kommunion oder heilige Kühe in Indien.«

Darüber dachte Stu ein wenig nach. »Ja, sehr gut. Diese Kühe... sie lassen sie auf den Straßen laufen, wo sie Verkehrsstaus verursachen, richtig? Sie dürfen in den Läden ein und aus gehen und die Stadt ganz verlassen.«

»Ja«, stimmte Harold zu. »Aber die meisten Kühe sind krank, Stu. Sie stehen immer kurz vor dem Verhungern. Viele sind tuberkulös. Und alles nur, weil sie in ihrer Gesamtheit ein Symbol sind. Die Leute sind überzeugt, daß Gott für sie sorgen wird, genau wie unsere Leute überzeugt sind, daß er für Mutter Abagail sorgen wird. Aber ich habe meine Zweifel hinsichtlich eines Gottes, der es zuläßt, daß eine arme dumme Kuh so leiden muß.«

Ralph sah momentan unbehaglich drein, und Stu wußte, was er empfand. Er empfand es auch; daran konnte er ermessen, was Mutter Abagail auch für ihn bedeutete. Was Harold sagte, grenzte an Blasphemie.

»Jedenfalls«, sagte Harold rasch und ließ das Thema >heilige Kühe in Indien< fallen, »können wir die Einstellung der Leute zu ihr nicht ändern...«

»Das wollen wir auch nicht«, sagte Ralph schnell.

»Richtig!« rief Harold. »Sie hat uns alle schließlich zusammengebracht, und zwar nicht durch Kurzwellenfunk. Aber mein Gedanke war, daß wir uns auf unsere treuen Motorräder schwingen und den Nachmittag damit verbringen, die westliche Umgebung von Boulder zu erkunden. Wenn wir dicht zusammen bleiben, können wir uns per Walkie-talkie verständigen.«

Stu nickte. Das hatte er die ganze Zeit vorgehabt. Heilige Kühe oder nicht, Gott oder nicht, es war falsch, sie allein in der Wildnis umherirren zu lassen. Das hatte nichts mit Religion zu tun; so etwas zu tun war schlicht und einfach gemeine Gleichgültigkeit.

»Und wenn wir sie finden«, sagte Harold, »können wir sie fragen, ob sie etwas braucht.«

»Zum Beispiel eine Fahrt in die Stadt«, mischte sich Ralph ein.

»Jedenfalls können wir sie im Auge behalten«, sagte Harold.

»Okay«, sagte Stu. »Ein prima Vorschlag. Ich will nur Fran noch rasch einen Zettel schreiben.«

Aber während er schrieb, verspürte er dauernd den Drang, über die Schulter zu blicken und Harold zu betrachten – um zu sehen, was Harold trieb, wenn Stu nicht hinsah, und was für ein Ausdruck in Harolds Augen sein mochte.



Harold hatte sich das gewundene Stück Straße zwischen Boulder und Nederland ausgebeten und bekommen, denn hier vermutete er sie am allerwenigsten. Er glaubte nicht, daß er den Weg von Boulder nach Nederland an einem Tag geschafft hätte, ganz zu schweigen von der verrückten alten Fotze. Aber es war eine angenehme Fahrt, und sie gab ihm Zeit zum Nachdenken.

Jetzt, Viertel vor sieben, war er auf dem Rückweg. Seine Honda stand auf einem Rastplatz, er saß an einem Picknicktisch und genoss Cola und ein paar Slim Jims. Das Walkie-talkie hing mit ausgefahrener Antenne am Lenker der Honda, Ralphs Stimme knisterte leise darin. Es waren Geräte mit kurzer Reichweite, und Ralph war irgendwo oben auf dem Flaggstaff Mountain.

»...Sunrise Amphitheater... keine Spur von ihr... hier oben stürmt es ganz schön.«

Dann Stus Stimme, lauter und näher. Er war im Chautauqua Park, nur vier Meilen von Harold entfernt. »Wiederholen, Ralph.«

Wieder Ralphs Stimme, diesmal brüllend. Vielleicht bekam er einen Herzschlag, dachte Harold. Das würde den Tag wunderbar beenden.

»Hier oben keine Spur von ihr. Ich komme runter, bevor es dunkel wird. Ende.«

»Zehn-vier«, sagte Stu resigniert. »Harold, bist du da?« Harold stand auf und wischte sich Slim-Jim-Fett an den Jeans ab. »Harold? Ich rufe Harold Lauder! Kannst du mich hören, Harold?«

Harold zeigte mit dem Mittelfinger – den Fickfinger hatten die Neandertaler der High School in Ogunquit ihn genannt – auf das Walkie-talkie; dann drückte er die Sprechtaste und sagte freundlich, aber mit genau dem richtigen Tonfall von Enttäuschung: »Ich bin hier. Ich war nicht auf der Straße... dachte, ich hätte was im Graben gesehen. War aber nur eine alte Jacke. Ende.«

»Ja, okay. Komm doch nach Chautauqua, Harold. Da warten wir auf Ralph.«

Kommandierst gern rum, Arschloch, was? Vielleicht hab' ich was für dich. Ja, vielleicht.

»Harold, hörst du mich noch?«

»Ja. Tut mir leid, Stu, ich hab' geträumt. Ich bin in fünfzehn Minuten da.«

» Hast du verstanden, Ralph?« bellte Stu, und Harold zuckte zusammen. Wieder zeigte er Stus Stimme den Mittelfinger und grinste dabei verstohlen. Nimm das, du Wildwestwichser.

»Verstanden, komme zum Chautauqua Park«, kam Ralphs Stimme schwach durch das Rauschen der Statik. »Bin unterwegs. Ende und aus.«

»Bin auch unterwegs«, sagte Harold. »Ende und aus.«

Er schaltete das Walkie-talkie aus, schob die Antenne zusammen und hing das Gerät wieder an den Lenker, aber er blieb noch eine Weile auf seiner Honda sitzen, ohne den Kickstarter zu treten. Er trug eine Fliegerjacke aus Armeebeständen, deren dickes Futter gut war, wenn man im August in achtzehnhundert Meter Höhe mit dem Motorrad unterwegs war. Aber die Jacke hatte noch einen Vorteil. Sie hatte viele Taschen mit Reißverschluß, und in einer davon steckte eine Achtunddreißiger Smith & Wesson. Harold zog den Revolver heraus und ließ ihn von einer Hand in die andere gleiten. Dieser war vollgeladen und lag schwer in seiner Hand, als wäre ihm klar, daß sein Zweck ernst war: Tod, Vernichtung, Ermordung. Heute abend?

Warum nicht?

Er hatte diese Expedition angeregt, weil er hoffte, er könnte lange genug mit Stu allein sein, um es über die Bühne zu bringen. Jetzt sah es aus, als hätte er die Chance in weniger als fünfzehn Minuten im Chatauqua Park. Aber die Reise hatte noch einen anderen Zweck erfüllt.

Er hatte nicht vorgehabt, ganz nach Nederland zu fahren, einem erbärmlichen kleinen Kaff hoch über Boulder, eine Ortschaft, deren einziger Anspruch auf Ruhm darin bestand, daß Patty Hearst dort angeblich einmal auf der Flucht übernachtet hatte. Aber während er nach oben fuhr, die Honda gleichmäßig zwischen seinen Beinen summte und ihm die Luft kalt wie eine Rasierklinge ins Gesicht schnitt, war etwas geschehen.

Wenn man einen Magneten an ein Tischende und ein Stück Eisen ans andere legt, passiert nichts. Wenn man das Eisen langsam, in kleinen Schritten näher an den Magneten schubst (dieses Bild hielt er eine Weile in Gedanken, erfreute sich daran und nahm sich vor, es heute abend in sein Tagebuch zu schreiben), kommt einmal der Zeitpunkt, da der Schubs das Eisenstück weiter bringt, als normal wäre. Das Eisenstück kommt zum Stillstand, aber scheinbar widerwillig, als hätte es ein Eigenleben entwickelt, zu dem auch die Weigerung gehört, dem physikalischen Gesetz der Trägheit zu gehorchen. Noch einen Schubs oder zwei, und man kann fast – vielleicht sogar tatsächlich – sehen, wie das Eisenstück auf dem Tisch vibriert und scheinbar hüpft und zittert wie eine mexikanische Springbohne, die man in Scherzartikelläden kaufen kann – sie sehen aus wie ein knöchelgroßes Stück Holz, haben aber in Wirklichkeit einen lebenden Wurm in sich. Noch ein Schubs, und das Gleichgewicht zwischen Reibung/Trägheit und der magnetischen Anziehungskraft neigt sich auf die andere Seite. Das Eisenstück bewegt sich, inzwischen völlig zum Leben erwacht, aus eigenem Antrieb weiter, schneller und schneller, bis es schließlich auf den Magneten prallt und dort haften bleibt.

Ein gräßlich faszinierender Vorgang.

Als in diesem Juni das Ende der Welt gekommen war, hatte man die Kraft des Magnetismus immer noch nicht völlig verstanden gehabt, doch Harold (dessen Verstand nie rational-wissenschaftlicher Prägung gewesen war) glaubte, die Physiker, die so etwas studierten, wären der Meinung gewesen, sie hätte etwas mit der Schwerkraft zu tun, und die Schwerkraft war der Grundstein des Universums.

Auf dem Weg nach Nederland, Richtung Westen, nach oben, während die Luft ringsum immer kälter wurde und er sah, wie sich Gewitterwolken um die höheren Berggipfel jenseits von Nederland zusammenzogen, hatte Harold diesen Vorgang in sich selbst zu spüren begonnen. Er näherte sich dem Punkt des Gleichgewichts... und nicht mehr lange, dann würde er den Punkt erreichen, wo der Sog zu wirken anfing. Er war ein Eisenstück in genau der Entfernung vom Magneten, wo ein Schubs es weiter als unter normalen Umständen transportiert. Er konnte die Vibration in sich spüren. Es kam einem heiligen Erlebnis so nahe wie noch nichts in seinem Leben. Die Jugend leugnet das Heilige, weil dessen Anerkennung bedeutet, den eventuellen Tod aller empirischen Objekte anzuerkennen, und Harold lehnte es ebenfalls ab. Die alte Frau war irgendwie übersinnlich begabt, hatte er gedacht, ebenso Flagg, der dunkle Mann. Sie waren menschliche Funksender, mehr nicht. Ihre wahre Macht würde in den Gesellschaften liegen, die sich rings um ihre Signale herum bildeten, welche so verschieden voneinander waren. Hatte er gedacht.

Aber als er auf seiner geparkten Honda am Ende der mickrigen Hauptstraße von Nederland saß, das Kontrollicht der Honda neutral wie ein Katzenauge leuchtete und er dem winterlichen Heulen des Windes in den Pinien und Espen lauschte, verspürte er mehr als nur magnetische Anziehung. Er spürte eine gewaltige, irrationale Macht aus Westen kommen, eine derart große Faszination, daß er das Gefühl hatte, wenn er sich jetzt näher damit beschäftigte, würde er verrückt werden. Er hatte das Gefühl, wenn er sich viel weiter über den Punkt des Gleichgewichts hinauswagte, würde er jeden freien Willen verlieren. Er würde so aufbrechen, wie er war, mit leeren Händen.

Und dafür würde der dunkle Mann ihn töten, obwohl ihn eigentlich keine Schuld traf.

Daher hatte er sich mit der freudlosen Erleichterung eines potentiellen Selbstmörders abgewendet, der lange in einen tiefen Abgrund geblickt hat. Aber wenn er wollte, könnte er noch heute gehen. Ja, er könnte Redman mit einer einzigen Kugel aus nächster Nähe erschießen. Dann vor Ort bleiben, eiskalt bleiben und warten, bis dieser Dorftrottel aus Oklahoma auftauchte. Noch ein Schuß in die Schläfe. Niemand würde sich um die Schüsse kümmern; es gab genug Wild, und viele Leute ballerten auf das Wild, das in die Stadt kam.

Es war jetzt zehn vor sieben. Bis halb acht könnte er sie beide erledigt haben. Franny würde frühestens um halb elf Alarm schlagen, bis dahin konnte er längst weg sein und mit der Honda samt Rucksack und Hauptbuch nach Westen fahren. Aber soweit würde es nicht kommen, wenn er nur hier auf dem Motorrad saß und Zeit verrinnen ließ.

Die Honda sprang beim zweiten Tritt an. Eine gute Maschine. Harold lächelte. Harold grinste. Harold strahlte richtiggehend Fröhlichkeit aus. Er fuhr zum Chautauqua Park.



Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, als Stu Harolds Motorrad in den Park fahren hörte. Einen Augenblick später sah er den Scheinwerfer der Honda zwischen den Bäumen aufblitzen, die an der steilen Zufahrt zum Park standen. Dann sah er, wie sich Harolds Kopf samt Helm nach rechts und links drehte und ihn suchte. Stu, der auf dem Rand eines gemauerten Grills saß, winkte und rief. Augenblicke später sah Harold ihn, winkte zurück und tuckerte im zweiten Gang näher.

Seit der gemeinsamen Expedition der drei heute nachmittag hatte Stu eine bessere Meinung von Harold... sogar besser denn je. Harolds Vorschlag war verdammt gut gewesen, auch wenn ihre Suche ergebnislos geblieben war. Und Harold hatte darauf bestanden, die Straße nach Nederland abzusuchen ... da oben mußte es trotz seiner warmen Jacke ziemlich kalt gewesen sein. Als er anhielt, sah Stu, daß Harolds ständiges Grinsen mehr einer Grimasse glich; sein Gesicht wirkte angespannt und zu blaß. Enttäuscht, daß es nicht besser gelaufen ist, dachte Stu. Plötzlich verspürte er Schuldgefühle, weil er und Frannie Harold so schlecht behandelt hatten, als wären sein ständiges Grinsen und der überfreundliche Umgang mit den Leuten eine Art Tarnung. Hatten sie eigentlich je die Möglichkeit erwogen, daß der Bursche vielleicht wirklich versuchte, eine neue Seite von sich aufzuschlagen und nur deshalb so komisch vorging, weil er so etwas noch nie im Leben versucht hatte? So war es wohl, überlegte Stu.


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