Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
Жанр:
Ужасы
сообщить о нарушении
Текущая страница: 98 (всего у книги 100 страниц)
Vielleicht... Vielleicht solltest du ein wenig schlafen und den ganzen Unsinn vergessen. Morgen ist noch ein Tag.
Er legte sich hin, und nachdem er sich ein paar Minuten unruhig hin und her gewälzt hatte, forderte die grausame Erschöpfung ihr Recht. Er schlief. Und er träumte, er sei in Boulder. In Boulder im Sommer, und die Rasen waren gelb und tot von der Hitze und weil sie kein Wasser hatten. Das einzige Geräusch war eine offene Tür, die im Wind hin und her schlug. Sie waren alle weg. Selbst Tom war verschwunden.
Frannie! rief er, aber nur der Wind antwortete. Und die Tür, die immer wieder gegen den Pfosten schlug.
Am nächsten Tag um zwei Uhr hatten sie sich wieder ein paar Meilen weitergekämpft. Mal ging der eine, mal der andere voraus. Stu glaubte allmählich, daß sie noch einen weiteren Tag unterwegs sein würden. Aber nur er war schuld daran, daß es so langsam ging. Sein Bein machte ihm Schwierigkeiten. Bald werde ich kriechen müssen,dachte er. Meistens war Tom vorausgegangen, um den Weg zu spuren.
Als sie Rast machten, um eine kalte Konserve zu essen, fiel Stu ein, daß er Frannie noch nie in hochschwangerem Zustand gesehen hatte. Vielleicht habe ich die Chance noch. Aber eigentlich glaubte er nicht mehr daran. Er war mehr und mehr davon überzeugt, daß sich alles ohne ihn abgespielt hatte... zum Guten oder zum Schlechten. Jetzt, eine Stunde nach dem Essen, beschäftigte er sich immer noch so sehr mit seinen eigenen Gedanken, daß er fast Tom umgerannt hätte, der vor ihm stehengeblieben war.
»Gibt's Probleme?« fragte Stu und rieb sich das Bein.
»Die Straße«, sagte Tom, und Stu trat rasch heran, um es sich anzusehen.
Nachdem er lange erstaunt dagestanden hatte, sagte Stu: »Da will ich mich doch glatt teeren lassen.«
Sie standen auf einer verharschten Schneeverwehung, die fast drei Meter hoch war. Der Hang fiel steil zu einer Straße ab, auf der kein Schnee zu sehen war, und rechts sahen sie ein Schild: BOULDER CITY LIMITS.
Stu fing an zu lachen. Er setzte sich in den Schnee und warf den Kopf zurück. Er brüllte vor Lachen und kümmerte sich nicht um Toms erstauntes Gesicht. Endlich sagte er: »Sie haben die Straßen mit Schneepflügen geräumt. Verstehst du? Wir haben es geschafft, Tom! Wir haben es geschafft! Kojak! Komm her!«
Stu warf die restlichen Hundekuchen in den Schnee, und Kojak verschlang sie, während Stu rauchte und Tom auf die Straße starrte, die wie die Fata Morgana eines Verrückten nach ungezählten Meilen Schnee plötzlich vor ihnen auftauchte.
»Wir sind wieder in Boulder«, murmelte Tom leise. »Das sind wir wirklich. C-I-T-Y-L-I-M-I-T-S, das buchstabiert man Stadtgrenze, meine Fresse, ja.«
Stu schlug ihm auf die Schulter und warf seine Zigarette weg. »Also los, Tom. Laß und schnellstens nach Hause gehen.«
Gegen vier fing es wieder an zu schneien. Um sechs war es dunkel, und der schwarze Teer der Straße war ein gespenstisches Weiss unter ihren Füßen. Stu humpelte wieder stark. Er wankte nur noch. Tom fragte ihn, ob er sich ein wenig ausruhen wolle, aber Stu schüttelte nur den Kopf.
Um acht Uhr herrschte wieder dichtes Schneetreiben. Ein– oder zweimal verloren sie die Orientierung und irrten in den Schneewehen am Straßenrand umher, bis sie die Richtung wieder gefunden hatten. Es wurde glatt. Tom stürzte zweimal, und dann, gegen Viertel nach acht, fiel Stu auf sein verletztes Bein. Er biß die Zähne zusammen, um nicht laut zu stöhnen. Tom rannte sofort herbei, um ihm zu helfen.
»Es ist nichts passiert«, sagte Stu und stand wieder. Zwanzig Minuten später hörten sie eine junge nervöse Stimme aus der Dunkelheit rufen.
»H-halt! W-wer da?«
Sie blieben wie angewurzelt stehen.
Kojak knurrte, und sein Nackenfell richtete sich auf. Tom hielt den Atem an. Und beim Heulen des Windes gerade noch wahrzunehmen, hörte Stu einen Laut, der ihn schaudern ließ: Ein Gewehr wurde durchgeladen.
Wachen. Sie haben Wachen aufgestellt. Es wäre sehr komisch, nach dieser langen Reise vor dem Shopping Center in Table Mesa erschossen zu werden. Wirklich komisch. Ein Witz, der sogar Randall Flagg gefallen würde.
»Stu Redman!« brüllte er in die Dunkelheit. »Hier ist Stu Redman!«
Er schluckte, und in seiner Kehle klickte es hörbar. »Wer ist denn da drüben?«
Dummes Zeug. Den kenn' ich doch sowieso nicht...
Aber die Stimme, die durch den Schnee herüberdrang, klang vertraut. »Stu? Stu Redman?«
»Tom Cullen ist auch hier... verdammt noch mal, schießen Sie bloss nicht!«
»Ist das vielleicht ein Trick?« Die Stimme schien Überlegungen anzustellen.
»Es ist kein Trick! Tom, sag was.«
»Hallo«, sagte Tom gehorsam.
Eine Pause. Der Schnee wirbelte um sie herum, und der Sturm kreischte. Dann rief der Posten (ja, die Stimme klang vertraut): »Stu hatte in seiner alten Wohnung ein Bild an der Wand hängen. Was war das für ein Bild?«
Stu überlegte fieberhaft. Er hatte dauernd nur das Geräusch beim Durchladen im Kopf. Mein Gott, dachte er, ich stehe hier im Schneesturm und muß mir überlegen, was für ein Bild im Zimmer meiner alten 'Wohnung hängt – in meiner alten Wohnung hat er gesagt. Fran muß also zu Lucy gezogen sein. Lucy hat sich über das Bild immer lustig gemacht. Sie sagte immer, John Wayne wartet schon auf diese Indianer, man sieht ihn nur nicht...
»Ein Bild von Frederic Remington!« Er brüllte, so laut er konnte. »Es heißt >Auf dem Kriegspfad
»Stu!« brüllte die Wache zurück. Ein schwarzer Schatten löste sich aus dem Schnee und rannte auf sie zu, wobei er dauernd in Gefahr war, auszurutschen und auf die Nase zu fallen. »Ich kann es einfach nicht glauben...«
Dann stand er vor ihnen, und Stu erkannte Billy Gehringer, der ihnen im letzten Sommer mit seinen Amokfahrten so viel Ärger gemacht hatte.
»Stu! Tom! Und Kojak auch noch! Wo sind Glen Bateman und Larry? Wo ist Ralph?«
Stu schüttelte müde den Kopf. »Weiß nicht. Wir müssen aus der Kälte raus, Billy. Wir erfrieren.«
»Klar, der Supermarkt ist gleich da hinten. Ich hole Norm Kellogg...
Harry Dunbarton... Dick Ellis... ach, Scheiße, ich werde die ganze Stadt wecken! Das ist ja wunderbar! Ich kann's nicht glauben!«
»Billy...«
Als Billy Gehringer sich abwandte, packte Stu ihn an der Schulter.
»Billy, Fran sollte ein Baby bekommen...«
Bill wurde ganz still. Dann flüsterte er: »Scheiße, daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht.«
»Hat sie es schon?«
»George. George Richardson kann es dir sagen, Stu. Oder Dan Lathrop. Das ist unser neuer Arzt. Er kam ungefähr vier Wochen nachdem ihr weggegangen wart. Er ist eigentlich Hals-Nasen-OhrenArzt, aber er ist sehr g...«
Stu schüttelte Billy kurz und schnitt damit sein beinahe hektisches Gebrabbel ab.
»Stimmt was nicht?« fragte Tom. »Stimmt was nicht mit Frannie?«
»Sag's mir, Billy«, sagte Stu. »Bitte.«
»Mit Fran ist alles in Ordnung«, sagte Billy.
»Hat man dir das nur erzählt?«
»Nein, ich hab' sie selbst gesehen. Ich und Tony Donahue sind zusammen raufgegangen. Wir hatten ein paar Blumen aus dem Treibhaus mit. Das Treibhaus ist Tonys Projekt, er baut da alles mögliche an, nicht nur Blumen. Der einzige Grund, warum sie noch im Krankenhaus ist... sie hatte eine, wie nennt man das noch... eine Operation...«
»Einen Kaiserschnitt?«
»Ja, richtig, denn das Baby kam verkehrt. Aber keine Sorge. Drei Tage nach der Geburt haben wir sie besucht, das war am siebten Januar, vor zwei Tagen. Wir brachten ihr ein paar Rosen. Wir dachten, sie könnte eine kleine Aufmunterung gebrauchen, weil...«
»Das Baby gestorben ist?« fragte Stu bedrückt.
»Es ist nicht tot«, sagte Billy. »Noch nicht«, fügte er dann widerwillig hinzu.
Stu fühlte sich plötzlich weit weg. Er fiel ins Leere. Er hörte Gelächter... und das Heulen von Wölfen...
Ganz rasch sprach Billy weiter: »Es hat die Grippe. Es hat Captain Trips. Das ist das Ende für uns alle, sagen die Leute. Frannie kriegte ihr Kind am vierten, ein Junge, ungefähr sechs Pfund, und zuerst war er okay, und ich glaube, alle in der Zone haben sich besoffen, Dick Ellis sagte, es war wie Pfingsten und Weihnachten an einem Tag, und dann am sechsten hat... hat er es dann einfach gekriegt. Ja, Mann«, sagte Billy, und seine Stimme klang belegt. »Er hat es, o Scheiße, ist das vielleicht ein schöner Empfang für dich, Stu, es tut mir so verdammt leid, Stu...«
Stu streckte die Hände aus, packte Billy an den Schultern und zog ihn näher heran.
»Zuerst sagten alle, vielleicht geht's ihm bald wieder besser, vielleicht ist das nur 'ne gewöhnliche Grippe... oder Bronchitis... vielleicht Diphtherie... aber die Ärzte sagen, daß Neugeborene so was nie kriegen. Es ist wie eine natürliche Immunität, weil sie so klein sind. Und George und Dan haben im letzten Jahr so viel von der Supergrippe gesehen...«
»Verdammte Scheiße«, murmelte Stu. Er wandte sich von Billy ab und humpelte die Straße hinunter.
»Stu, wohin willst du?«
»Ins Krankenhaus«, sagte Stu. »Zu meiner Frau.«
76
Fran lag wach, und eine Leselampe brannte. Die Lampe warf einen hellen Lichtkreis auf die linke Seite der sauberen Bettwäsche, unter der Fran lag. In diesem Lichtkreis lag mit dem Titel nach unten ein Roman von Agatha Christie. Fran war wach, aber sie versank langsam in den Zustand, wo Erinnerungen auf magische Weise klar werden, wenn sie beginnen, in Träume überzugehen.
Sie wollte ihren Vater begraben. Was später geschah, spielte keine Rolle, aber sie mußte sich aus ihrem Schock so weit lösen, um dies tun zu können. Wenn es getan war, konnte sie sich ein Stück Erdbeer-Rhabarber-Kuchen abschneiden. Es würde ein großes, ein saftiges Stück sein, und es würde sehr, sehr bitter schmecken. Marcy war vor einer halben Stunde hier gewesen, um nach ihr zu sehen, und Fran hatte gefragt: »Ist Peter schon tot?« Und sogar als sie sprach, schien sich die Zeit zu verdoppeln, so daß sie nicht sicher war, ob sie Peter das Baby meinte oder den Großvater des Babys, der auch Peter hieß und schon lange tot war.
»Pssst, ihm geht es gut«, hatte Marcy gesagt, aber Frannie hatte die richtige Antwort in Marcys Augen gesehen. Das Baby, das sie von Jess Rider bekommen hatte, war gerade im Begriff, irgendwo hinter vier Glaswänden zu sterben. Vielleicht würde Lucys Baby mehr Glück haben; beide Eltern waren gegen Captain Trips immun gewesen. Die Zone hatte ihren Peter jetzt abgeschrieben, und die Hoffnung aller galt den Frauen, die nach dem ersten Juli des letzten Jahres empfangen hatten. Es war brutal, aber völlig verständlich. Ihr Geist schwebte an der Grenze zwischen Wachen und Schlaf über das Terrain ihrer Vergangenheit und die Landschaft in ihrem Herzen hinweg. Sie dachte an den Salon ihrer Mutter, wo die Jahreszeiten in einem trockenen Zeitalter vorüberzogen. Sie dachte an Stus Augen und daran, wie sie ihr Baby Peter Goldsmith-Redman zum ersten Mal gesehen hatte. Sie träumte, daß Stu bei ihr im Zimmer war.
»Fran?«
Nichts war so gekommen, wie es hätte kommen sollen. Alle Hoffnungen hatten getrogen. Sie waren so falsch gewesen wie diese audioanimatronischen Tiere in Disney World, nur ein Haufen Uhrwerk, ein Trugbild, eine falsche Dämmerung, eine falsche Schwangerschaft, eine...
»He, Frannie.«
Im Traum sah sie, daß Stu wiedergekommen war. Er stand an der Tür des Zimmers und trug einen riesigen Fellparka. Noch ein Trugbild. Aber im Traum hatte Stu einen Bart. War das nicht komisch?
Sie fragte sich, ob es überhaupt ein Traum war, als sie Tom Cullen hinter ihm stehen sah. Und... war das nicht Kojak, der neben Stu saß?
Plötzlich fuhr sie sich mit der Hand an die Wangen und kniff so kräftig hinein, daß ihr die Tränen kamen. Nichts änderte sich.
»Stu?« flüsterte sie. »O mein Gott, bist du's, Stu?«
Sein Gesicht war tief gebräunt, außer der Haut um die Augen, die eine Sonnenbrille bedeckt haben mochte. Kann man solche Einzelheiten träumen?
Sie kniff sich noch einmal.
»Ich bin's«, sagte Stu und trat ins Zimmer. »Hör auf, dich zu quälen, Schatz.« Er humpelte so stark, daß er fast stürzte. »Frannie, ich bin wieder zu Hause.«
»Stu!« schrie sie. » Bist du's wirklich?Wenn du's wirklich bist, komm zu mir!«
Er ging zu ihr und nahm sie in die Arme.
77
George Richardson und Dan Lathrop betraten Frans Krankenzimmer. Stu saß an ihrem Bett, und sie ergriff sofort seine Hand und drückte sie fest. Harte Linien zeichneten ihr Gesicht, und für einen Augenblick sah Stu, wie sie als alte Frau aussehen würde. Sie sah aus wie Mutter Abagail.
»Stu«, sagte George. »Ich habe ein paar Geschichten über eure Rückreise gehört. Das grenzt an ein Wunder. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen. Wie wir alle.«
George schüttelte ihm die Hand und stellte Dan Lathrop vor. Dan sagte: »Hier erzählt man sich, es hätte in Las Vegas eine Explosion gegeben. Haben Sie es gesehen?«
»Ja.«
»Die Leute hier scheinen der Meinung zu sein, daß es sich um eine atomare Explosion gehandelt hat. Stimmt das?«
»Ja.«
George nickte und wandte sich dann an Fran.
»Wie geht es dir?«
»Danke, gut. Ich bin froh, daß ich meinen Mann wiederhabe. Was ist mit dem Baby?«
»Wegen des Babys sind wir hergekommen«, sagte Lathrop. Fran nickte. »Tot?«
George und Dan sahen sich an. »Frannie, ich möchte, daß du mir aufmerksam zuhörst, damit es keine Mißverständnisse gibt...«
Betont unbeteiligt, aber mit unterdrückter Hysterie sagte Fran:
»Wenn er tot ist, dann sag's mir doch einfach!«
»Fran«, sagte Stu.
»Peter scheint sich zu erholen«, sagte Dan Lathrop sanft. Für einen Augenblick herrschte die absolute Stille plötzlicher Erschütterung im Zimmer. Fran, ihr Gesicht ein blasses Oval in der Masse ihres dunklen kastanienbraunen Haares, blickte Dan so verständnislos an, als hätte er c hinesisch gesprochen. Irgend jemand – entweder Laurie Constable oder Marcy Spruce – steckte kurz den Kopf ins Zimmer und verschwand wieder. Es war ein Moment, den Stu nie vergessen würde.
»Was?« flüsterte Fran endlich.
George sagte: »Die Hoffnung kann trügen, Fran.«
»Du sagtest... er erholt sich«, sagte Fran. Sie konnte es einfach nicht fassen. Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht bewußt gewesen, wie sehr sie sich schon mit dem Tod des Babys abgefunden hatte. George sagte: »Dan und ich haben während der Epidemie Tausende von Fällen gesehen, Fran... ich sage bewußt nicht >behandelt<, denn ich glaube nicht, daß es einem von uns beiden je gelungen ist, den Verlauf dieser Krankheit auch nur im geringsten zu beeinflussen. Kann man das sagen, Dan?«
»Ja.«
Die Ich-will-Linie, die Stu schon kurz nach ihrer ersten Begegnung in New Hampshire aufgefallen war, erschien auf Frans Stirn. »Möchtest du nicht endlich zur Sache kommen, um Himmels willen?«
»Das versuche ich, aber ich muß vorsichtig sein, und ich werdevorsichtig sein«, sagte George. »Es geht hier um das Leben deines Sohnes. Das Thema läßt sich nicht mit drei Worten abhandeln. Du mußt versuchen, unsere Gedankengänge zu verstehen. Captain Trips war eine Grippe, die das Immunsystem des Menschen überfordert. Jede Grippe – ich meine jetzt die alten Typen – hat einen anderen Erreger und taucht trotz Schutzimpfungen alle paar Jahre wieder auf. Da gibt es den A-Typ, genannt Hongkong-Grippe, und du läßt dich dagegen impfen. Aber zwei Jahre später kommt eine BTyp-Epidemie, und du wirst trotz Schutzimpfung krank, wenn du nicht auch gegen den B-Typ geimpft bist.«
»Man kann die Grippe aber auch ohne Schutzimpfung überstehen«, warf Dan ein, »denn der Körper entwickelt seine eigenen Abwehrstoffe, aber bei Captain Trips verändert sich die Grippe selbst, sobald der Körper die entsprechenden Abwehrstoffe produziert hat. In dieser Hinsicht war der Erreger von Captain Trips dem AIDS-Virus ähnlicher als jedem normalen Grippevirus, gegen den unser Körper Abwehrmechanismen entwickelt hat. Und wie AIDS wechselte Captain Trips immer wieder die Form, bis der Körper zu sehr geschwächt war, um neue Antikörper zu produzieren. Das unabwendbare Ergebnis war der Tod.«
»Warum haben wir es dann nicht bekommen?« fragte Stu. George sagte: »Das wissen wir nicht. Ich glaube auch nicht, daß wir es je erfahren werden. Aber wir sind sicher, daß die Leute, die die Seuche überlebt haben, die Krankheit nicht überwunden haben; sie haben sie einfach gar nicht bekommen. Das bringt uns zurück zu Peter. Dan?«
»Ja. Der Schlüssel zu Captain Trips ist die Tatsache, daß die Erkrankten immer nur beinaheauf dem Weg zur Gesundung waren, aber niemals völlig. Peter zeigte die ersten Symptome achtundvierzig Stunden nach seiner Geburt. Es gab keinen Zweifel, daß es sich um Captain Trips handelte – die Symptome waren klassisch. Aber diese dunklen Verfärbungen am Hals, die, davon sind George und ich inzwischen überzeugt, das vierte und letzte Stadium der Krankheit einleiten – sind bei Peter nie eingetreten. Außerdem werden seine Remissionsperioden immer länger.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Fran verwirrt. »Was...«
»Peters Immunsystem reagiert offenbar sehr schnell, sooft Captain Trips den Typ wechselt. Es besteht zwar immer noch die Möglichkeit, daß es zusammenbricht, aber Peters Körper ist nie in das letzte, kritische Stadium eingetreten. Es sieht jetzt fast so aus, als ob er es durchhält.«
Wieder war es still im Zimmer.
Dan sagte: »Wahrscheinlich hat er eine halbe Immunität von Ihnen geerbt, Fran. Er hat die Krankheit bekommen, aber wir glauben jetzt, daß er auch die Fähigkeit hat, sie zu überwinden. Wir nehmen an, daß Mrs. Wentworth' Zwillinge dieselbe Chance hatten, nur daß sie unter viel schlechteren Voraussetzungen geboren wurden – und ich glaube immer noch, daß sie vielleicht gar nicht an der Supergrippe gestorben sind, sondern an den Komplikationen, die sie hervorgerufen hat. Ich weiß, daß das nur ein sehr geringer Unterschied ist, aber er könnte entscheidend sein.«
»Und wie steht es um die anderen Babys von Vätern, die nicht immun waren?« fragte Stu.
»Wir nehmen an, daß sie alle dasselbe durchmachen müssen wie Ihr kleiner Peter jetzt«, sagte George. »Einige werden vielleicht sterben. Auch bei Peter mußten wir das zeitweise befürchten. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis alle ungeborenen Kinder in der Freizone – und in der Welt– von Eltern stammen, die beide immun sind. Wie wird es diesen Kindern ergehen? Nun, es wäre geschmacklos, darauf Wetten abzuschließen, aber ich bin ziemlich sicher, daß wir das Spiel gewinnen. Aber jetzt müssen wir uns um Peter kümmern und ihn sehr sorgfältig beobachten.«
»Und nicht nur wir allein. Die ganze Freie Zone bangt um ihn. Es ist in der Tat so, daß Peter das Kind der ganzen Freien Zone ist.«
Fran flüsterte: »Ich möchte, daß er lebt, nur weil er mir gehört und weil ich ihn liebe.« Sie sah Stu an. »Und er ist meine Verbindung zur alten Welt. Er sieht Jess ähnlicher als mir, darüber bin ich froh. Das ist nur gerecht. Verstehst du, was ich meine, Liebster?«
Stu nickte, und plötzlich schoß ihm ein absurder Gedanke durch den Kopf: wie gern er noch einmal mit Hap und Norm Bruett und Vic Palfrey zusammensitzen würde, ein Bier mit ihnen trinken und zuschauen, wie Vic sich eine von seinen stinkenden Zigaretten dreht, und ihnen erzählen, wie die ganze Sache ausgegangen ist. Sie hatten ihn immer den schweigsamen Stu genannt. Aber jetzt würde er so lange reden, bis ihnen die Ohren vom Kopf fielen. Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag. Er griff nach Frans Hand und spürte, daß ihm die Tränen in die Augen stiegen.
»Wir müssen weiter«, sagte George und stand auf. »Wir werden Peter sorgfältig beobachten, Fran, und dich auf dem laufenden halten.«
»Wann kann ich ihn haben, wenn... wenn er nicht...?«
»Eine Woche«, sagte Dan.
»Aber das ist so lang!«
»Es wird für uns alle eine lange Woche werden. Wir haben einundsechzig schwangere Frauen in der Zone, und neun von ihnen haben ihre Babys vor der Supergrippe empfangen. Auch für diese Frauen wird es eine lange Woche werden. Stu ? Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.« Dan streckte ihm die Hand entgegen, und Stu schüttelte sie. Der Arzt verließ schnell das Zimmer. Ein Mann, der eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte und das auch gewissenhaft tat.
George schüttelte Stu die Hand und sagte: »Sehen wir uns morgen nachmittag? Laß Laurie wissen, wann es dir am besten paßt!«
»Um was geht es denn?« fragte Stu.
»Um dein Bein«, sagte George. »Sieht nicht gut aus, stimmt's?«
»Es geht.«
»Stu?« sagte Frannie und richtete sich auf. »Was ist mit deinem Bein?«
» Gebrochen, schlecht geschient, schief angewachsen«, sagte George. » Unangenehme Sache. Aber das Bein kann gerichtet werden.«
»Ach...« sagte Stu.
»Ach, nichts da! Zeig es mir, Stuart!« Die Ich-will-Linie war wieder da.
»Später«, sagte Stu.
George stand auf. »Melde dich bei Laurie, okay?«
»Das wird er«, sagte Fran.
Stu grinste. »Bestimmt«, sagte er. »Die Chefin hat's gesagt.«
»Ich bin froh, daß du wieder da bist«, sagte George. Er schien noch tausend Fragen auf dem Herzen zu haben. Aber dann schüttelte er den Kopf und ging hinaus. Er machte die Tür fest hinter sich zu.
»Laß mich mal sehen, wie du gehst«, sagte Frannie. Die Ich-willLinie stand noch zwischen ihren Brauen.
»Ach, Frannie.«
»Na los, zeig mir, wie du gehst.«
Er ging ein Stück – wie ein Seemann, der versucht, auf schlingerndem Schiff die Balance zu halten. Als er sich zu ihr umdrehte, weinte sie.
»Oh, Frannie, nicht weinen, Schatz!«
»Ich muß«, sagte sie und schlug die Hände vors Gesicht. Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hände. »Nein, mußt du nicht.«
Sie sah ihn mit tränennassen Augen an: »So viele Leute sind tot... Harold, Nick, Susan... und was ist mit Larry? Was ist mit Glen und Ralph?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und was wird Lucy sagen? In einer Stunde wird sie hier sein. Sie kommt jeden Tag, Stu. Sie ist im vi erten Monat. Was willst du ihr sagen, wenn sie dich fragt?«
»Sie sind drüben gestorben«, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr.
»Das glaube ich. Ich weiß es, in meinem Herzen.«
»Sag es nicht so«, bat Fran. »Nicht wenn Lucy hier ist. Es würde ihr das Herz brechen.«
»Ich glaube, sie waren das Opfer. Gott verlangt immer nach Opfern. Seine Hände sind blutig davon. Warum? Ich weiß es nicht. Ich bin nicht besonders gescheit. Vielleicht haben wir selbst den Anstoss dazu gegeben. Ich weiß nur, daß die Bombe drüben explodiert ist und nicht hier und daß wir für eine Weile sicher sind. Für eine kleine Weile.«
»Ist Flagg fort? Wirklich fort?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube... wir werden vor ihm auf der Hut sein müssen. Und irgendwann muß jemand den Ort finden, wo man die Seuchenbazillen gezüchtet hat. Er muß zugeschüttet und mit Salz bedeckt werden. Und dann muß darüber gebetet werden. Für uns alle.«
Sehr viel später an diesem Abend, es war schon fast Mitternacht, schob Stu Fran in einem Rollstuhl den stillen Krankenhauskorridor entlang. Laurie Constable ging neben ihnen, und Fran hatte dafür gesorgt, daß Stu seinen Termin mit ihr vereinbarte.
»Du siehst aus, als ob eigentlich du in diesem Rollstuhl sitzen müßtest, Stu Redman«, sagte Laurie.
»Im Moment macht mir mein Bein keine Probleme!«
Sie kamen an ein großes Fenster, durch das man in einen Raum sah, der himmelblau und rosa ausstaffiert war. Von der Decke hing ein großes Mobile. Aber nur ein Bettchen war belegt, in der ersten Reihe.
Stu starrte fasziniert durch die Scheibe.
GOLDSMITH -REDMAN, PETER, stand auf der Karte am Fußende des Bettchens. KÖRPERGEWICHT 3225 GRAMM, MUTTER FRANCES GOLDSMITH, VATER JESSIE RIDER (VERST.)
Peter schrie.
Sein Gesicht war rot, seine kleinen Hände zu Fäusten geballt. Auf dem Kopf hatte er eine erstaunliche Menge schwarzer Haare. Seine Augen waren blau, und er schien Stu direkt anzusehen, als wollte er ihn für all dies Elend verantwortlich machen.
Auf der Stirn hatte er eine tiefe vertikale Falte... eine Ich-will-Linie. Frannie weinte wieder.
»Frannie, stimmt was nicht?«
»Die vielen leeren Bettchen«, sagte sie, und ihre Stimme wurde zum Schluchzen. »Das stimmt nicht. Er ist ganz allein. Kein Wunder, dass er weint. Stu, er ist ganz allein. Die vielen leeren Bettchen, mein Gott...«
»Er wird nicht lange allein sein«, sagte Stu und legte seinen Arm um ihre Schultern. »Und ich finde, er sieht aus, als könnte ein hübscher Junge aus ihm werden. Meinst du nicht auch, Laurie?«
Aber Laurie hatte die beiden vor dem Fenster des Kinderzimmers allein gelassen. *
Obwohl sein Bein dabei scheußlich schmerzte, kniete Stu sich neben Fran und umarmte sie ungeschickt. Von Staunen erfüllt schauten sie das Kind an, als sei es das erste, das je auf diese Welt kam. Nach einer Weile schlief Peter ein, die kleinen Händchen auf der Brust geballt. Und immer noch sahen sie ihn an... und staunten darüber, daß er überhaupt da war.