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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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73

Die drei Männer kampierten sechzehn Meilen westlich von der Stelle, wo sie Stu zurückgelassen hatten. Sie hatten wieder eine Auswaschung erreicht, aber hier war der Schaden geringer. Sie hatten nur deshalb so wenige Meilen zurückgelegt, weil sie ein wenig den Mut verloren hatten. Und es war schwer zu sagen, ob sie ihn jemals wiedererlangen würden. Die Füße schienen ihnen schwerer geworden zu sein. Sie sprachen kaum miteinander. Und keiner wollte dem anderen ins Gesicht sehen – aus Angst, die eigene Schuld darin widergespiegelt zu sehen.

Sie hatten erst nach Einbruch der Dunkelheit ihr Lager aufgeschlagen und aus Zweigen ein kleines Feuer entfacht. Sie hatten Wasser, aber nichts zu essen. Glen stopfte seinen letzten Tabak in die Pfeife und überlegte sich plötzlich, ob Stu noch Zigaretten hatte. Der Gedanke verdarb ihm den Geschmack an seinem Tabak, und er klopfte seine Pfeife an einem Felsen aus. Zerstreut trat er seinen letzten Krümel Borkum Riff mit dem Fuß weg. Als ein paar Minuten später irgendwo in der Dunkelheit eine Eule schrie, blickte er sich um.

»Sagt mal, wo ist denn Kojak?« fragte er.

»Das ist aber seltsam«, sagte Ralph. »Ich kann mich gar nicht daran erinnern, ihn in den letzten Stunden gesehen zu haben.«

Glen stand auf. »Kojak!« schrie er. »He, Kojak! Kojak!« Einsam hallte das Echo seiner Stimme aus der Wüste zurück. Kein Bellen kam als Antwort. Von Trübsinn überwältigt, setzte er sich wieder hin. Er seufzte leise. Fast über den ganzen Kontinent war Kojak ihm gefolgt. Jetzt war er weg. Es war wie ein böses Omen.

»Glaubst du, daß irgendwas ihn erwischt hat?« fragte Ralph leise. Larry sagte mit ruhiger, nachdenklicher Stimme: »Vielleicht ist er bei Stu geblieben.«

Glen blickte erschrocken auf. »Vielleicht«, meinte er dann und dachte darüber nach. »Das könnte sein.«

Larry warf einen Stein von einer Hand in die andere, hin und her, her und hin. »Stu hat gesagt, daß Gott ihm vielleicht einen Raben schickt, der ihn füttert. Ich bezweifle, daß es hier draußen einen Raben gibt. Also hat er Stu vielleicht statt dessen einen Hund geschickt.«

Im Feuer knackte ein brennender Ast, und Funken sprühten hoch in die Dunkelheit, um kurz in einem hellen Wirbel aufzuglühen und sofort wieder zu erlöschen.



Als Stu die dunkle Gestalt durch die Rinne auf sich zuschleichen sah, schob er sich gegen den Felsen, das Bein steif vor sich ausgestreckt, und nahm mit einer vor Kälte fast tauben Hand einen Felsbrocken auf. Er war kalt bis auf die Knochen. Larry hatte recht gehabt. Zwei oder drei Tage bei diesen Temperaturen hier herumzuliegen würde seinen sicheren Tod bedeuten. Aber jetzt sah es ganz so aus, als ob etwas auf ihn zuschlich, das ihn schon vorher erledigen würde. Kojak war bis Sonnenuntergang bei ihm geblieben und dann weggelaufen. Stu hatte ihn nicht zurückgerufen. Der Hund würde Glen und die anderen schon finden. Vielleicht hatte er eine eigene Rolle in diesem Drama zu spielen. Aber er wünschte sich jetzt, daß Kojak noch ein wenig länger geblieben wäre. Die Pillen waren eine Sache, aber er hatte keine Lust, von einem der Wölfe des dunklen Mannes in Stücke gerissen zu werden.

Er packte den Felsbrocken fester, und die dunkle Gestalt blieb etwa zwanzig Meter entfernt stehen. Dann kam sie wieder näher, ein Schatten, schwärzer als die Nacht.

»Also los, komm schon«, rief Stu heiser.

Der schwarze Schatten wedelte mit dem Schwanz und kam näher.

» Kojak

Er war es. Und er hatte etwas im Maul, das er vor Stus Füße fallen ließ. Dann setzte er sich, klopfte mit dem Schwanz auf den Boden und wartete darauf, daß Stu ihn lobte.

»Braver Hund«, sagte Stu verblüfft. »Braver Hund.«

Kojak hatte ihm ein Kaninchen gebracht.

Stu zog sein Taschenmesser, klappte es auf und weidete das Kaninchen mit drei schnellen Schnitten aus. Er nahm die dampfenden Eingeweide und warf sie Kojak zu. »Willst du?« Kojak wollte. Stu zog dem Kaninchen das Fell ab. Der Gedanke, es roh essen zu müssen, tat seinem Magen nicht sehr wohl.

»Holz?« wandte sich Stu ohne viel Hoffnung an Kojak. Überall an der Uferböschung des Wasserlaufes lagen Zweige und Äste, aber in Reichweite gab es keine.

Kojak wedelte mit dem Schwanz und blieb sitzen.

»Holen? H...«

Aber Kojak war weg. Er rannte in östliche Richtung, und als er zurückkam, hatte er ein großes Stück Holz im Maul. Er ließ es neben Stu fallen, bellte und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.

»Braver Hund«, sagte Stu wieder. »Ich werd' verrückt! Holen, Kojak!«

Mit fröhlichem Gebell verschwand Kojak wieder. Nach zwanzig Minuten hatte er genug Holz für ein großes Feuer gebracht. Stu schnitt Späne von den Ästen, um das Feuer anzünden zu können. Dann schaute er nach, wie viele Streichhölzer er noch hatte. Es waren anderthalb Heftchen. Beim zweiten Streichholz brannte sein Anmachholz, und er achtete sorgfältig darauf, daß es nicht wieder erlosch. Bald brannte ein ordentliches Feuer, und in seinem Schlafsack sitzend, rückte Stu so nahe wie möglich heran. Kojak setzte sich an die andere Seite des Lagerfeuers und legte die Schnauze auf die Pfoten.

Als das Feuer ein wenig heruntergebrannt war, spießte Stu das Kaninchen auf und briet es. Der Geruch war bald so stark und so aromatisch, daß ihm der Magen knurrte. Auch Kojak wurde aufmerksam und beäugte das Kaninchen mit regem Interesse.

»Hälfte für dich und Hälfte für mich, alter Junge, okay?«

Fünfzehn Minuten später nahm er das Kaninchen vom Feuer und schaffte es, den Braten in zwei Teile zu reißen, ohne sich allzusehr die Finger zu verbrennen. Das Fleisch war stellenweise verbrannt, an anderen Stellen noch halb roh, aber es stellte den Büchsenschinken vom Great-Western-Market weit in den Schatten. Er und Kojak verschlangen es... und als sie fertig waren, hörten sie ein markerschütterndes Geheul.

»Mein Gott!« rief Stu, noch immer ein Stück Kaninchenfleisch im Mund. Kojak war aufgesprungen, und seine Nackenhaare sträubten sich. Er knurrte. Steifbeinig schlich er um das Feuer herum, immer noch knurrend. Aber was immer geheult hatte, war verstummt. Stu legte sich hin, einen faustgroßen Felsbrocken in der einen Hand, das Taschenmesser in der anderen. Die Sterne leuchteten kalt und fern und gleichgültig. Er dachte an Fran, aber nicht lange. Der Gedanke war zu schmerzlich, mit vollem Bauch oder nicht. Aber ich werde nicht schlafen, dachte er. jedenfalls nicht lange. Aber dann schlief er doch ein, mit Hilfe einer von Glens Pillen. Und als das Feuer schon fast erloschen war, schlich Kojak herüber und legte sich neben ihn und gab Stu etwas von seiner Wärme. Und so kam es, daß Stu in der ersten Nacht, die er ohne seine Gefährten verbringen mußte, aß, während sie hungerten, und gut schlief, während ihr Schlaf von Alpträumen und dem Gefühl sich rasch nahenden Unheils gestört wurde.



Am vierundzwanzigsten, nach einer Tagesetappe von dreißig Meilen, rastete Larry Underwoods dreiköpfige Pilgergruppe nordöstlich des San Rafael Knob. In dieser Nacht sank die Temperatur unter Null, und sie zündeten ein großes Feuer an. So nahe wie möglich schliefen sie neben der Glut. Kojak war nicht wiedergekommen.

»Wie mag es Stu wohl heute nacht ergehen?« fragte Ralph Larry.

»Er stirbt«, sagte Larry knapp, und seine Worte taten ihm sofort leid, als er die Trauer in Ralphs ehrlichem Gesicht sah. Aber er wußte nicht, wie er diese Worte zurücknehmen konnte, denn was er gesagt hatte, war mit großer Wahrscheinlichkeit wahr.

Er legte sich wieder hin und hatte das seltsame Gefühl, daß es schon morgen war. Was immer sie erwartete, sie hatten es fast schon erreicht.

In der Nacht hatte er Alpträume. In jenem Traum, den er am nächsten Morgen am deutlichsten in Erinnerung hatte, war er mit einer Gruppe namens The Shady Blues Connection auf Tournee. Sie spielten im Madison Square Garden, und das Konzert war ausverkauft. Donnernder Applaus, als sie die Bühne betraten. Larry ging nach vorn, um sein Mikrophon zu justieren, es auf die richtige Höhe zu bringen, doch es ließ sich keinen Millimeter bewegen. Er ging zum Mikro des Leadgitarristen hinüber, aber auch das war wie angeschweißt. Dasselbe mit den Mikros des Baßgitarristen und des Mannes an den Keyboards. Buhrufe und rhythmisches Klatschen erhoben sich in der Menge. Einer nach dem anderen schlichen sich die Musiker der Shady Blues Connection von der Bühne; auf ihren Gesichtern lag ein verstohlenes Grinsen; sie trugen ähnlich poppig-psychedelische Hemden, wie die Byrds sie einst getragen hatten, damals, 1966, als Roger McGuin noch bei jedem Auftritt acht Meilen high gewesen war. Oder achthundert. Und Larry ging noch immer von Mikro zu Mikro in der Hoffnung, eins zu finden, das sich einstellen ließ. Aber die Dinger waren allesamt mindestens drei Meter hoch und wie festgefroren. Sie sahen aus wie Kobras aus rostfreiem Stahl. Irgend jemand in der Menge verlangte lautstark »Baby, Can You Dig Your Man?«. Diesen Song spiel' ich nicht mehr, versuchte Larry zu sagen. Ich hab' ihn seit dem Weltuntergang nicht mehr gespielt.Sie konnten ihn nicht hören, und nun begann die Menge zu singen, zuerst die hinteren Reihen; dann wogte der Gesang nach vorn, wurde lauter und lauter und schriller, bis der ganze Garden erfüllt war von Gebrüll: » Baby Can You Dig Your Man! Baby Can You Dig Your Man! BABY CAN YOU DIG YOUR MAN!«

Larry erwachte; das Geschrei hallte ihm noch in den Ohren. Er war schweißgebadet.

Er brauchte nicht erst Glen zu fragen, was für eine Art Traum das gewesen war oder welche Bedeutung er hatte. Der Traum, in dem man nicht an die Mikrophone herankommt, sie nicht justieren kann, ist nicht ungewöhnlich für einen Rockmusiker – wie auch jener Traum, daß man auf der Bühne steht und plötzlich den Text des Songs vergessen hat. Larry vermutete, daß alle Entertainer in der einen oder anderen Form diesen Traum hatten, bevor – Bevor ihr Auftritt kam.

Es war ein Unzulänglichkeitstraum. Er verdeutlichte die eine, primitive, alles überdeckende Angst: Was, wenn du nicht kannst? Was, wenn du willst, aber nicht kannst?Das Entsetzen, jene Grenze nicht überschreiten zu können, die den Amateur vom Künstler – Sänger, Schriftsteller, Maler, Musiker – trennt.

Du mußt den Leuten etwas bieten, Larry.

Wessen Stimme war das? Die seiner Mutter?

Du bist einer, der nur nimmt, Larry.

Nein, Mom – nein, bin ich nicht. Diesen Song spiel' ich nicht mehr. Seit dem Weltuntergang spiel' ich ihn nicht mehr. Ehrlich. 

Er legte sich wieder hin und versank allmählich in Schlaf. Stu hatte recht, war sein letzter Gedanke: Der dunkle Mann wird uns alle zu fassen kriegen. Morgen, dachte er. Was immer uns erwartet, wir sind fast da.

Aber am Fünfundzwanzigsten sahen sie niemanden. Die drei Männer wanderten gemächlich unter dem blauen Himmel dahin und sahen Vögel und Wild, aber keine Menschen.

»Es ist erstaunlich, wie sich die Tiere wieder vermehren«, sagte Glen. »Ich wußte, daß dies ein schneller Prozeß sein würde, und natürlich wird der Winter alles wieder ein wenig zurechtstutzen, aber es ist dennoch erstaunlich. Seit den ersten Ausbrüchen der Seuche sind nur etwa hundert Tage vergangen.«

»Ja, aber es gibt keine Hunde und Pferde mehr«, sagte Ralph. »Das gefällt mir nicht. Sie haben einen Erreger gefunden, der fast alle Menschen getötet hat, aber das reichte offenbar nicht. Er mußte auch noch die beiden beliebtesten Tierarten ausrotten. Er hat die Menschen dahingerafft und ihre besten Freunde gleich dazu.«

»Und die Katzen übriggelassen«, sagte Larry traurig. Ralphs Miene hellte sich auf. »Es gibt doch noch Kojak...«

»Es gabKojak.«

Das würgte die Unterhaltung ab. Die Spitzkuppen ringsum blickten dräuend auf sie herab. Hier konnten sich Männer mit Gewehren und Ferngläsern verborgen halten. Larrys böse Vorahnungen, daß heute der Tag war, hatte ihn noch nicht verlassen. Immer wenn die Straße anstieg, erwartete er auf der anderen Seite eine Straßensperre. Und wenn das nicht der Fall war, fürchtete er irgendwo einen Hinterhalt. Sie redeten über Pferde. Über Hunde und Büffel. Die Büffel kehrten bereits allmählich zurück, erzählte Ralph ihnen – Nick und Tom Cullen hatten welche gesehen. Der Tag war gar nicht mehr so fern – vielleicht noch zu ihren Lebzeiten -, daß riesige Büffelherden wieder die Prärie bevölkerten.

Larry wußte, daß Ralph recht hatte. Er wußte aber auch, daß es scheißegal war, was sie betraf – vielleicht belief sich die Summe ihrer Lebzeiten auf weniger als zehn Minuten.

Dann war es fast dunkel, und es wurde Zeit, das Lager aufzuschlagen. Noch einmal stieg die Straße an, und Larry dachte: Jetzt. Dort unten werden sie sein.

Aber es war niemand da. Sie kampierten in der Nähe eines grünen Reflektorschildes, auf dem LAS VEGAS 260 stand. Sie hatten heute verhältnismäßig gut gegessen: Taco-Chips, Soda und zwei Slim Jims, die sie untereinander aufgeteilt hatten.

Morgen, dachte Larry wieder und schlief ein. In dieser Nacht träumte er, daß er, Barry Greig und die Tattered Remnants im Madison Square Garden spielten. Es war ihre große Chance – sie eröffneten den Abend für irgendeine Supergruppe, die sich nach einer Stadt benannte. Boston oder vielleicht auch Chicago. Und die Mikrophonständer waren alle mindestens drei Meter hoch, und in wachsender Panik stolperte er von einem zum anderen, und die Leute klatschten wieder rhythmisch und wollten wieder »Baby, Can You Dig Your Man?« hören. Er schaute zur ersten Reihe hinunter, und wie ein eiskalter Wasserguß packte ihn die Angst. Charles Manson saß da, und das Kreuz auf seiner Stirn war zu einer weißen schiefen Narbe verheilt. Er klatschte und schrie. Und auch Richard Speck saß dort unten und schaute Larry unverschämt an, und zwischen seinen Lippen zitterte eine filterlose Zigarette. Hinter ihm saß John Wayne. Und Flagg führte den Chor an.

Morgen, dachte Larry wieder und stolperte unter den heißen Traumlichtern des Madison Square Garden von einem der hohen Mikrophone zum anderen. Wir sehen uns morgen.

Aber es war nicht am nächsten Tag und auch nicht am Tag danach. Am Abend des 27. September kampierten sie in der Stadt Freemont Junction, und es gab reichlich zu essen.

»Ich erwarte immer, daß es bald vorbei ist«, sagte Larry an diesem Abend zu Glen. »Und es wird jeden Tag schlimmer.«

Glen nickte. »Mir geht es ähnlich. Wäre schon komisch, wenn es sich nur um eine Fata Morgana gehandelt hätte, nicht wahr? Nichts als ein böser Traum in unserem kollektiven Bewußtsein.«

Larry sah ihn einen Augenblick überrascht und nachdenklich an. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass es nur ein Traum ist.«

Glen lächelte. »Ich auch nicht, junger Mann. Ich auch nicht.«

Am nächsten Tag war es soweit.



Morgens um kurz nach zehn gingen sie eine Steigung hoch, und unter ihnen im Westen, etwa fünf Meilen entfernt, parkten zwei Wagen Motorhaube an Motorhaube. Alles sah genauso aus, wie Larry es erwartet hatte.

»Unfall?« fragte Glen.

Ralph hielt die Hände über die Augen. »Das glaube ich nicht. Dann würden sie anders stehen.«

»Es sind seineLeute«, sagte Larry.

»Ja, das glaube ich auch«, sagte Ralph. »Was sollen wir jetzt tun, Larry?«

Larry nahm sein großes Taschentuch aus der Gesäßtasche und wischte sich damit das Gesicht. Entweder war heute wieder Sommer, oder sie spürten bereits die Hitze der Wüste, die im Südwesten lag. Es mochten knapp dreißig Grad sein.

Aber es ist eine trockene Hitze, dachte er. Ich schwitze nur ein wenig. Nur ganz wenig.Er steckte das Taschentuch wieder ein. Jetzt, wo es endlich soweit war, fühlte er sich gut. Wieder überkam ihn das seltsame Gefühl, daß es sich hier um einen Auftritt handelte, eine Show, die über die Bühne gehen mußte.

»Wir gehen hinunter«, sagte Larry. »Dann werden wir feststellen, ob Gott wirklich auf unserer Seite steht. Okay, Glen?«

»Du bist der Boß.«

Sie gingen weiter. Nach einer halben Stunde waren sie so nahe herangekommen, um erkennen zu können, daß diese Wagen früher der Utah State Police gehört hatten. Mehrere bewaffnete Männer warteten auf sie.

»Ob sie uns erschießen?« fragte Ralph im Plauderton.

»Das weiß ich nicht«, sagte Larry.

»Ein paar von ihren Gewehren haben Zielfernrohre. Die Sonne spiegelt sich in den Linsen. Wenn sie uns abknallen wollen, könnte es ziemlich bald passieren. Wir sind fast in Schußweite.«

Sie setzten ihren Weg fort. Die Männer an der Straßensperre teilten sich in zwei Gruppen auf. Fünf Männer standen vorn und richteten ihre Gewehre auf die drei Leute, die sich ihnen näherten, drei weitere knieten hinter dem Wagen.

»Sind es acht, Larry?«

»Ich zähle auch acht«, sagte Larry. »Wie fühlst du dich?«

»Okay«, sagte Glen.

»Und du, Ralph?«

»Solange wir nur wissen, was wir zu tun haben, wenn's soweit ist«, antwortete Ralph. »Das ist mein einziger Wunsch.«

Larry nahm seine Hand und drückte sie. Dann tat er bei Glen das gleiche.

Sie waren jetzt bis auf weniger als eine Meile herangekommen. »Sie werden uns nicht gleich erschießen«, sagte Ralph. »Sonst hätten sie es längst getan.«

Jetzt waren schon die Gesichter zu erkennen, und Larry schaute interessiert hinüber. Einer trug einen dichten Bart. Ein anderer war noch jung, aber schon fast kahl – schlimm für ihn, dachte Larry. Die Haare müssen ihm schon während der Schulzeit ausgefallen sein.Ein anderer trug ein knallgelbes T-Shirt mit einem grinsenden Kamel darauf, unter dem in altmodischen verschnörkelten Buchstaben das Wort SUPERHUMP – Superbuckel – stand. Wieder einer sah wie ein Buchhalter aus. Er fummelte mit einer 357er Magnum herum und wirkte dreimal so nervös, wie Larry sich jetzt fühlte; genau der Mann, der sich selbst in die Füße schießen würde, wenn er sich nicht endlich beruhigte.

»Sie sehen nicht anders aus als unsere Leute«, sagte Ralph.

»Doch«, antwortete Glen. »Sie tragen alle Gewehre.«

Sie näherten sich dem Wagen bis auf etwa sechs Meter. Larry blieb stehen, und auch die anderen hielten an. Ein Augenblick tödlicher Stille entstand, als Flaggs Männer und Larry und seine Leute sich gegenseitig musterten.

»Hallo«, sagte Larry nach einer Weile freundlich.

Der Kleine, der wie ein Buchhalter aussah, trat vor. Er spielte immer noch mit seiner Magnum. »Seid ihr Glendon Bateman, Lawson Underwood, Stuart Redman und Ralph Brentner?«

»Sag mal, du Trottel«, sagte Ralph, »kannst du nicht zählen?«

Jemand kicherte. Der Buchhaltertyp lief rot an. »Wer fehlt?«

»Stu hatte unterwegs einen Unfall«, sagte Larry. »Und du wirst auch bald einen haben, wenn du nicht aufhörst, mit der Kanone zu spielen.«

Wieder lachten ein paar Leute. Der Buchhalter schaffte es, die Waffe im Gürtel seiner grauen Hose unterzubringen, und er sah jetzt noch lächerlicher aus als vorher. Eine Witzfigur.

»Ich heiße Paul Burlson«, sagte er, »und kraft der mir verliehenen Autorität verhafte ich Sie und fordere Sie auf mitzukommen.«

»In wessen Namen?« fragte Glen sofort.

Burlson sah ihn verächtlich an... aber in seine Verachtung mischte sich noch etwas anderes. »Sie wissen, für wen ich spreche.«

»Dann sag es doch.«

Aber Burlson schwieg.

»Hast du Angst?« fragte Glen ihn. Er betrachtete die acht Männer.

»Hast du solche Angst, daß du nicht einmal seinen Namen auszusprechen wagst? Gut, dann tue ich es für dich. Sein Name ist Randall Flagg, auch bekannt als der dunkle Mann oder der große Mann oder der Wandelnde Geck. Nennen einige von euch ihn nicht so?« Er sprach hell und klar, und seiner Stimme war anzumerken, wie wütend er war. Einige der Männer sahen sich unbehaglich an, und Burlson trat erschrocken einen Schritt zurück. »Nennt ihn Beelzebub, denn auch das ist sein Name. Nennt ihn Nyarlahotep und Ahaz und Astaroth. Nennt ihn R'yelah und Seti und Anubis. Sein Name ist Legion, und er ist ein Abtrünniger der Hölle, und ihr Männer küßt ihm den Arsch.« Er sprach jetzt wieder im Plauderton und lächelte entwaffnend. »Ich finde, das sollte einmal gesagt werden.«

»Packt sie«, sagte Burlson. »Packt sie alle und erschießt den ersten, der sich bewegt.«

Es war seltsam. Ein paar Sekunden lang rührte niemand auch nur eine Hand, und Larry dachte: S ie werden es nicht tun, sie haben vor uns genausoviel Angst wie wir vor ihnen, noch mehr, obwohl sie bewaffnet sind...

Er sah Burlson an und sagte: »Was soll der Unsinn, du Schleimscheißer? Wir wollenja gehen. Deshalb sind wir gekommen.«

Dann setzten die Männer sich in Bewegung, als hätte Larry den Befehl dazu erteilt. Larry und Ralph wurden auf den Rücksitz eines der Wagen gedrängt, Glen auf den Rücksitz des anderen. Sie saßen hinter einem Gitter aus Stacheldraht, und die Türen hatten innen keine Griffe.

Wir sind verhaftet, dachte Larry. Er stellte fest, daß der Gedanke ihn amüsierte.

Vier Männer zwängten sich auf den Vordersitz. Der Wagen setzte zurück, wendete und fuhr in Richtung Westen. Ralph seufzte.

»Angst?« fragte Larry ganz leise.

»Keine Ahnung. Erst mal bin ich froh, daß ich nicht mehr laufen muß.«

Einer der Männer vor ihnen sagte: »Der alte Mann mit dem großen Maul. Ist er euer Boß?«

»Nein, das bin ich.«

»Wie heißen Sie?«

»Larry Underwood. Dies ist Ralph Brentner. Der andere heißt Glen Bateman.« Er schaute durch die Heckscheibe. Der zweite Wagen war hinter ihnen.

»Was ist mit dem vierten Kerl passiert?«

»Er hat sich das Bein gebrochen. Wir mußten ihn zurücklassen.«

»Verdammtes Pech. Ich heiße Barry Dorgan. Sicherheitspolizei Vegas.«

Larry hätte fast freut mich, Sie kennenzulernen gesagt, und er mußte lächeln. »Wie lange fährt man bis Vegas?«

»Wir können wegen der vielen liegengebliebenen Fahrzeuge nicht allzu schnell fahren. Wir räumen die Straßen von der Stadt her, aber es geht sehr langsam. Wir werden in ungefähr fünf Stunden dort sein.«

»Ist das nichts?« sagte Ralph und schüttelte den Kopf. »Wir sind schon drei Wochen unterwegs, und in einem Wagen sind wir in fünf Stunden da.«

Dorgan drehte sich um, bis er sie anschauen konnte. »Ich begreife nicht, warum Sie zu Fuß gekommen sind. Ich begreife nicht, warum Sie überhaupt gekommen sind. Ich begreife nicht, daß es so enden würde.«

»Man hat uns ausgesandt«, sagte Larry. »Um Flagg zu töten, glaube ich.«

»Dazu wird sich kaum eine Gelegenheit bieten. Sie und Ihre Freunde werden in Vegas sofort ins Stadtgefängnis gebracht. Machen Sie sich keine Hoffnungen. Er ist an Ihnen besonders interessiert, und er wußte, daß Sie kommen.« Er schwieg ein paar Sekunden. »Sie können nur hoffen, daß es schnell erledigt ist«, fuhr er fort. »Aber das glaube ich nicht. Er hatte in letzter Zeit keine besonders gute Laune.«

»Warum nicht?« fragte Larry.

Aber Dorgan schien zu glauben, daß er genug gesagt hatte – vielleicht sogar zuviel. Ohne zu antworten, drehte er sich wieder nach vorn, und Larry und Ralph sahen die Wüste vorbeifliegen. Nach nur drei Wochen war Geschwindigkeit für sie wieder etwas völlig Neues.



Sie erreichten Las Vegas erst nach sechs Stunden. Wie ein märchenhaftes Schmuckstück lag es mitten in der Wüste. Sie sahen viele Leute auf den Straßen. Der Arbeitstag war vorbei, und die Menschen auf den Rasenflächen und Bänken und an den Bushaltestellen genossen die kühle Abendluft. Einige saßen auf den Eingangsstufen einer nun ausgedienten Hochzeitskirche oder einer ebenso überflüssigen Pfandleihe. Sie reckten neugierig die Hälse, als sie die beiden Wagen der Utah State Patrol sahen, und setzten dann ihre Unterhaltungen fort.

Larry blickte sich nachdenklich um. Die Stromversorgung funktionierte, die Straßen waren sauber, und die Spuren der Plünderungen waren beseitigt. »Glen hatte recht«, sagte er. »Beim ihm fahren die Züge pünktlich. Aber ich frage mich, ob man auf diese Weise eine Eisenbahn betreiben kann. Ihr seht alle so aus, als hättet ihr die große Platter, Dorgan.«

Dorgan antwortete nicht.

Sie hatten inzwischen das Stadtgefängnis erreicht und fuhren hinter das Gebäude. Die beiden Polizeifahrzeuge parkten auf dem Betonboden des Hofs. Als Larry ausstieg, hatten sich seine Muskeln so verhärtet, daß er zusammenzuckte. Er sah, daß Dorgan zwei Paar Handschellen mit sich trug.

»He, jetzt langt's aber«, sagte er. »Echt.«

»Tut mir leid. Seine Befehle.«

»Ich habe noch nie Handschellen getragen«, sagte Ralph wütend.

»Vor meiner Ehe hat man mich ein paarmal in die Ausnüchterungszelle gesteckt, aber in Handschellen hat man mich noch nie abgeführt.« Ralph sprach ganz langsam. Sein OklahomaAkzent fiel dadurch besonders auf.

»Ich habe meine Befehle«, sagte Dorgan. »Machen Sie es doch nicht schlimmer, als es sein muß.«

»Deine Befehle«, sagte Ralph. »Ich weiß, wer dir Befehle erteilt. Er hat meinen Freund Nick ermordet. Warum tust du dich mit diesem Höllenhund zusammen? Du scheinst gar kein so übler Kerl zu sein, hab' ich den Eindruck.« Er blickte Dorgan so böse und eindringlich an, daß dieser den Kopf schüttelte und wegschaute.

»Dies ist mein Job«, sagte er, »und den werde ich erledigen. Ende der Diskussion. Streckt die Hände aus, oder wir müssen Gewalt anwenden.«

Larry streckte die Arme aus, und Dorgan legte ihm die Handschellen an. »Was hast du früher gemacht?« fragte Larry neugierig.

»Ich war bei der Polizei in Santa Monica. Kriminalpolizei.«

» Und doch hältst du zu ihm. Das ist... entschuldige, wenn ich es sage, aber das ist wirklich komisch.«

Sie stießen Glen Bateman vorwärts, um ihn zu den anderen zu bringen.

»Was schubst ihr ihn herum?« fragte Dorgan wütend.

»Hättest du dir sechs Stunden lang seinen Scheißdreck anhören müssen, würdest du dasselbe tun«, sagte einer der Männer.

»Ist mir egal, wieviel Scheißdreck ihr euch anhören mußtet. Laßt die Hände von dem Mann.« Dorgan blickte Larry an. »Warum ist es so komisch, daß ich zu ihm halte? Vor Captain Trips war ich zehn Jahre bei der Polizei. Ich habe gesehen, was passiert, wenn Leute wie ihr das Sagen haben.«

»Junger Mann«, sagte Glen freundlich, »Ihre Erfahrungen mit ein paar zusammengeschlagenen Kindern und ein paar Drogenabhängigen rechtfertigen es noch längst nicht, daß Sie sich mit einem Ungeheuer verbünden.«

»Schafft sie weg«, sagte Dorgan betont gleichgültig. »Einzelzellen.

Jeder in einen anderen Trakt.«

»Ich fürchte, Sie werden mit der Wahl, die Sie getroffen haben, nicht leben können, junger Mann«, sagte Glen. »Sie scheinen zu wenig von einem Nazi an sich zu haben.«

Diesmal stieß Dorgan persönlich Bateman vorwärts.

Larry wurde von seinen Freunden getrennt und einen leeren Korridor entlanggeführt, an dessen Wänden Schilder hingen wie NICHT AUF DEN BODEN SPUCKEN und ZU DEN DUSCHRÄUMEN & ZUR ENTLAUSUNG, und eines fiel ihm besonders auf: BETRACHTEN SIE SICH NICHT ALS UNSEREN GAST.

»Gegen eine Dusche hätte ich nichts einzuwenden«, sagte er.

»Vielleicht«, sagte Dorgan. »Wir werden sehen.«

»Was sehen?«

»Wie vernünftig Sie sich verhalten.«

Dorgan schloß am Ende des Korridors eine Zelle auf und ließ Larry eintreten.

»Was ist mit den Armbändern?« fragte Larry und hielt ihm die Hände hin.

»Natürlich.« Dorgan nahm ihm die Handschellen ab. »Besser so?«

»Sehr viel besser.«

»Wollen Sie noch immer duschen?«

»Und ob.« Schlimmer noch, Larry wollte nicht allein gelassen werden; wenn er allein war, würde die Angst zurückkommen. Dorgan holte ein kleines Notizbuch aus der Tasche. »Wie viele seid ihr? In der Freien Zone?«

»Sechstausend«, sagte Larry. »Und jeden Donnerstagabend spielen wir Bingo. Der erste Preis ist ein Puter von zwanzig Pfund.«

»Wollen Sie nun duschen oder nicht?«

»Natürlich will ich duschen«, sagte Larry, aber er glaubte nicht mehr daran, daß Dorgan es ihm gestatten würde.

»Wie viele von euch sind da drüben?«

»Fünfundzwanzigtausend, aber viertausend davon sind unter zwölf und dürfen umsonst ins Drive-in. Wirtschaftlich gesehen ist das natürlich ein Reinfall.«

Mit einer energischen Handbewegung klappte Dorgan sein Notizbuch zu und sah Larry an.

»Ich kann nichts sagen, Mann«, sagte Larry. »Versetz dich doch mal in meine Lage.«

Dorgan schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Ich bin doch nicht bescheuert. Warum seid ihr Jungs bloß hergekommen? Was habt ihr davon? In ein oder zwei Tagen wird er dafür sorgen, daß ihr so tot seid wie Hundescheiße. Und wenn er will, daß ihr redet, dann werdet ihr reden. Wenn er verlangt, daß ihr Step tanzt und euch dabei einen runterholt, dann werdet ihr auch das tun. Ihr müßt verrückt sein.«

»Eine alte Frau hat uns hergeschickt. Mutter Abagail. Wahrscheinlich hast du von ihr geträumt.«

Wieder schüttelte Dorgan den Kopf, aber er blickte Larry nicht an.

»Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Dann soll es auch dabei bleiben.«

»Bist du sicher, daß du mir nichts erzählen willst? Du möchtest doch duschen?«

Larry lachte. »So billig arbeite ich nicht. Schickt eure Spione zu uns rüber. Das heißt, wenn ihr einen finden könnt, der nicht wie ein Wiesel aussieht, wenn jemand Mutter Abagails Namen nennt.«

»Wie du willst«, sagte Dorgan. Er ging unter den mit Draht umhüllten Lampen durch den Korridor zurück, an dessen Ende er durch ein Stahlgittertor trat, das mit einem hohlen Krachen hinter ihm zufuhr. Larry schaute sich um. Wie Ralph war auch er ein paarmal im Knast gewesen. Einmal wegen Volltrunkenheit und einmal, weil er ein paar Gramm Marihuana bei sich hatte. Goldene Jugendzeit.

»Das Ritz ist es nicht gerade«, murmelte er.

Die Matratze auf der Pritsche roch ausgesprochen muffig, und er fragte sich mit makabrem Humor, ob erst Ende Juni oder schon Anfang Juli jemand auf dieser Matratze gestorben war. Die Toilette funktionierte, aber als er das erste Mal die Spülung zog, kam rostiges Wasser heraus. Jemand hatte einen Wildwestroman in der Zelle liegenlassen, ein Taschenbuch. Larry nahm das Buch auf und ließ es wieder fallen. Er setzte sich auf die Pritsche und lauschte in die Stille. Allein zu sein hatte er immer gehaßt – aber eigentlich war er es immer gewesen... bis er in der Freien Zone angekommen war. Und jetzt war es gar nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Schlimm genug, aber er konnte damit fertig werden.

In ein oder zwei Tagen wird er dafür sorgen, daß ihr so tot seid wie Hundescheiße.

Nur: Larry glaubte das nicht. So würde es sich ganz einfach nicht abspielen.

»Ich fürchte mich nicht vor dem Bösen«, sagte er in die tote Stille des Zellentrakts hinein, und er fand, daß es sich gut anhörte. Er sagte es noch einmal.

Er legte sich auf die Pritsche, und dabei kam ihm der Gedanke, dass er fast schon wieder an der Westküste war. Aber die Reise hatte länger gedauert und sie war seltsamer gewesen, als man es sich je hätte vorstellen können. Und die Reise war noch nicht ganz zu Ende.


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