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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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Jetzt hatte er ein Ziel vor Augen und stellte fest, daß er laufen konnte. Er hinkte nach Westen und sah dabei von Zeit zu Zeit ein paar andere Menschen, die Gray verließen und die Feuersbrunst über die Schultern betrachteten. Narren, dachte der Mülleimermann fast zärtlich. Ihr werdet brennen. Wenn die Zeit gekommen ist, werdet ihr brennen. Sie nahmen keine Notiz von ihm; für sie war der Mülleimermann nur einer der Überlebenden. Sie verschwanden im Rauch, und der Mülleimermann hinkte kurz nach Einbruch der Dämmerung über die Grenze von Illinois. Chicago lag nördlich von ihm, Joliet im Südwesten, das Feuer war hinter seinem eigenen Rauch, der den Horizont verdeckte, verschwunden. Es war der Morgen des 2. Juli gewesen.

Er hatte seinen Traum vergessen, Chicago niederzubrennen – seine Träume von weiteren Öltanks und Güterwaggons voll Flüssiggas auf Abstellgleisen und knochentrockenen Mietshäusern. Ihm lag überhaupt nichts mehr an der Stadt der Winde. An diesem Nachmittag brach er in eine Arztpraxis in Chicago Heights ein und stahl eine Packung Morphinampullen. Das Morphium drängte die Schmerzen ein wenig zurück, aber es hatte noch eine andere wichtige Nebenwirkung: Ihm machten die Schmerzen, die er noch empfand, nicht mehr so viel aus.

Am Abend nahm er aus einem Drugstore ein großes Glas Vaseline mit und trug sie einen Zentimeter dick auf die verbrannte Haut seines Arms auf. Er hatte großen Durst; es schien, als wollte er unablässig trinken. Hirngespinste vom dunklen Mann schwirrten summend in seinen Kopf und wieder hinaus, wie Fliegen. Als er in der Dämmerung zusammenbrach, dachte er schon, die Stadt, in welche der dunkle Mann ihn geleiten wollte, müßte Cibola sein, die sieben Städte in einer, die Stadt der Verheißung.



Der Mülleimermann erwachte aus diesen wirren TraumErinnerungen an das Gewesene in klirrender Wüstenkälte. In der Wüste herrschten immer Eis oder Feuer; es gab kein Dazwischen. Er stöhnte leise, stand auf und klammerte sich so fest an sich selbst, wie er konnte. Über ihm leuchteten Milliarden Sterne, die fast so nahe schienen, als könnte man sie berühren; sie übergössen die Wüste mit ihrem kalten Hexenlicht.

Er ging zur Straße zurück und zuckte wegen seiner verbrannten und empfindlichen Haut und den zahllosen Schmerzen und Blessuren zusammen. Jetzt bedeuteten sie ihm wenig. Er verweilte einen Moment und sah auf die Stadt hinab, die in der Nacht träumte (hier und da waren winzige Lichtfünkchen zu sehen, wie elektrische Lagerfeuer). Dann begann er zu laufen.



Als Stunden später die Morgendämmerung den Himmel zu färben begann, schien Cibola noch fast genauso weit entfernt zu sein wie in dem Augenblick, als er über den Hügel gekommen war und es gesehen hatte. Er war so dumm gewesen, sein ganzes Wasser auszutrinken, weil er vergessen hatte, wie vergrößert hier alles wirkte. Nach Sonnenaufgang wagte er aus Angst vor Austrocknung nicht mehr lange zu gehen. Er würde sich wieder hinlegen müssen, bevor die Sonne mit voller Kraft schien.

Eine Stunde nach Dämmerung kam er zu einem Mercedes Benz am Straßenrand, dessen rechte Seite bis zur Türverkleidung im Sand versunken war. Er öffnete eine der linken Türen und zog die beiden geschrumpften, affenähnlichen Insassen heraus – eine alte Frau, die eine Menge Modeschmuck trug, und ein alter Mann mit theatralisch aussehendem weißen Haar. Müll zog murmelnd den Zündschlüssel ab, ging nach hinten und machte den Kofferraum auf. Die Koffer waren nicht verschlossen. Er hängte eine Reihe Kleidungsstücke über die Fenster des Mercedes und beschwerte sie mit Steinen. Jetzt hatte er eine kühle, schattige Höhle.

Er kroch hinein und legte sich schlafen. Meilen weiter westlich glänzte die Stadt Las Vegas im Licht der Wüstensonne.



Er konnte kein Auto fahren, das hatten sie ihm im Gefängnis nicht beigebracht, aber er konnte Fahrrad fahren. Am 4. Juli, als Larry Underwood feststellte, daß Rita Blakemoor eine Überdosis genommen hatte und im Schlaf gestorben war, stahl der Mülleimermann ein Rad mit Zehngangschaltung und fuhr los. Zuerst kam er nur langsam voran, weil er.den verletzten linken Arm kaum gebrauchen konnte. Am ersten Tag fiel er zweimal vom Rad, einmal genau auf die Brandwunden, was entsetzliche Schmerzen verursachte. Inzwischen eiterten die Brandwunden durch die Vaseline hindurch; der Gestank war fürchterlich. Hin und wieder machte er sich wegen Wundbrand Gedanken, aber nie lange. Er mischte die Vaseline mit einer antiseptischen Salbe, wußte zwar nicht, ob das helfen wüde, war aber überzeugt, daß es nicht schlimmer werden konnte. Die Mischung hatte eine milchige, viskose Beschaffenheit, die an Sperma erinnerte.

Allmählich gewöhnte er sich daran, das Fahrrad fast die ganze Zeit einhändig zu fahren, und stellte fest, daß er gutes Tempo machte. Die Landschaft war flacher geworden, er konnte fröhlich mit dem Rad dahinbrausen. Er fuhr trotz der Verbrennungen und der ständigen Benommenheit einigermaßen sicher, weil er dauernd high vom Morphium war. Er trank literweise Wasser und aß gewaltige Mengen. Er dachte über die Worte des dunklen Mannes nach: Du wirst in meiner Artillerie einen hohen Rang einnehmen. Du bist der Mann, den ich brauche.Es waren wunderbare Worte – hatte ihn vorher schon jemals jemand gebraucht? Die Worte gingen ihm immer wieder durch den Kopf, während er unter der heißen Sonne des Mittleren Westens in die Pedale trat. Und er fing an, die Melodie des Schlagers »Down to the Nightclub« zu summen. Die Worte (»Cia-bola! Bumpty-bumpty-bump«) kamen erst später. Da war er noch nicht so verrückt, wie er werden sollte, aber auf dem besten Weg dorthin.

Am 5.Juli, am Tag, als Nick Andres und Tom Cullen Büffel in Comanche County, Kansas, grasen sahen, überquerte Mülleimermann den Mississippi beim Städtegeviert Davenport, Rock Island, Bettendorf, Moline in lowa.

Am vierzehnten Tag, dem Tag, als Larry in der Nähe des großen weißen Hauses im östlichen New Hampshire aufwachte, überquerte Mülli den Missouri nördlich von Council Bluffs und gelangte nach Nebraska. Er konnte die linke Hand wieder etwas gebrauchen, seine Beinmuskeln hatten sich an die Anstrengung gewöhnt, er raste weiter, weil er den unstillbaren Drang verspürte, sich zu sputen. Auf der Westseite des Missouri argwöhnte Müll zum ersten Mal, dass Gott selbst sich zwischen den Mülleimermann und dessen Schicksal stellen könnte. Mit Nebraska war etwas nicht in Ordnung, ganz und gar nicht in Ordnung. Etwas, das ihm angst machte. Nebraska sah so aus wie lowa... aber es war nicht so. Der dunkle Mann war ihm jede Nacht im Traum erschienen, aber als Mülli in Nebraska war, kam der dunkle Mann nicht mehr.

Statt dessen träumte er von einer alten Frau. In diesen Träumen sah er sich vor Angst und Haß fast gelähmt auf dem Bauch in einem Maisfeld liegen. Er hörte Krähenschwärme krächzen. Vor ihm war ein Vorhang von breiten, schwertähnlichen Maisblättern. Er schob mit zitternder Hand die Blätter zur Seite, was er nicht wollte, aber nicht verhindern konnte, und sah hindurch. Mitten auf einer Lichtung erblickte er ein altes Haus. Das Haus stand auf Blöcken oder Stützen oder so was. Daneben ein Apfelbaum mit einer Reifenschaukel an einem Ast. Auf der Veranda saß eine alte schwarze Frau, die Gitarre spielte und einen altmodischen Gospelsong sang. Der Song war von Traum zu Traum verschieden, aber Müll kannte die meisten, weil er einmal eine Frau gekannt hatte, die Mutter eines Jungen namens Donald Merwin Elbert, die viele solcher Songs während der Hausarbeit gesungen hatte.

Dieser Traum war ein Alptraum, aber nicht nur, weil am Ende etwas überaus Entsetzliches geschah. Zuerst hätte man sagen können, daß der ganze Traum überhaupt kein erschreckendes Element enthielt. Mais? Blauer Himmel? Alte Frau? Reifenschaukel? Was konnte daran beängstigend sein? Alte Frauen verspotteten einen nicht und warfen keine Steine, schon gar nicht so alte Frauen, die hausbackene Pfaffenlieder wie »In That Great Getting-Up Morning« und »Bye-and-Bye, Sweet Lord, Bye-and-Bye« sangen. Es waren die Carley Yates' dieser Welt, die mit Steinen warfen. Aber lange bevor der Traum zu Ende ging, war er vor Angst wie gelähmt, als wäre es keine alte Frau, die er vor sich sah, sondern ein geheimnisvolles, ein kaum verborgenes Licht, das jeden Augenblick um sie herum aufleuchten konnte, um sie mit einem so strahlenden Glanz zu umspielen, daß die brennenden Öltanks von Gary wie Kerzen im Wind wirken würden – ein so grelles Licht, daß es seine Augen zu Schlacken verbrennen würde. Und immer, wenn er im Traum an diesen Punkt gelangte, hatte er nur einen Gedanken: Oh, bitte, bring mich hier weg, ich will mit dieser alten Henne nichts zu tun haben, bitte, o bitte, bring mich raus aus Nebraska!

Und dann hörte das Lied, das sie gerade spielte, mit einem scheppernden Mißklang auf. Sie sah direkt zu der Stelle, wo er durch die Lücke im dichten Blattwerk spähte. Ihr Gesicht war alt und zerfurcht, das Haar so dünn, daß er den braunen Schädel sehen konnte, aber ihre Augen waren hell wie Diamanten und erfüllt von dem Licht, das er fürchtete.

Mit einer alten, brüchigen, aber trotzdem kräftigen Stimme rief sie: Wiesel im Mais!, und er spürte die Veränderung in sich, sah an sich hinab und stellte fest, daß er ein Wiesel geworden war, ein pelziges braunschwarzes schleichendes Ding; seine Nase war lang und spitz geworden, die Augen waren zu kleinen schwarzen Perlen geschmolzen, die Finger in Klauen verwandelt. Er war ein Wiesel, ein feiges Nachtlebewesen, dessen Beute die Schwachen und Kleinen waren.

Dann fing er an zu schreien, und schließlich weckte ihn sein eigenes Geschrei, und er erwachte schweißüberströmt und mit hervorquellenden Augen. Er huschte mit den Händen über den Körper und vergewisserte sich, daß alle menschlichen Teile noch da waren. Als Abschluß seiner panischen Inspektion griff er sich an den Kopf, um sicherzustellen, daß es noch ein menschlicherKopf war und nicht etwas Langes, Glattes, Stromlinienförmiges, pelzig und wie eine Gewehrkugel geformt.

Er legte vierhundert Meilen durch Nebraska in drei Tagen zurück; Entsetzen mit hoher Oktanzahl war sein Treibstoff. In der Nähe von Julesburg betrat er Colorado, und der Traum verblaßte und nahm die Farbe eines Sepiadrucks an.

(Was Mutter Abagail anbetraf, so wachte sie in der Nacht des 15. Juli auf – kurz nachdem der Mülleimermann nördlich von Hemingford Home vorbeigekommen war -, fror und empfand ein Gefühl von Mitleid und Angst zugleich, obwohl sie nicht wußte, für wen. Sie glaubte, daß sie von ihrem Enkel Anders geträumt haben könnte, der im Alter von nur sechs Jahren einem sinnlosen Jagdunfall zum Opfer gefallen war.)

Am 18. Juli hatte Mülli südwestlich von Sterlin, Colorado, noch immer ein paar Meilen von Brush entfernt, The Kid getroffen.



Müll wachte auf, als sich die Dämmerung herabsenkte. Trotz der Kleidungsstücke, die er über die Fenster gehängt hatte, war es in dem Mercedes heiß geworden. Sein Hals war ein ausgetrockneter Brunnenschacht, den man mit Schmirgelpapier abgerieben hatte. Seine Schläfen pochten und dröhnten. Er streckte die Zunge heraus, und als er mit den Fingern darüberstrich, fühlte sie sich an wie ein abgestorbener Zweig. Er richtete sich auf, legte eine Hand auf das Lenkrad des Mercedes und zog sie sofort wieder mit einem gequälten Aufzischen zurück. Er mußte den Hemdzipfel um den Türgriff wickeln, damit er aussteigen konnte. Er hatte gedacht, er könnte einfach hinaustreten, hatte aber seine Kräfte über– und das Ausmaß der Austrocknung an diesem Augustabend unterschätzt: Die Beine gaben unter ihm nach, und er fiel auf die Straße, die ebenfalls heiß war. Stöhnend krabbelte er in den Schatten des Mercedes wie ein verkrüppelter Tausendfüßler. Dort saß er keuchend und ließ die Arme zwischen den angewinkelten Knien baumeln. Er betrachtete die beiden Leichen, die er aus dem Auto geholt hatte, mit morbidem Interesse – die Frau mit den Reifen an den verschrumpelten Armen und den Mann mit dem theatralischen weißen Haarschopf über dem mumifizierten Affengesicht. Er mußte Cibola erreichen, ehe die Sonne morgen früh aufging. Wenn nicht, konnte er sterben... mit dem Ziel vor Augen! So grausam konnte der dunkle Mann doch sicher nicht sein – sicher nicht!

»Mein Leben für dich«, flüsterte der Mülleimermann, und als die Sonne hinter dem Umriß der Berge verschwunden war, rappelte er sich auf und begann den Türmen, Minaretts und Prachtstraßen von Cibola entgegenzugehen, wo die Lichtfünkchen wieder erstrahlten. Als die Hitze des Tages der Kälte der Wüstennacht wich, konnte er besser gehen. Seine aufgerissenen, verknoteten Turnschuhe schlurften und stapften über den Asphalt der 115. Er trottete dahin, ließ den Kopf hängen wie eine sterbende Sonnenblume und sah das grüne, spiegelnde Schild LAS VEGAS 30 nicht, als er daran vorbeikam.

Er dachte an The Kid. Rechtens hätte Kid jetzt eigentlich bei ihm sein müssen. Sie sollten gemeinsam nach Cibola fahren, die Auspuffrohre des Teufelscoupes von Kid sollten donnernde Echos in der Wüste erzeugen. Aber The Kid hatte sich als unwürdig erwiesen, und Müll war alleine in die Wüste gesandt worden.

Er hob und senkte die Füße auf dem Asphalt. »Ci-a-bola!« krächzte er. »Bumpty-bumpty– bump«

Gegen Mitternacht brach er am Straßenrand zusammen und verfiel in unruhigen Schlummer. Jetzt war die Stadt näher. Er würde es schaffen.

Er war ganz sicher, daß er es schaffen würde.



Er hörte The Kid, lange bevor er ihn sah. Das laute, knatternde Dröhnen ungedämpfter Auspuffrohre, das aus Osten heranbrandete, zeichnete den Tag. Der Lärm kam den Highway 34 aus Richtung Yuma, Colorado, entlang. Sein erster Impuls war, sich zu verstecken, wie er sich vor einigen anderen Überlebenden versteckt hatte, die er seit Gary gesehen hatte. Aber diesmal gebot ihm eine innere Stimme zu bleiben, wo er war, auf dem Fahrrad am Straßenrand, wo er ängstlich und erwartungsvoll zugleich über die Schulter sah. Das Donnern wurde lauter und lauter, und dann blitzte die Sonne auf Chrom und

(??FEUER??) 

etwas Grellem und Orangefarbenem.

Der Fahrer sah ihn. Schaltete mit einer maschinengewehrähnlichen Salve von Fehlzündungen herunter. Goodyear-Gummi schmierte in heißen Schlieren auf dem Highway. Und dann war das Auto neben ihm, nicht tuckernd, sondern keuc hend wie ein Raubtier, das vielleicht gezähmt war, vielleicht aber auch nicht, und der Fahrer stieg aus. Aber zunächst hatte Mülleimer nur Augen für das Auto. Er kannte Autos, er liebte Autos, auch wenn er nie den Führerschein gemacht hatte. Dies war eine Schönheit, ein Auto, an dem jemand jahrelang gearbeitet und Tausende Dollar investiert hatte, wie man es normalerweise nur bei Autoausstellungen sah, ein Liebhaberstück.

Es war ein 1932er Ford Coupe Zweisitzer, aber der Besitzer hatte sich nicht mit dem üblichen serienmäßigen Coupe zufriedengegeben. Er hatte immer weiter gemacht und es in eine Parodie aller amerikanischen Autos verwandelt, ein funkelndes Science-fiction-Vehikel, aus dessen zahlreichen Röhren gemalte Flammen schlugen. Die Farbe war Blattgold. Die verchromten Auspuffröhren, die sich fast über die gesamte Länge des Fahrzeugs zogen, reflektierten grell die Sonne. Die Windschutzscheibe war eine konvexe Blase. Die Hinterreifen waren gigantische GoodyearBreitreifen, die Kotflügel übertrieben tief und weit ausgeschnitten, damit die Reifen Platz fanden. Aus der Motorhaube ragte ein Kompressormotor wie eine groteske Heizungsröhre heraus. Aus dem Dach wuchs eine Haifischflosse aus Stahl, pechschwarz, aber mit roten Flecken gleich glühenden Kohlen. Auf beiden Seiten standen zwei Worte mit schräg geneigten Buchstaben, welche Geschwindigkeit suggerieren sollten. THE KID stand da.

»He, bist du aber man groußund hößlich«, polterte der Fahrer, und Müll richtete seine Aufmerksamkeit von den gemalten Flammen auf den Fahrer dieser rollenden Bombe.

Dieser war etwa einen Meter sechzig groß. Sein Haar war gelockt und getürmt und voll Pomade und Brillantine. Allein das Haar machte ihn zehn Zentimeter größer. Sämtliche Locken vereinten sich im Nacken nicht nur zu einem Entenarsch, sondern zum Inbegriff aller Entenarschfrisuren, die die Punks und Teddys dieser Welt jemals getragen hatten. Er trug schwarze Stiefel mit spitzen Zehen. Die Seiten waren elastikverstärkt. Die Absätze, die Kid noch einmal sechs Zentimeter größer machten, alles in allem beachtliche einsachtundneunzig, waren mehrschichtige Cubans. Die verwaschenen Nietenjeans waren so knalleng, daß man das Prägungsjahr der Münzen in den Taschen lesen konnte. Sie machten aus jedem Pobacken eine Art blaue Skulptur und verliehen seinem Schritt das Aussehen, als hätte er möglicherweise einen Gamslederbeutel mit Golfbällen Marke Spaulding hineingesteckt. Er trug ein weinrotes Westernhemd aus Seide. Es war mit gelben Zierknöpfen und saphirimitierten Knöpfen geschmückt. Die Manschettenknöpfe sahen aus wie polierte Knochen, und Müll sollte später herausfinden, daß sie genau das waren. Kid hatte zwei Paar, eines bestand aus menschlichen Backenzähnen, das andere aus den Kieferknochen eines Dobermanns. Über diesem Wunder von einem Hemd trug er trotz der großen Tageshitze eine schwarze Motorradlederjacke mit einem Adler auf dem Rücken. Sie war kreuz und quer voll Reißverschlüssen, deren Zähne in der Sonne funkelten wie Diamanten. Von Schulterklappen und Taillengurt hingen drei Hasenpfoten. Eine war weiß, eine braun und eine von einem hellen St.-Paddy's-Day-Grün. Diese Jacke, die noch wunderbarer war als das Hemd, ächzte wunderbar eingeölt. Über dem Adler standen die Worte THE KID mit weißer Seide gestickt. Das Gesicht, das den Mülleimermann jetzt zwischen dem hochziselierten glänzenden Haarschopf und dem aufgestellten Kragen der glänzenden Motorradj acke ansah, war klein und bleich, ein Puppengesicht mit vollen, makellos modellierten Schmollippen, toten grauen Augen, einer breiten Stirn ohne Fältchen oder Runzeln und seltsam aufgeblähten Wangen. Er sah aus wie Baby Elvis.

Er trug zwei Revolvergurte über Kreuz über dem flachen Bauch, aus jedem hängenden Hüfthalfter ragte ein gigantischer 45er hervor.

»He, Junge, was sagst'n?« brabbelte Kid.

Und Mülleimer fiel nur eine einzige Antwort ein: »Dein Auto gefällt mir.«

Das war das richtige. Vielleicht das einzige. Fünf Minuten später sass Müll auf dem Beifahrersitz; und das Coupe beschleunigte auf Reisegeschwindigkeit von Kid, etwa fünfundneunzig Meilen. Das Fahrrad, mit dem Müll vom östlichen Illinois bis hierher gefahren war, wurde zu einem Pünktchen am Horizont.

Der Mülleimermann wies schüchtern darauf hin, daß Kid bei dieser Geschwindigkeit keine Unfallstelle und kein Hindernis auf der Straße sehen würde, wenn sie an eins kamen (tatsächlich waren sie schon an ein paar vorbeigekommen; The Kid fuhr einfach Slalom um sie herum, und die Reifen quietschten lautstark Protest).

»He, Junge«, sagte The Kid. »Ich hab' Reflexe. Ich hab' Zeitgefühl. Ich schaff Dreifünftl vonner Sekunde. Glaubste das?«

»Ja, Sir«, sagte Müll leise. Er kam sich wie ein Mann vor, der gerade mit einem Stock ein Schlangengehege aufgeschreckt hat.

»Ich mag dich, Junge«, sagte Kid mit seiner seltsam dröhnenden Stimme. Seine Puppenaugen sahen über das leuchtende Orange des Lenkrads auf die schimmernde Straße. Große Styroporwürfel mit Totenköpfen statt Punkten baumelten am Rückspiegel. »Nimm dir'n Bier aufm Rücksitz.«

Es waren Coors, und sie waren warm, und der Mülleimermann verabscheute Bier, und er trank eines ganz schnell und sagte, wie gut es war.

»He, Junge«, sagte Kid. »Coors ist das einzige Bier. Ich würd' Coors pissen, wenn ich könnte. Glaubste diese Heißescheiße?«

Mülleimer sagte, daß er diese Heißescheiße wirklich glaubte.

»Sie nennen mich The Kid. Aus Shreveport Luusjanna. Weißte das? Die Mühle hier hat jede verdammte Autoausstellung im Süden gewonnen. Glaubste diese Heißescheiße?«

Mülleimer sagte ja und bekam noch ein warmes Bier. Es schien unter den Umständen die beste Vorgehensweise zu sein.

»Wie nennen sie dich, Junge?«

»Mülleimermann.«

» Woss?« Einen gräßlichen Moment ruhten die toten Puppenaugen auf Mülleimers Gesicht. »Verarschste mich, Junge? Niemand verarscht The Kid. Und dieseHeißescheiße sollteste besser glauben.«

»Glaube ich«, sagte Mülleimer aufrichtig, »aber so nennt man mich nun mal. Weil ich Feuer in Mülleimern und Briefkästen von Leuten gelegt habe und so. Ich hab' den Rentenscheck der alten Oma Semple angezündet. Deswegen bin ich in die Anstalt geschickt worden. Außerdem habe ich die Methodistenkirche in Powtanville, Indiana, niedergebrannt.«

» Ehrlich?« meinte Kid entzückt. »Junge, du scheinst ja verrückter als 'ne Scheißhausratte zu sein. Schon recht. Ich mag Irre. Bin selber einer. Hab' echt nicht mehr alle Tassen im Schrank. Mülleimermann, hm? Gefällt mir. Wir sind'n tolles Paar. Der olle Kid und der olle Mülleimermann. Handschlag, Mülli.«

Kid streckte ihm die Hand hin, und Müll schüttelte sie, so schnell er konnte, damit Kid wieder beide Hände ans Steuer bekam. Sie schössen um eine Kurve, ein Bekins -Transporter blockierte fast die ganze Straße, und Mülleimer schlug die Hände vors Gesicht und bereitete sich auf eine unverzügliche Versetzung auf die Astralebene vor. Kid verzog keine Miene. Das Coupe schlitterte wie ein Wasserfloh über die linke Seite des Highway, und sie schössen so knapp am Führerhaus des Transporters vorbei, daß keine Zeitung mehr dazwischengepaßt hätte.

»Knapp«, sagte Müll, als er dachte, er könne wieder ohne Zittern in der Stimme sprechen. , »He, Junge«, sagte Kid tonlos. Dann blinzelte er erst mit einem Auge. »Brauchste mir nicht zu sagen – ich sag's dir. Wie ist das Bier? Verdammt knorke, was? Nach der Fahrt mit deinem Kinderfahrrad haut das echt rein, was?«

»Unbedingt«, sagte der Mülleimermann und trank noch einen Schluck warmes Coors. Er war verrückt, aber nicht so verrückt, Kid zu widersprechen, solange er fuhr. Noch lange nicht.

»Hat kein' Zweck, wie die Katze ummen heißen Brei zu gehen«, sagte Kid und griff auf den Rücksitz, um sich auch eine Dose Seichbrühe zu holen. »Ich schätze, wir haben dasselbe Ziel.«

»Gut möglich«, sagte Müll vorsichtig.

»Alle Mann dabei«, sagte Kid. »Nach Westen. Rein in die gute Stube. Erste Etage. Glaubste die Heißescheiße?«

»Aber ja doch.«

»Hast auch Alpträume vom Buhmann in seinem schwarzen Kampfanzug gehabt, was?«

»Du meinst den Priester.«

»Ich mein' immer, was ich sage, und sag', was ich meine«, antwortete Kid unverblümt. »Brauchste mir nicht zu sagen, Feuerteufel, ich sag's dir. Ist'n schwarzer Sprunganzug, und der Typ trägt Brille. Wie innem John-WayneFilm über'n Zweiten, 'ne so große Brille, daß man sein verwichstes Gesicht nicht sehen kann. Unheimlicher alter Dödel, was?«

»Ja«, sagte Mülleimer und trank sein warmes Bier. Allmählich summte ihm der Kopf.

Kid beugte sich über das orangefarbene Lenkrad und fing an, einen Bomberpilot im Gefecht nachzuahmen – wahrscheinlich einen, der seine Einsätze im »Zweiten« – dem Zweiten Weltkrieg – absolviert hatte. Das Coupe schlingerte beängstigend von einer Seite auf die andere, während er Schleifen und Sturzflüge und Kurven nachahmte.

Hiiiijaaaaahhh... eheheheheheheheheh... rattattattatta...nimm das, elender Kraut... Capt'n! Banditen bei zwölf Uhr...! Die luftgekühlte Kanone auf sie gerichtet, verfluchter Lahmarsch... tacka... tacka... tacka-tackatacka! Wir haben sie, Sir! Alles klar... Oh huuaaaa!Ducken, Männer! HuAAAAAJAH!«

Sein Gesicht war ausdruckslos, während er dieses Hirngespinst durchspielte; kein einziges geöltes Härchen fiel aus der Frisur, bis er das Auto wieder auf seine Fahrspur lenkte und weiter die Straße entlang drosch. Mülleimermann schlug das Herz heftig in der Brust. Ein leichter Schweißfilm überzog seinen Körper. Er trank sein Bier. Er mußte Pipi machen.

»Aber mir macht er keine Angst«, sagte Kid, als wäre er nie vom vorherigen Gesprächsthema abgewichen. »Nein, verdammt. Er ist ein harter Knochen, aber Kid ist schon mit anderen harten Knochen fertig geworden. Ich mach' sie an, und dann mach' ich sie alle, genau wie der Boss sagt. Glaubste die Heißescheiße?«

»Klar«, sagte Müll.

»Kennste den Boss?«

»Klar«, sagte Müll. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wer der Boss war oder gewesen war.

»Den Boss solltestdu auch kennen. Hör mal, weißt du, was ich mache?«

»Nach Westen fahren?« riet Müll. Das schien sicher zu sein. Kid sah ungeduldig drein. » Danach, meine ich. Wenn ich dort bin. Weißt du, was ich danach mache?«

»Nein. Was?«

»Ich halt' 'ne Weile die Fresse unten. Check die Situation ab. Kapierst du die Heißescheiße?«

»Klar«, sagte Müll.

»Scheiß-A. Brauchst mir nichts zu sagen, ich sag's dir. Einfach abchecken. Den großen Mann abchecken. Dann...«

Kid verstummte und brütete über dem orangefarbenen Lenkrad.

»Was dann?« fragte Mülleimer zögernd.

»Dann mach' ich ihn fertig. Schick' ihn über 'n Jordan. Lass' ihn auf der verdammten Cadillac Ranch grasen. Glaubste das?«

»Ja, klar.«

»Ich übernehme«, sagte Kid zuversichtlich. »Ich dreh' ihm das Getriebe raus und lass' ihn auf der Cadillac Ranch. Bleib bei mir, Müllmann, oder wie du dich nennst. Wir geben uns nicht mit Schwein und Bohnen ab, wir reißen mehr Hühner auf, als jemand je gesehen hat.«

Das Coupe raste die Straße entlang, gemalte Flammen schlugen an der Karosserie hoch. Mülleimermann saß auf dem Beifahrersitz, hatte ein warmes Bier auf dem Schoß und den Kopf voll besorgter Gedanken.

Der Morgen des 5. August dämmerte fast, als der Mülleimermann Cibola erreichte, sonst als Vegas bekannt. Irgendwo auf den letzten fünf Meilen hatte er einen Turnschuh verloren, und als er jetzt die gewundene Ausfahrt hinunterging, hörten sich seine Schritte so an: klatsch-BUMM, klatsch-BUMM. Es klang wie das Flappen eines kaputten Reifens.

Er war so gut wie fix und fertig, aber als er den Strip entlangging, der von liegengebliebenen Autos und einer ansehnlichen Menge toter Menschen verstopft war, die meisten von den Bussarden übel zugerichtet, erfüllte ihn doch ein gewisses Staunen. Er hatte es geschafft. Er war in Cibola. Er war geprüft worden und hatte die Prüfung bestanden.

Er sah hundert schäbige Nachtklubs. Er sah Schilder mit Aufschriften wie: FAIRE AUTOMATEN und BLUEBELL-HOCHZEITSKIRCHE und TRAUUNG IN 60 SEKUNDEN FÜR EIN GANZES LEBEN! Er sah einen Rolls-Royce Silver Ghost, der halb ins Schaufenster einer Porno-Buchhaltung gerast war. Er sah eine nackte Frau, die kopfunter an einem Laternenpfahl hing. Er sah zwei Seiten der Las Vegas Sunvorbeiwehen. Die Schlagzeile, die immer wieder zu sehen war, wählend die Zeitung flatterte und sich überschlug, lautete: SEUCHE NIMMT GEFÄHRLICHE AUSMASSE AN.

WASHINGTON SCHWEIGT. Er sah ein riesiges Anschlagbrett, auf dem stand: NEIL DIAMOND! THE AMERICANA HOTEL 15. JUNI30. AUGUST! Jemand hatte auf die Schaufensterscheibe eines Juweliergeschäfts, das sich auf Trauringe und Verlobungsringe spezialisiert zu haben schien, die Worte STIRB FÜR DEINE SÜNDEN, LAS VEGAS gekritzelt.

Er sah einen umgestürzten Konzertflügel wie ein großes totes Holzpferd auf der Straße liegen. Seine Augen nahmen diese Wunder staunend wahr.

Als er weiterging, erblickte er auch andere Zeichen, deren Neon in diesem Mittsommer zum ersten Mal seit Jahren tot war. Flamingo. The Mint. Dunes, Sahara. Glass Slipper. Imperial. Aber wo waren die Menschen? Wo war das Wasser?

Ohne zu wissen, was er tat, ließ er seine Füße den Weg bestimmen und bog vom Strip ab. Sein Kopf kippte nach vorn, das Kinn ruhte auf der Brust. Er döste beim Gehen. Und als seine Füße über den Bordstein stolperten, als er stürzte und sich auf dem Pflaster die Nase blutig schlug, als er aufblickte und sah, was er vor sich hatte, konnte er es kaum glauben. Blut floß ihm unbeachtet aus der Nase über das zerfetzte blaue Hemd. Es war, als würde er noch dösen und dies wäre sein Traum.

Ein hohes weißes Gebäude reckte sich in den Wüstenhimmel, ein Monolith in der Wüste, eine Nadel, ein Monument so großartig wie die Sphinx oder die Cheopspyramide. Die Fenster der östlichen Fassade warfen die Glut der aufgehenden Sonne zurück wie ein Omen. Vor diesem schneeweißen Wüstengebäude flankierten zwei riesige goldene Pyramiden den Eingang. Über dem Baldachin hing eine große Bronzeplatte, auf der als Relief der Kopf eines brüllenden Löwen zu sehen war.

Darüber, ebenfalls in Bronze, eine einfache, aber gewaltige Aufschrift: MGM GRAND HOTEL.

Doch sein Blick wurde von dem gefesselt, was auf dem Rasenrechteck zwischen Parkplatz und Eingang war. Mülleimer gaffte gebannt, ein orgiastisches Zittern schüttelte ihn so heftig, dass er sich einen Augenblick nur auf die blutigen Hände, zwischen denen das lose Ende des Ace-Verbands flatterte, stützen und den Springbrunnen mit seinen blaßblauen Augen anstarren konnte, Augen, welche die grelle Sonne mittlerweile halb blind gemacht hatte. Er gab ein leises Stöhnen von sich.

Der Springbrunnen funktionierte. Er war eine atemberaubende Konstruktion aus Stein und Elfenbein, gefaßt und eingelegt mit Gold. Bunte Lichter strahlten die Gischt an und machten das Wasser purpurn, dann gelb-orange, dann rot, dann grün. Das unablässige Prasseln, wenn das Wasser in den Pool zurückfiel, war sehr laut.

»Cibola«, murmelte er und rappelte sich auf die Füße. Aus seiner Nase tropfte immer noch Blut.

Er taumelte auf den Springbrunnen zu. Sein Stolpern wurde zum Trab. Der Trab wurde zum Laufen, das Laufen zum Sprinten, das Sprinten zum halsbrecherischen Rennen. Die schorfigen Knie schossen wie Kolben fast bis zum Hals. Ein Wort kam aus seinem Mund, ein langes Wort wie eine Papiergirlande, die himmelwärts wehte und die Menschen oben an die Fenster lockte (und wer sah sie? Gott möglicherweise oder der Teufel, auf jeden Fall nicht der Mülleimermann). Das Wort wurde höher und schriller, länger und länger, während er sich dem Springbrunnen näherte, und das Wort war:

»CIIIIIIIIIBOLAAAAAAA!«

Das letzte »aahh« zog sich immer länger, ein Laut jeglicher Lust, die sämtliche Menschen, welche je auf Erden lebten, jemals erlebt hatten, und hörte erst auf, als er mit der Brust gegen die Mauer des Springbrunnens prallte, sich hinaufzog und in das Bad unglaublicher Kühle und Barmherzigkeit sank. Er konnte spüren, wie sich die Poren seines Körpers wie eine Million Münder öffneten und das Wasser wie ein Schwamm in sich aufsogen. Er schrie. Er senkte den Kopf, prustete Wasser in sich und spie es mit einer Mischung von Niesen und Husten wieder aus, so daß Blut und Wasser und Rotz an den Brunnenrand platschten. Er senkte den Kopf und trank wie eine Kuh.


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