Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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»Ich habe es geschafft!« sagte er selbstbewußt in den Regen.
»Kaltgemacht. Man glaubt es nicht. Schießerei am O.K. Corral. In die vollen. Der olle Bobby Terry hat ihm den Arsch weggeschossen.«
Aber dann dämmerte ihm mit wachsendem Entsetzen, daß er dem Richter nicht nur den Arsch weggeschossen hatte.
Der Richter war sterbend in den Scout zurückgesunken. Jetzt packte Bobby Terry ihn an den Aufschlägen seiner Jacke, riß ihn hoch und sah in das, was von den Zügen des Richters übriggeblieben war. Eigentlich nur die Nase. Und um ehrlich zu sein, auch die war in keinem besonders guten Zustand.
Es hätte irgendwer sein können.
Und in einer Vision des Grauens hörte Bobby Terry Flagg sagen: Ich will ihn unbeschädigt zurückschicken.
Herr im Himmel, dies konnte irgendwer sein. Es war, als hätte er absichtlich genau das Gegenteil von dem getan, was der Wandelnde Geck befohlen hatte. Zwei Treffer direkt ins Gesicht. Sogar die Zähne waren weg.
Regen prasselte, prasselte.
Hier drüben war es aus. Er wagte nicht, nach Osten zu gehen, und er wagte nicht, im Westen zu bleiben. Er würde entweder mit nacktem Rücken einen Telefonmast reiten... oder Schlimmeres.
Gabes Schlimmeres?
Solange dieses grinsende Gespenst hier herrschte, hatte Bobby Terry daran nicht den geringsten Zweifel. Was also war zu tun? Er strich sich mit den Händen durchs Haar, betrachtete das verwüstete Gesicht des Richters und versuchte zu denken. Süden. Das war die Lösung. Süden. Keine Grenzposten mehr. Nach Mexiko, und wenn es dann nicht weit genug war, nach Guatemala oder Panama oder vielleicht sogar ins elende Brasilien. Nur raus aus diesem Schlamassel. Kein Osten, kein Westen, nur Bobby Terry, der vor dem Wandelnden Geck so weit weglaufen mußte, wie seine Siebenmeilenstiefel ihn trugen...
Ein neues Geräusch im verregneten Nachmittag.
Bobby Terrys Kopf fuhr hoch.
Der Regen, ja, der auf die Dächer der beiden Wagen trommelte, und das Schnurren von zwei Motoren im Leerlauf, und... Ein seltsames klackendes Geräusch, wie abgelaufene Absätze, die rasch über den Asphalt der Nebenstraße stapften.
»Nein«, flüsterte Bobby Terry.
Er drehte sich langsam um.
Das klackende Geräusch wurde schneller. Ein schnelles Gehen, ein Traben, ein Laufen, Rennen, Sprint, und dann hatte Bobby Terry sich ganz umgedreht, zu spät, er kam, Flagg kam auf ihn zu wie ein schreckliches Ungeheuer aus dem schlimmsten Gruselfilm, der je gedreht wurde. Die Wangen des dunklen Mannes waren fröhlich gerötet, und seine Augen blinzelten vergnügt und kameradschaftlich, ein hungriges, gefräßiges Grinsen entblößte riesige Zähne, die wie Grabsteine aussahen, wie Haifischzähne, und er hielt die Hände vor sich gestreckt, und in seinem Haar hingen glänzende schwarze Krähenfedern.
Nein, wollte Bobby Terry sagen, aber es kam nichts heraus.
» HE, BOBBY TERRY, DU HAST ES VERPATZT!« bellte der dunkle Mann und stürzte sich auf den unglücklichen Bobby Terry. Es gabSchlimmeres als Kreuzigung. Es gab Zähne.
62
Dayna Jürgens lag nackt auf dem riesigen Doppelbett, lauschte dem gleichmäßigen Rauschen des Wassers in der Duschkabine und betrachtete ihr Bild in dem großen runden Deckenspiegel, der genau die gleiche Form und Größe hatte wie das Bett, das er reflektierte. Sie fand, daß der weibliche Körper immer am besten aussieht, wenn er ausgestreckt flach auf dem Rücken liegt, der Bauch flach, die Brüste natürlich aufrecht und nicht von der Schwerkraft nach unten gezogen. Es war neun Uhr dreißig am Morgen des 8. September. Der Richter war seit achtzehn Stunden tot, Bobby Terry – zu seinem Unglück – erst seit beträchtlich kürzerer Zeit.
Die Dusche lief und lief.
Der Mann muß wohl an Waschzwang leiden, dachte sie. Was ist nur los mit ihm, daß er sich jedesmal mehr als eine geschlagene halbe Stunde duschen muß?
Sie mußte wieder an den Richter denken. Wer hätte das gedacht? In gewisser Weise war es eine brillante Idee gewesen. Wer hätte einen so alten Mann verdächtigt?
Nun, Flagg ganz offensichtlich. Irgendwie hatte er bestimmt gewußt, wann und vermutlich auch wo der Richter auftauchen würde. Eine lange Postenkette überwachte die gesamte Grenze zwischen Oregon und Idaho, und die Männer hatten den strikten Befehl, ihn zu töten, sobald sie seiner ansichtig wurden.
Aber irgend etwas mußte schiefgegangen sein. Seit gestern abend liefen die Männer der Sicherheitsabteilung hier in Las Vegas mit käsigen Gesichtern und gesenkten Blicken herum. Whitney Horgan, sonst ein sehr guter Koch, hatte etwas serviert, das wie Hundefutter aussah und so angebrannt war, daß es nach nichts schmeckte. Der Richter war tot, aber etwas war schiefgegangen.
Sie stand auf, trat ans Fenster und sah auf die weite Wüstenlandschaft hinaus. Auf der US 95 sah sie zwei große Busse der High School von Las Vegas unter der heißen Sonne nach Westen rollen; sie fuhren wahrscheinlich zur Airbase von Indian Springs, wo, wie Dayna aus sicherer Quelle wußte, Lehrgänge für den Umgang mit Düsenflugzeugen abgehalten wurden. Im Westen waren mehr als ein Dutzend Leute, die fliegen konnten, aber zum großen Glück – für die Freie Zone – hatte keiner eine Ausbildung für die Jets der Nationalgarde in Indian Springs.
Aber sie lernten. O ja.
Für Dayna war am Tod des Richters momentan nur wichtig, daß sie etwas gewußt hatten, was sie eigentlich nicht wissen durften. Hatten sie auch einen Spion in der Freien Zone? Das war möglich, vermutete sie; Spionieren war ein Spiel, das auch zwei spielen konnten. Aber Sue Stern hatte ihr gesagt, von der Entscheidung, Spione nach Westen zu schicken, wüßte nur das Komitee, und sie bezweifelte stark, daß einer der sieben auf der Seite von Flagg stand.
Mutter Abagail hätte gewußt, wenn das Komitee verderbt geworden wäre. Da war Dayna ganz sicher.
Damit blieb eine äußerst unangenehme Alternative. Flagg selbst hatte es einfach gewußt.
Dayna war jetzt schon acht Tage in Las Vegas, und soweit sie wußte, war sie ohne Einschränkungen in die Gemeinschaft aufgenommen worden. Sie hatte schon genügend Informationen über das gesammelt, was hier vor sich ging, um die Leute in Boulder in nackte Angst zu versetzen. Dazu würden schon die Auskünfte über das Programm für die Ausbildung an den Düsenflugzeugen reichen. Was ihr aber persönlich am meisten Angst machte, war die Art, wie die Leute sich abwandten, wenn man Flaggs Namen erwähnte, wie sie taten, als hätten sie nichts gehört. Manche kreuzten die Finger, andere machten einen Knicks, wieder andere hinter der vorgehaltenen Hand das Zeichen des Bösen Blicks. Er war der große Da/Nicht-da.
Das war am Tage. Aber abends, wenn man ruhig in der Club Bar des Grand oder im Silver Slipper Room im The Cashbox saß, hörte man Geschichten über ihn, die einen Mythos begründeten. Sie sprachen langsam und stockend und ohne den anderen anzusehen, und dabei tranken sie meistens Bier. Wenn man stärkere Sachen trank, kon nte man zu leicht die Kontrolle über das Mundwerk verlieren, und das war gefährlich. Sie wußte, daß nicht alles stimmte, was geredet wurde, aber es war schon fast unmöglich, Schein und Sein zu unterscheiden. Sie hatte gehört, er wäre ein Gestaltveränderer, ein Werwolf, er habe selbst die Seuche auf das Land losgelassen, er sei der Antichrist, dessen Kommen in der Offenbarung geweissagt worden war. Sie hatte von der Kreuzigung von Hector Drogan gehört, wie er einfach gewußt hatte, daß Heck Drogen nahm... wie er anscheinend auch gewußt hatte, daß der Richter unterwegs war. Und bei diesen nächtlichen Gesprächen wurde er niemals Flagg genannt; es war, als glaubten sie, ihn beim Namen zu nennen, würde ihn herbeirufen wie den Geist aus der Flasche. Sie nannten ihn den dunklen Mann. Den Wandelnden Gecken. Den großen Mann. Und Rattie Erwins nannte ihn den alten kriechenden Judas. Wenn er alles über den Richter gewußt hatte, war es dann nicht logisch, daß er auch alles über sie wußte?
Die Dusche wurde abgestellt.
Ruhig bleiben, Liebling. Er unterstützt den Hokus-Pokus. Das läßt ihn größer erscheinen. Es könnte durchaus sein, daß er in der Freien Zone einen Spion hat – es muß nicht unbedingt ein Mitglied des Komitees sein, vielleicht nur jemand, der ihm erzählt hat, daß Richter Farris nicht der Typ eines Überläufers ist.
»Puppe, du solltest nicht ohne Kleider herumlaufen. Sonst machst du mich sofort wieder geil.«
Sie drehte sich mit strahlendem, einladendem Lächeln zu ihm um und dachte dabei, sie wäre am liebsten mit ihm nach unten in die Küche gegangen und hätte das Ding, auf das er so verdammt stolz war, in Whitney Horgans elektrischen Fleischwolf gesteckt. »Was meinst du denn, warum ich so herumlaufe?«
Er sah auf die Uhr. »Wir haben vielleicht noch vierzig Minuten.« Sein Penis geriet schon in zuckende Bewegung... wie eine Wünschelrute, dachte Dayna gallig amüsiert.
»Gut, dann komm.« Er trat auf sie zu, und sie deutete auf seine Brust. »Und nimm das Ding ab. Es macht mir Gänsehaut.«
Lloyd Henreid betrachtete das Amulett, die dunkle Träne mit dem roten Fleck, zog es aus und legte es auf den Nachttisch. Die feingliedrige Kette machte ein zischendes Geräusch. »Besser?«
»Viel besser.«
Sie breitete die Arme aus. Einen Augenblick später lag er auf ihr. Einen Augenblick danach drang er stoßend in sie ein.
»Magst du das?« keuchte er. »Magst du das Gefühl, Süße?«
»O Gott, ich mag es«, stöhnte sie und dachte dabei an den Fleischwolf, Emaille und Edelstahl rostfrei.
»Was?«
»Ich habe gesagt, ich mages!« schrie sie.
Kurz danach täuschte sie einen Orgasmus vor, verzerrte die Lippen, schrie auf. Er kam Sekunden später (sie teilte jetzt seit vier Tagen das Bett mit Lloyd und kannte seinen Rhythmus schon nahezu perfekt), und während sie spürte, wie sein Samen an ihrem Schenkel hinabfloß, sah sie auf den Nachttisch.
Schwarzer Stein.
Roter Makel.
Er schien sie anzustarren.
Plötzlich hatte sie das schreckliche Gefühl, daß er sie tatsächlich anstarrte, daß der Stein seinAuge war, dem die Kontaktlinse der Menschlichkeit abgenommen worden war, das sie anstarrte wie das Auge Saurons Frodo im dunklen Barad-Dur angesehen hatte, im Lande Mordor, wo die Schatten dröhn.
Es sieht mich, dachte sie voll hoffnungslosem Entsetzen in diesem schutzlosen Augenblick, bevor die Vernunft wieder die Oberhand gewinnen konnte. Schlimmer: Es DURCHSCHAUT mich.
Anschließend redete Lloyd, wie sie gehofft hatte. Auch das gehörte zu seinem Rhythmus. Er legte einen Arm um ihre nackten Schultern, rauchte eine Zigarette, betrachtete ihre Spiegelbilder an der Decke und erzählte ihr, was sich hier abspielte.
»Ich hätte nicht in Bobby Terrys Haut stecken mögen«, sagte er.
»Nein, Sir, auf keinen Fall. Der Boß wollte den Kopf des alten Furzes völlig unbeschädigt und ohne eine einzige Schramme. Wollte ihn über die Rockies zurückschicken. Und was passiert? Der Dummsack schießt ihm zwei Fünfundvierzigerkugeln ins Gesicht. Auf kurze Entfernung. Ich schätze, er hat verdient, was er bekommen hat, aber ich bin froh, daß ich nicht dabei war.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Nicht fragen, Süße!«
»Wie konnte er es wissen? Der Boß?«
»Er war da.«
Es überlief sie kalt.
»Zufällig?«
»Ja. Er ist immer zufällig da, wo es Ärger gibt. Mein Gott, wenn ich daran denke, was er mit Eric Strellerton, diesem neunmalklugen Anwalt gemacht hat, mit dem Mülli und ich nach Los Angeles gefahren waren...«
»Was hat er denn mit ihm gemacht?«
Lange glaubte sie, daß er nicht antworten würde. Gewöhnlich gelang es ihr, ihn ganz sanft dorthin zu bringen, wo sie ihn haben wollte, indem sie ihn ganz leise und höflich fragte, so daß er sich (wie es ihre kleine Schwester einmal so unvergeßlich formulierte) vorkam wie Graf Rotz. Aber heute hatte sie das Gefühl, daß sie zu weit gegangen war, bis Lloyd schließlich mit gepreßter Stimme sagte:
»Er hat ihn nur angesehen. Eric trug seine ganze Scheiße vor, wie das seiner Meinung nach in Vegas laufen müßte... wir sollten dies und jenes tun. Der arme alte Mülli – er ist ja selbst nicht ganz dicht – hat ihn angestarrt wie einen Fernsehstar. Eric lief auf und ab, als würde er sich an Geschworene wenden und überzeugt sein, daß er sie in der Tasche hatte. Und er sagte – ganz leise – >Eric<. Genau so. Und Eric sah ihn an. Ich habe nichts weiter gesehen. Aber Eric hat ihn lange angesehen. Vielleicht fünf Minuten. Seine Augen wurden immer größer... dann fing er an zu sabbern... und dann fing er an zu kichern.,. und er kicherte mit Eric, und das machte mir Angst. Wenn Flagg lacht, hat man immer Angst. Aber Eric hörte nicht auf zu kichern, und dann sagte er: >Wenn ihr zurückfahrt, setzt ihn in der Mojave-Wüste aus.< Und das haben wir dann auch getan. Und vielleicht läuft Eric dort immer noch herum. Er sah Eric nur fünf Minuten an, und Eric verlor den Verstand.«
Er zog kräftig an seiner Zigarette und drückte sie aus. Dann legte er einen Arm um sie. »Warum reden wir eigentlich über diese ganze Scheiße?«
»Ich weiß es nicht... wie sieht es draußen in Indian Springs aus?«
Lloyd strahlte. Das Projekt Indian Springs war sein Baby. »Gut. Echt gut. Bis zum ersten Oktober haben drei Jungs ihre Ausbildung an den Skyhawks, vielleicht sogar schon früher. Hank Rawson macht sich ganz hervorragend. Und dieser Mülleimermann ist ein wahres Genie. In mancher Hinsicht ist er nicht so helle, aber wenn es um Waffen geht, ist er unglaublich.«
Sie hatte den Mülleimermann zweimal gesehen. Jedesmal war es ihr kalt über den Rücken gelaufen, als er sie mit seinen trüben Augen ansah, und sie hatte sichtliche Erleichterung empfunden, als er den Blick wieder abwandte. Ganz offensichtlich sahen viele andere – Lloyd, Hank Rawson, Ronnie Sykes, der Rattenmann – in ihm eine Art Maskottchen, einen Glücksbringer. Sein lädierter Arm war eine scheußliche Masse von frisch verheiltem verbrannten Gewebe, und vor zwei Tagen war ihr abends etwas Eigenartiges aufgefallen. Hank Rawson sprach. Er steckte eine Zigarette in den Mund, zündete ein Streichholz an und sprach zu Ende, bevor er sich die Zigarette ansteckte und das Streichholz löschte. Dayna sah, wie der Mülleimermann auf die Streichholzflamme starrte, wie er den Atem anzuhalten schien. Er schien sich mit seiner ganzen Existenz auf diese winzige Streichholzflamme zu konzentrieren. Es war, als würde ein Verhungernder eine Mahlzeit mit neun Gängen vor sich sehen. Dann hatte Hank das Streichholz ausgeschnippt und den schwarzen Stummel in den Aschenbecher geworfen. Der Augenblick war vorbei gewesen.
»Er kann also gut mit Waffen umgehen?« fragte sie Lloyd.
»Großartig. Die Skyhawks haben Luft-Boden-Raketen unter den Tragflächen. Shrike-Raketen. Ist es nicht komisch, wie sie den ganzen Mist nennen? Kein Mensch wußte, wie man die gottverdammten Dinger an den Flugzeugen anbringt. Kein Mensch wußte, wie man sie scharf macht und zündet. Wir haben schon einen ganzen Tag gebraucht, um uns zu überlegen, wie man sie aus den Halterungen im Arsenal herausbekommt. Und Hank sagte: >Wir sollten Mülli holen, wenn er wieder hier ist, vielleicht kommt er damit zurecht.<«
»Wenn er wieder hier ist?«
»Er ist ein komischer Kerl. Diesmal ist er schon fast eine Woche hier in Vegas, aber er wird bald wieder verschwinden.«
»Wohin geht er denn?«
»In die Wüste. Er nimmt einen Landrover und fährt einfach los. Er ist ein komischer Kauz, das kann ich dir sagen. Auf seine Art ist Müll genauso unheimlich wie der Boß. Westlich von hier liegt nur Wüste und gottverlassene Öde. Ich muß es wissen. Ich habe da in einem Höllenloch namens Brownsville Station im Knast gesessen. Ich weiss nicht, wovon er da draußen lebt, aber er schafft es. Er sucht neues Spielzeug und bringt immer etwas mit zurück. Ungefähr eine Woche nachdem ich mit ihm aus L.A. zurückgekommen war, schleppte er ein paar >Maschinengewehre, die immer treffen<. Das letzte Mal brachte er Tellerminen, Tretminen, Splitterminen und einen Kanister voll Parathion. Er sagte, er habe jede Menge Parathion gefunden. Außerdem genug Entlaubungsmittel, um den ganzen Staat Colorado so kahl wie ein Hühnerei zu machen.«
»Wo findet er das?«
»Überall«, sagte Lloyd schlicht. »Er riecht es, Süße. Das Ganze ist gar nicht so verwunderlich. Große Teile von West-Nevada und OstKalifornien haben den guten alten Vereinigten Staaten gehört. Dort haben sie ihre Spielsachen getestet, einschließlich Atombomben. Eines Tages wird er auch noch so eine anschleppen.«
Er lachte. Dayna fühlte sich plötzlich kalt, schrecklich kalt.
»Auch die Supergrippe hat irgendwo da draußen angefangen«, sagte Lloyd. »Darauf wette ich jeden Betrag. Vielleicht findet Mülli die Stelle. Ich sagte dir ja, er kann so was riechen. Der Boß sagt, man soll ihm seinen Willen lassen, und er soll fahren, wohin er will. Das macht er. Kennst du schon sein neuestes Lieblingsspielzeug?«
»Nein«, sagte Dayna. Sie war nicht sicher, ob sie es wissen wollte, aber weshalb war sie denn hier?
»Flammenwerfer.«
»Was sind Flammenwärter?«
»Nicht Wärter, Werfer. In Indian Springs hat er fünf Stück nebeneinander aufgestellt wie Formel-Eins-Rennwagen.« Lloyd lachte. »Die wurden in Vietnam eingesetzt. Die Jungs nannten sie Zippos. Sie sind mit Napalm gefüllt. Mülli liebt sie.«
»Schön«, murmelte sie.
»Als Müll diesmal zurückkam, haben wir ihn nach Springs gebracht. Er hat sich die Shrikes angesehen, gesummt und gemurmelt, und sie innerhalb von sechs Stunden montiert und scharf gemacht. Ist das zu glauben? Techniker der Air Force müssen sie schätzungsweise neunzig Jahre dafür ausbilden. Aber sie sind eben nicht Müll. Er ist ein Genie.«
Du meinst, ein Fachidiot. Ich wette, ich weiß, woher seine Brandwunden stammen.
Lloyd sah auf die Uhr und richtete sich auf. »Da wir gerade von Indian Springs reden, ich muß hinfahren. Die Zeit reicht nur noch zum Duschen. Kommst du mit?«
»Diesmal nicht.«
Als die Dusche wieder rauschte, zog sie sich an. Bisher war es ihr immer gelungen, sich an– oder auszuziehen, wenn er nicht im Zimmer war, und so sollte es auch bleiben.
Sie schnallte sich das Messer um den Arm und schob es in die Klammer mit der Feder. Eine rasche Bewegung des Handgelenks, und sie hätte eine Zehnzollklinge in der Hand.
Nun, dachte sie, als sie die Bluse anzog, ein paarGeheimnisse muss ein Mädchen schon haben.
Am Nachmittag arbeitete sie in einem Trupp, der die Straßenlaternen wartete. Die Arbeit bestand darin, mit einem simplen Gerät zu prüfen, ob die Birnen noch intakt waren, und sie gegebenenfalls auszuwechseln, wenn sie ausgebrannt oder zur Zeit der Grippe in L. A. von Vandalen zertrümmert worden waren. Sie arbeiteten mit vier Leuten und benutzten einen Kirschenpflücker mit ausfahrbarer Plattform, mit dem sie von einer Laterne zur anderen und von Straße zu Straße rollten.
Am späten Nachmittag stand Dayna auf der Plattform des Kirschenpflückers, löste die Plexiglaskugel von einer der Straßenlaternen und überlegte, wie sympathisch ihr die Leute eigentlich waren, mit denen sie zusammenarbeitete, besonders Jenny Engstrom, eine energische und hübsche ehemalige Nachtklubtänzerin, die jetzt den Kirschenpflücker fuhr. Als Mädchen war sie der Typ, den Dayna gern als beste Freundin gehabt hätte, und sie wunderte sich darüber, daß Jenny auf der Seite des dunklen Mannes stand. Sie wunderte sich so sehr, daß sie es nicht wagte, Jenny um eine Erklärung zu bitten.
Die anderen waren auch in Ordnung. Sie fand, daß der Anteil der Dummen in Vegas größer war als in der Zone, aber keiner hatte Reißzähne, und sie verwandelten sich auch nicht in Fledermäuse, wenn der Mond aufging. Die Leute hier arbeiteten viel härter als die in der Zone. In der Freien Zone sah man die Leute zu jeder Tageszeit im Park Spazierengehen, und viele dehnten ihre Mittagspause auf zwei Stunden aus. So etwas passierte hier nicht. Von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags arbeitete hier jeder, entweder in Indian Springs oder bei den Wartungstrupps hier in der Stadt. Und auch die Schule hatte wieder angefangen. In Vegas waren ungefähr zwanzig Kinder im Alter von vier (das war Daniel McCarthy, der Liebling aller, den die meisten Dinny nannten) bis fünfzehn. Sie hatten zwei Leute mit Lehrbefähigung gefunden, und an fünf Tagen in der Woche fand der Unterricht statt. Lloyd, der die Schule schon verlassen hatte, nachdem er die vorletzte Klasse zweimal wiederholt hatte, betonte immer wieder seinen Stolz auf die Bildungsmöglichkeiten, die es hier gab. Die Apotheken waren geöffnet und wurden nicht bewacht. Die Leute gingen ständig ein und aus... aber sie nahmen nichts Schlimmeres mit als ein paar Aspirin oder eine Flasche Gelusil. Ein Drogenproblern gab es im Westen nicht. Wer gesehen hatte, was mit Hector Drogan passiert war, kannte die Strafe für Sucht. Es gab keine Rieh Moffats. Alle waren freundlich und ehrlich. Und es war vernünftig, nichts Stärkeres als Flaschenbier zu trinken.
Deutschland im Jahre 1938, dachte sie. Die Nazis? Oh, das sind nette Leute. Sehr athletisch. Sie besuchen keine Nachtklubs, die Nachtklubs sind für die Touristen. Was machen sie? Sie machen Uhren.
War das ein fairer Vergleich, fragte sich Dayna unbehaglich und dachte an Jenny Engstrom, die sie so gerne hatte. Sie wußte es nicht... aber wahrscheinlich schon.
Sie prüfte die Birne in der Kuppel des Lichtmastes. Die war defekt. Sie schraubte sie aus, legte sie vorsichtig zwischen ihre Füße und schraubte ihre letzte neue ein. Gut, der Tag war ohnehin zu Ende. Es war...
Sie schaute nach unten und erstarrte.
Die Leute aus Indian Springs kamen von der Bushaltestelle. Alle sahen beiläufig nach oben, so wie Leute eben nach oben schauen, wenn sich oben etwas abspielt. Das Gratis-Zirkus -Syndrom. Dieses Gesicht, das zu ihr hochsah.
Dieses breite, lächelnde, erstaunte Gesicht.
Gott im Himmel, ist das Tom Cullen?
Salziger Schweiß lief ihr in die Augen, so daß sie doppelt sah. Als sie sich die Augen ausgewischt hatte, war das Gesicht verschwunden. Die Leute von der Bushaltestelle waren schon ein ganzes Stück die Straße hinuntergegangen, ließen ihre Frühstücksbehälter baumeln, sprachen und scherzten miteinander. Dayna suchte den Mann, den sie für Tom gehalten hatte, aber von hinten war er schwer zu erkennen...
Tom? Würden sie Tom schicken?
Sicherlich nicht. Das war so verrückt, das war fast...
Fast vernünftig.
Aber sie konnte es einfach nicht glauben.
»He, Jürgens!« schrie Jenny frech. »Bist du da oben eingeschlafen oder spielst du an dir rum?«
Dayna beugte sich über das niedrige Geländer der Plattform und schaute in Jennys nach oben gewandtes Gesicht. Sie zeigte ihr den Finger. Jenny lachte. Dayna schraubte die letzte Birne ein, und als sie es geschafft hatte, war auch schon Feierabend. Auf der Rückfahrt in die Garage war sie schweigsam und in sich gekehrt... so schweigsam, daß Jenny eine Bemerkung machte.
»Ich glaube, ich hab' einfach nichts zu sagen«, meinte Dayna halb lächelnd.
Das konnte nicht Tom Cullen gewesen sein.
Oder doch?
»Wach auf! Wach auf! Verdammt, wach auf, du Miststück!«
Sie erwachte aus einem trüben Schlaf, als sie einen Fußtritt in den Rücken bekam, der sie aus dem runden Bett auf den Fußboden schleuderte. Sie war sofort wach und blinzelte verwirrt. Lloyd stand vor ihr und sah sie mit kalter Wut an. Whitney Horgan. Ken DeMott. Ace High. Jenny. Aber auch Jennys gewöhnlich freundliches Gesicht war leer und kalt.
»Jen...?«
Keine Antwort. Dayna kam auf die Knie und war sich vage ihrer Nacktheit bewußt; die kalten Gesichter der Leute um sie herum nahm sie deutlicher wahr. Lloyds Gesichtsausdruck war der eines Mannes, der betrogen wurde und diesen Betrug entdeckt hatte.
»Zieh dich an, verdammt, du verlogene Schnüfflerin!«
Träume ich das?
Okay, es war also kein Traum. Vor Entsetzen verkrampfte sich ihr der Magen, aber sie hatte es geahnt. Sie waren dem Richter auf die Spur gekommen und jetzt ihr. Er hatte es ihnen gesagt. Sie sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es war kurz nach vier Uhr morgens. Die Stunde der Gestapo, dachte sie.
»Wo ist er?« fragte sie.
»In der Nähe«, sagte Lloyd böse. Sein Gesicht war blaß und glänzend. Im offenen V seines Hemdkragens sah Dayna das Amulett. »Du wirst sehr bald wünschen, daß er weit weg wäre.«
»Lloyd?«
»Was ist?«
»Ich habe dir eine Geschlechtskrankheit angehängt. Ich hoffe, er fault dir ab.«
Er trat sie gegen das Brustbein; sie fiel auf den Rücken.
»Ich hoffe, er fault dir ab, Lloyd.«
»Halt's Maul und zieh dich an.«
»Raus mit euch. Ich zieh' mich nicht vor Männern an.«
Wieder trat Lloyd sie, diesmal an den Bizeps des rechten Oberarms. Die Schmerzen waren entsetzlich, ihr Mund verzog sich zu einem zitternden Bogen, aber sie schrie nicht.
»Steckst in der Scheiße, Lloyd, was? Hast mit Mata Hari geschlafen?« Sie grinste ihn mit Tränen des Schmerzes in den Augen an.
»Komm, Lloyd«, sagte Whitney Horgan. Er sah Mordlust in Lloyds Augen, trat rasch auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Wir gehen ins Wohnzimmer. Jenny kann aufpassen, wenn sie sich anzieht.«
»Und wenn sie nun aus dem Fenster springt?«
»Die Gelegenheit wird sie nicht haben«, sagte Jenny. Ihr breites Gesicht war tot und leer, und jetzt merkte Dayna zum ersten Mal, daß sie eine Pistole an der Hüfte trug.
»Sie könnte es ohnehin nicht«, sagte Ace High. »Die Fenster hier oben sehen nur so aus, wußtet ihr das nicht? Mancher, der an den Tischen viel verloren hat, möchte gern tief springen, und das wäre keine gute Reklame für das Hotel. Deshalb lassen sie sich nicht öffnen.« Sein Blick fiel auf Dayna, und in seinen Augen lag ein Anflug von Mitleid. »Und du, Baby, bist jetzt wirklich die große Verliererin.«
»Komm, Lloyd«, wiederholte Whitney. »Wenn du jetzt nicht hier rauskommst, machst du vielleicht etwas, was du später bereuen wirst.«
»Okay.« Sie gingen gemeinsam zur Tür, und Lloyd drehte sich noch einmal um. »Er wird dir ganz schön einheizen, Miststück.«
»Du warst der beschissenste Liebhaber, den ich je hatte, Lloyd«, sagte sie freundlich.
Er wollte sie anspringen, aber Whitney und Ken DeMott hielten ihn fest und schoben ihn durch die Tür. Die Doppeltüren schlössen sich mit einem leisen, klickenden Geräusch.
»Zieh dich an, Dayna«, sagte Jenny.
Dayna stand auf und rieb den purpurnen Bluterguß am Arm.
»Gefallen dir solche Leute?« fragte sie. »Mit solchen Leuten steckst du unter einer Decke? Mit Leuten wie Lloyd Henreid?«
»Du hast mit ihm geschlafen, nicht ich.« Zum erstenmal war ihr eine Gefühlsregung anzumerken. Wütende Mißbilligung. »Findest du es schön, hierherzukommen und die Leute auszuspionieren? Du verdienst alles, was dir bevorsteht. Und dir steht eine Menge bevor, Schwester.«
»Ich hatte meine Gründe, mit ihm zu schlafen.« Sie zog ihren Slip an. » Und auch für das Spionieren.«
»Warum hältst du nicht einfach den Mund?«
Dayna drehte sich um und sah Jenny an. »Was glaubst du, geht hier vor, Mädchen? Warum bilden sie in Indian Springs Leute an Düsenmaschinen aus? Glaubst du, daß Flagg mit diesen ShrikeRaketen auf der nächsten Kirmes seinem Mädchen eine Puppe schießen will?«
Jenny verkniff die Lippen. »Das geht mich nichts an.«
»Geht es dich auch nichts an, wenn sie die Jets dazu verwenden, nächstes Frühjahr über die Rockies zu fliegen und alle umzubringen?«
»Hoffentlich machen sie das. Ihr oder wir, das sagt er. Und ich glaube ihm.«
»Hitler haben sie auch geglaubt. Aber du glaubst ihm nicht. Du hast nur Schiß vor ihm.«
»Zieh dich an, Dayna.«
Dayna zog ihre Hose an und machte Knöpfe und Reißverschluß zu. Dann hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Ich... ich glaube, ich muß mich übergeben ... oh, Gott...« Sie packte die Bluse mit den langen Ärmeln, drehte sich um und lief ins Badezimmer. Sie verriegelte die Tür und machte laute würgende Geräusche.
»Mach die Tür auf, Dayna! Mach auf, oder ich schieße das Schloss raus!«
»Schlecht...« sie würgte noch einmal laut. Auf Zehenspitzen tastete sie mit der Hand über den Medikamentenschrank, dankte Gott, dass sie das Messer hier oben liegengelassen hatte, betete um noch zwanzig Sekunden...
Sie hatte das Messer. Sie schnallte es um. Jetzt hörte sie andere Stimmen im Schlafzimmer.
Mit der linken Hand drehte sie den Wasserhahn über dem Waschbecken auf. »Moment, mir ist schlecht, verdammt noch mal!«
Aber sie ließen ihr nicht einmal einen Moment. Jemand trat gegen die Badezimmertür, und sie bewegte sich in ihrem Rahmen. Dayna schob die Klinge zurück. Sie lag in ihrem Unterarm wie ein tödlicher Pfeil. In fliegender Hast streifte sie sich die Bluse über und knöpfte die Ärmel zu. Spritzte sich Wasser über den Mund. Zog die Wasserspülung.
Wieder ein Tritt gegen die Tür. Dayna drehte am Knopf, und sie stürzten herein. Lloyd mit wildem Blick, Jenny stand mit gezückter Pistole hinter Ken DeMott und Ace High.
»Ich hab' gekotzt«, sagte Dayna kalt. »Schade, daß du nicht zuschauen konntest, was?«
Lloyd packte sie an den Schultern und stieß sie ins Schlafzimmer.
»Ich sollte dir das Genick brechen, Fotze.«
»Denkt an die Stimme eures Herrn.« Sie knöpfte ihre Bluse vorn zu und sah die Umstehenden mit blitzenden Augen an. »Er ist euer Hundegott, nicht wahr? Leckt ihm den Arsch, und ihr werdet ihm gehören.«
»Du solltest lieber das Maul halten«, sagte Whitney grob. »Du machst alles nur noch schlimmer für dich.«
Sie sah Jenny an und begriff nicht, wie sich dieses kecke Mädchen mit dem offenen Lächeln in ein Nachtwesen mit leerem Gesicht verwandeln konnte. »Seht ihr denn nicht, daß er mit allem wieder von vorn anfangen will?« fragte sie verzweifelt. »Dem Töten, dem Schießen... der Seuche?«
»Er ist der Größte und der Stärkste«, sagte Whitney merkwürdig sanft. »Er wird eure Leute vom Antlitz der Erde tilgen.«
»Schluß mit dem Gerede«, sagte Lloyd. »Gehen wir.«
Sie wollten sie an den Armen packen, aber sie wich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. »Ich gehe«, sagte sie.
Außer einigen Männern mit Gewehren, die an den Türen saßen oder standen, war das Kasino leer. Diese betrachteten interessiert die Wände, die Decke und die verlassenen Spieltische, als die Fahrstuhltür aufging und Lloyds Gruppe Dayna vorführte. Sie wurde an den Kassenschaltern vorbei zu einer Tür gebracht. Lloyd öffnete sie mit einem kleinen Schlüssel, und sie traten hindurch. Sie wurde rasch durc h einen Raum getrieben, der wie eine Bank aussah: Dort standen Rechenmaschinen, Papierkörbe voller Bänder und Schalen mit Gummiringen und Büroklammern. Computer-Bildschirme, die jetzt grau und leer waren. Aufgerissene Schubladen. Geld war aus einigen herausgefallen und lag auf dem Kachelboden. Hauptsächlich Fünfziger und Hunderter. Am Ende des Schalterraumes öffnete Whitney eine zweite Tür, und Dayna wurde durch einen mit Teppichen ausgelegten Flur in ein unbesetztes Empfangsbüro geführt. Geschmackvoll ausgestattet. Ein schön gestalteter weißer Schreibtisch für eine geschmackvolle Sekretärin, die vor einigen Monaten gestorben war und dabei große, grüne Brocken Schleim gehustet hatte. An der Wand ein Bild, das ein Druck von Paul Klee sein konnte. Ein hellbrauner Zottelteppich. Das Vorzimmer zur Macht.