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The Stand. Das letze Gefecht
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Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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BUCH II

AN DER GRENZE

5. Juli – 6. September 1990

We come on the ship they call the Mayflower

We come on the ship that sailed the moon

We come in the age's most uncertain hour and sing an American tune

But it's all right, it's all right

You can't be forever blessed...


Paul Simon



Lookin hard for a drive-in

Searching for a parking space

Where hamburgers sizzle on an open grille night and day

Yes! Juke-box is jumpin with records back in the U. S. A.

Well I'm so glad I'm living in the U. S. A.

Anything you want we got it right here in the U. S. A.

Chuck Berry 

43

Mitten auf der Main Street in May, Oklahoma, lag ein Toter. Nick war nicht überrascht. Er hatte viele Tote gesehen, seit er Shoyo verlassen hatte, aber er vermutete, daß er nicht einmal ein Tausendstel der Leichen gesehen hatte, an denen er vorbeigekommen war. Stellenweise war der Geruch des Todes so schwer und dicht, daß er einem das Bewußtsein zu rauben drohte. Ein Toter mehr oder weniger spielte da keine Rolle. Aber als der Tote sich aufrichtete, explodierte ein solches Entsetzen in Nick, daß er wieder die Kontrolle über das Fahrrad verlor. Es schwankte, wackelte, dann kippte es um, und Nick stürzte heftig auf das Pflaster der Oklahoma Route 3. Er zerkratzte sich die Hände und schürfte sich die Stirn auf.

»Du lieber Himmel, Mister, Sie sind ja ganz schön hingefallen«, sagte der Tote und kam in einem Tempo zu Nick herüber, das man bestenfalls als hilflos eifriges Taumeln bezeichnen konnte. »Stimmt doch, oder? Meine Güte!«

Nick bekam nichts davon mit. Er blickte auf den Asphalt zwischen seinen Händen, auf jene Stelle, auf die das Blut von seiner aufgeschürften Stirn tropfte, und fragte sich, wie schlimm er verletzt war. Als ihn eine Hand an der Schulter berührte, fiel ihm der Tote wieder ein, und er krabbelte auf Handflächen und Schuhsohlen davon; das Auge, das nicht von einer Klappe bedeckt wurde, war vor Entsetzen weit aufgerissen.

»Nur keine Bange«, sagte der Tote, und Nick sah, daß es überhaupt kein Toter war, sondern ein junger Mann, der ihn strahlend ansah. Er hatte eine Flasche Whiskey in einer Hand, und jetzt begriff Nick. Kein Toter, sondern ein Mann, der sich betrunken hatte und mitten auf der Straße umgekippt war.

Nick nickte ihm zu und machte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. In diesem Moment rann ihm ein Tropfen Blut in das Auge, das Ray Booth bearbeitet hatte, und es tat weh. Er hob die Augenklappe und strich mit dem Unterarm darüber. Heute war auf dieser Seite wieder eine leichte Besserung eingetreten, aber wenn er das gesunde Auge schloß, verwandelte sich die Welt um ihn herum noch immer in bunte, verschwommene Schlieren. Er brachte die Augenklappe wieder an, ging langsam zum Straßenrand und setzte sich neben einen Plymouth mit einem Nummernschild aus Kansas; der Wagen war fast schon bis auf die Felgen abgesenkt. Nick konnte das verzerrte Spiegelbild der Stirnverletzung auf der Stoßstange des Plymouth sehen. Die Kratzer und Schnitte sahen häßlich aus, waren aber nicht tief. Er würde die hiesige Apotheke suchen, die Wunde desinfizieren und ein Pflaster draufkleben. Er müßte eigentlich, dachte er, noch genügend Penicillin in sich haben, daß sein Körper mit praktisch allen Erregern fertigwerden konnte, aber die Erfahrung mit dem Streifschuß am Bein hatte ihm höllische Angst vor Infektionen eingejagt. Er zupfte mit verzerrtem Gesicht Gesteinssplitter aus den Handflächen.

Der Mann mit der Whiskeyflasche hatte das alles ausdruckslos beobachtet. Hätte Nick den Kopf gehoben, wäre ihm das gleich seltsam vorgekommen. Schon als er sich abgewandt hatte, um seine Wunde in der Stoßstange zu betrachten, war alles Leben aus dem Gesicht des Mannes gewichen. Es wurde leer und stumpf und völlig nichtssagend. Der Mann trug eine verblichene, aber saubere Latzhose und schwere Arbeitsschuhe. Er war ungefähr einsfünfundsiebzig groß und hatte so hellblondes Haar, daß es fast weiß wirkte. Seine Augen waren von einem hellen, klaren Blau, und wegen des strohigen Haares war seine schwedische oder norwegische Herkunft unverkennbar. Er sah nicht älter als dreiundzwanzig aus, aber später stellte Nick fest, daß er Mitte Vierzig sein mußte oder nahe dran, denn er konnte sich noch an das Ende des Koreakriegs erinnern und wie sein Daddy einen Monat später in Uniform nach Hause gekommen war. Unmöglich, daß er das alles erfunden haben konnte. Phantasie war nicht Tom Cullens starke Seite.

Er stand da, mit leerem Gesicht, wie ein Roboter, dem man den Stecker rausgezogen hat. Dann kam ganz allmählich wieder Leben in sein Gesicht. Er blinzelte mit whiskey-roten Augen. Er lächelte. Er wußte wieder, was die Situation erforderte.

»Du lieber Himmel, Mister, Sie sind ja ganz schön hingefallen. Stimmt doch, oder? Meine Güte!« Er blinzelte, als er das viele Blut auf Nicks Stirn sah.

Nick hatte einen Notizblock und einen Bic in der Hemdtasche; sie waren beim Sturz nicht herausgefallen. Er schrieb: »Sie haben mich erschreckt. Ich hielt Sie für tot, bis Sie aufgestanden sind. Mir ist nichts passiert. Gibt es hier einen Drugstore?«

Er zeigte dem Mann in der Latzhose den Block. Der Mann nahm ihn. Betrachtete das Geschriebene. Gab den Zettel zurück. Er sagte lächelnd: »Ich bin Tom Cullen. Aber ich kann nicht lesen. Ich bin nur bis zur dritten Klasse gekommen, aber da war ich sechzehn, und mein Daddy hat mich rausgenommen. Er sagte, ich wäre zu groß.«

Geistig zurückgeblieben, dachte Nick. Ich kann nicht sprechen, und er kann nicht lesen. Einen Augenblick war er völlig ratlos.

»Du lieber Himmel, Mister, Sie sind ja ganz schön hingefallen!« rief Tom Cullen. Irgendwie war es für beide so, als hätte er es jetzt zum ersten Mal gesagt. »Stimmt doch, oder? Meine Güte!«

Nick nickte. Steckte Block und Kugelschreiber wieder ein. Legte eine Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf. Hielt die Hände auf die Ohren und schüttelte den Kopf. Hob die linke Hand an den Hals und schüttelte den Kopf.

Cullen grinste verwirrt. »Zahnschmerzen? Hatte ich auch mal. Tat böse weh. Stimmt doch, oder? Meine Güte!«

Nick schüttelte den Kopf und wiederholte seine Pantomime. Diesmal tippte Cullen auf Ohrenschmerzen. Nick winkte resigniert ab und ging zu seinem Fahrrad. An manchen Stellen war Farbe abgeschürft, aber sonst schien es unbeschädigt zu sein. Er stieg auf und fuhr ein Stück die Straße entlang.

Ja, es war in Ordnung. Cullen lief neben ihm her und lächelte glücklich. Er ließ Nick nicht aus den Augen. Er hatte seit fast einer Woche niemanden mehr gesehen.

»Haben Sie keine Lust zu sprechen?« fragte er, aber Nick drehte sich nicht um, schien ihn nicht gehört zu haben. Tom zupfte ihn am Ärmel und wiederholte seine Frage.

Der Mann auf dem Fahrrad hielt wieder die Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf. Tom runzelte die Stirn. Jetzt war der Mann abgestiegen, hatte sein Rad auf den Klappständer gestellt und betrachtete die Schaufenster. Er schien gefunden zu haben, was er suchte, denn er trat auf den Bürgersteig und dann zu Mr. Nortons Drugstore. Pech, wenn er da reinwollte, denn die Drogerie war zu. Mr. Norton hatte die Stadt verlassen. Fast alle hatten Häuser und Geschäfte zugemacht und die Stadt verlassen, wie es schien, außer Mom und ihrer Freundin Mrs. Blakely, aber die waren beide tot. Jetzt versuchte der nichtsprechende Mann, die Tür aufzumachen. Tom hätte ihm sagen können, daß das zwecklos war, obwohl ein GEÖFFNET-Schild an der Tür hing. Das GEÖFFNET-Schild war ein Lügner. Wirklich schade, denn Tom hätte zu gern ein Ice Cream Soda gehabt. Das war viel besser als der Whiskey, der ihm zuerst geholfen, ihn dann müde gemacht und ihm zum Schluß schlimme Kopfschmerzen beschert hatte. Er war eingeschlafen, um die Kopfschmerzen loszuwerden, aber er hatte eine Menge verrückte Träume von einem Mann in einem schwarzen Anzug gehabt, wie ihn Reverend Deiffenbaker immer trug. Der Mann im schwarzen Anzug verfolgte ihn in seinen Träumen. Ein sehr böser Mann, fand Tom. Er hatte überhaupt nur getrunken, weil er das nicht durfte. Sein Daddy hatte ihm das gesagt und auch Mom, aber jetzt waren sie alle weg, und darum konnte er jetzt trinken, wenn er wollte. Aber was machte der nichtsprechende Mann jetzt? Nahm den Abfallkorb vom Gehweg hoch und wollte... was? Mr. Nortons Fenster einschlagen? KLIRR! Pest und Hölle, er hatte es schon getan! Und jetzt griff er hinein und machte die Tür auf...

»He, Mister, das dürfen Sie nicht!« schrie Tom mit vor Aufregung und Wut zitternder Stimme. »Das ist böse! M-O-N-D, und das buchstabiert man böse! Wissen Sie denn nicht...«

Aber der Mann war schon drinnen und drehte sich nicht einmal um.

»Sind Sie vielleicht taub, oder was?« rief Tom empört. »Meine Fresse! Sind Sie...«

Er verstummte. Alles Leben wich aus seinem Gesicht. Er war wieder der Roboter mit herausgezogenem Stecker. Im Mai war es nicht ungewöhnlich gewesen, den Tumben Tom so zu sehen. Er ging die Straße entlang, schaute mit diesem ewig glücklichen Ausdruck in seinem etwas rundlichen skandinavischen Gesicht in die Schaufenster, und plötzlich blieb er stehen und schaltete ab. Jemand rief vielleicht: » Da kommt Tom!«, und es wurde gelacht. Wenn Toms Daddy dabei war, runzelte dieser die Stirn, rempelte Tom mit dem Ellenbogen in di e Rippen oder klopfte ihm vielleicht sogar auf die Schulter oder den Rücken, bis Tom wieder zum Leben erwachte. Aber Toms Daddy war seit Anfang 1988 immer seltener in der Nähe gewesen, denn er ging mit einer rothaarigen Kellnerin aus, die in Boomer's Bar & Grille arbeitete. Ihr Name war Dee Dee Packalotte (über diesen Namen wurden nicht wenige Witze gerissen), und sie und Don Cullen waren vor etwa einem Jahr zusammen aBgehauen. Man hatte die beiden nur einmal gesehen, in einer billigen Absteige nicht weit entfernt, in Slapout, Oklahoma. Seither hatte man nichts mehr von ihnen gehört.

Die meisten Leute sahen in Toms häufigen Blackouts einen weiteren Beweis für seine geistige Zurückgebliebenheit, aber in Wahrheit waren es Momente fast normalen Denkens. Der menschliche Denkprozeß basiert (behaupten jedenfalls die Psychologen) auf Deduktion und Induktion, und ein zurückgebliebener Mensch ist nicht imstande, diese deduktiven und induktiven Sprünge zu vollziehen. Irgendwo im Hirn sind kaputte Leitungen, Kurzschlüsse, fehlerhafte Schalter. Tom Cullen war zwar zurückgeblieben, aber nicht debil; er konnte einfache Zusammenhänge herstellen. Gelegentlich war er – während seiner vermeintlichen Blackouts – imstande, auch komplexere induktive oder deduktive Schlüsse zu ziehen. Immer dann stand er kurz vor der Schwelle, einen solchen gedanklichen Zusammenhang herzustellen, wie ein normaler Mensch manchmal das Gefühl hat, daß ihm ein Name »auf der Zunge liegt«. Wenn Tom dies spürte, zog er sich aus der wirklichen Welt, die für ihn nörmalerweise nichts weiter als ein konstanter Zustrom an Sinneswahrnehmungen von Augenblick zu Augenblick war, in seinen Verstand zurück. Dann war er mit einem Mann in einem dunklen, fremden Zimmer zu vergleichen, der den Stecker einer Lampenschnur in der Hand hält, über den Boden kriecht und immer wieder Gegenstände umstößt, während er versucht, mit der freien Hand die Steckdose zu ertasten. Und wenn er sie fand – er fand sie nicht immer -, kam die Erleuchtung, und er sah das Zimmer (oder den Gedanken) deutlich. Ansonsten war Tom ein auf äußere Sinneseindrücke reduziertes Wesen. Auf eine Liste der Dinge, die er besonders gern mochte, hätte auch ein Ice Cream Soda aus Mr. Nortons Laden gehört, der Anblick eines hübschen Mädchens im Minirock, das an der Ecke daraufwartete, über die Straße zu gehen, der Geruch von Flieder und das Gefühl, über Seide zu streichen. Aber mehr als das alles liebte er das Ungreifbare, liebte er jene Momente, wenn ein Zusammenhang hergestellt wurde, wenn der Schalter funktionierte (wenigstens für den Augenblick) und das Licht in dem dunklen Zimmer aufflammte. Das geschah nicht häufig; oft entging ihm der Zusammenhang. Diesmal nicht.

Er hatte gesagt: Sind Sie vielleicht taub, oder was?

Der Mann hatte nicht so reagiert, als hätte er gehört, was Tom sagte; er hatte ihn nur direkt angesehen. Ja, der Mann hatte überhaupt nichts zu ihm gesagt, nicht einmal »Hi«. Manchmal antworteten die Leute Tom nicht, wenn er eine Frage stellte, denn etwas in seinem Gesicht verriet ihnen, daß er nicht ganz richtig im Oberstübchen war. Aber immer wenn das geschah, sah derjenige, der Tom nicht antworten wollte, wütend oder traurig oder hektisch drein. Bei diesem Mann war es anders – er hatte Tom einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger gezeigt, und Tom wußte, das bedeutete »alles in Ordnung«... aber der Mann hatte nichts gesagt.

Hände auf den Ohren und Kopfschütteln.

Hände vor dem Mund und dasselbe.

Hände vor dem Hals und noch einmal dasselbe.

Im Zimmer wurde es hell, der Zusammenhang war hergestellt.

»Meine Güte!« rief Tom, und sein Gesicht wurde wieder lebendig. Seine blutunterlaufenen Augen glühten. Er rannte in Nortons Drugstore und vergaß ganz, daß das M-O-N-D war. Der nichtsprechende Mann spritzte etwas, das wie Steryllium roch, auf Watte und wischte sich mit der Watte über die Stirn.

»He, Mister!« sagte Tom und rannte auf Nick zu. Der nichtsprechende Mann drehte sich nicht um. Tom war für einen Moment verblüfft, aber dann erinnerte er sich wieder. Er tippte Nick auf die Schulter, und Nick drehte sich um. »Sie sind taub und stumm, richtig? Können nicht hören! Können nicht sprechen! Richtig?«

Nick nickte. Toms Reaktion war höchst erstaunlich für ihn. Er sprang in die Luft und klatschte ausgelassen in die Hände.

»Ich bin draufgekommen! Hurra! Ich bin selber draufgekommen!

Hurra für Tom Cullen!«

Nick mußte grinsen. Er konnte sich nicht erinnern, daß sich schon einmal jemand so über seine Behinderung gefreut hatte.



Vor dem Gerichtsgebäude befand sich ein kleiner Platz, und auf diesem Platz stand die Statue eines Soldaten mit Uniform und Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Schild am Sockel wies darauf hin, daß dieses Denkmal den Jungs aus Harper County gewidmet war, die das LETZTE OPFER FÜR IHR VATERLAND gebracht hatten. Nick Andros und Tom Cullen saßen im Schatten dieses Denkmals und aßen Underwood-Teufelsschinken und Teufelshühnchen auf Kartoffelchips. Nick hatte über dem linken Auge ein X aus Pflaster auf der Stirn. Er las Tom von den Lippen ab (was etwas schwierig war, weil Tom sich unablässig Essen zwischen die Worte stopfte) und stellte fest, daß er es allmählich satt hatte, ständig nur Konserven zu essen. Am liebsten wäre ihm ein großes Steak mit Beilagen gewesen.

Tom hatte, seit sie sich gesetzt hatten, nicht mehr aufgehört zu sprechen. Er erzählte eigentlich immer wieder dasselbe und garnierte es mit zahlreichen Ausrufen wie Meine Fresse! und Stimmt doch, oder?Nick machte es nichts aus. Bis er Tom getroffen hatte, war ihm überhaupt nicht bewußt geworden, wie sehr ihm andere Menschen gefehlt hatten oder daß er insgeheim befürchtet hatte, der einzige Überlebende auf der ganzen Welt zu sein. Einmal war ihm sogar der Gedanke durch den Kopf gegangen, die Seuche könnte alle außer den Taubstummen ausgelöscht haben. Jetzt, überlegte er mit einem inneren Lächeln, konnte er über die Möglichkeit nachdenken, daß nur die Taubstummen und geistig Zurückgebliebenen überlebt hatten. Dieser Gedanke, der um zwei Uhr nachmittags an einem Sommernachmittag eine gewisse Komik hatte, würde in der Nacht wiederkehren, ihn quälen und ganz und gar nicht mehr komisch wirken.

Er fragte sich, was Tom denken mochte, wohin alle Menschen verschwunden waren. Er hatte schon die Geschichte von Toms Daddy gehört, der vor ein paar Jahren mit einer Kellnerin durchgebrannt war, und über Toms Job als Aushilfe auf der Norbutt Farm, weil Mr. Norbutt vor zwei Jahren zu der Überzeugung gekommen war, daß Tom »ganz gut zurechtkam« und man ihm eine Axt anvertrauen konnte, und wie ihm die »großen Jungs« eines Nachts aufgelauert hatten und wie Tom sie »alle windelweich geprügelt« hatte, »bis sie halbtot waren, und ein' hab' ich ins Krankenhaus gebracht mit Blutungen, M-O-N-D und das buchstabiert man Blutungen, das hat Tom Cullen gemacht«, und Nick hatte auch gehört, wie Tom seine Mutter im Haus von Mrs. Blakely gefunden hatte, wo sie beide tot im Wohnzimmer saßen, und wie er sich da einfach davongeschlichen hatte. Jesus kam nicht und holte tote Menschen in den Himmel, wenn jemand zusah, sagte Tom (Nick überlegte, daß Jesus in Toms Augen eine Art umgekehrter Nikolaus sein mußte, der Tote mit durch den Kamin hinaus nahm, anstatt Geschenke hereinzubringen). Aber Tom hatte nichts davon gesagt, daß in May alle verschwunden waren oder die Straße mitten durch den Ort verlief und dennoch kein Fahrzeug fuhr.

Er legte Tom sanft die Hand auf die Brust und unterbrach damit den Wortschwall.

»Was?« fragte Tom.

Nick beschrieb mit den Armen einen großen Kreis, der die Häuser des Innenstadtbereichs einschloß. Er verzog das Gesicht zu übertriebener, burlesker Verwirrung, runzelte die Stirn, legte den Kopf schief, kratzte sich am Hinterkopf. Dann machte er mit den Fingern Gehbewegungen auf dem Gras und sah Tom schließlich fragend an.

Was er sah, war erschreckend. Toms Gesicht war so ausdruckslos, daß er urplötzlich hätte gestorben sein können. Die Augen, in denen noch vor Momenten alles gefunkelt hatte, was er erzählen wollte, waren jetzt umwölkt wie blaue Murmeln. Der Mund war offen, so dass Nick feuchte Kartoffelchipskrümel auf der Zunge sehen konnte. Die Hände lagen schlaff im Schoß.

Nick streckte besorgt den Arm aus, um Tom anzustoßen. Aber bevor es dazu kam, zuckte Toms Körper zusammen. Erregung floß wieder in sein Gesicht wie Wasser in einen Eimer. Er fing an zu grinsen. Eine Sprechblase mit dem Wort EUREKA – ICH HAB'S! – über seinem Kopf hätte das Geschehene nicht deutlicher machen können.

»Sie möchten wissen, wohin alle Leute gegangen sind!« rief Tom aus.

Nick nickte heftig.

»Na. ich glaub', sie sind nach Kansas City«, sagte Tom. »Meine Fresse, ja. Alle haben immer gesagt, was May für eine kleine Stadt ist. Nichts los. Kein Spaß. Sogar die Rollschuhbahn hat zugemacht. Jetzt is' nur noch das Autokino da, aber dort zeigen sie immer nur so Fummelfilme. Meine Mom hat immer gesagt, wer einmal weg ist, kommt nicht mehr wieder. Wie mein Dad, der ist mit 'ner Kellnerin abgehauen, die hat geheißen M-O-N-D, und das buchstabiert man Dee Dee Packalotte. Ja, ja, alle Leute haben die Nase voll gehabt und sind gegangen. Muß Kansas City sein, meine Fresse. Stimmt doch, oder? Dahin müssen sie gegangen sein. Außer Mrs. Blakely und meiner Mom. Jesus wird sie hoch in den Himmel raufholen und in seinen ewigen Armen wiegen.«

Tom nahm seinen Monolog wieder auf.

Nach Kansas City gegangen, dachte Nick. Nach allem, was ich weiß, könnte das stimmen. Alle, die auf diesem armen Planeten geblieben sind, wurden von der Hand Gottes hochgehoben und entweder in Seinen ewigen Armen gewiegt oder in Kansas City wieder abgesetzt. Er lehnte sich zurück, seine Lider flatterten und verwandelten Toms Worte ins Äquivalent eines modernen Gedichts, ohne Großbuchstaben am Anfang, wie ein Werk von e. e. cummings:

mutter hat gesagt

haben kein

aber ich hab' ihnen gesagt paßt lieber auf

nicht herumpfuschen mit


In der vergangenen Nacht, die er in einer Scheune verbracht hatte, waren die Alpträume schlimm gewesen, und jetzt, mit vollem Bauch, wollte er nur...

meine fresse

M-O-N-D und das buchstabiert man

klar wünsch' ich mir das


Nick schlief ein.

Als er aufwachte, fragte er sich als erstes in der benommenen Art, die man hat, wenn man am hellichten Tag fest geschlafen hat, warum er so sehr schwitzte. Als er sich aufsetzte, wußte er es. Es war Viertel vor fünf am Nachmittag, er hatte über zweieinhalb Stunden geschlafen, die Sonne war hinter dem Kriegerdenkmal aufgegangen. Aber das war nicht alles. Tom Cullen hatte ihn in einem wahrhaft orgiastischen Anfall von Fürsorge zugedeckt, damit er nicht fror. Mit zwei Baumwolltüchern und einer Steppdecke. Er warf sie beiseite, stand auf, streckte sich. Tom war nirgends zu sehen. Nick schritt langsam den Hauptzugang zum Platz entlang und fragte sich, was er wegen Tom machen sollte... oder mit ihm. Der geistig behinderte Bursche hatte sich mit Lebensmitteln vom A&P am anderen Ende des Platzes versorgt. Er hatte keinerlei Gewissensbisse, dort hineinzugehen und sich anhand der Etiketten auf den Dosen zum Essen zu nehmen, was er brauchte, denn, wie Tom sagte, die Tür des Supermarktes war offen.

Nick fragte sich müßig, was Tom wohl getan hätte, wäre sie nicht offen gewesen. Er vermutete, daß Tom seine Skrupel vergessen oder aus gegebenem Anlaß einmal außer acht gelassen hätte, wäre sein Hunger groß genug gewesen. Aber was sollte aus ihm werden, wenn die Vorräte aufgebraucht waren?

Aber das bekümmerte ihn eigentlich nicht so sehr an Tom. Vielmehr war es der hilflose Eifer, mit dem der Mann ihn begrüßt hatte. Zurückgeblieben mochte er sein, dachte Nick, aber nicht so zurückgeblieben, daß er keine Einsamkeit verspürte. Seine Mutter und deren Freundin, die sich um ihn gekümmert hatte, waren beide tot. Sein Dad war schon lange abgehauen. Sein Arbeitgeber, Mr. Norbutt, und alle anderen in May hatten sich eines Nachts, während Tom schlief, alle heimlich nach Kansas City davongemacht und ihn, Tom, allein zurückgelassen, damit er wie ein einsamer Geist die Main Street auf und ab gehen konnte. Und jetzt machte er Sachen, die nichts für ihn waren – zum Beispiel Whiskey trinken. Wenn er sich wieder betrank, verletzte er sich vielleicht. Und wenn er sich verletzte und niemand da war, der sich um ihn kümmerte, wäre das möglicherweise sein Ende.

Aber... ein Taubstummer und ein Mann, der geistig behindert war? Welchen Nutzen konnten sie schon füreinander haben? Ein Typ, der nicht sprechen, und einer, der nicht denken konnte. Nein, das war ungerecht, Tom konnte immerhin ein bißchen denken, aber er konnte nicht lesen, und Nick machte sich keine Illusionen, daß er es ziemlich bald satt haben würde, für Tom Cullen Pantomimen aufzuführen. Nicht, daß es Tomsatt haben würde. Meine Fresse, nein.

Auf dem Gehweg vor dem Eingang zum Park blieb er stehen und steckte die Hände in die Taschen. Nun, überlegte er, ich kann wenigstens die Nacht über bei ihm bleiben. Auf eine Nacht kommt es nicht an. Ich kann ihm wenigstens was Anständiges zu essen kochen.

Davon ein wenig aufgemuntert, machte er sich auf die Suche nach Tom.



Nick schlief in dieser Nacht im Park. Er wußte nicht, wo Tom schlief, aber als er am nächsten Morgen aufwachte, etwas feucht vom Tau, aber ansonsten in ausgezeichneter Verfassung, sah er, als er über den Platz ging, Tom gleich als allererstes; Tom hatte sich über eine Flotte Corgi-Spielzeugautos und eine große Texaco-Tankstelle aus Plastik gebeugt.

Tom schien zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß es nicht schlimm war, wenn er schon in Norton's Drugstore einbrach, auch anderswo einzubrechen. Er saß auf dem Bordstein vor dem Fiveand-Dime und hatte Nick den Rücken zugedreht. Etwa vierzig Modellautos waren an der Bordsteinkante aufgereiht. Daneben lag der Schraubenzieher, mit dem Tom den Schaukasten aufgestemmt hatte. Jaguar, Mercedes Benz, Rolls-Royce, ein maßstabgetreuer Bentley mit limonengrüner Motorhaube, ein Lamborghini, ein Cord, ein acht Zentimeter langer Pontiac Bonneville, eine Corvette, ein Maserati und, Gott behüte und beschütze uns, ein Moon Baujahr 1933. Tom hatte sich gebannt über sie alle gebeugt und fuhr mit einem nach dem anderen in die Tankstelle und wieder heraus, nachdem er sie an der Miniaturzapfsäule vollgetankt hatte. Nick sah, daß sich in der Werkstatt eine funktionsfähige Hebebühne befand; ab und zu schob Tom ein Auto dorthin, hievte es hoch und tat so, als würde er darunter etwas reparieren. Hätte Nick hören können, hätte er in der vollkommenen Stille die Laute von Tom Cullens Phantasie vernommen – das vibrierende brrrrrmit den Lippen, wenn er ein Auto auf den Asphalt von Fisher-Price fuhr, das tschk-tschk-tschk-dinngg! der Zapfsäule, das Ssssssss, wenn die Hebebühne herauf und herunter fuhr. So bekam er nur Bruchstücke der Gespräche zwischen Tankstellenbesitzer und den winzigen Menschen in den winzigen Autos mit: Volltanken, Sir? Normal? Klar doch! Ich mach' Ihnen noch die Scheibe sauber, Ma'am. Ich glaube, es ist der Vergaser. Wollen die Kiste mal hochbocken und den Auspuff nachsehen. Toiletten? Klar doch! Gleich da um die Ecke!

Und darüber, meilenweit in sämtliche Richtungen, der Himmel, den Gott für dieses winzige Stück von Oklahoma erschaffen hatte.

Nick dachte:  Ich kann ihn nicht zurücklassen. Das kann ich nicht. Und plötzlich überkam ihn eine bittere und völlig unerwartete Traurigkeit, eine so tiefgehende Empfindung, daß er einen Augenblick fürchtete, weinen zu müssen.

Sie sind nach Kansas City gegangen, dachte er. Du hast recht, Tom. Sie sind alle nach Kansas City gegangen.

Nick ging über die Straße und tippte Tom am Arm. Tom sprang auf und sah über die Schulter. Ein breites, schuldbewußtes Lächeln teilte seine Lippen, Röte stieg aus dem Hemdkragen empor.

»Ich weiß, ist für kleine Jungs und nicht für erwachsene Männer«, sagte er. »Ich weiß, meine Fresse, ja, Daddy hat's mir gesagt.«

Nick zuckte die Achseln, lächelte und breitete die Arme aus. Tom schien sehr erleichtert zu sein.

»Das gehört jetzt mir. Ist meins, wenn ich's will. Wenn du in den Drugstore gekonnt hast und dir was holen, hab' ich auch in 'n Fiveand-Dime gekonnt und mir was holen. Meine Güte, stimmt doch, oder? Ich muß es nicht zurücktun, oder?«

Nick schüttelte den Kopf.

»Meins«, sagte Tom glücklich und wandte sich wieder der Tankstelle zu. Nick stieß ihn wieder an, und Tom sah auf. »Was?«

Nick zog ihn am Ärmel, und Tom stand gehorsam auf. Nick führte ihn die Straße hinunter zu der Stelle, wo sein Fahrrad auf dem Klappständer lehnte. Er deutete auf sich, dann auf das Fahrrad. Tom nickte.

»Klar. Das Rad ist Ihrs. Die Texaco-Tankstelle ist meine. Ich nehm'

Ihr Rad nicht und Sie nicht meine Texaco-Tankstelle. Meine Fresse, nein!«

Nick schüttelte den Kopf. Er deutete auf sich. Auf das Fahrrad. Dann die Main Street entlang. Dann winkte er mit den Fingern: Tschüs. Tom wurde ganz still. Nick wartete. Tom sagte zögernd: »Sie wollen wegfahren, Mister?«

Nick nickte.

»Das will ich nicht!« platzte Tom heraus. Seine Augen waren groß, sehr blau und glänzten von Tränen. »Ich mag Sie! Ich will nicht, dass Sie auch nach Kansas City gehen!«

Nick zog Tom zu sich und legte einen Arm um ihn. Deutete auf sich. Auf Tom. Auf das Fahrrad. Zur Stadt hinaus.

»Kapier' ich nicht«, sagte Tom.

Geduldig wiederholte Nick alles. Diesmal winkte er wieder zum Abschied, packte Toms Hand in einer plötzlichen Eingebung und winkte auch damit: Tschüs.

»Sie möchten, daß ich mitkomme?« fragte Tom. Ein Lächeln ungläubiger Fassungslosigkeit erhellte sein Gesicht. Nick nickte erleichtert.

»Klar!« rief Tom. »Tom Cullen geht mit! Tom...« Er verstummte, der glückliche Gesichtsausdruck wurde unsicher.

»Darf ich meine Tankstelle mitnehmen?«

Nick dachte einen Augenblick nach und nickte dann.

»Meine Fresse!« Toms Grinsen kam zurück wie die Sonne, die durch Wolken bricht. »Tom Cullen geht mit.«

Nick führte ihn zum Fahrrad. Er deutete auf Tom, dann auf das Rad.

»Mit so einem bin ich noch nie gefahren«, sagte Tom zweifelnd und betrachtete die Gangschaltung und den hohen schmalen Sitz.

»Lieber nicht. Von so 'nem tollen Rad würde Tom Cullen runterfallen.«

Aber Nick war ziemlich erleichtert.  Mit so einem bin ich noch nie gefahren bedeutete, daß er schon mal mit irgendeinem anderen Rad gefahren war. Er mußte nur ein ganz normales Fahrrad finden. Mit Tom würde er langsamer vorankommen, das war nicht zu vermeiden, aber vielleicht würde es gar nicht so schlimm werden. Und warum überhaupt die Eile? Träume sind Schäume. Andererseits empfand er einen inneren Zwang, sich zu beeilen, so stark und doch so unbestimmbar; ein Befehl seines Unterbewußtseins. Er führte Tom zu dessen Tankstelle zurück. Er deutete darauf und nickte Tom lächelnd zu. Tom hockte sich eifrig hin und wollte nach ein paar Autos greifen, aber dann hielten seine Hände inne. Er blickte besorgt und mit offensichtlichem Mißtrauen zu Nick auf. »Sie gehen doch nicht ohne Tom Cullen, oder?«

Nick schüttelte energisch den Kopf.

»Okay«, sagte Tom und wandte sich beruhigt seinem Spielzeug zu. Ehe er sich zurückhalten konnte, strich Nick dem Mann mit der Hand durchs Haar. Tom sah auf und lächelte schüchtern. Nick lächelte zurück. Nein, er konnte ihn nicht einfach zurücklassen. Das stand fest.



Es war schon fast Mittag, bevor er ein Fahrrad fand, das ihm für Tom geeignet schien. Er hatte nicht erwartet, daß es auch nur annähernd so lange dauern würde, aber überraschend viele Leute hatten ihre Häuser, Garagen und Außengebäude abgeschlossen. In den meisten Fällen war er darauf angewiesen, durch schmutzige, spinnwebverhangene Fenster in dunkle Garagen zu spähen in der Hoffnung, das richtige Rad zu finden. Während seiner Suche war er noch einmal zu Western Auto zurückgegangen, aber das hatte wenig genützt; im Schaufenster standen nur Damen– und Herrenräder mit Dreigangschaltung, alles andere war nicht montiert. Was er suchte, fand er schließlich in einer kleinen, freistehenden Garage am südlichen Stadtrand. Die Garage war verschlossen, aber sie hatte ein Fenster, das so groß war, daß er hineinkriechen konnte. Nick zertrümmerte die Scheibe mit einem Stein und entfernte sorgfältig die restlichen Scherben aus dem alten, brüchigen Kitt. In der Garage herrschten stickige Hitze und ein pelziger Öl– und Staubgeruch. Das Fahrrad, ein altmodisches Schwinn-Knabenrad, stand neben einem zehn Jahre alten Mercedes -Kombi. Bei meinem Glück wird das verdammte Rad kaputt sein, dachte Nick. Keine Kette, platte Reifen, irgend so was. Aber diesmal hatte er tatsächlich Glück. Das Rad lief einwandfrei. Die Reifen waren aufgepumpt und hatten ein gutes Profil; alle Schrauben waren fest angezogen. Kein Gepäckkorb, da würde er Abhilfe schaffen müssen. Aber es hatte einen Kettenschutz, und an der Wand hing zwischen einem Rechen und einer Schneeschippe ein unerwarteter Bonus: eine fast neue Briggs-Luftpumpe.

Er suchte weiter und fand eine Dose Three-In-One-Öl auf einem Regal. Nick setzte sich auf den rissigen Betonboden, achtete nicht mehr auf die Hitze und ölte die Kette und beide Naben. Als er damit fertig war, schraubte er das Three-In-One wieder zu und verstaute es sorgfältig in der Hosentasche.


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