Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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Tom verstummte.
Die drei sahen einander bleich wie Grabsteine an. Ralph hatte den Hut vom Kopf genommen und knetete ihn zwanghaft zwischen den Händen. Nick hielt sich eine Hand vor die Augen. Stus Hals hatte sich in trockenes Glas verwandelt.
Sein Name ist Legion. Er ist der König von Nirgendwo.
»Kannst du noch etwas über ihn sagen?« fragte Stu mit leiser Stimme.
»Nur, daß ich auch Angst vor ihm habe. Aber ich mache, was ihr wollt. Aber Tom... hat solche Angst.« Wieder dieser schreckliche Seufzer.
»Tom«, sagte Ralph plötzlich. »Weißt du, ob Mutter Abagail... ob sie noch lebt?« Ralphs Gesicht war starr vor Verzweiflung, das Gesicht eines Mannes, der alles auf eine Karte gesetzt hat.
»Sie lebt.« Ralph lehnte sich aufatmend an die Stuhllehne. »Aber sie ist noch nicht mit Gott einig«, fügte Tom hinzu.
»Nicht mit Gott einig? Warum nicht, Tommy?«
»Sie ist in der Wildnis, Gott hat sie in die Wildnis geschickt, sie fürchtet nicht den Schrecken des Tages oder das Grauen, das um Mitternacht umgeht.. . keine Schlange wird sie beißen, keine Biene sie stechen... aber sie ist noch nicht mit Gott einig. Es war nicht Moses' Hand, die das Wasser aus dem Felsen schlug. Es war nicht die Hand von Abagail, die die Wiesel mit leerem Bauch vertrieben hat. Sie ist bemitleidenswert. Sie wird sehen, aber sie wird zu spät sehen. Es wird Tod geben. SeinenTod. Sie wird auf der falschen Seite des Flusses sterben. Sie...«
»Er soll aufhören«, stöhnte Ralph. »Könnt ihr nicht dafür sorgen, dass er aufhört?«
»Tom«, sagte Stu.
»Ja.«
»Bist du der Tom, den Nick in Oklahoma kennengelernt hat? Bist du der Tom, den wir kennen, wenn du wach bist?«
»Ja, aber ich bin mehr als Tom.«
»Ich verstehe nicht.«
Tom bewegte sich ein wenig, aber sein schlafendes Gesicht blieb ruhig. »Ich bin Gottes Tom.«
Der völlig entnervte Stu hätte fast Nicks Notizen fallen lassen.
»Du sagst, du machst, was wir wollen?«
»Ja.«
»Aber siehst du... glaubst du, daß du zurückkommen wirst?«
»Das zu sehen oder sagen ist nicht meine Sache. Wohin soll ich gehen?«
»Nach Westen, Tom.«
Tom stöhnte. Es war ein Laut, bei dem sich Stus Nackenhaare sträubten. Wohin schicken wir ihn?Und vielleicht wußte er es. Vielleicht war Stu selbst dort gewesen, nur in Vermont, in einem Labyrinth von Korridoren, wo das Echo ihm vorgaukelte, daß ihm Schritte folgten. Und näher kamen.
»Westen«, sagte Tom. »Westen, ja.«
»Du sollst dich dort umsehen, Tom. Beobachten. Und dann zurückkommen.«
»Zurückkommen und erzählen«, sagte Tom.
»Kannst du das?«
»Ja. Wenn sie mich nicht fangen und töten.«
Stu zuckte zusammen; sie zuckten alle zusammen.
»Du gehst allein, Tom. Immer nach Westen. Kannst du ihn finden?«
»Wo die Sonne untergeht.«
»Ja, und wenn jemand dich fragt, warum du dort bist, sagst du: Sie haben dich aus der Freien Zone verjagt...«
»Mich verjagt. Tom verjagt. Auf die Straße gesetzt.«
»... weil du schwachsinnig bist...«
»Sie haben Tom verjagt, weil Tom schwachsinnig ist.«
».. und weil du vielleicht eine Frau nimmst und die Frau dumme Kinder bekommt.«
»Dumme Kinder wie Tom.«
Stus Magen drehte sich hilflos hin und her. Sein Kopf kam ihm wie Eisen vor, das schwitzen gelernt hat. Es war, als hätte er einen schrecklichen, entkräftenden Kater.
»Und jetzt wiederhole, was du sagst, wenn jemand fragt, warum du im Westen bist.«
»Sie haben Tom verjagt, weil er schwachsinnig ist. Meine Fresse, ja. Sie haben Angst, daß ich eine Frau nehme, so wie ihr mit dem Schwanz im Bett. Daß ich sie mit Idioten schwanger mache.«
»Das ist richtig, Tom. Das ist...«
»Mich verjagt«, sagte er mit leiser, trauriger Stimme. »Tom aus seinem schönen Haus gejagt und auf die Straße geschickt.«
Stu strich mit einer zitternden Hand über die Augen. Er sah Nick an. Nick wurde vor seinen Augen zuerst doppelt, dann dreifach. »Nick, ich weiß nicht, wie ich zum Schluß kommen soll«, sagte er hilflos. Nick sah Ralph an. Ralph, der käseweiß war, konnte nur den Kopf schütteln.
»Schluß«, sagte Tom unerwartet. »Laßt mich nicht hier im Dunkeln.«
Stu zwang sich dazu, weiterzusprechen.
»Tom, weißt du, wie der Vollmond aussieht?«
»Ja... groß und rund.«
»Nicht der Halbmond oder der fast volle Mond.«
»Nein«, sagte Tom.
»Wenn du den großen runden Mond siehst, kommst du in den Osten zurück. Zurück zu uns. Zurück in dein Haus, Tom.«
»Ja, wenn ich ihn sehe, komme ich zurück«, bestätigte Tom.
»Zurück nach Hause.«
»Und wenn du zurückkommst, mußt du nachts gehen und am Tag schlafen.«
»Nachts gehen, am Tag schlafen.«
»Richtig. Und laß dich von niemandem sehen, wenn du es vermeiden kannst.«
»Nein.«
»Aber Tom, es könnte dich trotzdem jemand sehen.«
»Ja, jemand könnte mich sehen.«
»Wenn es nur einer ist, Tom, bringst du ihn um.«
»Umbringen«, sagte Tom zweifelnd.
»Wenn es mehr als einer ist, läufst du weg.«
»Weglaufen«, sagte Tom zuversichtlicher.
»Aber versuch, dich gar nicht sehen zu lassen. Kannst du das alles wiederholen?«
»Ja. Ich komme zurück, wenn Vollmond ist. Nicht Halbmond, Fingernagelmond. Nachts gehen, am Tag schlafen. Von niemandem sehen lassen. Wenn mich einer sieht, bringe ich ihn um. Wenn mehr als einer mich sieht, laufe ich weg. Aber versuchen, mich nicht sehen zu lassen.«
»Das ist sehr gut. Ich möchte, daß du in ein paar Sekunden aufwachst, okay?«
»Okay.«
»Wenn ich nach dem Elefanten frage, wachst du auf, okay?«
»Okay.«
Stu lehnte sich mit einem langen, zitternden Seufzer zurück. »Gott sei Dank, es ist vorbei.«
Nick sah ihn zustimmend an.
»Hast du gewußt, was passieren könnte, Nick?«
Nick schüttelte den Kopf.
»Wie konnte er das alles wissen?« murmelte Stu.
Nick deutete auf seinen Block. Stu gab ihn ihm und war froh, ihn loszuwerden. Seine Finger hatten die Seite mit Nicks »Drehbuch« so durchgeschwitzt, daß sie fast durchsichtig war. Nick schrieb und gab ihn Ralph. Ralph las, bewegte dabei die Lippen und gab ihn an Stu weiter.
»Im Verlauf der Geschichte haben immer wieder Leute die Wahnsinnigen und geistig Zurückgebliebenen als Auserwählte Gottes betrachtet. Ich glaube nicht, daß er uns etwas gesagt hat, das von praktischem Nutzen für uns sein kann, aber ich weiß, er hat uns einen Heidenschrecken eingejagt. Magie, hat er gesagt. Wie kämpft man denn gegen Magie?«
»Das ist mir alles zu hoch«, murmelte Ralph. »Was er über Mutter Abagail gesagt hat, daran will ich gar nicht denken. Weck ihn auf, Stu, daß wir so schnell wie möglich hier raus kommen.« Ralph war den Tränen nahe.
Stu beugte sich wieder vor. »Tom?«
»Ja.«
»Möchtest du einen Elefanten sehen?«
Tom schlug sofort die Augen auf und sah sich um. »Ich hab' euch gesagt, daß es nicht funktioniert«, sagte er. »Meine Fresse, nein. Mitten am Tag wird Tom nicht müde.«
Nick gab Stu einen Zettel; der las ihn und sagte zu Tom: »Nick sagt, das hast du sehr gut gemacht.«
»Ja? Habe ich wieder Kopfstand gemacht, wie vorher?«
Voller bitterer Scham dachte Nick: Nein, Tom, diesmal hast du eine Menge viel besserer Tricks gemacht.
»Nein«, sagte Stu. »Tom, wir wollten fragen, ob du uns helfen kannst.«
»Ich? Helfen? Klar! Ich helfe gern!«
»Es ist gefährlich, Tom. Wir wollen, daß du nach Westen gehst und dann zurückkommst und uns erzählst, was du gesehen hast.«
»Okay, klar«, sagte Tom ohne das geringste Zögern, aber Stu glaubte, kurz einen Schatten über Toms Gesicht huschen zu sehen... einen Schatten, der hinter den arglosen blauen Augen verweilte.
»Wann?«
Stu legte Tom sanft eine Hand auf den Nacken und fragte sich, was um Gottes willen er hier trieb. Wie sollte man das alles auf die Reihe kriegen, wenn man nicht Mutter Abagail war und keinen heißen Draht zum Himmel hatte? »Bald«, sagte er sanft. »Schon bald.«
Als Stu in die Wohnung kam, machte Frannie das Abendessen.
»Harold war da«, sagte sie. »Ich habe ihn gebeten, zum Essen zu bleiben, aber er hat sich entschuldigt.«
»Oh.«
Sie sah ihn genauer an. »Stuart Redman, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Eine Laus namens Tom Cullen, glaube ich.« Und er erzählte ihr alles.
Sie setzten sich zum Abendessen hin. »Was bedeutet das alles?« fragte Fran. Ihr Gesicht war blaß; sie aß eigentlich nichts, sondern schob das Essen lediglich von einem Tellerrand zum anderen.
»Wenn ich das nur selbst wüßte«, sagte Stu. »Es ist eine Art... eine Art Sehen, glaube ich. Ich weiß nicht, warum uns die Tatsache, dass Tom Cullen unter Hypnose Visionen hat, so fertigmacht, schließlich haben wir alle auf dem Weg hierher Träume gehabt. Wenn sie nicht auch eine Art Sehen waren, weiß ich nicht, was sie waren.«
»Aber das ist schon so lange her... jedenfalls für mich.«
»Ja, für mich auch«, stimmte Stu zu und stellte fest, daß er sein Essen auch nur herumschob.
»Hör mal, Stu – ich weiß, wir waren uns einig, Komiteefragen nicht außerhalb des Komitees zu besprechen, wenn es sich vermeiden läßt. Du hast gesagt, wir würden uns ständig zanken, und da hast du wahrscheinlich recht gehabt. Ich habe kein Wort darüber verloren, daß du nach dem fünfundzwanzigsten Marshal Dillon wirst, oder?«
Er lächelte kurz. »Nein, Fran, das hast du nicht.«
»Aber ich muß dich fragen, ob du es immer noch gut findest, Tom Cullen nach Westen zu schicken. Nach allem, was heute nachmittag passiert ist.«
»Ich weiß nicht«, sagte Stu. Er schob den Teller weg. Das Essen war kaum angerührt. Er stand auf, ging zum Schrank in der Diele und holte eine Packung Zigaretten. Er hatte seinen Konsum auf drei oder vier täglich reduziert. Er zündete eine an, sog rauhen, schalen Tabakrauch in die Lungen und stieß ihn aus. »Auf der positiven Seite ist die Geschichte so einfach, daß sie glaubwürdig klingt. Wir haben ihn weggejagt, weil er schwachsinnig ist. Davon wird ihn keiner abbringen können. Und wenn er unversehrt zurückkommt, können wir ihn hypnotisieren – er ist schneller weg, als du mit den Fingern schnippen kannst -, und er wird uns alles erzählen, was er gesehen hat, Wichtiges und Unwichtiges. Es wäre möglich, daß er ein besserer Beobachter ist als die anderen. Daran zweifle ich nicht.«
» Wenner unversehrt zurückkommt.«
»Ja, wenn. Wir haben ihm den Befehl gegeben, bei seiner Rückkehr nach Osten nur nachts zu reisen und sich tagsüber zu verstecken. Wenn er mehr als einen Menschen sieht, soll er weglaufen. Wenn er nur einen sieht, soll er ihn umbringen.«
»Stu, das ist nicht dein Ernst!«
»Selbstverständlich!« sagte er wütend und drehte sich zu ihr um.
»Wir spielen hier nicht Backe-backe-Kuchen, Frannie! Du mußt wissen, was mit ihm... oder dem Richter... oder Dayna... da drüben passiert, wenn sie erwischt werden! Warum warst du denn anfänglich dagegen?«
»Okay«, sagte sie leise. »Okay, Stu.«
»Nein, es ist nichtokay!« sagte er und drückte die frisch angezündete Zigarette im Tonaschenbecher aus, daß Fünkchen hochstoben. Mehrere landeten auf seinem Handrücken; er wischte sie mit einer heftigen Bewegung weg. »Es ist nicht okay, einen schwachsinnigen Jungen für unsere Sache in den Kampf zu schicken, und es ist nicht okay, Menschen wie Bauern auf einem Scheißschachbrett herumzuschieben, und es ist nicht okay, den Befehl zum Töten zu geben so wie ein Mafiaboß. Aber ich weiss nicht, was wir sonst machen können. Ich weiß es einfach nicht. Wenn wir nicht herausfinden, was er vorhat, ist die Chance groß, daß er die ganze Freie Zone nächstes Frühjahr in einer einzigen riesigen Pilzwolke hochgehen läßt.«
»Okay. He. Okay.«
Er ballte die Fäuste langsam. »Ich habe dich angeschrien. Tut mir leid. Dazu hatte ich kein Recht, Frannie.«
»Schon gut. Du warst nicht derjenige, der die Büchse der Pandora aufgemacht hat.«
»Ich glaube, die machen wir alle auf«, sagte er düster und holte sich eine neue Zigarette aus der Packung im Schrank. »Wie auch immer, als ich ihm diesen... wie nennt man das? Als ich ihm sagte, daß er einen einzelnen Menschen, der ihm begegnet, umbringen soll, habe ich gemerkt, wie eine Art Schatten über sein Gesicht ging. Er war gleich wieder verschwunden, und ich weiß nicht einmal, ob Ralph oder Nick ihn gesehen haben. Aber ich habe ihn gesehen. Als würde er denken: >Okay, ich weiß, was du meinst, aber wenn es soweit kommt, werde ich mich selbst entscheiden.<«
»Ich habe gelesen, daß man niemand veranlassen kann, unter Hypnose etwas zu tun, was er nicht auch im Wachzustand getan hätte. Ein Mensch verstößt nicht gegen seinen eigenen Ehrenkodex, bloß weil man es ihm befiehlt, wenn er hypnotisiert ist.«
Stu nickte. »Ja, daran habe ich auch gedacht. Aber wenn dieser Flagg nun an seiner Ostgrenze Posten aufgestellt hat? Ich an seiner Stelle hätte das getan. Wenn Tom auf dem Weg nach Westen auf diese Posten stößt, hat er seine Geschichte als Schutz. Aber wenn er wieder nach Osten will und auf sie stößt, heißt es töten oder getötet werden. Und wenn Tom nicht töten will, dann ist er so gut wie tot.«
»Über diesen Aspekt machst du dir vielleicht unnötig Sorgen«, sagte Frannie. »Ich meine, wennes dort eine Postenkette gibt, wäre die nicht ziemlich dünn?«
»Ja. Vielleicht ein Mann alle fünfzig Meilen. Es sei denn, er hat fünfmal soviel Leute wie wir.«
»Wenn sie nicht schon kompliziertes Gerät aufgestellt haben, Radar und Infrarot und all das Zeug, das man in Spionagefilmen sieht, könnte Tom den Posten dann nicht aus dem Weg gehen?«
»Das hoffen wir ja. Aber...«
»Aber du hast einen bösen Anfall von schlechtem Gewissen«, sagte sie leise.
»Läuft es darauf hinaus? Nun, vielleicht. Was hat Harold gewollt, Liebes?«
»Er hat ein paar Landkarten dagelassen. Gebiete, wo sein Suchtrupp nach Mutter Abagail gesucht hat. Wie auch immer, Harold arbeitet beim Beerdigungstrupp und beim Suchtrupp mit. Er hat sehr müde ausgesehen, aber seine Pflichten in der Freien Zone sind nicht der einzige Grund. Es scheint, als hätte er sich noch um etwas anderes gekümmert.«
»Und das wäre?«
»Harold hat eine Frau.«
Stu zog die Brauen hoch.
»Jedenfalls ist er deshalb nicht zum Essen geblieben. Kannst du erraten, wer sie ist?«
Stu blinzelte zur Decke hinauf. »Nun, mit wem könnte Harold herummachen. Mal sehen...«
»Du hast aber eine Art, das auszudrücken! Was meinst du, machen wir denn?« Sie schlug scherzhaft nach ihm, und er wich grinsend zurück.
»Komisch, was? Ich gebe auf. Wer ist es?«
»Nadine Cross.«
»Die Frau mit den weißen Strähnen im Haar?«
»Das ist sie.«
»Ach, die muß doppelt so alt sein wie er.«
»Ich bezweifle«, sagte Frannie, »ob Harold sich in diesem Stadium seiner Beziehung darüber Gedanken macht.«
»Weiß Larry es?«
»Ich weiß es nicht, und es interessiert mich noch weniger. Die Cross ist nicht mehr Larrys Mädchen. Wenn sie es überhaupt jemals war.«
»Ja«, sagte Stu. Er war froh, daß Harold jemand gefunden hatte, aber nicht schrecklich an dem Thema interessiert. »Und was meint Harold zum Suchtrupp? Hat er etwas gesagt?«
»Du kennst ja Harold. Er lächelt dauernd, aber... ohne Hoffnung. Ich glaube, darum beschäftigt er sich hauptsächlich mit den Beerdigungen. Sie nennen ihn jetzt Hawk, hast du das gewußt?«
»Tatsächlich?«
»Ich habe es heute gehört. Ich wußte nicht, über wen geredet wurde, und da habe ich gefragt.« Sie überlegte einen Augenblick, dann lachte sie.
»Was ist denn so komisch?« fragte Stu.
Sie streckte die Füße aus, die in flachen Turnschuhen steckten. An den Sohlen hatten sie ein Muster von Kreisen und Linien. »Er hat mir zu meinen Turnschuhen gratuliert. Ist das nicht witzig?«
» Dubist witzig«, sagte Stu grinsend.
Kurz vor Morgendämmerung wachte Harold mit einem dumpfen, aber nicht unangenehmen Schmerz im Unterleib auf. Er zitterte ein wenig, als er aufstand. Es war jetzt früh morgens schon merklich kühler, obwohl es erst der 22.. August war und der Herbst noch einen Kalendermonat entfernt.
Aber unterhalb der Gürtellinie war ihm heiß, o ja. Nur die schönen Rundungen ihrer Hinterbacken unter diesem winzigen durchscheinenden Slip zu sehen, während sie noch schlief, machte ihn schon heiß. Es würde ihr nichts ausmachen, wenn er sie weckte... nun, vielleicht würde es ihr doch etwas ausmachen, aber sie würde nicht widersprechen. Er hatte immer noch keine Ahnung, was sich hinter ihren dunklen Augen verbergen mochte, und er hatte ein wenig Angst vor ihr.
Statt sie zu wecken, zog er sich leise an. Er wollte jetzt nicht mit Nadine herummachen, so gern er es auch getan hätte. Erst einmal mußte er wohin gehen, wo er allein war, und nachdenken.
Als er angezogen war, blieb er einen Augenblick an der Tür stehen und hielt die Stiefel in der linken Hand. Die Kälte im Zimmer und die profane Beschäftigung des Ankleidens hatten sein Verlangen abgekühlt. Er konnte jetzt das Zimmer riechen, und der Geruch war nicht gerade sehr ansprechend.
Nur eine Kleinigkeit, hatte sie gesagt, etwas, worauf sie verzichten konnten. Vielleicht stimmte das. Sie konnte mit Mund und Händen Dinge tun, die unglaublich waren. Aber wenn es so eine Kleinigkeit war, warum hatte dieses Zimmer dann den schalen und leicht sauren Geruch, den er mit den einsamen Freuden seiner schlimmen Jahre assoziierte?
Vielleicht möchtest du, daß es schlecht ist.
Beunruhigender Gedanke. Er ging hinaus und machte die Tür leise hinter sich zu.
Nadine machte in dem Moment die Augen auf, als die Tür zu war. Sie richtete sich auf, sah nachdenklich zu der Tür und legte sich dann wieder hin. Ihr ganzer Körper schmerzte im langsamen, unbefriedigten Zyklus des Verlangens. Es war fast wie Menstruationsbeschwerden. Wenn es so eine Kleinigkeit war, dachte sie (ohne zu wissen, wie nahe ihre Gedanken denen Harolds waren), warum empfand sie dann so? Einmal in der vergangenen Nacht hatte sie sich auf die Lippen beißen müssen, um nicht zu schreien: Hör auf herumzuspielen und STECK das Ding in mich rein! Hast du verstanden? STECK es mir rein, hau es mir VOLL rein! Glaubst du, was du da machst, bringt mir etwas? Steck ihn mir rein und laß uns um Himmels – zumindest um meinetwillen – mit diesem verrückten Spiel aufhören!
Er hatte den Kopf zwischen ihren Beinen gehabt und seltsame Laute der Lust von sich gegeben, Laute, die komisch gewesen wären, wären sie nicht so aufrichtig drängend, beinahe wild gewesen. Sie hatte aufgesehen, während diese Worte hinter ihren Lippen zitterten, und hatte (oder hatte sie es sich nur eingebildet?) ein Gesicht am Fenster gesehen. In diesem Augenblick war das Feuer ihrer Lust zu kalter Asche niedergebrannt.
Es war seinGesicht gewesen, das sie wild angegrinst hatte. Ein Schrei war ihr im Hals emporgestiegen... und dann war das Gesicht fort, nichts weiter als die Bewegung eines Schattenmusters auf dem dunklen Glas, verbunden mit Staubschlieren. Nichts weiter als der schwarze Mann, im Schrank oder listig hinter der Spielzeugkiste in der Ecke versteckt, den sich ein Kind einbildet. Nichts weiter.
Aber es warmehr; sie konnte sich nicht einmal jetzt, im ersten kalten und vernünftigen Licht der Dämmerung, etwas anderes einreden. Es wäre gefährlich, sich etwas anderes einzureden. Er war es gewesen, und er hatte sie gewarnt. Der künftige Ehemann wachte über seine Versprochene. Und die geschändete Braut würde keine Gnade finden.
Sie sah zur Decke und dachte: Ich lutsche seinen Schwanz, aber das ist nicht geschändet. Ich lasse es zu, daß er ihn mir in den Arsch steckt, aber auch das ist nicht geschändet. Ich ziehe mich wie eine Straßenhure für ihn an, und das ist vollkommen in Ordnung.
Sie mußte sich doch fragen, was für ein Mann ihr Bräutigam eigentlich war.
Nadine sah lange, lange Zeit zur Decke hinauf.
Harold machte Instant-Kaffee, verzog das Gesicht beim Trinken und nahm ein paar kalte Pop-Tarts mit auf die Eingangsstufen. Er setzte sich, aß und sah zu, wie die Dämmerung über das Land kroch. Zurückblickend erschienen ihm die letzten Tage wie eine verrückte Jahrmarktsfahrt. Sie waren ein trübes Panorama von orangefarbenen Lastwagen; von Weizak, der ihm auf die Schulter klopfte und ihn Hawk nannte (sie nannten ihn jetzt alle so); von Leichen, einem endlosen verwesenden Strom; und nach soviel Tod ging es dann nach Hause zu einem endlosen Strom von abartigem Sex. Das reichte, einem den Kopf zu verwirren.
Aber jetzt, hier auf den Stufen zum Eingang, die so kalt wie ein Grabstein aus Marmor waren, und mit einer Tasse dieses widerlichen Kaffees im Magen, konnte er die nach Sägemehl schmeckenden kalten Pop-Tarts mampfen und nachdenken. Er war wieder klar im Kopf, normal nach einer Periode des Wahnsinns. Es kam ihm in den Sinn, daß er für einen Mann, der sich immer für einen Cro-Magnon-Menschen inmitten einer brüllenden Horde von Neandertalern gehalten hatte, in letzter Zeit sehr selten zum Nachdenken gekommen war. Er war herumgeführt worden, nicht an der Nase, sondern am Schwanz.
Als er jetzt zu den Flatirons hinübersah, mußte er an Frannie Goldsmith denken. Frannie war der ungebetene Besucher in seinem Haus gewesen, das wußte er jetzt mit Sicherheit. Er hatte sie unter einem Vorwand besucht, wo sie mit Redman hauste, und gehofft, sich ihre Schuhe näher betrachten zu können. Und es hatte sich herausgestellt, daß sie tatsächlich Schuhe trug, deren Sohlen dem Abdruck entsprachen, den er auf dem Kellerfußboden gefunden hatte. Kreise und Linien statt des normalen Waffel– oder Zickzackmusters. Keine Frage, Baby.
Er konnte es sich ohne große Mühe einigermaßen zusammenreimen. Irgendwie mußte sie herausgefunden haben, dass er ihr Tagebuch gelesen hatte. Er mußte auf einer Seite einen Schmutzfleck oder Fingerabdruck hinterlassen haben... vielleicht mehr als einen. Deshalb war sie in sein Haus gekommen, um nach einem Hinweis zu suchen, was er über das dachte, was er gelesen hatte. Etwas Schriftlichem.
Da war natürlich sein Hauptbuch. Aber er war sicher, daß sie es nicht gefunden hatte. In seinem Hauptbuch stand schwarz auf weiß, daß er Stuart Redman töten wollte. Wenn sie das gelesen hätte, hätte sie es Stu gesagt. Und selbst wenn sie es ihm nicht gesagt hätte, es wäre ihr unmöglich gewesen, so normal und unbefangen mit ihm zu reden wie gestern.
Er aß die letzte Tarte, verzog das Gesicht, als er auf den kalten Überzug und die noch kältere Marmeladenfüllung biß. Er beschloß, nicht das Motorrad zu nehmen, sondern zu Fuß zum Busbahnhof zu gehen; Teddy Weizak und Norris konnten ihn abends auf dem Heimweg absetzen. Er ging los und zog den Reißverschluß der leichten Jacke ganz hoch gegen die Kälte, die in spätestens einer Stunde vorbei sein würde. Er ging an den leeren Häusern mit den heruntergelassenen Jalousien vorbei, und als er auf der Arapahoe ungefähr sechs Blocks weit gegangen war, sah er an einer Tür nach der anderen ein kühnes X aus Kreide. Wieder sein Einfall. Der Beerdigungstrupp hatte alle Häuser überprüft, die mit einem X markiert waren, und die Leichen weggeschafft, die es wegzuschaffen gab. X, ein Durchstreichen. Die Menschen, die in den Häusern gewohnt hatten, wo das Zeichen auftauchte, waren für alle Zeiten fort. Noch ein Monat, dann würde das X überall in Boulder sein und das Ende eines Zeitalters kennzeichnen.
Es war Zeit, nachzudenken, und zwar gründlich nachzudenken. Ihm schien, als hätte er ganz einfach aufgehört zu denken, seit Nadine zu ihm gekommen war... aber vielleicht hatte er ja schon lange vorher damit aufgehört.
Ich habe ihr Tagebuch gelesen, weil ich gekränkt und eifersüchtig war, dachte er. Dann ist sie in mein Haus eingebrochen und hat wahrscheinlich meinTagebuch gesucht, aber sie hat es nicht gefunden. Aber allein der Schock, daß jemand eingebrochen war, war Rache genug. Jedenfalls hatte es ihm gehörig zu schaffen gemacht. Vielleicht waren sie jetzt quitt.
Er wollte Frannie nicht mehr, oder?... Oder?
Er spürte, wie die heiße Glut der Zurückweisung in seiner Brust brannte. Vielleicht nicht. Aber das änderte nichts an der Tatsache, daß man ihn ausgeschlossen hatte. Nadine hatte sich nicht weiter darüber geäußert, warum sie zu ihm gekommen war, aber Harold vermutete, daß auch sie irgendwie ausgeschlossen worden war, zurückgewiesen, mißachtet. Sie waren zwei Außenseiter, und Außenseiter schmieden Komplotte. Vielleicht ist das das einzige, was ihnen den Verstand erhält. ( Vergiß nicht, das in das Hauptbuch zu schreiben, dachte Harold... er war jetzt fast in der Innenstadt.) Auf der anderen Seite der Berge gab es eine ganze Gesellschaft von Außenseitern. Und wo genügend Außenseiter an einem Ort zusammenkommen, findet eine mystische Osmose statt, und man ist drinnen. Drinnen, wo es warm ist.
Eine kleine Sache, drinnen zu sein, wo es warm ist, und doch so ungemein wichtig. Die wichtigste Sache der Welt.
Vielleicht wollte er gar nicht quitt sein. Vielleicht wollte er kein Unentschieden, keine Karriere auf diesem Leichenkarren des zwanzigsten Jahrhunderts und keine sinnlosen Dankesbriefe für seine Ideen und nicht fünf Jahre lang darauf warten, daß Bateman von dem wunderbaren Komitee zurücktrat und er reinkonnte... und wenn sie beschlossen, ihn wieder zu übergehen? Vielleicht hatten sie das vor, schließlich war es nicht eine Frage des Alters. Den verfluchten Taubstummen hatten sie genommen, und der war nur ein paar Jahre älter als Harold selbst.
Die Glut der Zurückweisung loderte jetzt hell. Denken, klar, denken – das war leicht gesagt und manchmal leicht getan... aber was nützte alles Denken, wenn man von den Neandertalern, die die Welt regierten, nur wieherndes Gelächter erntete oder, noch schlimmer, einen Dankesbrief?
Er kam zum Busbahnhof. Es war früh, noch keiner war da. An der Tür hing ein Plakat, auf dem stand, daß am fünfundzwanzigsten wieder eine öffentliche Versammlung stattfinden sollte. Öffentliche Versammlung? Öffentlicher Lachschlager.
Der Warteraum war mit Touristikplakaten und Werbung für den Greyhound-Ameripass und Bildern von großen Ausflugsbussen voll Muttchen, die bei Kaffeefahrten durch Atlanta und New Orleans und San Francisco und Nashville und wo auch immer kreuzten, geschmückt. Er setzte sich und sah mit dunklem Morgenblick auf die Flippergeräte, den Cola-Automaten und die Kaffeemaschine, aus der man einen Becher Lipton O'Soup bekommen konnte, der ungefähr wie toter Fisch schmeckte. Er zündete sich eine Zigarette an und warf das Streichholz auf den Fußboden.
Sie hatten die Verfassung angenommen. Juhuuh. Wie ausgesprochen und ganz überaus. Herrgott, sie hatten sogar die »Star-Spangled Banana« gesungen. Was aber, wenn Harold Lauder aufgestanden wäre, nicht etwa, um ein paar konstruktive Vorschläge zu machen, sondern um ihnen in diesem ersten Jahr nach der Seuche zu sagen, worum es eigentlich ging?
Ladies and Gentlemen, mein Name ist Harold Emery Lauder, und ich stehe hier, um Ihnen zu sagen, daß, mit den Worten des alten Liedes, die grundsätzlichen Dinge immer noch gelten, auch wenn sieb die Zeiten ändern. Wie Darwin. Wenn Sie das nächste Mal aufstehen, um die Nationalhymne zu singen, Freunde und Nachbarn, dann denken Sie doch bitte daran: Amerika ist tot, mausetot, so tot wie Jacob Marley und Buddy Holly und die Big Poppers und Harry S. Truman, aber die Prinzipien, die Mr. Darwin als erster zu bedenken gegeben hat, sind immer noch sehr lebendig – so lebendig wie der Geist von Jacob Marley für Ebenezer Scrooge. Während Sie über die Schönheit einer konstitutionellen Regierung meditieren, nehmen Sie sich doch auch ein wenig Zeit, über Randall Flagg nachzudenken, den Mann des Westens. Ich bezweifle sehr, ob er für Lächerlichkeiten wie öffentliche Versammlungen und Notifizierungen und Diskussionen über die wahre Bedeutung eines Pfirsichs Zeit hat, alles nach bester liberaler Sitte. Statt dessen hat er sich auf die grundsätzlichen Dinge konzentriert, auf seinen Darwin und darauf, den großen Tisch des Universums mit euren Leichen abzuwischen. Ladies and Gentlemen, darf ich ganz bescheiden daran erinnern, daß er, während wir versuchen, das Licht wieder anzuschalten und darauf warten, daß sich ein Arzt in unseren fröhlichen kleinen Bienenstock verirrt, nach jemandem sucht, der einen Pilotenschein hat, damit er in bester Tradition eines Francis Gary Powers Boulder überfliegen kann. Während wir die brennende Frage diskutieren, wer wohl in das Straßenreinigungskomitee gewählt werden sollte, hat er wahrscheinlich schon ein Waffenreinigungs-Komitee gegründet, von Mörsern, Raketenbasen und möglicherweise sogar biologischen Waffen ganz zu schweigen, die ja auch zu den Dingen gehören, die dieses Land groß gemacht haben – welches Land, ha-ha-ha -, aber Sie sollten immerhin daran denken, daß er, während wir hier eine Wagenburg errichten ...«
»He, Hawk, machst du Überstunden?«
Harold sah lächelnd hoch. »Ja, ich habe mir gedacht, ich mach' ein bißchen Moos«, sagte er zu Weizak. »Ich habe auch für dich gestempelt, als ich hier war. Du hast schon sechs Dollar verdient.«
Weizak lachte. »Du bist vielleicht ein Kerl, Hawk, weißt du das?«
»Bin ich«, stimmte Harold immer noch lächelnd zu. Er schnürte sich die Stiefel neu. »Ein Teufelskerl.«