355 500 произведений, 25 200 авторов.

Электронная библиотека книг » Stephen Edwin King » The Stand. Das letze Gefecht » Текст книги (страница 34)
The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


Жанр:

   

Ужасы


сообщить о нарушении

Текущая страница: 34 (всего у книги 100 страниц)

40

Nick Andros lag unruhig schlafend auf der Pritsche in Sheriff Bakers Büro. Er war bis auf Shorts nackt, sein ganzer Körper war von einem Schweißfilm überzogen. Gestern abend, bevor ihn der Schlaf übermannt hatte, war sein letzter Gedanke gewesen, daß er am Morgen tot sein würde; der dunkle Mann, der unablässig seine Fieberträume heimgesucht hatte, würde irgendwie durch die letzte dünne Barriere des Schlafes brechen und ihn mitnehmen.

Es war seltsam. Das Auge, das Ray Booth gequetscht hatte, bis er nichts mehr sehen konnte, hatte nur zwei Tage weh getan. Am dritten Tag war das Gefühl, als wären ihm gigantische Schrauben in den Schädel gedreht worden, einem dumpf pochenden Schmerz gewichen. Wenn er jetzt durch dieses Auge sah, nahm er nur graue Schlieren wahr; graue Schlieren, in denen sich manchmal Gestalten bewegten oder zu bewegen schienen. Aber nicht die Augenverletzung brachte ihn um, sondern der Streifschuß am Bein.

Er hatte ihn nicht desinfiziert. Die Schmerzen im Auge waren so gross gewesen, daß er die Beinwunde kaum bemerkt hatte. Der Streifschuß verlief den rechten Oberschenkel entlang und hörte am Knie auf; er hatte am nächsten Tag das Loch in der Hose, wo die Kugel eingedrungen war, staunend bet rachtet. Am Tag darauf, dem 30. Juni, war die Wunde an den Rändern rot gewesen, und sämtliche Muskeln des Beins schienen weh zu tun.

Er war zur Praxis von Dr. Soames gehinkt und hatte sich eine Flasche Jod genommen. Er hatte die ganze Flasche über die etwa dreißig Zentimeter lange Wunde geschüttet. Aber er hatte eben erst gehandelt, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war. An diesem Abend hatte das ganze Bein wie ein fauler Zahn gepocht, und er konnte unter der Haut die verräterischen roten Linien einer Blutvergiftung sehen, die von der Verletzung ausgingen, auf der sich gerade erst Schorf gebildet hatte.

Am 1. Juli war er wieder in der Praxis von Dr. Soames gewesen, hatte den Arzneimittelschrank durchwühlt und nach Penizillin gesucht. Er hatte welches gefunden und nach einigem Zögern beide Tabletten in der Probepackung geschluckt. Ihm war klar, daß er sterben würde, wenn sein Körper gegen das Penizillin allergisch reagierte, aber er dachte, die Alternative wäre ein noch schlimmerer Tod. Die Infektion raste, raste. Das Penizillin brachte ihn nicht um, verbesserte seinen Zustand aber auch nicht nennenswert.

Gestern nachmittag hatte er hohes Fieber gehabt; er vermutete, dass er größtenteils im Delirium gewesen war. Er hatte genug zu essen da, wollte aber nichts zu sich nehmen; er wollte nur eine Tasse destilliertes Wasser nach der anderen aus dem Spender trinken, der in Bakers Büro stand. Als er gestern abend eingeschlafen (oder bewußtlos geworden) war, war das Wasser fast verbraucht gewesen, und er hatte keine Ahnung, wo er frisches herbekommen konnte. In seinem fiebrigen Zustand war ihm das auch einerlei. Er würde bald sterben und sich keine Gedanken mehr machen müssen. Er war nicht versessen darauf zu sterben, aber die Vorstellung, keine Schmerzen oder Sorgen mehr zu haben, war sehr verlockend. Sein Bein pochte und juckte und brannte.

Sein Schlaf war ihm in den Nächten, nachdem er Ray Booth getötet hatte, gar nicht wie Schlaf vorgekommen. Seine Träume waren eine Sturzflut. Ihm schien, als würden alle, die er je gekannt hatte, auf einen Besuch zurückkommen. Rudy Sparkman, der auf das leere Blatt Papier deutete. Du bist dieses leere Blatt. Seine Mutter, die ihm geholfen hatte, Linien und Kreise auf ein anderes Blatt Papier zu kritzeln, wodurch dessen Reinheit versehrt wurde: Das heißt Nick Andros, Liebes. Das bist du. Jane Baker, die das Gesicht auf dem Kissen auf die Seite gedreht hatte und sagte: Johnny, mein armer Johnny.In seinem Traum bat Dr. Soames John Baker immer wieder, das Hemd auszuziehen, und Ray Booth sagte immer wieder: Haltet ihn fest... ich mach' ihn fertig... das Schwein hat mich geschlagen... haltet ihn fest...Anders als in in seinen sonstigen Träumen mußte Nick ihnen nicht von den Lippen lesen.

Er konnte richtig hören, was die Leute sagten. Die Träume waren unglaublich lebhaft. Sie verblaßten, wenn die Schmerzen in seinem Bein ihn ins Wachsein zurückriefen. Wenn er wieder in Schlaf versank, folgte eine neue Szene. In zwei Träumen kamen Menschen vor, die er noch nie gesehen hatte, das waren die Träume, an die er sich nach dem Aufwachen am deutlichsten erinnerte.

Er war an einem hohen Ort. Das Land erstreckte sich unter ihm wie eine Reliefkarte. Es war eine Wüste, und die Sterne über ihm besaßen die irre Klarheit hoher Luftschichten. Neben ihm war ein Mann... nein, kein Mann, sondern die Gestalteines Mannes. Als wäre die Gestalt aus der Wirklichkeit herausgeschnitten worden und in Wirklichkeit nur noch das Negativ eines Mannes neben ihm, ein schwarzes Loch in Menschengestalt. Und die Stimme dieser Gestalt flüsterte: Alles, was du siehst, wird dir gehören, wenn du niederkniest und mich anbetest.Nick schüttelte den Kopf und wollte weg von dem gräßlichen Steilhang, weil er Angst hatte, die Gestalt könnte die schwarzen Arme ausstrecken und ihn über den Rand stoßen.

Warum sprichst du nicht? Warum schüttelst du nur den Kopf?

Im Traum machte Nick die Geste, die er im wachen Zustand schon so häufig gemacht hatte: Er legte einen Finger an die Lippen und die flache Hand an den Hals... und dann hörte er sich mit vollkommen klarer und wohlklingender Stimme sagen: »Ich kann nicht sprechen. Ich bin stumm.«

Du kannst. Wenn du willst, kannst du.

Nick streckte die Hand aus, um die Gestalt zu berühren, denn einen Augenblick war seine Angst wie weggefegt von Erstaunen und heller Freude. Aber als seine Hand sich der Schulter der Gestalt näherte, wurde sie eiskalt, so kalt, als sei sie verbrannt. Er riß sie weg, als sich an den Knöcheln Eiskristalle gebildet hatten. Da bemerkte er es. Er konnte hören. Die Stimme der dunklen Gestalt; die entfernten Schreie eines jagenden Nachtvogels; das endlose Heulen des Windes. Dieses Wunder machte ihn fast wieder taub. Hier offenbarte die Welt ihm eine Dimension, die er nie vermißt hatte, weil er sie nicht kannte, und nun stimmte alles. Er hörte Geräusche. Er wußte ohne Erklärung, was jedes einzelne Geräusch bedeutete. Sie waren schön. Schöne Geräusche. Er fuhr mit den Fingern über sein Hemd und staunte über das geschwinde Flüstern der Fingernägel auf dem Stoff.

Dann wandte sich der dunkle Mann ihm zu, und Nick hatte schreckliche Angst. Er wußte nicht, wer diese Kreatur war, aber sie ließ nicht umsonst Wunder geschehen.

... wenn du niederkniest und mich anbetest.

Und Nick schlug die Hände vors Gesicht, denn er wünschte sich alles, was die schwarze Menschengestalt ihm hoch über der Wüste gezeigt hatte: Städte, Frauen, Reichtum, Macht. Aber am meisten wollte er das wunderbare Geräusch hören, wenn seine Fingernägel über den Stoff des Hemdes glitten, das Ticken einer Uhr in einem leeren Haus nach Mitternacht, das geheimnisvolle Rauschen des Regens.

Aber er sagte nur das Wort Nein, und dann legte sich wieder die Kälte über ihn, und er wurde gestoßen, er stürzte kopfüber und schrie lautlos, während er durch die wolkenverhangenen Tiefen stürzte, hinein in den Geruch von...

...Mais?

Ja, Mais. Das war der andere Traum; sie fügten sich so nahtlos aneinander, daß man kaum eine Bruchstelle erkennen konnte. Er war im Mais, im grünen Mais, und es roch nach sommerlicher Erde, nach Kuhmist und wachsenden Pflanzen. Er stand auf, ging die Furche entlang, in der er gelandet war, und blieb einen Augenblick stehen, als er merkte, daß er den Wind hören konnte, der durch den Juli-Mais und dessen grüne, schwertähnliche Blätter strich... und noch etwas anderes.

Musik?

Ja, eine Art Musik. Und im Traum dachte er: »Das meinen sie also.«

Die Musik kam direkt von vorn, und er ging darauf zu, weil er sehen wollte, ob diese spezielle Folge schöner Geräusche von etwas kam, das »Klavier« oder »Hörn« oder »Cello« oder wie auch immer genannt wurde.

Der heiße Duft des Sommers, das blaue Himmelsrund oben, die wunderbaren Geräusche. Nie war Nick glücklicher gewesen als in diesem Traum. Als er sich der Stelle näherte, von der die Musik zu hören war, fiel eine Stimme in die Musik ein, eine alte Stimme, eine Stimme wie dunkles Leder, die die Worte undeutlich sprach, als sei das Lied ein oft aufgewärmtes Gericht, das dennoch nichts von seinem Wohlgeschmack verloren hatte. Nick ging gebannt darauf zu.

»I come to the garden alone

While the dew is still on the roses

And the voice l hear, falling on my ear

The son... of God... disclo-o-ses

And he walks with me and he talks with me

Tells me I am his own

And the joy we share as we tarry there

None other... has ever... known.«

Als der Vers zu Ende war, hatte Nick das Ende der Furche erreicht, und dort auf der Lichtung stand eine Hütte, nicht viel mehr als ein Schuppen, mit einem rostigen Abfallkübel links und einer alten Reifenschaukel rechts. Die Schaukel hing an einem knorrigen alten Apfelbaum, der aber noch wunderschön grünte. Vor dem Haus war eine Veranda, ein baufälliges altes Ding, das von alten, ölverklebten Wagenhebern gestützt wurde. Die Fenster standen offen, und der warme Sommerwind wehte die zerschlissenen weißen Gardinen hinein und hinaus. Aus dem Dach ragte in seltsamem Winkel ein spitzer, verbeulter Schornstein aus galvanisiertem Blech hervor. Um die Hütte dehnten sich nach allen Seiten, so weit das Auge reichte, Maisfelder aus, unterbrochen nur von einem Sandweg, der am flachen Horizont zu einem Punkt geschrumpft war. Und in diesem Augenblick wußte Nick, wo er war: Polk County, Nebraska, westlich von Omaha und ein Stück nördlich von Osceola. Weit hinten am Sandweg verlief die US 30, und dort lag auch Columbus am Nordufer des Platte.

Auf der Veranda sitzt die älteste Frau Amerikas, eine Schwarze mit dünnem weißen Haar – sie ist selbst dünn und trägt Hauskleid und Brille. Sie sieht so dünn aus, daß man glaubt, die Nachmittagsbrise könnte sie davonwehen, sie hoch in den Himmel wirbeln und möglicherweise bis Julesburg, Colorado, tragen. Und das Instrument, auf dem sie spielt (vielleicht hält das sie unten, auf der Erde), ist eine »Gitarre«, und Nick denkt im Traum: So klingt also eine »Gitarre«. Hübsch.Er hat das Gefühl, er könnte den ganzen Tag hier stehen bleiben und die alte Frau beobachten, die mitten zwischen den grünen Maisfeldern Nebraskas auf einer von Wagenhebern gestützten Veranda sitzt, hier, westlich von Omaha und ein Stück nördlich von Osceola in Polk County, und ihr zuhören. Ihr Gesicht hat eine Million Falten und sieht aus wie die Landkarte eines Staates, dessen Geographie noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Flüsse und tiefe Täler in den braunen ledrigen Wangen, Gebirgsketten unter dem knochigen Kinn, erhabene, aufragende Moränen am Stirnansatz, die Höhlen der Augen.

Sie hat wieder angefangen zu singen und begleitet sich auf der alten Gitarre.

»Jee-sus, won't you kun-bah-yere

Oh Jee-sus, won't you kun-bah-yere

Jesus won't you come by here?

Cause now... is the needy time

Oh now... is the needy time

Now is the...«

Sag, Junge, willst du da Wurzeln schlagen?

Sie legt die Gitarre auf den Schoß wie ein Baby und winkt ihn zu sich. Nick kommt. Er sagt, daß er sie nur singen hören wollte, das Singen sei so schön.

Nun, Singen ist eine Narretei Gottes. Ich singe heute fast den ganzen Tag... wie kommst du mit diesem schwarzen Mann zurecht? Ich habe Angst vor ihm. Er macht mir...

Junge, du mußt auch Angst haben. Selbst vor einem Baum in der Dämmerung mußt du Angst haben, wenn du ihn nur auf die richtige Weise betrachtest. Wir sind alle sterblich. Gelobt sei Gott. Wie soll ich nein zu ihm sagen? Wie soll ich...

Wie atmest du? Wie träumst du? Niemand weiß es. Aber komm mich besuchen. Jederzeit. Man nennt mich Mutter Abagail. Ich bin die älteste Frau in dieser Gegend, glaube ich, und ich backe meine Plätzchen immer noch selbst. Du kannst mich jederzeit besuchen, Junge, und bring deine Freunde mit.

Aber wie komme ich hier raus?

Gott segne dich, Junge, niemand kommt jemals hier raus. Du mußt nur das Beste hoffen und Mutter Abagail besuchen kommen, wann immer du Lust hast. Ich denke, ich werde hier sein; ich gehe nicht mehr oft weg. Also, besuch mich. Ich werde hier... sein, ich werde hier sein...

Er wurde nach und nach wach, bis Nebraska und der Geruch von Mais und Mutter Abagails zerfurchtes Gesicht verschwunden waren. Die Wirklichkeit kam wieder, aber sie trat nicht an die Stelle der Traumwelt, sondern überdeckte sie, bis sie nicht mehr zu sehen war. Er war in Shoyo, Arkansas, sein Name war Nick Andros, er hatte noch nie gesprochen oder eine »Gitarre« gehört... aber er lebte noch.

Er richtete sich auf der Pritsche auf, stellte die Beine auf den Fußboden und betrachtete den Streifschuß. Die Schwellung war zurückgegangen. Die Schmerzen waren nur noch ein Pochen. Es heilt, dachte er mit großer Erleichterung. Ich glaube, ich werde gesund.

Er stand von der Pritsche auf und hinkte in den Shorts zum Fenster. Sein Bein war steif, aber er wußte, mit etwas Training würde das besser werden. Er sah auf die schweigende Stadt hinaus, die nicht mehr Shoyo war, sondern der Leichnam von Shoyo, und er wußte, er mußte die Stadt noch heute verlassen. Weit würde er nicht kommen, aber er würde immerhin einen Anfang machen.

Wohin? Er glaubte es zu wissen. Träume waren Schäume, vorläufig aber würde er nach Nordwesten gehen. Nach Nebraska.



Am Nachmittag des 3. Juli um Viertel nach eins radelte er aus der Stadt hinaus. Am Morgen hatte er einen Rucksack gepackt: einen Vorrat Penicillintabletten, falls er sie brauchen sollte, und Konserven. Besonders Campbeils Tomatensuppe und Ravioli Marke Chef Boyardee, zwei seiner Lieblingsgerichte. Er steckte auch ein paar Schachteln Munition für den Revolver ein und nahm eine Feldflasche mit.

Er ging die Straße entlang und sah in Garagen, bis er gefunden hatte, was er suchte: ein Zehngangfahrrad, das für seine Größe genau richtig war. Er fuhr vorsichtig in einem niedrigen Gang die Main Street hinunter, und allmählich gewöhnte sich das verletzte Bein an die Anstrengung. Er fuhr nach Westen, und sein Schatten folgte ihm auf seinem eigenen schwarzen Fahrrad. Er fuhr an den hübschen, kühl wirkenden Häusern in den Außenbezirken der Stadt vorbei, die im Schatten standen und deren Jalousien für immer zugezogen waren.

In einem Farmhaus zehn Meilen westlich von Shoyo richtete er sich für die Nacht ein. Am Abend des 4. Juli war er schon fast in Oklahoma. An diesem Abend stand er wieder auf dem Hof eines Farmhauses, sah zum Himmel auf und betrachtete einen Meteorschwarm, der die Nacht mit kaltem weißen Feuer zerkratzte.

Er hatte noch nie so etwas Schönes gesehen, dachte er. Was immer vor ihm lag, er war froh, daß er lebte.

41

Larry wachte um halb neun auf; die Sonne schien, und die Vögel zwitscherten. Beides machte ihn fertig. Seit sie New York City verlassen hatten, jeden Morgen Sonnenschein und Vogelzwitschern. Und als besondere Attraktion, als Gratisbonus, wenn man so wollte, roch die Luft sauber und frisch. Das war selbst Rita aufgefallen. Er dachte immer wieder: Besser kann es nicht werden. Aber es wurde immer besser. Bis man sich fragte, was sie dem Planeten angetan hatten. Und man fragte sich, ob die Luft an Orten wie dem Staat Minnesota, Oregon und den westlichen Hängen der Rockies immer so gerochen hatte.

Während er in seiner Hälfte des Doppelschlafsacks unter der niederen Segeltuchdecke des Zwei-Mann-Zelts lag, das sie am Morgen des 2. Juli in Passaic ihrer Reiseausrüstung zugefügt hatten, erinnerte sich Larry, wie AI Spellman, einer der Tattered Remnants, ihn einmal hatte überreden wollen, mit ihm und zwei oder drei anderen Jungs einen Campingausflug zu machen. Sie wollten nach Osten, eine Nacht in Vegas Zwischenstation machen und dann einen Ort namens Loveland, Colorado, besuchen. Sie wollten fünf Tage oder so in den Bergen über Loveland campen.

»Diese >Rocky-Mountain-High< -Scheiße kannst du John Denver überlassen«, hatte Larry gebrummt. »Ihr werdet alle mit Moskitostichen und wahrscheinlich einem Giftefeu-Ausschlag im Arschloch zurückkommen, weil ihr in den Wald scheißen müßt. Wenn ihr es euch anders überlegt und beschließt, fünf Tage im Dunes in Vegas zu campen, ruf mich an.«

Aber vielleicht war es genau so gewesen. Allein, niemand, der einen störte (abgesehen von Rita, und deren Störungen konnte er aushaken, dachte er), gute Luft zum Atmen und nachts Schlaf ohne Herumwälzen, einfach peng, fest eingeschlafen, als hätte man eine mit dem Hammer auf den Kopf bekommen. Keine Probleme, abgesehen von der Frage, wohin man morgen fahren würde und wie schnell. Es war herrlich.

Und dieser Morgen in Bennington, Vermont, auf dem Weg nach Osten über den Highway 9, war ein ganz besonderer Morgen. Es war, bei Gott, der 4. Juli, Unabhängigkeitstag.

Er setzte sich im Schlafsack auf und sah zu Rita hinüber, aber sie schlief noch wie ein Murmeltier, er sah nur die Umrisse ihres Körpers unter dem gesteppten Material und einen Schöpf ihres Haars. Nun, heute morgen würde er sie mit Stil wecken.

Larry zog an seiner Seite den Reißverschluß auf und stieg splitternackt aus dem Schlafsack. Zuerst bekam er eine Gänsehaut, aber dann war die Luft angenehm warm, möglicherweise schon zwanzig Grad. Der Tag würde wieder erste Sahne werden. Er kroch aus dem Zelt und stand auf.

Neben dem Zelt stand die 200er Harley-Davidson-Maschine in Schwarz und Chrom. Wie Schlafsack und Zelt hatten sie auch die Maschine in Passaic besorgt. Bis dahin hatten sie schon drei Autos gehabt, zwei waren vor fürchterlichen Staus geendet, das dritte vor Nuttey im Schlamm steckengeblieben, als er zwei zusammengestoßenen Lastwagen ausweichen wollte. Das Motorrad war die Lösung. Damit konnte man Unfallstellen langsam umfahren. Wenn man auf einen ernsten Verkehrsstau traf, konnte man auf der Standspur oder dem Fußweg fahren, falls vorhanden. Rita gefiel es nicht – es machte sie nervös, auf dem Soziussitz mitzufahren, und sie klammerte sich verzweifelt an Larry -, aber sie hatte zugeben müssen, daß es die praktischste Lösung war. Der »letzte Verkehrsstau« der Menschheit war ein Ärgernis. Aber seit sie Passaic hinter sich gelassen und das offene Land erreicht hatten, waren sie gut vorangekommen. Am Abend des 2. Juli hatten sie wieder die Grenze des Bundesstaats New York überquert und ihr Zelt am Stadtrand von Quarryville aufgeschlagen, wo sie im Westen mystisch und dunstverhangen die Catskill Mountains sehen konnten. Am Nachmittag des 3. wandten sie sich ostwärts und erreichten in der Dämmerung Vermont. Da waren sie jetzt, in Bennington.

Sie hatten auf einem Hügel vor der Stadt gezeltet, und als Larry jetzt nackt neben dem Motorrad stand und pinkelte, konnte er nach unten sehen und die malerische Neuengland-Stadt bewundern. Zwei hübsche weiße Kirchen, deren Türme aufragten, als wollten sie den blauen Morgenhimmel aufspießen; eine Privatschule, graue efeuüberwucherte Gebäude aus Feldsteinen; eine Fabrik; ein paar Schulgebäude aus roten Ziegeln; viele Bäume in grünem Sommerkleid. Das einzig Störende an diesem Bild war, daß aus dem Schornstein der Fabrik kein Rauch aufstieg und auf der Main Street, die zugleich der Highway war, dem sie folgten, so viele funkelnde Spielzeugautos in seltsamen Winkeln parkten.

Aber in der sonnigen Stille (das heißt, Stille, abgesehen von gelegentlichem Vogelzwitschern), hätte Larry vielleicht auch das Bonmot der verstorbenen Irma Fayette wiederholt, hätte er die Dame gekannt: kein großer Verlust.

Aber es war der 4. Juli, und er schätzte, daß er immer noch Amerikaner war.

Er räusperte sich, spie aus und summte ein Weilchen, bis er die Tonlage gefunden hatte. Er holte tief Luft, genoß den Morgenwind auf der nackten Brust und den Pobacken, und fing schmetternd an zu singen.

»Oh, say, can you see, 

by the dawn's early light, 

What so proudly we bailed 

at the twilight's last gleaming...«

Er sang alle Strophen, während er auf Bennington hinabsah, machte ein paar alberne, burleske Sprünge am Ende, denn mittlerweile würde Rita schon am Zelteingang stehen und ihn anlächeln. Er beendete die Darbietung mit einem zackigen Salut zu dem Haus hinüber, das er für das Gerichtsgebäude hielt, drehte sich um und dachte, die beste Art, ein weiteres Jahr der Unabhängigkeit der guten alten Vereinigten Staaten anzufangen, wäre ein guter alter AllAmerican Fick.

»Larry Underwood, junger Patriot, wünscht dir einen wunderschönen guten M...«

Aber das Zelt war noch geschlossen, und er verspürte ihretwegen wieder momentanen Zorn. Er unterdrückte ihn resolut. Schließlich konnte sie nicht immer auf seiner Wellenlänge sein. Das war alles. Wenn man das erst einmal erkannt und akzeptiert hatte, war man reif genug, eine erwachsene Beziehung aufzubauen. Nach den zermürbenden Erlebnissen im Tunnel hatte er das mit Rita versucht und fand, es war ihm ganz gut gelungen.

Man mußte sich in ihre Lage hineinversetzen, darum ging es. Man mußte einsehen, daß sie viel älter und ihr Leben lang einen gewissen Stil gewohnt gewesen war. Natürlich fiel es ihr viel schwerer, sich an eine Welt anzupassen, die auf den Kopf gestellt war. Die Tabletten zum Beispiel. Er war nicht gerade erfreut gewesen, als er feststellen mußte, daß sie ihre ganze verdammte Apotheke in einem Marmeladenglas mit Schraubverschluss mitgenommen hatte. Gelb Jacken, Quaalud, Darvon und ein Zeug, das sie »meine kleinen Muntermacher« nannte. Die kleinen Muntermacher waren rot. Drei von denen mit einem Schuß Tequila, und man zappelte den ganzen lieben Tag herum. Ihm gefiel das nicht, denn die Schlaff– und Muntermacher würden letztendlich dazu führen, daß man, wie Drogensüchtige das zu nennen pflegten, einen Affen auf dem Rücken hatte. Einen Affen, der schätzungsweise so groß wie King Kong war. Und es gefiel ihm nicht, weil es, wenn man der Sache auf den Grund ging, ja gewissermaßen ein Schlag ins Gesicht für ihn war. Was hatte sie für einen Grund, so nervös zu sein? Warum konnte sie nachts nicht einschlafen? Ihm machte das eindeutig keine Probleme. Wieso gab er denn nicht auf sie acht? Aber klar gab er auf sie acht.

Er ging zum Zelt zurück, zögerte aber einen Augenblick. Vielleicht sollte er sie schlafen lassen. Vielleicht war sie erschöpft. Aber...

Er sah nach unten und betrachtete Schwanzi, und Schwanzi wollte sie eigentlich nicht schlafen lassen. Das olle Star-Speckled Banana zu singen hatte ihn regelrecht geil gemacht. Also...

»Rita?«

Nach der frischen Morgenluft draußen traf es ihn wie ein Schlag; er mußte vorhin noch halb geschlafen haben, sonst hätte er es gleich gemerkt. Der Geruch war nicht übermäßig stark, weil das Zelt gut belüftet war, aber er war unverkennbar: der süßsaure Geruch von Erbrochenem und Krankheit.

»Rita?« Seine Unruhe wuchs, als er sie so reglos im Schlafsack liegen sah, aus dem nur der Haarschopf herausschaute. Er kroch auf Händen und Knien zu ihr hinüber, und der Geruch von Erbrochenem war jetzt so stark, daß sich sein Magen zusammenkrampfte. »Rita, ist alles in Ordnung? Wach auf, Rita!«

Keine Bewegung.

Er rollte sie herum und sah, daß der Reißverschluß des Schlafsacks halb aufgezogen war, als hätte sie nachts versucht herauszukriechen, vielleicht weil sie wußte, was ihr geschah; als hätte sie es versucht, aber es sei ihr nicht gelungen, und er hatte die ganze Zeit friedlich neben ihr geschlafen, Mr. Rocky Mountain High persönlich. Als er sie herumrollte, fiel ihr eine ihrer Tablettenflaschen aus der Hand, ihre Augen waren stumpfe, wolkige Murmeln hinter halb geschlossenen Lidern, und ihr Mund war voll grüner Kotze, an der sie erstickt war.

Er sah ihr, wie ihm schien, lange in das tote Gesicht. Sie waren fast Nase an Nase, das Zelt schien immer heißer zu werden, so heiß wie ein Dachboden an einem Augustnachmittag, bevor die kühlenden Gewitterschauer einsetzen. Sein Kopf schien immer mehr anzuschwellen. Ihr ganzer Mund war voll grüner Scheiße, und er konnte den Blick kaum abwenden. Die Frage, die in seinem Kopf kreiste wie das mechanische Kaninchen um eine Hunderennbahn, war: Wie lange habe ich hier neben ihr geschlafen, als sie schon tot war? Ekelhaft, Mann. Eeee-kelhaft.

Seine Erstarrung löste sich, er kroch aus dem Zelt und schürfte sich beide Knie auf, als er von der Zeltbahn auf den steinigen Boden kam. Er dachte schon, er müßte selber kotzen, und kämpfte dagegen an, er haßte Kotzen mehr als alles andere, und dann dachte er: Mann, ich bin doch reingegangen, um sie zu FICKEN! Und da kam ihm alles auf einmal hoch, und er kroch von der dampfenden Schweinerei weg und weinte und ekelte sich vor dem sauren Geschmack in Mund und Nase.



Er dachte fast den ganzen Morgen an sie. Er empfand eine gewisse Erleichterung darüber, daß sie gestorben war – eine sehr große sogar. Das würde er keinem Menschen je erzählen. Es bestätigte alles, was seine Mutter über ihn gesagt hatte und Wayne Stukey und sogar die dumme Pute mit ihrer Wohnung in der Nähe der Fordham University. Larry Underwood, der Blitzer von Fordham.

»Ich bin kein netter Kerl«, sagte er laut, und als er es gesagt hatte, ging es ihm besser. Es wurde jetzt leichter, die Wahrheit zu sagen, und die Wahrheit zu sagen, das war das allerwichtigste. Er hatte sich im Hinterstübchen seines Unterbewußtseins, wo die Mächte am Drücker schalteten und walteten, fest vorgenommen, auf sie achtzugeben. Vielleicht war er kein netter Kerl, aber er war auch kein Mörder, und was er im Tunnel getan hatte, kam einem versuchten Mord schon ziemlich nahe. Er wollte auf sie achtgeben, er wollte sie nicht mehr anschreien, ganz gleich, wie sehr er sich über sie ärgerte – zum Beispiel, wenn sie hinter ihm auf die Harley stieg und ihn dabei mit ihrem patentierten Kansas-City-Griff umklammerte -, er wollte nicht mehr wütend werden, wie sehr sie ihn auch aufhielt und wie dumm sie sich auch manchmal anstellte. Am Vorabend hatte sie eine Dose Erbsen in die Glut des Lagerfeuers gestellt, ohne ein Loch in den Deckel zu machen, und als er die Dose aus dem Feuer angelte, war sie schwarz und ausgeheult und wäre drei Sekunden später hochgegangen wie eine Bombe; sie hätten blind werden können, wenn ihnen die Blechfetzen in die Augen geflogen wären. Hatte er ihr Vorwürfe gemacht ? Nein. Hatte er nicht. Er hatte einen Witz gemacht und die Sache auf sich beruhen lassen. Genau wie mit den Tabletten. Die Tabletten waren ihre Sache, dachte er sich.

Vielleicht hättest du mit ihr darüber reden sollen. Vielleicht hat sie das gewollt.

»Es war schließlich kein romantisches Rendezvous zum Kennenlernen«, sagte er laut. Es ging ums Überleben. Aber sie hatte es nicht lassen können. Vielleicht hatte sie es gewußt, und zwar seit dem Tag, im Central Park, als sie mit einer billigen Zweiunddreißiger, die ihr in der Hand hätte hochgehen können, achtlos auf einen Zedrachbaum geschossen hatte. Vielleicht...

»Vielleicht Scheiße!« sagte Larry wütend. Er hob die Feldflasche zum Mund,; aber sie war leer, und er hatte noch immer diesen schleimigen Geschmack im Mund. Vielleicht gab es überall im Land Leute wie sie. Die Grippe verschonte nicht nur die Überlebenstypen, warum sollte sie auch? Vielleicht gab es in diesem Augenblick irgendwo im Land einen jungen Mann in perfekter körperlicher Verfassung, der immun gegen die Grippe war, aber gerade an einer Mandelentzündung starb. Wie Henny Youngman vielleicht gesagt haben würde, keine Bange, Leute, ich hab' 'ne ganze Million davon.

Larry saß an einem gepflasterten, malerischen Aussichtspunkt direkt am Highway. Der Blick über Vermont, das sich im goldenen Morgendunst nach New York hin erstreckte, war atemberaubend. Ein Schild wies darauf hin, daß dies der Zwölf-Meilen-Punkt war, aber Larry glaubte, viel weiter als zwölf Meilen sehen zu können. An einem klaren Tag konnte man unendlich weit sehen. Am entgegengesetzten Ende des Aussichtspunkts gab es eine kniehohe, zementierte Steinmauer, davor ein paar zertrümmerte Flaschen Budweiser. Und ein gebrauchtes Kondom. Er vermutete, dass Schüler und Schülerinnen der High School bei Dämmerung hier heraufkamen und zusahen, wie unten in der Stadt die Lichter ausgingen. Erst genossen sie die Aussicht, dann vögelten sie. BFD, wie sie zu sagen pflegten: Big fucking deal.

Und warum ging es ihm dann so beschissen? Er sagte die Wahrheit, oder nicht? Ja. Und das schlimmste an der Wahrheit war, daß er Erleichterung empfand, richtig? Daß er den Klotz am Bein losgeworden war.

Nein, das schlimmste ist, allein zu sein. Einsam zu sein. 

Abgedroschen, aber wahr. Er brauchte jemanden, der mit ihm die Aussicht bewunderte. Jemanden, zu dem er sich umdrehen und, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben, sagen konnte : An einem klaren Tag kann man unendlich weit sehen.Und seine einzige Begleiterin lag mit dem Mund voll Kotze anderthalb Meilen weiter in einem Zelt. Wurde steif. Zog Fliegen an.

Larry legte den Kopf auf die Knie und machte die Augen zu. Er nahm sich vor, nicht zu weinen. Weinen haßte er fast genauso sehr wie Kotzen.

Und am Ende kniff er. Er konnte sie nicht beerdigen. Er dachte an möglichst scheußliche Dinge – an Maden und Käfer und an die Waldmurmeltiere, die ihre Leiche wittern und kommen würden, um an ihr zu knabbern; wie unfair es war, wenn ein Mensch einen anderen einfach liegen läßt wie ein Stück zerknülltes Papier oder eine weggeworfene Pepsi-Dose. Irgendwie kam es ihm auch vage illegal vor, sie zu beerdigen, aber um die Wahrheit zu sagen (und jetzt sagte er wohl doch die Wahrheit), das war nur eine billige Ausrede. Er würde es fertigbringen, nach Bennington zu gehen und in das »allzeit beliebte« Eisenwarengeschäft einzubrechen, um einen Spaten und eine Spitzhacke zu besorgen; er würde es auch fertigbringen, hierher zurückzukommen, wo es so still und schön war, um am »allzeit beliebten« Zwölf-MeilenPunkt das »allzeit beliebte«

Grab auszuheben. Aber in das Zelt zu gehen (das jetzt wahrscheinlich genauso roch wie die öffentliche Toilette an der Transverse Number One im Central Park, wo die »allzeit beliebte«

Süßigkeit bis in alle Ewigkeit sitzen würde), den Schlafsack ganz zu öffnen, die steife, schwere Leiche herauszuziehen, sie unter den Achselhöhlen zu packen und bis zur Grube zu zerren und dann Erde auf sie zu schaufeln, die auf ihre weißen Schenkel mit den dunklen Krampfadern fiel und in ihrem Haar hängenblieb...


    Ваша оценка произведения:

Популярные книги за неделю