355 500 произведений, 25 200 авторов.

Электронная библиотека книг » Stephen Edwin King » The Stand. Das letze Gefecht » Текст книги (страница 81)
The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


Жанр:

   

Ужасы


сообщить о нарушении

Текущая страница: 81 (всего у книги 100 страниц)

61

Der dunkle Mann hatte überall entlang der östlichen Grenze Oregons Posten errichtet. Der größte befand sich in Ontario, wo die I-80 von Idaho herüberführt; hier hatten sich sechs Männer im Anhänger eines großen Peterbilt-Lastwagens einquartiert. Sie saßen schon eine Woche und spielten Poker um Zwanziger und Fünfziger, die so wenig wert waren wie Monopoly-Geld. Ein Mann lag etwa sechzigtausend Dollar voraus, und ein anderer – ein Mann, dessen Jahresgehalt in der Welt vor der Seuche etwa zehntausend Dollar betragen hatte – war über vierzigtausend in den Miesen. 

Es hatte fast die ganze Woche geregnet die Stimmung im Anhänger war gereizt. Sie waren aus Portland gekommen und wollten dorthin zurück. In Portland gab es Frauen. An einem Nagel hing ein starkes Funkgerät, aus dem nur Statik zu hören war. Sie warteten auf zwei schlichte Worte: Kommt zurück. Das würde bedeuten, daß der Mann, nach dem sie Ausschau hielten, anderswo gefangengenommen worden war.

Der Mann, den sie suchten, war etwa siebzig Jahre alt, kräftig, mit schütterem Haar. Er trug eine Brille und fuhr einen blauen, weiss abgesetzten Wagen mit Vierradantrieb, entweder einen Jeep oder einen International Harvester. Sobald sie ihn sahen, sollte er getötet werden.

Sie waren nervös und langweilten sich – der Reiz des Neuen, um höchste Einsätze echten Geldes zu pokern, war selbst dem dümmsten unter ihnen schon vor zwei Tagen vergangen -, aber sie langweilten sich nicht so sehr, daß sie einfach auf eigene Faust nach Portland zurückgekehrt wären. Sie hatten ihre Befehle vom Wandelnden Gecken selbst bekommen, und wenn ihnen auch der vom Regen verursachte Kabinenkoller zusetzte, überwog doch die Angst vor ihm. Wenn sie ihren Job verpatzten und er es herausfand, dann helfe ihnen Gott.

Daher spielten sie Karten und hielten abwechselnd Wache an dem Beobachtungsschlitz, der an der Seitenwand des Anhängers durch den Stahl geschnitten worden war. Die I-80 lag im stumpfsinnigen, unablässigen Regen verlassen da. Aber wenn der Kundschafter in Sicht kam, würde er gesehen... und aufgehalten werden.

»Er ist ein Spion von drüben«, hatte der Wandelnde Geck gesagt und dabei das Gesicht zu einem entsetzlichen Grinsen verzerrt. Warum dieses Grinsen so fürchterlich war, hätte keiner von ihnen sagen können, aber wenn er einen angrinste, hatte man das Gefühl, als würde sich das eigene Blut in heiße Tomatensuppe verwandeln.

»Er ist ein Spion. Wir könnten ihn mit offenen Armen empfangen. Wir könnten ihn herumführen, ihm alles zeigen und ohne Schaden für uns wieder zurückschicken. Aber ich will ihn. Ich will sie beide. Und bevor der erste Schnee fällt, werden wir ihre Köpfe über die Berge zurückschicken. Daran können sie den ganzen Winter kauen.« Und er hatte vor den Leuten, die sich in einem der Konferenzräume des Gemeindezentrums von Portland um ihn versammelt hatten, heißes Lachen hinausgebrüllt. Sie ' hatten ebenfalls gelacht, aber es war ein kaltes, unbehagliches Lachen gewesen. Sie hätten sich gegenseitig dazu gratulieren können, daß sie für so eine Verantwortung auserkoren worden waren, aber innerlich wünschten sie, der Blick seiner fröhlichen und entsetzlichen Wieselaugen wäre nicht ausgerechnet auf sie gefallen.

Ein weiterer großer Wachtposten befand sich weit südlich von Ontario, in Sheaville. Hier hielten sich vier Männer in einem kleinen Haus dicht an der 1-95 auf, die sich dort zur Alvord Desert mit ihren unheimlichen Felsformationen und dunklen, trüben Wasserläufen hinunterschlängelte.

Die anderen Posten waren paarweise bemannt, ein rundes Dutzend, angefangen von der winzigen Stadt Flora an der Route 3, sechzig Meilen von der Grenze von Washington entfernt, bis nach McDermitt an der Grenze Oregon-Nevada.

Ein alter Mann in einem blauweißen Fahrzeug mit Vierradantrieb. Alle Wachen hatten denselben Befehl: Töten, aber nicht den Kopf verletzen! Über dem Adamsapfel durfte es keine Verletzungen oder Blutergüsse geben.

»Ich will keine beschädigte Ware zurückschicken«, hatte Randy Flagg ihnen gesagt und sein gräßliches Lachen gebrüllt.

Der Snake River bildet die nördliche Grenze zwischen Oregon und Idaho. Wenn man dem Fluß von Ontario aus, wo die sechs Männer in ihrem Peterbilt saßen und um wertloses Geld pokerten, nach Norden folgt, kommt man der Stadt Copperfield zum Greifen nahe. Hier macht der Snake einen Bogen (Geologen nennen es eine USchleife), und in der Nähe von Copperfield wird er vom OxbowDamm gestaut. Und an jenem siebten September, an dem Stu Redman und seine Gruppe auf dem Colorado Highway 6 über tausend Meilen entfernt im Südosten dahinstapften, saß Bobby Terry in Copperfield im Five and Dirne, einen Stapel Comics neben sich, und überlegte, in welchem Zustand der Oxbow-Damm sein mochte und ob die Schleusentore geöffnet oder geschlossen waren. Draußen führte der Oregon Highway 86 an dem Kramladen vorbei. Er und sein Partner Dave Roberts (er schlief gerade in der Wohnung eins höher) hatten über den Damm schon ausführlich diskutiert. Es regnete seit einer Woche. Der Snake River führte Hochwasser. Wenn der alte Oxbow-Damm nun brach? Schlechte Karten. Eine gewaltige Wasserwand würde sich über Copperfield stürzen und den alten Bobby Terry und den alten Dave Roberts möglicherweise bis in den Pazifik spülen. Sie hatten den Damm auf Risse untersuchen wollen, es aber am Ende nicht gewagt. Flaggs Befehle waren unmißverständlich gewesen: Versteckt halten.

Dave hatte darauf hingewiesen, daß Flagg überall sein konnte. Er war ungeheuer mobil, und man munkelte schon darüber, wie er plötzlich in einem abgelegenen Kaff auftauchen konnte, wo nur ein paar Leute eine Stromleitung reparierten oder ein Armee-Depot auf Waffenbestände untersuchten. Er materialisiertesich wie ein Gespenst. Nur war er ein grimmiges schwarzes Gespenst in staubigen Stiefeln mit abgelaufenen Absätzen. Manchmal war er allein, und manchmal hatte er Lloyd Henreid bei sich – am Steuer eines großen fetten Daimler, schwarz wie ein Leichenwagen und fast ebenso lang. Manchmal ging er zu Fuß. Eben war er nicht da, im nächsten Augenblick war er es. An einem Tag war er in Los Angeles (so hieß es wenigstens), und einen Tag später tauchte er in Boise auf... zu Fuß.

Aber auch darauf hatte Dave hingewiesen – nicht einmal Flagg konnte an sechs verschiedenen Orten zugleich sein. Einer von ihnen konnte zu diesem verflixten Damm preschen, ihn sich ansehen und wieder zurückpreschen. Die Chancen standen tausend zu eins zu ihren Gunsten.

Gut, du fährst, hatte Bobby Terry zu ihm gesagt. Du hast meine Erlaubnis. Aber Dave hatte die Einladung mit einem ängstlichen Grinsen abgelehnt. Denn Flagg wußtevieles, auch wenn er nicht persönlich zur Stelle war. Manche behaupteten, er hätte unnatürliche Macht über die Raubtiere des Tierreichs. Eine Frau namens Rose Kingman sagte, sie hätte selbst gesehen, wie er einmal mit den Fingern schnippte, als ein paar Krähen auf Telefondrähten saßen, worauf ihm die Krähen auf die Schulter geflogen waren. So sagte Rose Kingman, und sie führte weiter aus, sie hätten unablässig »Flagg... Flagg... Flagg« gekrächzt.

Daswar natürlich lächerlich, und das wußte er. Ein Trottel glaubte das vielleicht, aber Bobby Terrys Mutter Delores hatte nie einen Trottel großgezogen. Er wußte, wie Geschichten die Runde machten und zwischen dem Mund des Erzählers und dem Ohr des Zuhörers immer wilder wurden. Und mit welchem Vergnügen der dunkle Mann solche Geschichten ermutigen würde!

Aber dennoch lief ihm bei diesen Geschichten ein atavistischer kleiner Schauer über den Rücken, als wäre an jeder ein Körnchen Wahrheit. Einige sagten, er konnte Wölfe rufen oder seine Seele in den Körper einer Katze versetzen. Ein Mann in Portland behauptete, er würde ein Wiesel oder einen Fischotter oder etwas Unaussprechliches in seinem zerschlissenen Pfadfinderrucksack, den er auf Reisen bei sich hatte, mit sich herumtragen. Alles natürlich dummes Zeug. Aber... wenn er nun tatsächlichmit den Tieren sprechen konnte, wie ein satanischer Dr. Doolittle? Und wenn er oder Dave entgegen seinen Befehlen zum Damm fuhren und gesehen wurden?

Die Strafe für Ungehorsam war Kreuzigung.

Bobby Terry sagte sich, der alte Damm würde ohnehin nicht brechen.

Er schnippte eine Kent aus der Packung auf dem Tisch, zündete sie an und verzog das Gesicht bei dem heißen, trockenen Geschmack. In sechs Monaten würde man die verdammten Zigaretten überhaupt nicht mehr rauchen können. War vielleicht ganz gut. Die Scheißdinger waren sowieso der Tod.

Er seufzte und nahm ein anderes Comic-Heft vom Stapel. Ein alberner Mist mit dem Titel Teenage Ninja Mutant Turtles. Die Ninja Turtles – Schildkröten – waren angeblich »Helden im Rückenpanzer«. Er schleuderte Raphael, Donatello und ihre gehirnamputierten Freunde quer durch das Geschäft, und das Comic-Heft, in dem sie lebten, flatterte wie ein Zelt auf die Registrierkasse. Wenn man etwas wie Teenage Mutant Ninja Turtles sah, dachte er, wollte man gerne glauben, daß die Welt es verdient hatte, vor die Hunde zu gehen.

Er nahm das nächste Heft, Batman– das war wenigstens noch ein Held, an den man irgendwie glauben konnte -, und wandte sich gerade der ersten Seite zu, als er draußen den blauweißen Scout Richtung Westen vorbeifahren sah. Die breiten Reifen spritzten schlammiges Regenwasser hoch.

Mit offenem Mund starrte Bobby Terry auf die Stelle, wo er vorbeigefahren war. Er konnte kaum glauben, daß der Wagen, den sie alle suchten, eben seinen Posten passiert hatte. Insgeheim hatte er diesen Job die ganze Zeit für eine Scheißbeschäftigungstherapie gehalten.

Er lief zur Tür und riß sie auf. Er rannte auf die Straße und hielt noch den Batman-Comic in der Hand. Vielleicht war das Ganze nur eine Halluzination gewesen. Allein beim Gedanken an Flagg konnte man Halluzinationen haben.

Aber es war keine. Er sah noch das Dach des Scout, als dieser hinter dem nächsten Hügel aus der Stadt verschwand. Bobby lief durch den leeren Kramladen und rief, was die Lungen hergaben, nach Dave.



Der Richter hielt verbissen das Lenkrad fest und tat so, als würde es keine Arthritis geben, und wenn doch, als hätte er sie nicht oder, wenn er sie schon hatte, als würde er sie bei feuchtem Wetter nicht spüren. Weiter wollte er nicht gehen, denn der Regen war eine Tatsache, eine nackte Tatsache, wie sein Vater gesagt hätte, und es gab keine Hoffnung außer dem Mount Hope.

Der Rest seiner abschweifenden Überlegungen brachte ihn auch nicht weiter.

Drei Tage lang fuhr er schon durch den Regen. Manchmal war er nur ein Nieseln, aber meistens nicht mehr und nicht weniger als ein guter, solider Wolkenbruch. Auch das war eine nackte Tatsache. Die Straßen waren stellenweise unterspült, und einige würden im nächsten Frühjahr schlicht unpassierbar sein. Er hatte Gott schon mehrmals während dieser Expedition für den Scout gedankt.

Die ersten drei Tage auf der I-80 hatten ihn überzeugt, daß er die Westküste keinesfalls vor dem Jahr 2000 erreichen würde, wenn er nicht Nebenstraßen benutzte. Die Interstate war über lange Strecken geradezu unheimlich leer gewesen; stellenweise konnte er sich im zweiten Gang durch den liegengebliebenen Verkehr schlängeln. Aber häufig hatte er auch die hintere Stoßstange eines Wagens auf den Haken der Seilwinde des Scout nehmen und diesen von der Straße ziehen müssen, um sich eine Lücke zu schaffen, durch die er schlüpfen konnte.

In Rawlins hatte er die Nase voll. Er bog nach Nordwesten auf die 1-287, fuhr um das Great Divide Basin herum und kampierte zwei Tage später in der nordwestlichen Ecke von Wyoming, östlich von Yellowstone. Hier oben waren die Straßen fast völlig verlassen. Sein Weg durch Wyoming und das östliche Idaho war erschreckend und alptraumhaft gewesen. Er hätte nie gedacht, daß das Gefühl des Todes derart auf einem so leeren Land und auf seiner Seele liegen könnte. Aber es war da – eine bösartige Stille unter diesem großen westlichen Himmel, wo einstmals Büffel und Winnebagos umhergestreift waren. Es lag ebenso in den Telefonmasten, die umgestürzt waren und die niemand repariert hatte, wie in der kalten Stille der kleinen Städte, durch die er fuhr: Laniont, Muddy Gap, Jeffrey City, Lander, Crowheart.

Seine Einsamkeit wuchs mit der Erkenntnis der Leere, mit einer Verinnerlichung des Todesgefühls. Er wurde zunehmend überzeugter, daß er die Freie Zone Boulder nie wiedersehen würde oder die Menschen, die dort lebten – Frannie, Lucy, den jungen Lauder, Nick Andres. Er glaubte zu wissen, wie Kain zumute gewesen sein mußte, als Gott ihn ins Land Nod verbannt hatte.

Aber das Land hatte jenseits von Eden gelegen – im Osten.

Der Richter war jetzt diesseits – im Westen.

Am deutlichsten spürte er das, als er die Grenze zwischen Wyoming und Idaho überquerte.

Er war über den Targhee-Paß nach Idaho gekommen und hatte am Straßenrand angehalten, um einen kleinen Imbiß zu sich zu nehmen. Rundherum Stille, abgesehen vom Rauschen des Hochwassers in einem nahen Bach und einem seltsamen knirschenden Geräusch, das ihn an Schmutz in einer Türangel erinnerte. Der blaue Himmel über ihm zog sich mit grauen Fischschuppen zu. Regen kam, und mit ihm seine Arthritis. Trotz der Anstrengung und der langen Fahrt hatte ihn seine Arthritis bisher in Ruhe gelassen, und...

...und was war dieses knirschende Geräusch?

Als er mit dem Essen fertig war, holte er sein Garand-Gewehr aus dem Scout und ging zum Picknickplatz am Fluß – bei schönem Wetter wäre es eine reizende Umgebung zum Essen gewesen. Hier stand eine kleine Baumgruppe, dazwischen mehrere Tische. An einem dieser Bäume hing ein Mann, dessen Schuhe fast den Boden berührten; sein Kopf war grotesk verrenkt, Vögel hatten das Fleisch fast ganz weggepickt. Das knirschende Geräusch wurde von dem Seil verursacht, das an dem Ast schwang, über den es geschlungen worden war. Es war fast durchgescheuert.

So erfuhr er, daß er im Westen war.

Zwei Tage später erreichte er Butte City, und die Schmerzen in Fingern und Kniegelenken waren so schlimm geworden, daß er sich einen ganzen Tag in einem Motelzimmer verkroch. Wie er so auf dem Bett ausgestreckt lag, heiße Handtücher um Hände und Knie gewickelt, und Laphams Law and the Classes of Societylas, sah Richter Farris wie eine unheimliche Kreuzung zwischen dem alten Matrosen und einem Überlebenden von Valley Forge aus.

Nachdem er sich reichlich mit Aspirin und Brandy eingedeckt hatte, fuhr er weiter, hielt sich geduldig an Nebenstraßen, schaltete den Allradantrieb des Scout zu und fuhr im Schlamm um Wracks herum, statt die Seilwinde zu benutzen, damit er sich das damit verbundene Bücken und Heben sparen konnte. Es war nicht immer möglich. Als er sich vor zwei Tagen, am 5. September, den Salmon River Mountains genähert hatte, war er gezwungen gewesen, einen großen Telefonlaster von ConTel einzuklinken und anderthalb Meilen im Rückwärtsgang zu schleppen, bis die Böschung auf einer Seite abfiel und er das Miststück in einen Fluß kippen konnte, dessen Namen er nicht kannte.

Am Abend des 4. September, ein Tag vor dem ConTel-Truck und drei Tage bevor Bobby Terry ihn durch Copperfield fahren sah, kampierte er in New Meadows, wo etwas Beunruhigendes passierte. Er war beim Ranchhand-Motel vorgefahren, hatte sich im Büro den Schlüssel zu einem Zimmer besorgt und dabei einen Bonus gefunden – ein batteriebetriebenes Heizgerät, das er ans Fußende des Bettes stellte. Als der Morgen dämmerte, fühlte er sich zum ersten Mal seit einer Woche warm und behaglich. Das Heizgerät verströmte ein sanftes, helles Glühen. Nur mit Unterhose bekleidet, lag er in den Kissen und las über den Fall einer ungebildeten schwarzen Frau aus Brixton, Mississippi, die wegen einfachen Ladendiebstahls zu zehn Jahren verurteilt worden war. Der Staatsanwalt der Verhandlung und drei Geschworene waren Schwarze gewesen, und Lapham wies darauf hin, daß...

Tack, tack, tack: am Fenster.

Das alte Herz des Richters stockte in der Brust. Lapham flog davon. Er griff nach dem Garand-Gewehr, das am Stuhl lehnte, und drehte sich, auf das Schlimmste gefaßt, zum Fenster herum. Die Geschichte, die er den Leuten erzählen mußte, wirbelte ihm durch den Kopf wie vom Wind verwehte Strohhalme. Das war es, sie würden wissen wollen, wer er war, woher er kam...

Es war eine Krähe.

Der Richter beruhigte sich allmählich und brachte sogar ein zittriges Lächeln zustande.

Nur eine Krähe.

Sie saß draußen im Regen auf dem Fenstersims, die nassen, schwarzglänzenden Federn auf komische Weise zusammengeklebt, und betrachtete mit ihren kleinen Augen durch die tropfnasse Scheibe einen sehr alten Juristen und ältesten Amateurspion der Welt, der in Unterhose mit der Aufschrift LOS ANGELES LAKERS in Purpur und Gold und einem schweren juristischen Buch auf dem Bauch über einem Motelbett im westlichen Idaho lag. Die Krähe schien bei diesem Anblick zu grinsen. Der Richter entspannte sich und grinste zurück. Stimmt, der Witz geht auf meine Kosten. Aber nachdem er zwei Wochen lang allein durch das menschenleere Land gefahren war, stand es ihm seiner Meinung nach zu, etwas nervös zu sein.

Tack, tack, tack.

Die Krähe klopfte mit dem Schnabel an die Scheibe. Klopfte, wie sie vorher geklopft hatte.

Der Richter lächelte nicht mehr so sehr. Irgendwie gefiel ihm nicht, wie die Krähe ihn anstarrte. Sie schien immer noch fast zu grinsen, aber er hätte schwören können, daß sie verächtlich grinste, fast höhnisch.

Tack, tack, tack.

Wie der Rabe, der sich auf der Büste der Pallas niedergelassen hatte. Wann werde ich herausfinden, was sie in der Freien Zone, die ich so weit hinter mir gelassen habe, wissen müssen? Nimmermehr. Werde ich je erfahren, welche Schwachstellen die Rüstung des dunklen Mannes aufweist? Nimmermehr.

Werde ich heil zurückkommen?

Nimmermehr.

Tack, tack, tack.

Die Krähe sah ihn an, schien zu grinsen.

Eine traumgleiche Gewißheit, die seine Hoden zusammenzog, erfüllte ihn, dies warder dunkle Mann, seine Seele, sein Ka, das er irgendwie in diese vor Nässe triefende Krähe projiziert hatte, die ihn, Richter Farris, beobachtete.

Er betrachtete sie fasziniert.

Die Augen der Krähe schienen größer zu werden. Er bemerkte, dass sie rotgerändert waren, in der dunklen Farbe von Rubinen. Regenwasser tropfte. Die Krähe beugte sich vor und klopfte mit voller Absicht ans Glas.

Der Richter dachte: Ich glaube, sie will mich hypnotisieren. Vielleicht versucht sie es tatsächlich. Aber vielleicht bin ich für so etwas zu alt. Und angenommen ...es ist natürlich albern, aber angenommen, er ist es. Und angenommen, ich reiße das Gewehr mit einer raschen Bewegung hoch? Es ist vier Jahre her, daß ich zuletzt auf Tontauben geschossen habe, aber 1976 und 1979 war ich immerhin Klubmeister, und auch 1986 war ich noch ganz gut. Nicht toll, kein Band in diesem Jahr, darum habe ich aufgehört, mein Stolz war besser als meine Augen, aber immer noch Platz fünf von zweiundzwanzig. Und dieses Fenster ist näher als die Entfernung beim Tontaubenschießen. Wenn er es ist, ob ich ihn töten kann? Sein Ka – wenn es so etwas gibt – im Körper der sterbenden Krähe fangen? Wäre es so unpassend, wenn ein alter Knacker die ganze Angelegenheit undramatisch löst, indem er im westlichen Idaho eine Rabenkrähe erschießt?

Die Krähe grinste ihn an. Jetzt war er ganz sicher, daß sie grinste. Mit einem plötzlichen Ruck setzte sich der Richter auf und riß mit sicherem Griff den Gewehrkolben an die Schulter – es ging besser, als er sich hätte träumen lassen. Die Krähe schien plötzlich von einer Art Entsetzen gepackt. Sie flatterte mit den regennassen Flügeln und spritzte Wasser. Durch die Scheibe hörte der Richter sie ein gedämpftes Kräh! ausstoßen, und in diesem Augenblick hatte er die triumphierende Gewißheit: Es war der dunkle Mann, er hatte den Richter unterschätzt, und dafür würde er mit seinem elenden Leben bezahlen...

» NIMM DAS!« donnerte der Richter und drückte ab.

Aber der Abzug ließ sich nicht bewegen, denn er hatte nicht entsichert. Im nächsten Augenblick sah er nur noch Regen vor dem Fenster.

Der Richter ließ die Garand auf den Schoß sinken und kam sich dumm und albern vor. Er sagte sich, daß es doch nur eine Krähe gewesen war, eine vorübergehende Ablenkung an diesem trüben Abend. Wenn er die Scheibe weggepustet und dem Regen Zutritt verschafft hätte, müßte er jetzt die Mühe auf sich nehmen und in ein anderes Zimmer ziehen. Eigentlich war es Glück.

Aber in dieser Nacht schlief er schlecht, schrak mehrere Male hoch und sah in der Überzeugung zum Fenster, daß er dort ein gespenstisches Klopfen gehört hatte. Wenn die Krähe noch einmal dort landete, würde sie nicht entkommen. Er hatte das Gewehr entsichert.

Aber die Krähe kam nicht wieder.

Am nächsten Morgen war er weiter nach Westen gefahren; seine Arthritis war nicht schlimmer geworden, aber auch nicht besser, und kurz nach elf Uhr machte er Pause in einem kleinen Cafe. Während er sein Sandwich verzehrte und aus seiner Thermosflasche Kaffee trank, sah er eine große Krähe einen halben Block entfernt auf einem Telefondraht landen. Der Richter beobachtete sie fasziniert, die rote Thermosflasche auf halbem Weg zwischen Tisch und Mund. Es war natürlich nicht dieselbe Krähe. Es mußte inzwischen Millionen Krähen geben, alle fett und unverschämt. Dies war jetzt eine Krähenwelt. Aber er wurde trotzdem das Gefühl nicht los, daß es dieselbe Krähe war, und er verspürte eine Vorahnung von Unheil, eine schleichende, resignierte Erkenntnis, daß alles aus war. Er hatte keinen Hunger mehr.

Er fuhr weiter. Und ein paar Tage später, Viertel nach zwölf Uhr mittags, mittlerweile in Oregon und auf dem Highway 86 nach Westen unterwegs, fuhr er durch die Stadt Copperfield, ohne das Five -and-Dime, wo Bobby Terry ihn mit vor Fassungslosigkeit offenem Mund sah, auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Garand lag neben ihm auf dem Sitz, entsichert, eine Schachtel Munition daneben. Der Richter hatte beschlossen, jede Krähe zu erschießen, die er sah.

Nur aus Prinzip.



»Schneller! Kannst du das verdammte Ding nicht schneller fahren?«

»Geh mir nicht auf den Wecker, Bobby Terry. Nur weil du geschlafen hast, mußt du mir nicht auf den Wecker gehen.«

Dave Roberts saß am Steuer des Willys International, der mit der Schnauze zur Straße neben dem Five and Dirne geparkt hatte. Bis Bobby Terry Dave geweckt und dieser sich angezogen hatte, hatte der alte Kerl mit seinem Scout schon einen Vorsprung von zehn Minuten gehabt. Es regnete in Strömen, die Sicht war schlecht. Bobby Terry hielt eine Winchester auf dem Schoß. In seinem Gürtel steckte ein 45er Colt.

Dave, der Cowboystiefel, Jeans, einen gelben Regenmantel und sonst nichts trug, sah ihn an.

»Du mußt ihn nur einholen«, sagte Bobby Terry. Er murmelte vor sich hin: »In den Bauch. Ich muß ihn in den Bauch treffen. Dann passiert dem Kopf nichts. Richtig.«

»Hör auf mit deinen Selbstgesprächen. Wer Selbstgespräche führt, spielt auch an sich selbst rum. Das ist meine Meinung.«

»Wo ister?« fragte Bobby Terry.

»Wir kriegen ihn. Wenn du es nicht nur geträumt hast. Dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken, Bruder.«

»Ich habe es nicht geträumt. Das war der Scout. Aber wenn er nun abbiegt?«

»Wo abbiegt? Bis zur Interstate gibt es nur Feldwege. Auf denen kommt er keine zehn Meter weit, ohne bis zu den Stoßstangen im Schlamm steckenzubleiben, mit oder ohne Allradantrieb. Nur die Ruhe, Bobby Terry.«

Bobby Terry sagte kläglich: »Ich kann nicht. Ich muß mich immer fragen, wie es ist, wenn man in der Wüste an einem Telefonmast zum Trocknen aufgehängt wird.«

»Laß das! Sieh dort! Siehst'n? Wir schnuppern ihm schon am Arsch!«

Vor ihnen war es – wahrscheinlich vor Minuten – zu einem Frontalzusammenstoß zwischen einem Chevy und einem schweren Buick gekommen, die im Regen die Straße versperrten wie die Knochen unbegrabener Mastodons.

Rechts waren frische Reifenspuren auf der Böschung zu sehen.

»Das ist er«, sagte Dave. »Die Spuren sind keine fünf Minuten alt.«

Er zog den Willys an den verunglückten Fahrzeugen vorbei, und sie holperten rüttelnd über die Böschung. Dave steuerte an derselben Stelle wieder auf die Straße wie zuvor der Richter, und sie sahen beide das schlammige Fischgrätenmuster der Reifen des Scout auf dem Asphalt. Auf dem nächsten Hügel sahen sie den Scout gerade über die Kuppe verschwinden.

»Hip-hip-hurrah!« rief Dave Roberts. »Nichts wie hinterher!«

Er trat das Gas durch, und der Willys beschleunigte langsam auf sechzig.

Vor der Windschutzscheibe hing ein silberner Regenschleier, mit dem die Scheibenwischer nicht einmal annähernd fertig wurden. Auf der Hügelkuppe sahen sie den Scout wieder, näher. Dave betätigte die Lichthupe. Augenblicke später leuchteten die Bremslichter des Scout auf.

»Na gut«, sagte Dave. »Wir geben uns freundlich. Damit er aussteigt. Dreh nicht wieder durch, Bobby Terry. Wenn wir das richtig machen, kriegen wir eine Suite im MGM Grand in Vegas. Versauen wir's, reißt er uns den Arsch auf. Also bau keine Scheiße. Laß ihn aussteigen.«

» O Gott, hätte er nicht durch Robinette fahren können?« jammerte Bobby Terry. Seine Hände umklammerten die Winchester. Dave schlug ihm auf die Hand. »Und das Gewehr nimmst du auch nicht mit.«

»Aber...«

»Schnauze! Lächle, verdammt noch mal!«

Bobby Terry fing an zu grinsen. Es war, als würde man einen mechanischen Jahrmarktclown grinsen sehen.

»Du bist zu nichts zu gebrauchen«, knurrte Dave. »Ich mach's. Bleib in dem verdammten Wagen sitzen.«

Sie waren jetzt auf Höhe des Scout, der mit zwei Rädern auf der Straße und mit zweien auf der weichen Böschung stand. Lächelnd stieg Dave aus. Er hatte die Hände in den Taschen seiner gelben Wetterjacke. In der linken Tasche steckte eine 38er Police Special. Der Richter kletterte vorsichtig aus dem Scout. Er trug ebenfalls eine gelbe Wetterjacke. Er ging behutsam, wie ein Mann, der eine zerbrechliche Vase trägt. In seinen Gelenken wütete die Arthritis wie ein Rudel Tiger. Er trug die Garand in der linken Hand.

»He, Sie wollen mich damit doch nicht erschießen?« fragte der Mann aus dem Willys mit einem freundlichen Grinsen.

»Wohl nicht«, sagte der Richter. Er sprach über das unablässige Zischen des Regens hinweg. »Sie müssen in Copperfield gewesen sein.«

»Das waren wir. Ich heiße Dave Roberts.« Er streckte die rechte Hand aus.

»Mein Name ist Farris«, sagte der Richter und streckte ebenfalls die rechte Hand aus. Er sah zum Beifahrerfenster des Willys und erblickte Bobby Terry, der sich herauslehnte und mit beiden Händen einen Fünfundvierziger auf ihn richtete. Regen tropfte vom Lauf. Sein totenblasses Gesicht war immer noch zu diesem mechanischen Jahrmarktsgrinsen verzerrt.

»Verdammt«, murmelte der Richter und zog die Hand in dem Augenblick aus Roberts' regenfeuchtem Griff, als Roberts durch die Tasche seiner Wetterjacke schoß. Die Kugel pflügte sich unterhalb des Magens durch den Leib des Richters, drehte sich, drückte sich platt und trat neben der Wirbelsäule wieder aus und hinterließ ein Loch, das so groß wie eine Untertasse war. Die Garand fiel ihm aus der Hand auf den Boden; er selbst wurde in die offene Fahrertür des Scout geschleudert.

Keiner hatte die Krähe bemerkt, die auf einen Telefondraht auf der anderen Straßenseite geflattert war.

Dave Roberts trat einen Schritt vor, um die Sache zu beenden. Als er sich in Bewegung setzte, feuerte Bobby Terry vom Beifahrersitz des Willys. Die Kugel traf Roberts am Hals und riß diesen größtenteils weg. Ein Blutschwall ergoß sich vorn über Roberts' Jacke und vermischte sich mit dem Regen. Er drehte sich zu Bobby Terry um; seine Kiefer arbeiteten in stummem, sterbendem Erstaunen, die Augen quollen aus den Höhlen. Er machte zwei schlurfende Schritte vorwärts, und das Erstaunen verschwand aus seinem Gesicht. Alles verschwand daraus. Er fiel tot um. Regen trommelte und putschte auf den Rücken seiner Wetter Jacke.

» O Scheiße, sieh dir das an!« schrie Bobby Terry völlig verzweifelt.

Der Richter dachte: Meine Arthritis ist weg. Wenn ich am Leben bliebe, würde ich die ganze Zunft in Erstaunen versetzen. Das Heilmittel gegen Arthritis ist eine Kugel in den Bauch. O Gott, sie haben mich hier erwartet. Ob Flagg es ihnen gesagt hat? Das muss er, Gott schütze die anderen, die das Komitee ausgeschickt hat. 

Die Garand lag auf der Straße. Er bückte sich danach und spürte, wie ihm die Gedärme aus dem Leib quellen wollten. Ein seltsames Gefühl. Nicht sehr angenehm. Nicht darauf achten. Er packte das Gewehr. War es entsichert? Ja. Er hob es langsam auf. Es schien tausend Pfund zu wiegen.

Endlich nahm Bobby Terry den fassungslosen Blick von Daves Leiche und sah, daß der Richter gerade auf ihn schießen wollte. Der Richter saß auf der Straße. Seine Jacke war von der Brust bis zum Saum rot von Blut. Er hatte den Lauf der Garand aufs Knie gelegt. Bobby schoß, verfehlte aber. Die Garand entlud sich mit einem Donnerhall; zersplittertes Glas spritzte Bobby Terry ins Gesicht. Er hielt sich für tödlich getroffen und schrie auf. Dann sah er, daß die linke Hälfte der Windschutzscheibe verschwunden und er noch im Rennen war.

Der Richter korrigierte mühsam und verschob den Lauf der Garand auf seinem Knie um etwa zwei Grad. Bobby Terry, der mittlerweile völlig die Nerven verloren hatte, schoß dreimal in schneller Folge. Die erste Kugel riß ein Loch in die Seite des Scout. Die zweite traf den Richter über dem rechten Auge. Ein Fünfundvierziger ist eine große Waffe und kann auf kurze Entfernung Unangenehmes bewirken. Diese Kugel zertrümmerte dem Richter den Schädel und wirbelte die Knochensplitter in den Scout. Sein Kopf flog nach hinten, und Bobby Terrys dritte Kugel traf den Richter einen halben Zentimeter unter der Unterlippe und schlug ihm die Zähne in den Mund, von wo er sie mit seinem letzten Atemzug einsaugte. Kinn und Unterkiefer zersplitterten. Sein Finger krümmte sich im Todeskampf um den Abzug der Garand, aber die Kugel sauste in den weißen, verregneten Himmel.

Stille senkte sich herab.

Regen prasselte auf die Dächer von Scout und Willys. Auf die Jacken der beiden Toten. Das waren die einzigen Geräusche, bis die Krähe mit heiserem Krächzen vom Telefonkabel startete. Das schreckte Bobby Terry aus seiner Lähmung. Langsam stieg er aus, immer noch den rauchenden 45er in der Hand.


    Ваша оценка произведения:

Популярные книги за неделю