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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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»Nichts, hm?« fragte er Harold und sprang mit taubem Gefühl vom Grill herab.

» De nada«, sagte Harold. Das Grinsen kam wieder, aber es war automatisch, ohne Kraft, wie ein Starrkrampf. Sein Gesicht sah immer noch seltsam und leichenblaß aus. Er hatte die Hände in den Jackentaschen stecken.

»Macht nichts. Der Vorschlag war gut. Wer weiß, vielleicht ist sie schon wieder im Haus. Wenn nicht, suchen wir morgen weiter.«

»Dann suchen wir vielleicht nach einer Leiche.«

Stu seufzte. »Vielleicht... ja, vielleicht. Harold, möchtest du heute abend zum Essen vorbeikommen?«

»Was?« Harold schien in der zunehmenden Düsternis unter den Bäumen zusammenzuzucken. Sein Grinsen wirkte noch verkrampfter als vorher.

»Essen«, sagte Stu geduldig. »Frannie würde sich auch freuen, dich zu sehen. Ohne Quatsch. Wirklich.«

»Ja, vielleicht«, sagte Harold, der immer noch unbehaglich dreinsah.

»Aber ich bin... ich war mal in sie... du weißt schon. Vielleicht ist es besser, wenn wir... es vorerst lassen. Das ist nicht persönlich gemeint. Ihr zwei paßt gut zusammen. Das weiß ich.« Sein Lächeln strahlte wieder vor Aufrichtigkeit. Es war ansteckend; Stu lächelte auch.

»Du mußt es wissen, Harold. Aber die Tür steht dir jederzeit offen.«

»Danke.«

»Nein, ich muß dir danken«, sagte Stu ernst.

Harold blinzelte. »Mir?«

»Daß du uns suchen geholfen hast, wo alle anderen der Natur ihren Lauf lassen wollten. Auch wenn nichts dabei herausgekommen ist. Hand drauf?« Stu streckte die Hand aus. Harold starrte sie eine Weile unentschlossen an, und Stu glaubte nicht, daß er seine Geste akzeptieren würde. Dann nahm Harold die rechte Hand aus der Jackentasche – sie schien an etwas hängenzubleiben, vielleicht am Reißverschluß – und schüttelte Stu kurz die Hand. Harolds Hand war warm und verschwitzt.

Stu trat vor ihn und sah zur Einfahrt. »Ralph müßte schon da sein. Hoffentlich hat er keinen Unfall auf der Bergstrecke gehabt. Er... da ist er ja.«

Stu ging zum Straßenrand vor; ein zweiter Scheinwerfer blitzte jetzt in der Einfahrt auf und spielte Verstecken zwischen der Abschirmung der Bäume.

»Ja, das ist er«, sagte Harold mit seltsam gepreßter Stimme hinter ihm.

»Da kommt noch jemand«, sagte Stu.

»W-was?«

»Da.« Stu deutete auf einen zweiten Motorradscheinwerfer hinter dem ersten.

»Oh.« Wieder diese seltsam gepreßte Stimme. Stu drehte sich um.

»Alles klar, Harold?«

»Nur müde.«

Das zweite Fahrzeug gehörte Glen Bateman; es war ein Moped, die einzige Form von Motorrad, an die er sich gewöhnen konnte; Nadines Vespa wirkte dagegen wie eine Harley. Hinter Ralph sass Nick Andres als Sozius.

Nick lud sie alle auf Kaffee und/oder Brandy ins Haus ein, das er mit Ralph bewohnte. Stu war einverstanden, aber Harold, der abgespannt und müde wirkte, lehnte ab.

Er ist so verdammt enttäuscht, dachte Stu und überlegte, daß er nicht nur zum ersten Mal Sympathie für Harold empfand, sondern es auch höchste Zeit dafür war. Er wiederholte Nicks Einladung noch einmal, aber Harold schüttelte nur den Kopf und sagte Stu, er hätte genug für heute. Er wollte nur heim und ausschlafen. Als Harold zu Hause ankam, zitterte er so heftig, daß er kaum den Schlüssel ins Türschloß brachte. Als er die Tür endlich geöffnet hatte, stürzte er ins Haus, als hätte er Angst, ein Wahnsinniger würde sich hinter ihm auf dem Gehweg anschleichen. Er schlug die Tür zu, schloß ab, schob den Riegel vor. Dann lehnte er sich einen Moment mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen gegen die Tür und war am Rande eines hysterischen Weinkrampfs. Als er sich wieder in der Gewalt hatte, tastete er sich durch die Diele ins Wohnzimmer und zündete alle drei Gaslampen an. Das Zimmer wurde hell, und hell war besser.

Er setzte sich in seinen Lieblingssessel und machte die Augen zu. Als sein Herz langsamer schlug, ging er zum Kamin, nahm den losen Stein heraus und holte das HAUPTBUCH. Es beruhigte ihn. In einem Hauptbuch verzeichnete man Schulden, Außenstände und Kapitalerträge. In einem Hauptbuch wurde letztendlich alles abgerechnet.

Er setzte sich wieder, schlug die Seite auf, wo er aufgehört hatte, zögerte und schrieb dann: 14. August 1990. Er schrieb fast anderthalb Stunden lang; sein Kugelschreiber füllte Zeile für Zeile, Seite für Seite. Sein Gesicht war beim Schreiben abwechselnd grimmig amüsiert und düster rechtschaffen, entsetzt und erfreut, verletzt und heiter. Als er fertig war, las er durch, was er geschrieben hatte (» Dies sind meine Briefe an die Welt/die mir nie geschrieben hat...«) und massierte sich dabei abwesend die schmerzende rechte Hand.

Er verbarg das Hauptbuch wieder unter dem lockeren Stein. Er war ruhig; er hatte alles aus sich herausgeschrieben; er hatte sein Entsetzen und seine Wut auf die Seiten fließen lassen, und sein Wille war stark. Das war gut. Manchmal machte der Vorgang des Schreibens ihn unruhig, und dann wußte er, daß er falsch geschrieben hatte oder ohne die Anstrengung, welche erforderlich war, die stumpfe Kante der Wahrheit dahingehend zu schleifen, dass sie schneiden konnte – daß sie Blut fließen ließ. Aber heute abend konnte er das Buch ruhig und gelassen zurücklegen. Wut und Angst und Hilflosigkeit waren wohlbehalten in das Buch übertragen worden, und darüber kam ein Stein, der alles fernhielt, während er selbst schlief.

Harold zog eine Jalousie hoch und sah auf die stumme Straße hinaus. Während er die Flatirons betrachtete, dachte er ruhig darüber nach, daß er nahe daran gewesen war, es einfach doch zu tun, einfach den Achtunddreißiger herauszuziehen und alle vier umzunieten. Das hätte es ihrem stinkenden, selbstgefälligen Ad-hocKomitee gezeigt. Wenn er mit ihnen fertig gewesen wäre, hätten sie nicht einmal eine beschlußfähige Mehrheit mehr übrig gehabt. Aber im letzten Augenblick hatte ein letzter Faden der Vernunft gehalten, anstatt zu reißen. Er war imstande gewesen, die Waffe loszulassen und dem falschen Halunken die Hand zu drücken. Wie, das wußte er nicht, aber es war Gott sei Dank gelungen. Ein Genie erkennt man an seiner Fähigkeit, den rechten Zeitpunkt abzuwarten – und das würde er.

Jetzt war er müde; es war ein langer und ereignisreicher Tag gewesen.

Während er sich das Hemd aufknöpfte, schaltete Harold zwei der drei Gaslampen aus und nahm die letzte, um ins Schlafzimmer zu gehen. Als er durch die Küche ging, blieb er wie angewurzelt stehen. Die Tür zum Keller stand offen.

Er ging hin, hob die Eampe hoch und schritt die ersten drei Stufen hinunter. Angst schlich sich in sein Herz und vertrieb die Ruhe.

»Wer ist da?« rief er. Keine Antwort. Er sah das Hockeyspiel. Die Poster. In der hinteren Ecke ein paar buntgestreifte Krocketschläger in ihrem Gestell.

Er ging noch drei Stufen hinunter. »Ist da jemand?«

Nein, er hatte nicht das Gefühl. Aber das vertrieb die Angst nicht. Er ging ganz nach unten und hielt die Lampe hoch über den Kopf; auf der anderen Seite des Zimmers folgte ein monströser SchattenHarold, so riesig und schwarz wie der Affe in der Rue Morgue, seinem Beispiel.

War da etwas auf dem Fußboden da drüben? Ja. Eindeutig. Er ging an der Autorennbahn vorbei zum Fenster, durch das Fran eingestiegen war. Auf dem Fußboden lag hellbrauner Staub. Harold stellte die Lampe daneben. Mitten im Staub, so deutlich wie ein Fingerabdruck, war der Abdruck eines Turn– oder Tennisschuhs... kein Waffel– oder Zickzackmuster, sondern eine Anordnung von Kreisen und Linien. Er sah ihn an, brannte ihn sich ins Gedächtnis ein, dann kickte er den Staub zu einer Wolke auf und verwischte den Abdruck. Im Licht der Coleman-Lampe wirkte sein Gesicht wie das einer Wachsfigur.

»Das werdet ihr büßen«, sagte Harold leise. »Wer von euch es auch war, das werdet ihr büßen! Ja, das werdet ihr!«

Er ging wieder die Treppe hinauf und durchsuchte das ganze Haus nach weiteren Spuren des Eindringlings. Er fand keine. Er gelangte zuletzt ins Wohnzimmer und war nicht mehr müde. Er glaubte schon, daß jemand – vielleicht ein Kind – aus Neugier eingebrochen war, als ihn plötzlich der Gedanke HAUPTBUCH wie eine Explosion durchzuckte. Das Motiv für den Einbruch war so klar, so entsetzlich, daß er es fast völlig übersehen hätte.

Er lief zum Kamin, entfernte den Stein und riß das HAUPTBUCH heraus. Zum ersten Mal begriff er, wie gefährlich das Buch war. Wenn jemand es fand, war alles aus. Das sollte gerade er am besten wissen; hatte nicht alles mit Frans Tagebuch angefangen? Das HAUPTBUCH. Der Fußabdruck. Bedeutete letzterer, dass ersteres entdeckt worden war? Natürlich nicht. Aber wie konnte er Gewißheit bekommen? Es gab keine Möglichkeit, das war die pure, höllische Wahrheit der Sache.

Er legte den Stein wieder an seinen Platz und nahm das Buch mit ins Schlafzimmer. Zusammen mit dem Smith & Wesson-Revolver legte er es unter das Kopfkissen und dachte, er sollte es verbrennen. Das Beste, das er je geschrieben hatte, war zwischen diesen beiden Buchdeckeln, das einzige Geschriebene, das je aus Glaube und persönlicher Überzeugung entstanden war.

Er legte sich hin und machte sich auf eine schlaflose Nacht gefaßt, während er im Geiste rastlos mögliche Verstecke durchging. Unter einem lockeren Brett? Hinten im Schrank? Konnte er möglicherweise den alten Trick mit dem entwendeten Brief durchziehen und es tollkühn aufs Bücherregal stellen, ein Band unter vielen, zwischen einem Reader's Digest Auswahlbuch auf der einen und Die sinnliche Frauauf der anderen Seite? Nein – das war zu tollkühn; dann könnte er das Haus nicht mehr ruhigen Gewissens verlassen. Wie wäre es mit einem Bankschließfach? Nein, das war nicht gut – er wollte es bei sich haben, damit er es ansehen konnte.

Schließlich döste er ein, und sein Verstand, der vom aufziehenden Schlaf freigesetzt wurde, schwebte ohne Führung des Bewußtseins davon, eine Flipperkugel in Zeitlupe. Er dachte: Es muß versteckt werden, darauf kommt es an... wenn Frannie ihres besser versteckt hätte... wenn ich nicht gelesen hätte, was sie wirklich von mir hält... ihre Scheinheiligkeit... wenn sie...

Harold richtete sich kerzengerade im Bett auf, stieß einen leisen Schrei aus und riß die Augen auf.

So saß er lange Zeit, und nach einer Weile fing er an zu zittern. Wußte sie es? War es Frans Fußabdruck? Tagebücher... Alben... Hauptbücher...

Schließlich legte er sich wieder hin, aber es dauerte lange, bis er einschlafen konnte. Er überlegte ständig, ob Fran Goldsmith für gewöhnlich Tennis– oder Turnschuhe trug. Und wenn, was für ein Muster hatten ihre Sohlen?

Sohlenmuster, Seelenmuster. Als er endlich einschlief, quälten ihn unbehagliche Träume und er schrie mehr als einmal kläglich in der Dunkelheit auf, als wollte er Wesen vertreiben, denen er längst für immer Einlaß gewährt hatte.



Stu kam Viertel nach neun. Fran lag zusammengerollt auf dem Doppelbett, trug eines seiner Hemden – das ihr fast bis zu den Knien reichte – und las ein Buch mit dem Titel Fünfzig Nutzpflanzen. Sie stand auf, als er eintrat.

»Wo warstdu? Ich habe mir Sorgen gemacht!«

Stu berichtete Harolds Vorschlag, nach Mutter Abagail zu suchen, damit sie sie wenigstens im Auge behalten konnten. Von Heiligen Kühen sagte er nichts. Als er sein Hemd aufknöpfte, kam er zum Ende: »Wir hätten dich mitgenommen, Kleines, aber du warst unauffindbar.«

»Ich war in der Bibliothek«, sagte sie und sah ihm zu, wie er das Hemd auszog und in den Wäschesack stopfte, der hinter der Tür hing. Er war ziemlich behaart, an Brust und Rücken, und sie dachte, bis sie Stu kennengelernt hatte, hatte sie haarige Männer immer ein wenig abstoßend gefunden. Sie vermutete, die Erleichterung, dass sie ihn wiederhatte, machte sie etwas albern im Kopf. Harold hatte ihr Tagebuch gelesen, das wußte sie jetzt. Sie hatte entsetzliche Angst gehabt, daß Harold versuchen würde, Stu allein zu erwischen, um... nun, um ihm etwas anzutun. Aber warum jetzt, heute, wo sie es herausgefunden hatte? Wenn Harold den schlafenden Hund so lange nicht geweckt hatte, war es dann nicht logisch anzunehmen, daß er den Hund überhaupt nicht wecken wollte? Und war es nicht möglich, daß Harold bei der Lektüre ihres Tagebuchs eingesehen hatte, daß es völlig sinnlos war, ihr dauernd nachzustellen? So kurz nach der Neuigkeit von Mutter Abagails Verschwinden war sie genau in der richtigen Stimmung gewesen, böse Vorzeichen in Hühnereingeweiden zu sehen, aber schließlich hatte Harold nur ihr Tagebuch gelesen, kein Geständnis aller Verbrechen der Welt. Und wenn sie Stu erzählte, was sie festgestellt hatte, würde sie dumm dastehen und ihn unnütz gegen Harold aufbringen... und wahrscheinlich gegen sie selbst, weil sie so albern gewesen war.

»Keine Spur von ihr, Stu?«

»Nee.«

»Was hat Harold für einen Eindruck gemacht?«

Stu zog die Hosen aus. »Ganz erschlagen. Enttäuscht, daß seine Idee nichts gebracht hat. Ich habe ihn zum Essen eingeladen, wann immer er will. Hoffentlich bist du einverstanden. Weißt du, ich glaube, der Kerl könnte mir doch gefallen. Wenn du mir das an dem Tag gesagt hättest, als wir uns in New Hampshire getroffen haben, hätte ich es nicht geglaubt. War es falsch, ihn einzuladen?«

»Nein«, sagte sie nach einer nachdenklichen Pause. »Nein, ich möchte gern ein gutes Verhältnis zu Harold haben.« I ch sitze hier zu Hause und denke, daß Harold ihm vielleicht den Kopf wegpusten will, dachte sie, und Stu lädt ihn zum Essen ein. Das nenne ich Hirngespinste einer schwangeren Frau!

Stu sagte: »Wenn Mutter Abagail bei Tagesanbruch noch nicht zurück ist, werde ich Harold bitten, wieder mit mir rauszufahren.«

»Ich würde gern mitfahren«, sagte Fran hastig. »Und es gibt noch andere Leute, die überzeugt sind, daß sie nicht von den Raben gefüttert wird. Dick Vollman ist einer. Larry Underwood ein anderer.«

»Okay, prima«, sagte er und legte sich zu ihr ins Bett. »Sag mal, was hast du eigentlich unter diesem Hemd an?«

»Das sollte ein großer starker Mann wie du eigentlich auch ohne meine Hilfe herausfinden können«, sagte Fran schnippisch.

Wie sich herausstellte, gar nichts.



Am nächsten Tag brach der Suchtrupp bescheiden um acht Uhr mit einem halben Dutzend Suchenden auf – Stu, Fran, Harold, Dick Vollman, Larry Underwood und Lucy Swann. Am Mittag war die Zahl auf zwanzig gestiegen, bei Einbruch der Dämmerung (die wie immer von einem kurzen Regenschauer und Wetterleuchten in den Vorgebirgen begleitet wurde), durchkämmten mehr als fünfzig Leute das Unterholz westlich von Boulder, stapften durch Bäche, jagten Täler rauf und runter und überlasteten den CB-Kanal. Eine seltsame Stimmung resignierter Niedergeschlagenheit hatte die gestrige Hinnähme ersetzt. Trotz der Macht der Träume, die Mutter Abagail in den Augen der Leute in der Zone als halbe Göttin erscheinen ließen, waren sie realistisch, was ihre Überlebenschancen anbetraf. Die alte Frau war weit über hundert und schon die ganze Nacht draußen. Und jetzt brach bereits die zweite Nacht an.

Der Bursche, der sich mit zwölf Leuten von Louisiana bis Boulder durch das Land gequält hatte, faßte es perfekt zusammen. Er war gestern mittag mit seinen Leuten angekommen. Als er erfuhr, dass Mutter Abagail verschwunden war, warf dieser Mann, der Norman Kellogg hieß, seine Houston-AstrosBaseballmütze auf den Boden und sagte: »Was für ein verdammtes Pech... und wen habt ihr losgeschickt, um sie zu suchen?«

Charlie Impening, der mehr oder weniger zum ständigen Schwarzseher der Zone geworden war (er hatte die frohe Botschaft verbreitet, daß es im September schneien würde), meinte, wenn Mutter Abagail verschwunden sei, wäre das für alle anderen ein Zeichen, ebenfalls zu verschwinden. Boulder lag einfach zu nahe. Zu nahe woran? Ihr wißt doch alle, woran zu nahe, und Impenings Sohn Charlie würde sich in New York oder Boston echt sicherer fühlen. Er fand keine Anhänger. Die Leute waren müde und wollten bleiben. Wenn es kalt wurde und keine Heizung gab, zogen sie vielleicht weiter, aber vorher nicht. Sie genasen. Impening wurde höflich gefragt, ob er allein gehen wollte. Impening sagte, er würde warten, bis noch ein paar Leute einsichtig geworden seien. Man hörte, wie Glen Bateman die Meinung bekundete, daß Charlie Impening einen reichlich armseligen Moses abgeben würde.

»Resignierte Niedergeschlagenheit«, darin erschöpften sich die Empfindungen der Gemeinschaft, glaubte Glen Bateman, denn trotz aller Träume und trotz ihrer Angst vor dem, was möglicherweise westlich der Rockies vor sich ging, waren sie immer noch vernünftig denkende Menschen. Aberglaube braucht, genau wie wahre Liebe, Zeit zu wachsen und sich auf sich selbst zu besinnen... Wenn ihr eine Scheune gebaut habt, sagte er zu Nick, Stu und Fran, als die Dunkelheit der Suche ein Ende machte, hängt ihr ein Hufeisen mit den Enden nach oben an die Tür, um das Glück zu beschwören. Aber wenn ein Nagel herausfällt und das Hufeisen sich dreht und mit den Enden nach unten hängt, gebt ihr die Scheune nicht auf.

»Der Tag mag kommen, da unsere Kinder die Scheune vielleicht aufgeben, wenn das Hufeisen kein Glück mehr bringt, aber das ist noch Jahre entfernt. Im Augenblick fühlen wir uns alle ein wenig seltsam und verloren. Aber das geht vorbei, denke ich. Wenn Mutter Abagail tot ist – weiß Gott, ich hoffe, sie ist es nicht -, hätte es wahrscheinlich zu keinem besseren Zeitpunkt für den geistigen Gesundungsprozeß dieser Gemeinschaft kommen können.«

Nick schrieb: »Aber wenn sie als Gegenpol zu unserem Widersacher gedacht war, als sein Gegenspieler, als jemand, der das Gleichgewicht bewahren soll...«

»Ja, ich weiß«, sagte Glen düster. »Ich weiß. Die Tage, als Hufeisen wirklich nicht wichtig waren, gehen vielleicht dem Ende entgegen... oder sind schon zu Ende. Glaubt mir, ich weiß es.«

Frannie sagte: »Glaubst du wirklich, daß unsere Enkel abergläubische Wilde sein werden, Glen? Die Hexen verbrennen und sich über die Schulter spucken, damit sie Glück haben?«

»Ich kann nicht in die Zukunft sehen, Fran«, sagte Glen, und sein Gesicht sah im Lampenschein alt und verfallen aus – vielleicht das Gesicht eines gescheiterten Zauberers. »Ich hatte nicht einmal den Einfluß begriffen, den Mutter Abagail auf die Gemeinschaft hatte, bis Stu mich in der Nacht auf dem Flagstaff Mountain darauf hingewiesen hat. Aber eines weiß ich: Wir alle sind aus zwei Gründen in dieser Stadt. Die Supergrippe können wir der Dummheit der Menschen zuschreiben. Es spielt keine Rolle, ob wir es getan haben, die Russen oder die Letten. Wer den Kanister verschüttet hat, ist nicht so wichtig, wenn man die allgemeine Wahrheit bedenkt: Am Ende aller Vernunft steht das Massengrab. Die Gesetze der Physik, die Gesetze der Biologie, die Axiome der Mathematik sind alle Teil dieses Todes-Trips, denn wir sind nun einmal, was wir sind. Wenn es nicht Captain Trips gewesen wäre, dann etwas anderes. Es war Mode, alles auf die >Technologie< zu schieben, aber die >Technologie< ist der Stamm des Baumes, nicht die Wurzel. Die Wurzel ist Rationalismus, und dieses Wort würde ich so definieren: Nationalismus ist die Vorstellung, daß wir einmal alles über das Dasein begreifen können.< Es ist ein Todes -Trip. Das ist es immer gewesen. Man kann die Seuche dem Rationalismus zuschreiben, wenn man will. Aber der andere Grund für unser Hiersein sind die Träume, und die Träume sind irrational. Wir waren uns einig, daß wir diese einfache Tatsache nicht im Komitee diskutieren, aber dies ist keine Sitzung des Komitees. Deshalb sage ich, was wir alle wissen: Wir werden von Kräften geleitet, die wir nicht begreifen. Für mich bedeutet das, wir akzeptieren vielleicht allmählich – vorerst noch unterbewußt und mit zahlreichen, kulturell bedingten Rückschlägen – eine neue Definition von Existenz. Die Vorstellung, daß wir niemalsetwas über das Dasein begreifen können. Und wenn Rationalismus ein Todes-Trip ist, dann könnte Irrationalismusmöglicherweise ein Lebens-Trip sein... jedenfalls so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist.«

Stu sagte sehr langsam: »Nun, ich bin abergläubisch. Ich bin dafür ausgelacht worden, aber ich bin es. Ich weiß, es spielt keine Rolle, ob jemand zwei oder drei Zigaretten mit einem Streichholz anzündet, aber zwei machen mich nicht nervös, drei schon. Ich gehe nicht unter Leitern durch und sehe es nicht gern, wenn mir eine schwarze Katze über den Weg läuft. Aber ganz ohne Wissenschaft leben... möglicherweise die Sonne anbeten... vielleicht zu denken, dass Ungeheuer Bowlingkugeln über den Himmel rollen, wenn es donnert... ich kann nicht sagen, daß mich diese Vorstellung besonders anmacht, Platte. Das scheint mir wie eine Art Sklaverei zu sein.«

»Aber angenommen, das alles stimmt?« sagte Glen leise.

»Was?«

»Angenommen, das Zeitalter des Rationalismus ist vorbei. Ich selbst bin fast überzeugt, daß es so ist. Es war früher schon dicht am Ende, weißt du; in den sechziger Jahren, dem sogenannten Zeitalter des Wassermanns, war es fast vorbei, und im Mittelalter hat es praktisch ununterbrochen Ferien gemacht. Und angenommen... angenommen, wenn der Rationalismus nicht mehr ist, dann ist es, als wäre eine Weile ein grelles Flimmern weg, und wir sehen...« Er verstummte. Sein Blick war nach innen gerichtet.

»Sehen was?« fragte Frannie.

Er sah ihr in die Augen; seine waren grau und seltsam, ein inneres Licht schien darin zu leuchten.

»Dunkle Magie«, sagte er leise. »Ein Universum der Wunder, in dem Wasser bergauf fließt, Trolle im tiefen Wald leben und Drachen unter Bergen hausen. Strahlende Wunder, weiße Macht. >Lazarus, komm heraus.< Wasser in Wein. Und... und nur vielleicht...

Teufelsaustreibung.«

Er machte eine Pause und lächelte.

»Der Lebens-Trip.«

»Und der dunkle Mann?« fragte Fran leise.

Glen zuckte die Achseln. »Mutter Abagail nennt ihn den Dämon des Teufels. Vielleicht ist er der letzte Zauberer rationalen Denkens, der die Werkzeuge der Technologie gegen uns sammelt. Vielleicht auch mehr, vielleicht etwas viel Dunkleres. Ich weiß nur, daß er ist, und ich glaube nicht mehr, daß ihm Soziologie oder Psychologie oder sonst eine -ologie ein Ende machen können. Ich glaube, das kann nur weiße Magie... und unser weißer Magier ist irgendwo da draußen und streift alleine herum.« Glens Stimme brach fast, er sah rasch nach unten.

Draußen herrschte Dunkelheit, der Regen vom Berg herab wehte frische Schauer gegen das Fenster von Stus und Frans Wohnzimmer. Glen zündete die Pfeife an. Stu hatte eine Handvoll Kleingeld aus der Tasche genommen, schüttelte es und machte dann die Hand auf, um zu sehen, wie oft er Kopf und wie oft er Zahl hatte. Nick malte komplexe Kringel auf das oberste Blatt seines Blocks; in Gedanken sah er die verlassenen Straßen von Shoyo und hörte – ja, hörte – eine Stimme flüstern: Er kommt zu dir, Stummer. Er ist schon viel näher.

Nach einer Weile machten Glen und Stu Feuer im Kamin, und sie sahen alle in die Flammen und sprachen wenig.



Als sie gegangen waren, fühlte Fran sich niedergeschlagen und unglücklich. Stu war auch in keiner guten Verfassung. Er sieht müde aus, dachte sie. Wir sollten morgen zu Hause bleiben, einfach zu Hause bleiben, miteinander reden und am Nachmittag ein Nickerchen machen. Wir sollten alles nicht so schwer nehmen. Sie betrachtete die Coleman-Gaslampe und sehnte sich nach elektrischem Licht, hellem elektrischen Licht, das aufleuchtete, wenn man einen Schalter an der Wand drückte.

Sie spürte, wie ihr Tränen in den Augen brannten. Sie ermahnte sich wütend, nicht anzufangen, nicht ihre Probleme noch zu vergrößern, aber der Teil von ihr, der die Wasserpumpen bediente, wollte nicht aufhören.

Dann strahlte Stu plötzlich. »Jemine! Fast hätte ich es vergessen, oder?«

»Was vergessen?«

»Ich zeig's dir! Bleib da!« Er ging zur Tür hinaus und polterte die Treppe hinunter. Sie ging zur Tür, und nach einem Augenblick hörte sie ihn zurückkommen. Er hatte etwas in der Hand, und es war ein... ein...

»Stuart Redman, wo hast du das denn auf getrieben?« fragte sie freudig überrascht.

»Folk Arts Music«, sagte er grinsend.

Sie nahm das Waschbrett und drehte es hin und her. Das bläuliche Metall glänzte im Licht. »Folk...?«

»Unten in der Walnut Street.«

»Ein Waschbrett in einem Musikgeschäft?«

»Ja. Da stand auch ein total wahnsinniger Waschzuber, aber in den hatte schon jemand ein Loch gebohrt und einen Baß daraus gemacht.«

Sie fing an zu lachen. Sie legte das Waschbrett aufs Sofa, kam zu ihm und nahm ihn fest in die Arme. Seine Hände wanderten zu ihren Brüsten, und sie umarmte ihn noch fester. »Der Arzt hat gesagt, es soll Blasmusik hören«, flüsterte sie.

»Hm?«

Sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals. »Dann fühlt es sich wohl. So heißt es jedenfalls in dem Lied. Kannst du dafür sorgen, daß ich mich wohl fühle, Stu?«

Lächelnd hob er sie hoch. »Nun«, sagte er. »Ich könnte es ja mal versuchen.«



Am nächsten Nachmittag um Viertel nach zwei stürzte Glen Bateman, ohne anzuklopfen, in die Wohnung. Fran war bei Lucy Swann, wo die beiden Frauen versuchten, einen Sauerteig zu bereiten. Stu las einen MaxBrand-Western.

»Was ist denn los?« fragte er Glen schneidend. »Ist... hat jemand sie gefunden?«

»Nein«, sagte Glen. Er setzte sich so rasch, als würden seine Beine ihn nicht mehr tragen. »Keine schlechte Nachricht, eine gute. Aber es ist sehr seltsam.«

»Was? Was denn?«

»Es ist Kojak. Ich hatte mich nach dem Essen ein wenig hingelegt, und als ich aufstand, schlief Kojak auf der Veranda. Er ist übel zugerichtet, Stu, sieht aus, als hätte man ihn durch einen Mixer mit stumpfen Messern gedreht, aber er ist es.«

»Du meinst den Hund? Den Kojak?«

»Den meine ich.«

»Bist du sicher?«

»Auf der Hundemarke steht Woodsville, N. H. Dasselbe rote Halsband. Derselbe Hund. Er ist klapperdürr und muß gekämpft haben. Dick Ellis – Dick war überglücklich, daß er endlich mal ein Tier behandeln konnte – er sagt, daß ein Auge nicht mehr zu retten ist. Er hat böse Kratzer an Flanken und Bauch, ein paar sind entzündet, aber Dick hat sie behandelt. Er hat ihm ein Beruhigungsmittel gegeben und ihn verbunden. Dick meint, er muß mit einem Wolf aneinandergeraten sein, vielleicht mehreren. Aber keine Tollwut. Er ist sauber.« Glen schüttelte langsam den Kopf, zwei Tränen liefen ihm über die Wangen. »Der elende Hund ist zu mir zurückgekommen. Ich wünsche bei Gott, ich hätte ihn nicht allein zurückgelassen, Stu. Ich komme mir so mies vor.«

»Es wäre unmöglich gewesen, Glen. Nicht mit den Motorrädern.«

»Ja, aber... er ist mir gefolgt, Stu. Solche Geschichten liest man sonst im Star Weekly... Treuer Hund folgt seinem Herrn zweitausend Meilen. Wie hat er das nur geschafft? Wie?«

»Vielleicht so wie wir. Hunde träumen, weißt du – auf jeden Fall. Hast du nie gesehen, wie einer auf dem Küchenboden liegt und mit den Pfoten zuckt? In Arnette lebte ein alter Mann, Vic Palfrey, der hat gesagt, Hunde hätten zwei Träume, einen guten und einen schlechten. Den guten haben sie, wenn die Pfoten zucken. Den schlechten, wenn sie knurren. Wenn man einen Hund im schlechten Traum aufweckt, ist die Gefahr groß, daß er einen beißt.«

Glen schüttelte wie betäubt den Kopf. »Willst du damit sagen, er hat geträumt...«

»Das ist nicht seltsamer als das, was du gestern abend erzählt hast«, tadelte Stu ihn.

Glen grinste und nickte. »Oh, so waskönnte ich stundenlang erzählen. Ich bin einer der größten Laberer aller Zeiten. Aber wenn wirklich etwas passiert...«

»In Theorie aufgepaßt, im praktischen Unterricht geschlafen.«

»Hol dich der Teufel, Ost-Texaner. Willst du dir meinen Hund ansehen?«

»Darauf kannst du Gift nehmen.«

Glens Haus lag in der Spruce Street, etwa zwei Blocks vom Hotel Boulderado entfernt. Die Efeuranken an den Verandastreben waren größtenteils abgestorben, ebenso der Rasen und fast alle Blumen in Boulder ohne tägliche Bewässerung durch die städtische Wasserversorgung hatte das trockene Klima triumphiert.

Auf der Veranda stand ein kleiner runder Tisch mit einem Glas Gin Tonic (»Ist das ohne Eis nicht absolut gräßlich?« fragte Stu, und Glen antwortete: »Nach dem dritten merkt man das nicht mehr so sehr.«). Neben dem Glas stand ein Aschenbecher mit fünf Pfeifen, Ausgaben von Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten, Ball Fourund Ich ziehe schneller– alle waren an verschiedenen Stellen aufgeschlagen. Dazu noch ein offener Karton Käsecracker von Kraft. Kojak lag auf der Veranda und hatte die verletzte Schnauze friedlich auf den Vorderpfoten liegen. Der Hund war dürr und erbärmlich zugerichtet, aber Stu erkannte ihn auf den ersten Blick. Er kauerte sich nieder und streichelte Kojaks Kopf. Kojak wachte auf und sah Stu glücklich an. Er schien auf Hundeweise zu grinsen.

»Ja, braver Hund«, sagte Stu, der einen albernen Kloß im Hals spürte. Wie bei einem Kartenspiel, das rasch offen ausgeteilt wird, sah er jeden Hund vor sich, den er gehabt hatte, seit seine Mom ihm Old Spike gab, als Stu gerade fünf Jahre alt war. Viele Hunde. Vielleicht nicht einen für jede Karte im Spiel, aber trotzdem eine Menge Hunde. Ein Hund war etwas Schönes, und soweit er wußte, war Kojak der einzige in Boulder. Er sah zu Glen auf und rasch wieder hinunter. Er ging davon aus, daß nicht einmal alte glatzköpfige Soziologen, die drei Bücher auf einmal lasen, sich gerne erwischen ließen, wenn ihnen die Augen tränten.

»Braver Hund«, wiederholte er, und Kojak klopfte mit dem Schwanz auf die Verandadielen und wollte damit wahrscheinlich bekräftigen, daß er wahrhaftig ein braver Hund war.

»Ich geh' mal eben rein«, sagte Glen mit belegter Stimme. »Muss aufs Klo.«

»Klar«, sagte Stu, ohne aufzusehen. »He, guter Junge, was, Kojak, warst du nicht ein guter Junge? Bist du nicht einer?«

Kojak wedelte zustimmend mit dem Schwanz.

»Kannst du herumrollen? Stell dich tot, Junge. Los.«

Kojak drehte sich gehorsam auf den Rücken, streckte die Hinterbeine von sich und die Vorderpfoten in die Luft. Stus Gesicht wurde besorgt, als er mit der Hand behutsam über die steifen weißen Verbände strich, die Dick Ellis angelegt hatte. Weiter oben konnte er rote, aufgedunsen aussehende Kratzer erkennen, die unter dem Verband zweifellos zu tiefen Wunden wurden. Etwas war hinter ihm hergewesen, das stimmte, und sicher kein anderer streunender Hund. Ein Hund hätte nach Schnauze oder Hals geschnappt. Kojak war von etwas angegriffen worden, das niederer als ein Hund war. Verstohlener. Möglicherweise ein Wolfsrudel, aber Stu bezweifelte, ob Kojak einem Wolfsrudel hätte entkommen können. Wie auch immer, er hatte Glück gehabt, daß er nicht ausgeweidet worden war.


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