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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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Sie mußten zweimal fahren und brauchten fast den ganzen Nachmittag, bis die Kirche leer war. Zwanzig Männer, dachte Harold, um alle Leichen in Boulder zu beseitigen. Das ist fast komisch. Die meisten früheren Bewohner Boulders waren zwar aus Angst vor dem metereologischen Institut wie die Kaninchen geflohen, aber dennoch... selbst wenn sie die Beerdigungstrupps mit dem Anwachsen der Bevölkerung verstärkten, würden sie es gerade so schaffen, vor den ersten schweren Schneefällen alle Leichen unter die Erde zu bekommen (er selbst würde dann natürlich nicht mehr hier sein), und die meisten Leute würden nie erfahren, wie groß die Gefahr einer neuen Seuche war – eine, gegen die sie nichtimmun waren.

Das Komitee der Freien Zone hat so tolle Einfälle, dachte er voll Verachtung. Und das Komitee würde es schaffen... natürlich nur, solange sie Harold Lauder hatten, der darauf achtete, daß sie die Schnürsenkel gebunden hatten. Dafür war der gute alte Harold gut genug, aber nicht so gut, daß sie ihn in ihr gottverdammtes ständiges Komitee aufgenommen hätten. Himmel, nein. Er war nie gut gewesen, nicht einmal gut genug, um ein Mädchen zum Klassenfest der High School von Ogunquit einzuladen. Gott nein, wir wollen doch nicht Harold Lauder. Wir wollen nicht vergessen, Leute – und jetzt kommen wir zu der sprichwörtlichen Stelle, wo das altbekannte Säuge– und Haustier zur letzten Ruhe gebettet ist -, daß es keine logische Frage ist, nicht einmal eine Frage des gesunden Menschenverstands. In letzter Analyse handelt es sich ganz einfach um einen verdammten Schönheitswettbewerb.

Nun, jemand erinnert sich. Jemand schreibt die Punkte auf, Jungs. Und der Name dieses Jemand lautet – könnten wir bitte einen Trommelwirbel haben, Maestro? – Harold Emery Lauder. Er ging in die Kirche zurück, wischte sich den Mund ab, grinste, so gut er konnte, und nickte den anderen zu, daß er weitermachen konnte. Jemand klopfte ihm auf den Rücken; Harolds Grinsen wurde breiter, und er dachte: Eines Tages wirst du dafür deine Hand verlieren, Scheißhaufen.

Ihre letzte Tour machten sie um Viertel nach vier, den Lastwagen voll mit den letzten Leichen der letzten Tage. In der Stadt mußte der Lastwagen den liegengebliebenen Fahrzeugen ausweichen, aber auf der Colorado-119 waren den ganzen Tag Abschleppfahrzeuge im Einsatz gewesen und hatten liegengebliebene Autos in den Straßengraben auf beiden Seiten geschafft. Dort lagen sie wie weggeworfenes Spielzeug eines Riesenkindes.

Am Beerdigungsplatz parkten schon die beiden anderen orangefarbenen Laster. Die Männer standen neben den Fahrzeugen, hatten die Handschuhe ausgezogen, und ihre Fingerspitzen waren weiß und runzlig, weil sie den ganzen Tag unter Gummi geschwitzt hatten. Sie rauchten und unterhielten sich unzusammenhängend. Die meisten waren blaß.

Norris und seine beiden Helfer hatten inzwischen eine Wissenschaft daraus gemacht. Sie rollten eine große Plastikplane auf dem Felsboden aus. Norman Kellogg, der Mann aus Louisiana, der Harolds Laster fuhr, setzte bis zum Rand der Plane zurück. Die hintere Ladeklappe knallte herunter, die ersten Leichen purzelten wie steife Puppen auf die Plastikplane. Harold hätte sich gern abgewandt, fürchtete aber, die anderen könnten es als Schwäche auslegen. Es machte ihm nicht allzuviel aus, sie herauspurzeln zu sehen; es war das Geräusch, das ihn fertigmachte. Das Geräusch, das sie machten, wenn sie auf ihrem zukünftigen Leichentuch aufprallten.

Der Motor des Kippers dröhnte tiefer; die Hydraulik jaulte, als die Ladefläche sich hob. Jetzt rollten die Leichen wie ein grotesker menschlicher Regen herunter. Harold empfand einen Augenblick Mitleid, so tief, daß es schmerzte. Klafterholz, dachte er. Wie recht Norris hatte. Mehr ist nicht von ihnen übriggeblieben. Nur... Klafterholz.

»Ho!« schrie Chad Norris, und Kellogg fuhr den Kipper weg und machte ihn aus. Chad und seine Helfer sprangen mit Harken auf die Plane, und jetzt drehte sich Harold um und tat so, als wollte er nach Zeichen von Regen am Himmel sehen, und er war nicht der einzige – aber er hörte das Geräusch, das ihn bis in seine Träume verfolgen sollte, und das war das Klimpern des Kleingelds, das aus den Taschen der toten Männer und Frauen fiel, während Chad und seine Helfer die Leichen mit den Harken gleichmäßig verteilten. Die Münzen, die auf Plastik fielen, erzeugten ein Geräusch, das Harold auf absurde Weise an ein Flohhüpfspiel erinnerte. Der ekelerregende süßliche Geruch von Verwesung stieg in die warme Luft auf. Als er wieder hineinsah, zogen die drei die Enden der schweren Plane über die Leichen, daß ihre Armmuskeln sich spannten, und grunzten dabei vor Anstrengung. Ein paar Männer, darunter auch Harold, kamen ihnen zu Hilfe. Zwanzig Minuten später war dieser Teil der Arbeit erledigt, die Plastikplane lag auf dem Boden wie eine riesige Gelatinekapsel. Norris stieg ins Fahrerhaus einer hellgelben Planierraupe und ließ den Motor an. Der zerschrammte Schieber sank herab. Die Planierraupe rollte vorwärts.

Ein Mann namens Weizak, ebenfalls von Harolds Laster, verließ die Szene mit den ruckartigen Schritten einer schlecht geführten Marionette. Eine Zigarette zitterte zwischen seinen Fingern. »Mann, das kann ich nicht sehen«, sagte er, als er an Harold vorbeiging. »Es ist wirklich komisch. Bis heute war mir nicht bewußt, daß ich Jude bin.«

Die Planierraupe schob und rollte das große Plastikpaket in eine lange rechteckige Grube. Chad setzte zurück, stellte den Motor ab und kletterte herunter. Er winkte den Männern, sich um ihn zu versammeln, ging zu einem der Lastwagen und stellte einen Fuß auf das Trittbrett.

»Keine Durchhalteparolen«, sagte er, »aber ihr habt verdammt gut gearbeitet. Ich schätze, wir haben heute fast tausend Einheiten weggeschafft.«

Einheiten, dachte Harold.

»Ich weiß, was diese Arbeit einem Mann abverlangt. Das Komitee hat versprochen, vor Ende der Woche noch zwei Leute zu schicken, aber ich weiß, das ändert nichts daran, wie euch zumute ist – mir übrigens auch. Ich will nur sagen, wenn einer von euch genug hat, wenn er glaubt, daß er es keinen Tag mehr aushaken kann, dann muß er mir auf der Straße nicht aus dem Weg gehen. Aber wenn ihr meint, daß ihr es nicht schafft, ist es verdammt wichtig, daß ihr morgen einen Ersatzmann stellt. Für mich ist dies die wichtigste Aufgabe in der Zone. Jetzt ist es nicht so schlimm, aber wenn nächsten Monat die Regenfälle einsetzen und wir in Boulder immer noch zwanzigtausend Leichen liegen haben, werden die Leute krank. Wenn ihr denkt, daß ihr es schafft, sehen wir uns morgen früh im Busbahnhof.«

»Ich bin da«, sagte jemand.

»Ich auch«, sagte Norman Kellogg. »Wenn ich heute abend sechs Stunden gebadet habe.« Gelächter.

»Rechnen Sie mit mir«, schloß sich Weizak an.

»Mit mir auch«, sagte Harold ruhig.

»Es ist eine Dreckarbeit«, sagte Norris mit leiser, bewegter Stimme.

»Ihr seid gute Leute. Ich bezweifle, daß die anderen je erfahren, wie gut.«

Harold verspürte Zusammengehörigkeitsgefühl, Kameradschaft, und kämpfte ängstlich dagegen an. Das gehörte nicht zum Plan.

»Wir sehen uns morgen, Hawk«, sagte Weizak und drückte ihm kurz die Schulter.

Harold grinste erschrocken und abwehrend. Hawk? War das ein Witz? Natürlich, ein schlechter. Billiger Sarkasmus. Den dicken, pickligen Harold Lauder >Habicht< zu nennen. Er spürte, wie der alte schwarze Haß in ihm hochkam, diesmal gegen Weizak gerichtet, aber dann verschwand er in plötzlicher Verwirrung. Er war nicht mehr dick. Man konnte ihn nicht einmal mehr untersetzt nennen. Seine Pickel waren während der letzten sieben Wochen verschwunden. Weizak wußte nicht, daß er früher das Gespött der Schule gewesen war. Weizak wußte nicht, daß Harolds Vater ihn einmal gefragt hatte, ob er homosexuell sei. Weizak wußte nicht, daß er das Kreuz gewesen war, das seine allseits beliebte Schwester tragen mußte. Und wenn er es gewußt hätte, wäre es Weizak wahrscheinlich scheißegal gewesen.

Harold stieg auf die Ladefläche eines der Laster; in seinem Kopf herrschte heilloses Durcheinander. Plötzlich erschienen ihm der alte Kummer, die alten Kränkungen und die unbeglichenen Rechnungen so wertlos wie das Papiergeld, an dem sämtliche Registrierkassen Amerikas erstickten.

Konnte das wahr sein? Konnte das wirklich wahr sein? Er fühlte sich panisch einsam, ängstlich. Nein, entschied er schließlich. Es konnte nicht wahr sein. Bedenke: Wenn ein Mann einen so starken Willen hat, daß er der schlechten Meinung, die andere von ihm haben, widerstehen kann, wenn er es erträgt, daß sie ihn für schwul halten, für lästig oder bloß ein altes Arschloch, dann muß er stark genug sein, Widerstand aufzubieten gegen...

Gegen was?

Ihre guteMeinung?

War diese Art von Logik nicht... nun, diese Art von Logik war Irrsinn, oder nicht?

Ein altes Zitat ging ihm durch den gequälten Verstand, der Ausspruch eines Generals, der im Zweiten Weltkrieg dafür eingetreten war, die Amerikaner japanischer Abstammung zu internieren. Diesem General wurde erklärt, daß es an der Westküste, wo die meisten eingebürgerten Japaner lebten, keinen Sabotageakt gegeben hatte. Der General hatte geantwortet: »Gerade die Tatsache, daß es keine Sabotageakte gegeben hat, ist eine bedenkliche Entwicklung. «

War das so?

War erso?

Der Kipper fuhr auf den Parkplatz des Busbahnhofs. Harold sprang über die Wagenseite und überlegte, daß sich auch seine Geschicklichkeit um tausend Prozent verbessert hatte, entweder durch das Abnehmen oder die ständige körperliche Betätigung oder beides.

Der Gedanke kam hartnäckig wieder und wollte sich nicht verdrängen lassen: Ich könnte ein Segen für diese Gemeinschaft sein.

Aber sie hatten ihn ausgeschlossen.

Das spielt keine Rolle. Ich habe Verstand genug, das Schloß der Tür zu knacken, die sie mir vor der Nase zugeschlagen haben. Und ich glaube, wenn sie erst aufgeschlossen ist, werde ich auch den Mut haben, sie zu öffnen.

Aber...

Hör auf! Hör auf! Du könntest genausogut Handschellen und Fußketten mit diesem einen Wort darauf tragen. Aber! Aber! Aber! Kannst du nicht damit aufhören, Harold? Kannst du, um Himmels willen, nicht von deinem ach so hohen Roß heruntersteigen?

»He, Mann, alles in Ordnung?«

Harold zuckte zusammen. Es war Norris, der aus dem Büro des Fahrdienstleiters kam, das er in Beschlag genommen hatte. Er sah müde aus.

»Ich? Mir geht es gut. Ich habe nur nachgedacht.«

»Mir scheint, wenn du nachdenkst, kommt immer was dabei raus.«

Harold schüttelte den Kopf. »Stimmt nicht.«

»Nicht?« Chad ließ es dabei bewenden. »Kann ich dich irgendwo absetzen?«

»Hm -hmm. Ich hab' den Chopper.«

»Weißt du was, Hawk? Ich glaube, die meisten Jungs kommen morgen wirklich wieder.«

»Ja, ich auch.« Harold ging zu seinem Motorrad und stieg auf. Er stellte fest, daß ihm sein neuer Spitzname gegen seinen Willen gefiel.

Norris schüttelte den Kopf. »Das hätte ich mir nie träumen lassen. Ich dachte mir, wenn sie sehen, wie die Arbeit tatsächlich ist, würden ihnen tausend andere Dinge einfallen, die sie zu tun haben.«

»Ich will dir sagen, was ich glaube«, sagte Harold. »Ich glaube, es ist einfacher, eine Dreckarbeit für sich selbst zu machen als für andere. Manche Männer haben zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben für sich gearbeitet.«

»Ja, ich glaube, da ist was dran. Wir sehn uns dann morgen, Hawk.«

»Um acht«, bestätigte Harold und fuhr über die Arapahoe zum Broadway. Rechts sah er eine Gruppe, größtenteils Frauen, die mit einem Abschleppwagen und Seilwinde ein Lastwagengespann aus dem Weg räumten, das sich quergestellt hatte und teilweise die Straße versperrte. Eine beachtliche Menschenmenge sah zu. Die Stadt wächst, dachte Harold. Ich kenne nicht einmal die Hälfte dieser Leute.

Er fuhr nach Hause und machte sich Gedanken über das Problem, das er längst gelöst zu haben glaubte. Als er daheim war, parkte eine kleine weiße Vespa am Bordstein. Und eine Frau saß auf den Stufen zur Eingangstür.

Sie stand auf, als Harold den Gehweg entlangkam, und streckte die Hand aus. Sie war eine der bemerkenswertesten Frauen, die Harold je gesehen hatte – er hatte sie natürlich schon vorher gesehen, aber noch nie so nahe.

»Ich bin Nadine Cross«, sagte sie. Sie hatte eine tiefe, fast rauhe Stimme. Ihr Händedruck war fest und kühl. Harolds Blick glitt kurz über ihren Körper, eine Angewohnheit, die Mädchen haßten, wie er wußte, die er aber nicht lassen konnte. Ihr schien es nichts auszumachen. Sie trug eine leichte Baumwollhose, die sich eng um ihre langen Beine schmiegte, und eine ärmellose Bluse aus einem hellblauen Seidenstoff. Und keinen BH darunter. Wie alt mochte sie sein? Dreißig? Fünfunddreißig? Eher jünger. Sie war vor ihrer Zeit grau geworden.

Überall? fragte der ewig geile (und scheinbar ewig jungfräuliche) Teil seines Verstands, und sein Herz schlug etwas schneller.

»Harold Lauder«, sagte er lächelnd. »Sie sind mit Larry Underwoods Gruppe gekommen, richtig?«

»Stimmt.«

»Sie sind Stu und Frannie und mir durch die endlose Weite gefolgt, soweit ich weiß. Larry hat mich letzte Woche besucht und mir eine Flasche Wein und ein paar Schokoriegel gebracht.«

Seine Worte hatten einen falschen Klang, und er wußte plötzlich genau, ihr war klar, daß er sie abgeschätzt und in Gedanken ausgezogen hatte. Er bekämpfte den Impuls, sich die Lippen zu lecken, was ihm gelang... wenigstens vorerst. »Ein verdammt netter Kerl.«

»Larry?« Sie lachte leise, ein seltsames und irgendwie geheimnisvolles Geräusch. »Ja, Larry ist ein Prinz.«

Sie sahen sich einen Moment an, und Harold war noch nie von einer Frau angesehen worden, deren Augen so offen und zugleich fragend waren. Er spürte wieder seine Erregung und die warme Nervosität im Bauch.

»Nun«, sagte er. »Was kann ich heute nachmittag für Sie tun, Miss Cross?«

»Erst einmal können Sie mich Nadine nennen. Und Sie könnten mich zum Abendessen einladen. Dann wären wir schon ein Stück weiter.«

Das Gefühl der nervösen Erregung breitete sich aus. »Darf ich Sie zum Abendessen einladen, Nadine?«

»Sehr gern«, sagte sie und lächelte. Als sie die Hand auf seinen Unterarm legte, verspürte er ein Kribbeln wie einen elektrischen Schlag. Sie sah ihn unverwandt an. »Vielen Dank.«

Er fummelte den Haustürschlüssel ins Schloß und dachte: Jetzt wird sie mich gleich fragen, warum ich meine Tür abschließe, und ich werde murmeln und stottern und nach einer Antwort suchen und wie ein Trottel dastehen.

Aber Nadine fragte nicht.

Er kochte das Essen nicht; das übernahm sie.

Harold hatte schon den Punkt erreicht, wo er es für unmöglich hielt, eine halbwegs vernünftige Mahlzeit aus Dosen zu bereiten, aber Nadine gelang es recht gut. Plötzlich erinnerte er sich voll Abscheu daran, mit welcher Arbeit er den Tag verbracht hatte, und er bat sie, sich zwanzig Minuten allein zu beschäftigen (wahrscheinlich war sie aus rein weltlichen Gründen hier, beschwichtigte er sich verzweifelt), während er duschte.

Als er zurückkam – er hatte sich geschrubbt und mit zwei Eimern Wasser geduscht -, machte sie sich schon in der Küche zu schaffen. Auf dem Gaskocher sprudelte fröhlich das Wasser. Als er die Küche betrat, schüttete sie eine halbe Tasse Hörnchen in den Topf. In einer Pfanne auf dem anderen Brenner brutzelte etwas; er roch französische Zwiebelsuppe, Rotwein und Pilze. Sein Magen knurrte. Die ekelhafte Arbeit des Tages hatte plötzlich ihre Macht über seinen Appetit verloren.

»Riecht phantastisch«, sagte er. »Es wäre nicht nötig gewesen, aber ich will mich nicht beschweren.«

»Es ist Filet Stroganoff«, sagte sie und wandte sich ihm lächelnd zu.

»Es ist selbstverständlich nur ein Notbehelf, fürchte ich. Dosenfleisch gehört nicht zu den empfohlenen Zutaten, wenn sie das Gericht in den besten Restaurants der Welt zubereiten, aber...« Sie zuckte die Achseln und wies damit auf die Unzulänglichkeiten hin, unter denen sie alle zu leiden hatten.

»Nett, daß Sie das tun.«

»Gern geschehen.« Sie sah ihn wieder mit diesem fragenden Blick an, wandte sich ihm halb zu, und der seidige Stoff der Bluse straffte sich über ihren Brüsten und brachte sie reizvoll zur Geltung. Er spürte, wie ihm heiße Röte den Hals emporkroch und bemühte sich krampfhaft, keine Erektion zu bekommen. Er fürchtete, seine Willenskraft würde für diese Aufgabe nicht ausreichen. Er fürchtete sogar, sie würde nicht einmal annähernd ausreichen. »Wir werden gute Freunde sein«, sagte sie.

»Wir... werden?«

»Ja.« Sie wandte sich wieder dem Herd zu, schien das Thema abgeschlossen zu haben und ließ Harold in einem wahren Dschungel von Möglichkeiten zurück.

Danach beschränkte sich ihre Unterhaltung ausschließlich auf Triviales... Klatsch der Freien Zone, mehr nicht. Aber davon gab es schon genügend. Einmal, beim Essen, versuchte er noch einmal, sie zu fragen, was sie hergeführt hatte, aber sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Ich sehe einen Mann gern essen.«

Einen Moment dachte Harold, sie würde von einem anderen sprechen, aber dann merkte er, daß sie ihnmeinte. Und er aß; er nahm drei Portionen Stroganoff, und das Dosenfleisch beeinträchtigte den Geschmack nach Harolds Meinung überhaupt nicht. Die Unterhaltung schien wie von selbst zu laufen und ließ ihm Zeit, den Löwen in seinem Bauch zu füttern und sie dabei anzusehen.

Für eine bemerkenswerte Frau hatte er sie gehalten? Sie war wunderschön.

Reif und wunderschön. Ihr Haar, das sie zu einem losen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, damit sie leichter kochen konnte, war mit weißen Strähnen durchsetzt, nicht grauen, wie er zuerst gedacht hatte. Sie hatte ernste, dunkle Augen, und wenn sie ohne Bedenken in seine eigenen sahen, wurde Harold schwindlig. Ihre Stimme klang tief und vertraulich. Ihr Klang beeinflußte ihn allmählich auf eine Weise, die unangenehm und doch zugleich auf beinahe quälende Weise erfreulich war.

Als sie mit dem Essen fertig waren, wollte er aufstehen, aber sie kam ihm zuvor. »Kaffee oder Tee?«

»Wirklich, ich könnte...«

»Sie könnten, aber Sie werden nicht. Kaffee, Tee... oder mich?« Sie lächelte, aber es war nicht das Lächeln von jemand, der eine oberflächliche frivole Bemerkung gemacht hat (»frivoles Gerede« hätte seine gute alte Mom gesagt und mißbilligend den Mund verkniffen), sondern ein leises, träges Lächeln, so vollmundig wie ein Sahnehäubchen auf einem cremigen Dessert. Und wieder dieser fragende Blick.

Harolds Gedanken wirbelten durcheinander, und er erwiderte mit fast wahnwitziger Lässigkeit: »Die beiden letzteren«, und hatte alle Mühe, ein pubertäres Kichern zu unterdrücken.

»Nun, fangen wir mit Tee für zwei an«, sagte Nadine und ging zum Gaskocher.

Kaum hatte sie ihm den Rücken zugedreht, schoß Harold heißes Blut in den Kopf und machte sein Gesicht zweifellos so purpurn wie rote Bete. Ein schöner Schwerenöter bist du!schalt er sich hektisch. D u hast dich wie ein blöder Narr benommen und eine völlig unschuldige Bemerkung falsch interpretiert, und damit hast du wahrscheinlich eine gute Gelegenheit verpatzt. Geschieht dir recht. Geschieht dir völlig recht!

Als sie die dampfenden Teetassen zum Tisch trug, hatte Harolds hektische Röte etwas nachgelassen und er hatte sich wieder besser unter Kontrolle. Das Schwindelgefühl hatte sich unvermittelt in Verzweiflung verwandelt, und ihm war (nicht zum ersten Mal), als wären sein Körper und Geist kantiperkantaper in den Wagen einer riesigen Achterbahn aus reinsten Gefühlen gestoßen worden. Es gefiel ihm nicht, aber er konnte die Fahrt nicht mehr anhalten. Wenn sie sich überhaupt für mich interessiert hat, dachte er (und wieso sollte sie denn, fügte er düster hinzu), habe ich das wahrscheinlich durch meinen Pennälerwitz gründlich kaputtgemacht. Nun, so etwas war ihm schon früher passiert, und er konnte wohl mit dem Wissen leben, daß er es wieder geschafft hatte. Sie sah ihn mit diesen beunruhigend offenen Augen über den Rand der Teetasse an und lächelte wieder, und das Quentchen Gelassenheit, das er hatte aufbringen können, zerstob augenblicklich wieder.

»Kann ich irgendwas für Sie tun?« fragte er. Es hörte sich wie eine tumbe Zweideutigkeit an, aber etwas mußteer ja sagen, denn es mußte ja auch einen Grund geben, weshalb sie hier war. Er spürte, wie sein eigenes Lächeln in seiner Verwirrung von den Lippen verschwand.

»Ja«, sagte sie und stellte entschlossen die Teetasse ab. »Ja, das können Sie. Vielleicht können wir etwas füreinander tun. Können wir ins Wohnzimmer gehen?«

»Klar.« Seine Hände zitterten, als er die Tasse auf den Tisch stellte und sich erhob; fast hätte er etwas verschüttet. Als er ihr ins Wohnzimmer folgte, sah er, wie glatt der Stoff der Hose an ihren Gesäßbacken klebte. Er hatte einmal gelesen, daß das glatte Aussehen der Hose einer Frau an der Stelle unterbrochen ist, wo der Slip durchdrückt, wahrscheinlich in einem der Magazine, die er in seinem Schlafzimmerschrank hinter den Schuhkartons versteckt hatte, und in den Magazinen stand weiter, wenn eine Frau wirklich glatt und nahtlos aussehen wollte, mußte sie einen Tanga oder gar nichts drunter tragen.

Er schluckte; versuchte es wenigstens. Ein dicker Kloß schien ihm im Hals zu stecken.

Das Wohnzimmer war düster, nur vom Licht erhellt, das durch die heruntergelassenen Jalousien hereinfiel. Es war nach halb sieben; draußen ging der Abend in die Dämmerung über. Harold trat an eines der Fenster, um die Jalousie hochzuziehen und mehr Licht hereinzulassen, aber sie legte die Hand auf seinen Arm. Er drehte sich mit trockenem Mund zu ihr um.

»Nein, laß sie unten. Das ist intimer.«

»Intimer?« krächzte Harold. Seine Stimme war wie die eines altersschwachen Papageis.

»Damit ich das machen kann«, sagte sie und kam sanft in seine Arme.

Sie hatte den Körper frei und offen an seinen gepreßt, das erste Mal, daß ihm so etwas geschah, und sein Erstaunen war total. Durch ihre blaue Seidenbluse und sein weißes Baumwollhemd spürte er die beiden Brüste einzeln an seinem Leib. Ihr Bauch lag fest und doch verletzlich an seinem und wich nicht vor seiner Erektion zurück. Sie roch angenehm, vielleicht Parfüm, vielleicht ihr eigener Geruch, der ihm wie ein Geheimnis vorkam, das dem Zuhörer plötzlich offenbart wird. Seine Hände fanden ihr Haar und wühlten sich hinein.

Schließlich hörte der Kuß auf, aber sie wich nicht zurück. Ihr Körper blieb heiß wie leise glimmendes Feuer an seinem. Sie war etwa zehn Zentimeter kleiner als er und hatte das Gesicht zu ihm hochgewendet. Vage kam ihm der Gedanke, daß dies eine der amüsantesten Ironien seines Lebens war: Nun, da die Liebe – oder ein ausreichendes Faksimile davon – ihn schließlich gefunden hatte, war es, als wäre er seitlich zwischen die Seiten der Liebesgeschichte in einer Frauenzeitschrift geschlittert. Die Verfasser solcher Geschichten, hatte er einmal in einem anonymen Brief an Redbookgeschrieben, waren eines der wenigen schlagkräftigen Argumente für Geburtenkontrolle.

Aber jetzt hielt sie das Gesicht zu ihm hoch gewandt, ihre Lippen waren feucht und halb geöffnet, die Augen strahlend und fast... fast... ja, fast sternenglänzend. Das einzige Detail, das sich nicht mit der Darstellung der heilen Welt in Redbookvertrug, war sein Ständer, der wahrhaft erstaunlich war.

»Jetzt«, sagte sie. »Auf dem Sofa.«

Irgendwie gelangten sie dorthin und lagen ineinander verschlungen darauf; ihr Haar ging auf und wallte über ihre Schultern; ihr Parfüm schien allgegenwärtig. Er hatte die Hände auf ihren Brüsten, und es machte ihr nichts aus; sie wand und räkelte sich sogar, so daß seine Hände besseren Zugriff hatten. Er liebkoste sie nicht; in seiner hektischen Begierde begrapschte er sie nur.

»Du bist Jungfrau«, sagte Nadine. Keine Frage... und es war einfacher, nicht lügen zu müssen. Er nickte.

»Dann machen wir das zuerst. Nächstes Mal wird es langsamer. Besser.«

Sie knöpfte seine Jeans auf, und sie klafften bis zum Reißverschluss auseinander. Sie strich sanft mit dem Zeigefinger dicht unter dem Nabel über seinen Bauch. Harold erschauerte und zuckte unter ihrer Berührung zusammen.

»Nadine...«

»Pssst!« Ihr Gesicht war im Haar verborgen, was es unmöglich machte, ihren Ausdruck zu lesen.

Der Reißverschluß wurde heruntergezogen, und das »lächerliche Ding«, das durch die weiße Baumwollhose, in die es gehüllt war (Gott sei Dank hatte er sich nach dem Duschen umgezogen), noch lächerlicher wirkte, schnellte heraus wie ein Jack-in-the-Box. Das »lächerliche Ding« merkte gar nicht, wie komisch es wirkte, denn sein Anliegen war todernst. Das Anliegen von Jungfrauen ist immer todernst – nicht Lust, sondern Erfahrung.

»Meine Bluse...«

»Kann ich...?«

»Ja, ich will es. Und dann kümmere ich mich um dich.«

Kümmere ich mich um dich. Die Worte hallten in seinem Verstand wie Steine, die in einen Brunnen geworfen worden waren, und dann saugte er gierig an ihrer Brust und kostete ihren salzigen, süßen Geschmack.

Sie atmete heftig ein. »Harold, das ist schön.«

Kümmere ich mich um dich, dröhnten und polterten die Worte in seinem Verstand.

Sie glitt mit der Hand ins Taillenband seiner Unterhose, und seine Jeans rutschten mit einem Klirren von Schlüsseln bis zu den Knöcheln hinunter.

»Steh auf«, flüsterte sie, und er gehorchte.

E s dauerte nicht einmal eine Minute. Er schrie auf, weil er nicht anders konnte, so heftig war der Höhepunkt. Es war, als hätte jemand ein Streichholz an das gesamte Nervensystem dicht unter der Haut gehalten, Nerven, die sich vereinigten und das empfindsame Netz seiner Lenden bildeten. Er verstand, warum so viele Schriftsteller einen Zusammenhang zwischen Orgasmus und Tod herstellten.

Dann legte er sich im Halbdunkel zurück, hatte den Kopf auf dem Sofa, seine Brust hob und senkte sich, sein Mund war offen. Er hatte Angst, nach unten zu sehen. Ihm war, als müßten Samentropfen überall hingespritzt sein.

Junger Mann, wir sind auf Öl gestoßen!

Er sah sie verlegen an, weil er so unbeherrscht gekommen war. Aber sie lächelte ihn mit ruhigen, dunklen Augen an, die alles zu wissen schienen, den Augen eines sehr jungen Mädchens in einem viktorianischen Gemälde. Eines Mädchens, das vielleicht zuviel über seinen Vater wußte.

»Tut mir leid«, murmelte er.

»Warum? Was?« Sie nahm den Blick nicht von seinem Gesicht.

»Du hast nicht viel davon gehabt.«

»Au contraire.Ich hatte durchaus meine Befriedigung.« Aber er glaubte nicht, daß er das genau gemeint hatte. Bevor er darüber nachdenken konnte, fuhr sie fort: »Du bist jung. Wir können es so oft machen, wie du willst.«

Er sah sie sprachlos an – außerstande zu sprechen.

»Aber eines mußt du wissen.« Sie legte sanft eine Hand auf ihn. »Du hast mir gesagt, du bist eine Jungfrau. Nun, ich auch.«

»Du...« Sein fassungsloser Gesichtsausdruck mußte komisch gewesen sein, denn sie warf den Kopf zurück und lachte.

»Ist in deiner Philosophie kein Platz für Jungfräulichkeit, Horatio?«

»Nein... doch... aber...«

»Ich bin eine Jungfrau. Und das werde ich auch bleiben. Denn es steht einem anderen zu, mich... mich zu entjungfern.«

»Wem?«

»Du weißt, wem.«

Er sah sie an und fror plötzlich am ganzen Körper. Sie gab den Blick unbewegt zurück.

» Ihm?«

Sie wandte sich halb ab und nickte.

»Aber ich kann dir vieles zeigen«, sagte sie, sah ihn aber immer noch nicht an. »Wir können vieles machen. Sachen, von denen du nicht einmal ge... nein, das nehme ich zurück. Vielleicht hast du davon geträumt, aber du hast dir nie träumen lassen, daß du sie einmal machen würdest. Wir können spielen. Wir können uns daran berauschen. Wir können darin waten. Wir können ...« Sie verstummte, und dann sah sie ihn an, ein so listiger und sinnlicher Blick, daß er spürte, wie er sich wieder regte. »Wir können alles machen – alles– außer dieser Kleinigkeit. Und diese Kleinigkeit ist auch gar nicht so wichtig, oder?«

Bilder wirbelten schwindlig durch seinen Verstand. Seidenschals... Stiefel... Leder... Gummi. Herrgott. Phantasien eines Schulknaben. Eine unheimliche Art sexuelles Solitaire. Aber es war alles irgendwie ein Traum, nicht? Eine von einer Phantasie gezeugte Phantasie, die Ausgeburt eines dunklen Traums. Er wollte alles, wollte sie, aber er wollte noch mehr.

Die Frage war, mit wieviel würde er sich begnügen?

»Du kannst mir alles sagen«, meinte sie. »Ich bin deine Mutter, deine Schwester, deine Hure, deine Sklavin. Du mußt es mir nur sagen, Harold.«

Wie das in seinem Verstand hallte! Wie es ihn berauschte!

Er machte den Mund auf, und die Stimme, die herauskam, war so tonlos wie eine Glocke mit Sprung. »Aber für einen Preis. Ist es nicht so? Für einen Preis. Weil nichts umsonst ist. Nicht einmal jetzt, wo alles herumliegt und nur darauf wartet, daß man es aufhebt.«

»Ich will, was du willst«, sagte sie. »Ich weiß, was in deinem Herzen ist.«

»Das weiß niemand.«

»Was in deinem Herzen ist, steht in deinem Hauptbuch. Ich könnte es dort lesen – ich weiß, wo es ist -, aber das ist nicht nötig.«

Er zuckte zusammen und sah sie schuldbewußt an.

»Es war unter dem losen Stein dort«, sagte sie und deutete zum Kamin, »aber du hast es weggebracht. Jetzt ist es hinter der Isolierung auf dem Speicher.«

»Woher weißt du das? Woher weißt du das

»Ich weiß es, weil er es mir gesagt hat. Er... man könnte sagen, er hat mir einen Brief geschrieben. Und was wichtiger ist, er hat mir von direrzählt, Harold. Wie der Cowboy dir die Frau weggenommen und dann dafür gesorgt hat, daß du nicht ins Komitee der Freien Zone kommst. Er will, daß wir zusammen sind, Harold. Und er ist großzügig. Von jetzt an, bis zu unserem Aufbruch von hier, haben wir eine Atempause, du und ich.«

Sie faßte ihn an und lächelte.

»Von jetzt an ist Spielzeit, verstehst du?«

»Ich...«

»Nein«, antwortete sie, »du verstehst nicht. Noch nicht. Aber du wirst verstehen, Harold. Du wirst.«

Der irrsinnige Gedanke ging ihm durch den Kopf, ihr zu befehlen, ihn Hawk zu nennen.

»Und später, Nadine? Was will er später?«

»Was du willst. Und was ich will. Was du fast mit Redman gemacht hast, als du den ersten Abend nach der alten Frau gesucht hast... aber in einem viel größeren Maßstab. Und wenn das vollbracht ist, können wir zu ihm gehen, Harold. Wir können bei ihm sein. Wir können bei ihm bleiben.« Sie schloß halb in Verzückung die Augen. Paradoxerweise war es womöglich die Tatsache, daß sie den anderen liebte, sich aber ihm hingeben wollte – und es vielleicht sogar genoß -, die sein Verlangen heiß und drängend wieder auflodern ließ.


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