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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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» He, Leute!« rief Whitney.

Ein aufgeregtes Gemurmel lief durch die Menge; Whitney zitterte am ganzen Körper. Ruckartig bewegte sich sein Kopf hin und her. Flagg betrachtete Whitney mit einem bösartigen Lächeln. Dorgan wollte sich auf den Koch stürzen, aber Flagg winkte ab.

»Das ist ein Unrecht!« schrie Whitney. »Und ihr alle wißt es!«

In der Menge entstand tödliche Stille, als hätten sich alle Anwesenden in Grabsteine verwandelt.

Whitneys Kehle bewegte sich wie in Krämpfen. Sein Adamsapfel fuhr auf und ab wie ein Affe an einer Stange.

»Wir waren einst Amerikaner!« brüllte Whitney zum Schluß. »Und so handeln keine Amerikaner. Ich war nichts Besonderes, ich war nur Koch, aber ich weiß, daß Amerikaner so nicht handeln. Sie hören nicht auf ein mörderisches Ungeheuer in Cowboystiefeln...«

Man hörte förmlich, wie die Leute von Las Vegas vor Entsetzen den Atem anhielten. Larry und Ralph tauschten verblüffte Blicke.

»Und genau das ist er!« rief Whitney. Die Schweißtropfen liefen ihm wie Tränen über das Gesicht. »Und ihr wollt zuschauen, wie diese beiden Jungs vor euren Augen in zwei Teile gerissen werden? So wollt ihr ein neues Leben anfangen? Mit einem so scheußlichen Unrecht? Ich sage euch, ihr werdet für den Rest eures Lebens Alpträume haben

Die Menge murmelte Zustimmung.

»Wir müssen das verhindern«, sagte Whitney. »Seid ihr euch darüber klar? Wir brauchen Zeit, um darüber nachzudenken, was... was...«

»Whitney.« Eine Stimme glatt wie Seide und kaum mehr als ein Flüstern, aber sie reichte, um den Koch vollends zum Schweigen zu bringen. Er drehte sich zu Flagg um. Seine Lippen bewegten sich lautlos, und sein Blick war so starr wie der einer Makrele. Jetzt floss ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht.

»Whitney, du hättest schweigen sollen.« Er sprach immer noch leise, aber seine Stimme erreichte dennoch jedes Ohr. »Ich hätte dich gehen lassen... warum auch hätte ich dich hierbehalten sollen?«

Whitneys Lippen bewegten sich immer noch, und immer noch brachte er keinen Laut hervor.

»Komm her, Whitney.«

»Nein«, flüsterte Whitney, und niemand außer Lloyd und Ralph und Larry und vielleicht Barry Dorgan hörte seine Weigerung. Aber seine Füße bewegten sich, als hätten sie das Wort nicht gehört. Seine zerfransten, ausgetretenen Mokassins flüsterten durch das Gras, und wie ein Geist bewegte er sich auf den dunklen Mann zu. Die Menge starrte mit offenem Mund und stumpfem Blick.

»Ich kannte deine Pläne«, sagte der dunkle Mann. »Ich wußte, was du tun wolltest, bevor du es tatest. Ich hätte dich davonkriechen lassen, bis ich bereit gewesen wäre, dich zurückzuholen. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht erst in zehn. Aber das liegt jetzt alles hinter dir, Whitney. Glaub mir.«

Endlich fand Whitney seine Stimme wieder, und die Worte sprudelten wie ein Schrei hervor. » Du bist gar kein Mensch! Du bist eine Art... Teufel!«

Flagg streckte den Zeigefinger der linken Hand aus, so daß er fast Whitney Horgans Kinn berührte. »Ja, das stimmt«, sagte er so leise, daß nur Lloyd und Larry Underwood ihn hörten. »Das bin ich.«

Eine kleine blaue Feuerkugel, nicht größer als ein Ping-Pong-Ball, sprang mit einem schwachen Ozongeknister von Flaggs Fingerspitze.

Ein Herbstwind von Seufzern rauschte durch die Menge. Whitney schrie – aber er bewegte sich nicht. Die Feuerkugel sprang ihm an das Kinn. Plötzlich roch es ekelhaft nach brennendem Fleisch. Die Kugel bewegte sich über den Mund, schmolz die Lippen zusammen und erstickte den Schrei. Whitneys Augen traten aus den Höhlen. Dann fuhr sie über eine Wange, grub eine verbrannte und verätzte Furche.

Sie schloß seine Augen.

Sie blieb über seiner Stirn hängen, und Larry hörte Ralph sprechen, der immer wieder dasselbe sagte. Larry fiel ein, und sie machten es zu einer Litanei: »Ich fürchte mich nicht vor dem Bösen... ich fürchte mich nicht vor dem Bösen... ich fürchte mich nicht vor dem Bösen...«

Jetzt rollte die Kugel von Whitneys Stirn nach oben, und es roch scharf nach brennendem Haar. Sie rollte über seinen Hinterkopf und hinterließ einen grotesken kahlen Streifen. Whitney taumelte und stürzte zu Boden, gnädigerweise aufs Gesicht.

Von der Menge her kam ein fast zischendes Geräusch: Aaaahhhh. Es war das Geräusch, das die Leute am vierten Juli von sich geben, wenn das Feuerwerk besonders prächtig ist. Die blaue Feuerkugel hing jetzt in der Luft und war größer geworden und so hell, daß man sie nur mit zusammengekniffenen Augen betrachten konnte. Der dunkle Mann zeigte darauf, und sie bewegte sich langsam auf die Menge zu. Die Leute in der ersten Reihe, unter ihnen die totenblasse Jenny Engstrom, schauderten zurück.

Mit Donnerstimme forderte Flagg sie heraus: » Ist noch jemand da, der mit meinem Urteil nicht einverstanden ist? Dann soll er es jetzt sagen!«

Die Antwort war Schweigen.

Flagg schien zufrieden. »Dann wollen wir...«

Plötzlich wandte sich ein Kopf nach dem anderen von ihm ab. Ein überraschtes Raunen erhob sich, wurde immer lauter. Flagg schien geradezu schockiert vor Überraschung. Jetzt waren aus der Menge Rufe zu hören, und wenn man auch die Worte nicht verstand, so merkte man den Leuten doch ihre Verblüffung an. Die Feuerkugel bewegte sich unruhig in der Luft.

Das Summen eines Elektromotors drang Larry in die Ohren. Und aus der Menge hörte er wieder diesen seltsamen Namen, der jetzt von Mund zu Mund ging: Mann... Eimermann... Müll... Mülli... Wie in Antwort auf Flaggs Herausforderung drängte sich jemand durch die Menge.



Flagg spürte Entsetzen in die Kammern seines Herzens sickern. Es war das Entsetzen vor etwas Unbekanntem und Unerwartetem. Er hatte alles vorausgesehen, sogar Whitneys närrische Stegreifrede. Die Menge – seine Menge – teilte sich und schrak zurück. Ein markerschütternder Schrei stieg auf, klar und schrill. Jemand rannte davon. Dann noch jemand. Und dann brach die Menge auseinander, rannten die ohnehin emotional aufgewühlten Menschen davon.

» Bleibt stehen!« schrie Flagg, so laut er konnte, aber es war zwecklos.

Die Menge war jetzt wie ein starker Wind, und nicht einmal der dunkle Mann konnte dem Wind gebieten. Eine schreckliche, ohnmächtige Wut stieg in ihm auf und bildete mit seiner Angst eine neue, flüchtige Mischung. Wieder war etwas schiefgegangen, in letzter Minute schiefgegangen, wie bei dem alten Mann in Oregon und der Frau, die sich am Fensterglas die Kehle durchschnitt... und Nadine... Nadine, die vom Dach gestürzt war...

Sie rannten in alle Himmelsrichtungen, über den Rasen des MGM Grand Hotel, quer über die Straße und zum Strip hinüber. Sie hatten den letzten Gast gesehen, der wie eine gräßliche Vision aus einer Horrorgeschichte aufgetaucht war. Vielleicht hatten sie auch das häßliche Gesicht einer letzten, schrecklichen Vergeltung gesehen.

Und sie hatten gesehen, was der zurückgekehrte Wanderer mitgebracht hatte.

Als die Menge auseinandergestoben war, sah Randall Flagg es auch, genau wie Larry und Ralph und der vor Schreck erstarrte Lloyd Henreid, der noch immer die zerrissene Rolle in der Hand hielt. Es war Donald Merwin Elbert, jetzt als Mülleimermann bekannt, jetzt und immerdar, in alle Ewigkeit, halleluja, Amen.

Er saß am Steuer eines langen staubigen Elektrokarrens. Die schweren Batterien waren fast leer, und der Karren summte und dröhnte und ruckte. Der Mülleimermann hüpfte in der offenen Kabine wie eine Marionette hin und her.

Er war im letzten Stadium der Strahlenkrankheit. Sein Haar war ausgefallen. Seine Arme, die aus den Fetzen seines Hemdes herausstanden, waren von offenen Schwären bedeckt. Sein Gesicht war eine breiige rote Kraterlandschaft, aus der ein von der Wüste gebleichtes Auge mit einer fürchterlichen, jämmerlichen Intelligenz hervorstarrte. Er hatte keine Zähne mehr. Seine Fingernägel fehlten. Seine Augenlider waren zerfetzte Lappen.




Er sah aus wie ein Mann, der diesen Elektrokarren aus dem brennenden Schlund der Hölle herausgefahren hatte. Flagg sah ihn kommen und stand wie erstarrt. Seine frische Farbe war verschwunden. Sein Gesicht war plötzlich ein Fenster aus blassem, klarem Glas.

Begeistert stieg jetzt die Stimme des Mülleimermanns aus seiner dürren Brust: »Ich habe es gebracht... ich habe dir das Feuer gebracht... bitte... es tut mir leid...«

Jetzt war es Lloyd, der sich bewegte. Er ging einen Schritt vorwärts, dann noch einen. »Mülli... Müll, Baby...« Seine Stimme war ein Krächzen.

Mit seinem einzigen Auge suchte er Lloyd und hatte Mühe, ihn zu erkennen. »Lloyd? Bist du das?«

»Ich bin es, Müll.« Lloyd zitterte am ganzen Körper, wie vorhin Whitney gezittert hatte. »He, was hast du da? Ist es...?«

»Es ist die Große Bombe«, sagte Müll glücklich. »Es ist die ABombe.« Er schaukelte auf seinem Sitz hin und her wie ein Bekehrter bei einer Wiedererweckungsfeier. »Die Atombombe, das große Feuer, mein Leben für dich

»Bring sie weg, Müll«, flüsterte Lloyd. »Sie ist gefährlich. Sie... sie ist heiß. Bring sie weg...«

»Sag ihm, daß er sie wegschaffen soll, Lloyd«, winselte der dunkle Mann, der jetzt der blasse Mann war. »Er soll sie dorthin bringen, wo er sie geholt hat. Er soll...«

Mülleimers Auge blickte erstaunt. »Wo ist er?« fragte er, und seine Stimme stieg zu einem gequälten Heulen an. »Wo ist er? Er ist weg!

Wo ist er? Was hast du mit ihm gemacht?«

Lloyd unternahm eine letzte Anstrengung. »Müll, du mußt das Ding wegschaffen. Du mußt...«

Und plötzlich brüllte Ralph: » Larry! Larry! Die Hand Gottes!« Ralph war vor Freude wie von Sinnen. Seine Augen leuchteten. Er zeigte zum Himmel.

Larry blickte hinauf. Er sah die Feuerkugel, die Flagg von seinem Finger geschnippt hatte. Sie war zu gewaltiger Größe angewachsen. Sie stand am Himmel. Mit unruhigen Bewegungen sank sie auf den Mülleimermann herab. Sie sprühte haarfeine Funken, und Larry nahm dumpf wahr, daß die Luft jetzt so mit Elektrizität aufgeladen war, daß sich ihm jedes einzelne Haar am Körper sträubte.

Und das Ding am Himmel sah aus wie eine Hand.

» Neeeiiin!« heulte der dunkle Mann.

Larry schaute zu ihm hinüber... aber Flagg war nicht mehr da. Er hatte den Eindruck, daß etwas Unheimliches vor der Stelle stand, an der eben noch Flagg gestanden hatte. Etwas Zusammengesunkenes, Geducktes, fast Gestaltloses – etwas mit riesigen gelben Augen mit den Pupillenschlitzen einer Katze. Dann war es verschwunden.

Larry sah Flaggs Kleider – die Jacke, die Jeans, die Stiefel. Sie standen aufrecht, und sie waren leer. Sekundenlang behielten sie noch die Form des Körpers, der in ihnen gesteckt hatte. Dann sanken sie zusammen.

Das knisternde blaue Feuer stürzte jetzt aus der Luft auf den gelben Elektrokarren, den der Mülleimermann irgendwie von der Nellis Range nach Las Vegas gefahren hatte. Er war kahl geworden und hatte Blut gespuckt und schließlich seine eigenen Zähne erbrochen, als die tödliche Strahlung sich immer tiefer in ihn hineinfraß – aber nie war er in seinem Entschluß wankend geworden, dem dunklen Mann die Bombe zu bringen.

Die blaue Kugel suchte den hinteren Teil des Karrens, wurde von ihm angezogen.

» O Scheiße, wir sind alle im Arsch!« brüllte Lloyd Henreid. Er legte die Hände über den Kopf und sank zu Boden.

O Gott, ich danke Dir, dachte Larry. Erlöse uns von dem Bösen, erlöse uns v 

Schweigendes weißes Licht erfüllte die Welt. Und das heilige Feuer verzehrte Gerechte und Ungerechte zugleich.

74

Als der Tag anbrach, erwachte Stu aus einem unruhigen Schlaf und lag zitternd da, obwohl Kojak sich neben ihm zusammengerollt hatte. Der Morgenhimmel war von kalter Bläue, aber trotz des Frösteins war ihm heiß. Er hatte Fieber.

»Krank«, murmelte er, und Kojak äugte zu ihm hoch. Er wedelte mit dem Schwanz und trottete hinunter zur Wasserrinne. Er kam mit einem abgestorbenen Ast im Maul zurück und ließ ihn vor Stus Füße fallen.

»Vielleicht hast du recht, alter Junge«, sagte er und schickte Kojak wieder aus, weiter Holz zu holen. Bald flackerte das Feuer wieder auf, aber auch als er sich nahe heransetzte, konnte er das Frösteln nicht vertreiben. Dabei lief ihm der Schweiß von der Stirn. Das war der Gipfel der Ironie: Er hatte die Grippe oder etwas Ähnliches. Zwei Tage nachdem Glen, Larry und Ralph ihn verlassen hatten, war er krank geworden. Zwei Tage lang hatte es sich die Grippe dann noch überlegt, ob er es wert war, daß sie ihn holte. Offensichtlich war er es, denn sein Zustand hatte sich ganz allmählich verschlechtert. Und an diesem Morgen fühlte er sich sehr schlecht.

Unter den verschiedenen Kleinigkeiten in seinen Taschen fand er einen Bleistiftstummel, sein Notizbuch (diese organisatorischen Dinge, die in Boulder so wichtig gewesen waren, wirkten hier albern, gelinde gesagt) und seinen Schlüsselbund. Er hatte sich immer wieder mit seinem Schlüsselbund beschäftigt und sich gewundert, wie sehr das Heimweh und die Sehnsucht ihn quälten und wie traurig sie ihn machten. Dies war sein Wohnungsschlüssel. Dies war der Schlüssel zu seinem Schrank. Dieser war der schon arg verrostete Ersatzschlüssel für seinen 1972er Dodge – soviel er wußte, parkte der Wagen immer noch hinter dem Haus 31 Thompson Street, in dem er in Arnette gewohnt hatte.

An dem Schlüsselbund hing außerdem eine in einer Plastikhülle steckende Karte mit seiner Adresse: STU REDMAN – 3I THOMPSON STREET – PH (713) 941-6283. Er zog die Schlüssel vom Ring, liess sie einen Moment gedankenversunken auf der Handfläche hüpfen, und warf sie dann fort. Das letzte, was an den Mann erinnerte, der er einst gewesen war, verschwand in der Auswaschung und landete klirrend in einem vertrockneten Salbeibusch, wo es, wie Stu annahm, bis zum Ende aller Zeiten liegenbleiben würde. Dann zog er die Karte aus der Hülle und riß einen leeren Zettel aus seinem Notizbuch.

Liebe Frannie, schrieb er oben an den Rand.

Er berichtete ihr alles, was sie erlebt hatten, bevor er sich das Bein brach. Er schrieb, daß er hoffte, sie wiederzusehen, aber nicht recht daran glaube. Er könne nur hoffen, daß wenigstens Kojak nach Boulder zurückfinden werde. Zerstreut wischte er sich mit der Hand die Tränen aus den Augen und schrieb, daß er sie liebe. Ich erwarte, daß Du um mich trauerst und dann weitermachst, schrieb er. Du und das Baby, ihr müßt weitermachen. Das ist jetzt das wichtigste. Er unterschrieb, faltete den Zettel zusammen und steckte ihn mit der Karte wieder in die Hülle. Dann befestigte er die Plastikhülle mit Hilfe des Rings an Kojaks Halsband.

»Braver Hund«, sagte er, als er damit fertig war. »Bist du so nett und schnüffelst mal ein bißchen in der Gegend rum? Holst du uns ein Kaninchen oder so was?«

Kojak sprang den Hang hinauf, an dem Stu sich das Bein gebrochen hatte, und war verschwunden. Stu beobachtete seine Klettertour mit einer Mischung aus Bitterkeit und Belustigung; dann nahm er die leere 7-Up-Dose, die Kojak ihm einmal statt eines Astes gebracht hatte. Er hatte sie mit schlammigem Wasser aus dem Graben gefüllt.

Wenn das Wasser längere Zeit stand, sank der Schlamm auf den Boden. Es war zwar ein scheußliches Getränk, aber, wie seine Mutter gesagt hätte, ein scheußliches Getränk ist besser als gar keins. Er trank ganz langsam und stillte seinen Durst Schluck für Schluck. Dabei tat ihm der Hals weh.

»Das Leben ist eins der schwersten«, murmelte er, und dann mußte er über sich selbst lachen. Kurz betastete er die Schwellungen ganz oben am Hals, knapp unter dem Kieferknochen. Dann legte er sich zurück, das geschiente Bein vor ihm, und döste vor sich hin.



Eine Stunde später schrak er hoch und griff in seiner Panik mit den Händen in den Sand. Ein Alptraum? Das mußte es wohl sein, denn der Boden bewegte sich langsam unter seinen Händen.

Ein Erdbeben? Wie konnte es hier ein Erdbeben geben? 

Einen Augenblick lang glaubte er schon, er sei im Delirium. Vielleicht hatte er, während er schlief, wieder Fieber bekommen. Aber als er zu der Wasserrinne hinuntersah, sah er den Schlamm in kleinen Brocken in das Wasser rutschen. Seine erstaunten Augen sahen in den hüpfenden, tanzenden Steinen Glimmer und Quarzstücke blinken. Dann hörte er ein schwaches, dumpfes Geräusch – es schien in seine Ohren hineinzustoßen. Ein paar Sekunden später rang er nach Atem, als würde alle Luft aus der Rinne hinausgeschoben, die das Hochwasser gewühlt hatte.

Über sich hörte er ein Jaulen. Kojak war als Silhouette oben am westlichen Hang des Einschnitts zu sehen. Er hatte sich hingekauert, den Schwanz zwischen den Beinen, und starrte nach Westen in Richtung Nevada.

»Kojak!« Vor Angst schrie Stu übermäßig laut. Das dumpfe Geräusch hatte ihn beunruhigt – es war, als habe irgendwo in nicht allzu großer Entfernung Gott mit dem Fuß auf den Wüstenboden gestampft.

Kojak sprang den Hang hinunter und kam winselnd herbei. Als er Kojak mit der Hand über den Rücken fuhr, fühlte er, wie der Hund zitterte. Er mußte nachsehen. Er mußte. Ein plötzliches Gefühl der Gewißheit überkam ihn: Das, was hatte geschehen sollen, war geschehen. In diesem Moment.

»Ich gehe nach oben, alter Junge«, murmelte Stu.

Er kroch zum östlichen Hang hinüber. Er war zwar steiler, aber dort hatte man den besseren Halt. Er hatte in den letzten Tagen überlegt, ob es ihm wohl gelingen würde, hinaufzuklettern, aber dann war es ihm wenig sinnvoll erschienen. Hier unten konnte er sich vor dem Wind schützen. Aber jetzt mußte er hinauf. Er mußte Ausschau halten. Er zog sein geschientes Bein hinter sich her wie eine Keule.

Er stützte sich auf die Hände und schaute nach oben. Der Hang sah sehr hoch aus, das Ziel sehr weit entfernt.

»Das schaffe ich nicht«, murmelte er, aber er versuchte es trotzdem. Ein neuer Haufen Geröll hatte sich unten aufgetürmt. Durch das... das Erdbeben. Oder was es auch gewesen sein mochte. Stu kroch über den Geröllhaufen hinweg und arbeitete sich Zoll für Zoll den Hang hinauf. Er schaffte knapp zwölf Meter und rutschte dann wieder sechs Meter nach unten, weil es ihm nicht gelang, sich rechtzeitig an einem vorspringenden Stück Quarz festzuhalten.

»Nein, es geht nicht«, ächzte er und ruhte sich ein wenig aus. Zehn Minuten später versuchte er es erneut. Er erreichte eine Stelle, wo er keinen Halt fand, und mußte nach links kriechen. Kojak war mitgekommen und wunderte sich vermutlich, warum dieser Narr sein Wasser und sein warmes Feuer verlassen hatte.

Warm. Zu warm.

Das Fieber mußte wiedergekommen sein. Aber wenigstens zitterte er nicht mehr. Frischer Schweiß lief ihm über Gesicht und Arme. Sein staubiges und fettiges Haar hing ihm in die Augen.

Mein Gott, ich verbrenne! Muß achtunddreißig, neununddreißig Grad...

Er schaute zufällig Kojak an. Es dauerte eine Minute, bis er begriff, was er gesehen hatte. Kojak hechelte. Es war kein Fieber, oder nicht einfach Fieber, denn Kojak fühlte sich ebenfalls heiß. Über ihm zog ein Schwärm Vögel vorbei, kreischend, ziellos, mit wildem Flügellschlag.

Sie spüren es auch. Was immer es sein mag, die Vögel spüren es auch.

Er kroch weiter, und die Angst verlieh ihm zusätzliche Kräfte. Er kämpfte um jeden Zoll. Gegen ein Uhr nachmittags war er nur noch ungefähr zwei Meter von der oberen Kante entfernt. Er sah oben schon die Straßentrümmer. Nur zwei Meter, aber der Hang war hier besonders steil. Einmal versuchte er weiterzuklettern, indem er sich wie eine Vipernatter wand und krümmte, aber das Geröll, aus dem das Straßenbett bestand, gab überall nach. Wenn er weiterstieg, würde er höchstens den Abhang wieder hinunterrutschen und sich womöglich auch noch das andere Bein brechen.

»Ich stecke fest«, murmelte er. »Na, großartig. Und was jetzt?«

Und was jetzt, wurde ihm sehr schnell deutlich. Auch ohne daß er herumkroch, bewegte sich der Boden unter ihm, und er rutschte ein Stück ab. Er versuchte, sich festzukrallen. In seinem gebrochenen Bein klopfte es, und er hatte vergessen, Glens Pillen einzustecken.

Er glitt noch zwei Zoll nach unten. Dann fünf. Plötzlich hing sein linker Fuß frei im Raum. Er hielt sich nur noch mit den Händen fest und begann abzurutschen. Seine Finger zogen zehn kleine Furchen in den feuchten Boden.

»Kojak!« schrie er verzweifelt und versprach sich nichts davon. Aber plötzlich war Kojak da. Blind legte Stu ihm die Arme um den Hals. Er erwartete keine Rettung, er hatte, wie ein Ertrinkender, ganz einfach nach irgend etwas gegriffen. Kojak versuchte nicht, sich von ihm zu lösen. Er stemmte sich mit den Pfoten in den Boden. Ein paar Sekunden lang hingen sie erstarrt wie lebende Skulpturen. Dann begann Kojak sich zu bewegen. Er versuchte, nach oben zu kommen. Seine Pfoten traten Erdbrocken und Geröll los, und Steine flogen Stu ins Gesicht. Er schloß die Augen. Kojak zog ihn nach oben und keuchte dabei neben Stus rechtem Ohr wie ein Kompressor.

Stu öffnete die Augen wieder und sah, daß sie fast oben waren. Kojak hielt den Kopf gesenkt. Seine Hinterbeine arbeiteten mit aller Kraft. Er schaffte noch ein paar Zoll, und das reichte. Mit einem verzweifelten Schrei ließ Stu Kojaks Hals los und griff nach einem vorstehenden Stück Asphalt. Es brach unter seinem Gewicht ab. Er packte einen zweiten Zacken. Zwei Fingernägel lösten sich langsam, wie feuchte Abziehbilder, und er schrie laut auf. Die Schmerzen waren gemein. Er stieß sich mit seinem gesunden Bein ab, wühlte sich mit verzweifelter Wut hinauf, und endlich – irgendwie – lag er keuchend und mit geschlossenen Augen auf der Straßendecke der 1-70.

Kojak tauchte neben ihm auf, winselte und leckte ihm das Gesicht. Ganz langsam richtete Stu sich auf und blickte nach Westen. Er schaute lange Zeit und dachte nicht mehr an die Hitze, die ihm immer noch in dichten, warmen Wellen ins Gesicht wehte.

»Oh, mein Gott«, sagte er endlich leise und mit brüchiger Stimme.

»Sieh dir das an, Kojak. Larry. Glen. Sie sind weg. Mein Gott, alles ist weg. Alles weg.«

Die pilzförmige Wolke stand am Horizont wie eine geballte Faust an einem langen staubigen Unterarm. Mit zerfransten Rändern stieg sie wirbelnd in die Höhe und begann sich aufzulösen. Hinter ihr sah Stu ein dunkles Orangerot, als hätte die Sonne beschlossen, schon am frühen Nachmittag unterzugehen.

Der Feuersturm,dachte er.

In Las Vegas mußten jetzt alle tot sein. Jemand mußte irgendwo irgendwie Scheiße gebaut haben, und ein nuklearer Sprengkopf war detoniert... und nach dem Anblick und nach seinem Gefühl zu urteilen ein verdammt großer. Vielleicht war ein ganzes Arsenal hochgegangen. Glen, Larry, Ralph... selbst wenn sie Vegas noch nicht erreicht hatten, mußten sie nahe genug gewesen sein, um lebendig gebacken zu werden.

Dicht neben ihm winselte Kojak kläglich.

Der Fallout. In welche Richtung wird der Wind ihn treiben? Spielte das eine Rolle?

Er dachte an die Nachricht für Frannie. Es war wichtig, daß er hinzufügte, was passiert war. Wenn der Wind den radioaktiven Fallout nach Osten wehte, könnte es dort drüben problematisch werden... wichtiger noch, wenn Las Vegas der Tummelplatz des dunklen Mannes gewesen war, dann mußten sie in Boulder erfahren, daß Vegas nicht mehr existierte. Die Leute waren verdampft, mitsamt dem tödlichen Spielzeug, das dort überall herumlag und nur darauf wartete, daß jemand es mitnahm. Das alles mußte er noch auf den Zettel schreiben.

Aber nicht jetzt. Er war jetzt zu müde. Der Aufstieg hatte ihn erschöpft, und der Anblick der sich auflösenden Pilzwolke hatte ihn sogar noch mehr erschöpft. Er empfand nicht die geringste Freude, sondern nur eine dumpfe Müdigkeit. Er legte sich auf die Straße, und sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, war: Wie viele Megatonnen? Aber das würde wahrscheinlich nie jemand erfahren oder erfahren wollen.



Er erwachte nach sechs Uhr. Die Pilzwolke war verschwunden, aber der Himmel im Westen war in ein zorniges Rosarot getaucht und sah aus wie eine große Brandwunde. Stu kroch zur Standspur hinüber und streckte sich aus. Er war schon wieder erschöpft. Er hatte auch wieder Schüttelfrost. Und Fieber. Mit dem Handgelenk berührte er die Stirn und versuchte, die Körpertemperatur zu schätzen. Nach seiner Vermutung betrug sie satte neununddreißig Grad. Kojak kam am frühen Abend mit einem Kaninchen im Maul zurück. Er legte es neben Stus Füße, wedelte mit dem Schwanz und wartete darauf, gelobt zu werden.

»Braver Hund«, sagte Stu müde. »Du bist ein braver Hund.«

Kojaks Schwanz bewegte sich noch schneller. Ja. Ich bin ein ganz schön braver Hund, schien er damit seine Zustimmung kundzutun. Aber er beäugte Stu weiter und schien auf etwas zu warten. Ein Teil des Rituals war unvollständig. Stu überlegte, was es sein könnte. Sein Gehirn funktionierte im Augenblick nur langsam. Jemand schien ihm, während er schlief, Melasse ins Getriebe geschüttet zu haben.

»Braver Hund«, wiederholte er und betrachtete das tote Kaninchen. Dann wußte er es, wenn er auch keine Ahnung hatte, ob er noch Streichhölzer besaß. »Hol, Kojak«, sagte er, hauptsächlich, um dem Hund eine Freude zu machen. Kojak sprang davon und kam mit einem großen trockenen Stück Holz zurück.

Er hatte seine Streichhölzer noch, aber der Wind wehte ziemlich stark und seine Hände zitterten. Es dauerte einige Zeit, bis das Feuer brannte. Die Späne brannten erst beim zehnten Streichholz, und dann blies der Wind die Flammen wieder aus. Vorsichtig zündete er es erneut an und hielt mit Körper und Händen den Wind ab. Er hatte jetzt noch acht Streichhölzer in einem Heftchen der LaSalle Business School. Er briet das Kaninchen und gab Kojak die Hälfte. Aber er schaffte seine Portion nicht und gab Kojak auch noch das restliche Fleisch. Kojak rührte es nicht an. Er betrachtete es und winselte Stu unruhig an.

»Los doch, Junge, ich kann nicht mehr.«

Jetzt erst fraß Kojak weiter. Stu beobachtete ihn, von Kälteschauern geschüttelt. Seine beiden Wolldecken lagen natürlich unten am Fuss des Hanges.

Die Sonne ging unter, und der westliche Himmel war von einer grotesken Färbung. Es war der spektakulärste Sonnenuntergang, den Stu in seinem Leben gesehen hatte... und es war Gift. Er konnte sich an den Berichterstatter in einer Movie-Tone-Wochenschau in den Fünfzigern erinnern, der einmal begeistert gesagt hatte, dass nach einer Atombombenexplosion die Sonnenuntergänge wochenlang immer besonders schön seien. Und nach Erdbeben, natürlich.

Kojak kam den Hang heraufgesprungen und trug etwas im Maul. Er ließ es Stu auf den Schoß fallen. Es war eine von Stus Wolldecken.

»He«, sagte Stu und umarmte ihn. »Du bist aber ein feiner Hund, weißt du das?«

Kojak wedelte mit dem Schwanz, um zu zeigen, daß er es wußte. Stu wickelte sich in die Wolldecke und legte sich näher ans Feuer. Kojak legte sich wieder neben ihn, und bald schliefen sie beide. Aber Stus Schlaf war leicht und unruhig. Immer wieder hatte er Fieberträume. Kurz nach Mitternacht weckte er Kojak, der im Schlaf wimmerte.

»Hap!« schrie Stu. »Stell lieber deine Pumpen ab! Er kommt! Der schwarze Mann kommt und holt dich! Stell lieber deine Pumpen ab!

Er ist in dem alten Auto da drüben!«

Kojak winselte beunruhigt. Der Mann war krank. Er konnte die Krankheit riechen. Und in diesen Geruch mischte sich ein neuer Geruch. Es war der Geruch der Kaninchen, die er gefangen hatte. Der Geruch war auch an dem Wolf gewesen, dem er die Eingeweide herausgerissen hatte, als er in Hemingford Home unter Mutter Abagails Veranda saß. Der Geruch war in den Städten gewesen, durch die er auf dem Weg nach Boulder und zu Glen Bateman gekommen war. Es war der Geruch des Todes. Wenn es nur möglich wäre, ihn anzugreifen und aus dem Mann herauszujagen, dann hätte er es getan. Aber der Geruch steckte in dem Mann. Der Mann atmete gute Luft und strömte den Geruch des nahenden Todes aus, und man konnte nichts tun als abwarten und es bis zum Ende durchstehen. Kojak jaulte noch einmal leise und schlief dann ein. Als Stu am nächsten Morgen aufwachte, war sein Fieber noch schlimmer geworden. Die Drüsen unter seinem Kinn waren zu der Größe von Golfbällen geschwollen. Seine Augen waren heiße Glasmurmeln.

Ich sterbe... ja, das steht fest.

Er rief Kojak heran und nahm die Nachricht an Frannie aus der Plastikhülle, die Kojak an seinem Halsband trug. In sorgfältiger Druckschrift notierte er, was er gesehen hatte, und steckte den Zettel wieder zurück. Er legte sich wieder hin und schlief. Und irgendwie war es dann schon fast wieder dunkel. Ein weiterer schrecklicher Sonnenuntergang glühte zuckend am westlichen Himmel. Und Kojak hatte zum Abendessen einen Ziesel gefangen.

»Nicht dein bester Tag heute, was?« sagte Stu.

Kojak wedelte mit dem Schwanz und grinste verschämt. Stu briet das Tier, teilte es auf und aß seine ganze Hälfte. Das Fleisch war zäh und hatte einen entsetzlichen Wildgeschmack, und als er gegessen hatte, bekam er Magenkrämpfe.

»Wenn ich sterbe, mußt du zurück nach Boulder laufen«, sagte er zu dem Hund. »Du läufst zurück und suchst Fran. Such Frannie. Okay, du dicker alter dummer Hund?«

Kojak wedelte pessimistisch mit dem Schwanz.

Eine Stunde später schlug Stus Magen urplötzlich Alarm durch lautes Rumoren. Stu hatte gerade noch Zeit, sich auf die Seite zu rollen und auf einem Ellenbogen abzustützen, um sich nicht mit seiner Portion Ziesel zu bekleckern, die er keuchend und würgend erbrach.

»Scheiße«, murmelte er mürrisch, legte sich zurück und döste ein. Er wachte frühmorgens auf und stützte sich auf die Ellenbogen. Sein Kopf summte vor Fieber. Er sah, daß das Feuer erloschen war. Es spielte keine Rolle. Er war ziemlich erledigt.

Irgendein Geräusch in der Dunkelheit hatte ihn geweckt. Kiesel und Geröll. Kojak war wieder den Hang hinaufgesprungen. Das war der Grund. Weiter nichts...

Aber Kojak lag neben ihm und schlief.

Kaum hatte Stu dies mit einem raschen Blick festgestellt, wachte Kojak schon auf. Er hob den Kopf von den Pfoten und war sofort auf den Beinen. Er wandte sich zum Hang und knurrte tief in der Kehle. Wieder prasselten Steine. Irgend jemand – irgend etwas – kam dort herauf.

Stu richtete sich mit Mühe auf. Das ist er,dachte er. Er war drüben, aber irgendwie ist er entkommen. Und jetzt ist er hier, um mich zu erledigen, bevor die Grippe es tut.

Kojak knurrte jetzt lauter. Seine Nackenhaare standen aufrecht, und er hielt den Kopf gesenkt. Stu hörte ein leises keuchendes Geräusch. Dann war einen Augenblick lang nichts zu vernehmen, und Stu konnte sich rasch den Schweiß von der Stirn wischen. Sekunden später tauchte am Abhang eine dunkle Gestalt auf, die mit Kopf und Schultern die Sterne verdeckte.


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