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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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» Deine Füße tun seit zwanzig verdammten Blocks weh, und du hast nichts gesagt?«

»Ich dachte... es würde... aufhören... nicht mehr wehtun... ich wollte nicht... wir sind so gut vorangekommen... aus der Stadt raus... ich dachte einfach...«

»Du hast überhaupt nicht gedacht«, sagte er wütend. »Wie sollen wir vor. ankommen, wenn du so rumläufst? Deine Scheißfüße sehen aus, als hätte man dich gekreuzigt.«

»Fluch mich nicht an, Larry«, sagte sie und fing an zu schluchzen.

»Bitte, nicht... es ist schrecklich, wenn du... bitte fluch mich nicht an...«

Aber er war jetzt in einer Ekstase der Wut, und später sollte er überhaupt nicht mehr begreifen, wieso der Anblick ihrer blutenden Füße seine sämtlichen Sicherungen derart hatte durchbrennen lassen. Im Augenblick war ihm das egal. Er schrie ihr ins Gesicht: » Scheiße! Scheiße! Scheiße!« Das Wort hallte schwach und sinnlos von den Fassaden der Hochhäuser wider.

Sie schlug die Hände vors Gesicht und krümmte sich weinend nach vorne. Das machte ihn nur noch wütender, und er vermutete, teilweise deshalb, weil sie einfach nicht sehen wollte: Sie schlug einfach die Hände vors Gesicht und ließ sich von ihm führen; warum auch nicht, es war immer jemand da gewesen, der gut für unsere Heldin Klein-Rita gesorgt hatte. Jemand, der den Wagen fuhr, die Einkäufe erledigte, das Toilettenbecken scheuerte und die Einkommensteuererklärung ausfüllte. Also legen wir einfach den zum Kotzen süßlichen Debussy auf, schlagen die gut manikürten Hände vor die Augen und überlassen alles andere Larry. Paß gut auf mich auf, Larry! Nachdem ich gesehen habe, was mit dem MonsterSchreier passiert ist, habe ich beschlossen, daß ich überhaupt nichts mehr sehen will. Für jemanden meiner Herkunft ist das alles doch recht unerquicklich.

Er riß ihr die Hände weg. Sie zuckte zusammen und versuchte, sie wieder vor die Augen zu legen.

»Sieh mich an.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Verdammt noch mal, sieh mich an, Rita.«

Schließlich sah sie ihn an, aber so ängstlich, als rechnete sie damit, daß er sie nicht nur mit Worten, sondern auch mit den Fäusten bearbeiten würde. Wie ihm momentan zum Teil zumute war, käme ihm das genau recht.

»Ich will dir mal ein paar Tatsachen erklären, weil du sie ganz offensichtlich nicht begreifst. Tatsache ist, daß wir vielleicht zwanzig oder dreißig Meilen zu Fuß gehen müssen. Tatsache ist, daß deine aufgescheuerte Haut sich entzünden könnte, und du könntest eine Blutvergiftung bekommen und sterben. Tatsache ist, du mußt endlich den Arsch bewegen und mir helfen.«

Er hatte sie am Oberarm festgehalten und sah, daß seine Daumen fast in ihrem Fleisch verschwunden waren. Seine Wut ließ nach, als er sie losließ und die roten Stellen sichtbar wurden. Er trat ein Stück zurück, fühlte sich wieder unsicher, von der niederschmetternden Einsicht erfüllt, daß er völlig überzogen reagiert hatte. Larry Underwood schlägt wieder zu. Wenn er so verdammt schlau war, warum hatte er dann nicht vorher ihre Schuhe überprüft?

Weil, das ihr Problem ist, sagte eine mürrische Stimme in ihm zur Verteidigung.

Nein, das stimmte nicht. Es war seinProblem gewesen. Sie wußte es nicht. Wenn er sie mitnehmen wollte (und erst heute hatte er sich überlegt, wieviel einfacher das Leben wäre, wenn er sie nicht mitgenommen hätte), dann war er ganz einfach für sie verantwortlich.

Einen Scheißdreck bin ich, sagte die mürrische Stimme. Seine Mutter: Du willst nur immer nehmen, Larry.

Die Oralhygienikerin, die ihm aus dem Fenster nachgerufen hatte: Ich dachte, du bist ein netter Kerl! Du bist kein netter Kerl!

Dir fehlt etwas, Larry. Du willst nur immer nehmen.

Das ist eine Lüge. Das ist eine gottverdammte Lüge!

»Rita«, sagte er, »es tut mir leid.«

Sie setzte sich mit der ärmellosen Bluse und der weißen Hose auf den Gehweg, ihr Haar sah grau und alt aus. Sie senkte den Kopf und hielt sich den verletzten Fuß. Sie sah ihn nicht an.

»Es tut mir leid«, wiederholte er. »Ich... hör zu, ich hatte kein Recht, so mit dir zu reden.« Er hatte natürlich das Recht, aber das spielte keine Rolle. Wenn man sich entschuldigt, konnte man die Dinge bereinigen. Das war der Lauf der Welt.

»Geh nur weiter, Larry«, sagte sie, »laß dich von mir nicht aufhalten.«

»Ich hab' gesagt, daß es mir leid tut«, sagte er mit leicht verdrossener Stimme. »Wir werden dir neue Schuhe und weiße Socken besorgen. Wir...«

»Nichts werden wir. Geh.«

»Rita, es tut mir leid...«

»Wenn du das noch einmal sagst, schreie ich. Du bist ein Drecksack, und ich akzeptiere deine Entschuldigung nicht. Und jetzt geh.«

»Ich habe doch gesagt...«

Sie warf den Kopf zurück und kreischte. Er ging einen Schritt zurück und sah sich um, ob jemand sie gehört hatte, ob vielleicht ein Polizist herbeirannte, um zu sehen, was für entsetzliche Dinge dieser junge Bursche der alten Dame zufügte, die mit ausgezogenen Schuhen auf dem Gehweg saß. Kulturelle Konditionierung, dachte er abwesend, zum Schreien komisch.

Sie hörte auf zu schreien und sah ihn an. Sie winkte mit der Hand, als wäre er eine lästige Fliege.

»Hör besser auf«, sagte er, »oder ich gehe wirklich.«

Sie sah ihn nur an. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen, senkte den Blick und haßte sie, weil sie ihn so weit gebracht hatte.

»Also gut«, sagte er. »Viel Spaß, wenn du vergewaltigt und ermordet wirst.«

Er schulterte das Gewehr und ging weiter, jetzt nach links zur von Autos verstopften Einfahrt der 495, die zum Tunnel hinunterführte. Er sah, daß es am Ende der Einfahrt zu einem schlimmen Unfall gekommen war; der Fahrer eines Mayflower-Möbelwagens hatte versucht, sich in den Verkehrsstrom einzufädeln, Autos lagen um ihn herum wie umgeworfene Kegel. Ein ausgebrannter Pinto lag fast unter dem Lastwagen. Der Fahrer des Lasters hing halb aus der Fahrerkabine, sein Kopf hing herab, die Arme baumelten herunter. Getrocknetes Blut und Kotze klebten fächerförmig unter ihm an der Tür.

Larry drehte sich um und war überzeugt, daß Rita ihm entweder folgen oder dastehen und ihn vorwurfsvoll ansehen würde. Aber Rita war verschwunden.

»Hol dich der Teufel«, sagte er nervös und beleidigt. »Ich habe versucht, mich zu entschuldigen.«

Einen Augenblick konnte er nicht weiter; er fühlte sich von Hunderten von wütenden toten Augen gepfählt, die ihn aus den vielen Autos anstarrten. Ihm fielen ein paar Zeilen von Bob Dylan ein: » I waited for you inside the frozen traffic... when you knew I had some other place to be... but where are you tonight, sweet Marie?«

Vor sich sah er dichten Verkehr auf vier nach Westen führenden Fahrspuren im dunklen Halbrund des Tunnels verschwinden und bemerkte mit einem Anflug von Grauen, daß die Neonlampen im Tunnel nicht brannten. Als würde er in einen Autofriedhof gehen. Sie würden warten, bis er in der Mitte war, und dann würden sie alle anfangen, sich zu bewegen... lebendig zu werden ...er würde hören, wie sich die Autotüren öffneten und leise wieder schlössen... ihre leisen, schlurfenden Schritte...

Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus. Über ihm krächzte ein Vogel, und Larry schrak zusammen. Du bist albern, sagte er sich. Kindisches Zeug, weiter nichts. Du mußt nur auf dem Fußgängerweg bleiben und wirst in Null Komma nichts...

... von den wandelnden Toten erwürgt.

Er leckte sich die Lippen und versuchte zu lachen. Es hörte sich schlimm an. Er ging fünf Schritte zu der Stelle, wo die Einfahrt sich in den Highway einfädelte, und blieb dann stehen. Links von ihm stand ein Caddy, ein El Dorado, und eine Frau mit schwarzem Trollgesicht starrte ihn an. Sie drückte die Nase am Fenster platt. Blut und Rotz waren an der Scheibe herabgelaufen. Der Mann, der den Caddy gefahren hatte, hing über dem Steuer, als würde er etwas auf dem Boden suchen. Alle Fenster des Caddy waren geschlossen; da drinnen mußte es wie in einem Treibhaus sein. Wenn er die Tür aufmachte, würde die Frau herausfallen und auf dem Pflaster zerplatzen wie ein Sack verrotteter Melonen, und der Gestank würde warm und süß sein, naß und von Fäulnis erfüllt.

Und so würde es auch im Tunnel stinken.

Larry drehte sich unvermittelt um, stapfte den Weg zurück, den er gekommen war, und spürte, wie der Wind, den er selbst erzeugte, den Schweiß auf seiner Stirn abkühlte.

»Rita! Rita, hör zu! Ich will...«

Die Worte erstarben, als er wieder oben an der Einfahrt angekommen war. Rita war immer noch verschwunden. Die 39. Straße schrumpfte zu einem Punkt zusammen. Er lief vom südlichen Gehweg zum nördlichen hinüber, zwängte sich zwischen Stoßstangen hindurch und kletterte über Motorhauben, die so heiss waren, daß man fast Blasen an den Händen bekommen konnte. Aber der nördliche Gehweg war ebenfalls verlassen. Er hob die Hände trichterförmig an den Mund und rief: »Rita! Rital«

Die einzige Antwort war ein totes Echo: » Rita.. .ita.. .ita...«



Gegen vier Uhr hatten sich dunkle Wolken über Manhattan zusammengezogen, und Donner grollte über den Steinschluchten der Stadt. Gabelförmige Blitze zuckten auf die Häuser herab. Es war, als würde Gott versuchen, die wenigen Überlebenden zu erschrecken, damit sie aus ihren Verstecken kamen. Das Licht war gelb und seltsam geworden, was Larry überhaupt nicht gefiel. Sein Magen war verkrampft; als er eine Zigarette anzündete, zitterte sie so in seiner Hand wie die Kaffeetasse heute morgen in Ritas. Er saß am Straßenende der Einfahrt und lehnte sich an die unterste Stange des Geländers. Den Rucksack hatte er auf dem Schoß, und die doppelläufige 30er lehnte neben ihm am Geländer. Er hatte geglaubt, sie würde sich ängstigen und früher oder später wieder zu ihm zurückkommen, aber das hatte sie nicht getan. Vor fünfzehn Minuten hatte er es aufgegeben, sie zu rufen. Das Echo machte ihn nervös.

Wieder grollte Donner, diesmal ganz nahe. Ein kalter Wind strich mit der Hand über den Rücken seines Hemdes, das ihm mit Schweiß an der Haut klebte. Er mußte sich irgendwo unterstellen oder mit dem Scheiß aufhören und durch den Tunnel gehen. Wenn er den Mumm dazu nicht aufbrachte, würde er eine weitere Nacht in der Stadt verbringen und am nächsten Morgen über die George Washington Bridge gehen müssen, aber die lag 140 Blocks nördlich. Er versuchte, sachlich über den Tunnel nachzudenken. Da drinnen war nichts, was ihn beißen würde. Er hatte vergessen, eine starke Taschenlampe mitzunehmen – Herrgott, man konnte doch nicht an alles denken -, aber er hatte sein Bic-Gasfeuerzeug, und zwischen dem Fußgängerweg und der Straße verlief ein Geländer. Alles andere... an die Toten in ihren Autos zu denken, zum Beispiel... das war nur die Panik in ihm, dummes Zeug aus Comics, etwa so vernünftig, als würde man an den Schwarzen Mann im Schrank denken. Wenn du an nichts anderes denken kannst, Larry (ermahnte er sich), wirst du in dieser schönen neuen Welt nicht weiterkommen. Wirklich nicht. Du bist...

Fast direkt über ihm riß ein Blitz den Himmel auf, er zuckte zusammen. Ein gewaltiger Donnerschlag folgte. Wir haben den 1. Juli, fiel ihm ein, heute müßte man eigentlich mit seiner Süßen nach Coney Island fahren und im Dutzend Hot Dogs essen. Mit einem einzigen Ball die drei hölzernen Milchflaschen umwerfen und die Kewpie-Puppe gewinnen. Und abends das Feuerwerk ... Ein kalter Regenguß klatschte ihm ins Gesicht, ein zweiter traf seinen Hals und lief ihm in den Hemdkragen. Große Tropfen gingen um ihn herum nieder. Er stand auf, warf sich den Rucksack über die Schulter und nahm das Gewehr auf. Er wußte immer noch nicht, wohin er gehen sollte – zurück zur 39th oder in den Lincoln Tunnel. Aber er mußte irgendeinen Unterschlupf finden, denn es fing an zu schütten.

Droben grollte Donner mit einem gewaltigen Brüllen, und er schrie auf vor Entsetzen – ein Schrei, der sich in nichts von denen unterschied, die vor zwei Millionen Jahren die Cromagnon-Menschen ausgestoßen haben mochten. »Du elender Feigling«, sagte er und lief auf den Schlund des Tunnels zu und beugte den Kopf tiefer, weil der Regen noch heftiger herunterprasselte. Das Wasser tropfte ihm schon aus den Haaren. Larry lief an der Frau vorbei, die die Nase gegen das Beifahrerfenster des El Dorado drückte, und versuchte, nicht hinzuschauen, aber er sah sie trotzdem aus dem Augenwinkel. Der Regen trommelte auf die Autodächer wie ein Schlagzeugsolo. Er fiel jetzt so heftig, daß die Tropfen wieder hochspritzten und einen leichten Dunstschleier bildeten.

Larry blieb eine Weile unentschlossen und wieder ängstlich vor dem Tunneleingang stehen. Dann fing es an zu hageln, und das gab den Ausschlag. Die Hagelkörner waren groß und schmerzhaft. Donner brüllte erneut.

Okay, dachte er. Okay, okay, okay, das hat mich überzeugt. Er trat in den Lincoln Tunnel.



Drinnen war es viel schwärzer, als er gedacht hatte. Zuerst warf die Öffnung hinter ihm noch spärliches weißes Licht herein, und er konnte noch mehr Autos sehen, Stoßstange an Stoßstange (es mußte schrecklich gewesen sein, hier zu sterben, dachte er, und die Klaustrophobie schlang ihren klammen Bananenfinger zärtlich um seinen Kopf, liebkoste ihn und drückte ihm die Schläfen zusammen, es mußte wirklich schrecklich, es mußte verdammt grauenhaftgewesen sein), und die grünlich-weißen Fliesen, die die gewölbten Wände bedeckten. Rechts sah er das Fußgängergeländer, das sich im Dunkel verlor, links standen in Abständen von zehn oder zwölf Metern große Stützpfeiler. Ein Zeichen riet: NICHT DIE FAHRSPUR WECHSELN. In der Tunneldecke waren dunkle Neonlampen und die leeren Glasaugen von Videokameras eingelassen. Als er die erste sanft geneigte Kurve hinter sich hatte, die leicht nach rechts verlief, wurde das Licht trüber, bis er nur noch das gedämpfte Blinken der Chromleisten sah. Danach hörte das Licht einfach auf zu existieren.

Er kramte das Bic aus der Tasche, hielt es hoch und drehte das Rad. Das Licht, das es erzeugte, war jämmerlich klein und machte sein Unbehagen eher größer als kleiner. Selbst wenn er die Flamme ganz aufdrehte, bekam er einen Lichtkreis von höchstens anderthalb Metern Durchmesser.

Er steckte es wieder in die Tasche und ging weiter, wobei er mit der Hand sanft am Geländer entlangstrich. Auch hier drinnen gab es ein Echo, und das gefiel ihm noch weniger als das draußen. Das Echo hörte sich an, als wäre jemand hinter ihm... als würde er verfolgt. Er blieb ein paarmal mit schiefgelegtem Kopf und weit aufgerissenen (aber blinden) Augen stehen und wartete, bis das Echo verstummt war. Nach einer Weile schlich er nur noch, ohne die Füße vom Boden zu nehmen, damit das Echo nicht wiederkehrte. Bald darauf blieb er wieder stehen und hielt das Feuerzeug dicht an die Armbanduhr. Es war 4.20 Uhr, aber er wußte nichts damit anzufangen. In dieser Schwärze schien die Zeit keine objektive Bedeutung zu haben. Entfernung im übrigen auch nicht; wie lang war der Lincoln Tunnel überhaupt? Eine Meile? Zwei? Der Hudson war doch keine zwei Meilen breit. Sagen wir, eine Meile. Aber wenn es nur eine Meile war, hätte er schon lange das andere Ende erreicht haben müssen. Wenn der durchschnittliche Mensch vier Meilen in einer Stunde zurücklegt, kann er eine Meile in fünfzehn Minuten schaffen, und er steckte schon fünf Minuten länger in diesem stinkenden Loch.

»Ich gehe viel langsamer«, sagte er und erschrak beim Klang seiner eigenen Stimme. Das Feuerzeug fiel ihm aus der Hand und schlug mit einem Klicken auf dem Pflaster auf. Das Echo antwortete ihm und verzerrte sich zu der gefährlich heiteren Stimme eines näher kommenden Irren:

». ..viel langsamer... samer... samer...«

»Mein Gott«, murmelte Larry, und das Echo flüsterte: „o tt... ott... ott«

Er strich sich mit der Hand übers Gesicht und versuchte, die aufsteigende Panik zu bekämpfen und den Drang, nicht mehr zu denken, sondern einfach blind loszustürmen. Statt dessen kniete er sich hin (seine Knie hallten wie Pistolenschüsse, was ihm wieder angst machte) und strich mit den Fingern über die Miniaturtopographie des Fußgängerwegs – unebenmäßige Täler im Beton, die Erhebung einer alten Zigarettenkippe, den Berg einer zusammengeknüllten Metallfolie – und zu guter Letzt sein Bic. Mit einem inneren Seufzer der Erleichterung nahm er es fest in die Hand, stand auf und ging weiter.

Larry hatte sich allmählich wieder unter Kontrolle, als er mit dem Fuss gegen etwas Steifes und Unnachgiebiges stieß. Er stieß eine Art inhalierenden Schrei aus und taumelte zwei Schritte rückwärts. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, während er das Bic-Feuerzeug aus der Tasche holte und anzündete. Die Flamme flackerte irre in seinem zitternden Griff.

Er war auf die Hand eines Soldaten getreten. Dieser saß mit dem Rücken an die Tunnelwand gelehnt und streckte die Beine über den Fußgängerweg aus, ein grausiger Wachposten, der den Durchgang versperrte. Er starrte Larry aus glasigen Augen an. Seine Lippen waren von den Zähnen gefault, er schien zu grinsen. Ein Springmesser ragte keck aus seinem Hals.

Das Feuerzeug in Larrys Hand wurde warm. Er ließ es ausgehen. Er leckte sich die Lippen, klammerte sich an das Geländer und zwang sich dazu weiter' zugehen, bis er mit der Schuhspitze wieder gegen die Hand des toten Soldaten stieß. Mit einem übertriebenen langen Schritt stieg er über ihn hinweg, und plötzlich überkam ihn eine Art alptraumhafte Gewißheit. Er würde das Scharren der Stiefel hören, wenn der Soldat sich bewegte, und dann würde der Soldat ihn mit kaltem Griff am Bein packen.

In schlurfendem Trab lief Larry noch zehn Schritte und blieb dann stehen, weil er wußte, wenn er nicht stehenblieb, würde die Panik wieder die Oberhand gewinnen, und er würde, von einem schrecklichen Regiment Echos verfolgt, blind weiterlaufen. Als er merkte, daß er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, ging er weiter. Aber jetzt war es noch schlimmer; die Zehen schrumpften ihm in den Schuhen zusammen, er fürchtete, jeden Moment wieder über eine Leiche zu stolpern... und gleich darauf geschah es auch.

Er stöhnte und holte das Feuerzeug wieder aus der Tasche. Diesmal war es noch schlimmer. Die Leiche, die er mit dem Fuß angestoßen hatte, war die eines alten Mannes im blauen Anzug. Die Schirmmütze aus schwarzer Seide war ihm vom kahlen Schädel auf den Schoß gerutscht. Am Aufschlag trug er einen sechszackigen silbernen Stern. Hinter ihm lag noch ein halbes Dutzend Leichen: zwei Frauen, ein Mann in mittlerem Alter, eine Frau von vielleicht Ende Siebzig und zwei halbwüchsige Jungen.

Das Feuerzeug wurde so heiß, daß er es nicht mehr halten konnte. Er machte es aus und ließ es in die Hosentasche gleiten, wo es wie warme Kohle an seinem Bein glomm. Diese Leute waren ebensowenig wie der Soldat von Capt ain Trips dahingerafft worden. Larry hatte das Blut gesehen, die zerrissene Kleidung, die zersplitterten Fliesen, die Einschußlöcher. Sie waren niedergeschossen worden. Larry erinnerte sich an die Gerüchte, dass die Ausfallstraßen von Manhattan Island von Soldaten abgesperrt worden seien. Er hatte nicht gewußt, ob er das glauben sollte; er hatte im Laufe des allgemeinen Zusammenbruchs in der letzten Woche so viele Gerüchte gehört.

Die Situation hier war leicht zu rekonstruieren. Sie waren im Tunnel erwischt worden, aber nicht so krank gewesen, daß sie nicht mehr gehen konnten. Sie waren aus den Fahrzeugen ausgestiegen und zu Fuß in Richtung Jersey gegangen, auf dem Gehweg, genau wie er. Ein Militärkommando hatte gewartet, eine Maschinengewehrstellung, irgendwas in der Art.

Schwitzend stand Larry da und versuchte, einen Entschluß zu fassen. Die undurchdringliche Dunkelheit bot die perfekte Bühne, auf der seine Gedanken ihre Phantasien inszenieren konnten. Er sah: grimmig blickende Soldaten in virensicheren Anzügen hinter einem Maschinengewehr mit Infrarot -Zieleinrichtungen sitzen, deren Aufgabe es war, jeden zu erschießen, der versuchte, durch den Tunnel zu gelangen; einen einzelnen Soldaten als Selbstmordkommando, der mit einer Infrarotbrille vor den Augen und einem Messer zwischen den Zähnen auf ihn zukroch; zwei Soldaten, die stumm einen Mörser mit einer Giftgasgranate luden. Und doch konnte er sich nicht zur Umkehr entschließen: Er war ganz sicher, daß seine Vorstellungen Hirngespinste waren, und der Gedanke, wieder zurückzugehen, war unerträglich. Bestimmt waren die Soldaten jetzt fort. Der tote Soldat, über den er gestiegen war, schien das zu bestätigen...

Aber was ihm wirklich Sorgen machte, schätzte er, waren die Leichen direkt vor ihm. Sie lagen fast zwei Meter hoch übereinander. Er konnte nicht einfach über sie hinwegsteigen wie über den toten Soldaten. Und wenn er vom Fußgängerweg sprang, um ihnen auszuweichen, riskierte er, sich Bein oder Knöchel zu brechen. Wenn er weiterwollte, mußte er... nun, über sie steigen. Hinter ihm bewegte sich etwas in der Dunkelheit.

Larry fuhr herum und empfand schon allein durch diesen Knirschlaut wieder Angst... ein Schritt.

»Wer ist da?« rief er und schlang das Gewehr von der Schulter. Als das Geräusch verstummte, hörte er leises Atmen – oder glaubte es zu hören. Er starrte glubschäugig in die Dunkelheit, seine Nackenhaare sträubten sich. Er hielt den Atem an. Kein Laut. Er glaubte schon an eine Sinnestäuschung, aber dann hörte er es wieder... ein leiser, schleichender Schritt.

Er fummelte panisch nach dem Feuerzeug. Der Gedanke, daß es ihn zum Ziel machen könnte, kam ihm erst gar nicht. Als er es aus der Tasche zog, verfing sich das Rädchen am Saum, und das Feuerzeug glitt ihm aus der Hand. Er hörte ein Klick, als es gegen das Geländer prallte, dann ein leises Plong, als es auf Kühlerhaube oder Kofferraum eines Autos aufschlug.

Wieder hörte er die leisen, gleitenden Schritte, diesmal etwas näher, aber es war unmöglich zu sagen, wie nahe. Jemand kam und wollte ihn umbringen, und sein panischer Verstand gaukelte ihm das Bild des Soldaten mit dem Messer in der Kehle vor, der in der Dunkelheit langsam auf ihn zuschlich...

Wieder ein leiser, knirschender Schritt.

Larry besann sich auf die Flinte. Er riß den Kolben an die Schulter und feuerte. Die Explosionen waren in dem geschlossenen Raum ohrenbetäubend laut; er schrie auf bei dem Geräusch, aber der Schrei ging im Dröhnen unter. Während das Feuer aus der doppelläufigen 30er hervorschoß, sah er die Fliesen an den Wänden und die einzelnen Fahrzeuge in der Wagenschlange wie eine Serie von Schwarzweiß-Blitzlichtbildern. Querschläger heulten wie Banshees. Der Kolben schlug ihm immer wieder gegen die Schulter, bis sie ganz taub war, bis er merkte, daß der Rückstoß ihn auf den Füßen gedreht hatte und er über die Fahrbahn schoß anstatt über den Fußgängerweg. Trotzdem konnte er nicht aufhören. Sein Finger hatte die Funktion des Gehirns übernommen und verkrampfte sich automatisch, bis Larry nur noch das trockene und ohnmächtige Klicken des Schlagbolzens hörte.

Das Echo rollte davon. Grelle, dreifach belichtete Nachbrenner schwebten vor seinen Augen. Er nahm schwach Korditgestank und das Wimmern wahr, das er tief in der Brust erzeugte. Er wirbelte herum, die Flinte noch in der Hand, und jetzt sah er im Geiste nicht mehr die Soldaten in ihren sterilen Andromeda-Anzügen auf der Kinoleinwand seines Verstandes, sondern die Morlocks aus der Illustrierte-Klassiker-Version von H. G. Wells' Zeitmaschine, bucklige und blinde Geschöpfe, die aus den Löchern in der Erde krochen, wo in den Eingeweiden der Erde unablässig Maschinen liefen.

Dann arbeitete er sich über die weiche und doch starre Barrikade der Leichen hinweg, stolperte, stürzte beinahe, packte das Geländer, hastete weiter. Sein Fuß trat in etwas gräßlich Schleimiges; gasiger Fäulnisgeruch stieg auf, den er kaum bemerkte. Keuchend eilte er weiter.

Plötzlich hörte er hinter sich einen lauten Schrei in der Dunkelheit und blieb wie angewurzelt stehen. Es war ein verzweifelter, kläglicher Laut, hart an der Grenze zum Wahnsinn: » Larry! O Larry, um Gottes willen...«

Es war Rita Blakemoor.

Er drehte sich um. Jetzt hörte er ein Schluchzen, ein wildes Schluchzen, das neue Echos erzeugte. Einen Moment war er wütend entschlossen, trotzdem weiterzugehen und sie zurückzulassen. Sie würde den Weg nach draußen schon finden, warum sollte er sich erneut mit ihr belasten? Aber dann riß er sich zusammen und schrie:

»Rita! Bleib, wo du bist. Kannst du mich hören?«

Das Schluchzen hielt an.

Er stolperte über den Leichenhaufen zurück und versuchte, die Luft anzuhalten, das Gesicht zu einer Grimasse des Ekels verzerrt. Dann lief er auf sie zu, wußte aber wegen des verzerrenden Echos nicht, wie weit er noch laufen mußte. Schließlich wäre er fast über sie gefallen.

» Larry...« Sie warf sich gegen ihn und klammerte sich mit der Kraft eines Würgers an seinen Hals. Er spürte, wie ihr Herz unter der Bluse mit halsbrecherischer Geschwindigkeit raste.

»Larry Larry laß mich hier nicht allein laß mich hier nicht in der Dunkelheit allein...«

»Nein.« Er hielt sie fest. »Habe ich dich verletzt? Bist... bist du getroffen ?«

»Nein... ich habe den Luftzug gespürt... eine sauste so nahe vorbei, daß ich den Luftzug gespürt habe... und die Splitter... ich glaube, von den Fliesen... in meinem Gesicht... haben mir das Gesicht...«

»Herrgott, Rita, das wußte ich nicht. Ich wäre fast ausgeflippt. Die Dunkelheit. Und ich habe mein Feuerzeug verloren... Du hättest rufen sollen. Ich hätte dich töten können.« Jetzt wurde ihm erst klar, daß das stimmte. » Ich hätte dich töten können«, wiederholte er wie eine fassungslose Offenbarung.

»Ich war nicht sicher, ob du es bist. Als du die Einfahrt runtergegangen bist, bin ich in ein Mietshaus. Du bist zurückgekommen und hast gerufen, und ich hätte beinahe... aber ich konnte nicht... als es zu regnen angefangen hatte, sind zwei Männer gekommen... ich glaube, sie haben nach uns gesucht... oder nach mir. Also bin ich geblieben, wo ich war, und als sie weg waren, dachte ich mir, vielleicht sind sie gar nicht weg, vielleicht verstecken sie sich und warten auf mich, darum habe ich mich nicht getraut, wieder rauszugehen, bis ich dachte, du wärst bestimmt schon auf der anderen Seite und ich würde dich nie wiedersehen... also habe ich... ich... Larry, du verläßt mich nicht, ja? Du gehst nicht weg?«

»Nein«, sagte er.

»Ich hatte unrecht, was ich gesagt habe, war verkehrt, du hattest recht, ich hätte dir das mit den Sandalen sagen sollen, ich meine die Schuhe, ich esse, wenn du es sagst... ich... ich... ooooohhooo...«

»Pssst«, sagte er und hielt sie fest. »Jetzt ist alles wieder gut. Alles gut.«

Aber in Gedanken sah er sich in blinder Panik auf sie schießen und dachte, wie leicht hätte eine Kugel ihr den Arm zerschmettern oder den Magen durchbohren können. Plötzlich mußte er dringend auf die Toilette, und seine Zähne wollten klappern. »Wir bleiben hier, bis du wieder gehen kannst. Laß dir Zeit.«

»Da war ein Mann... ich glaube, es war ein Mann... ich bin auf ihn getreten, Larry.« Sie schluckte und schnalzte dabei im Hals. »Ich hätte fast geschrien, aber ich habe es nicht getan, weil ich dachte, daß du es vielleicht nicht bist, sondern einer der beiden Männer. Und als du gerufen hast... das Echo... ich wußte nicht, ob du es warst... oder... oder...«

»Vor uns liegen noch mehr Tote. Kannst du das ertragen?«

»Wenn du bei mir bist. Bitte... wenn du bei mir bist.«

»Ich bin ja bei dir.«

»Dann gehen wir. Ich will hier raus.« Sie drückte sich krampfhaft zitternd an ihn. »Ich habe mir in meinem ganzen Leben noch nichts so sehr gewünscht.«

Er tastete nach ihrem Gesicht und küßte sie, erst die Nase, dann jedes Auge, dann den Mund.

»Danke«, sagte er unterwürfig, hatte aber nicht die leiseste Ahnung, was er meinte. »Danke. Danke.«

»Danke«, wiederholte sie. »O liebster Larry. Du verläßt mich nicht, ja?«

»Nein«, sagte er. »Ich verlasse dich nicht. Sag mir, wenn du bereit bist, Rita, dann gehen wir gemeinsam.«

Als sie sich bereit fühlte, gingen sie.



Sie stiegen über die Leichen hinweg und hatten sich dabei gegenseitig die Arme um die Schultern gelegt wie zwei Betrunkene, die aus einer Kneipe nach Hause stolpern. Ein Stück weiter kamen sie wieder an ein Hindernis. Es war nicht zu erkennen, aber als sie es mit den Händen betastet hatten, meinte Rita, daß es ein hochkant gestelltes Bett sein könnte. Mit ve reinten Kräften hoben sie es über das Geländer. Es krachte mit einem lauten Knall auf eins der Autos, daß sie beide zusammenzuckten und sich aneinander festhielten. Hinter der Stelle, wo das Bett gestanden hatte, lagen weitere drei Leichen, und Larry vermutete, daß es die der Soldaten waren, die die jüdische Familie erschossen hatten. Sie stiegen über sie hinweg und gingen Hand in Hand weiter. Wenig später blieb Rita plötzlich stehen. »Was ist denn los?« fragte Larry. »Wieder ein Hindernis?«

»Nein. Ich kann sehen, Larry. Es ist das Ende des Tunnels!« Er blinzelte und merkte, daß er auch sehen konnte. Es war nur ein ganz schwacher Schimmer, und er war so allmählich gekommen, daß er ihn nicht bemerkt hatte, bis Rita ihn darauf hinwies. Er konnte schon schwach den Schimmer der Fliesen und näher den weißen Fleck von Ritas blassem Gesicht sehen. Links sah er den erstarrten Strom der Automobile.

»Komm weiter«, sagte er triumphierend.

Sechzig Schritte weiter lagen noch mehr Leichen auf dem Fußgängerweg, alles Soldat en. Sie stiegen über sie hinweg.

»Warum haben sie nur New York abgesperrt?« fragte sie. »Außer vielleicht... Larry, vielleicht ist es nur in New York passiert!«

»Das glaube ich nicht«, sagte er, verspürte aber trotzdem eine irrationale Hoffnung.

Sie gingen schneller. Vor ihnen lag jetzt die Öffnung des Tunnels. Sie war von zwei schweren Armeelastwagen blockiert, die Kühler an Kühler standen. Sie nahmen viel Licht weg. Wenn sie nicht dort gestanden wären, hätten Larry und Rita schon viel weiter hinten im Tunnel Licht gehabt. Wo der Fußgängerweg zur Straße nach draußen hinunterführte, lagen ebenfalls Leichen. Sie zwängten sich zwischen den Lastwagen hindurch und kletterten über die verkeilten Stoßstangen der Fahrzeuge. Rita vermied es, in die Wagen hineinzusehen, aber Larry tat es. Er sah ein halb zusammengebautes Maschinengewehr samt dreibeinigem Stativ, Munitionskisten und Kanister, die nach Tränengas aussahen. Außerdem drei Tote.

Als sie draußen waren, schlug ihnen regenfeuchter Wind entgegen, für dessen wunderbar frischen Geruch es sich schon allein gelohnt hätte. Das sagte er Rita, und sie nickte und legte einen Augenblick den Kopf an seine Schulter.


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