Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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Auf den Notizblock schrieb er zwei Worte und unterstrich sie: » Versuchen wir's.«
Baker seufzte und nickte. »Okay. Vince Hogan arbeitet unten in der Sägemühle ... nein, das stimmt nicht ganz. Meistens verpißt er sich zur Sägemühle. Wir können gegen neun hinfahren, wenn es dir recht ist. Vielleicht können wir ihn so erschrecken, daß er auspackt.«
Nick nickte.
»Was macht dein Mund? Doc Soames hat ein paar Tabletten hiergelassen. Er sagt, daß du Schmerzen haben wirst.«
Nick nickte kläglich.
»Ich hol' sie. Es...« Er brach ab, und in seiner Stummfilmwelt sah Nick den Sheriff mehrere Male explosionsartig in sein Taschentuch niesen. »Auch so was«, fuhr Baker fort, aber er hatte sich abgewandt, und Nick hatte nur das erste Wort mitbekommen. »Ich hab' mir 'ne richtig schöne Erkältung geholt. Mein Gott, ist das Leben nicht herrlich? Willkommen in Arkansas, Junge.«
Er holte die Tabletten und brachte sie Nick. Nachdem er sie ihm zusammen mit einem Glas Wasser gegeben hatte, rieb sich Baker sachte unter dem Kinn. Er hatte eindeutig eine schmerzhafte Schwellung dort. Geschwollene Drüsen, Husten, Schnupfen und, wie es schien, leichtes Fieber. Ja, sah wirklich danach aus, als würde es ein prächtiger Tag werden.
10
Larry wachte mit einem Kater auf, der nicht allzu schlimm war, einem Geschmack im Mund, als hätte ein Babydrache ihn als Nachttopf benutzt, und dem Gefühl, als wäre er irgendwo, wo er nichts zu suchen hatte.
Es war ein Einzelbett, aber mit zwei Kissen. Er konnte brutzelnden Speck riechen. Er setzte sich auf, sah, daß draußen ein neuer grauer Tag in New York anbrach, und sein erster Gedanke war, daß sie über Nacht etwas Schreckliches mit Berkeley gemacht hatten. Sie hatten es schmutzig und rußig gemacht, gealtert. Dann dämmerte ihm der vergangene Abend, und er wußte, er sah Fordham, nicht Berkeley. Er war in der Tremont Avenue in einer Wohnung im zweiten Stock, nicht weit vom Concourse entfernt, und seine Mutter würde sich fragen, wo er letzte Nacht gewesen war. Hatte er sie angerufen und ihr irgendeine Ausrede aufgetischt, wie dürftig sie auch immer gewesen sein mochte?
Er schwang die Beine aus dem Bett und fand eine zerknüllte Packung Winston, in der noch eine verbogene Zigarette war. Er zündete sie mit einem grünen Bic-Plastikfeuerzeug an. Sie schmeckte wie tote Pferdescheiße. Draußen in der Küche hörte er immer noch den Speck brutzeln, wie Rauschen im Radio.
Das Mädchen hieß Maria, und sie hatte gesagt, sie war... was? Fachfrau für Mundhygiene, war es das? Larry wußte nicht, was sie von Hygiene wußte, aber mit dem Mund war sie eine Offenbarung. Er konnte sich vage erinnern, daß sie ihn gelutscht hatte wie eine Zuckerstange. Im Hintergrund Crosby, Stills und Nash in der beschissenen kleinen Stereoanlage im Wohnzimmer, die gesungen hatten, wieviel Wasser unter der Brücke durchgeflossen war und wieviel Zeit wir unterwegs vergeudet hatten. Wenn er sich recht erinnerte, hatte Maria ganz sicher nicht viel Zeit vergeudet. Sie war überwältigt gewesen, als sie herausfand, daß er derLarry Underwood war. Waren sie nicht einmal während der abendlichen Orgie losgezogen und hatten einen offenen Plattenladen gesucht, damit sie »Baby, Can You Dig Your Man?« kaufen konnten?
Er stöhnte ganz leise und versuchte, den gestrigen Tag von seinem unschuldigen Anfang bis zum hektischen, lutschenden Finale zu rekonstruieren.
Die Yankees waren nicht in der Stadt, daran konnte er sich erinnern. Als er aufwachte, war seine Mutter schon zur Arbeit gegangen, aber sie hatte den Spielplan der Yankees zusammen mit einem Zettel auf dem Küchentisch liegenlassen: »Larry. Wie Du siehst, sind die Yankees erst am i. Juli wieder da. Sie spielen am 4. Juli ein Doppelmatch. Wenn Du heute nichts anderes vorhast, könntest Du mit Deiner Mutter zum Ball Park gehen. Ich zahle Bier und Hot Dogs. Im Kühlschrank sind Eier und Würstchen, im Brotkasten Plunderstücke, wenn Du die lieber magst. Paß auf Dich auf, Junge.«
Darunter ein typisches Alice-Underwood-PS: »Die meisten Kinder, mit denen Du Dich abgegeben hast, sind weggezogen, und ich trauere den Tunichtguten nicht nach, aber ich glaube, Buddy Max arbeitet in der Druckerei in der Stricker Avenue.«
Wenn er nur an diesen Zettel dachte, zuckte er zusammen. Kein »Lieber« vor seinem Namen, kein »Alles Liebe« vor der Unterschrift. Sie hielt nichts von Getue. Alles Wichtige war im Kühlschrank. Während er die Erschöpfung seiner Fahrt durch Amerika ausgeschlafen hatte, war sie weggegangen und hatte jede verdammte Köstlichkeit eingekauft, die er gern aß. Ihre Erinnerung war so perfekt, es war beängstigend. Dosenschinken Marke Daisy. Zwei Pfund echte Butter – wie konnte sie sich das bei ihrem Gehalt leisten? Zwei Sechserpacks Coke. Würstchen. Roastbeef, das bereits in Alices Geheimmarinade eingelegt war, deren Zutaten sie nicht einmal ihrem Sohn preisgab, und eine Dreiliterpackung BaskinRobbins Eiskrem »Peach Delight« im Gefrierfach. Und obendrein ein Käsekuchen Marke Sara Lee. Mit Erdbeeren drauf.
Einer Eingebung folgend, war er ins Bad gegangen, nicht nur, um diese Blase zu leeren, sondern auch, um im Alibert nachzusehen. Eine brandneue Pepsodent-Zahnbürste hing im alten Halter, wo sämtliche Zahnbürsten seiner Kindheit gehangen hatten, eine nach der anderen. In der Schublade war eine Packung Rasierklinmgen, Burma-Shave-Rasierschaum und sogar eine Flasche Old Spiee Aftershave. Nichts Besonderes, hätte sie wohl dazu gesagt – Larry konnte sie buchstäblich hören-, aber für den Preis gut genug.
Er hatte alle Sachen stumm betrachtet und dann die neue Zahnbürste herausgenommen und in der Hand gehalten. Kein »Lieber«, kein »Alles Liebe, Mama«. Nur eine neue Zahnbürste, eine neue Tube Zahnpasta, eine neue Flasche Rasierwasser. Manchmal, dachte er, ist wahre Liebe nicht nur blind, sondern auch stumm. Er putzte sich die Zähne und überlegte, ob das nicht ein Thema für einen Song war.
Die Mundhygienikerin kam herein; sie hatte einen knappen rosa Slip an, und sonst nichts. »Hi, Larry«, sagte sie. Sie war klein, auf eine unbestimmte, an Sandra Dee erinnernde Weise hübsch, und ihre Brüste ragten ihm spitz und ohne eine Spur von Hängen entgegen. Wie ging der alte Witz? Ganz recht, Kumpel – sie hatte ein Paar achtunddreißiger und einen echten Revolver. Ha-ha, sehr witzig. Er hatte dreitausend Meilen zurückgelegt, damit er eine Nacht mit Sandre Dee verbringen und sich beinahe bei lebendigem Leib auffressen lassen konnte.
»Hi«, sagte er und stand auf. Er war nackt, aber seine Kleidungsstücke lagen am Fußende des Betts. Er zog sie nacheinander an.
»Ich hab' einen Morgenmantel, wenn du den anziehen willst. Es gibt Hörnchen und Speck.«
Hörnchen und Speck? Sein Magen zog sich zusammen und überschlug sich.
»Nein, Liebes, ich muß los. Muß jemand treffen.«
»He, du kannst mich nicht einfach so stehen lassen...«
»Es ist wirklich wichtig.«
»Gut, ich bin auch wichtig!« Sie wurde schrill. Larry bekam Kopfschmerzen. Er mußte ohne ersichtlichen Grund an Fred Feuerstein denken, wenn der aus vollen Zeichentrick-Lungen »Wiiilmaaaa!« schrie.
»Deine Bronx-Herkunft kommt durch, Liebes«, sagte er.
»Was soll das denn heißen?« Sie stemmte die Hände in die Hüften, aus einer ragte der fettige Bratwender hervor wie eine Blume aus Stahl. Ihre Brüste wippten aufreizend, aber Larry ließ sich nicht aufreizen. Er zog die Hose an und knöpfte sie zu. »Ich bin aus der Bronx, na gut, macht mich das zu einer Schwarzen? Was hast du gegen die Bronx? Bist du vielleicht ein Rassist?«
»Ich habe nichts gegen die Bronx und bin kein Rassist«, sagte er und ging barfuß zu ihr. »Hör zu, ich muß dringend zu meiner Mutter. Ich bin erst vor zwei Tagen in die Stadt gekommen und hab' sie gestern abend nicht angerufen... oder doch?« fügte er hoffnungsvoll hinzu.
»Du hast niemand angerufen«, sagte sie mürrisch. »Klar doch, deine Mutter. «
Er ging zum Bett zurück und zog die Schuhe an. »Wirklich. Meine Mutter. Sie arbeitet im Chemical Bank Building. Sie ist Putzfrau. Nun, heute ist sie wohl Etagenaufsicht.«
»Ich wette, du bist auch nicht der Larry Underwood, der die Platte gemacht hat.«
»Glaub was du willst. Ich muß mich beeilen.«
»Du elender Drecksack!« kreischte sie ihn an. »Was soll ich mit dem Essen machen, das ich gekocht habe?«
»Zum Fenster rauswerfen?« schlug er vor.
Sie stieß einen schrillen Wutschrei aus und warf den Bratwender nach ihm. An jedem anderen Tag seines Lebens hätte das Ding ihn verfehlt. Eines der wichtigsten physikalischen Gesetze lautet: Ein Bratwender beschreibt niemals eine gerade Flugbahn, wenn er von einer wütenden Mundhygienikerin geworfen wird. Aber dies war die Ausnahme, die die Regel bestätigte, hui-bui, Kurve und zack, genau gegen Larrys Stirn. Es tat nicht sehr weh. Dann sah er zwei Tropfen Blut auf den Teppich fallen, als er sich bückte, um das Wurfgeschoss aufzuheben.
Er ging mit dem Bratwender in der Hand zwei Schritte auf sie zu.
»Ich sollte dich damit übers Knie legen«, schrie er sie an.
»Klar«, sagte sie, wich zurück und fing an zu weinen. »Warum nicht? Du großer Star. Ficken und verpissen. Ich dachte, du bist ein netter Kerl. Du bist kein netter Kerl.« Ein paar Tränen liefen über ihre Wangen und tropften vom Kiefer auf den Brustkorb. Fasziniert beobachtete er, wie eine Träne an der Wölbung der rechten Brust herablief und an der Brustwarze hängenblieb. Die Träne wirkte wie ein Vergrößerungsglas. Er sah Poren und ein schwarzes Haar, das aus dem Warzenhof hervorsproß. Mein Gott, ich werde verrückt, dachte er verwundert.
»Ich muß gehen«, sagte er. Seine weiße Jacke lag am Fußende des Bettes. Er hob sie auf und warf sie über die Schultern.
»Du bist kein netter Kerl!« schrie sie, als er ins Wohnzimmer ging.
»Ich bin nur mit dir gegangen, weil ich dich für einen netten Kerl gehalten habe.«
Der Anblick des Wohnzimmers ließ ihn innerlich aufstöhnen. Auf der Couch, wo sie ihm einen geblasen hatte, wie er sich dumpf erinnerte, lagen mindestens zwei Dutzend Exemplare »Baby, Can You Dig Your Man?« Drei weitere lagen auf dem Plattenteller des verstaubten tragbaren Plattenspielers. An der hintersten Wand hing ein riesiges Poster mit Ryan O'Neil und Ali McGraw. Einen geblasen kriegen heißt, niemals um Verzeihung bitten zu müssen, ha-ha. Mein Gott, ich werde tatsächlich verrückt.
Sie stand in der Schlafzimmertür, weinte immer noch und sah in dem knappen Slip erbarmenswert aus. Er entdeckte an einem Schienbein eine kleine Wunde, wo sie sich beim Rasieren geschnitten hatte.
»Hör zu«, sagte sie. »Ruf mich an. Ich bin nicht böse.«
Er hätte »klar« sagen sollen, dann wäre alles in Ordnung gewesen. Statt dessen hörte er sich nur verrückt lachen und sagen: »Dein Hering brennt an.«
Sie schrie ihn an und kam durchs Zimmer, stolperte aber über ein Sitzkissen am Boden und fiel hin. Mit einer Hand warf sie eine halbvolle Milchflasche um und stieß eine leere Flasche Scotch an, die daneben stand. Heiliger Gott, dachte Larry, haben wir das etwa gemischt?
Er machte, daß er rauskam, und sprang die Treppe hinunter. Als er die letzten sechs Stufen zur Haustür ging, hörte er sie oben schreien: » Du bist kein netter Kerl! Du bist kein...«
Er schlug die Tür hinter sich zu, und dunstige, feuchte Wärme, die den Geruch von frischem Grün und Autoabgasen mit sich brachte, hüllte ihn ein. Es war wie Parfüm nach dem Gestank von Bratfett und kaltem Zigarettenrauch. Er hielt immer noch die Zigarette in der Hand, die schon bis auf den Filter heruntergebrannt war, und er warf sie in den Rinnstein und atmete die frische Luft ein. Herrlich, diesem Wahnsinn den Rücken gekehrt zu haben. Folgen Sie uns nicht in die guten alten normalen Zeiten zurück, sondern...
Oben wurde polternd ein Fenster aufgeschoben, und er wußte schon, was kommen würde.
» Hoffentlich verfaulst du!« schrie sie zu ihm hinunter. Ganz das keifende Fischweib aus der Bronx. » Hoffentlich fällst du vor eine verdammte U-Bahn! Du bist gar kein Sänger! Du bist beschissen im Bett! Du Wanze! Schreib dir das hinter die Ohren! Das kannst du deiner Mutter sagen, du Wanze!«
Die Milchflasche kam aus ihrem Schlafzimmerfenster im zweiten Stock geflogen. Larry duckte sich. Wie eine Bombe explodierte sie im Rinnstein, Glassplitter übersäten die Straße. Die Flasche Scotch folgte. Sie überschlug sich in der Luft und zerplatzte dicht vor seinen Füßen. Was immer sie sein mochte, sie konnte verdammt gut zielen. Er fing an zu laufen und hielt einen Arm über den Kopf. Dieser Wahnsinn würde nie enden.
Hinter sich hörte er einen letzten langen Schrei, triumphierend und mit dem saftigen Akzent der Bronx. »LECK MICH AM ARSCH, DU BILLIGER SCHEISSKERL!« Dann hatte er die Ecke hinter sich gelassen, stand auf der Brücke über der Schnellstraße, beugte sich über das Geländer, lachte mit einer nervösen Intensität, die an Hysterie grenzte, und betrachtete die Autos, die unten vorbeifuhren.
»Hättest du das nicht besser machen können?« sagte er und merkte gar nicht, daß er laut sprach. »O Mann, das hättest du besser machen können. Eine üble Szene. Scheiß drauf, Mann.« Er merkte, daß er laut sprach, und fing wieder an zu lachen. Plötzlich spürte er kreisende, benommene Übelkeit im Magen und kniff fest die Augen zu. Eine Erinnerung stieg aus der Abteilung für Masochismus auf, und er hörte Wayne Stukey sagen: Du hast etwas an dir, als ob man auf Stanniol beißt.
Er hatte das Mädchen wie eine alte Hure am Morgen nach dem Collegeabschluß-Rudelbums behandelt.
Du bist kein netter Kerl.
Doch. Doch.
Aber als die Leute auf der großen Party gegen seinen Beschluss protestiert hatten, sie alle rauszuwerfen, hatte er mit der Polizei gedroht, und das hatte er ernst gemeint. Oder nicht? Doch. Doch. Die meisten waren Fremde, das stimmte, und sie hätten seinethalben auf eine Tretmine scheißen können, aber vier oder fünf der Protestierenden kannte er aus alten Zeiten. Und Wayne Stukey, der Dreckskerl, hatte mit verschränkten Armen in der Tür gestanden wie der Henker vor seinem Auftritt.
Als Sal Doria rausging, hatte er gesagt: Wenn der Erfolg dir so zu Kopf steigt, Larry, wäre es mir lieber, du wärst heute noch Sessionmusiker.
Er machte die Augen auf, ließ die Brücke hinter sich und sah sich nach einem Taxi um. Klar. Die »gekränkter-Freund«-Tour. Wenn Sal wirklich so ein guter Freund war, warum hatte der ihn dann überhaupt ausgenommen? Ich war dumm, und niemand sieht es gern, wenn ein Dummer schlau wird. Das ist die ganze Geschichte.
Du bist kein netter Kerl. »Ich bin ein netter Kerl«, sagte er verdrossen. »Und wen geht das überhaupt was an?«
Ein Taxi kam, und Larry winkte. Es schien einen Moment zu zögern, ehe es an den Straßenrand fuhr, und Larry fiel das Blut auf der Stirn wieder ein. Er machte die Hecktür auf und stieg ein, bevor es sich der Fahrer anders überlegen konnte.
»Nach Manhattan. Zum Chemical Bank Building«, sagte er. Das Taxi fädelte sich in den Verkehr ein. »Sie haben sich an der Stirn geschnitten«, sagte der Fahrer.
»Ein Mädchen hat einen Bratwender nach mir geworfen«, sagte Larry geistesabwesend.
Der Fahrer schenkte ihm ein seltsam falsches, verständnisvolles Lächeln, fuhr weiter und ließ Larry sich auf dem Rücksitz einrichten und überlegen, wie er seiner Mutter die nächtliche Abwesenheit erklären sollte.
11
Larry fand in der Lobby eine müde aussehende farbige Frau, die ihm sagte, Alice Underwood sei wahrscheinlich im vierundzwanzigsten Stock, wo sie Inventur mache. Er ging zum Fahrstuhl, fuhr hinauf und stellte fest, daß ihm die anderen in der Kabine verstohlene Blicke zuwarfen. Die Verletzung an der Stirn blutete nicht mehr, war aber zu einer abstoßenden Kruste getrocknet.
Im vierundzwanzigsten Stock befanden sich die Büros einer japanischen Kamerafirma. Larry ging fast zwanzig Minuten die Flure entlang, suchte nach seiner Mutter und kam sich wie das letzte Arschloch vor. Es waren eine Menge Angestellte aus dem Okzident anwesend, aber auch so viele Japaner, daß er sich mit seinen eins siebenundachtzig wie ein ziemlich großesArschloch vorkam. Die kleinen Männer und Frauen mit den hochgezogenen Schlitzaugen betrachteten seine verkrustete Stirn und den blutigen Jackettärmel mit beunruhigender orientalischer Unverbindlichkeit.
Hinter einem sehr großen Farnbaum entdeckte er schließlich eine Tür mit der Aufschrift HAUSMEISTER & ZUBEHÖR. Er drehte den Knauf. Die Tür war nicht verschlossen, und er spähte hinein. Seine Mutter war drinnen, sie trug die abgetragene graue Uniform, Putzzeug und Schuhe mit Kreppsohlen. Das Haar war straff unter einem schwarzen Netz verborgen. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. In einer Hand hielt sie einen Notizblock und schien Putzmittelflaschen auf einem hohen Regal zu zählen. Larry verspürte den starken und schuldbewußten Impuls, sich einfach umzudrehen und wegzulaufen. Zum Parkhaus zwei Blocks von ihrer Wohnung entfernt und den Z holen. Scheiß auf die zwei Monatsmieten, die er gerade für den Parkplatz hingeblättert hatte. Einfach reinsetzen und Boogie. Aber Boogiewohin? Irgendwohin. Bar Harbor, Maine. Tampa, Florida. Salt Lake City, Utah. Alles war gut, wo er sich in sicherer Entfernung von Dewey the Deck und seinem nach Seife riechenden Köfferchen befand. Er wußte nicht, ob es am Neonlicht oder der Stirnverletzung lag, aber er bekam Scheißkopfschmerzen. "
Ach, hör auf zu flennen, alter Waschlappen.
»Hi, Mom«, sagte er.
Sie zuckte etwas zusammen, drehte sich aber nicht um. »Aha, Larry. Demnach hast du deinen Weg in die besseren Viertel gefunden.«
»Klar.« Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich wollte mich entschuldigen. Ich hätte gestern abend anrufen sollen...«
»Ja. Gute Idee.«
»Ich war bei Buddy. Wir... äh... waren auf Tour. Haben die Stadt unsicher gemacht.«
»Das dachte ich mir. Oder etwas Ähnliches.« Sie hakte mit dem Fuss einen kleinen Hocker zu sich heran, stieg darauf und fing an, die Bohnerwachsflaschen auf dem obersten Regal zu zählen, wobei sie jede einzelne kurz mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand berührte. Sie mußte sich dabei strecken, weshalb ihr Kleid hochrutschte, und er konnte über dem braunen Saum ihrer Strümpfe das weiße Fleisch der Oberschenkel sehen und wandte sich abrupt ab, weil ihm plötzlich wie aus heiterem Himmel einfiel,was mit Noahs drittem Sohn passiert war, als dieser seinen alten Herrn angesehen hatte, der nackt und betrunken auf der Decke lag. Der arme Kerl war hinterher bloß noch Holzfäller und Wasserträger gewesen. Er und seine sämtlichen Nachfahren. Und deshalb haben wir heute Rassenunruhen, Sohn. Gelobt sei Gott.
»Bist du nur gekommen, um mir das zu sagen?« fragte sie und drehte sich zum ersten Mal zu ihm um.
»Um zu sagen, wo ich war und mich zu entschuldigen. Es war gemein von mir, daß ich es vergessen habe.«
»Ja«, sagte sie wieder. »Aber du hast eine gemeine Seite, Larry. Glaubst du, das hätte ich vergessen?«
Er wurde rot. »Mom, hör mal...«
»Du blutest. Hat dir eine Stripperin die Strapse um die Ohren geschlagen?« Sie wandte sich wieder dem obersten Regal zu, und als sie die ganze Flaschenreihe gezählt hatte, trug sie die Zahl auf dem Block ein. »Irgendwer hat vergangene Woche zwei Flaschen Bohnerwachs mitgehen lassen«, bemerkte sie. »Die Glückliche.«
»Ich wollte sagen, daß es mir leidtut!« sagte Larry laut. Sie zuckte nicht zusammen, aber er. Etwas.
»Ja, das hast du schon gesagt. Mr. Geoghan wird wie der Zorn Gottes über uns kommen, wenn noch mehr von diesem verdammten Bohnerwachs verschwindet.«
»Ich habe mich nicht in einer Bar geprügelt und war auch nicht in einem Striplokal. Nichts dergleichen. Es war nur...« Er verstummte. Sie drehte sich um und hatte die Brauen auf die sardonische Weise hochgezogen, an die er sich nur zu gut erinnerte. »War was?«
»Nun...« Er konnte sich nicht schnell genug eine überzeugende Lüge ausdenken. »Es war. Ein. Ah. Bratwender.«
»Hat dich jemand mit einem Spiegelei verwechselt? Du und Buddy scheint ja eine tolle Nacht in der Stadt hinter euch zu haben.«
Er vergaß, daß sie ihn in die Enge treiben konnte; das hatte sie immer gekonnt und würde es wahrscheinlich auch immer können.
»Es war ein Mädchen, Ma. Sie hat ihn nach mir geworfen.«
»Muß ja eine regelrechte Kunstschützin sein«, sagte Alice Underwood und wandte sich wieder ab. »Diese verflixte Consuela versteckt schon wieder die Bestellformulare vor uns. Nicht, daß sie viel nützen würden; wir bekommen nie alles, was wir brauchen, aber wir bekommen eine Menge Sachen, mit denen ich nichts anzufangen weiß, und wenn mein Leben davon abhängen würde.«
»Ma, bist du böse auf mich?«
Plötzlich ließ sie die Hände sinken. Ihre Schultern sackten herab.
»Sei nicht böse auf mich«, flüsterte er. »Bitte nicht. Okay? Hm?«
Sie drehte sich um, und er sah ein unnatürliches Funkeln in ihren Augen – nun, wahrscheinlich war es durchaus natürlich, aber es wurde ganz sicher nicht vom Neonlicht hier drinnen verursacht, und er hörte die Mundhygienikerin wieder mit großer Endgültigkeit sagen: Du bist kein netter Kerl. Warum hatte er sich überhaupt erst die Mühe gemacht, nach Hause zu kommen, wenn er ihr so etwas antat... und nichts darauf gab, was sie für ihn alles tat.
»Larry«, sagte sie zärtlich. »Larry, Larry, Larry.«
Einen Augenblick dachte er, sie würde nichts mehr sagen; wiegte sich sogar in der Hoffnung, es wäre so.
»Mehr kannst du nicht sagen? >Sei mir nicht böse, Mom. Bitte nicht Ich höre dich im Radio, und obwohl mir das Stück nicht gefällt, bin ich stolz darauf, daß du es bist, der da singt. Die Leute fragen mich, ob das wirklich mein Sohn ist, und ich sage ja, das ist Larry. Ich erzähle ihnen, daß du schon immer singen konntest, und das ist nicht gelogen, oder?«
Er schüttelte kläglich den Kopf, weil er nicht wußte, ob er einen Ton herausbringen würde.
»Ich erzähle ihnen, wie du die Gitarre von Donny Roberts genommen hast, als du zur High School kamst, und binnen einer Stunde besser spielen konntest als er, obwohl er seit der zweiten Klasse Unterricht hatte. Du warst begabt, Larry, das mußte mir nie jemand sagen, am allerwenigsten du. Ich glaube, das hast du auch gewußt; es war nämlich das einzige, worüber du nie geheult hast. Dann bist du weggegangen, und mache ich dir daraus einen Vorwurf? Nein. Junge Männer und Frauen gehen weg. So ist die Welt. Manchmal ist es beschissen, aber die Welt ist nun mal so. Dann kommst du zurück. Und muß mir jemand den Grund dafür sagen? Nein. Du kommst zurück, weil du, Single-Hit oder nicht, drüben an der Westküste in irgendeine Klemme geraten bist.«
»Ich bin nicht in der Klemme«, sagte er gekränkt.
»O doch. Ich kenne die Zeichen. Ich bin schon ziemlich lange deine Mutter, mir kannst du nichts vormachen, Larry. Du hast immer nach Ärger gesucht, wenn er dir nicht von selbst über den Weg gelaufen ist. Manchmal denke ich, du mußt nur über die Straße gehen und trittst in Hundescheiße. Gott wird mir verzeihen, daß ich das sage, denn Gott weiß, es ist wahr. Bin ich böse? Nein. Bin ich enttäuscht? Ja. Ich habe gehofft, du würdest dich da draußen ändern. Das hast du nicht. Du bist als kleiner Junge im Körper eines Mannes weggegangen, und du bist genauso zurückgekommen, nur hat sich der Mann Locken ins Haar drehen lassen. Willst du wissen, warum du meiner Meinung nach heimgekommen bist?«
Er sah sie an und wollte etwas sagen, wußte aber, das einzige, was er sagen konnte, würde sie beide wütend machen: Nicht weinen, Mom, hm?
»Ich glaube, du bist heimgekommen, weil du nicht gewußt hast, wohin du sonst gehen sollst. Du hast nicht gewußt, wer dich aufnehmen würde. Ich habe nie zu jemandem ein schlechtes Wort über dich gesagt, Larry, nicht einmal zu meiner Schwester, aber da du mich dazu treibst, will ich dir einmal ganz genau sagen, was ich von dir halte. Ich glaube, du bist ein Egoist, du nimmst nur. Schon immer. Als hätte Gott einen Teil von dir weggelassen, als er dich in mir hat wachsen lassen. Du bist nicht schlecht, das habe ich nicht gemeint. Wenn Schlechtes in dir wäre, dann wärst du in manchen Gegenden, wo wir nach dem Tod deines Vaters leben mußten, schlecht geworden, weiß Gott. Ich glaube, das Schlimmste, wobei ich dich je erwischt habe, war, daß du in dem Haus in der Carstairs Avenue in Queens ein sehr häßliches Wort an die Treppenhauswand geschrieben hast. Kannst du dich daran erinnern?«
Er erinnerte sich. Sie hatte ihm eben dieses Wort mit Kreide auf die Stirn geschrieben und ihn dann gezwungen, dreimal so mit ihr um den Block zu gehen. Er hatte dieses Wort, und auch kein anderes, nie wieder an eine Hauswand oder Mauer geschrieben.
»Das Schlimmste ist, Larry, du meinstes gut. Manchmal denke ich, es wäre beinahe eine Gnade, wenn du richtig schlecht wärst. So scheinst du selbst zu wissen, was nicht stimmt, aber nicht, wie du es ändern sollst. Und ich weiß es auch nicht. Als du klein warst, habe ich alles versucht. Dieses Wort auf deine Stirn zu schreiben, das war nur eines... und da war ich schon ziemlich verzweifelt, sonst hätte ich dir nie so etwas Gemeines angetan. Du bist ein Egoist, das ist alles. Du nimmst. Du bist zu mir gekommen, weil du gewußt hast, daß ich geben muß. Nicht jedem, aber dir.«
»Ich ziehe aus«, sagte er, und jedes Wort war, als würde er einen trockenen Ballen Fusselchen ausspucken. »Heute nachmittag.«
Dann fiel ihm ein, daß er es sich wahrscheinlich nicht leisten konnte auszuziehen, jedenfalls nicht, bis Wayne ihm den nächsten Tantiemenscheck schickte – oder was noch davon übrig war, wenn er die gierigsten Bluthunde in L.A. gefüttert hatte. Was momentane Kosten betraf, da war die Miete für den Parkplatz des Datsun Z und eine stattliche Summe, die er bis Freitag wegschicken mußte, wenn er nicht wollte, daß der nette Gerichtsvollzieher von nebenan nach ihm suchen kam, und das wollte er nicht. Nach dem gestrigen Abend, der so unbeschwert mit Buddy und seiner Verlobten und dieser Mundhygienikerin, die die Verlobte kannte, angefangen hatte – ein nettes Mädchen aus der Bronx, Larry, du wirst sie mögen, humorvoll -, war er ziemlich knapp an Bargeld. Nein. Um genau zu sein, er war vollkommen pleite. Der Gedanke erfüllte ihn mit Panik. Wenn er jetzt aus der Wohnung seiner Mutter auszog, wo sollte er hingehen? Ein Hotel? Der Portier jedes Hotels, das besser als eine Absteige war, würde sich totlachen und ihm sagen, er solle sich verpissen. Er hatte zwar gute Sachen an, aber sie würden es wissen. Irgendwie wußten diese Dreckskerle es immer. Sie konnten eine leere Brieftasche riechen.
»Geh nicht«, sagte sie leise. »Ich möchte nicht, daß du gehst, Larry. Ich hab' ein paar gute Sachen zum Essen gekauft. Hast du vielleicht gesehen. Und ich habe gehofft, wir könnten heute abend vielleicht Gin Romme spielen.«
»Ma, du kannst nicht Romme spielen«, sagte er und lächelte verhalten.
»Ein Penny pro Punkt, und ich schlachteeinen Bengel wie dich.«
»Wenn ich dir vielleicht vierhundert Punkte Vorsprung gebe...«
»Hör sich einer den Jungen an«, spöttelte sie leise. »Vielleicht wenn ich dir vierhundert gebe. Bleib, Larry. Was meinst du?«
»Also gut«, sagte er. Er fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag gut, wirklich gut. Eine leise Stimme in ihm flüsterte, daß er schon wieder nahm, immer noch der alte Larry, reist immer umsonst, aber er hörte gar nicht darauf. Immerhin war das seine Mutter, und sie hatte ihn ja darum gebeten. Richtig, sie hatte ein paar ziemlich harte Sachen gesagt, bis sie gefragt hatte, aber sie hatte gefragt, richtig oder falsch? »Ich will dir was sagen. Ich bezahle die Eintrittskarten für den vierten Juli. Das kommt auf jeden Fall raus, wenn ich dir heute abend die Haut abziehe.«
»Du könntest nicht mal einer Tomate die Haut abziehen«, sagte sie liebenswürdig und wandte sich wieder dem Regal zu. »Am Ende des Flurs ist eine Herrentoilette. Wasch dir doch das Blut von der Stirn. Und dann nimm dir zehn Dollar aus meiner Handtasche und geh ins Kino. Auf der Third Avenue gibt es noch ein paar ganz gute Kinos. Aber bleib von den Schweinereien Ecke Forty-Ninth und Broadway weg.«
»Ich geb' dir bald Geld«, sagte Larry. »Diese Woche ist die Platte auf Platz achtzehn der Billboard-Charts. Ich habe es im Sam Goody's nachgelesen.«
»Wie schön. Aber wenn du so reich bist, warum hast du dir dann keins gekauft, statt nur reinzusehen?«
Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals. Er räusperte sich, bekam ihn aber nicht weg.
'»Ach, vergiß es«, sagte sie. »Meine Zunge ist wie ein launisches Pferd. Manchmal geht sie durch, und dann muß sie einfach laufen, bis sie müde ist. Du kennst das ja. Nimm fünfzehn, Larry. Betrachte es als Darlehen. Ich denke, ich bekomme es zurück – so oder so.«
»Du bekommst es«, sagte er. Er kam zu ihr und zupfte am Saum ihres Kleides wie ein kleiner Junge. Sie sah nach unten. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte sie auf die Wange. »Ich hab' dich lieb, Ma.«
Sie sah verblüfft aus. Nicht wegen des Kusses, sondern entweder wegen seiner Worte oder des Tonfalls, in dem er sie ausgesprochen hatte. »Aber das weiß ich doch, Larry«, sagte sie.
»Was du gesagt hast. Daß ich in der Klemme stecke. Schon, ein wenig, aber es ist nicht...«
Ihre Stimme war sofort kalt und streng. Sogar so kalt, daß er ein wenig Angst bekam. »Davon will ich nichts hören.«
»Okay«, sagte er. »Hör mal, Ma – welches ist das beste Kino hier in der Gegend?«
»Das Lux Twin«, sagte sie, »aber ich weiß nicht, was sie gerade zeigen.«
»Das ist unwichtig. Weißt du, was ich denke? Drei Sachen bekommt man überall in Amerika, aber nur in New York City bekommt man sie richtig gut.«
»Ach ja, Mr. Kritiker der New York Times. Und das wären?«
»Filme, Baseball und Hot Dogs von Nedick's.«
Sie lachte. »Bist gar nicht so dumm, Larry – aber das warst du nie.«
Er ging also zur Herrentoilette. Und wusch sich das Blut von der Stirn. Und ging zurück und gab seiner Mutter noch einen Kuß. Und bekam fünfzehn Dollar aus ihrer prallen schwarzen Handtasche. Und ging ins Kino ins Lux. Und sah einen wahnsinnigen, bösen Killer namens Freddy Kruger, der eine Reihe Teenager in den Treibsand ihrer eigenen Träume zog, wo alle bis auf eine – die Heldin – starben.
Freddy Kruger schien am Ende auch zu sterben, aber das war schwer zu sagen, und da der Film eine römische Ziffer nach dem Titel hatte und gut besucht zu sein schien, dachte Larry, daß der Mann mit den Rasiermessern an den Fingerspitzen zurückkommen würde; er wußte nicht, daß das beharrliche Geräusch eine Reihe hinter ihm das Ende von allem bedeutete: Es würde keine Fortsetzung mehr geben, in kurzer Zeit würde es überhaupt keine Filme mehr geben.