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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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»Mom?«

»Ich wußte, daß du es bist«, sagte sie mit seltsamer Stimme. »Steig da aus, steh auf und laß dich ganz anschauen.«

Beide Beine waren eingeschlafen; Nadeln pieksten von den Fußballen aufwärts, als er die Tür öffnete und ausstieg. Er hatte nicht erwartet, ihr so gegenübertreten zu müssen, unvorbereitet und bloßgestellt. Er kam sich vor wie ein Wachtposten, der eingeschlafen ist und plötzlich zur Achtung gebrüllt wird. Irgendwie hatte er sich seine Mutter kleiner vorgestellt, weniger selbstsicher, ein Trick der Jahre, die ihn reifer gemacht und sie unverändert gelassen hatten. Wie sie ihn hier gefunden hatte, war fast unheimlich. Als er zehn Jahre alt war, hatte sie ihn jeden Samstagmorgen geweckt, wenn er ihrer Meinung nach lange genug geschlafen hatte, indem sie mit dem Finger an seine Zimmertür klopfte. Und so hatte sie ihn jetzt, vierzehn Jahre später, geweckt, als er in seinem neuen Auto schlief wie ein müder kleiner Junge, der versucht hatte, die ganze Nacht wach zu bleiben und vom Sandmann in einer unwürdigen Stellung erwischt worden war.

Jetzt stand er vor ihr, mit Dauerwellen im Haar und einem leichten, ein wenig albernen Lächeln im Gesicht. Die Nadeln pieksten immer noch in seinen Beinen, er trat von einem Fuß auf den anderen. Ihm fiel ein, daß sie ihn früher immer gefragt hatte, ob er aufs Klo mußte, wenn er das gemacht hatte, daher blieb er stehen und ließ sich ergeben von den Nadeln pieksen.

»Hi, Mom«, sagte er.

Sie sah ihn wortlos an, und plötzlich brütete Angst in seinem Herzen, wie ein böser Vogel, der zu einem alten Nest zurückgekehrt ist. Es war die Angst, daß sie sich von ihm abwenden, ihn verleugnen, ihm den Rücken ihres billigen Mantels zeigen würde und einfach davonging, im nächsten U-Bahn-Eingang um die Ecke verschwand und ihn allein ließ.

Dann seufzte er, wie ein Mann, bevor er eine schwere Last hochhebt. Aber als sie sprach, klang ihre Stimme so natürlich und aufrichtig erfreut, daß er seinen ersten Eindruck vergaß.

»Hi, Larry«, sagte sie. »Komm mit rauf. Ich wußte, daß du es bist, als ich aus dem Fenster gesehen habe. Ich hab' schon in der Firma angerufen und gesagt, daß ich krank bin. Die Krankmeldung war sowieso fällig.«

Sie wollte ihm vorausgehen, zwischen den verschwundenen Steinhunden hindurch die Treppe hinauf. Er ging drei Schritte hinter ihr, holte auf, zuckte aber bei jedem Schritt wegen der Nadeln zusammen. »Mom?«

Sie drehte sich zu ihm um, und er nahm sie in die Arme. Einen Augenblick sah sie ängstlich aus, als befürchtete sie, nicht umarmt, sondern überfallen zu werden. Dann verschwand der Ausdruck, und sie ließ sich umarmen und umarmte ihn auch. Der Geruch ihres Duftkissens stieg ihm in die Nase und rief unerwartete nostalgische Erinnerungen hervor, wild, süß und bitter. Einen Augenblick dachte er, er müßte weinen und war ganz sicher, daß sie weinen würde; es war ein rührender Augenblick. Über ihre hängende rechte Schulter hinweg sah er die tote Katze halb in der Abfalltonne liegen. Als sie sich von ihm löste, waren ihre Augen trocken.

»Komm, ich mach' dir Frühstück. Bist du die ganze Nacht gefahren?«

»Ja«, sagte er, und seine Stimme war aufgewühlt und etwas heiser.

»Dann komm. Der Fahrstuhl ist kaputt, aber es sind ja nur zwei Stockwerke. Mrs. Halsley mit ihrer Arthritis ist schlimmer dran. Die wohnt im fünften. Vergiß nicht, dir die Füße abzutreten. Wenn du Dreck machst, habe ich Mr. Freeman am Hals wie einen geölten Blitz. Ich schwöre bei Gott, der riecht den Dreck. Dreck ist sein Feind.« Sie waren jetzt auf der Treppe. »Schaffst du drei Eier? Ich kann auch Toast machen, wenn du Pumpernickel magst. Komm jetzt.«

Er folgte ihr an den verschwundenen Steinhunden vorbei und sah etwas mulmig zu der Stelle, wo sie gewesen waren, um sich zu vergewissern, daß sie auch wirklich weg waren, daß er nicht etwa um sechzig Zentimeter geschrumpft und das Jahrzehnt der Achtziger in der Vergangenheit verschwunden war. Sie stieß die Tür auf, und sie gingen hinein. Sogar die dunkelbraunen Schatten und die Kohlgerüche waren noch dieselben.



Alice Underwood machte ihm drei Eier mit Speck, Toast, Saft und Kaffee. Als er mit allem bis auf den Kaffee fertig war, zündete er sich eine Zigarette an und schob den Stuhl vom Tisch zurück. Das gab ihm einen Teil seines Selbstvertrauens zurück – aber nicht viel. Sie hatte es immer verstanden, die Zeit abzuwarten.

Sie ließ die gußeiserne Bratpfanne ins graue Abwaschwasser gleiten, und es zischte ein wenig. Sie hat sich nicht sehr verändert, dachte Larry. Ein wenig älter – sie mußte jetzt einundfünfzig sein -, ein wenig grauer, aber unter dem Haarnetz sah er noch genügend Schwarz in ihrem Haar. Sie trug ein einfaches graues Kleid, wahrscheinlich das, das sie zur Arbeit trug. Ihr Busen war immer noch das dralle Ungetüm, das aus dem Ausschnitt des Kleides quoll – noch draller, wenn überhaupt. Mom, sag die Wahrheit, ist dein Busen größer geworden? Ist das die bedeutsame Veränderung? Er klopfte Zigarettenasche auf die Untertasse. Sie riß sie weg und stellte den Aschenbecher hin, den sie immer im Schrank hatte. In der Untertasse war sowieso schon Kaffee gewesen, deshalb hatte er sich nichts dabei gedacht. Der Aschenbecher war sauber, geradezu vorwurfsvoll fleckenlos, und er streifte die Asche mit schlechtem Gewissen hinein. Sie konnte die Zeit abwarten, und sie konnte einen ständig in kleine Fallen tappen lassen, bis einem die Knöchel bluteten und man anfing zu brabbeln.

»Du bist also zurückgekommen«, sagte Alice, nahm ein gebrauchtes Akopads aus einem gespülten Joghurtbecher und fing an, die Bratpfanne zu bearbeiten. »Warum?«

Nun, Ma, ich habe da einen Freund , der mir beigebracht hat, wie das Leben läuft – Arschlöcher laufen in Rudeln herum, und diesmal waren sie hinter mir her. Musikalisch respektiert er mich ungefähr so wie ich die 1910 Fruitgum Company. Aber er hat dafür gesorgt, dass ich die Wanderschuhe angezogen habe, und hat nicht Robert Frost gesagt, daß das Zuhause der Ort ist, wo sie einen nicht abweisen können?

Laut sagte er: »Ich glaube, ich habe dich vermißt, Mom.«

Sie schnaufte verächtlich. »Hast du mir deshalb so oft geschrieben?«

»Ich bin kein großer Briefeschreiber.« Er bewegte seine Zigarette langsam auf und ab. An der Spitze bildeten sich Rauchringe und schwebten davon.

»Das kannst du laut sagen.«

»Ich bin kein großer Briefeschreiber!« sagte er laut und lächelte.

»Aber du bist immer noch frech zu deiner Mutter. Das hat sich nicht geändert. «

»Tut mir leid«, sagte er. »Wie ist es dir ergangen, Mom?«

Sie stellte die Bratpfanne aufs Abtropfgitter, zog den Stöpsel und wischte sich den Seifenschaum von den geröteten Händen. »Nicht so schlecht«, sagte sie und setzte sich wieder an den Tisch. »Meine Rückenschmerzen machen mir zu schaffen, aber ich habe Tabletten. Es geht so.« . »Du hast ihn dir nicht wieder verrenkt, seit ich weg bin?«

»Doch, einmal. Aber das hat Dr. Holm wieder hingekriegt.«

»Mom, diese Chiropraktiker sind...« Betrüger. Er biß sich auf die Zunge.

»Sind was?«

Er zuckte unbehaglich die Achseln, als er ihr schiefes Lächeln sah.

»Du bist frei, weiß und einundzwanzig. Wenn er dir hilft, um so besser.«

Sie seufzte und nahm eine Rolle wintergrüne Life Saver aus der Tasche. »Ich bin viel älter als einundzwanzig. Und ich spüre es. Möchtest du einen?« Er schüttelte den Kopf, als sie ihm den Life Saver anbot, und sie steckte sich selbst einen in den Mund.

»Du bist noch ein flottes Mädchen«, sagte er mit einem Anflug der scherzhaften Schmeicheleien von früher. Die hatten ihr immer gefallen, aber jetzt brachten sie nur den Schatten eines Lächelns auf ihre Lippen. »Gibt es neue Männer in deinem Leben?«

»Mehrere«, sagte sie. »Und bei dir?«

»Nein«, sagte er ernst. »Keine neuen Männer. Ein paar Mädchen, aber keine neuen Männer.«

Er hatte gehofft, daß sie lachen würde, bekam aber wieder nur den Schatten eines Lächelns. Ich beunruhige sie, dachte er. Das ist es. Sie weiß nicht, was ich hier will. Sie hat nicht drei Jahre lang darauf gewartet, dass ich wiederkomme. Sie wollte, daß ich wegbleibe.

»Immer noch der alte Larry«, sagte sie. »Nie ernst. Bist du verlobt?

Hast du eine feste Freundin?«

»Ich grase auf vielen Weiden, Mom.«

»Wie immer. Jedenfalls bist du nie nach Hause gekommen und hast mir erzählt, daß du ein nettes katholisches Mädchen entehrt hast. Das muß ich dir lassen. Du warst entweder sehr vorsichtig, oder du hast Glück gehabt.«

Er versuchte, sein Pokerface beizubehalten. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß sie mit ihm über Sex sprach, direkt oder indirekt.

»Du wirst es noch lernen«, sagte Alice. »Es heißt, Junggesellen hätten mehr Spaß. Stimmt nicht. Man wird nur alt, verknöchert und unangenehm, wie Mr. Freeman. Er hat unten die Souterrainwohnung, und da steht er den ganzen Tag am Fenster und hofft auf eine starke Brise.«

Larry grunzte.

»Ich habe deinen Song im Radio gehört. Ich sage den Leuten, das ist mein Sohn. Das ist Larry. Die meisten glauben es nicht.«

»Du hast ihn gehört?« Er wunderte sich, warum sie das nicht gleich erwähnt hatte, anstatt ihm mit diesen Moralpredigten zu kommen.

»Klar, er läuft dauernd im Rock-'n'-Roll-Sender, den die jungen Mädchen hören. WABC.«

»Gefällt er dir?«

»Nicht mehr oder weniger wie diese Musik überhaupt.« Sie sah ihn streng an. »Ich finde, es ist voller Andeutungen. Schlüpfrig.«

Er merkte, daß er mit den Füßen schlurfte, und zwang sich, damit aufzuhören. »Es soll nur... leidenschaftlich klingen, Mom. Weiter nichts.« Blut schoß ihm ins Gesicht. Er hatte nie gedacht, daß er in der Küche seiner Mutter sitzen und mit ihr über Leidenschaft reden würde.

»Der Ort für Leidenschaft ist das Schlafzimmer«, sagte sie knapp und beendete damit jede Diskussion über die ästhetischen Aspekte seiner Schallplatte. »Außerdem hast du etwas mit deiner Stimme gemacht. Du hörst dich an wie ein Nigger.«

»Jetzt?« fragte er amüsiert.

"»Nein, im Radio.«

»The brown sound is goin' around«, sagte Larry mit einer tiefen BillWithers-Stimme und lächelte.

»Genau so«, nickte sie. »Als ich ein Mädchen war, hielten wir Frank Sinatra für gewagt. Heute haben sie diese Disco-Musik. Disco nennen sie es. Ich nenne es Kreischen.« Sie sah ihn verdrossen an. »Wenigstens wird auf deiner Platte nicht gekreischt.«

»Ich bekomme Tantiemen«, sagte er. »Einen gewissen Prozentsatz für jede verkaufte Platte. Es beläuft sich auf...«

»Ach, hör auf«, sagte sie und brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.

»Ich hab' beim Rechnen immer abgeschrieben. Hat man dich schon bezahlt, oder hast du das kleine Auto auf Kredit gekauft?«

»Sie haben mir noch nicht viel gezahlt«, sagte er und schlitterte an den Rand einer Lüge, aber nicht darüber hinaus. »Ich habe das Auto anbezahlt. Den Rest finanziere ich.«

»Günstiger Kredit«, sagte sie giftig. »So ist dein Vater pleite gegangen. Der Arzt hat gesagt Herzanfall, aber das war es nicht. Er ist angebrochenem Herzen gestorben. Ein günstiger Kredit hat deinen Vater ins Grab gebracht.«

Es war das alte Lied, und Larry ließ es einfach über sich ergehen und nickte an den richtigen Stellen. Sein Vater hatte ein Kurzwarengeschäft gehabt. Nicht weit entfernt hatte dann ein Robert-Hall-Discountladen eröffnet, und ein Jahr später war sein Vater bankrott gewesen. Er hatte den Kummer in sich reingefressen, im wahrsten Sinne des Wortes, und in drei Jahren hundertzehn Pfund zugenommen. Als Larry neun war, war sein Vater in der Imbißstube an der Ecke vor einem Teller mit einem halb aufgegessenen Hackfleischsandwich tot umgefallen. Bei der Totenwache, wo ihre Schwester versuchte, eine Frau zu trösten, die ganz und gar nicht aussah, als würde sie Trost brauchen, hatte Alice Underwood gesagt, es hätte schlimmer sein können. Er hätte, sagte sie und sah ihrer Schwester über die Schultern und ihren Schwager direkt an, am Suff sterben können.

Alice zog Larry fortan alleine groß und beherrschte sein Leben mit ihren Sprichwörtern und Vorurteilen, bis er aus dem Haus ging. Als er mit Rudy Schwartz in Rudys altem Ford wegfuhr, waren ihre Abschiedsworte gewesen, daß es auch in Kalifornien Armenhäuser gebe. Ja, Leute, das ist meine Mama.

»Willst du hierbleiben, Larry?« fragte sie leise.

Er antwortete verblüfft: »Würde es dir was ausmachen?«

»Hier ist Platz genug. Das Rollbett steht immer noch im Hinterzimmer. Ich habe Sachen dort verstaut, aber du könntest die Kartons ja wegräumen.«

»In Ordnung«, sagte er langsam. »Wenn es dir wirklich nichts ausmacht. Nur ein paar Wochen. Ich dachte, ich besuche alte Freunde. Mark... Galen... David... Chris... diese Typen.«

Sie stand auf, ging zum Fenster und schob es hoch.

»Du kannst bleiben, solange du willst, Larry. Ich kann mich vielleicht nicht so gut ausdrücken, aber ich freue mich, dich zu sehen. Wir haben uns nicht sehr freundlich verabschiedet. Es sind böse Worte gefallen.« Sie zeigte ihm das noch verschlossene, aber zugleich auch von schrecklicher, widerwilliger Liebe erfüllte Gesicht. »Ich bedaure diese Worte. Ich habe sie nur ausgesprochen, weil ich dich liebe. Ich wußte nie, wie ich es dir gegenüber ausdrücken sollte, deshalb habe ich es auf andere Weise gesagt.«

»Schon gut«, sagte er und sah auf den Tisch. Das Blut schoß ihm wieder ins Gesicht. Er spürte es. »Hör mal, ich zahle natürlich Kostgeld.«

»Wenn du willst. Wenn nicht, mußt du es nicht. Ich arbeite. Tausende arbeiten nicht. Du bist immer noch mein Sohn.«

Er dachte an die steife tote Katze, die halb in der Mülltonne lag, und an Dewey Deck, der lächelnd den Gästen Nachschub besorgte, und plötzlich brach er in Tränen aus. Als er seine Hände nur noch verschwommen sah, dachte er, daß das eigentlich ihre Rolle sein sollte – nichts war so gelaufen, wie er gedacht hatte, nichts. Sie hatte sich doch verändert. Er auch, aber nicht so, wie er gedacht hatte. Eine unnatürliche Umkehrung hatte stattgefunden; sie war gewachsen, und er war irgendwie kleiner geworden. Er war nicht zu ihr nach Hause gekommen, weil er irgendwohin gehen mußte. Er war gekommen, weil er Angst hatte und seine Mutter brauchte. Sie stand am offenen Fenster und sah ihn an. Die weißen Vorhänge wurden von der feuchten Brise hereingeweht und verschleierten ihr Gesicht, verdeckten es nicht ganz, verliehen ihm aber ein geisterhaftes Aussehen. Verkehrslärm drang zum Fenster herein. Sie nahm das Taschentuch aus dem Ausschnitt des Kleides, kam zum Tisch und gab es ihm in eine ausgestreckte Hand. Larry hatte etwas Hartes an sich. Sie hätte ihn taxieren können, aber wozu? Sein Vater war ein Weichling gewesen, sie wußte im Grunde ihres Herzens, daß ihn eigentlich das ins Grab gebracht hatte; Max Underwood hatte pleite gemacht, weil er Kredit gegeben, nicht weil er ihn genommen hatte. Was nun diese Harte betraf, wem mußte Larry danken? Oder die Schuld geben?

Seine Tränen konnten diese Felsformation seines Charakters ebensowenig ändern wie ein kurzer Sommerregen das Aussehen von Felsen verändern kann. Man konnte diese Härte einem guten Zweck zuführen – das wußte sie, hatte es als Mutter erfahren, die ihren Jungen allein in einer Stadt großzog, die nichts auf Mütter gab, und noch weniger auf ihre Kinder -, aber Larry hatte noch keinen gefunden. Er war genau das, was sie gesagt hatte: der alte Larry. Er würde in den Tag hineinleben, nicht nachdenken, würde Leute – sich eingeschlossen – in verzwickte Lagen bringen, und wenn es zu schlimm würde, würde er auf seine Härte zurückgreifen und sich aus dem Schlamassel befreien. Und die anderen? Die würde er zurücklassen, damit sie selbst schwimmen oder untergehen konnten. Fels war hart, und diese Härte prägte seinen Charakter, aber er setzte sie immer noch destruktiv ein. Sie sah es seinem Gesicht an und seiner Haltung, sogar der Art, wie er mit dem Sargnagel wippte und kleine Rauchkringel in die Luft steigen ließ. Er hatte diese Härte in sich noch nicht bearbeitet und geschliffen, so daß er Menschen damit weh tun konnte, und das war immerhin etwas, aber wenn er sie brauchte, berief er sich trotzdem darauf, so wie ein Kind – er benützte sie als Keule, um sich den Weg aus Fallen freizuschlagen, die er sich selbst gestellt hatte. Früher hatte sie sich gesagt, Larry würde sich ändern. Sie hatte; er würde.

Aber vor ihr saß kein kleiner Junge, sondern ein erwachsener Mann, und sie hegte die Befürchtung, eines Tages könnte seine Chance, sich zu verändern – eine grundlegende, fundamentale Veränderung, die ihr Pfarrer eine Veränderung der Seele, nicht des Herzens, zu nennen pflegte -, vertan sein.

Larry hatte etwas in sich, das einen mit bitteren Schauern erfüllte, als würde man Kreide auf einer Tafel kreischen hören. Tief in seinem Inneren war nur Larry und sah heraus. Er duldete nur sich selbst in seinem Herzen. Aber sie hatte ihn trotzdem lieb.

Es war auch Gutes in Larry, viel Gutes, das wußte sie. Es war da, aber in diesen späten Stunden würde bestenfalls eine Katastrophe das Gute zum Vorschein bringen. Hier war keine Katastrophe; nur ihr weinender Sohn.

»Du bist müde«, sagte sie. »Hier, wasch dich. Ich schaffe die Kartons weg, dann kannst du schlafen. Wahrscheinlich gehe ich doch noch zur Arbeit.«

Sie ging durch den kurzen Flur ins Hinterzimmer, Larrys früheres Schlafzimmer, und Larry hörte sie ächzen und Kartons umräumen. Er wischte sich langsam die Augen. Verkehrslärm drang zum Fenster herein. Er versuchte sich zu erinnern, wann er zuletzt vor seiner Mutter geweint hatte. Er dachte an die tote Katze. Seine Mutter hatte recht. Er war müde. Müde wie noch nie. Er ging ins Bett und schlief fast achtzehn Stunden lang.

6

Am späten Nachmittag ging Frannie nach draußen, wo ihr Vater geduldig Erbsen und Bohnen jätete. Sie war ein Nachk ömmling, und er war schon über sechzig; unter der Baseballkappe, die er immer trug, lugten weiße Haare hervor. Ihre Mutter war in Portland, wo sie weiße Handschuhe kaufen wollte. Amy Lauder, Frans beste Jugendfreundin, wollte Anfang nächsten Monats heiraten. Sie betrachtete einen friedlichen Augenblick lang den Rücken ihres Vaters und hatte ihn einfach nur gern. Um diese Tageszeit hatte das Licht eine besondere Beschaffenheit, die sie liebte, etwas Zeitloses, das nur die flüchtigste Zeit in Maine auszeichnete, den Frühsommer. Wenn sie im Januar an dieses ganz besondere Licht dachte, wurde sie wehmütig. Im Licht eines Nachmittags im Frühsommer, der sich dem Abend zuneigte, lagen so viele schöne Dinge verborgen: Baseball der Junioren, wo Fred immer mitgespielt hatte; Wassermelonen; der erste Mais; Eistee in gekühlten Gläsern; Kindheit.

Frannie räusperte sich dezent. »Soll ich dir helfen?«

Er drehte sich um und grinste. »Hallo, Fran, hast mich wieder beim Wühlen erwischt, was?«

»Sieht so aus.«

»Ist deine Mutter schon wieder da?« Er runzelte leicht die Stirn, aber dann hellte sich seine Miene wieder auf. »Nein, richtig, sie ist ja eben erst weggefahren, nicht? Ja, hilf mir ruhig ein bißchen. Vergiß nur nicht, dich anschließend zu waschen.«

» Eine Dame erkennt man an ihren Händen «, spöttelte Fran und schnaubte. Peter versuchte einen mißbilligenden Blick, aber er gelang ihm nicht.

Sie nahm sich die Reihe neben ihm vor und fing an zu jäten. Sperlinge zwitscherten, und von der kaum einen Block entfernten US i klang konstanter Verkehrslärm herüber. Noch nicht so laut wie im Juli, wenn zwischen hier und Kittery fast jeden Tag ein tödlicher Unfall passierte, aber laut genug.

Peter erzählte ihr von seinem Tag, und sie antwortete mit den richtigen Fragen und nickte an den richtigen Stellen. Da er so sehr in seine Arbeit vertieft war, konnte er ihr Nicken nicht sehen, aber er sah aus dem Augenwinkel ihren Schattennicken. Er war Maschinist in einer großen Fabrik in Sanford, die Autoteile herstellte, die größte Automobilfirma nördlich von Boston. Er war vierundsechzig und kurz vor seinem letzten Jahr vor der Pensionierung. Ein kurzes Jahr, weil er noch vier Wochen alten Urlaub gespart hatte, den er im September nehmen wollte, wenn die »Itzigs« nach Hause gefahren waren. Er mußte ständig an die Pensionierung denken. Er sagte ihr, daß er sich bemühte, den Ruhestand nicht als endlose Ferien zu betrachten; er hatte mittlerweile genügend Freunde im Ruhestand, die ihm sagten, daß es ganz und gar nicht so war. Er glaubte nicht, daß er sich langweilen würde wie Harlan Enders oder so beschämend arm sein würde wie die Carons – der gute Paul hatte in seinem ganzen Leben kaum einen Tag krankgefeiert, und trotzdem waren er und seine Frau gezwungen gewesen, ihr Haus zu verkaufen und zu Tochter und Schwiegersohn zu ziehen.

Peter Goldsmith hatte sich nicht mit der Sozialversicherung begnügt; er hatte ihr schon früher nicht getraut, bevor das System unter Rezession, Inflation und ständig steigenden Arbeitslosenzahlen ins Wanken gekommen war. In den dreißiger und vierziger Jahren hatte es in Maine nicht viele Demokraten gegeben, erzählte er seiner lauschenden Tochter, aber ihr Großvater war einer gewesen, und ihr Großvater hatte, bei Gott, auch einen aus ihrem Vater gemacht. In den glorreichen Zeiten von Ogunquit waren die Goldsmiths deshalb gewissermaßen Parias gewesen. Aber sein Vater hatte ein Sprichwort gehabt, das so felsenfest war wie die Philosophie des störrischsten Republikaners in Maine: Verlaß dich nicht auf die Fürsten dieser Welt, denn sie hauen dich in die Pfanne, wie auch ihre Regierungen, bis ans Ende aller Tage.

Frannie gefiel es, wenn ihr Vater so erzählte. Er erzählte nicht oft so, denn die Frau, die seine Ehefrau und Frannies Mutter war, hatte seine Zunge mit dem Gift, das die ihre versprühte, fast zum Schweigen gebracht.

Man mußte auf sich selbst vertrauen, fuhr er fort, und die Fürsten dieser Welt, so gut sie konnten, mit den Leuten zurechtkommen lassen, die sie gewählt hatten. Meistens ging das nicht besonders gut, aber das machte nichts; sie verdienten einander.

»Bargeld ist die Lösung«, erzählte er Frannie. »Will Rogers sagt, Land ist die Lösung, weil das das einzige ist, wovon sie nicht mehr machen, aber das gilt auch für Gold und Silber. Ein Mann, der Geld liebt, ist ein Drecksack, den man hassen muß. Ein Mann, der nicht damit umgehen kann, ist ein Narr. Man haßt ihn nicht, aber man bemitleidet ihn.«

Fran fragte sich, ob er an den armen Paul Caron dachte, mit dem er schon vor ihrer Geburt befreundet gewesen war, beschloß aber, nicht zu fragen.

Jedenfalls mußte er ihr nicht sagen, daß er in den guten Jahren genügend auf die Seite gelegt hatte, daß sie zurechtkamen. Er sagte ihr aber, daß Fran ihnen nie eine Last gewesen war, weder in guten noch in schlechten Zeiten, und er erzählte seinen Freunden stolz, daß er ihr die Schulausbildung finanziert hatte. Wo sein Geld und ihr Grips nicht gereicht hatten, hatte sie es auf die altmodische Weise gemacht: indem sie den Rücken gekrümmt und die Möpse geschüttelt hatte. Man mußte arbeiten, hart arbeiten, wenn man das beschissene Landleben hinter sich lassen wollte. Ihre Mutter hatte das nicht immer verstanden. Veränderungen waren für die Frauen gekommen, ob sie den Frauen nun gefielen oder nicht, und Carla konnte kaum begreifen, daß Fran nicht nur deshalb zur Uni ging, um nach einem Ehemann zu suchen.

»Und jetzt muß sie erleben, daß Amy Lauder heiratet«, sagte Peter, »und sie denkt: >Das müßte meine Fran sein. Amy ist hübsch, aber wenn man meine Fran daneben stellt, sieht Amy wie eine alte gesprungene Schüssel aus.< Deine Mutter hat sich ihr ganzes Leben lang an alte Vorstellungen geklammert, und die kann sie nicht mehr überwinden. Das ist der Grund, warum ihr beiden von Zeit zu Zeit aneinandergeratet, daß die Fetzen fliegen. Keinen trifft Schuld. Du mußt nur eines bedenken, Fran; sie ist zu alt, sich noch zu ändern, und du wirst allmählich alt genug, das einzusehen.«

Danach plapperte er wieder von seiner Arbeit, erzählte ihr, wie ein Kollege fast den Daumen in einer kleinen Stanzmaschine verloren hatte, weil er mit den Gedanken in der Spielhalle war, während er den Daumen unter der Stanze hatte. Zum Glück hatte Lester Crowley ihn noch rechtzeitig weggezogen. Aber, fügte er hinzu, eines Tages würde Lester Crowley nicht mehr da sein. Er seufzte, als wäre ihm eingefallen, daß er bald auch nicht mehr da sein würde, und dann strahlte er und erzählte ihr von einem Einfall, wie man die Autoantenne im Chrom der Motorhaube verstecken könnte.

Seine Stimme wechselte von Thema zu Thema, sanft und beruhigend. Ihre Schatten wurden immer länger und gingen ihnen die Reihen entlang voraus. Sie ließ sich einlullen, wie immer. Sie war hergekommen, um etwas zu erzählen, aber wie seit frühester Kindheit hörte sie doch wieder nur zu. Nicht, daß er sie langweilte. Soweit sie wußte, langweilte er niemanden, außer vielleicht ihre Mutter. Er war der geborene Geschichtenerzähler.

Sie merkte, daß er aufgehört hatte zu reden. Er saß auf einem Stein am Ende seiner Reihe, stopfte die Pfeife und sah sie an.

»Was hast du denn auf dem Herzen, Frannie?« fragte er. Sie sah ihn einen Augenblick benommen an und wußte nicht, wie sie anfangen sollte. Sie war hergekommen, um es ihm zu erzählen, und jetzt war sie nicht sicher, ob sie es fertigbringen würde. Das Schweigen zwischen ihnen wurde immer größer, zuletzt war es ein Abgrund, den sie nicht ertragen konnte. Sie sprang.

»Ich bin schwanger«, sagte sie einfach.

Er hörte auf, sich die Pfeife zu stopfen, und sah sie nur an.

»Schwanger«, sagte er, als hätte er das Wort noch nie gehört. Dann sagte er: »O Frannie... ist das ein Witz? Oder ein Spiel?«

»Nein, Daddy.«

»Komm her und setz dich zu mir.«

Gehorsam ging sie die Reihe entlang und setzte sich neben ihn. Eine Steinmauer trennte ihr Grundstück vom Gemeindeland nebenan. Hinter der Mauer war eine dichte, duftende Hecke, die auf höchst anmutige Art verwildert war. Fran hatte Kopfschmerzen und ein mulmiges Gefühl im Magen.

»Wirklich?« fragte er sie.

»Wirklich«, sagte sie, und dann fing sie an zu weinen – nicht gekünstelt, sie konnte einfach nicht anders -, ein gewaltiges, schüttelndes Schluchzen. Er legte einen Arm um sie und hielt sie scheinbar sehr lange fest. Als die Tränen allmählich versiegten, stellte sie die Frage, die sie am meisten gequält hatte.

»Daddy, magst du mich jetzt noch?«

»Was?« Er sah sie erstaunt an. »Ja. Ich mag dich sogar noch sehr, Frannie.«

Das brachte sie wieder zum Weinen, aber diesmal ließ er sie allein damit fertig werden, während er seine Pfeife anzündete. Borkum Riff verwehte langsam in der leichten Brise.

»Bist du enttäuscht?« fragte sie.

»Ich weiß nicht. Ich hatte noch nie eine schwangere Tochter und weiß nicht, wie ich es aufnehmen soll. War es dieser Jess?«

Sie nickte.

»Hast du es ihm gesagt?«

Sie nickte wieder.

»Was hat er gesagt?«

»Er hat gesagt, er würde mich heiraten. Oder die Abtreibung bezahlen.«

»Heirat oder Abtreibung«, sagte Peter Goldsmith und sog an der Pfeife. »Der Junge fährt richtig zweigleisig.«

Sie blickte auf ihre Hände, die sie gespreizt auf die Jeans gelegt hatte. In den kleinen Falten an den Knöcheln und unter den Fingernägeln war Erde. Eine Dame erkennt man an ihren Händen, sagte ihre Mutter im Geiste. Eine schwangere Tochter. Ich werde aus der Kirche austreten müssen. Eine Dame erkennt man... Ihr Vater sagte: »Ich will nicht persönlicher werden als unbedingt nötig, aber war er... oder warst du... nicht vorsichtig?«

»Ich habe die Pille genommen«, sagte sie. »Hat aber nicht funktioniert.«

»Dann kann ich keine Schuld zuweisen, höchstens beiden«, sagte er und blickte sie eingehend an. »Und das kann ich schon gar nicht. Mit vierundsechzig vergißt man leicht, wie es mit einundzwanzig war. Von Schuld wollen wir nicht reden.«

Sie fühlte sich so erleichtert, daß ihr fast schwindlig wurde.

»Deine Mutter wird eine Menge über Schuld zu sagen haben«, sagte er, »und ich werde sie nicht daran hindern, aber ich stehe nicht auf ihrer Seite. Hast du das verstanden?«

Sie nickte. Ihr Vater versuchte nicht mehr, ihrer Mutter zu widersprechen. Jedenfalls nicht laut, wegen ihrer Zunge, die Gift versprühte. Widersprach man ihr, verlor sie manchmal die Beherrschung, hatte er einmal gesagt. Und wenn sie die Beherrschung verlor, wurde sie manchmal beleidigend und dachte so spät an Reue, daß es dem Beleidigten nichts mehr nützte. Es kam Frannie so vor, als hätte es für ihren Vater vor vielen Jahren zwei Möglichkeiten gegeben: fortgesetzte Opposition, die mit Scheidung geendet hätte, oder Kapitulation. Er hatte sich für letzteres entschieden – aber zu seinen Bedingungen. Sie fragte leise: »Bist du sicher, daß du dich da raushalten kannst?«

»Soll ich für dich Partei ergreifen?«

»Ich weiß nicht.«

»Was hast du jetzt vor?«

»Wegen Mom?«

»Nein. Wegen dir, Frannie.«

»Ich weiß nicht.«

»Ihn heiraten? Zu zweit lebt es sich so billig wie allein, heißt es jedenfalls.«

»Ich glaube, das kann ich nicht. Ich glaube, ich liebe ihn nicht mehr, wenn ich ihn überhaupt je geliebt habe.«

»Das Baby?« Seine Pfeife zog jetzt gut, und der Rauch hing süßlich in der Sommerluft. In den Vertiefungen des Gartens wuchsen Schatten, Grillen fingen an zu zirpen.

»Nein, das Baby ist nicht der Grund. Es wäre sowieso passiert. Jessie ist...« Sie verstummte und versuchte, sich darüber klarzuwerden, was genau mit Jessie nicht stimmte, was sie bei der Belastung, den der Gedanke an das Baby verursachte, übersehen konnte, bei der Belastung durch den Versuch, aus dem drohenden Schatten ihrer Mutter wegzukommen, die momentan im Kaufhaus war und Handschuhe für die Hochzeit von Frans Jugendfreundin kaufte. Was jetzt begraben werden konnte, aber trotzdem unruhig warten würde – sechs Monate, sechzehn oder sechsundzwanzig -, um dann schließlich doch aus dem Grab aufzuerstehen und ihnen beiden das Leben schwerzumachen. Schnell gefreit hat lang gereut. Ein Lieblingssprichwort ihrer Mutter.

»Er ist schwach«, sagte sie. »Besser kann ich es nicht erklären.«

»Du bist nicht recht davon überzeugt, daß er der Richtige für dich ist, oder, Frannie?«

»Stimmt«, sagte sie und dachte, daß ihr Vater der Wurzel des Übels eben nähergekommen war als sie selbst. Sie traute Jessie nicht, der aus einer reichen Familie kam und blaue Arbeiterhemden trug.

»Jessie meint es gut. Er will alles richtig machen; wirklich. Aber... wir waren vor zwei Semestern bei einer Dichterlesung. Ein Mann namens Ted Enslin hat sie gehalten. Der Hörsaal war brechend voll. Alle haben sehr ernst zugehört... so aufmerksam... damit ihnen kein einziges Wort entging. Und ich... du kennst mich ja...«


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