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The Stand. Das letze Gefecht
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 05:37

Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы


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Das Fernsehgerät kreischte und knisterte. Sein Herz schlug langsam in der Brust. Er konnte schwach das Geräusch der Klimaanlage hören, die gereinigte Luft in den Raum blies. Er spürte die Angst, die sich hinter seinem Pokerface drehte und wendete. Manchmal wurde sie groß und panisch und trampelte alles nieder: der Elefant. Manchmal war sie klein und nagend und biß mit winzigen Zähnen zu: die Ratte. Aber sie verließ ihn nicht.

Es dauerte vierzig Stunden, bis sie einen Mann zu ihm schickten, der redete.

8

Am 18. Juni, fünf Stunden nachdem er mit seinem Vetter Bill Hapscomb gesprochen hatte, erwischte Joe Bob Brentwood auf dem Texas Highway 40, etwa fünfundzwanzig Meilen östlich von Arnette, einen Raser. Der Raser war Harry Trent aus Braintree, Versicherungsvertreter. Er war auf einer Strecke, auf der fünfzig Meilen erlaubt waren, fünfundsechzig gefahren. Joe Bob gab ihm einen Strafzettel. Trent akzeptierte ihn ergeben und amüsierte Joe Bob gleich darauf, indem er versuchte, ihm eine Hausrats– und eine Lebensversicherung anzudrehen. Joe Bob fühlte sich großartig; er dachte als allerletztes ans Sterben. Dennoch war er schon ein kranker Mann. Er hatte an Bill Hapscombs Texaco-Tankstelle mehr als nur Benzin bekommen. Und er gab Harry Trent mehr als nur einen Strafzettel.

Harry, ein geselliger Mann, der seine Arbeit liebte, gab die Krankheit an diesem und dem nächsten Tag an über vierzig Menschen weiter. Man kann unmöglich sagen, wie viele andere diese vierzig wiederum ansteckten – ebensogut könnte man fragen, wie viele Engel auf einem Stecknadelkopf tanzen können. Bei einer zurückhaltenden Schätzung von jeweils fünf, kommt man auf zweihundert. Mit derselben zurückhaltenden Formel kann man sagen, daß diese zweihundert tausend ansteckten, die tausend wiederum fünftausend, und diese fünftausend schließlich fünfundzwanzigtausend.

In der Wüste Kaliforniens hatte jemand, unterstützt vom Geld der Steuerzahler, endlich einen Kettenbrief erfunden, der wirklich funktionierte. Einen ausgesprochen tödlichen Kettenbrief.

Am 19. Juni, dem Tag, als Larry Underwood nach New York zurückkehrte und Frannie Goldsmith ihrem Vater von dem zu erwartenden kleinen Neuankömmling berichtete, machte Harry Trent im östlichen Texas in einem Imbiß namens Babe's Quik -Eat Rast, weil er schnell etwas essen wollte. Er bestellte ein CheeseburgerMenü und als Nachtisch ein Stück von Babe's köstlicher Erdbeertorte. Er hatte eine leichte Erkältung, vielleicht eine Allergie, und mußte ständig niesen und spucken. Beim Essen steckte er Bäbe an, den Tellerwäscher, zwei Trucker in der Ecke, den Brotlieferanten, den Mann, der die Schallplatten in der Musicbox auswechseln wollte. Dem süßen Ding, das an seinem Tisch bediente, gab er einen Dollar Trinkgeld, an dem der Tod klebte.

Als er ging, fuhr ein Kombi vor. Dieser hatte einen Dachgepäckträger und war vollgestopft mit Kindern und Koffern. Das Auto hatte ein New Yorker Nummernschild, und der Fahrer, der das Fenster herunterkurbelte und Harry fragte, wie er zur US 21 Richtung Norden kam, hatte einen New Yorker Akzent. Harry beschrieb dem Mann sehr genau, wie er zum Highway 2.1 kam. Er stellte gleichzeitig ihm und seiner ganzen Familie die Totenscheine aus, ohne es zu wissen. Der New Yorker war Edward M. Norris, Polizeilieutenant im siebenundachtzigsten New Yorker Revier. Dies war sein erster richtiger Urlaub seit fünf Jahren. Er und seine Familie hatten eine schöne Zeit hinter sich. In Orlando, in Disney World, waren die Kinder im siebten Himmel gewesen, und Norris, der nicht wußte, dass die ganze Familie am zweiten Juli tot sein würde, wollte diesem sauertöpfischen Steve Carella erzählen, daß es dochmöglich war, Frau und Kinder mit in Urlaub zu nehmen und sich trotzdem zu erholen. Steve, würde er sagen, du bist vielleicht ein guter Polizist, aber ein Mann, der nicht auf seine eigene Familie aufpassen kann, ist weniger wert als ein Pißloch in einer Schneewehe.

Die Familie Norris aß einen Happen bei Bäbe und folgte dann Harrys bewundernswert korrekten Angaben zum Highway 2.1. Ed und seine Frau Trish äußerten sich erstaunt über die Gastfreundschaft im Süden, während die Kinder auf dem Rücksitz schon Farbe bekamen. Nur der Himmel konnte wissen, überlegte Harry, was Carellas zwei Monster angestellt haben würden.

Die Nacht verbrachten sie in einem Motel in Eustace, Oklahoma. Ed und Trish steckten den Portier an. Marsha, Stanley und Hector, die Kinder, steckten die Kinder an, mit denen sie auf dem Spielplatz spielten – Kinder, die nach West-Texas, Alabama, Arkansas und Tennessee unterwegs waren. Trish steckte die beiden Frauen an, die in der zwei Blocks entfernten Wäscherei wuschen. Als Ed Eis holen wollte, steckte er einen Mann an, der im Flur an ihm vorbeiging. Alle gesellten sich zu dem Reigen.

Trish weckte Ed in den frühen Morgenstunden und sagte ihm, dass Hector, das Baby, krank war. Es hatte einen häßlichen kratzenden Husten und Fieber. Es hörte sich wie Krupp an. Ed Norris stöhnte und sagte ihr, sie solle dem Kind Aspirin geben. Wenn das Kind mit seinem verdammten Krupp noch vier oder fünf Tage gewartet hätte, wäre er erst zu Hause ausgebrochen, und Ed wäre die Erinnerung an einen perfekten Urlaub geblieben (ganz zu schweigen von der Häme, die er versprühen wollte). Er hörte das arme Kind durch die Verbindungstür; es hustete wie der Teufel.

Trish ging davon aus, daß sich Hectors Zustand im Laufe des Vormittags bessern würde – beim Krupp mußte man nur im Bett bleiben -, aber am zwanzigsten gegen Mittag mußte sie sich eingestehen, daß das nicht der Fall war. Das Aspirin hatte das Fieber nicht gesenkt; der arme Heck hatte immer noch glasige Augen. Sein Husten hatte einen hohlen Klang, der ihr nicht gefiel, sein Atem klang keuchend und verschleimt. Was es auch sein mochte, Marsha schien es ebenfalls zu bekommen, und Trish spürte ein unangenehmes Kratzen im Hals, so daß sie dauernd husten mußte, bisher zum Glück nur ein leichter Husten, den sie mit einem kleinen Taschentuch ersticken konnte.

»Wir müssen mit Heck zum Arzt«, sagte sie schließlich.

Ed fuhr auf das Gelände einer Tankstelle und sah auf die Karte, die er an der Sonnenblende des Kombi festgeklemmt hatte. Sie waren in Hammer Crossing, Kansas. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht finden wir zumindest einen Arzt, der uns ein Rezept ausschreibt.« Er strich sich seufzend und ungehalten mit einer Hand durchs Haar.

»Hammer Crossing, Kansas! Großer Gott! Warum mußte er so krank werden, daß er in einem Kuhdorf wie dem hier einen Arzt braucht?«

Marsha, die über die Schulter ihres Vaters hinweg die Karte studierte, sagte: »Da steht, daß Jesse James hier die Bank ausgeraubt hat, Daddy. Zweimal.«

»Scheiß auf Jesse James«, knurrte Ed.

»Ed!« rief Trish.

»Tut mir leid«, sagte er, obwohl es ihm überhaupt nicht leid tat.

Er fuhr weiter. Nach sechs Anrufen, bei denen er sich nur mühsam beherrschen konnte, fand er schließlich einen Arzt in Polliston, der sich Hector ansehen wollte, wenn sie es schafften, bis um drei bei ihm zu sein. Polliston lag abseits ihrer Strecke, zwanzig Meilen westlich von Hammer Crossing, aber momentan zählte nur Hector. Ed machte sich allmählich große Sorgen um ihn. Er hatte sein Kind noch nie mit so wenig Mumm gesehen.

Nachmittags um zwei Uhr saßen sie im Wartezimmer von Dr. Brendan Sweeney. Inzwischen nieste auch Ed. Sweeneys Wartezimmer war überfüllt; sie kamen erst kurz vor vier an die Reihe. Trish konnte Heck höchstens zu einem benommenen Dämmerzustand aufrütteln, und sie fühlte sich selbst 8z fiebrig. Nur Stan Norris, neun, war noch in guter Verfassung und alberte herum.

Während sie im Wartezimmer saßen, übertrugen sie die Krankheit, die bald im ganzen zusammenbrechenden Land als Captain Trips bekannt sein sollte, auf mehr als fünfundzwanzig Menschen, darunter eine matronenhafte Frau, die nur gekommen war, um eine Rechnung zu bezahlen, und die anschließend ihren ganzen Bridgeclub ansteckte.

Diese matronenhafte Frau war Mrs. Robert Bradford, für den Bridgeclub Sarah Bradford, für ihren Mann und enge Freunde Cookie. Sarah spielte an diesem Abend gut, vielleicht weil sie Angela Dupray, ihre beste Freundin, als Partnerin hatte. Es war wie Telepathie. Sie gewannen alle drei Runden wie im Schlaf, die letzte mit Glanz und Gloria. Das einzige Haar in der Suppe war für Sarah, daß sie eine Erkältung zu bekommen schien. Das war nicht fair; sie hatte gerade erst eine gehabt.

Sie und Angela gingen noch auf einen gemütlichen Drink in eine Cocktailbar, als sich die Runde um zehn auflöste. Angela hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. David war an der Reihe, sein wöchentliches Pokerspiel fand heute bei ihnen zu Hause statt, und sie würde bei dem Lärm bestimmt kein Auge zutun... wenn sie nicht vorher ein selbstverschriebenes Schlafmittel zu sich nahm, in ihrem Fall zwei doppelte Gin Fizz.

Sarah nahm einen Ward 8, dann unterhielten sich die beiden Frauen über die Bridge-Partie. Dabei gelang es ihnen, jeden in der CocktailBar von Polliston anzustecken, darunter auch zwei junge Männer, die in der Nähe ein Bier tranken. Sie waren auf dem Weg nach Kalifornien – genau wie seinerzeit Larry Underwood und sein Freund Rudy Schwartz -, um ihr Glück zu machen. Ein Freund hatte ihnen Arbeit bei einer Umzugsfirma versprochen. Am nächsten Tag brachen sie nach Westen auf und verbreiteten die Krankheit unterwegs.

Kettenbriefe funktionieren nicht. Das ist bekannt. Die Million Dollar, die einem versprochen wird, wenn man nur einen einzigen Dollar an die oberste Adresse schickt, seinen eigenen Namen unten anfügt und den Brief dann an fünf Freunde schickt, trifft nie ein. Dieser, der Captain-Trips -Kettenbrief, funktionierte ausgezeichnet. Die Pyramide wurde nicht vom Fundament aus gebaut, sondern von der Spitze abwärts – und diese Spitze war ein verstorbener Wachmann der Armee namens Charles Campion. Alle Vögel kehrten zum Nisten heim. Aber statt des Briefträgers, der jedem Teilnehmer waschkorbweise Briefumschläge mit Eindollarnoten brachte, kam Captain Trips und brachte den Tod, eine oder zwei Leichen im Schlafzimmer, Massengräber und schließlich Tote, die an jeder Küste ins Meer gekippt wurden, in Steinbrüche und in die Baugruben angefangener Häuser. Und zuletzt verwesten die Leichen einfach dort, wo sie lagen, saßen, lehnten.

Sarah Bradford und Angela Dupray gingen gemeinsam zu ihren geparkten Autos zurück (und steckten unterwegs vier oder fünf Leute an, denen sie auf der Straße begegneten), dann umarmten sie sich und gingen getrennte Wege. Angela ging nach Hause und steckte ihren Mann, seine Pokerfreunde und ihre Teenager-Tochter Samantha an. Ihre Eltern wußten nicht, daß Sarah Sterbensangst hatte, ihr Freund könnte sie mit Tripper angesteckt haben. Was, ganz nebenbei, auch stimmte. Dennoch hatte sie keinen Grund, sich Sorgen zu machen; verglichen mit dem, was ihre Mutter ihr angehängt hatte, war der Tripper ungefähr so ernst wie ein kleines Ekzem an der Braue.

Am nächsten Tag steckte Samantha jeden im Schwimmbad des CVJM von Polliston an.

Und so weiter.

9

Sie fielen nach Einbruch der Dämmerung über ihn her, als er auf der Böschung die US Route 2.7 entlangging, die eine Meile hinter ihm, wo sie durch die Stadt führte, Main Street hieß. Ein oder zwei Meilen weiter hatte er nach Westen auf die 63 abbiegen wollen, die ihn zur Schnellstraße und damit zum Startpunkt seines langen Wegs nach Norden geführt hätte. Vielleicht waren seine Sinne von den zwei Bier, die er gerade getrunken hatte, ein wenig abgestumpft, aber er hatte gewußt, daß etwas nicht stimmte. Eben erinnerte er sich an die vier oder fünf vierschrötigen Einwohner, die am hinteren Ende der Bar gestanden hatten, als sie aus der Deckung sprangen und auf ihn zuliefen.

Nick lieferte einen guten Kampf, brachte einen von ihnen zu Fall und schlug einem anderen die Nase blutig – dem Geräusch nach war sie sogar gebrochen. Einen Augenblick oder zwei wiegte er sich sogar in der Hoffnung, er könnte gewinnen. Die Tatsache, daß er beim Kampf nicht den geringsten Laut von sich gab, entnervte die Angreifer etwas. Sie waren weichlich. Vielleicht hatten sie bei so etwas schon leichtes Spiel gehabt, und sie hatten ganz sicher von dem mageren Jungen mit dem Rucksack keinen ernsten Widerstand erwartet.

Dann traf ihn einer der Gegner knapp über dem Kinn, riß ihm mit einer Art Schulring die Lippen auf, und er schmeckte warmes Blut, das ihm in den Mund lief. Er taumelte rückwärts, und einer hielt ihm die Arme fest. Er wehrte sich heftig und bekam eine Hand frei, als ihm eine Faust ins Gesicht fuhr wie ein wildgewordener Mond. Bevor sie sein rechtes Auge schloß, sah er den Ring wieder, der matt im Licht der Sterne funkelte. Er selbst sah auch Sterne und spürte, wie sein Bewußtsein sich trübte und ins Unbekannte abzudriften drohte.

Panik stieg in ihm auf; er wehrte sich noch verbissener. Der Mann mit dem Ring stand jetzt vor ihm, und Nick, der vor dem nächsten Schlag Angst hatte, trat ihm in den Bauch. Schulring stieß die Luft aus, klappte zusammen und gab eine Reihe keuchender, japsender Laute von sich wie ein Terrier mit Kehlkopfentzündung.

Die anderen umringten ihn. Für Nick waren sie nur noch Schemen, muskulöse Männer – gute alte Jungs, wie sie sich selbst nannten – in grauen Hemden mit hochgekrempelten Ärmeln, damit man die gewaltigen sommersprossigen Oberarmmuskeln sehen konnte. Sie trugen schwarze Arbeitsstiefel. Fettige Haarsträhnen fielen ihnen in die Stirn. Im letzten Licht des Tages kam ihm dies alles wie ein böser Traum vor. Blut floß ihm in das offene Auge. Der Rucksack wurde ihm von der Schulter gerissen. Schläge hagelten auf ihn herab, und er wurde zu einer zitternden, rückgratlosen Marionette an einer zerschlissenen Schnur. Das Bewußtsein verließ ihn nicht ganz. Die einzigen Geräusche waren ihr atemloses Keuchen, wenn sie die Fäuste in ihn rammten, und das Zwitschern eines Ziegenmelkers in dem nahe gelegenen Pinienhain.

Schulring hatte sich wieder aufgerappelt. »Haltet ihn fest«, sagte er.

»Haltet ihn an den Haaren fest.«

Hände packten seine Arme. Jemand krallte beide Hände in Nicks krauses schwarzes Haar.

»Warum schreit er nicht?« fragte einer der Schläger erregt. »Warum schreit er nicht, Ray?«

»Ich hab' dir gesagt, du sollst keine Namen nennen«, sagte Schulring. »Ist mir scheißegal, warum er nicht schreit. Ich mach' ihn fertig. Der Pisser hat mich getreten. Ist 'n unfairer Kämpfer.«

Die Faust schoß vor. Nick riß den Kopf zur Seite, und der Ring schürfte ihm die Wange auf.

»Ich hab' gesagt, haltet ihn«, sagte Ray. »Was seid ihr denn, Memmen?«

Die Faust schlug wieder zu, und Nicks Nase wurde eine zerquetschte, triefende Tomate. Sein Atem verdichtete sich zu einem Keuchen. Sein Bewußtsein war nur noch ein bleistiftdünner Lichtstrahl. Er klappte den Mund auf und zog die Nachtluft ein. Der Ziegenmelker zwitscherte wieder, melodisch und lieblich. Nick hörte es ebensowenig wie beim ersten Mal.

»Haltet ihn«, sagte Ray. »Haltet ihn, verdammt.«

Die Faust schoß vor. Zwei von Nicks Schneidezähnen brachen ab, als der Schulring dagegenschmetterte. Er spürte rasende Schmerzen, konnte aber nicht schreien. Seine Beine gaben nach, und er sackte zusammen, aber die Hände hielten ihn wie einen Mehlsack. – »Das reicht, Ray! Willst du ihn umbringen?«

»Haltet ihn. Der Pisser hat mich getreten. Ich mach' ihn fertig.«

Dann leuchteten Scheinwerfer die Straße entlang, an deren Rand hier dichtes Unterholz und alte Pinien wuchsen.

»Scheiße!«

»Laßt ihn fallen, laßt ihn fallen!«

Das war Rays Stimme, aber Ray stand nicht mehr vor ihm. Nick spürte dumpfe Erleichterung, aber sein letztes Fünkchen Bewußtsein war mit den Schmerzen im Mund beschäftigt. Er spürte Zahnsplitter auf der Zunge.

Hände schubsten ihn und stießen ihn mitten auf die Straße. Dort erfaßten ihn die heranjagenden Lichtkegel wie einen Schauspieler auf der Bühne. Bremsen kreischten. Nick ruderte mit den Armen und versuchte auszuweichen, aber die Beine gehorchten ihm nicht; sie hielten ihn für tot und hatten ihn aufgegeben. Er brach auf der Straße zusammen, und das Quietschen von Bremsen und Reifen erfüllte die ganze Welt, während er betäubt darauf wartete, überfahren zu werden. Wenigstens würden die Schmerzen im Mund vorbei sein. Dann flogen ihm Kiesel um die Ohren, und er sah einen Reifen, der knapp zwanzig Zentimeter vor seinem Gesicht zum Stillstand gekommen war. Er sah einen kleinen weißen Stein, der im Profil festgeklemmt war wie eine Münze zwischen zwei Fingerknöcheln. Ein Stück Quarz, dachte er zusammenhanglos und verlor das Bewußtsein.



Als Nick wieder zu sich kam, lag er auf, einer Pritsche. Sie war hart, aber er hatte in den letzten drei Jahren schon härter gelegen. Nur mit Mühe konnte er die Augen aufschlagen. Sie schienen zugeklebt, und das rechte, das von dem wildgewordenen Mond getroffen worden war, kam nur auf Halbmast.

Er sah eine rissige graue Betondecke. Isolierte Rohre liefen daran entlang. Über eines dieser Rohre krabbelte emsig ein großer Käfer. Eine Kette zerschnitt Nicks Gesichtsfeld in zwei Teile. Er hob ein wenig den Kopf, was teuflisch weh tat, und sah eine zweite Kette, die vom äußeren Rand der Pritsche zu einem Bolzen an der Wand führte.

Er drehte den Kopf nach links (was wieder teuflisch weh tat, wenn auch nicht mehr so ganz unerträglich) und sah eine grobe Betonwand. Risse zogen sich darüber. Sie war vollgekritzelt. Manche Aufschriften waren neu, manche alt, die meisten vulgär. HIER GIBT ES WANZEN. LOUIS DRAGONSKY, 1987. ICH MAG'S IM ARSCH. EPPI LEPPI ABER HAPPY. GEORGE RAMPLING IST EIN WICHSER. ICH LIEBE DICH IMMER NOCH, SUZANNE. DIESES LOCH STINKT. CLYDE D. FRED 1981. Daneben Zeichnungen von großen baumelnden Fimmeln, gigantischen Brüsten und unbeholfen hingekritzelten Vaginas. Das alles verriet Nick, wo er war. In einer Gefängniszelle.

Vorsichtig stützte er sich auf die Ellbogen, ließ die Füße (in Papierpantoffeln) über den Rand der Pritsche hinab und brachte sich in eine sitzende Position. Wieder fuhr ihm eine Großpackung Schmerz durch den Kopf, und seine Wirbelsäule knackte bedenklich. Sein Magen wogte erschreckend im Bauch, und eine lähmende Übelkeit überkam ihn, die bestürzende Art entmannender Übelkeit, bei der man weinen und zu Gott flehen möchte, er möge sie beenden.

Anstatt zu schreien – das hätte er gar nicht gekonnt – beugte sich Nick über die Knie, stützte den Kopf in die Hände und wartete darauf, daß es besser wurde. Nach einer Weile war das auch der Fall. Er spürte das Pflaster, das man ihm über den Riß in der Wange geklebt hatte, und als er die betroffene Gesichtshälfte ein paarmal verzog, stellte er fest, daß ihm ein Kurpfuscher obendrein noch ein paar Stiche verpaßt haben mußte.

Er sah sich um. Er saß in einer kleinen Zelle, die wie ein aufrechtgestellter Karton aussah. Im Anschluß an die Pritsche kam eine Gittertür. An der Wand neben der Pritsche stand eine Toilette ohne Brille und Deckel. Hinten über ihm – er sah es, als er den steifen Hals ganz vorsichtig reckte – war ein kleines vergittertes Fenster.

Nachdem er so lange auf der Bettkante sitzen geblieben war, daß er sicher sein konnte, er würde nicht in Ohnmacht fallen, streifte er die grauen, verwaschenen Pyjamahosen, die er trug, nach unten, setzte sich auf die Toilette und urinierte mindestens eine Stunde. So kam es ihm jedenfalls vor. Als er fertig war, stand er auf und hielt sich dabei wie ein alter Mann an der Pritsche fest. Er sah ängstlich nach Blutspuren im Becken, aber sein Urin war klar. Er spülte ihn weg. Er ging vorsichtig zur Gittertür und sah auf den kurzen Flur hinaus. Links war die Ausnüchterungszelle. Ein alter Mann lag auf einer der fünf Pritschen, eine Hand wie Treibholz baumelte auf dem Fußboden. Rechts führte der Flur zu einer Tür, die angelehnt war. In der Mitte des Flurs hing eine Lampe mit grünem Schirm, wie er sie schon in Billardhallen gesehen hatte.

Ein Schatten erhob sich und tanzte auf der angelehnten Tür. Dann betrat ein großer Mann in Khaki-Uniform den Flur. Er trug einen Sam-Browne-Gürtel und eine großkalibrige Pistole. Er hakte die Daumen in die Hosentaschen und sah Nick fast eine Minute schweigend an. Dann sagte er: »Als ich ein Junge war, haben wir einmal in den Bergen einen Puma gestellt, geschossen und dann auf steinigen Wegen zwanzig Meilen bis in die Stadt geschleift. Was von dem Tier übrig war, als wir zu Hause ankamen, war der traurigste Anblick meines Lebens. Du bist der zweittraurigste, Junge.«

Nick fand, daß die Worte einstudiert klangen, sorgfältig zurechtgelegt und gehütet, Fremden und Vagabunden vorbehalten, die von Zeit zu Zeit die vergitterten Kartons bewohnten.

»Hast du einen Namen, Babalugah?«

Nick legte einen Finger auf die geschwollenen und aufgerissenen Lippen und schüttelte den Kopf. Er hielt eine Hand vor den Mund, führte sie mit einer langsamen diagonalen Bewegung durch die Luft und schüttelte noch einmal den Kopf.

»Was? Kannst nicht sprechen? Was ist denn das für eine Scheiße?«

Die Worte waren mit freundlicher Miene gesprochen, aber Nick konnte Aussprache und Betonungen nicht folgen. Er griff einen unsichtbaren Bleistift aus der Luft und schrieb damit.

»Du willst einen Stift?«

Ein zustimmendes Nicken.

»Wenn du stumm bist, warum hast du dann keinen Ausweis?«

Nick zuckte die Achseln. Er kehrte die leeren Taschen nach außen. Er ballte die Fäuste und machte Schattenboxen in der Luft, was wieder zu stechenden Kopfschmerzen und Übelkeitsgefühl im Magen führte. Am Ende tippte er leicht mit den Fäusten an die Schläfen, verdrehte die Augen nach oben und sank gegen die Gitterstäbe. Dann deutete er auf seine leeren Taschen.

»Du bist ausgeraubt worden.«

Nick nickte.

Der Mann in Khaki wandte sich ab und ging wieder in sein Büro. Einen Augenblick später kam er mit einem stumpfen Bleistift und Notizblock zurück. Oben auf jedem Zettel stand: Büro Sheriff John Baker.

Nick drehte den Block um und zeigte mit dem Radiergummiende auf den Namen. Er zog fragend die Brauen hoch.

»Ja, das bin ich. Und wer bist du?«

»Nick Andros«, schrieb er. Er steckte die Hände durch das Gitter. Baker schüttelte den Kopf. »Ich geb' dir nicht die Hand. Bist du auch taub?«

Nick nickte.

»Was ist gestern abend passiert? Doc Soames und seine Frau hätten dich fast überfahren wie ein Waldmurmeltier, Junge.«

»Zusammengeschlagen und ausgeraubt«, schrieb Nick. »Ungefähr eine Meile von einer Kneipe an der Main Street entfernt. Zack's Place.«

»Kein Lokal für einen Jungen wie dich, Babalugah. Du bist noch nicht alt genug zum Trinken.«

Nick schüttelte empört den Kopf. »Ich bin zweiundzwanzig«, schrieb er.

»Ich kann ein paar Bier trinken, ohne deshalb zusammengeschlagen & ausgeraubt zu werden, oder?«

Baker las das mit einem gallig amüsierten Gesichtsausdruck. »In Shoyo kannst du das offenbar nicht. Was treibst du hier, Junge?«

Nick riß den ersten Zettel vom Block, knüllte ihn zusammen und liess ihn auf den Fußboden fallen. Bevor er seine Antwort schreiben konnte, fuhr ein Arm durch das Gitter, und eine stählerne Hand packte ihn an der Schulter. Nicks Kopf fuhr hoch.

»Meine Frau putzt die Zellen«, sagte Baker, »und ich sehe keinen Grund, warum du deine dreckig machen mußt. Wirf das ins Klo.«

Nick bückte sich, zuckte vor Rückenschmerzen zusammen und hob die Papierkugel vom Boden auf. Er ging zur Toilette, warf sie hinein und sah Baker mit hochgezogenen Brauen an. Baker nickte. Nick kam zurück. Diesmal schrieb er länger, der Bleistift flog über das Papier. Baker überlegte, daß es ziemlich knifflig sein mußte, einem taubstummen Kind Lesen und Schreiben beizubringen, und daß dieser Nick Andros im Oberstübchen ganz gut ausgestattet sein mußte, wenn er es kapiert hatte. Es gab Jungs hier in Shoyo, Arkansas, die es nie richtig kapiert hatten, und mehr als ein paar davon waren regelmäßig in Zack's Place. Aber das konnte ein Junge, den es gerade in die Stadt verschlagen hatte, natürlich nicht wissen.

Nick schob den Notizblock durch das Gitter.

»Ich bin herumgereist, bin aber kein Landstreicher. Gestern habe ich für einen Mann namens Rieh Ellerton gearbeitet, ungefähr sechs Meilen westlich von hier. Ich habe die Scheune saubergemacht und einen Wagen Heu auf den Boden geschafft. Letzte Woche habe ich in Watts, Okla, einen Zaun gezogen. Die Männer, die mich zusammenschlugen, haben meinen ganzen Wochenlohn. «

»Bist du sicher, daß du für Rieh Ellerton gearbeitet hast? Das kann ich nachprüfen, weißt du.« Baker hatte Nicks Erklärung abgerissen, sie zur Größe eines Geldbörsenfotos zusammengefaltet und in die Hemdtasche gesteckt.

Nick nickte.

»Hast du seinen Hund gesehen?«

Nick nickte »Welche Rasse?«

Nick bat mit einer Geste um den Notizblock. »Großer Dobermann«, schrieb er. »Aber lieb. Nicht böse.«

Baker nickte, wandte sich ab und ging wieder in sein Büro. Nick stand am Gitter und sah ihm ängstlich nach. Wenig später kam Baker mit einem großen Schlüsselbund zurück, schloß die Tür der Arrestzelle auf und schob sie in ihrer Schiene zurück.

»Komm mit ins Büro«, sagte Baker. »Möchtest du frühstücken?«

Nick schüttelte den Kopf und verdeutlichte durch Gesten Eingießen und Trinken.

»Kaffee? Hab' ich. Milch und Zucker?«

Nick schüttelte den Kopf.

»Du trinkst ihn wie ein Mann, was?« Baker lachte. »Komm mit.«

Baker wandte sich ab, und Nick konnte nicht verstehen, was er redete, da Baker ihm den Rücken zugekehrt hatte und Nick seine Lippen nicht lesen konnte. »Mich stört die Gesellschaft nicht. Ich hab'

Schlafstörungen. Ist inzwischen so schlimm, daß ich keine Nacht mehr als drei oder vier Stunden schlafen kann. Meine Frau meint, ich soll zu so 'nem sauteuren Doktor in Pine Bluff. Wenn's so weitergeht, mach' ich das vielleicht. Ich meine, sieh dir das an – es ist fünf Uhr morgens, noch nicht mal hell draußen, und ich futtere Eier und fettige Fritten von der Raststätte an der Straße.«

Beim letzten Satz drehte er sich um, und Nick bekam gerade noch »...Raststätte an der Straße« mit. Er zog die Brauen hoch und zuckte die Schultern, um seiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen.

»Nicht wichtig«, sagte Baker. »Jedenfalls nicht für einen jungen Kerl wie dich.«

Im Büro schenkte Baker ihm aus einer riesigen Thermosflasche schwarzen Kaffee ein. Das halbgegessene Frühstück des Sheriffs stand auf der Schreibunterlage auf dem Tisch, und er zog es zu sich herüber. Nick schlürfte Kaffee. Die Lippen taten ihm weh, aber der Kaffee war gut.

Er tippte Baker auf die Schulter, und als der aufsah, deutete Nick auf den Kaffee, strich sich den Bauch und zwinkerte ihm ernst zu. Baker lächelte. »Das will ich meinen. Den macht meine Frau Jane.«

Er schob sich ein halbes gebratenes Ei in den Mund, kaute und zeigte mit der Gabel auf Nick. »Du bist ganz gut. Wie die Pantomimen. Ich wette, du hast kaum Schwierigkeiten, dich verständlich zu machen, hm?«

Nick machte eine wippende Geste mit der Hand. Comme ci, comme ca.

»Ich werde dich nicht festhalten«, sagte Baker und wischte mit einem Stück Toast Fett vom Teller, »aber ich mache dir einen Vorschlag. Wenn du noch eine Weile bleibst, erwischen wir vielleicht den Burschen, der dich so zugerichtet hat. Einverstanden?«

Nick nickte und schrieb: »Glauben Sie, ich bekomme mein Geld zurück?«

»Keine Chance«, sagte Baker geradeheraus. »Ich bin nur ein Hinterwäldlersheriff. Für so etwas brauchtest du Oval Roberts.«

Nick nickte und zuckte die Achseln. Er legte die Hände zusammen und machte einen davonfliegenden Vogel nach.

»Ja, so ungefähr. Wie viele waren es?«

Nick hielt vier Finger hoch, zuckte dann die Achseln, fünf.

»Könntest du sie identifizieren?«

Nick hielt einen Finger hoch und schrieb: »Groß & blond. Ihre Größe, vielleicht etwas dicker. Graue Hosen & Hemd. Er trug einen großen Ring. Dritter Finger, rechte Hand. Purpurfarbener Stein. Damit hat er mich geschnitten.«

Als Baker das las, ging in seinem Gesicht eine Veränderung vor. Zuerst Sorge, dann Wut. Nick, der glaubte, die Wut richte sich gegen ihn, bekam wieder Angst.

»Mein Gott«, sagte Baker. »Das ist der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Bist du sicher?«

Nick nickte.

»Sonst noch was? Hast du sonst noch was gesehen?«

Nick dachte angestrengt nach, dann schrieb er: »Kleine Narbe. An der Stirn.«

Baker las die Worte. »Das ist Ray Booth«, sagte er. »Mein Schwager. Danke, Junge. Fünf Uhr morgens, und schon ist mein Tag versaut.«

Nick machte die Augen ein wenig weiter auf und deutete mit der Hand vorsichtig sein Bedauern an.

»Ja, schon gut«, sagte Baker mehr zu sich selbst als zu Nick. »Er ist ein schlechter Schauspieler. Janey weiß es. Als sie noch Kinder waren, hat er sie oft genug verprügelt. Trotzdem sind sie Geschwister, und ich denke, für diese Woche kann ich mein Liebesleben vergessen.«

Nick senkte verlegen den Kopf. Nach einer Weile schüttelte Baker ihn an der Schulter, damit Nick ihn sprechen sehen konnte.

»Hat wahrscheinlich sowieso keinen Zweck«, sagte er. »Ray und seine Wichserkumpel werden sich gegenseitig ein Alibi verschaffen. Dein Wort gegen ihres. Hast du ihnen auch was verpaßt?«

»Diesen Ray in den Bauch getreten«, schrieb Nick. »Einen anderen auf die Nase geschlagen. Wahrscheinlich gebrochen.«

»Ray lungert hauptsächlich mit Vince Hogan, Billy Warner und Mike Childress rum«, sagte Baker. »Wenn ich Vince allein erwische, krieg' ich ihn vielleicht klein. Er hat so wenig Rückgrat wie 'ne altersschwache Qualle. Wenn ich ihn hab', könnte ich mich um Mike und Billy kümmern. Ray hat den Ring von einer Studentenverbindung an der LSU. Er ist nach dem ersten Semester ausgestiegen.« Er schwieg und klopfte mit den Fingern auf den Rand des Frühstückstellers. »Schätze, wir könnten es versuchen, Junge, wenn du willst. Aber ich warne dich vorher, wahrscheinlich werden wir sie nicht erwischen. Sie sind so bösartig und feige wie eine Hundemeute, aber sie stammen aus der Stadt, und du bist nur ein taubstummer Herumtreiber. Und wenn sie ungeschoren davonkommen, hast du sie wieder auf dem Hals.«

Nick dachte darüber nach. In Gedanken sah er immer wieder sich selbst, wie er von einem zum anderen gestoßen wurde wie eine blutende Vogelscheuche, und Rays Lippen, die die Worte formten: Ich mach' ihn fertig. Der Pisser hat mich getreten.Und wie sie ihm den Rucksack, seinen alten Freund aus zwei Wanderjahren vom Rücken gerissen hatten.


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