Текст книги "The Stand. Das letze Gefecht"
Автор книги: Stephen Edwin King
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Ужасы
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3
Norm Bruett wurde morgens um Viertel nach zehn wach, weil Kinder sich vor dem Schlafzimmerfenster stritten und Country Music aus dem Radio in der Küche plärrte.
Er ging in seiner schmuddeligen Unterwäsche zur Hintertür, riß sie auf und schrie: »Schnauze, Kinder!«
Ein Moment Stille. Luke und Bobby sahen von dem verrosteten alten Kipper auf, um den sie sich gestritten hatten. Wie immer, wenn er seine Kinder sah, war Norm hin und her gerissen. Ihm blutete das Herz, wenn er sie in den abgetragenen Sachen und Klamotten von der Heilsarmee sah, wie die Niggerkinder in Ost-Arnette sie trugen, gleichzeitig empfand er eine so schreckliche, unbeherrschte Wut, daß er hinausgehen und sie windelweich prügeln wollte.
»Ja, Daddy«, sagte Luke unterwürfig. Er war neun.
»Ja, Daddy«, echote Bobby. Er war sieben, fast acht. Norm blieb noch einen Augenblick stehen und sah sie böse an, dann schlug er die Tür zu. Er stand einen Moment unschlüssig da und betrachtete die Sachen, die er gestern angehabt hatte. Sie lagen auf einem Haufen am Fuß des durchgelegenen Doppelbetts, wo er sie hingeworfen hatte.
Elende Schlampe, dachte er. Hat nicht mal die Hose aufgehängt.
»Lila!« brüllte er.
Keine Antwort. Er überlegte, ob er die Tür wieder aufreißen und Luke fragen sollte, wo sie sich wieder herumtrieb. Kleiderbasar war erst nächste Woche wieder, und wenn sie wieder beim Arbeitsamt in Braintree war, dann war sie' noch blöder, als er dachte. Er verzichtete darauf, die Kinder zu fragen. Er fühlte sich müde und hatte dumpfe, pochende Kopfschmerzen. Wie bei einem Kater, dabei hatte er gestern abend bei Hap nur drei Bier getrunken. Dieser Unfall war eine schlimme Sache gewesen. Die Frau und das Baby tot im Wagen, der Mann, dieser Campion, auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Als Hap zurückkam, war die State Patrol schon dagewesen und wieder weg, ebenso der Abschleppwagen und der Leichenwagen des Bestattungsunternehmers von Braintree. Vic Palfrey hatte den Ordnungshütern stellvertretend für alle fünf ausgesagt. Der Bestattungsunternehmer, gleichzeitig der amtliche Leichenbeschauer, hatte sich geweigert, Vermutungen darüber anzustellen, um welche Krankheit es sich handeln konnte.
»Cholera ist es nicht. Geht nicht her und macht den Leuten damit angst. Es wird eine Autopsie durchgeführt, und das Ergebnis könnt ihr in der Zeitung lesen.«
Mieser kleiner Pisser, dachte Norm und zog langsam die Klamotten von gestern an. Seine Kopfschmerzen wurden echt zur Qual. Die Kinder sollten besser ruhig sein, sonst würden sie bald mit zwei gebrochenen Armen einen Grund zum Schreien haben. Verdammt, konnten sie nicht das ganze Jahr Schule haben?
Er überlegte, ob er das Hemd in die Hose stopfen sollte, entschied, daß der Präsident wahrscheinlich nicht ausgerechnet heute vorbeikommen würde, und ging auf Socken in die Küche. Er blinzelte in die helle Sonne, die durch die nach Osten gelegenen Fenster schien.
Das gesprungene Philco-Radio über dem Herd dudelte:
»But ba-yay -yaby you can tell me if anyone can,
Baby, can you dig your man?
He's a righteous man,
Tell me baby, can you dig your man?«
Es war weit gekommen, wenn sie diese Niggermusik im lokalen Country-Sender spielen mußten. Norm schaltete aus, bevor ihm der Kopf platzte. Neben dem Radio lag ein Zettel, er hob ihn auf und kniff die Augen zusammen, damit er ihn lesen konnte.
Lieber Norm!
Sally Hodges sagt sie braucht jemand der heute morg en auf ihre Kinder aufpast und sagt sie will mir ein Dolar geben. Ich bin zum Esen zurück. Wenn Du willst, kanst Du Dir Würste machen. Ich liebe Dich Schatz.
Lila.
Norm legte den Zettel wieder hin, blieb einen Augenblick stehen, dachte darüber nach und versuchte, den Sinn zu begreifen. Bei diesen Kopfschmerzen fiel das Denken verdammt schwer. Babysitting... ein Dollar. Für die Frau von Ralph Hodges. Langsam kamen diese drei Elemente in seinem Kopf zusammen. Lila war weggegangen, um für einen lausigen Dollar auf Sally Hodges' drei Kinder aufzupassen, und hatte ihn mit Luke und Bobby sitzenlassen. Es waren wahrhaftig harte Zeiten, wenn ein Mann zu Hause bleiben mußte, um seinen Kindern die Nase zu putzen, damit seine Frau einen Dollar verdienen konnte, der nicht einmal für drei Liter Sprit reichte. Verdammt harte Zeiten.
Dumpfe Wut überkam ihn, und seine Kopfschmerzen verschlimmerten sich noch. Er schlurfte langsam zum Kühlschrank, den er gekauft hatte, als er noch reichlich Überstunden machte, und öffnete ihn. Die meisten Fächer waren leer, außer ein paar Resten, die Lila in Plastikschüsseln getan hatte. Er haßte diese Tupperschüsseln. Alte Bohnen, alter Mais, ein Rest Chili... nichts, was ein Mann gern essen würde. Nur diese Tupperschüsseln und drei in Butterbrotpapier gewickelte kleine alte Würstchen. Er bückte sich, betrachtete sie, und die vertraute hilflose Wut verschmolz mit seinen Kopfschmerzen. Diese Würstchen sahen aus, als hätte jemand die Pimmel von drei Pygmäen aus Afrika abgeschnitten, aus Südamerika oder weiß der Geier, wo sie eben zu Hause waren. Er hatte sowieso keinen Appetit. Wenn er es recht überlegte, war ihm verdammt elend.
Er ging zum Herd, riß an dem an die Wand genagelten Stück Schmirgelpapier ein Streichholz an, zündete den vorderen Gasring an und setzte Kaffeewasser auf. Dann hockte er sich hin und wartete stumpfsinnig darauf, daß es kochte. Und kurz bevor es kochte, mußte er den Rotzlappen aus der Gesäßtasche reißen und sich gewaltig und naß hineinschneuzen. Erkältet, dachte er. Ist das nicht toll, zu allem anderen. Aber auf die Idee, an den Schleim zu denken, der gestern abend aus dem Zinken dieses Campion gelaufen war, kam er nicht.
Hap war in seiner Werkstatt damit beschäftigt, einen neuen Auspuff an Tony Leominsters Scout einzubauen, und Vic Palfrey schaukelte auf einem Klappstuhl, sah zu und trank Dr. Pepper, als es vorne klingelte.
Vic blinzelte. »Die State Patrol«, sagte er. »Sieht aus wie dein Vetter. Joe Bob.«
»Okay.«
Hap kam unter dem Scout hervor und wischte sich die Hände an einem Putzlappen ab. Auf dem Weg durchs Büro mußte er kräftig niesen. Er haßte Sommererkältungen. Das waren die schlimmsten. Joe Bob Brentwood, der fast zwei Meter groß war, stand neben seinem Streifenwagen und tankte. Hinter ihm lagen die drei Zapfsäulen, die Campion am Vorabend umgefahren hatte, säuberlich aufgereiht, wie tote Soldaten.
'»He, Joe Bob!« sagte Hap, als er nach draußen kam.
»Hap, altes Arschloch«, sagte Joe Bob, stellte den Handgriff auf Automatik und trat über den Schlauch. »Hast Glück, daß der Laden heute morgen noch steht.«
»Scheiße. Stu Redman hat den Kerl kommen sehen und die Pumpen abgeschaltet. Aber es hat 'n Arschvoll Funken geschlagen.«
»Ja?«
Joe Bob sah zu Vic, der in der Tankstellentür stand. »War der alte Penner gestern abend auch hier?«
»Wer? Vic? Ja, der kommt fast jeden Abend rüber.«
»Kann er den Mund halten?«
»Klar, denk' schon. Ist 'n guter alter Junge.«
Die Automatik schaltete aus. Hap quetschte noch für zwanzig Cent Sprit raus, dann hängte er den Schlauch auf den Haken. Er ging zu Joe Bob zurück.
»Also? Was liegt an?«
»Laß uns reingehen. Ich denke, der alte Knabe sollte es auch hören. Und wenn du Zeit hast, kannst du die ändern anrufen, die gestern hier waren.«
Sie gingen über den Asphalt und ins Büro.
»Schönen guten Morgen, Officer«, sagte Vic.
Joe Bob nickte.
»Kaffee, Joe Bob?« fragte Hap.
»Lieber nicht.« Er sah sie ernst an. »Ich weiß nämlich nicht, ob es meinen Vorgesetzten gefallen würde, daß ich hier bin. Wohl kaum. Wenn die Jungs herkommen, sagt ihnen nicht, daß ich euch einen Tip gegeben habe.«
»Welche Jungs, Officer?« fragte Vic.
»Leute vom Gesundheitsamt«, sagte Joe Bob.
Vic sagte: »Großer Gott, es war Cholera. Ich hab's gewußt.«
Hap sah von einem zum ändern. »Joe Bob?«
»Ich weiß von nix«, sagte Joe Bob und setzte sich auf einen der Woolco-Plastikstühle. Die knochigen Knie reichten ihm fast bis ans Kinn. Er nahm eine Packung Chesterfield aus der Brusttasche und zündete eine an. »Finnegan, dieser Leichenbeschauer -«
»Der ist ein Klugscheißer«, sagte Hap wütend. »Hättest sehen sollen, wie der hier rumstolziert ist, Joe Bob. Wie ein Truthahn, der seinen ersten Ständer bekommen hat. Hat die Leute angepflaumt, und so.«
»Ich weiß, er ist ein kleiner Gernegroß «, pflichtete Joe Bob ihm bei.
» Also, er hat Dr. James geholt, damit der sich diesen Campion ansieht, und dann haben die beiden einen anderen Arzt geholt, den ich nicht kenne. Dann haben sie mit Houston telefoniert, und heute morgen gegen drei sind sie auf dem kleinen Flugplatz bei Braintree gelandet.«
»Wer?«
»Pathologen. Drei Mann hoch. Sie waren bis um acht mit den Leichen beschäftigt. Haben dran rumgeschnippelt, glaub' ich, aber sicher weiß ich's nicht. Dann haben sie die Seuchenzentrale in Atlanta angerufen, und die Jungs sollen heute nachmittag hier sein. Aber sie haben gesagt, vorher kommen die Leute vom staatlichen Gesundheitsamt her und wollen mit allen Jungs sprechen, die gestern abend in der Tankstelle waren, und mit den Typen, die den Krankenwagen nach Braintree gefahren haben. Ich weiß nicht, aber es sieht so aus, als ob sie euch in Quarantäne stecken wollen.«
»Moses im Schilfrohr«, sagte Hap erschrocken.
»Die Seuchenzentrale in Atlanta ist eine Bundesbehörde«, sagte Vic.
»Würden sie bloß wegen eines Cholerafalls ein ganzes Flugzeug voll Bundesbeamte schicken?«
»Was weiß ich«, sagte Joe Bob. »Aber ich dachte, ihr hättet ein Recht darauf, es zu erfahren. Soweit ich gehört habe, habt ihr nur helfen wollen.«
»Danke, Joe Bob«, sagte Hap langsam. »Was haben James und der andere Arzt gesagt?«
»Nicht viel. Aber sie schienen Angst zu haben. Ich habe noch nie so ängstliche Ärzte gesehen. Hat mir überhaupt nicht gefallen.«
Bedrückendes Schweigen trat ein. Joe Bob ging zum Getränkeautomaten und zog sich eine Flasche Fresca. Das leise Zischen von Kohlensäure war zu hören, als er den Kronkorken abhebelte. Als Joe Bob sich wieder setzte, nahm Hap ein Kleenex aus dem Kasten neben der Registrierkasse, wischte sich die Triefnase und steckte es in die Tasche seines schmierigen Overalls.
»Was habt ihr über Campion rausgekriegt?« fragte Vic.
»Irgendwas?«
»Das prüfen wir noch«, sagte Joe Bob mit einem Anflug von Wichtigtuerei. »Aus seinem Ausweis geht hervor, daß er aus San Diego stammt, aber viele seiner Papiere sind schon seit zwei oder drei Jahren abgelaufen. Auch der Führerschein. Er hatte eine BankAmericard, die 1986 ausgegeben wurde, und die war nicht mehr gültig. Er hatte einen Armeeausweis, darum haben wir bei denen nachgefragt. Der Captain hat so eine Ahnung, daß Campion schon seit etwa vier Jahren nicht mehr in San Diego gelebt hat.«
»Desertiert?« fragte Vic. Er zog ein großes buntes Taschentuch hervor, räusperte sich und spuckte hinein.
»Das weiß ich noch nicht. In seinem Armeeausweis steht, daß er noch bis 1997 dienen mußte. Aber er war in Zivil, und seine Familie war bei ihm, und er war verdammt weit weg von Kalifornien, und ich hab' mich total verplappert. «
»Gut, ich ruf die ändern an und sag' ihnen, was du gesagt hast«, sagte Hap. »Vielen Dank.«
Joe Bob stand auf. »Gut. Aber laßt meinen Namen aus dem Spiel. Ich will meinen Job nicht verlieren. Deine Kumpels müssen ja nicht wissen, wer euch gewarnt hat, oder?«
»Nein«, sagte Hap, und Vic bekräftigte es.
Als Joe Bob zur Tür ging, sagte Hap bedauernd: »Macht fünf Dollar für den Sprit, Joe Bob. Ich berechne es dir nur ungern, aber wie die Lage nun mal ist...«
»Schon gut«, sagte Joe Bob und gab ihm eine Kreditkarte. »Vater Staat bezahlt. Und ich habe die Quittung als Vorwand, warum ich hier war.«
Während Hap das Formular ausfüllte, mußte er zweimal niesen.
»Du mußt aufpassen«, sagte Joe Bob. »Es gibt nichts Schlimmeres als eine Erkältung im Sommer.«
»Kann man wohl sagen.«
Plötzlich sagte Vic hinter ihnen: »Vielleicht ist es gar keine Erkältung.« Sie drehten sich zu ihm um. Vic sah verängstigt aus.
»Ich bin heute morgen aufgewacht und hab' geniest und gehustet wie Harry«, sagte Vic. »Außerdem hatte ich elende Kopfschmerzen. Ich hab' ein paar Aspirin genommen, und die Schmerzen sind ein bißchen zurückgegangen, aber ich bin immer noch voll Rotz. Vielleicht kriegen wir es auch. Was Campion hatte. Woran er gestorben ist.«
Hap sah ihn lange an, und als er gerade alle Gründe vortragen wollte, warum das nicht sein konnte, mußte er wieder niesen. Joe Bob sah die beiden eine Weile ernst an und sagte dann: »Weißt du, Hap, es wäre vielleicht nicht dumm, die Tankstelle zu schließen. Nur heute.«
Hap sah ihn erschrocken an und versuchte, sich an die besagten Gründe zu erinnern. Ihm fiel kein einziger mehr ein. Er wußte nur, daß er auch mit Kopfschmerzen und einer Triefnase aufgewacht war. Nun, jeder erkältet sich hin und wieder. Aber bevor dieser Campion aufgetaucht war, war es ihm gutgegangen. Sehr gut sogar.
Die drei Hodges-Kinder waren sechs, vier und achtzehn Monate alt. Die beiden jüngsten schliefen, und der Älteste grub draußen ein Loch. Lila Bruett saß im Wohnzimmer und sah sich The Young and the Restless an. Sie hoffte, daß Sally erst zurückkommen würde, wenn der Film zu Ende war. Ralph Hodges hatte den großen Farbfernseher gekauft, als in Arnette noch bessere Zeiten geherrscht hatten, und Lila sah die Nachmittagsfilme gern in Farbe. Da war alles viel hübscher.
Sie zog an ihrer Zigarette und stieß den Rauch ruckweise aus, weil sie plötzlich von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Sie ging in die Küche und spuckte den Mundvoll Schleim, den sie hochgehustet hatte, in den Abfluß. Sie war schon mit Husten aufgewacht und hatte den ganzen Tag ein Gefühl gehabt, als würde jemand sie mit einer Feder im Rachen kitzeln.
Sie ging ins Wohnzimmer zurück, nachdem sie zum Küchenfenster hinausgeblickt und sich vergewissert hatte, daß Bert Hodges zurechtkam. Jetzt lief ein Werbespot, zwei tanzende Flaschen Toilettenreiniger. Lila ließ den Blick durch das Zimmer schweifen und wünschte, ihr eigenes Haus würde so hübsch aussehen. Sallys Hobby war, nach Zahlen zu malen, und die Christusbilder hingen in hübschen Rahmen überall im Wohnzimmer. Besonders gut gefiel ihr das große Bild des Abendmahls hinter dem Fernseher; es war mit sechzig verschiedenen Ölfarben geliefert worden, wie Sally ihr versichert hatte, und es hatte fast drei Monate gedauert, bis es fertig war. Es war ein richtiges Kunstwerk.
Gerade als der Film weiterging, fing Baby Cheryl an zu weinen, ein anhaltendes häßliches Geschrei, das von Hustenanfällen unterbrochen wurde.
Lila drückte die Zigarette aus und eilte ins Schlafzimmer. Eva, die Vierjährige, schlief fest, aber Cheryl lag auf dem Rücken in der Wiege, und ihr Gesicht hatte eine beängstigende Purpurfarbe angenommen. Ihre Schreie klangen allmählich erstickt. Lila hatte keine Angst vor dem Krupp, weil ihre eigenen Kinder ihn schon gehabt hatten, daher hielt sie Cheryl an den Füßen hoch und schlug ihr kräftig den Rücken. Sie hatte keine Ahnung, ob Dr. Spock diese Behandlung empfohlen hätte oder nicht, denn sie hatte ihn nie gelesen. Aber bei Baby Cheryl funktionierte sie großartig. Das Baby quakte wie ein Frosch und spuckte plötzlich einen erstaunlich dicken gelben Schleimklumpen auf den Boden.
»Besser?« fragte Lila.
»Thön«, sagte Baby Cheryl. Sie schlief fast schon wieder. Lila wischte die Schweinerei mit einem Kleenex weg. Sie hatte ein Baby noch nie soviel Rotz auf einmal ausspucken sehen.
Stirnrunzelnd setzte sie sich wieder vor den Fernseher.
4
Vor einer Stunde war die Dunkelheit hereingebrochen.
Starkey drückte auf den Knopf unter dem mittleren Bildschirm, und das Bild leuchtete auf, mit der entnervenden Abruptheit unveränderlicher Komponenten. Es zeigte die Wüste Westkaliforniens, Richtung Osten. Eine trostlose Gegend; durch die rötliche Tönung der Infrarotphotographie wirkte die Trostlosigkeit noch unheimlicher.
Dort draußen ist es, genau geradeaus, dachte Starkey. Projekt Blau. Wieder drohte die Angst ihn zu überwältigen. Er griff in die Tasche und holte eine blaue Tablette heraus. Seine Tochter würde so etwas einen »Schlaffmacher« nennen. Bezeichnungen spielten keine Rolle, nur Ergebnisse. Er schluckte sie trocken und verzog kurz das harte Gesicht, als er spürte, wie sie die Speiseröhre hinunterrutschte. Projekt Blau.
Er blickte auf die anderen leeren Monitore und ließ auf allen ein Bild aufleuchten. 4 und 5 zeigten Labors. 4 war Physik, 5 Virusbiologie. Das Vibi-Labor stand voller Tierkäfige, hauptsächlich Meerschweinchen, Rhesusaffen und ein paar Hunde. Keins der Tiere schien zu schlafen. Im Physik-Labor drehte sich noch immer unablässig eine Zentrifuge. Darüber hatte Starkey sich beschwert. Bitter beschwert. Es war etwas Gespenstisches an dieser Zentrifuge, die sich fröhlich rundherum und rundherum und rundherum drehte, während Dr. Ezwick ganz in der Nähe tot auf dem Fußboden lag, verrenkt wie eine Vogelscheuche, die ein Windstoß umgeworfen hatte.
Man hatte ihm erklärt, daß die Zentrifuge aus derselben Stromquelle wie die Beleuchtung versorgt wurde, und wenn man die Zentrifuge ausschaltete, würde gleichzeitig das Licht ausgehen. Und die Kameras dort unten waren nicht für Infrarot ausgerüstet. Vielleicht kamen noch mehr hohe Tiere aus Washington, die sich den toten Nobelpreisträger ansehen wollten, der kaum eine Meile entfernt hundertzwanzig Meter tief unter der Wüste lag.
Wenn wir die Zentrifuge abschalten, schalten wir den Professor ab. Elementar. Seine Tochter hätte es »Catch-22« genannt.
Er nahm noch einen »Schlaffmacher« und betrachtete Monitor 2. Das Bild gefiel ihm am allerwenigsten. Ihm gefiel der Mann mit dem Gesicht in der Suppe nicht. Angenommen, jemand kommt zu einem und sagt: Sie werden die Ewigkeit mit dem Gesicht in einem Suppenteller verbringen. Wie der Gag mit der Torte im Gesicht: bei einem selbst ist er nicht mehr komisch.
Monitor 2 zeigte die Kantine von Projekt Blau. Der Unfall hatte sich fast genau zum Schichtwechsel ereignet, deshalb war die Kantine nur mäßig besucht gewesen. Starkey vermutete, daß es den Leuten ziemlich egal gewesen sein mußte, ob sie im Restaurant, in ihren Betten oder in ihren Labors gestorben waren. Aber der Mann mit dem Gesicht in der Suppe...
Ein Mann und eine Frau in blauen Overalls lagen verrenkt vor dem Süßigkeitenautomaten; ein Mann in weißem Overall neben der Seeburg-Musicbox. An den Tischen selbst waren neun Männer und vierzehn Frauen, manche neben Hostess Twinkies umgekippt, manche noch mit Bechern voll Cola oder Sprite in den steifen Händen. Und am zweiten Tisch, ziemlich hinten, ein als Frank D. Bruce identifizierter Mann mit dem Gesicht in einem Teller voll Gulaschsuppe. Campbell's Gulaschsuppe, vermutlich. Der erste Monitor zeigte nur eine Digitaluhr. Bis zum 13. Juni waren alle Ziffern der Uhr grün gewesen. Jetzt waren sie leuchtend rot. Die Uhr war stehengeblieben. Die Ziffernfolge lautete 13:06:90:02:37:16.
13. Juni 1990. Siebenunddreißig Minuten nach zwei Uhr morgens. Und sechzehn Sekunden.
Hinter ihm ertönte ein kurzer Summton.
Starkey schaltete die Monitoren einen nach dem anderen aus und drehte sich um. Er sah die Kopien auf dem Boden und legte sie wieder auf den Tisch.
»Herein.«
Es war Creighton. Er sah ernst aus, seine Haut war schiefergrau. Wieder schlechte Nachrichten, dachte Starkey ganz ruhig. Noch jemand, der in einen Teller Rindfleischsuppe getaucht war.
»Hi, Len«, sagte er leise.
Len Creighton nickte. »Billy. Es... Herrgott, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.«
»Am besten ein Wort nach dem anderen, Soldat.«
»Die Männer, die mit Campion in Berührung gekommen sind, wurden in Atlanta untersucht, und es sieht nicht gut aus.«
»Alle?«
»Fünf sicher. Einer – er heißt Stuart Redman – ist bisher negativ. Aber soweit wir wissen, war auch Campion länger als fünfzig Stunden negativ.«
»Wenn Campion nur nicht geflohen wäre«, sagte Starkey.
»Schlampige Sicherheitsvorkehrungen, Len. Sehr schlampig.«
Creighton nickte.
»Weiter.«
»Arnette wurde unter Quarantäne gestellt. Bisher haben wir mindestens sechzehn konstant veränderliche A-Primär-Grippefälle isoliert. Und das sind nur die offenkundigen Fälle.«
»Die Nachrichtenmedien?«
»Bis jetzt kein Problem. Sie halten es für Milzbrand.«
»Was noch?«
»Ein sehr ernstes Problem. Wir haben einen Highwaypolizisten aus Texas namens Joseph Robert Brentwood. Seinem Vetter gehört die Tankstelle, wo Campion angekommen ist. Er war gestern morgen dort und hat Hapscomb gesagt, daß die Leute vom Gesundheitsamt kommen. Wir haben Brentwood vor drei Stunden aufgegriffen, und er ist auf dem Weg nach Atlanta. Inzwischen ist er durch das halbe östliche Texas Streife gefahren. Gott allein weiß, mit wie vielen Leuten er Kontakt hatte.«
»Ach du Scheiße«, sagte Starkey und war entsetzt über die wäßrige Schwäche seiner Stimme und das Hautkribbeln, das am Hodenansatz angefangen hatte und sich jetzt den Bauch hocharbeitete. Übertragbarkeit 99,4%, dachte er. Es ging ihm wie irrsinnig immer wieder durch den Kopf. Und das bedeutete eine Sterblichkeitsrate von 99,4%; denn der menschliche Körper kann die zur Abwehr eines sich ständig verändernden Antigen-Virus erforderlichen Antikörper nicht produzieren. Immer wenn der Körper den richtigen Antikörper produziert hat, nimmt das Virus einfach eine leicht veränderte Form an. Aus dem gleichen Grunde war es unmöglich, einen geeigneten Impfstoff herzustellen.
99,4%.
»Mein Gott«, sagte er. »Ist das alles?«
»Nun...«
»Weiter. Alles.«
Daraufhin sagte Carsleigh ganz leise: »Hammer ist tot, Billy. Selbstmord. Er hat sich mit seiner Dienstpistole ins Auge geschossen. Die Unterlagen über Projekt Blau lagen auf seinem Schreibtisch. Wahrscheinlich glaubte er, sie würden als Abschiedsbrief vollkommen ausreichen.«
Starkey schloß die Augen. Vic Hammer war sein Schwiegersohn... gewesen. Wie sollte er das Cynthia beibringen? Tut mir leid, Cindy. Vic ist heute in einen Teller kalte Suppe gefallen. Hier, nimm einen »Schlaffmacher«. Weißt du, es gab da eine Panne. Jemand hat einen Fehler mit einem Behälter gemacht. Jemand anders hat vergessen, einen Schalter zu drücken, der den Stützpunkt abgeriegelt hätte. Die Verzögerung betrug nur vierzig Sekunden und ein paar Zerquetschte, aber das reichte. Der Behälter wird in der Branche »Schnüffler« genannt. Er wird in Portland, Oregon, hergestellt, Auftrag Nummer 164480966 des Verteidigungsministeriums. Die Behälter werden von den Technikerinnen an verschiedenen Fließbändern zusammengesetzt, und das wird deshalb so gemacht, damit die Damen nicht genau wissen, was sie eigentlich bauen. Eine hat vielleicht gerade überlegt, was sie zum Abendessen kochen sollte, und wer immer ihre Arbeit kontrollieren sollte, dachte viel-leicht gerade daran, ein neues Auto zu kaufen. Cindy, wie auch immer, der letzte Zufall war der, daß ein Mann am Sicherheitsposten vier, ein Mann namens Campion gesehen hat, wie die Zahlen rot wurden, und er verließ das Zimmer gerade noch rechtzeitig, bevor die Türen automatisch versperrt wurden. Dann hat er seine Familie geholt und ist geflohen. Er fuhr vier Minuten, bevor die Alarmsirenen losgingen und der ganze Stützpunkt abgeriegelt wurde, durch das Haupttor. Man hat erst eine volle Stunde später angefangen, nach ihm zu suchen, weil bei den Wachmännern keine Kameras in den Räumen sind – irgendwo muß man einmal aufhören, die Überwacher zu überwachen, sonst wäre jeder auf der Welt ein verdammter Spitzel -, und deshalb hat jeder angenommen, er sitzt da drinnen und wartet darauf, daß die Schnüffler herausfinden, welche Bereiche kontaminiert sind und welche nicht. Aus diesem Grund hat er einen gewissen Vorsprung bekommen, und er war schlau genug, über Landstraßen zu fahren, und hatte das Glück, daß er nicht an eine Straßensperre geriet. Dann mußte jemand eine Entscheidung treffen, ob man die State Police oder das FBI oder beide einschalten sollte, und der Amtsschimmel galoppierte hin und her und her und hin, als endlich jemand entschieden hatte, daß sich die Firma um die Angelegenheit kümmern sollte, war dieses glückliche Arschloch – dieses infizierteArschloch – bis nach Texas gekommen, und als sie ihn endlich geschnappt haben, war er nicht mehr auf der Flucht, weil er und seine Frau und seine kleine Tochter alle zusammen zum Abkühlen in der Leichenhalle eines kleinen Scheißkaffs namens Braintree lagen. Braintree, Texas. Ich will damit eigentlich nur sagen, Cindy, das war eine Verkettung von Zufällen, die man eigentlich nur noch damit vergleichen kann, den Jackpot beim Lotto abzuräumen. Zum Glück – oder besser gesagt, Unglück, bitte entschuldige – kam noch ein gerüttelt Maß Inkompetenz hinzu, aber größtenteils waren es unglückliche Zufälle. Deinen Mann traf eigentlich keine Schuld, aber er war der Projektleiter, er hat gesehen, wie die Situation eskaliert, und dann...
»Danke, Len«, sagte er.
»Billy, willst du lieber...«
»Ich bin in zehn Minuten oben. Ich möchte, daß du in fünfzehn Minuten eine Stabssitzung anberaumst. Wenn die Leute im Bett liegen, schmeiß ich sie raus.«
»Ja, Sir.«
»Und, Len...«
»Ja?«
»Ich bin froh, daß du es mir gesagt hast.«
»Ja, Sir.«
Carsleigh ging. Starkey sah auf die Uhr, dann ging er zu den Monitoren an der Wand. Er schaltete Nummer 2 ein, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sah nachdenklich in die stumme Kantine von Projekt Blau.