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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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Das ist er, Leute – mein letzter Versuch. Danach bleibt nur Dr. Litchfield, und wenn der vorschlägt, Honigwaben zu lutschen oder Kamillentee zu trinken, werde ich wahrscheinlich durchdrehen, und beide Sprechstundenhilfen und die Sekretärin werden nötig sein, mich von ihm runterzuziehen.

SCHLAFMITTEL, stand auf dem Schild dieses Abschnitts von Gang 3.

Ralph, der nie besonders viel Medikamente eingenommen hatte (andernfalls wäre er zweifellos schon viel früher hier gelandet), wußte nicht genau, was er erwartete, aber ganz sicher nicht diese hemmungslose, fast unanständige Produktvielfalt. Sein Blick schweifte über Verpackungen (die meisten in beruhigendem Dunkelblau), deren Aufschriften er las. Die meisten Namen waren seltsam und irgendwie geheimnisvoll: Compoz, Nytol, Sleepinal, Z-Power, Sominex, Sleepinex, Drow-Zee. Es gab sogar eine No-name-Marke.

Das kann nicht dein Ernst sein, dachte er. Nichts davon wird dir helfen. Es wird Zeit, daß du aufhörst, Mist zu bauen, weißt du das nicht? Wenn man anfängt, bunte Fußspuren auf dem Bürgersteig zu sehen, wird es höchste Zeit, mit dem Herumalbern aufzuhören und einen Arzt aufzusuchen.

Aber unmittelbar danach hörte er Dr. Litchfield, hörte ihn so deutlich, als wäre in seinem Kopf ein Tonband eingeschaltet worden: Ihre Frau leidet an nervösen Kopfschmerzen, Ralph unangenehm und schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich. Ich glaube, wir werden das Problem in den Griff bekommen.

Unangenehm und schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich – ja, richtig, das hatte der Mann gesagt. Und dann hatte er nach seinem Rezeptblock gegriffen und das Rezept für die ersten nutzlosen Tabletten ausgeschrieben, während winzige Klumpen fremder Zellen in Carolyns Kopf weiterhin ihre Mikrosalven der Zerstörung ausgesandt hatten, und vielleicht hatte Dr. Jamal recht gehabt, vielleicht war es da schon zu spät gewesen, aber vielleicht redete Jamal auch Scheiße, vielleicht war Jamal nur ein Mann in einer fremden Welt, der zurechtzukommen versuchte, ohne viel Aufsehen zu erregen. Vielleicht dies und vielleicht das; Ralph wußte es nicht mit Sicherheit und würde es nie erfahren. Er wußte nur, daß Litchfield nicht dabei gewesen war, als es an die beiden letzten Aufgaben ihrer Ehe gegangen war: für sie, zu sterben, und für ihn, ihr dabei zuzusehen.

Möchtest du das tun? Zu Litchfield gehen und ihm zusehen, wie er nach seinem Rezeptblock greift?

Vielleicht klappte es diesmal, sagte er sich. Gleichzeitig streckte sich seine Hand fast aus freien Stücken aus und griff nach einer Packung Sleepinex auf dem Regal. Er drehte sie herum, hielt sie ein Stück von sich weg, damit er das Kleingedruckte auf der Rückseite sehen konnte, und ließ den Blick langsam und gründlich über die Liste der Wirkstoffe wandern. Er hatte keine Ahnung, wie man die meisten der zungenbrecherischen Worte auch nur aussprach, und noch weniger, was sie waren oder wie sie einem beim Schlafen helfen sollten.

Ja, antwortete er der Stimme. Vielleicht klappte es diesmal.

Aber vielleicht lag die wahre Lösung einfach darin, einen anderen Arzt zu su-

»Kann ich Ihnen helfen?« fragte eine Stimme unmittelbar hinter Ralphs Schulter.

Er war gerade dabei, die Packung Sleepinex wieder an ihren Platz zu stellen, weil er etwas nehmen wollte, das sich nicht so sehr nach einer finsteren Droge aus einem Roman von Robin Cook anhörte, als die Stimme zu sprechen anfing. Ralph zuckte zusammen und stieß ein Dutzend verschiedene Packungen synthetischen Schlafs auf den Boden.

»Oh, Entschuldigung – wie ungeschickt!« sagte Ralph und sah über die Schulter.

»Überhaupt nicht. Einzig und allein meine Schuld.« Und bevor Ralph mehr als zwei Packungen Sleepinex und eine Packung Drow-Zee Gelkapseln aufheben konnte, hatte der Mann im weißen Kittel, der ihn angesprochen hatte, den ganzen Rest aufgehoben und verteilte alles mit der Behendigkeit eines professionellen Pokerspielers. Laut dem goldenen Namensschild auf seiner Brust handelte es sich um JOE WYZER, RITE AID APOTHEKER.

»Und jetzt«, sagte Wyzer, der sich die Hände abwischte und mit einem freundlichen Grinsen zu Ralph umdrehte, »fangen wir noch mal von vorne an. Kann ich Ihnen helfen? Sie sehen ein wenig hilflos aus.«

Ralphs erste Reaktion – Zorn darüber, daß er gestört wurde, während er eine wichtige und bedeutsame Unterredung mit sich selbst führte – wich einem wachsamen Interesse. »Nun, ich weiß nicht«, sagte er und deutete auf die Auswahl von Schlafmitteln. »Helfen die tatsächlich?«

Wyzers Grinsen wurde breiter. Er war ein großer Mann mittleren Alters mit heller Haut und schütterem braunen Haar, das er in der Mitte scheitelte. Er streckte die Hand aus, und Ralph hatte kaum zur höflichen Erwiderungsgeste angesetzt, als seine ganze Hand schon verschluckt wurde. »Ich bin Joe«, sagte der Apotheker und klopfte mit der freien Hand auf sein goldenes Namensschild. »Früher war ich Joe Wyze, aber heute bin ich älter und Wyzer.«

Das war mit Sicherheit ein uralter Witz, aber für Joe Wyzer, der brüllend lachte, hatte er eindeutig nichts von seiner Wirkung eingebüßt. Ralph lächelte ein höfliches schmales Lächeln mit einer winzigen Spur Angst an den Rändern. Die Hand, die seine umfangen hatte, war eindeutig kräftig, und er fürchtete, wenn der Apotheker noch ein bißchen mehr zudrückte, würde seine eigene Hand den Tag in einem Gips beenden. Er wünschte sich, zumindest vorübergehend, daß er mit seinem Problem doch zu Paul Durgin gegangen wäre. Dann schüttelte Wyzer ihm die Hand zweimal mit Nachdruck und ließ sie los.

»Ich bin Ralph Roberts. Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Wyzer.«

»Meinerseits. Und nun zur Wirksamkeit dieser ausgezeichneten Produkte. Lassen Sie mich Ihre Frage mit einer Gegenfrage beantworten: Scheißt ein Bär in einer Telefonzelle?«

Ralph lachte auf. »Selten, würde ich sagen«, antwortete er, als er wieder sprechen konnte.

»Korrekt.« Wyzer betrachtete die Schlaftabletten, eine Wand aus Blautönen. »Gott sei Dank bin ich Apotheker und kein Händler, Mr. Roberts; ich würde verhungern, wenn ich versuchen müßte, das Zeug an der Tür zu verkaufen. Leiden Sie an Schlaflosigkeit? Ich frage teilweise, weil Sie nach Schlaftabletten suchen, aber hauptsächlich, weil Sie das hagere und hohläugige Aussehen haben.«

Ralph sagte: »Mr. Wyzer, ich wäre der glücklichste Mensch auf der Welt, wenn ich einmal fünf Stunden pro Nacht schlafen könnte, ich würde mich aber auch schon mit vier zufriedengeben.«

»Wie lange geht das schon so, Mr. Roberts? Oder würden Sie Ralph vorziehen?«

»Ralph ist okay.«

»Gut. Und ich bin Joe.«

»Ich glaube, es hat im April angefangen. Einen Monat oder sechs Wochen nach dem Tod meiner Frau.« »Herrje, tut mir leid, daß Sie Ihre Frau verloren haben. Mein Beileid.«

»Danke«, sagte Ralph, dann wiederholte er den alten Spruch. »Ich vermisse sie sehr, aber ich war froh, daß ihr Leid ein Ende hatte.«

»Aber jetzt leiden Sie. Seit… mal sehen.« Wyzer zählte rasch mit seinen großen Fingern. »Seit über einem halben Jahr.«

Plötzlich faszinierten diese Finger Ralph. Diesmal keine Kondensstreifen, aber die Spitze jedes einzelnen schien in einen hellen, silbernen Dunst gehüllt zu sein, wie Alufolie, durch die man irgendwie hindurchsehen konnte. Plötzlich mußte er wieder an Carolyn und die Phantomgerüche denken, über de sie sich letzten Herbst beschwert hatte – Gewürznelken, Abwasser, angebrannter Speck. Vielleicht war dies das männliche Gegenstück dazu und der Anfang seines eigenen Gehirntumors, der sich nicht durch Kopfschmerzen, sondern durch Schlaflosigkeit ankündigte.

Selbstdiagnose ist dummes Zeug, Ralph, also warum hörst du nicht einfach damit auf?

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Wyzers breites, freundliches Gesicht. Da war kein silberner Dunst; nicht einmal die Andeutung eines Dunsts. Er hätte es fast schwören können.

»Ganz recht«, sagte er. »Ein halbes Jahr. Mir kommt es länger vor. Viel länger.«

»Gibt es ein ersichtliches Muster? Normalerweise gibt es eines. Ich meine, wälzen Sie sich herum, bevor Sie einschlafen, oder… «

»Ich wache zu früh auf.«

Wyzer zog die Brauen hoch. »Und Sie haben das eine oder andere Buch zum Thema gelesen, vermute ich.« Hätte Litchfield diese Bemerkung gemacht, hätte Ralph Herablassung hineininterpretiert. Bei Joe Wyzer spürte er keine Herablassung, sondern aufrichtige Bewunderung.

»Ich habe gelesen, was ich in der Bibliothek finden konnte, aber das war nicht viel, und es hat auch kaum geholfen.« Nach einer Pause fügte Ralph hinzu: »In Wahrheit hat gar nichts geholfen.«

»Nun, dann will ich Ihnen mal sagen, was ich zu dem Thema weiß, und Sie schütteln einfach nur den Kopf, wenn ich in Bereiche vordringe, die Sie schon abgedeckt haben. Wer ist übrigens Ihr Hausarzt?«

»Litchfield.«

»Hm-hmm. Und normalerweise kaufen Sie… wo? Im Peoples Drug draußen im Einkaufszentrum? Im Rexall in der Innenstadt?«

»Im Rexall.«

»Verstehe. Sie sind heute inkognito hier.«

Ralph errötete… dann grinste er. »Ja, so was in der Art.«

»Hm-hmm. Und ich muß wohl nicht erst fragen, ob Sie mit Ihrem Problem bei Litchfield gewesen sind, oder? Wenn ja, dann wären Sie jetzt nicht hier und würden die wunderbare Welt der Patentmedizin erforschen.«

»Sind sie das? Patentarzneien?«

»Drücken wir es einmal so aus – ich würde mich viel wohler fühlen, wenn ich dieses ganze Zeug auf einem großen roten Wagen mit knalligen gelben Rädern verkaufen würde.«

Ralph lachte, und die helle silberne Wolke, die er vor Wyzers Kittel gesehen hatte, zerstob dabei.

»Auf diese Art von Händlerdasein könnte ich mich vielleicht einlassen«, sagte Wyzer mit einem verklärten kleinen Grinsen. »Ich würde mir eine süße kleine Zuckerpuppe besorgen, die in einem Pailetten-BH und einer Pluderhose tanzt… ich würde sie Little Egypt nennen, wie in dem alten Song der Coasters… sie wäre meine Anheiznummer. Außerdem hätte ich einen Banjospieler. Meiner Meinung nach gibt es nichts Besseres als eine gute Dosis Banjomusik, um die Leute in Kauflaune zu versetzen.«

Wyzer sah an den Abführmitteln und Verstopfungsmitteln vorbei und genoß seinen fröhlichen Tagtraum. Dann schaute er Ralph wieder an.

»Für jemand, der zu früh aufwacht, so wie Sie, Ralph, ist dieses Zeug definitiv nutzlos. Sie wären mit einem Schuß Fusel oder einem dieser Wellengeneratoren, wie man sie in Katalogen anbietet, besser dran, und wenn ich Sie so ansehe, dann denke ich mir, daß Sie wahrscheinlich beides schon versucht haben.« »Ja.«

»Zusammen mit rund zwei Dutzend weiteren alten, erprobten Hausmitteln.«

Ralph lachte wieder. Der Mann gefiel ihm immer besser. »Versuchen Sie es mit vier Dutzend, dann sind Sie im Rennen.«

»Nun, Sie sind ein durchtriebener Gauner, das muß ich Ihnen lassen«, sagte Wyzer und winkte mit einer Hand zu den blauen Verpackungen. »Diese Dinger da sind nichts weiter als Antihistamine. Im Grunde genommen machen sie sich eine Nebenwirkung zunutze – Antihistamine machen die Leute schläfrig. Nehmen Sie eine Packung Comtrex oder Bandryl drüben bei den Verstopfungsmitteln, und Sie werden sehen, daß daraufsteht, man soll sie nicht nehmen, wenn man Auto fährt oder schwere Maschinen bedient. Leuten, die gelegentlich an Schlaflosigkeit leiden, könnte eine Sominex ab und zu helfen. Gibt ihnen einen Stups. Aber bei Ihnen würde das nicht funktionieren, denn Ihr Problem ist nicht das Einschlafen, sondern das Durchschlafen, richtig?«

»Richtig.«

»Darf ich Ihnen eine heikle Frage stellen?«

»Klar. Ich denke schon.«

»Haben Sie in der Hinsicht Probleme mit Dr. Litchfield? Vielleicht Zweifel, daß er begreifen könnte, wie beschissen Sie sich durch Ihre Schlaflosigkeit fühlen?«

»Ja«, sagte Ralph dankbar. »Meinen Sie, ich sollte ihn aufsuchen? Es ihm zu erklären versuchen, damit er es versteht?« Diese Frage würde Wyzer selbstverständlich bejahen, und Ralph würde endlich anrufen. Und es würde, sollte Litchfield sein, auch das wurde ihm jetzt klar. Es wäre Wahnsinn, sich in seinem Alter noch einen neuen Arzt zu suchen.

Kannst du Dr. Litchfield sagen, daß du Visionen hast? Kannst du ihm von den blauen Fäden erzählen, die aus Lois’ Fingern kamen? Den Spuren auf dem Bürgersteig, wie bei einem Tanzdiagramm von Arthur Murray? Dem silbernen Dunst um Joe Wyzers Finger? Wirst du wirklich Litchfield erzählen, daß du das siehst? Und wenn nicht, wenn du es nicht kannst, warum gehst du dann überhaupt zu ihm, ganz egal, was dieser Mann empfiehlt?

Wyzer überraschte ihn jedoch, indem er eine völlig andere Richtung einschlug. »Träumen Sie noch?«

»Ja. Sogar ziemlich oft, wenn man bedenkt, daß ich bei drei Stunden Schlaf pro Nacht angelangt bin.«

»Sind das zusammenhängende Träume – Träume, die aus vorstellbaren Ereignissen bestehen und eine Art Erzählfluß haben, wie weit hergeholt er auch sein mag – oder sind es nur zusammenhanglose Bilder?«

Ralph erinnerte sich an einen Traum, den er in der Nacht zuvor gehabt hatte. Er und Helen Deepneau und Bill McGovern hatten mitten auf der Harris Avenue zu dritt Frisbee gespielt. Helen hatte ein paar riesige, unbeholfene Gamaschenschuhe getragen; McGovern trug ein Sweatshirt mit einer Wodkaflasche darauf. ABSOLUTLY THE BEST, verkündete das Sweatshirt. Der Frisbee war grellrot mit grünen Leuchtstreifen gewesen. Dann hatte sich die Hündin Rosalie sehen lassen. Das verblichene blaue Taschentuch, das ihr jemand um den Hals gebunden hatte, flatterte deutlich, als sie sich ihnen hinkend näherte. Plötzlich sprang sie in die Luft, schnappte den Frisbee und lief mit ihm im Maul davon. Ralph wollte sie verfolgen, aber McGovern sagte: Ganz ruhig, Ralph, wir bekommen eine ganze Kiste davon zu Weihnachten. Ralph wollte sich zu ihm umdrehen, darauf hinweisen, daß Weihnachten noch drei Monate entfernt war, und fragen, was sie bis dahin machen sollten, wenn sie wieder mal Frisbee spielen wollten, aber bevor er es konnte, war der Traum entweder zu Ende gewesen oder in einen anderen, nicht mehr so lebhaften geistigen Film übergegangen.

»Wenn ich Sie richtig verstanden habe«, antwortete Ralph, »sind meine Träume zusammenhängend.«

»Gut. Ich möchte auch noch wissen, ob es lichte Träume sind. Lichte Träume erfüllen zwei Voraussetzungen. Erstens, man weiß, daß man träumt. Zweitens, man kann häufig den Verlauf beeinflussen, den der Traum nimmt – man ist mehr als nur ein passiver Beobachter.«

Ralph nickte. »Klar, die habe ich auch. Tatsächlich scheine ich in letzter Zeit eine ganze Menge davon zu haben. Ich mußte gerade an einen denken, den ich letzte Nacht hatte. Darin ist eine streunende Hündin, die ich ab und zu auf der Straße sehe, mit einem Frisbee davongelaufen, mit dem Freunde von mir und ich gespielt hatten. Ich war wütend, weil sie das Spiel unterbrochen hatte, und wollte sie dazu bringen, den Frisbee fallenzulassen, indem ich ihr einfach den Gedanken hinterherschickte. Eine Art telepathischen Befehl, verstehen Sie?«

Er stieß ein leises, verlegenes Kichern aus, aber Wyzer nickte nur nüchtern. »Hat es funktioniert?«

»Diesmal nicht«, sagte Ralph. »Aber ich glaube, in anderen Träumen ist es mir schon gelungen. Aber sicher bin ich nicht, denn die meisten Träume scheinen gleich nach dem Aufwachen zu verschwinden.«

»Das ist bei allen so«, sagte Wyzer. »Das Gehirn behandelt Träume als Abfallprodukte, die in einem extremen Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden.«

»Sie wissen eine Menge darüber, was?«

»Schlaflosigkeit interessiert mich sehr. Als ich am College war, habe ich zwei Forschungsarbeiten über den Zusammenhang zwischen Träumen und Schlafstörungen gemacht.« Wyzer sah auf die Uhr. »Ich habe jetzt Pause. Möchten Sie gerne eine Tasse Kaffee und ein Stück Apfelkuchen mit mir zu sich nehmen? Es gibt ein Cafe gleich zwei Türen weiter, und der Kuchen ist phantastisch.«

»Hört sich nicht schlecht an, aber ich begnüge mich mit einer Orangenlimo. Ich versuche, meinen Kaffeekonsum einzuschränken.«

»Verständlich, aber vollkommen nutzlos«, sagte Wyzer fröhlich. »Koffein ist nicht Ihr Problem, Ralph.«

»Nein, wahrscheinlich nicht… aber was dann?« Bis zu diesem Punkt war es Ralph erfolgreich gelungen, das Elend aus seiner Stimme herauszuhalten, aber jetzt stahl es sich wieder hinein.

Wyzer klopfte ihm auf die Schulter und sah ihn freundlich an. »Darüber«, sagte er, »werden wir uns jetzt unterhalten. Kommen Sie.«

Kapitel 5

»Betrachten Sie es einmal auf diese Weise«, empfahl Wyzer fünf Minuten später. Sie befanden sich in einem New-Age-Imbiß namens Day Break, Sun Down. Das Innere war ein wenig zu grün für Ralphs Geschmack, der eher für altmodische Imbißbuden schwärmte, in denen Chrom glänzte und wo es nach Fett roch, aber der Kuchen war gut, und der Kaffee entsprach zwar nicht den Maßstäben von Lois Chasse – Lois machte den besten Kaffee, den er je getrunken hatte -, aber er war heiß und stark.

»Und welche Weise wäre das?« fragte Ralph.

»Es gibt bestimmte Dinge, nach denen die Menschheit strebt. Nicht das, worüber in den Geschichts-und Staatsbürgerkundebüchern geschrieben wird, jedenfalls zum überwiegenden Teil; ich spreche hier von den grundsätzlichen Dingen. Ein Dach über dem Kopf. Drei Herdplatten und ein Bett. Ein anständiges Liebesleben. Gesunde Eingeweide. Aber das wichtigste von allen ist wahrscheinlich das, was Ihnen fehlt, mein Freund. Denn nichts auf der Welt geht über einen gesunden Schlaf, oder?«

»Mann, da haben Sie völlig recht«, sagte Ralph.

Wyzer nickte. »Schlaf ist der Held, der übersehen wird, der Arzt des armen Mannes. Shakespeare nannte ihn den Faden, der den zerrissenen Ärmel der Sorge flickt, Napoleon nannte ihn das segensreiche Ende der Nacht, und Winston Churchill -einer der großen Schlaflosen des zwanzigsten Jahrhunderts -bezeichnete ihn als einzige Erleichterung von seinen tiefen Depressionen. Das hatte ich alles in meinen Arbeiten zitiert, aber worauf die ganzen Zitate letztendlich hinauslaufen, ist das, was ich gerade gesagt habe: Nichts auf der Welt kommt einem gesunden Schlaf gleich.«

»Sie haben das Problem selbst gehabt, richtig?« fragte Ralph plötzlich. »Haben Sie mich deshalb… nun… deshalb unter Ihre Fittiche genommen?«

Joe Wyzer grinste. »Habe ich das denn?«

»Ja, ich glaube schon.«

»Nun, damit kann ich leben. Die Antwort ist ja. Ich habe, seit ich dreizehn Jahre alt war, an Schlaflosigkeit gelitten. Darum habe ich nicht nur eine Forschungsarbeit über das Thema geschrieben, sondern zwei.«

»Und wie geht es Ihnen heute?«

Wyzer zuckte die Achseln. »Bis jetzt war es ein ziemlich gutes Jahr. Nicht das beste, aber ich bin zufrieden. Als ich Anfang Zwanzig war, war das Problem zwei Jahre lang akut – ich ging um zehn Uhr ins Bett, schlief gegen vier Uhr ein, stand um sieben wieder auf, schleppte mich durch den Tag und fühlte mich wie eine Nebenrolle im Alptraum eines anderen.«

Das kam Ralph so bekannt vor, daß er Gänsehaut auf Rücken und Oberarmen bekam.

»Und jetzt kommt das Wichtigste, das ich Ihnen erzählen kann, Ralph, also hören Sie gut zu.«

»Mach ich.«

»Sie müssen sich darauf konzentrieren, daß es Ihnen im Grunde genommen immer noch gut geht, obwohl Sie sich meistens beschissen fühlen. Nicht jeder Schlaf ist gleich, wissen Sie es gibt guten Schlaf und schlechten Schlaf. Wenn Sie immer noch zusammenhängende Träume haben, und was noch wichtiger ist, lichte Träume, dann haben Sie immer noch guten Schlaf. Und deswegen wäre ein Rezept für Schlaftabletten momentan das Schlechteste auf der Welt für Sie. Und ich kenne Litchfield. Er ist ein netter Kerl, aber er liebt seinen Rezeptblock.«

»Das können Sie laut sagen«, erwiderte Ralph, der an Carolyn dachte.

»Wenn Sie Litchfield erzählen, was Sie mir auf dem Weg hierher erzählt haben, verschreibt er Ihnen ein Benzodiazepin wahrscheinlich Dalmane oder Restoril, vielleicht auch Halcion oder sogar Valium. Sie werden schlafen, aber Sie werden den Preis dafür bezahlen. Benzodiazepine machen süchtig, sie wirken atmungslähmend und, was wahrscheinlich am schlimmsten ist, sie reduzieren bei Leuten wie Ihnen und mir deutlich den REM-Schlaf. Mit anderen Worten, den Traumschlaf.

Wie schmeckt der Kuchen? Ich frage nur, weil Sie ihn kaum angerührt haben.«

Ralph biß einmal kräftig ab und schluckte ohne zu schmecken.

»Gut«, sagte er. »Und jetzt verraten Sie mir, warum man Träume haben muß, damit Schlaf guter Schlaf ist.«

»Wenn ich das beantworten könnte, würde ich mich vom Tablettenverkaufen zurückziehen und Schlafguru werden.« Wyzer hatte seinen Kuchen gegessen und benützte die Kuppe des Zeigefingers, um die größeren Krümel vom Teller zu picken. »REM bedeutet Rapid Eye Movement, und nach Meinung der Öffentlichkeit sind REM-Schlaf und Traumschlaf ein und dasselbe, aber niemand weiß, in welchem Zusammenhang die Augenbewegungen der Schlafenden mit ihren Träumen stehen. Es scheint unwahrscheinlich, daß die Augenbewegungen >beobachten< oder >nachsehen< anzeigen, denn Traumforscher können jede Menge davon nachweisen, auch wenn die Schlafenden später behaupten, daß sie vergleichsweise statische Träume hatten, beispielsweise Unterredungen wie unsere jetzt. Ebenso scheint niemand zu wissen, warum ein deutlicher Zusammenhang zwischen lichten, zusammenhängenden Träumen und allgemeiner geistiger Gesundheit zu bestehen scheint: Je mehr derartige Träume jemand hat, desto besser scheint seine Verfassung zu sein, je weniger er hat, desto schlechter. Da besteht ein echter Zusammenhang.«

»Geistige Gesundheit ist ein ziemlich vager Ausdruck«, sagte Ralph skeptisch.

»Ja.« Wyzer grinste. »Dabei muß ich an einen Stoßstangenaufkleber denken, den ich vor ein paar Jahren einmal gesehen habe – FÖRDERT DIE GEISTIGE GESUNDHEIT ODER ICH BRING EUCH UM. Wie auch immer, wir sprechen hier von einigen grundlegenden, meßbaren Komponenten: kognitive Fähigkeit, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, sei es durch induktive oder deduktive Methoden, die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, Gedächtnis…«

»Mein Gedächtnis ist neuerdings bescheiden«, sagte Ralph.

Er dachte an sein Unvermögen, sich die Nummer des Kinos einzuprägen oder die lange Suche nach der letzten Packung Cup-A-Soup im Küchenschrank.

»Ja, wahrscheinlich leiden Sie an einem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, aber Ihr Hosenschlitz ist zu, Sie haben das Hemd mit der richtigen Seite nach außen angezogen, und ich wette, wenn ich Sie nach Ihrem zweiten Vornamen fragen würde, könnten Sie ihn mir sagen. Ich will Ihr Problem nicht herunterspielen – ich wäre der letzte Mensch auf der Welt, der das tun würde -, aber ich bitte Sie, einmal eine oder zwei Minuten ihren Standpunkt zu wechseln. An alle Bereiche Ihres Lebens zu denken, wo Sie keinerlei Probleme haben.«

»Na gut. Diese lichten und zusammenhängenden Träume sind die nur ein Anzeichen dafür, wie gut man noch funktioniert, wie die Benzinanzeige am Armaturenbrett, oder helfen sie einem tatsächlich beim Funktionieren?«

»Das weiß niemand mit Sicherheit, aber wahrscheinlich ist die Antwort von beidem ein bißchen. Ende der fünfziger Jahre, etwa zu der Zeit, als die Ärzte die Barbiturate ausrangierten -das letzte wirklich populäre war eine Spaßdroge namens Thalidomid -, versuchten ein paar von ihnen sogar nachzuweisen, daß der gute Schlaf, von dem wir gesprochen haben, und Träume überhaupt nichts miteinander zu tun haben.«

»Und?«

»Die Testergebnisse unterstützen diese Hypothese nicht. Menschen, die an konstanter Traumunterbrechung leiden, haben alle möglichen Probleme, einschließlich Verlust der kognitiven Fähigkeit und emotionaler Stabilität. Sie leiden sogar unter Wahrnehmungsstörungen wie Hyperrealität.«

Hinter Wyzer saß ein Mann am anderen Ende des Tresens und las eine Ausgabe der Derry News. Nur seine Hände und der Scheitel waren zu sehen. Am kleinen Finger der linken Hand trug er einen auffälligen Ring. Die Schlagzeile auf der ersten Seite lautete: ABTREIBUNGSBEFÜRWORTERIN SPRICHT NÄCHSTEN MONAT IN DERRY. Darunter, in etwas kleineren Buchstaben, die Unterzeile: Pro-Life Gruppen kündigen organisierten Protest an. In der Mitte der Seite prangte ein Farbfoto von Susan Day, das ihr weitaus gerechter wurde als die geschmacklosen Fotografien auf dem Plakat im Schaufenster von Secondhand Rose, Secondhand Clothes. Da hatte sie gewöhnlich ausgesehen, vielleicht sogar etwas bedrohlich; auf diesem Bild strahlte sie. Ihre Augen waren dunkel, intelligent, fesselnd. Hamilton Davenports Pessimismus war anscheinend fehl am Platze gewesen. Susan Day kam doch in die Stadt.

Dann sah Ralph etwas, bei dem er Harn Davenport und Susan Day vergaß.

Eine graublaue Aura erschien um die Hände und den gerade sichtbaren Scheitel des Mannes herum, der die Zeitung las. Um den Onyxring am kleinen Finger herum schien sie besonders hell zu sein. Sie verdeckte ihn nicht, sondern schien ihn zu klären und verwandelte den Stein in etwas, das wie ein Asteroid in einem wirklich realistischen Science-Fiction-Film aussah…

»Was haben Sie gesagt, Ralph?«

»Hmm?« Ralph wandte den Blick unter Anstrengung vom Ring des zeitunglesenden Mannes ab. »Ich weiß nicht… habe ich etwas gesagt? Ich glaube, ich habe Sie gefragt, was Hyperrealität ist.«

»Gesteigerte Sinneswahrnehmung«, antwortete Wyzer. »Als würde man einen LSD-Trip haben ohne Chemikalien einnehmen zu müssen.«

»Oh«, sagte Ralph und sah zu, wie die helle, graublaue Aura komplizierte Runenmuster auf dem Nagel des Fingers bildete, mit dem Wyzer Krümel aufsammelte. Zuerst sahen sie wie in Frost geschriebene Buchstaben aus… dann wie in Nebel geschriebene Sätze… dann wie seltsame, staunende Gesichter.

Er blinzelte, und sie waren fort.

»Ralph? Sind Sie noch da?«

»Klar, worauf Sie sich verlassen können. Aber was ich fragen wollte, Joe – wenn die Hausmittel nicht wirken und die Pillen in Gang 3 nicht helfen und die verschreibungspflichtigen Medikamente die Lage verschlimmern statt verbessern können, was bleibt dann noch? Nichts, richtig?«

»Essen Sie das noch?« fragte Wyzer und deutete auf Ralphs Teller. Kaltes graublaues Licht löste sich von seinem Finger wie in Trockeneisnebel geschriebene arabische Buchstaben.

»Nee. Ich bin satt. Bedienen Sie sich.«

Wyzer zog Ralphs Teller zu sich. »Geben Sie nicht so schnell auf«, sagte er. »Ich möchte, daß Sie noch einmal mit mir in die Apotheke kommen, damit ich Ihnen ein paar Visitenkarten geben kann. Mein Rat als freundlicher Apotheker aus der Nachbarschaft ist, daß Sie es einmal mit diesen Leuten versuchen sollten.« »Was für Leuten?« Ralph beobachtete fasziniert, wie Wyzer den Mund aufmachte, um das letzte Stück Kuchen zu essen. Jeder seiner Zähne war von einem grellen grauen Leuchten umgeben. Die Plomben in seinen Backenzähnen glühten wie winzige Sonnen. Die Bruchstücke von Kruste und Apfelfüllung auf seiner Zunge waberten in (licht Ralph licht) hellem Glanz. Dann schloß Wyzer den Mund, um zu kauen, und das Leuchten war verschwunden.

»James Roy Hong und Anthony Forbes. Hong ist Akupunkteur mit einer Praxis in der Kansas Street. Forbes ist Hypnotiseur und arbeitet an der East Side – Hesser Street, glaube ich. Und bevor Sie Quacksalberei schreien -«

»Ich werde nicht Quacksalberei schreien«, sagte Ralph leise. Er hob die Hand und berührte das magische Auge, das er immer noch unter dem Hemd trug. »Glauben Sie mir, das werde ich nicht.«

»Okay, gut. Mein Rat ist, daß Sie es zuerst bei Hong versuchen. Die Nadeln sehen furchterregend aus, tun aber nur ein kleines bißchen weh, aber er hat da was am Laufen. Ich habe keine Ahnung, was es ist und wie, zum Teufel, es funktioniert, aber ich weiß, als ich vor zwei Jahren eine schlimme Zeit durchgemacht habe, hat er mir viel geholfen. Forbes ist auch gut – habe ich jedenfalls gehört -, aber meine Wahl wäre Hong. Er ist schrecklich beschäftigt, aber da könnte ich Ihnen vielleicht helfen. Was meinen Sie?«

Ralph sah ein hellgraues Leuchten, nicht dicker als ein Faden, aus Wyzers Augenwinkel quellen und wie eine übernatürliche Träne an seiner Wange hinunterlaufen. Das gab den Ausschlag. »Ich würde sagen, gehen wir.«

Wyzer klopfte ihm auf die Schulter. »Guter Mann! Bezahlen wir und sehen zu, daß wir verschwinden.« Er holte einen Vierteldollar heraus. »Kopf oder Zahl, wer die Rechnung übernimmt?«

Auf halbem Weg zur Drogerie zurück blieb Wyzer stehen und betrachtete ein Plakat, das ans Schaufenster eines leerstehenden Ladens zwischen Rite Aid und dem Imbiß geklebt worden war. Ralph warf nur einen Blick darauf. Er hatte es schon einmal gesehen, im Schaufenster von Secondhand Rose, Secondhand Clothes.

»Wegen Mordes gesucht«, staunte Wyzer. »Die Leute haben jeden gottverdammten Sinn für Perspektive verloren, finden Sie nicht auch?«

»Ja«, sagte Ralph. »Wenn wir Schwänze hätten, würden, glaube ich, die meisten von uns den ganzen Tag hinter ihnen herjagen und versuchen, sie abzubeißen.«

»Das Plakat ist schon schlimm genug«, sagte Wyzer indigniert, »aber sehen Sie sich das an!«

Er deutete auf etwas neben dem Plakat, das in den Staub auf dem leeren Schaufenster geschrieben worden war. Ralph beugte sich nach vorne und las die kurze Botschaft. TÖTET DIESE FOTZE, stand da. Unter diesen Worten war ein Pfeil, der auf das linke Foto von Susan Day zeigte.

»Mein Gott«, sagte Ralph leise.

»Ja«, stimmte Wyzer zu. Er holte ein Taschentuch aus der Gesäßtasche, wischte die Botschaft weg und hinterließ an deren Stelle lediglich einen hellen silbernen Fächer, den Ralph, wie er wußte, als einziger sehen konnte.

3

Er folgte Wyzer in den hinteren Teil der Drogerie und blieb unter der Tür eines Büros stehen, das nicht viel größer als die Kabine einer öffentlichen Toilette war, während Wyzer sich auf das einzige Möbelstück setzte – einen hohen Stuhl, der in Ebenezer Scrooges Kontor gepaßt hätte – und in der Praxis des Akupunkteurs James Roy Hong anrief. Wyzer drückte den Lautsprecherknopf des Telefons, damit Ralph die Unterhaltung mithören konnte.

Hongs Vorzimmerdame (jemand namens Anne, die Wyzer auf einer freundschaftlicheren als nur beruflichen Basis zu kennen schien) sagte zuerst, daß Dr. Hong unmöglich vor Thanksgiving einen neuen Patienten empfangen konnte. Ralphs Schultern sackten herunter. Wyzer hob eine offene Handfläche in seine Richtung – Moment mal, Ralph -, dann überredete er Anne, Anfang Oktober einen Termin für Ralph zu finden oder freizumachen. Das war in einem Monat, aber immer noch besser als Thanksgiving.

»Danke, Annie«, sagte Wyzer. »Bleibt es beim Essen am Freitag abend?«


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