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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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Ralph sah den vierschrötigen Mann an. »Was haben Sie denn unter der Plane?«

»Was interessiert Sie das?« fragte der Vierschrötige wahrscheinlich als Versuch, trotzig zu klingen. Er sah den Blick in Ed Deepneaus Augen und wich weitere zwei Schritte zur Seite aus.

»Mich nicht, ihn schon«, sagte Ralph und nickte mit dem Kinn in Eds Richtung. »Helfen Sie mir einfach, ihn zur Vernunft zu bringen, okay?«

»Sie kennen ihn?« »Mörder!« wiederholte Ed, und diesmal schnellte er so ruckartig unter Ralphs Händen durch, daß dieser einen Schritt zurückwich. Aber es tat sich was, oder nicht? Ralph fand, daß der furchteinflößende, leere Blick aus Eds Augen verschwand. Es schien ein bißchen mehr Ed in ihnen zu sein als vorher… vielleicht war das aber auch nur Wunschdenken. »Mörder, Babymörder!«

»Herrgott, was für ein Irrenzirkus«, sagte der Vierschrötige, aber er ging zum hinteren Ende des Lastwagens, zog eine der Schnüre heraus und klappte eine Ecke der Plane zurück. Darunter lagen vier Preßspanfässer mit der Aufschrift UNKRAUT WEG. »Organischer Dünger«, sagte der Vierschrötige und sah von Ed zu Ralph und wieder zu Ed. Er berührte den Schirm seiner West-Side-Gardeners-Mütze. »Ich habe den ganzen Tag an neuen Blumenbeeten vor der Derry Psych gearbeitet… wo Sie auch mal einen Urlaub vertragen könnten, mein Freund.«

»Dünger?« fragte Ed. Er schien zu sich selbst zu sprechen. Er griff sich mit der linken Hand langsam an die Schläfe und fing an zu reiben. »Dünger?« er hörte sich wie ein Mann an, der eine simple aber bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung in Frage stellt.

»Dünger«, stimmte der Vierschrötige zu. Er sah Ralph wieder an und sagte: »Der Typ ist krank im Kopf. Wissen Sie das?«

»Er ist verwirrt, das ist alles«, antwortete Ralph unbehaglich. Er lehnte sich über die Seite des Lastwagens und klopfte mit den Fingern auf ein Faß. Dann drehte er sich zu Ed um. »Fässer mit Dünger«, sagte er. »Okay?«

Keine Antwort. Ed hob die rechte Hand und rieb sich die andere Schläfe. Er sah aus wie ein Mann, der eine schreckliche Migräne bekommt.

»Okay?« wiederholte Ralph sanft.

Ed machte einen Moment die Augen zu, und als er sie wieder aufschlug, bemerkte Ralph einen Glanz darin, den er für Tränen hielt. Ed streckte die Zunge heraus und leckte sich zaghaft zuerst den einen Mundwinkel, dann den anderen. Er nahm ein Ende seines Seidenschals und strich sich damit über die Stirn, und da sah Ralph, daß mehrere chinesische Schriftzeichen in Rot darin eingestickt waren, direkt am Saum.

»Ich glaube, womöglich…«, begann er, aber dann verstummte er. Seine Augen wurden wieder groß und nahmen den Ausdruck an, der Ralph nicht gefiel. »Babys!« krächzte er. »Habt ihr mich verstanden? Babys!«

Ralph schubste ihn zum dritten-oder viertenmal gegen das Auto – er hatte nicht mitgezählt. »Wovon redest du, Ed?« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Ist es wegen Natalie? Machst du dir Sorgen wegen Natalie?«

Ein verhaltenes, listiges Lächeln spielte um Eds Lippen. Er sah an Ralph und dem Vierschrötigen vorbei. »Dünger, hm? Nun, wenn es weiter nichts ist, macht es Ihnen sicher nichts aus, eins aufzumachen, oder?«

Der Vierschrötige sah Ralph unbehaglich an. »Der Mann braucht einen Arzt«, sagte er.

»Schon möglich. Aber er hatte sich schon etwas beruhigt, dachte ich… könnten Sie eines der Fässer öffnen? Dann würde es ihm bestimmt besser gehen.«

»Na klar, warum auch nicht. Wenn schon, denn schon.«

Wieder zuckte ein Blitz, wieder ertönte ein heftiger Donnerschlag – diesmal schien er über den ganzen Himmel zu rollen -, und ein kalter, dicker Regentropfen fiel auf Ralphs verschwitzten Nacken. Er schaute nach links und sah Dorrance Marstellar am Eingang des Picknickplatzes stehen, Buch in der Hand, und ängstlich zu ihnen herübersehen.

»Sieht so aus, als würde es gleich Katzen hageln«, sagte der Vierschrötige, »und ich darf das Zeug nicht naßwerden lassen. Das löst eine chemische Reaktion aus. Also sehen Sie schnell rein.« Er tastete einen Moment zwischen der Seitenwand und einem der Fässer, dann brachte er eine Brechstange zum Vorschein. »Ich muß so verrückt sein wie er, daß ich mich darauf einlasse«, sagte er zu Ralph. »Ich meine, schließlich war ich nur auf dem Weg nach Hause und hab mich um meine Angelegenheiten gekümmert. Er hat mich gerammt.«

»Los«, sagte Ralph. »Es dauert ja nur einen Augenblick.«

»Klar«, entgegnete der Vierschrötige verdrossen, drehte sich um und schob die Brechstange unter den Deckel des ersten Fasses, »aber die Erinnerung wird mich ein Leben lang begleiten.«

Da ließ ein neuerlicher Donnerschlag den Tag erbeben, daher hörte der Vierschrötige nicht, was Ed Deepneau als nächstes sagte. Aber Ralph, und dem lief dabei ein eiskalter Schauer über den Rücken.

»Diese Fässer sind voller toter Babys«, sagte Ed. »Wirst schon sehen.«

Der Vierschrötige ließ den Deckel des ersten Fasses aufschnappen, und die Überzeugung in Eds Stimme war so groß, daß Ralph halb damit rechnete, ein Durcheinander von Ärmchen und Beinchen und kahle kleine Köpfe zu sehen. Statt dessen sah er eine Mischung feiner blauer Kristalle und braunen Staubs. Der Geruch, der von dem Faß aufstieg, war voll und torfig, mit einem schwachen chemischen Beigeschmack.

»Sehen Sie? Zufrieden?« fragte der Vierschrötige, der sich direkt an Ed wandte. »Also bin ich doch nicht Ray Joubert oder dieser Dahmer. Was sagt man dazu!«

Eds Gesicht hatte wieder den verwirrten Ausdruck angenommen, und als wieder ein Donnerschlag ertönte, zuckte er leicht zusammen. Er beugte sich nach vorne, streckte eine Hand nach dem Faß aus und sah den Vierschrötigen dann fragend an.

Der große Mann nickte ihm fast mitfühlend zu, fand Ralph. »Klar, fassen Sie es nur an, mir egal. Aber wenn es regnet, während Sie die Hand voll haben, tanzen Sie wie John Travolta. Es ätzt.«

Ed streckte die Hand in das Faß, nahm etwas von der Mischung und ließ sie zwischen den Fingern durchrieseln. Er warf Ralph einen verwirrten Blick zu (der auch eine Spur Verlegenheit enthielt, fand Ralph), dann bohrte er den Arm bis zum Ellbogen in das Faß.

»He!« rief der Vierschrötige. »Das ist kein Karton Cracker Jack!«

Einen Augenblick breitete sich das listige Grinsen wieder in Eds Gesicht aus – ein Ausdruck, der sagte: Ich kenne bessere Tricks als den -, aber dann gewann wieder Verwirrung die Oberhand, als er weiter unten auch nichts anderes als Dünger fand. Als er den Arm aus dem Faß herauszog, war dieser staubig und roch nach der Mischung. Eine weitere Donnersalve explodierte über dem Flughafen. Im anschließenden Blitzschlag sahen die Gesichter von Ed und dem Vierschrötigen wie überbelichtete Fotos aus.

»Ich warne Sie, entfernen Sie das von Ihrer Haut, bevor es regnet«, sagte der Vierschrötige. Er griff zum offenen Beifahrerfenster des Ranger hinein und holte eine McDonalds-Tüte heraus. Darin kramte er und brachte ein paar Papierservietten zum Vorschein, die er Ed reichte, worauf dieser anfing, den Düngerstaub von seinem Unterarm zu reiben wie ein Mann in einem Traum. Derweil setzte der Vierschrötige den Deckel wieder auf das Faß, hieb ihn mit einer gewaltigen, leberfleckigen Faust fest und warf dabei rasche Blicke zum dunklen Himmel. Als Ed die Schulter seines weißen Hemds berührte, erstarrte der Mann, wich aus und sah Ed argwöhnisch an.

»Ich glaube, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Ed, und Ralph fand, daß sich seine Stimme zum erstenmal völlig klar anhörte.

»Sie sind ja ein Herzblatt«, sagte der Vierschrötige, aber er hörte sich erleichtert an. Er spannte die Plastikplane wieder und zurrte sie mit einer Reihe rascher, zielstrebiger Griffe fest. Als er ihm zusah, fiel es Ralph wie Schuppen von den Augen, was für ein verschlagener Dieb die Zeit doch war. Einst hätte er die Schnur mit demselben Geschick festziehen können. Heute konnte er sie immer noch binden, aber er hätte mindestens zwei Minuten und vielleicht drei seiner besten Flüche dafür gebraucht.

Der Vierschrötige schlug auf die Plane, dann drehte er sich zu ihnen um und verschränkte die Arme vor seinem gewaltigen Brustkorb. »Haben Sie den Unfall gesehen?« fragte er Ralph.

»Nein«, sagte Ralph sofort. Er hatte keine Ahnung, warum er log, aber die Entscheidung dazu kam ohne Zögern. »Ich habe gerade zugesehen, wie das Flugzeug gelandet ist. Die United.«

Zu seiner völligen Überraschung wurden die roten Flecken auf den Wangen des Vierschrötigen größer. Du hast auch zugesehen! dachte Ralph plötzlich. Und du hast nicht nur zugesehen, wie sie gelandet ist, sonst würdest du nicht so erröten…du hast ihr nachgesehen, wie sie zum Terminal gerollt ist!

Diesem Gedanken folgte eine vollkommene Offenbarung: der Vierschrötige glaubte, daß der Unfall seine Schuld gewesen war, oder daß der oder die ermittelnden Polizisten es dahingehend interpretieren könnten. Er hatte das Flugzeug beobachtet und Eds tollkühne Fahrt zum Lieferantentor heraus und die Extension entlang gar nicht mitbekommen.

»Hören Sie, es tut mir wirklich leid«, sagte Ed aufrichtig, aber in Wirklichkeit sah er mehr als zerknirscht, er sah betroffen aus. Plötzlich fragte sich Ralph, wieweit er diesem Ausdruck trauen konnte, und ob er wirklich die geringste Ahnung hatte (Hey, hey, Susan Day) was hier vorgefallen war… und wer, zum Teufel, war überhaupt Susan Day?

»Ich habe mir den Kopf am Lenkrad gestoßen«, sagte Ed, »und ich schätze, das hat mir die Birne wirklich durchgeschüttelt.«

»Ja, das glaube ich auch«, sagte der Vierschrötige. Er kratzte sich am Kopf, sah zum dunklen, verhangenen Himmel hinauf und dann wieder zu Ed. »Sollen wir uns einigen, Freund?«

»Ja? Und was wäre das für eine Einigung?«

»Tauschen wir einfach Namen und Telefonnummern aus, statt die ganze Scheiße mit der Versicherung abzuziehen. Dann gehen Sie Ihrer Wege und ich meiner.«

Ed sah Ralph, der die Achseln zuckte, unsicher an, dann wieder den Mann mit der West-Side-Gardeners-Mütze.

»Wenn wir die Cops einschalten«, fuhr der Vierschrötige fort, »sitze ich nicht schlecht in der Scheiße. Wenn sie nachfragen, werden sie als erstes erfahren, daß ich letztes Jahr in einen schweren Unfall verwickelt war und mit einem provisorischen Führerschein fahre. Sie werden mir Ärger machen, obwohl ich auf der Hauptstraße war und Vorfahrt hatte. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ja«, sagte Ed, »ich denke schon, aber der Unfall war allein meine Schuld. Ich bin viel zu schnell gefahren…«

»Der Unfall selbst ist wahrscheinlich gar nicht so wichtig«, sagte der Vierschrötige, der mißtrauisch zu einem näherkommenden Kleinbus sah, der an der Böschung hielt. Er sah Ed wieder an und fuhr hektisch fort. »Sie haben etwas Öl verloren, aber es hat aufgehört zu tropfen. Ich wette, Sie könnten damit nach Hause fahren… wenn Sie hier in der Stadt wohnen. Sie wohnen doch hier in der Stadt?«

»Ja«, sagte Ed.

»Und ich würde mich an der Reparatur beteiligen, bis fünfzig Piepen oder so.«

Ralph hatte wieder eine Offenbarung; nur damit ließ sich der plötzliche Sinneswandel des Mannes erklären, der von Trotz zu etwas wie Einschmeichelei ging. Ein Unfall letzten Winter? Ja, wahrscheinlich. Aber Ralph hatte noch nie von einem provisorischen Führerschein gehört und fand, daß das mit ziemlicher Sicherheit Quatsch war. Der alte Mr. West Side Gardeners war ohne Führerschein gefahren. Und was die Situation noch komplizierter machte: Ed sagte die Wahrheit der Unfall war einzig und allein seine Schuld gewesen.

»Wenn wir einfach weiterfahren und es dabei bewenden lassen«, fuhr der Vierschrötige fort, »müßte ich die Sache mit meinem Unfall nicht nochmal erklären, und Sie müssen nicht erklären, warum Sie aus Ihrem Auto gesprungen sind, mich geschlagen und etwas von einer Wagenladung toter Babys gefaselt haben.«

»Habe ich das wirklich gesagt?« fragte Ed, der sich bestürzt anhörte.

»Das wissen Sie doch ganz genau«, antwortete der Vierschrötige grimmig.

Eine Stimme mit weichem französisch-kanadischen Akzent fragte: »Alles in Ordnung ‘ier, Leute? Niemand verletzt?… Eee, Ralph! Bist du das?«

Auf dem Kleinbus, der an den Straßenrand gefahren war, stand Trockenreinigung Derry, und Ralph erkannte den Fahrer als einen der Brüder Vachon aus Old Cape. Wahrscheinlich Trigger, der jüngste.

»Ja«, sagte Ralph, ging, ohne zu wissen warum oder sich nach dem Grund zu fragen, zu Trigger, legte ihm einen Arm um die Schultern (dafür war heute sein Tag, schien es) und führte ihn in Richtung des Wäschereiwagens zurück.

»Die Jungs okay?«

»Bestens, bestens«, sagte Ralph. Er drehte sich um und sah, daß Ed und der Vierschrötige neben dem Kleinlaster standen und die Köpfe zusammensteckten. Ein weiterer kalter Regenschauer fiel hernieder und prasselte wie ungeduldige Finger auf die blaue Plane. »Blechschaden, mehr nicht. Sie einigen sich gerade.«

»Schön, schön«, sagte Trigger Vachon beruhigt. »Wie geht’s der ‘übschen kleinen Frau, Ralph?«

Ralph zuckte zusammen und fühlte sich plötzlich wie ein Mann, dem in der Mittagspause einfällt, daß er vergessen hat, den Herd abzuschalten, bevor er zur Arbeit gegangen ist. »Mein Gott!« sagte er, sah auf die Uhr und hoffte auf 17:15 Uhr, höchstens 17:30. Aber er sah, daß es zehn Minuten vor sechs war. Zwanzig Minuten über der Zeit, wo Carolyn darauf wartete, daß er ihr eine Tasse Suppe und ein halbes Sandwich brachte. Sie würde sich Sorgen machen. Bei den Blitzen und dem Donner, der durch das Apartment hallte, würde sie wahrscheinlich regelrecht verängstigt sein. Und wenn es regnete, würde sie die Fenster nicht schließen können; sie hatte fast keine Kraft mehr in den Händen.

»Ralph?« fragte Trigger. »Was ist denn los?«

»Nichts«, sagte er. »Ich bin nur spazierengegangen und habe jedes Zeitgefühl verloren. Dann ist dieser Unfall passiert, und… könntest du mich nach Hause fahren, Trig? Ich bezahle es dir.«

»Mußt mir nix zahlen«, sagte Trigger. »Liegt auf meinem Weg. ‘üpf rein, Ralph. Glaubst du, die Jungs kommen zurecht? Gehn nicht aufeinander los oder so?«

»Nein«, sagte Ralph. »Glaube ich nicht. Einen Moment noch.« »Klar.«

Ralph ging zu Ed. »Alles in Ordnung? Könnt ihr euch einigen?«

»Ja«, antwortete Ed. »Wir werden uns privat einigen. Warum auch nicht? Letztlich läuft es nur auf ein paar Glasscherben hinaus.«

Er hörte sich an, als wäre er wieder ganz der Alte, und der große Mann im weißen Hemd betrachtete ihn fast mit so etwas wie Respekt. Ralph fühlte sich immer noch unbehaglich und verwirrt angesichts des Vorfalls hier, aber er beschloß, es dabei bewenden zu lassen. Er mochte Ed Deepneau sehr, aber Ed Deepneau war diesen Sommer nicht seine größte Sorge; das war Carolyn. Carolyn und das Ding, das angefangen hatte, spät nachts in den Wänden ihres Schlafzimmers zu ticken – und in ihrem Inneren.

»Prima«, sagte er zu Ed. »Ich muß nach Hause. Ich mache Carolyn neuerdings das Essen, und ich bin viel zu spät dran.«

Er drehte sich um. Der vierschrötige Mann hielt ihn mit der ausgestreckten Hand auf. »John Tandy«, sagte er.

Er schüttelte die Hand. »Ralph Roberts. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Tandy lächelte. »Unter den Umständen bezweifle ich das irgendwie… aber ich bin echt froh, daß Sie dazugekommen sind. Einen Moment dachte ich wirklich, wir würden in den Clinch gehen.«

Ich auch, dachte Ralph, sagte es aber nicht. Er sah Ed an und betrachtete das ungewohnte T-Shirt, das an Eds spindeldürrer Taille klebte, und den weißen Seidenschal mit den roten chinesischen Schriftzeichen darauf. Der Ausdruck in Eds Augen gefiel ihm nicht ganz, als sie einander ansahen; möglicherweise war Ed doch noch nicht ganz der alte.

»Sicher, daß alles okay ist?« fragte Ralph ihn. Er wollte gehen, wollte nach Hause zu Carolyn, und doch zögerte er irgendwie. Das Gefühl blieb, daß diese Situation alles andere geklärt war.

»Ja, bestens«, sagte Ed hastig und schenkte ihm ein breites Lächeln, das nicht bis in die dunkelblauen Augen drang. Sie studierten Ralph eindringlich, als wollten sie erkunden, wieviel er gesehen hatte… und an wieviel (Hey, hey, Susan Day) er sich später erinnern würde.

Das Innere von Trigger Vachons Kleinbus roch nach sauberer, frisch gebügelter Kleidung, ein Geruch, der Ralph aus unerfindlichen Gründen immer an frisch gebackenes Brot erinnerte. Es gab keinen Beifahrersitz, daher blieb er mit einer Hand am Türgriff und der anderen am Rand eines Dandux-Wäschekorbs stehen.

»Mann, das sah vielleicht merkwürdisch aus da ‘inten«, sagte Trigger, der in den Außenspiegel sah.

»Du hast ja keine Ahnung«, antwortete Ralph.

»Isch kenne den Mann, der den Reisbrenner gefahren ‘at Deepneau ist sein Name, ‘at eine ‘übsche kleine Frau, bringt manschmal Sachen vorbei. Normalerweise scheint er ein netter Kerl zu sein.«

»Heute war er auf jeden Fall nicht er selbst«, sagte Ralph.

»‘atte ‘ummeln im Arsch, was?«

»Ich glaube eher, das war ein ganzer Ameisenhaufen.«

Darüber mußte Trigger laut lachen und schlug auf das abgegriffene Plastik des großen Lenkrads. »Ganzer Ameisen’aufen! Schön! Schön! Das muß isch mir merken!« Trigger wischte sich die tränenden Augen mit einem Taschentuch, das fast so groß wie eine Tischdecke war. »‘at ausgesehn, als wäre Mr. Deepneau aus der Lieferantenzufahrt des Flug’afens gekommen.«

»Das stimmt.«

. »Man braucht einen Paß dafür«, sagte Trigger. >Was meinst du, wie ‘at Mr. Deepneau einen Paß bekommen?«

Ralph dachte stirnrunzelnd darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Ich muß ihn fragen, wenn ich ihn das nächstemal sehe.«

»Mach das«, sagte Trigger. »Und frag ihn, wie es den Ameisen geht.« Das löste eine erneute Lachsalve aus, die wiederum das obligatorische Taschentuch noch einmal in Aktion treten ließ.

Als sie von der Extension auf die Harris Avenue abbogen, brach das Unwetter schließlich los. Es hagelte nicht, aber der Regen fiel als außergewöhnlicher Sturzbach, und zwar anfangs so heftig, daß Trigger den Wagen fast bis auf Schrittempo bremsen mußte. »Mann!« sagte er ehrfürchtig. »Das erinnert misch an den großen Sturm von ‘85, als die ‘albe Innenstadt in den Kanal gestürzt ist! Erinnerst du disch, Ralph?«

»Ja«, sagte Ralph. »Hoffentlich passiert es nicht wieder.« »Nee«, sagte Trigger, der grinste und an den hektisch rudernden Scheibenwischern vorbeisah, »sie ‘aben das Abwassersystem inzwischen völlisch renoviert. Super!«

Die Kombination von kaltem Regen und warmem Innenraum ließ die Windschutzscheibe beschlagen. Ohne nachzudenken streckte Ralph einen Finger aus und malte Zeichen in den Dampf:

»Was ist das?« fragte Trigger.

»Weiß ich nicht. Sieht chinesisch aus, nicht? Das war auf dem Schal, den Ed Deepneau getragen hat.«

»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Trigger und sah es wieder an. Dann schnaubte er und fuchtelte mit einer Hand, »’ör mir zu, ja? Isch kann nur eins auf schinesisch sagen, nämlisch Moo-goo-gai-pan!«

Ralph lächelte, schien aber kein Lachen mehr in sich zu haben. Es war wegen Carolyn. Nachdem sie ihm wieder eingefallen war, mußte er immerzu an sie denken – mußte sich immerzu vorstellen, daß die Fenster offenstanden und die Vorhänge wie Geisterarme von Edward Gorey wehten, während der Regen ins Zimmer prasselte.

»Wohnst du immer noch in dem zweistöckigen ‘aus gegenüber vom Red Apple?«

»Ja.«

Trigger fuhr an den Bordstein, wo die Reifen des Lastwagens gewaltige Wasserschleier aufspritzten. Es regnete immer noch in Strömen. Donner grollte, Blitze zuckten über den Himmel.

»Solltest besser noch ein, zwei Minuten ‘ier bei mir bleiben«, sagte Trigger. »Wird gleisch weniger.«

»Schon gut.« Ralph glaubte, daß nichts und niemand ihn noch eine Sekunde länger in dem Kleinbus halten konnte, nicht einmal Handschellen. Aus seiner Sorge war eine nagende Überzeugung geworden. »Danke, Trig.«

»Moment mal! Isch geh dir ‘n Stück Plastik – das kannst du über’n Kopf ziehen wie eine Regen’aube!«

»Nein, schon gut, kein Problem, danke, ich will nur… «

Er schien unmöglich beenden zu können, was er sagen wollte, und jetzt verspürte er so etwas wie Panik. Er schob die Beifahrertür des Kleinbusses in ihrer Schiene zurück, sprang hinaus und stand bis zu den Knöcheln im kalten Wasser, das in den Gully strömte. Er winkte Trigger noch einmal zu, ohne sich umzudrehen, dann eilte er den Weg entlang zu dem Haus, in dem er und Carolyn nebst Bill McGovern wohnten, und tastete unterwegs schon nach dem Schlüssel in der Tasche. Als er die Stufen zur Veranda erreichte, sah er, daß er sie nicht brauchen würde – die Tür war nur angelehnt. Bill, der unten wohnte, vergaß oft, sie abzuschließen, und Ralph wiegte sich lieber in dem Glauben, daß er es gewesen war, und nicht Carolyn, die hinausgegangen war, um ihn zu suchen, und vom Sturm überrascht worden war. Das war eine Möglichkeit, an die Ralph nicht einmal denken wollte.

Er eilte ins halbdunkle Foyer, zuckte zusammen, als Donner ohrenbetäubend über ihm dröhnte, und ging zur ersten Treppenstufe. Dort verweilte er einen Moment, die Hand auf dem Pfosten des Geländers, und hörte zu, wie das Regenwasser aus seiner durchnäßten Hose und dem Hemd auf den Hartholzboden tropfte. Dann ging er hinauf, aber obwohl er laufen wollte, konnte er einfach nur schnell gehen. Das Herz schlug ihm rasch und heftig in der Brust, seine durchnäßten Turnschuhe waren klamme Anker aus Segeltuch, die an seinen Füßen zogen, und aus einem unerfindlichen Grund sah er vor sich, wie Ed Deepneau den Kopf gedreht hatte, als er aus dem Datsun ausgestiegen war – die knappen, ruckartigen Bewegungen, mit denen er aussah wie ein Kampfhahn, der Streit sucht.

Die dritte Stufe quietschte laut, wie immer, und dem Geräusch folgten oben hastige Schritte. Sie brachten keine Erleichterung, denn er wußte sofort, daß es nicht Carolyns Schritte waren, und als sich Bill McGovern mit blassem, sorgenvollen Gesicht unter dem Markenzeichen seines Panamahuts über das Geländer beugte, überraschte es Ralph im Grunde genommen nicht. Er hatte den ganzen Weg von der Extension gespürt, daß etwas nicht stimmte, oder? Ja. Aber unter den gegebenen Umständen hatte das kaum etwas mit Hellseherei zu tun. Wenn einmal etwas richtig schiefgelaufen war, hatte er festgestellt, dann gab es keine Möglichkeit mehr, etwas zu ändern, dann ging es einfach immer weiter schief. Er vermutete, daß er das so oder so schon immer gewußt hatte. Er hätte nur nie vermutet, wie lange dieses Schiefgehen dauern konnte.

»Ralph!« rief Bill herunter. »Gott sei Dank! Carolyn hat… nun, ich schätze, es ist eine Art Anfall. Ich habe gerade 911 gerufen und sie gebeten, einen Krankenwagen zu schicken.«

Ralph stellte fest, daß er den Rest der Stufen doch hinaufrennen konnte.

Sie lag halb in der Küche und halb draußen, und das Haar hing ihr ins Gesicht. Ralph fand, daß das etwas besonders Gräßliches hatte; es sah schlampig aus, und wenn Carolyn etwas nicht war, dann schlampig. Er kniete sich neben sie und strich ihr das Haar aus Augen und Stirn. Die Haut unter seinen Fingern fühlte sich so kalt an wie seine Füße in den durchnäßten Turnschuhen.

»Ich wollte sie auf die Couch legen, aber sie ist zu schwer für mich«, sagte Bill nervös. Er hatte seinen Panama abgenommen und fingerte nervös am Hutband herum. »Mein Rücken, du weißt ja…«

»Ich weiß, Bill, schon recht«, sagte Ralph. Er schob die Arme unter Carolyn und hob sie hoch. Sie kam ihm überhaupt nicht schwer vor, sondern leicht – fast so leicht wie eine Pusteblume, die geöffnet und bereit ist, ihre Fäden dem Wind anzuvertrauen. »Gott sei Dank, daß du hier warst.«

»Um ein Haar wäre ich weg gewesen«, entgegnete Bill, der Ralph ins Wohnzimmer folgte und sich dabei unentwegt an seinem Hut zu schaffen machte. Ralph mußte an den alten Dorrance Marstellar mit seinem Gedichtband denken. Ich an deiner Stelle würde ihn nicht mehr anfassen, hatte der alte Dorrance gesagt. Ich kann deine Hände nicht sehen. »Ich war auf dem Weg nach draußen, als ich ein lautes Plumpsen hörte… das muß sie gewesen sein, als sie gestürzt ist…« Bill sah sich in dem dunklen Wohnzimmer um, sein Gesicht wirkte abgelenkt und aufmerksam zugleich, seine Augen schienen nach etwas zu suchen, das nicht da war. Dann strahlte er. »Die Tür!« sagte er. »Ich wette, sie steht noch offen! Es regnet rein! Bin gleich wieder da, Ralph!«

Er eilte hinaus. Ralph bemerkte es kaum; der Tag hatte die surrealistischen Aspekte eines Alptraums angenommen. Das Ticken war das Schlimmste. Er konnte es jetzt so laut in den Wänden hören, daß nicht einmal der Donner es übertönen konnte.

Er legte Carolyn auf die Couch und kniete sich neben sie. Ihre Atmung war flach und schnell, der Atem roch fürchterlich. Aber Ralph wandte sich nicht davon ab. »Bleib da, Liebes«, sagte er. Er nahm eine ihrer Hände – die fast so klamm wie ihre Stirn war – und küßte sie sanft. »Du mußt dableiben. Es ist gut, alles ist gut.«

Aber es war nicht gut, das tickende Geräusch bedeutete, daß nichts gut war. Und es war auch nicht in den Wänden es war nie in den Wänden gewesen, sondern nur in seiner Frau. In Carolyn. Es war in seiner Liebsten, sie ging von ihm fort, und was sollte er nur ohne sie anfangen?

»Bleib einfach da«, sagte er. »Bleib da, hast du mich verstanden?« Er küßte ihre Hand wieder und drückte sie an die Wange, und als er die Sirene des näherkommenden Krankenwagens hörte, fing er an zu weinen.

Im Krankenwagen, der durch Derry raste, kam sie zu sich (die Sonne schien schon wieder, die nassen Straßen dampften), und zuerst redete sie solchen Unsinn, daß Ralph sicher war, sie hätte einen Schlaganfall gehabt. Als sie gerade anfing, deutlich zu sprechen, überkam sie ein zweiter Anfall, und sowohl Ralph wie auch einer der Notärzte waren erforderlich, sie festzuhalten.

Es war nicht Dr. Litchfield, der am frühen Abend zu Ralph ins Wartezimmer im zweiten Stock kam, sondern Dr. Jamal, der Neurologe. Jamal unterhielt sich mit leiser, besänftigender Stimme mit ihm und sagte, Carolyns Zustand hätte sich stabilisiert, sie würden sie über Nacht hierbehalten, für alle Fälle, aber am Morgen könnte sie nach Hause. Sie würde neue Medizin bekommen – Tabletten, die teuer waren, ja, aber gleichzeitig wunderbar.

»Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren, Mr. Roberts«, sagte Dr. Jamal.

»Nein«, sagte Ralph. »Das dürfen wir nicht. Wird so etwas noch einmal vorkommen, Dr. Jamal?«

Dr. Jamal lächelte. Er sprach mit einer leisen Stimme, die durch seinen sanften indischen Akzent noch tröstlicher wirkte. Und obwohl Dr. Jamal ihm nicht frei heraus sagte, daß Carolyn sterben würde, kam er der Wahrheit näher als jeder andere in den langen Jahren, die sie um ihr Leben gekämpft hatte. Die neuen Medikamente, sagte Jamal, würden wahrscheinlich weitere Anfälle verhindern, aber ihr Zustand hätte ein Stadium erreicht, wo alle Prognosen »mit Vorsicht zu genießen« seien. Unglücklicherweise wuchs der Tumor trotz aller Gegenmaßnahmen, die sie ergriffen hatten.

»Als nächstes könnten sich motorische Probleme zeigen«, sagte Dr. Jamal mit seiner tröstlichen Stimme. »Und ich fürchte, das Augenlicht hat nachgelassen.«

»Kann ich die Nacht mit ihr verbringen?« fragte Ralph leise. »Sie wird besser schlafen, wenn ich da bin.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Und ich auch.«

»Selbstverständlich«, sagte Dr. Jamal. »Das ist eine gute Idee!«

»Ja«, sagte Ralph niedergeschlagen. »Das finde ich auch.«

Und so saß er neben seiner schlafenden Frau, lauschte dem Ticken, das nicht in den Wänden war, und dachte: Eines nicht allzu fernen Tages – vielleicht diesen Herbst, vielleicht diesen Winter – werde ich wieder mit ihr in diesem Zimmer sitzen. Das schien keine Spekulation zu sein, sondern eine Prophezeiung, und er beugte sich hinüber und legte den Kopf auf das weiße Laken über der Brust seiner Frau. Er wollte nicht wieder weinen, konnte es aber trotzdem nicht verhindern.

Das Ticken. So laut und konstant.

Ich würde gerne zu fassen bekommen, was dieses Geräusch macht, dachte er. Ich würde es zertreten, bis es nur noch aus Scherben am Boden besteht. Gott ist mein Zeuge, daß ich es tun würde.

Kurz nach Mitternacht schlief er auf seinem Stuhl ein, und als er am nächsten Morgen aufwachte, war es so kühl wie seit Wochen nicht mehr, und Carolyn war wach, bei Sinnen und strahlte. Sie schien fast gar nicht krank zu sein. Ralph nahm sie mit nach Hause und begann mit der nicht unerheblichen Aufgabe, ihr die letzten Monate so angenehm wie möglich zu machen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder an Ed Deepneau dachte; selbst als er die Blutergüsse in Helen Deepneaus Gesicht sah, dauerte es eine ganze Weile, bis er wieder an Ed dachte.

Als der Sommer zum Herbst wurde und der Herbst Carolyns letztem Winter entgegendämmerte, wurden Ralphs Gedanken immer mehr von der Todesuhr beherrscht, die lauter und lauter zu ticken schien, obwohl sie langsamer wurde.

Aber er hatte keine Probleme zu schlafen.

Das kam erst später.

ERSTER TEIL

Kleine kahlköpfige Ärzte

Es existiert ein Abgrund zwischen denen, die schlafen können, und denen, die es nicht können. Das ist eine der großen Unterscheidungen der menschlichen Rasse.

Iris Murdoch Nonnen und Soldaten

Kapitel 1

Etwa einen Monat nach dem Tod seiner Frau litt Ralph Roberts zum erstenmal in seinem Leben an Schlaflosigkeit.

Das Problem war anfangs noch unerheblich, aber es wurde immer schlimmer. Sechs Monate nach den ersten Störungen seines bis dato ungetrübten Schlafzyklus’ hatte Ralph einen Zustand des Elends erreicht, den er kaum aussprechen, geschweige denn akzeptieren konnte. Gegen Ende des Sommers 1993 fragte er sich allmählich, wie es sein würde, seine verbleibenden Jahre auf Erden mit aufgedunsenen Augen in einem Nebel des Wachseins zu verbringen. Selbstverständlich würde es nicht soweit kommen, sagte er sich, es kommt nie soweit.

Aber stimmte das? Er wußte es wirklich nicht, das war das Teuflische daran, und die Bücher zum Thema, die ihm Mike Hanion in der öffentlichen Bibliothek von Derry gab, halfen ihm nicht weiter. Es gab mehrere über Schlafstörungen, aber sie schienen einander zu widersprechen. Manche nannten Schlaflosigkeit ein Symptom, andere eine Krankheit, und mindestens eines einen Mythos. Das Problem ging aber noch weiter; soweit Ralph den Büchern entnehmen konnte, schien sich niemand hundertprozentig sicher zu sein, was Schlaf überhaupt war, wie er funktionierte und was er bewirkte.

Er wußte, er sollte aufhören, den Amateurforscher zu spielen, und zum Arzt gehen, aber das fiel ihm überraschend schwer. Er vermutete, daß er immer noch einen Groll gegen Dr. Litchfield hegte. Immerhin war es Litchfield gewesen, der Carolyns Gehirntumor anfänglich als nervöse Kopfschmerzen abgetan hatte (und Ralph vermutete, daß Litchfield, Zeit seines Lebens Junggeselle, tatsächlich geglaubt haben könnte, es handle sich bei Carolyns Kopfschmerzen lediglich um einen gelinden Anfall von Hitzewallungen), und er war es auch gewesen, der sich medizinisch gesehen so rar machte, wie er nur konnte, als Carolyns wahre Diagnose schließlich feststand. Ralph war überzeugt, wenn er den Mann unverblümt danach fragen würde, würde Litchfield sagen, daß er den Fall an Jamal abgegeben hatte, den Spezialisten… alles ganz ordentlich und vorschriftsmäßig. Ja. Aber Ralph hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Litchfield bei den wenigen Gelegenheiten im Zeitraum zwischen Carolyns ersten Anfällen letzten Juli und ihrem Tod im März, wo er den Arzt gesehen hatte, direkt in seine Augen zu schauen, und er glaubte, eine Mischung aus Unbehagen und Schuldgefühlen in diesen Augen zu erkennen. Es waren die Augen eines Mannes, der mit aller Gewalt zu vergessen suchte, daß er Scheiße gebaut hatte. Ralph vermutete, er konnte Litchfield nur deshalb ansehen, ohne ihm die Fresse polieren zu wollen, weil ihm Dr. Jamal versichert hatte, eine frühere Diagnose hätte wahrscheinlich nichts ändern können; als Carolyns Kopfschmerzen anfingen, war der Tumor schon ziemlich groß gewesen und hatte zweifellos schon kleine Salven bösartiger Zellen in andere Bereiche des Gehirns geschickt wie tödliche kleine Care-Pakete.


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