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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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Текущая страница: 15 (всего у книги 50 страниц)

»Mr. Roberts!« rief Mike aus. »Herrgott, sind Sie schwer verletzt?«

»Mir geht es gut, er ist verletzt«, sagte Ralph. Aber als er auf den Mann am Boden zeigte und an sich heruntersah, stellte er fest, daß es ihm nicht gut ging. Sein Mantel war zurückgerutscht, und die ganze linke Seite seines karierten Hemds hatte eine dunkelrote Färbung angenommen, wie eine Träne geformt, die direkt unter der Achselhöhle anfing und sich von dort ausbreitete. »Scheiße«, sagte er leise und setzte sich wieder auf den Stuhl. Er stieß mit dem Ellbogen an die Hornbrille, die über den ganzen Tisch schlitterte. Mit den Tröpfchen auf den Gläsern sah sie wie ein Augenpaar aus, das der graue Star getrübt hatte.

»Er hat mir Säure ins Gesicht geschüttet!« schrie der Mann auf dem Boden. »Ich kann nichts sehen, und meine Haut brennt wie der Teufel!« Für Ralph hörte er sich fast wie eine bewußte Parodie der bösen Hexe aus dem Westen an.

Mike warf dem Mann auf dem Boden einen kurzen Blick zu, dann setzte er sich neben Ralph. »Was ist passiert?«

»Nun, Säure war es auf jeden Fall nicht«, sagte Ralph und hielt die Dose Bodyguard hoch. Er stellte sie neben Patterns of Dreaming auf. den Tisch. »Die Lady, die sie mir gegeben hat, hat gesagt, das Zeug sei nicht so stark wie Tränengas, es reize nur die Augen und verursache Übelkeit -«

»Ich mache mir keine Sorgen, was mit ihm los ist«, sagte Mike ungeduldig. »Wer so laut schreien kann, wird wahrscheinlich nicht in den nächsten drei Minuten sterben. Ich mache mir um Sie Sorgen, Mr. Roberts – haben Sie eine Ahnung, wie stark er auf Sie eingestochen hat?«

»Eigentlich hat er gar nicht auf mich eingestochen«, sagte Ralph. »Er hat mich… mehr gepiekst. Damit.« Er zeigte auf das Messer, das auf dem Fliesenboden lag. Als er die rote Spitze sah, spürte er einen erneuten Schwächeanfall. Sein Kopf fühlte sich an wie ein Schnellzug aus Daunenkissen. Das war selbstverständlich dumm und ergab überhaupt keinen Sinn, aber sein Kopf war in keiner besonders guten Verfassung.

Der Assistent sah vorsichtig auf den Mann am Boden hinunter. »Wir kennen den Kerl, Mike«, sagte er, »es ist Charlie Pickering.«

»Ach du meine Güte«, sagte Mike. »Warum überrascht mich das bloß nicht?« Er sah den Teenager an und seufzte. »Du solltest besser die Polizei rufen, Justin. Sieht so aus, als hätten wir es hier mit einer ernsten Situation zu tun.«

5

»Bekomme ich Schwierigkeiten, weil ich das hier benutzt habe?« fragte Ralph eine Stunde später und deutete auf eines von zwei versiegelten Plastiktütchen, die auf dem überquellenden Schreibtisch in Mike Hanions Büro lagen. Ein Streifen gelben Bands mit der Aufschrift BEWEISMITTEL Spraydose DATUM 10.3.93 ORT Öffentliche Bibliothek Derry war daraufgeklebt worden.

»Nicht soviel wie unser alter Freund Charlie Pickering, weil er das hier benutzt hat«, sagte John Leydecker und deutete auf den zweiten versiegelten Beutel. Darin befand sich das Jagdmesser, auf dessen Spitze das Blut zu einem klebrigen Kastanienbraun getrocknet war. Leydecker trug heute einen Footballsweater mit der Aufschrift »University of Maine«. Er wirkte damit ungefähr so groß wie eine Scheune. »Hier draußen im Hinterland halten wir noch ziemlich viel von Selbstverteidigung. Aber wir reden nicht sehr viel darüber – es ist irgendwie, als würde man zugeben, daß man die Welt für eine Scheibe hält.«

Mike Hanion, der sich an den Türrahmen lehnte, lachte und nickte.

Ralph hoffte, daß man seinem Gesicht die große Erleichterung nicht ansah, die er empfand. Während ein Notarzt (möglicherweise derselbe, der im August Helen Deepneau ins Krankenhaus gefahren hatte) an ihm arbeitete – er fotografierte zuerst, dann desinfizierte er, und schließlich nähte und verband er -, saß Ralph mit zusammengebissenen Zähnen da und stellte sich vor, wie ein Richter ihn wegen des Gebrauchs einer halbwegs tödlichen Waffe zu sechs Monaten im hiesigen Bezirksgefängnis verurteilte. Hoffentlich, Mr. Roberts, dient dies als Exempel und als Warnung an alle anderen alten Knacker hier in der Gegend, die es als gerechtfertigt betrachten, Spraydosen mit lähmendem Nervengas mit sich herumzutragen…

Leydecker betrachtete noch einmal die sechs Polaroidfotos, die an der Seite von Hanions Computer aufgereiht waren. Der milchgesichtige Techniker der Unfallrettung hatte drei davon gemacht, bevor er Ralph zusammengeflickt hatte. Sie zeigten einen kleinen dunklen Kreis – er sah aus wie die übergroßen Kleckse, die Kinder manchmal machen, wenn sie gerade schreiben lernen – an Ralphs Hüfte. Nachdem er die Wunde genäht und Ralph eine Erklärung hatte unterschreiben lassen, daß man ihm eine Behandlung im Krankenhaus angeboten, er sie jedoch abgelehnt hatte, machte der Techniker noch einmal drei Fotos. Auf dieser zweiten Dreierstaffel konnte man die Anfänge eines absolut spektakulären Blutergusses erkennen.

»Gott segne Edwin Land und Richard Polaroid«, sagte Leydecker und verstaute die Fotos in einem dritten BEWEISMITTEL-Beutel.

»Ich glaube nicht, daß es einen Richard Polaroid gegeben hat«, sagte Mike Hanion von der Tür.

»Wahrscheinlich nicht, aber Gott segne ihn trotzdem. Die Geschworenen, die diese Fotos sehen, werden Ihnen mit absoluter Sicherheit eine Tapferkeitsmedaille verleihen wollen, und nicht einmal Clarence Darrow könnte sie als Beweismittel ausschließen lassen.« Er sah Mike an. »Charlie Pickering.«

Mike nickte. »Charlie Pickering.«

»Dummfick.«

»Dummfick de luxe.«

Die beiden sahen einander ernst an, dann prusteten sie gleichzeitig vor unbändigem Gelächter. Ralph verstand genau, wie ihnen zumute war – es war komisch, weil es schrecklich war, und schrecklich, weil es komisch war -, und mußte sich auf die Lippen beißen, damit er nicht einstimmte. Lachen wollte er im Augenblick als allerletztes auf der Welt; es würde teuflisch wehtun.

Leydecker holte ein Taschentuch aus der Gesäßtasche, wischte sich damit die tränenden Augen ab und riß sich allmählich wieder zusammen.

»Pickering gehört zu der Recht-auf-Leben-Bande, oder nicht?« fragte Ralph. Er erinnerte sich daran, wie Pickering ausgesehen hatte, als Hanions Assistent ihm aufgeholfen hatte. Ohne seine Brille hatte der Mann ungefähr so gefährlich ausgesehen wie ein Kaninchen im Schaufenster einer Tierhandlung.

»Könnte man sagen«, stimmte Mike trocken zu. »Er ist derjenige, den sie letztes Jahr in der Garage geschnappt haben, die sich das Krankenhaus und Woman-Care teilen. Er hatte einen Kanister Benzin in der Hand und einen Rucksack mit leeren Flaschen auf dem Rücken gehabt.«

»Die Stoffstreifen nicht zu vergessen«, sagte Leydecker. »Das sollten die Zündschnüre werden. Damals war Charlie noch überzeugtes Mitglied von Daily Bread.«

»War er nahe daran, ein Feuer zu legen?« fragte Ralph neugierig.

Leydecker zuckte die Achseln. »Nicht sehr. Jemand aus der Gruppe hat offenbar eingesehen, daß es eher ein Akt des Terrorismus als eine politische Aktion sein könnte, die hiesige Frauenklinik anzuzünden, und einen anonymen Anruf bei der hiesigen Polizei gemacht.«

»Keine schlechte Idee«, sagte Mike. Er schnaubte wieder ein kurzes Kichern und verschränkte dann die Arme vor der Brust, als wollte er alle weiteren Geräusche im Inneren halten.

»Ja«, sagte Leydecker. Er verschränkte die Finger ineinander, streckte die Arme aus und ließ die Knöchel knacken. »Statt ins Gefängnis, schickte ein umsichtiger Richter Charlie sechs Monate zur Behandlung und Therapie nach Juniper Hill, und da müssen sie zu dem Ergebnis gekommen sein, daß er wieder auf Vordermann gebracht worden ist, denn seit Juli oder so hält er sich wieder in der Stadt auf.« »Jawoll«, stimmte Mike zu. »Er ist fast jeden Tag hier. Verbessert sozusagen die Atmosphäre. Labert praktisch jeden voll, der hier reinkommt, und hält ihnen seine kleine Predigt, wonach jede Frau, die eine Abtreibung durchführen läßt, in Schwefel vergehen wird, und daß die wirklichen Bösewichter wie Susan Day für alle Zeiten in einem See flüssigen Feuers brennen werden. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, weshalb er es auf Sie abgesehen hatte, Mr. Roberts.«

»Wie geht es Ihnen, Ralph?« fragte Leydecker. »Sie sehen blaß aus.«

»Mir geht es ausgezeichnet«, sagte Ralph, obwohl es ihm alles andere als ausgezeichnet ging; tatsächlich wurde ihm immer übler.

»Ob ausgezeichnet oder nicht, Sie haben auf jeden Fall Glück gehabt. Glück, daß diese Frauen Ihnen die Tränengasdose gegeben haben. Glück, daß Sie sie bei sich hatten. Und am meisten Glück, daß Pickering sich nicht einfach hinter Sie geschlichen und Ihnen das Messer bis zum Heft in den Hals gestoßen hat. Fühlen Sie sich kräftig genug, mit zum Revier zu kommen und eine offizielle Aussage zu machen, oder -«

Plötzlich schnellte Ralph aus Mike Hanions uraltem Drehstuhl, drückte die linke Hand vor den Mund, raste durch das Zimmer und riß die Tür in der hinteren rechten Ecke des Büros auf, wobei er verzweifelt betete, es möge sich nicht um einen Schrank handeln. In diesem Fall würde er wahrscheinlich Mikes Galoschen mit halbverdautem Käsetoast und leicht gebrauchter Tomatensuppe füllen.

Glücklicherweise handelte es sich um den Raum, den er brauchte. Ralph ließ sich vor der Toilettenschüssel auf die Knie nieder, übergab sich mit geschlossenen Augen und drückte den linken Arm fest an die Seite, in die Pickering ein Loch gemacht hatte. Die Schmerzen, als die Bauchmuskeln sich zuerst verkrampften und dann lockerten, waren trotzdem enorm.

»Ich betrachte das als Nein«, sagte Mike Hanion hinter ihm und legte Ralph dann tröstend eine Hand auf den Nacken. »Alles in Ordnung? Hat es wieder angefangen zu bluten?«

»Ich glaube nicht«, sagte Ralph. Er fing an, das Hemd aufzuknöpfen, aber dann hielt er inne und preßte den Arm noch einmal fest an die Seite, als sein Magen sich gefährlich hob und dann Ruhe gab. Er hielt den Arm hoch und betrachtete den Verband. Sah einwandfrei aus. »Scheint alles in Ordnung zu sein.«

»Gut«, sagte Leydecker. Er stand direkt hinter dem Bibliothekar. »Sind Sie fertig?«

»Ich glaube ja.« Ralph sah Mike beschämt an. »Ich entschuldige mich dafür.«

»Seien Sie nicht albern.« Mike half Ralph wieder auf die Füße.

»Kommen Sie«, sagte Leydecker, »ich fahre Sie nach Hause. Morgen ist auch noch Zeit für die Aussage. Sie sollten den Rest des Tages die Füße hochlegen und heute nacht mal richtig ausschlafen.«

»Nichts geht darüber, mal richtig auszuschlafen«, stimmte Ralph zu. Sie hatten die Tür des Büros erreicht. »Würden Se jetzt bitte meinen Arm loslassen, Detective Leydecker? Schließlich gehen wir noch nicht fest miteinander, oder?«

Leydecker sah ihn verblüfft an, dann ließ er Ralphs Arm los. Mike fing an zu lachen. »>Gehen nicht -< Das war ziemlich gut, Mr. Roberts.«

Leydecker lächelte. »Wohl nicht, aber Sie dürfen mich Jack nenne, wenn Sie wollen. Oder John. Nur nicht Johnny. Seit meine Mutter vor zwei Jahren gestorben ist, darf mich nur noch der alte Prof McGovern Johnny nennen.«

Der alte Prof McGovern, dachte Ralph. Wie seltsam sich das anhört.

»Okay – dann John. Und ihr könnt mich beide Ralph nennen. Soweit es mich betrifft, wird Mr. Roberts immer ein BroadwayStück mit Jack Lemmon bleiben.«

»Wie Sie wollen«, sagte Mike Hanion. »Und geben Sie auf sich acht.«

»Ich werde es versuchen«, sagte er, dann blieb er wie angewurzelt stehen. »Hören Sie, ich muß Ihnen noch für etwas anderes danken, abgesehen von Ihrer Hilfe heute.«

Mike zog die Brauen hoch. »Ach ja?«

»Ja. Sie haben Helen Deepneau eine Stelle gegeben. Sie gehört zumeinen besten Freunden und hat den Job dringend gebraucht. Danke.«

Mike lächelte und nickte. »Ich nehme die Lorbeeren gerne an, aber eigentlich ist sie diejenige, die mir einen Gefallen getan hat. Eigentlich ist sie überqualifiziert für die Stelle, aber ich glaube, sie möchte in der Stadt bleiben.«

»Das möchte ich auch, und Sie haben ihr geholfen, daß das möglich ist. Also, nochmals danke.«

Mike grinste. »War mir ein Vergnügen.«

Als Ralph und Leydecker hinter dem Ausgabeschalter hervorkamen, sagte Leydecker: »Ich schätze, die Honigwabe hat wirklich geholfen, was?«

Das war so weit von dem entfernt, was Ralph gerade durch den Kopf ging, daß er zunächst nicht die geringste Ahnung hatte, wovon der große Detective sprach – er hätte ihm ebensogut eine Frage in Esperanto stellen können.

»Ihre Schlaflosigkeit«, sagte Leydecker geduldig. »Sie haben sie überwunden, richtig? Bestimmt – Sie sehen eine Zillionmal besser aus als an dem Tag, als wir uns kennenlernten.«

»An dem Tag war ich ein wenig gestreßt«, sagte Ralph. Er mußte an den alten Scherz von Billy Crystal über Fernande denken – der folgendermaßen ging: Hör zu, Darling, sei kein Schluri; es geht nicht darum, wie du dich fühlst; es geht darum, wie du aussiehst! Und du… siehst… RIESIG aus!

»Und heute nicht? Kommen Sie, Ralph, ich bin es. Also raus damit – war es die Honigwabe?«

Ralph tat so, als würde er darüber nachdenken, dann nickt er. »Ja, ich glaube, die muß es geschafft haben.«

»Phantastisch! Habe ich es Ihnen nicht gleich gesagt?« sagte Leydecker fröhlich, als sie in den verregneten Nachmittag hinausgingen.

7

Sie warteten darauf, daß die Ampel auf dem Up-Mile Hill umsprang, die an der Ecke Witcham und Jackson, als Ralph sich zu Leydecker umdrehte und fragte, wie die Chancen stünden, Ed als Charlie Pickerings Komplizen festzunageln.

»Weil Ed ihn dazu angestiftet hat«, sagte er. »Das weiß ich so sicher, wie ich weiß, daß das da drüben der Strawford Park ist.«

»Sie haben wahrscheinlich recht«, antwortete Leydecker, »aber machen Sie sich nichts vor – die Chancen, ihn als Komplizen festzunageln, sind beschissen. Sie wären auch dann nicht besser, wenn der Bezirks-Staatsanwalt nicht so konservativ wäre wie Dale Cox.«

»Warum nicht?«

»Als allererstes bezweifle ich, daß wir eine innige Beziehung zwischen den beiden Männern beweisen könnten. Zweitens, Typen wie Pickering neigen zu rückhaltloser Loyalität gegenüber den Leuten, die sie als >Freunde< bezeichnen, weil sie so wenige haben – ihre Welt besteht überwiegend aus Gegnern. Ich glaube nicht, daß Pickering bei einem Verhör vieles von dem wiederholen würde, was er Ihnen gesagt hat, als er Sie mit dem Jagdmesser an den Rippen kitzelte. Drittens, Ed Deepneau ist kein Dummkopf. Verrückt, ja – verrückter als Pickering, wenn man es recht bedenkt -, aber kein Dummkopf. Er würde nichts zugeben.«

Ralph nickte. Das entsprach genau seiner Meinung von Ed.

»Wenn Pickering tatsächlich sagen würde, daß Deepneau ihm befohlen hätte, Sie zu suchen und auszuschalten – weil sie nämlich einer dieser babytötenden, embryostehlenden Zenturionen wären -, würde Ed uns anlächeln und nicken und sagen, daß er überzeugt sei, der arme Charlie hätte uns das gesagt, der arme Charlie würde es wahrscheinlich selbst glauben, aber deshalb wäre es noch lange nicht wahr.«

Die Ampel wurde grün. Leydecker fuhr über die Kreuzung und bog bei der nächsten Gelegenheit links in die Harris Avenue ein. Die Scheibenwischer quietschten und klopften. Strawford Park rechts von ihnen sah durch den Regen, der an der Scheibe herabfloß, wie ein Wackelbild aus.

»Und was könnten wir dazu sagen?« fragte Leydecker. »Tatsache ist, Charlie Pickering kann eine lange Krankengeschichte geistiger Instabilität vorweisen – wenn es um Klapsmühlen geht, hat er die große Rundreise hinter sich: Juniper Hill, Acadia Hospital, Bangor Mental Health Institute… wenn irgendwo kostenlose Elektroschockbehandlungen und Jacken, die man auf dem Rücken zuknöpft, abgegeben werden, ist Charlie Pickering mit Sicherheit schon dort gewesen. Heutzutage ist Abtreibung sein Steckenpferd. Ende der sechziger Jahre hatte er wegen Margaret Chase Smith Hummeln im Arsch. Er schrieb Briefe an alle – die Polizei von Derry, die Staatspolizei, das FBI – und behauptete, sie sei eine russische Spionin. Er sagte, er könne es beweisen.«

»Großer Gott, das ist unglaublich.«

»Nee; das ist Charlie Pickering, und ich wette, solche wie ihn gibt es in jeder Stadt dieser Größe in den Vereinigten Staaten ein Dutzend. Verdammt, überall auf der Welt.«

Ralphs Hand stahl sich an die Seite und berührte den Verband dort. Seine Finger strichen die Schmetterlingsform unter dem Mull nach. Er erinnerte sich an Pickerings vergrößerte braune Augen – wie sie ängstlich und ekstatisch zugleich ausgesehen hatten. Er hegte schon Zweifel, daß der Mann, dem diese Augen gehörten, ihn wirklich fast umgebracht hätte, und er fürchtete, morgen würde die ganze Angelegenheit wie einer der sogenannten »Traumübergriffe« wirken, von denen er in James A. Halls Buch gelesen hatte.

»Das Schlimme ist, Ralph, ein Irrer wie Charlie Pickering ist das perfekte Werkzeug für jemanden wie Deepneau. Im Augenblick hat unser kleiner Ehefrauenprügler etwa eine Tonne Gegenargumente auf seiner Seite.«

Leydecker bog in die Einfahrt neben dem Haus von Ralph ein und parkte hinter einem großen Oldsmobile mit Rostflecken auf dem Kofferraumdeckel und einem uralten Aufkleber – DUKAKIS ‘88 – auf der Stoßstange.

»Wem gehört denn dieser Brontosaurier? Dem Prof?«

»Nein«, sagte Ralph, »das ist mein Brontosaurier.«

Leydecker sah ihn ungläubig an, während er den Schalthebel seines völlig schrdckschnacklosen Polizei-Chevys auf Parken stellte. »Wenn Sie ein Auto haben, warum stehen Sie dann im strömenden Regen an der Bushaltestelle herum? Läuft es nicht?«

»Es läuft«, sagte Ralph ein wenig steif, wollte aber nicht hinzufügen, daß er sich irren könnte; er hatte den Olds seit über zwei Monaten nicht mehr auf der Straße gehabt. »Und ich habe nicht im strömenden Regen herumgestanden; die Haltestelle hat einen Unterstand. Mit Dach. Sogar mit einer Bank. Kein Kabelfernsehen, aber warten Sie bis nächstes Jahr.«

»Trotzdem…« sagte Leydecker und sah den Olds zweifelnd an.

»Ich habe zwar die letzten fünfzehn Jahre als Schreibtischhengst verbracht, aber vorher war ich Vertreter. Fünfundzwanzig Jahre lang habe ich schätzungsweise achthundert Meilen pro Woche zurückgelegt. Als ich mich in der Druckerei niedergelassen habe, wollte ich mich nie wieder ans Steuer eines Autos setzen. Und seit meine Frau gestorben ist, gibt es eigentlich selten einen Grund zu fahren. Meistens genügt mir der Bus vollkommen.«

Das alles stimmte; Ralph sah keine Veranlassung hinzuzufügen, daß er seinen Reflexen und seiner Nahsicht zunehmend mißtraute. Vor cirka einem Jahr war ein etwa siebenjähriges Kind seinem Football auf die Straße nachgelaufen, als Ralph gerade vom Kino nach Hause kam, und obwohl er nur mit zwanzig Meilen pro Stunde fuhr, hatte Ralph zwei endlose, gräßliche Sekunden lang geglaubt, daß er den kleinen Jungen überfahren würde. Selbstverständlich hatte er es nicht – es war nicht einmal knapp gewesen -, aber er glaubte, seither konnte er die Anlässe, wenn er mit dem Olds gefahren war, an den Fingern beider Händen abzählen.

Er sah auch keine Veranlassung, das John Leydecker zu erzählen.

»Nun, ich will Ihnen da auch nicht reinreden«, sagte Leydecker und winkte unbestimmt in Richtung des Olds. »Was meinen Sie zu morgen nachmittag für die Aussage, Ralph? Ich komme gegen Mittag vorbei, damit ich Ihnen sozusagen über die Schulter sehen kann. Und hinterher lade ich Sie vielleicht auf einen Kaffee ein.«

»Klingt nicht schlecht. Und danke, daß Sie mich nach Hause gefahren haben.«

»Kein Problem. Eines noch… «

Ralph hatte gerade die Autotür aufgemacht. Jetzt schlug er sie wieder zu und drehte sich mit hochgezogenen Brauen zu Leydecker um.

Leydecker betrachtete nervös seine Hände, rutschte unbehaglich auf dem Sitz hin und her, räusperte sich und sah wieder auf. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie für einen Klasse-Typ halte«, sagte er. »Eine Menge Leute, die vierzig Jahre jünger sind als Sie, hätten das kleine Abenteuer heute im Krankenhaus beendet. Oder in der Leichenhalle.«

»Mein Schutzengel hat auf mich aufgepaßt, schätze ich«, sagte Ralph und dachte daran, wie überrascht er gewesen war, als ihm klar wurde, worum es sich bei dem runden Gegenstand in seiner Tasche handelte.

»Nun, vielleicht stimmt das, aber Sie sollten trotzdem heute nacht nicht vergessen, Ihre Tür abzuschließen. Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?«

Ralph lächelte und nickte. Berechtigt oder nicht, Leydeckers Lob hatte seine Brust mit Wärme erfüllt. »Das werde ich, und wenn ich McGovern dazu bringe, daß er mitmacht, dürfte alles astrein gehen.«

Außerdem, dachte er, kann ich immer noch runtergehen und das Schloß überprüfen, wenn ich wach werde. Wie es im Augenblick aussieht, dürfte das etwa zweieinhalb Stunden nach dem Einschlafen sein.

»Es wird alles astrein gehen«, sagte John Leydecker. »Niemand bei uns war gerade begeistert, als Deepneau die Friends of Life mehr oder weniger übernahm, aber ich kann nicht sagen, daß es uns überrascht hat – er ist ein attraktiver, charismatischer Bursche… das heißt, wenn man ihn nicht gerade an einem Tag erwischt, an dem er seine Frau als Punchingball benutzt hat.«

Ralph nickte.

»Andererseits sehen wir Typen wie ihn nicht zum erstenmal, und sie haben immer eine selbstzerstörerische Ader. Bei Deepneau hat dieser Prozeß der Selbstzerstörung schon angefangen. Er hat seine Frau verloren, er hat seinen Job verloren… haben Sie das gewußt?«

»Hm-hmm. Helen hat es mir gesagt.«

»Jetzt verliert er seine gemäßigteren Anhänger. Sie fallen ab wie Düsenjäger, die zum Stützpunkt zurückkehren, weil ihnen der Treibstoff ausgeht. Aber Ed nicht – der wird weitermachen, komme was da wolle. Ich schätze, er kann einige zumindest bis zum Tag von Susan Days Rede an sich binden, aber danach, schätze ich, wird der große Führer allein dastehen.«

»Haben Sie sich schon einmal überlegt, daß er am Freitag etwas versuchen könnte? Daß er versuchen könnte, Susan Day zu verletzen?«

»O ja«, sagte Leydecker. »Das haben wir uns überlegt. Und wie wir das haben.«

8

Ralph war überaus glücklich festzustellen, daß die Verandatür diesmal abgeschlossen war. Er schloß gerade lange genug auf, daß er das Haus betreten konnte, dann stapfte er die Treppe hinauf, die heute nachmittag länger und düsterer denn je wirkte.

Obwohl der Regen konstant auf das Dach prasselte, schien es in dem Apartment zu still, und die Luft schien nach zu vielen schlaflosen Nächten zu riechen. Ralph holte einen Stuhl vom Küchentisch zum Tresen, stellte sich darauf und suchte die Decke des Schränkchens gleich neben der Spüle ab. Es war, als hätte er erwartet, eine andere Dose Bodyguard dort zu finden die ursprüngliche Dose, die er dort versteckt hatte, nachdem Helen und ihre Freundin Gretchen gegangen waren -, und ein Teil von ihm erwartete das tatsächlich. Aber er fand nichts da oben, außer einem Zahnstocher, einer alten Sicherung Marke Buss und einer Menge Staub.

Er stieg vorsichtig von dem Stuhl herunter, sah die schmutzigen Fußabdrücke, die er auf dem Polster hinterlassen hatte, und holte Küchentücher, um sie abzuwischen. Dann stellte er den Stuhl an den Tisch zurück und ging ins Wohnzimmer. Dort blieb er stehen und ließ den Blick von der Couch mit ihrem schäbigen Blumenmusterbezug über den Ohrensessel zu dem alten Fernseher wandern, der auf seinem Eichentisch zwischen den beiden Fenstern zur Harris Avenue stand. Vom Fernseher wanderte sein Blick in die gegenüberliegende Ecke. Als er gestern sein Apartment betreten hatte, noch etwas nervös, weil die Verandatür offen gewesen war, hatte er seine Jacke, die am Kleiderständer in dieser Ecke hing, kurz für einen Eindringling gehalten. Nun, er konnte die Dinge getrost beim Namen nennen; er hatte einen Augenblick geglaubt, Ed hätte beschlossen, ihm einen Besuch abzustatten.

Ich hänge meine Jacke niemals auf. Das war eine Angewohnheit von mir – eine der wenigen, glaube ich -, die Carolyn immer richtig auf die Palme gebracht hat. Und da ich mir zu ihren Lebzeiten nie angewöhnen konnte, sie aufzuhängen, dann mit Sicherheit auch nicht nach ihrem Tod. Nein, ich habe diese Jacke nicht aufgehängt.

Ralph ging durch das Zimmer, kramte in den Taschen der grauen Lederjacke und legte alles, was er fand, auf den Fernseher. Nichts außer einer alten Rolle Life Savers – Fusseln klebten an der obersten – in der linken, aber die rechte erwies sich als wahre Fundgrube, auch wenn die Spraydose nicht mehr darin war. Ein Tootsie Pop Zitrone, noch eingewickelt; ein zerknitterter Werbezettel vom Derry House of Pizza; eine Batterie; ein kleiner Pappkarton, in dem einmal ein Stück Apfelkuchen von McDonalds gewesen war; sein Mitgliederausweis von Dave’s Video Stop, nur vier Rabattmarken von einem Gratisfilm entfernt (die Karte war seit zwei Wochen verschwunden und Ralph war sicher gewesen, daß er sie verloren hatte); ein Streichholzbriefchen; eine Master-Card-Quittung für ein Essen im Panda Garden; mehrere Fetzen Alufolie… und ein zusammengefaltetes Blatt liniertes, blaues Papier.

Ralph faltete es auseinander und las den einen Satz, der mit der krakeligen, etwas unsicheren Schrift eines alten Mannes geschrieben worden war: Was ich auch tue, ich tue es rasch, damit ich etwas anderes tun kann.

Das war alles, aber es reichte aus, seinem Hirn zu bestätigen, was sein Herz bereits wußte: Dorrance Marstellar hatte auf der Veranda gewartet, als Ralph mit seinen Büchern von Back Pages zurückgekommen war, aber er hatte noch etwas anderes erledigt, bevor er sich dort niedergelassen hatte. Er hatte sogar seine Visitenkarte hinterlassen: eine Zeile aus einem Gedicht auf einem Blatt Papier, das er wahrscheinlich aus dem alten, zerfledderten Notizbuch gerissen hatte, in das er manchmal Ankunfts-und Abflugzeiten auf Rollbahn 3 schrieb. Statt die Jacke dorthin zu legen, wo Ralph sie hingeworfen hatte, hatte der alte Dor sie ordentlich an den Kleiderständer gehängt. Danach (Geschehenes läßt sich nicht mehr ungeschehen machen) ging er wieder auf die Veranda hinunter und wartete.

Gestern abend hatte Ralph mit McGovern geschimpft, weil der die Eingangstür wieder offengelassen hatte, und McGovern hatte es so geduldig über sich ergehen lassen, wie Ralph selbst Carolyns Schelte über sich hatte ergehen lassen, wenn er beim Nachhausekommen die Jacke auf den nächstbesten Stuhl warf, statt sie an den Kleiderständer zu hängen, aber jetzt fragte sich Ralph, ob er Bill nicht möglicherweise zu Unrecht Vorwürfe gemacht hatte. Vielleicht hatte der alte Dor das Schloß geknackt… oder auf gezaubert. Unter den Umständen schien Zauberei wahrscheinlicher zu sein. Denn…

»Denn stellt euch vor«, sagte Ralph mit leiser Stimme, während er mechanisch den Krimskrams auf dem Fernseher wieder in den Taschen verstaute, »er hat nicht nur gewußt, daß ich das Zeug brauchen würde, er hat auch gewußt, wo er es finden konnte und wo er es verstauen mußte.«

Da lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, und sein Verstand versuchte, die ganze Angelegenheit herunterzuspielen sie als Wahnsinn zu bezeichnen, als unlogisch, als genau das, was sich ein Mann mit Schlaflosigkeit Güteklasse A ausdenken würde. Aber das erklärte nicht das Stück Papier, oder?

Er betrachtete wieder die gekritzelten Worte auf dem linierten blauen Blatt – Was ich auch tue, ich tue es rasch, damit ich etwas anderes tun kann. Dies war ebenso wenig seine Handschrift, wie Cemetery Nights sein Buch war.

»Aber jetzt ist es meins; Dor hat es mir gegeben«, sagte Ralph, und der kalte Schauer fuhr ihm wieder über den Rücken, unregelmäßig wie ein Sprung in einer Windschutzscheibe.

Was für eine andere Erklärung fällt dir ein? Diese Dose ist nicht von selbst in deine Tasche geflogen. Und das Stück Notizpapier auch nicht.

Das Gefühl, als würde er von unsichtbaren Händen auf den klaffenden Schlund eines Tunnels zugeschoben werden, hatte sich wieder eingestellt. Ralph kam sich wie ein Mann in einem Traum vor, als er zur Küche zurückkehrte. Unterwegs schlüpfte er aus der grauen Jacke und warf sie über die Couchlehne, ohne auch nur darüber nachzudenken. Er blieb eine Zeitlang unter der Tür stehen und betrachtete starr den Kalender mit dem Bild zweier lachender Jungs, die eine Kürbislaterne schnitzten. Betrachtete das morgige Datum, das eingekreist war.

Du sollst den Termin bei dem Nadelpiekser absagen, hatte Dorrance gesagt; das war die Botschaft, und heute hatte der Messerstecher sie mehr oder weniger bekräftigt. Verdammt, er hatte sie in Neonbuchstaben wiederholt.

Ralph suchte eine Nummer in den Gelben Seiten und wählte sie.

»Dies ist die Praxis von Dr. James Roy Hong«, informierte ihn eine angenehme Frauenstimme. »Im Augenblick können wir Ihren Anruf leider nicht persönlich entgegennehmen, daher hinterlassen Sie bitte eine Nachricht nach dem Pfeifton. Wir rufen Sie schnellstmöglich zurück.«

Der Anrufbeantworter piepste. Mit einer Stimme, deren Festigkeit ihn überraschte, sagte Ralph: »Hier spricht Ralph Roberts. Ich habe morgen früh um zehn Uhr einen Termin. Es tut mir leid, aber ich werde ihn nicht wahrnehmen können. Es ist mir etwas dazwischengekommen. Vielen Dank.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Selbstverständlich werde ich für die Kosten aufkommen.«

Er schloß die Augen und legte den Hörer wieder auf die Gabel. Dann preßte er die Stirn an die Wand.

Was machst du, Ralph? Was, in Gottes Namen, machst du da?

»Es ist ein langer Weg zurück ins Paradies, Liebling.«

Du kannst doch nicht allen Ernstes denken, was du da denkst… oder?

»… ein langer Weg, also hör auf, dich über Kleinigkeiten aufzuregen.«

Was genau denkst du denn, Ralph?

Er wußte es nicht, er hatte nicht die geringste Idee. Er wußte nur, daß Kreise des Schmerzes von dem kleinen Loch in seiner linken Seite ausgingen, dem Loch, das der Messerstecher gemacht hatte. Der Notarzt hatte ihm ein halbes Dutzend Schmerztabletten gegeben, und er vermutete, er sollte eine nehmen, aber im Augenblick war er zu müde, zur Spüle zu gehen und sich ein Glas Wasser zu holen… und wenn er zu müde war, durch ein beschissenes kleines Zimmer zu gehen, wie, um alles in der Welt, sollte er dann den langen Weg zurück ins Paradies bewerkstelligen?

Ralph wußte es nicht, und im Augenblick war es ihm auch egal. Er wollte nur stehenbleiben, wo er war, die Stirn an die Wand pressen und die Augen geschlossen halten, damit er überhaupt nichts ansehen mußte.

Kapitel 8

Der Strand war ein langes weißes Band und glich ein wenig dem Aufblitzen eines weißen Seidenslips am Saum des schimmernden blauen Meeres; er war vollkommen verlassen, abgesehen von einem runden Gegenstand etwa sechzig Meter entfernt. Dieser runde Gegenstand war etwa so groß wie ein Basketball und erfüllte Ralph mit einer Angst, die ebenso tief verwurzelt wie – jedenfalls im Augenblick – grundlos war.


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