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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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Текущая страница: 30 (всего у книги 50 страниц)

Draußen auf dem Flur spielte sich das Leben in seinem üblichen gedämpften Schritt ab. Keine Summer ertönten, keine Lichter blinkten, keine Assistenten kamen gelaufen und schoben eine Bahre vor sich her. Niemand rief »Notarzt!« über Lautsprecher. Dazu war der Tod hier ein zu normaler Besucher. Ralph vermutete, daß der Tod nicht willkommen war, nicht einmal unter Umständen wie diesen, aber er war vertraut und wurde akzeptiert. Außerdem glaubte er, daß Jimmy V. mit diesem Abgang aus dem zweiten Stock des Derry Home zufrieden gewesen wäre – er hatte es ohne Getue und Aufhebens getan, und er hatte keinem seinen Führerschein oder seine Blue Cross Medical Kreditkarte zeigen müssen. Er war mit der Würde gestorben, die einfachen, nicht unerwarteten Dingen häufig eigen ist. Einen oder zwei Augenblicke bei Bewußtsein, begleitet von einer gesteigerten Wahrnehmung, was sich um ihn herum abspielte, und dann peng. Nimm meine Sorgen und mein Leid, blackbird, bye-bye.

Sie gesellten sich auf dem Flur vor der Tür von Bob Polhursts Zimmer zu den kahlköpfigen Docs. Durch die offene Tür konnten sie sehen, daß die Totenwache am Bett des alten Lehrers andauerte.

Lois: [»Der Mann dicht neben dem Bett ist Bill McGovern, ein Freund von uns. Etwas stimmt nicht mit ihm. Etwas Schreckliches. Wenn wir tun, was Sie verlangen, könnten Sie dann -?«

Aber Lachesis und Klotho schüttelten beide den Kopf.

Klotho: [Nichts kann geändert werden.]

Ja, dachte Ralph. Dorrance hat es gewußt: Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen.

Lois: [»Wann wird es passieren?«]

Klotho: [Euer Freund gehört dem anderen, dem dritten. Dem Ralph bereits den Namen Atropos gjgeben hat. Aber Atropos könnte euch den genauen Todeszeitpunkt dieses Mannes ebensowenig nennen wie wir. Er kann nicht einmal sagen, wen er als nächstes holen wird. Atropos ist ein Agent des Zufalls.]

Als er das hörte, fröstelte Ralph im tiefsten Inneren.

Lachesis: [Aber dies ist nicht der geeignete Ort zum Reden. Kommt.]

Lachesis ergriff eine Hand von Klotho, die andere hielt er Ralph hin. Gleichzeitig bot Klotho seine Hand Lois an. Sie zögerte, dann sah sie Ralph an.

Ralph seinerseits betrachtete Lachesis grimmig.

[»Ihr solltet ihr besser nichts zuleide tun.«] [Keinem von euch wird etwas geschehen, Ralph. Nimm meine Hand.]

Ich bin ein Fremdling im Paradies, führte Ralph den Gedanken zu Ende. Dann seufzte er zwischen zusammengebissenen Zähnen, nickte Lois zu und ergriff Lachesis’ ausgestreckte Hand. Der Schock des Wiedererkennens, durchdringend und angenehm wie das Wiedersehen mit einem alten und geschätzten Freund, erfüllte ihn erneut. Äpfel und Rinde; Erinnerungen an Obstgärten, durch die er als Kind gegangen war. Irgendwie bemerkte er, ohne es direkt zu sehen, daß sich die Farbe seiner Aura verändert und – zumindest vorübergehend – die gold-grüne Tönung von Klotho und Lachesis angenommen hatte.

Lois ergriff Klothos Hand, holte mit zusammengebissenen Zähnen tief und zischelnd Luft und lächelte zaghaft.

Klotho: [Schließt den Kreis, Ralph und Lois. Habt keine Angst. Alles ist gut.]

Mann, da bin ich aber entschieden anderer Ansicht, dachte Ralph, aber als Lois nach seiner Hand griff, nahm er ihre Finger. Zu dem Geruch von Äpfeln und der Beschaffenheit von trockener Rinde gesellte sich ein dunkles und unbekanntes Gewürz. Ralph sog das Aroma in vollen Zügen ein und lächelte Lois zu. Sie lächelte ebenfalls – ohne zu zögern -, und Ralph verspürte eine tiefgreifende, distanzierte Verwirrung. Wie konntest du Angst haben? Wie konntest du auch nur zögern, wo es doch so gut und richtig zu sein schien, was sie brachten?

Ich fühle mit dir, Ralph, aber du solltest trotzdem zögern, riet ihm eine Stimme.

[»Ralph? Ralph!«]

Sie hörte sich erschrocken und überschwenglich zugleich an, Ralph drehte sich rechtzeitig um und konnte sehen, daß der obere Rand der Tür von Zimmer 215 an ihrer Schulter vorbei sank… nur schwebte die Tür nicht nach unten; sie schwebten nach oben. Alle schwebten nach oben, während sie weiter mit den Händen einen Kreis bildeten.

Das war Ralph gerade klar geworden, als eine vorübergehende Dunkelheit, scharf wie eine Messerklinge, durch sein Gesichtsfeld glitt wie der Schatten einer Jalousie. Er sah ganz kurz dünne Röhren, die wahrscheinlich zum Sprinklersystem des Krankenhauses gehörten, umgeben von flauschigen rosa Polstern der Isolierung. Dann sah er einen langen, gekachelten Flur entlang. Eine Bahre rollte direkt auf seinen Kopf zu… der, wie ihm plötzlich bewußt wurde, wie ein Periskop in einen der Flure des zweiten Stocks ragte.

Er hörte Lois aufschreien und spürte, wie sie seine Hand fester umklammerte. Ralph machte instinktiv die Augen zu und wartete darauf, daß die heranbrausende Bahre ihm den Kopf plattwalzen würde.

Klotho: [Bleibt ruhig! Bitte, bleibt ruhig! Vergeßt nicht, daß dies alles auf einer anderen Realitätsebene geschieht als der, auf der ihr euch derzeit befindet!]

Ralph schlug die Augen auf. Die Bahre war verschwunden, aber er konnte ihre Räder noch hören, wie sie sich entfernten.

Das Geräusch kam jetzt von hinter ihm. Die Bahre war, wie McGovems Freund, einfach durch ihn hindurchgegangen. Sie stiegen alle vier langsam in den Flur der Kinderstation hinauf -Märchenwesen tänzelten und tollten an den Wänden herum, und Figuren aus Disneys Aladin und Die kleine Meerjungfrau waren auf die Fenster eines großen, hell erleuchteten Spielzimmers geklebt worden. Ein Arzt und eine Schwester, die sich über einen Kranken unterhielten, kamen auf sie zu.

»– weiteren Tests anzudeuten scheinen, aber nur wenn wir zu mindestens neunzig Prozent sicherstellen können, daß -«

Der Arzt ging durch Ralph hindurch, und dabei erfuhr Ralph, daß der Mann nach fünfzehn Jahren Abstinenz vor kurzem erst wieder zu rauchen angefangen hatte und deswegen schreckliche Schuldgefühle empfand. Dann waren sie fort. Ralph sah nach unten und bekam gerade noch mit, wie seine Füße aus dem Fliesenboden herauskamen. Er drehte sich zu Lois um und lächelte zaghaft.

[»Klassen besser als der Fahrstuhl, was?«]

Sie nickte. Seine Hand hielt sie aber nach wie vor ziemlich fest.

Sie stiegen durch den dritten Stock, kamen im vierten in einem Ärztezimmer heraus (zwei Ärzte – von der voll ausgewachsenen Art – waren anwesend, einer sah sich eine alte Wiederholung von F Troop an, der andere schnarchte auf einem gräßlichen Sofa von Swedish Modern), und dann befanden sie sich auf dem Dach.

Die Neumondnacht war klar und atemberaubend. Sterne funkelten am Himmelszelt wie eine extravagante, nebelhafte Lichterkette. Der Wind wehte heftig, und er dachte an Mrs. Perrine, die sagte, daß der Altweibersommer vorüber sei, das könnte er ihr glauben. Ralph konnte den Wind hören, spürte ihn aber nicht… aber er hatte eine Ahnung, als könnte er ihn spüren, wenn er wollte. Es kam nur darauf an, sich auf die richtige Weise zu konzentrieren…

Noch während er diesen Gedanken hatte, verspürte er eine unbedeutende, vorübergehende Veränderung in seinem Körper, so etwas wie ein Blinzeln. Plötzlich wurde ihm das Haar an der Stirn nach hinten geweht, und er konnte seine Hosen um die Schienbeine flattern hören. Er erschauerte. Mrs. Perrines Rücken hatte sich also nicht geirrt, das Wetter änderte sich tatsächlich. Ralph blinzelte noch einmal innerlich, worauf der Windstoß wieder verschwand. Er sah zu Lachesis hinüber.

[»Kann ich Ihre Hand jetzt loslassen?«]

Lachesis nickte und ließ seinerseits Ralphs Hand los. Klotho gab Lois’ Hand frei. Ralph sah über die Stadt hinweg nach Westen zu den pulsierenden blauen Startbahnlichtern des Flughafens. Dahinter konnte er das Gitter orangefarbener Natriumdampflampen von Cape Green erkennen, einer der Neubausiedlungen jenseits der Barrens. Und irgendwo inmitten der Lichter östlich des Flughafens lag die Harris Avenue.

[»Es ist wunderschön, nicht wahr, Ralph?«]

Er nickte und überlegte sich, hier zu stehen und die nächtliche Stadt in der Dunkelheit zu sehen, machte alles wieder wett, was er seit Anfang der Schlaflosigkeit hatte erleiden müssen. Alles und noch viel mehr. Aber das war ein Gedanke, dem er nicht uneingeschränkt vertraute.

Er drehte sich zu Lachesis und Klotho um.

[»Na gut, erklärt uns alles. Wer seid ihr, wer ist er, und was wollt ihr von uns?«]

Die beiden kahlköpfigen Ärzte standen zwischen zwei schnell kreisenden Heizungsventilatoren, die braun-purpurne Abgase in die Luft entließen. Sie sahen einander nervös an, und Lachesis nickte Klotho fast unmerklich zu. Klotho machte einen Schritt nach vorne, sah von Ralph zu Lois und schien seine Gedanken zu ordnen.

[Nun gut. Zuerst müßt ihr einsehen, daß die Geschehnisse im Augenblick zwar unerwartet und beunruhigend, aber keineswegs unnatürlich sind. Mein Kollege und ich tun das, wofür wir geschaffen wurden; Atropos tut das, wofür er geschaffen wurde; und ihr, meine kurzfristigen Freunde, werdet das tun, wofür ihr geschaffen worden seid.]

Ralph bedachte ihn mit einem strahlenden, bitteren Lächeln.

[»Ich schätze, damit ist es aus mit der freien Entscheidung.«]

Lachesis: [So dürft ihr nicht denken! Es ist einfach so, was ihr freie Entscheidung nennt, das nennen wir Ka, das große Rad das Daseins.]

Lois: [»Wir sehen durch ein dunkles Glas… meinen Sie das damit?«]

Klotho, der sein irgendwie jungenhaftes Lächeln sehen ließ: [Die Bibel, soweit ich weiß. Und eine sehr gute Art, es zu beschreiben.]

Ralph: [»Und ziemlich bequem für Jungs wie euch. Aber lassen wir das vorerst. Bei uns gib es noch eine Maxime, die nicht in der Bibel steht, aber trotzdem ziemlich gut ist: Hüte dich vor Schönfärberei. Ich hoffe, Sie vergessen das nicht.«]

Aber Ralph hatte den Verdacht, als wäre das ein bißchen viel verlangt.

Danach ergriff Klotho das Wort und redete lange Zeit. Ralph hatte keine Ahnung, wie lange genau, denn auf dieser Ebene verlief die Zeit anders – irgendwie komprimiert. Manchmal drückte er das, was er sagte, gar nicht mit Worten aus; verbale Ausdrücke wurden durch einfache helle Bilder wie die in leichten Bilderrätseln für Kinder ersetzt. Ralph vermutete, daß es sich dabei um Telepathie handelte, ein an sich erstaunliches Phänomen, aber während es passierte, kam es ihm so natürlich wie das Atmen vor.

Manchmal blieben Worte wie Bilder auf der Strecke und wurden von rätselhaften Pausen in der Kommunikation unterbrochen. Dennoch gelang es Ralph auch dann meistens, eine Vorstellung davon zu bekommen, was Klotho vermitteln wollte, und er hatte eine Ahnung, daß Lois noch deutlicher als er selbst begriff, was in diesen Unterbrechungen verborgen blieb.

[Zuerst müßt ihr wissen, daß es nur vier Konstanten auf der Existenzebene gibt, wo eure Leben und unsere, die Leben der Langfristigen sich überlappen. Diese vier Konstanten sind Leben, Tod, der Plan und der Zufall. Diese Worte haben alle einen Sinn für euch, aber jetzt habt ihr eine etwas andere Vorstellung von Leben und Tod, oder nicht?]

Ralph und Lois nickten zögernd.

[Lachesis und ich sind die Agenten des Todes. Damit sind wir für die meisten Kurzfristigen Gestalten des Grauens; selbst diejenigen, die so tun, als akzeptierten sie uns und unsere Funktion, haben normalerweise Angst. Auf Bildern werden wir manchmal als furchterregendes Skelett oder als Gestalt mit Kapuze abgebildet, deren Gesicht man nicht sehen kann.]

Klotho legte die winzigen Hände auf seine weißgewandeten Schultern und schützte ein Erschauern vor. Die burleske Darstellung gelang ihm so gut, daß Ralph grinsen mußte.

[Aber wir sind nicht nur Agenten des Todes, Ralph und Lois; wir sind auch Agenten des Plans. Und nun müßt ihr genau zuhören, damit ihr mich nicht mißversteht. Unter euresgleichen gibt es welche, die der Meinung sind, alles ist vorherbestimmt, und es gibt welche, die alle Ereignisse einfach für Schicksal oder Zufall halten. In Wahrheit besteht das Leben aus Plan und Zufall, wenn auch nicht zu gleichen Teilen. Das Leben ist wie]

Hier bildete Klotho einen Kreis mit den Armen, wie ein kleines Kind, das so tut, als würde es die Form der Erde zeigen, und in diesem Kreis sah Ralph ein brillantes und vielsagendes Bild: Tausende (möglicherweise auch Millionen) Spielkarten, die zu einem flackernden Regenbogen aus Herz und Pik und Karo und Kreuz aufgefächert waren. Außerdem sah er eine große Menge Joker in diesem Blatt; nicht so viele, daß sie eine eigene Farbe ergeben hätten, aber proportional gesehen eindeutig mehr als die zwei oder drei, die man in einem gewöhnlichen Kartenspiel fand. Alle Joker grinsten, und alle trugen einen fadenscheinigen Panama, aus dessen Krempe ein Stück herausgebissen war.

Und jeder hatte ein rostiges Skalpell.

Ralph sah Klotho mit großen Augen an. Klotho nickte.

[Ja. Ich weiß nicht genau, was genau Sie gesehen haben, aber ich weiß, Sie haben das gesehen, was ich darzustellen versuche. Lois? Was ist mit Ihnen?]

Lois, die für ihr Leben gern Karten spielte, nickte blaß.

[»Atropos ist der Joker im Spiel – das haben Sie gemeint.«]

[Er ist ein Agent des Zufalls. Wir, Lachesis und ich, dienen der anderen Macht, die für die meisten Ereignisse im individuellen Leben und im breiteren Strom aller Leben verantwortlich ist. Auf eurer Etage des Gebäudes, Ralph und Lois, ist jedes Lebewesen ein kurzfristiges Lebewesen mit einer vorherbestimmten Lebensspanne. Das soll nicht heißen, daß ein Kind aus dem Schoß seiner Mutter kommt und ein Schild um den Hals trägt, auf dem steht: BALLONSCHNUR DURCHSCHNEIDEN NACH 84 JAHREN, 2 MONATEN, 9 TAGEN, 6 STUNDEN, 4 MINUTEN UND 2 SEKUNDEN. Diese Vorstellung wäre lächerlich. Aber Zeiträume sind normalerweise festgelegt, und wie ihr beide gesehen habt, dient die Aura der Kurzfristigen unter anderem als Uhr.]

Lois bewegte sich, und als Ralph sich zu ihr umdrehte, fiel ihm etwas Erstaunliches auf: Der Himmel über ihnen wurde blasser. Er schätzte, daß es fünf Uhr morgens sein mußte. Sie waren Dienstag abend gegen neun Uhr im Krankenhaus eingetroffen, und jetzt schrieb man auf einmal Mittwoch, den 6. Oktober. Ralph kannte den Ausdruck, daß die Zeit verflog, aber dies war lächerlich.

Lois: [»Ihre Aufgabe ist das, was wir einen natürlichen Tod nennen, richtig?«]

Verwirrte, unvollständige Bilder flimmerten in ihrer Aura. Ein Mann (der verstorbene Mr. Chasse, da war Ralph ganz sicher), der in einem Sauerstoffzelt lag. Jimmy V., der die Augen aufschlug und Ralph und Lois in dem Moment ansah, bevor Klotho seine Ballonschnur durchschnitt. Die Todesanzeigen der Derry News, voll mit Fotos, die meisten nicht größer als Briefmarken, von der wöchentlichen Ernte in den städtischen Krankenhäusern und Altenheimen.

Klotho und Lachesis schüttelten beide den Kopf.

Lachesis: [Eigentlich gibt es keinen natürlichen Tod. Unsere Aufgabe ist ein planmäßiger Tod. Wir holen die Alten und Kranken, aber wir holen auch andere. Erst gestern haben wir zum Beispiel einen jungen Mann von achtundzwanzig Jahren geholt. Einen Zimmermann. Vor zwei Wochen ist er vom Gerüst gefallen und hat sich den Schädel gebrochen. In diesen zwei Wochen war seine Aura]

Ralph sah das zertrümmerte Bild der Aura eines Behinderten, ähnlich der des Babys aus dem Fahrstuhl.

Klotho: [Dann kam die Wende – die Veränderung der Aura. Wir wußten, sie würde kommen, aber nicht, wann sie kommen würde. Als es soweit war, sind wir zu ihm gegangen und haben ihn weitergeschickt.]

[»Wohin weitergeschickt?«]

Lois hatte die Frage gestellt und schnitt damit die delikate Frage des Lebens nach dem Tod fast versehentlich an. Ralph griff nach seinem geistigen Sicherheitsgurt und hoffte fast auf einen dieser eigentümlichen leeren Zwischenräume, aber als ihre einander überlappenden Antworten ertönten, waren sie völlig deutlich.

Klotho: [Nach überallhin.]

Lachesis: [In andere Welten als diese.]

Ralph verspürte eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung.

[»Das klingt sehr poetisch, aber ich glaube, es bedeutet -verbessern Sie mich, wenn ich mich irre -, daß das Leben nach dem Tod für Sie ebenso ein Geheimnis ist wie für uns.«]

Lachesis, der sich ein wenig verschnupft anhörte: [Ein andermal haben wir vielleicht Gelegenheit, uns über so etwas zu unterhalten, aber jetzt nicht – wie ihr beiden sicherlich schon festgestellt habt, vergeht die Zeit schneller auf diesem Stockwerk des Gebäudes.]

Ralph sah sich um und stellte fest, daß der Morgen schon deutlich heller geworden war.

[»Tut mir leid.«]

Klotho, lächelnd: [Nicht nötig – wir genießen eure Fragen und finden sie erfrischend. Neugier existiert allerorten im Kontinuum des Lebens, aber nirgendwo in einem solchen Übermaß wie hier. Doch was ihr das Leben nach dem Tod nennt, hat keinen Platz invden vier Konstanten – Leben, Tod, dem Plan und dem Zufall -, die uns betreffen.

Der Verlauf eines jeden Todes, der dem Plan dient, nimmt einen Gang, mit dem wir vertraut sind. Die Auren derjenigen, die einen planmäßigen, vorherbestimmten Tod sterben, werden grau, wenn das Ende näherrückt. Dieses Grau geht konstant in Schwarz über. Wir werden gerufen, wenn die Aura und wir kommen genau so, wie ihr uns in der letzten Nacht gesehen habt. Wir erlösen die Leidenden, besänftigen die Ängstlichen und geben den Ruhelosen Ruhe. Die meisten planmäßig bestimmten Tode werden erwartet, fast herbeigesehnt, aber nicht alle. Manchmal werden wir gerufen, um Männer, Frauen und Kinder zu holen, die sich bester Gesundheit erfreuen… doch ihre Auren verfärben sich plötzlich, und ihre Zeit ist gekommen.]

Ralph dachte an den jungen Mann in der ärmellosen Red Sox Jacke, den er am Dienstag nachmittag ins Red Apple hatte gehen sehen. Er hatte ein Bild von Jugend und Vitalität gesehen… abgesehen von dem geisterhaften Ölfilm, der ihn umgeben hatte.

Ralph machte den Mund auf, um eventuell diesen jungen Mann zu erwähnen (oder nach seinem Schicksal zu fragen), dann schloß er ihn wieder. Die Sonne stand jetzt direkt über ihm, und plötzlich erfüllte ihn eine bizarre Gewißheit – daß er und Lois zum Thema lüsterner Diskussionen in der heimlichen Stadt der Altvorderen geworden waren.

Hat sie jemand gesehen?… Nein?…Ob sie zusammen durchgebrannt sind?… Nee, nicht in ihrem Alter, aber vielleicht liegen sie in der Falle…Ich weiß nicht, ob Ralphie noch Munition in seiner alten Patronenschachtel hat, aber für mich hat sie immer wie ein heißer Feger ausgesehen…Ja, sie geht so, als wüßte sie, was man damit anstellt, was?

Das Bild seiner übergroßen Rostlaube fiel ihm ein, die geduldig hinter einem der efeubewachsenen Bungalows der Derry Cabins wartete, während im Inneren die Bettfedern obszön boingten und zoingten, und er grinste. Er konnte nicht anders. Einen Augenblick später kam ihm die erschreckende Erkenntnis, daß er seine Gedanken möglicherweise durch seine Aura übermittelte, und er schlug hastig die Tür vor diesem Bild zu. Aber sah Lois ihn nicht bereits mit einer gewissem amüsierten Gesichtsausdruck an?

Ralph richtete seine Aufmerksamkeit hastig auf Klotho.

[Atropos dient dem Zufall. Nicht jeder Todesfall, den die Kurzfristigen »sinnlos« oder »unnötig« oder »tragisch« nennen, ist sein Werk, aber die meisten. Wenn ein Dutzend alte Männer und Frauen bei einem Brand in einem Altersheim ums Leben kommen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß Atropos dort gewesen ist, Souvenirs mitgenommen und Ballonschnüre durchgeschnitten hat. Wenn ein Kind ohne ersichtlichen Grund in der Wiege stirbt, sind Atropos und sein rostiges Skalpell in den meisten Fällen dafür verantwortlich. Wenn ein Hund -ja, sogar ein Hund, denn das Schicksal fast aller lebenden Geschöpfe in der Welt der Kurzfristigen fällt in die Zuständigkeit des Plans oder des Zufalls – auf der Straße überfahren wird, weil der Fahrer sich den fälschen Moment ausgesucht hat, um auf die Uhr zu sehen -]

Lois: [»Ist das mit Rosalie passiert?«]

Klotho: [Atropos ist mit Rosalie passiert. Ralphs Freund Joe Wyzer hat lediglich, wie wir sagen, »die Umstände erfüllt«.]

Lachesis: [Und Atropos ist auch Ihrem Freund zugestoßen, dem verstorbenen Mr. McGovern.]

Lois sah aus, wie Ralph sich fühlte: Betroffen, aber eigentlich nicht überrascht. Es war jetzt Spätnachmittag, möglicherweise waren achtzehn Stunden nach Zeitrechnung der Kurzfristigen vergangen, seit sie Bill zum letztenmal gesehen hatten, und schon da hatte Ralph gewußt, daß dem Mann äußerst wenig Zeit blieb. Lois, die ungewollt die Hand in ihn gesteckt hatte, hatte es noch besser gewußt.

Ralph: [»Wann ist es passiert? Wie lange nachdem wir ihn gesehenhatten?«]

Lachesis: [Nicht lange. Als er das Krankenhaus verließ. Es tut mir leid um euren Verlust, und auch, weil wir euch die Neuigkeit auf so grobe Weise überbringen. Wir unterhalten uns so selten mit Kurzfristigen, daß wir nicht wissen, wie man es anstellt. Wir wollten euch nicht wehtun, Ralph und Lois.]

Lois sagte ihm, es wäre schon gut, sie verstünden schon, aber Tränen liefen an ihren Wangen hinab, und Ralph spürte, wie sie in seinen Augen brannten. Der Gedanke, daß Bill nicht mehr war – daß der kleine Scheißkerl im schmutzigen Kittel ihn erwischt hatte -, war schwer zu begreifen. Sollte er wirklich glauben, daß McGovern nie wieder sardonisch die Augenbraue hochziehen würde? Nie wieder jammern würde, wie beschissen es war, alt zu werden? Unmöglich. Er drehte sich unvermittelt zu Klotho um.

[»Zeigen Sie es uns.«]

Klotho, überrascht, fast bibbernd: [Ich… ich glaube nicht -]

Ralph: [»Für uns kurzfristige Pimpfe heißt sehen glauben. Habt ihr Jungs das nie gehört?«]

Lois ergriff unerwartet das Wort.

[»Ja – zeigt es uns. Aber nur soviel, daß wir es wissen und akzeptieren können. Versucht nicht, uns deprimierter zu machen, als wir schon sind.«]

Klotho und Lachesis sahen einander an, dann schienen sie die Achseln zu zucken, ohne die winzigen Schultern tatsächlich zubewegen. Lachesis schnippte mit den beiden ersten Fingern seiner rechten Hand und schuf ein fächerförmiges, blaugrünes Pfauenrad aus Licht. Darin sah Ralph eine winzige, unheimlich perfekte Abbildung der Intensivstation im zweiten Stock. Eine Schwester, die einen Rollwagen mit Medikamenten schob, trat in den Fächer und durchquerte ihn. Am anderen Ende des Bildausschnitts schien sie tatsächlich ein wenig verzerrt zu werden, bevor sie aus dem Bild verschwand.

Lois, trotz der Umstände aufgeregt: [»Es ist, als würde man einen Film in einer Seifenblase sehen!«]

Jetzt kamen McGovern und Mr. Pflaume aus Bob Polhursts Zimmer. McGovern hatte einen alten Pullover mit den Buchstaben der Derry High School angezogen, und sein Freund machte gerade den Reißverschluß seiner Jacke zu; sie gaben die Totenwache für diese Nacht eindeutig auf. McGovern ging langsam und blieb hinter Mr. Pflaume zurück. Ralph konnte sehen, daß sein Untermieter ganz und gar nicht gut aussah.

Er spürte, wie Lois ihm die Hand auf den Unterarm legte und fest zudrückte.

Auf halbem Weg zum Fahrstuhl blieb McGovern stehen, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und senkte den Kopf. Er sah wie ein völlig kaputter Läufer am Ende eines Marathonlaufs aus. Einen Augenblick ging Mr. Pflaume weiter. Ralph sah, wie er den Mund bewegte, und dachte: Er weiß noch nicht, daß er ins Leere spricht -jedenfalls noch nicht.

Plötzlich wollte Ralph nicht mehr sehen.

In dem blau-grünen Fächer hielt sich McGovern eine Hand an die Brust. Die andere griff an den Hals und fing an zu reiben, als würde er nach Wülsten suchen. Ralph konnte es nicht mit Sicherheit sagen, glaubte aber, daß sein Hausgenosse ängstlich aussah. Er mußte an die haßerfüllte verzerrte Miene von Doc Nr. 3 denken, als ihm klar geworden war, daß ein Kurzfristiger sich erdreistet hatte, sich in das Geschäft einzumischen, das er mit einem streunenden Hund aus der Gegend zu erledigen hatte. Was hatte er gesagt?

[Ich mach dich fertig, Kurzer. Ich mach dich im großen Stil fertig. Und ich mach deine Freunde fertig. Hast du mich verstanden?]

Ein schrecklicher Gedanke, fast eine Gewißheit, dämmerte in Ralphs Kopf, als er zusah, wie Bill McGovern langsam zu Boden sackte.

Lois: [»Nehmt es weg-bitte nehmt es weg!«]

Sie vergrub das Gesicht an Ralphs Schulter. Klotho und Lachesis wechselten unbehagliche Blicke, und Ralph stellte fest, daß er seine Ansicht bereits revidierte, daß sie allwissend und allmächtig waren. Sie waren vielleicht übernatürliche Wesen, aber Dr. Joyce Brothers waren sie nicht. Und er hatte den Verdacht, als wären sie auch nicht gerade Weltmeister darin, die Zukunft vorherzusagen; Burschen mit einer wirklich funktionierenden Kristallkugel hatten nicht solche Blicke im Repertoire.

Sie tasten sich blind voran, genau wie wir anderen auch, dachte Ralph und verspürte ein gewisses widerwilliges Mitgefühl für Mr. K. und Mr. L.

Der blaugrüne Fächer aus Licht, der vor Lachesis schwebte, und die Bilder darin verschwanden plötzlich.

Klotho, defensiv: [Bitte vergeßt nicht, daß es euer Wunsch war, zu sehen, Ralph und Lois. Wir haben es euch nicht freiwillig gezeigt.]

Ralph hörte es kaum. Der schreckliche Gedanke, der ihm gekommen war, entwickelte sich immer noch, wie eine Fotografie, die man nicht sehen will, von der man sich aber auch nicht abwenden kann. Er mußte wieder an Bills Hut… Rosalies verblaßtes blaues Tuch… und Lois fehlende Diamantohrringe denken.

Ich mach deine Freunde fertig, Kurzer – hast du mich verstanden? Ich hoffe es’. Ich hoffe es sehr.

Er sah von Klotho zu Lachesis, und sein Mitgefühl für die beiden verschwand. Es wich einer dumpfen, pulsierenden Wut. Lachesis hatte gesagt, es gab keinen zufälligen Tod, und dazu gehörte auch der von McGovern. Ralph zweifelte nicht daran, daß Atropos McGovern aus einem einzigen Grund genommen hatte: Er wollte Ralph wehtun, Ralph bestrafen, weil er sich in… wie hatte Dorrance es ausgedrückt?… in langfristige Geschäfte eingemischt hatte.

Der alte Dor hatte ihm geraten, das nicht zu tun – zweifellos ein guter Rat, aber er, Ralph, hatte keine andere Wahl gehabt… weil diese abgebrochenen Kahlköpfe mit ihm herumgemacht hatten. In einem sehr realen Sinne waren sie an Bill McGoverns Tod schuld.

Klotho und Lachesis sahen seine Wut und wichen einen Schritt zurück (was sie zu tun schienen, ohne tatsächlich die Füße zu bewegen), und ihre Gesichter wurden nervöser denn je.

[»Ihr beiden seid der Grund, daß Bill McGovern tot ist. Das ist die Wahrheit, oder nicht?«]

Klotho: [Bitte… wenn ihr uns einfach zu Ende erklären laßt…]

Lois sah Ralph besorgt und ängstlich an.

[»Ralph? Was ist denn? Warum bist du so wütend?«]

[»Begreifst du denn nicht? Das abgekartete Spielchen dieser beiden da hat Bill McGovern das Leben gekostet. Wir sind hier, weil Atropos entweder etwas getan hat, das diesen Bursche nicht gefällt, oder es noch tun wird -«]

Lachesis: [Sie kommen zu voreiligen Schlußfolgerungen, Ralph -]

[»– aber es gibt ein ganz entscheidendes Problem: Er weiß, dass wir ihn sehen! Atropos WEISS, daß wir ihn sehen!«] Lois Augen wurden groß vor Angst… endlich begriff auch sie.

Kapitel 18

Eine kleine weiße Hand fiel auf Ralphs Schulter und blieb dort liegen wie Rauch.

[Bitte… wenn ihr uns nur erklären lassen würdet -]

Er spürte die Veränderung – dieses Blinzeln – in seinem Körper stattfinden, bevor er richtig merkte, daß er sie herbeigewünscht hatte. Er konnte den Wind wieder spüren, der wie die Klinge eines kalten Messers aus der Dunkelheit wehte, und erschauerte. Die Berührung von Klothos Hand war jetzt nicht mehr als eine Phantomvibration dicht unter der Oberfläche seiner Haut. Er konnte noch alle drei sehen, aber jetzt waren sie milchig und vage. Jetzt waren sie Geister.

Ich bin hinuntergegangen. Nicht ganz bis dorthin, wo wir angefangen haben, aber immerhin auf eine Ebene, wo sie fast keinen körperlichen Kontakt mit mir haben können. Meine Aura, meine Ballonschnur… ja, ich bin sicher, daß sie die erreichen würden, aber die Dimension meines Körpers, die mein wirkliches Leben in der Welt der Kurzfristigen lebt? Keine Chance, Franz.

Lois’ Stimme, fern wie ein verhallendes Echo: [»Ralph! Was machst du denn jetzt?«]

Er betrachtete die geisterhaften Umrisse von Klotho und Lachesis. Jetzt sahen sie nicht nur nervös oder etwas schuldbewußt aus, sondern regelrecht ängstlich. Ihre Gesichter waren verzerrt und schwer zu erkennen, aber an ihrer Angst konnte dennoch kein Zweifel bestehen.

Klotho, mit leiser, aber verständlicher Stimme: [Kommen Sie zurück, Ralph! Bitte kommen Sie zurück!]

[»Wenn ja, werden Sie aufhören, Spielchen mit uns zu spielen, und offen und ehrlich sein?«]

Lachesis, verblassend, verschwindend: [Ja! Ja!]

Ralph beschwor das innere Blinzeln wieder herbei. Die drei nahmen wieder deutlich Gestalt an. Gleichzeitig strömte wieder Farbe in die Zwischenräume der Welt, und die Zeit nahm ihre vorherige Geschwindigkeit auf – er sah den abnehmenden Mond, der an der gegenüberliegenden Seite des Himmels hinabsank wie ein Tropfen leuchtenden Quecksilbers. Lois legte ihm die Arme um den Hals, und einen Moment war er nicht sicher, ob sie ihn umarmte oder versuchte, ihn zu erwürgen.

[»Gott sei Dank! ich dachte schon, du würdest mich hier zurücklassen!«]

Ralph gab ihr einen Kuß, und einen Augenblick war sein Kopf von einem angenehmen Durcheinander von Sinneswahrnehmungen erfüllt: der Geschmack von frischem Honig, eine Beschaffenheit wie gekämmte Wolle und der Geruch von Äpfeln. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf (wie wäre es, hier oben Sex zu haben?) aber er verdrängte ihn sofort wieder. Er würde in den nächsten paar (Minuten? Stunden? Tagen?) klar denken und sprechen müssen, und wenn er an so etwas dachte, würde ihm das um so schwerer fallen. Er drehte sich zu den kleinen kahlköpfigen Ärzten um und sah sie abschätzend an.

[»Ich hoffe, es ist Ihr Ernst, denn wenn nicht, sollten wir das kleine Techtelmechtel besser hier und jetzt absagen und unserer Wege gehen.«]

Diesmal ersparten es sich Klotho und Lachesis, Blicke zu wechseln; sie nickten beide eifrig. Als Lachesis das Wort ergriff, tat er es in unterwüfigem Tonfall. Mit diesen Burschen, überlegte sich Ralph, war weitaus besser Kirschen essen als mit Atropos, aber sie waren ebenso wenig daran gewöhnt, Fragen gestellt zu bekommen – auf den Pott gesetzt zu werden, wie Ralphs Mutter gesagt haben würde – wie er.

[Alles, was wir euch gesagt haben, ist wahr, Ralph und Lois. Wir haben die Möglichkeit unerwähnt gelassen, daß Atropos mehr über die Situation wissen könnte, als uns lieb ist, aber -]


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