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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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»Ja«, sagte sie und riß ein Küchentuch von der Rolle über dem Spülbecken. Sie wischte sich damit die Augen ab. »Ich komme nicht darüber hinweg, wie unbefangen sie bei dir ist, Ralph – so war sie doch vorher nicht, oder?«

»Ich kann mich wirklich nicht erinnern«, log er. Sie war es nicht gewesen. Nicht abweisend, nein, aber längst nicht so anschmiegsam.

»Drück weiter auf den Plastikmantel der Flasche, okay? Sonst schluckt sie zuviel Luft und wird völlig aufgebläht.«

»Roger.« Er sah zu Gretchen. »Alles klar?«

»Bestens. Wie nehmen Sie ihn, Ralph?«

»Nur in der Tasse, das reicht schon.«

Sie lachte und stellte die Tasse außerhalb von Natalies Reichweite auf den Tisch. Als sie sich hinsetzte und die Beine übereinanderschlug, sah Ralph hin – er konnte nicht anders. Als er wieder aufsah, lächelte Gretchen unmerklich und ironisch.

Und wenn schon, dachte Ralph. Ein alter Bock bleibt ein alter Bock, schätze ich. Auch ein alter Bock, der es auf nicht mehr als zwei oder zweieinhalb Stunden Schlaf pro Nacht bringt.

»Erzähl mir von deinem Job«, sagte er, als Helen sich setzte und von ihrem Kaffee trank.

»Nun, ich finde, sie sollten Mike Hanions Geburtstag zu einem nationalen Feiertag machen – sagt dir das was?«

»Ein wenig«, sagte Ralph lächelnd.

»Ich war ziemlich sicher, daß ich Derry verlassen müßte. Ich habe mich bei Bibliotheken bis hinauf nach Portsmouth beworben, aber mir war nicht wohl dabei. Ich werde fünfunddreißig und lebe erst sieben Jahre hier, aber Derry ist meine Heimat ich kann es nicht erklären, aber es ist so.«

»Das mußt du nicht erklären, Helen. Ich finde, das Zuhause gehört zu den Dingen, die einem Menschen eben zufallen, wie der Teint oder die Farbe der Augen.«

Gretchen nickte. »Ja«, sagte sie. »Genau so.«

»Mike rief mich am Montag an und sagte mir, daß eine Assistentinnenstelle in der Banderbibliothek freigeworden wäre. Ich konnte es kaum glauben. Ich meine, ich laufe schon die ganze Woche herum und kneife mich selbst. Oder etwa nicht, Gretchen?«

»Nun, du hast ziemliches Glück gehabt«, sagte Gretchen, »und das war schön anzusehen.«

Sie lächelte Helen zu, und für Ralph war dieses Lächeln eine Offenbarung. Plötzlich wurde ihm klar, daß er Gretchen Tillbury anstarren konnte soviel er wollte, und es würde nichts ausmachen. Selbst wenn der einzige Mann im Zimmer Tom Cruise gewesen wäre, hatte das nichts geändert. Er fragte sich, ob Helen es wußte, aber dann schalt er sich wegen seiner Dummheit. Helen mochte vieles sein, aber dumm war sie nicht.

»Wann fängst du an?« fragte er sie.

»In der Woche des Columbus Day«, sagte sie. »Am zwölften. Nachmittags und abends. Das Gehalt ist nicht gerade fürstlich, aber es wird uns über den Winter bringen, wie sich… meine Situation sonst auch entwickeln mag. Ist das nicht toll, Ralph?«

»Doch«, sagte er. »Riesig.«

Das Baby hatte die halbe Flasche getrunken und ließ Anzeichen erkennen, daß seine Konzentration nachließ. Der Schnuller glitt ihm halb aus dem Mund, und ein Milchtropfen lief ihm vom Mundwinkel herunter zum Kinn. Ralph wischte ihn weg, und seine Finger hinterließen eine Reihe delikater graublauer Linien in der Luft.

Natalie griff danach und lachte, als sie sich in ihrer Faust auflösten. Ralph stockte der Atem in der Kehle.

Sie sieht es. Das Baby sieht, was ich sehe.

Aber das ist verrückt, Ralph. Das ist verrückt, und du weißt es genau.

Aber das wußte er nicht. Er hatte es gerade gesehen – hatte gesehen, wie Nat versuchte, die Kondensstreifen der Aura zu packen, die seine Finger hinterließen.

»Ralph?« fragte Helen. »Geht es dir nicht gut?«

»Doch.« Er sah auf und stellte fest, daß Helen jetzt von einer üppigen elfenbeinfarbenen Aura umgeben war. Sie hatte den Seidenglanz eines teuren Slips. Die Ballonschnur, die davon aufstieg, war ebenfalls elfenbeinfarben und so breit und flach wie das Band um ein Hochzeitsgeschenk. Die Aura um Gretchen Tillbury war dunkelorange und ging an den Rändern ins Gelbliche über. »Wirst du wieder in das Haus einziehen?«

Helen und Gretchen wechselten wieder einen Blick, aber Ralph bemerkte es kaum. Er stellte fest, daß er ihre Gesichter oder Gesten oder ihre Körpersprache nicht sehen mußte, um ihre Gefühle zu erraten; er mußte nur ihre Auren ansehen. Die gelblichen Ränder von Gretchens Aura wurden dunkler, so daß alles einheitlich orange war. Gleichzeitig schrumpfte die von Helen und wurde heller, bis er sie kaum noch ansehen konnte. Helen hatte Angst davor, zurückzukehren. Gretchen wußte es und war wütend deswegen.

Und wegen ihrer eigenen Hilflosigkeit, dachte Ralph. Das macht sie am wütendsten.

Und er wußte das alles. Wußte es. Einfach so.

»Ich werde noch eine Weile in High Ridge bleiben«, sagte Helen. »Vielleicht bis zum Winter. Nat und ich werden letztendlich wieder in die Stadt ziehen, nehme ich an, aber das Haus wird zum Verkauf angeboten. Wenn es jemand tatsächlich kauft und da der Immobilienmarkt am Boden liegt, ist das mit einem großen Fragezeichen versehen -, geht das Geld auf ein Sperrkonto. Dieses Konto wird dann entsprechend dem Urteil aufgeteilt. Du weißt schon – dem Scheidungsurteil.«

Ihre Unterlippe zitterte. Ihre Aura war noch mehr geschrumpft und umgab den Körper jetzt wie eine zweite Haut, und Ralph konnte winzige rote Pünktchen darin pulsieren sehen. Sie sahen aus wie Funken, die über einem Verbrennungsofen tanzten. Er streckte den Arm über den Tisch aus, ergriff ihre Hand und drückte sie. Sie lächelte ihm dankbar zu.

»Damit hast du mir zwei Dinge verraten«, sagte er. »Daß du die Scheidung durchziehst und daß du immer noch Angst vor ihm hast.«

»Sie ist in den letzten drei Jahren ihrer Ehe regelmäßig verprügelt und mißbraucht worden«, sagte Gretchen. »Logisch, daß sie immer noch Angst vor ihm hat.« Sie sagte es ruhig und vernünftig, aber als er ihre Aura jetzt ansah, war es, als würde er in eines der kleinen Marienglasfenster sehen, die man früher in den Türen von Kohleöfen fand.

Er blickte auf das Baby hinunter und sah es in seiner eigenen gazeartigen, gleißenden Aura aus Hochzeitssatin. Sie war kleiner als die der Mutter, aber ansonsten identisch… wie seine grünen Augen und das kastanienfarbene Haar. Natalies Ballonschnur stieg als reines weißes Band von ihrem Kopf auf und schwebte bis unter die Decke, wo sie sich tatsächlich neben der Lampe zu einem ätherischen Knäuel krümmte. Als ein Lufthauch zum offenen Fenster beim Herd hereinwehte, sah er das weiße Band wanken und flattern. Er sah auf und stellte fest, daß die Ballonschnüre von Helen und Gretchen ebenfalls flatterten.

Und wenn ich meine eigene sehen könnte, würde sie es auch tun, dachte er. Es ist echt – was immer der Zwei-plus-zweigleich-vier-Teil meines Verstandes auch denken mag, die Auren sind real. Sie sind real, und ich kann sie sehen.

Er wartete auf den unausweichlichen Widerspruch, aber diesmal erfolgte keiner.

»Im Augenblick komme ich mir vor, als würde ich die meiste Zeit in einer emotionalen Waschmaschine verbringen«, sagte Helen. »Meine Mom ist wütend auf mich… fehlt nur noch, daß sie mich einen Drückeberger nennt… und manchmal fühle ich mich wie ein Drückeberger… ich schäme mich… «

»Du hast keinen Grund, dich zu schämen«, sagte Ralph. Er schaute auf, als Natalies Ballonschnur wieder in der Brise flatterte. Es war wunderschön, aber er verspürte keinen Wunsch, sie zu berühren; ein tiefverwurzelter Instinkt sagte ihm, daß das gefährlich für sie beide sein könnte.

»Ich glaube, das weiß ich«, sagte Helen, »aber Mädchen machen eine Menge Indoktrination durch. Ungefähr so: >Hier ist deine Barbie, hier ist dein Ken, hier ist deine Hosteß-

Spielküche. Lerne viel, denn wenn es ernst wird, ist das deine Aufgabe, und wenn etwas kaputtgeht, wird man dir die Schuld geben.< Und ich glaube, ich hätte damit leben können -wirklich. Aber niemand hat mir gesagt, daß Ken in manchen Ehen verrückt wird. Hört sich das an, als wäre ich nachsichtig gegen mich selbst?«

»Nein. Soweit ich das beurteilen kann, hat es sich ziemlich genauso zugetragen.«

Helen lachte – ein abgehacktes, verbittertes, schuldbewußtes Lachen. »Versuch nicht, das meiner Mutter zu erklären. Sie weigert sich zu glauben, daß Ed jemals mehr getan hat, als mir ab und zu als Ehemann einen kleinen Klaps auf den Hintern zu geben… damit ich wieder auf den rechten Weg zurückkomme, sollte ich davon abgekommen sein. Sie glaubt, den Rest habe ich mir eingebildet. Sie rückt nicht offen damit heraus und sagt es, aber ich höre es jedesmal in ihrer Stimme, wenn wir telefonieren.«

»Ich glaube nicht, daß du es dir eingebildet hast«, sagte Ralph. »Ich habe dich gesehen, weißt du nicht mehr? Und ich war da, als du mich angefleht hast, nicht die Polizei zu rufen.«

Er spürte, wie sein Oberschenkel unter dem Tisch sanft gequetscht wurde, und sah verblüfft auf. Gretchen Tillbury nickte ihm fast unmerklich zu und kniff ihn noch einmal – jetzt nachdrücklicher.

»Ja«, sagte Helen. »Du warst da, richtig?« Sie lächelte ein wenig, das war gut, aber was mit ihrer Aura passierte, war noch besser – die winzigen roten Fünkchen verblaßten, und die Aura selbst dehnte sich wieder aus.

Nein, dachte er. Sie dehnt sich nicht aus. Sie lockert sich wieder. Entspannt sich.

Helen stand auf und kam um den Tisch herum. »Nat wird deiner überdrüssig – laß lieber mich sie nehmen.«

Ralph schaute auf und sah Nat an, die mit großen, faszinierten Augen durch das Zimmer sah. Er folgte ihrem Blick zu der kleinen Vase auf dem Fenstersims. Vor nicht einmal zwei Stunden hatte er sie mit Herbstblumen gefüllt, und jetzt strömte ein dunkelgrüner Nebel aus den Stengeln und hüllte die Blüten mit seinem feinen, dunstigen Schimmer ein.

Ich sehe, wie sie ihren letzten Atem aushauchen, dachte Ralph. O mein Gott, ich werde nie wieder in meinem Leben Blumen pflücken. Ich verspreche es.

Helen nahm ihm das Baby behutsam aus den Armen. Nat ließ es fügsam mit sich geschehen, ließ aber die dampfenden Blumen nicht aus den Augen, während ihre Mutter wieder um den Tisch herumging, sich setzte und sie in die Armbeuge bettete.

Gretchen klopfte leicht auf die Uhr. »Wenn wir noch zu der Versammlung am Mittag kommen wollen -«

»Ja, natürlich«, sagte Helen ein wenig entschuldigend. »Wir gehören zum offiziellen Begrüßungskomitee von Susan Day«, informierte sie Ralph, »und in diesem Fall ist das nicht ganz so typisch Juniorenliga, wie es sich anhört. Unsere Hauptaufgabe besteht eigentlich nicht darin, sie zu begrüßen, sondern sie beschützen zu helfen.«

»Glaubst du, daß das ein Problem wird?«

»Sagen wir mal so, die Gefahr besteht«, sagte Gretchen. »Sie hat ein halbes Dutzend eigene Leibwächter dabei, und die haben uns sämtliche Drohbriefe im Zusammenhang mit Derry gefaxt, die sie bekommen hat. Das ist Standardprozedur bei ihnen – sie ist schon seit einigen Jahren im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie halten uns auf dem laufenden, haben aber durchblicken lassen, daß Woman-Care als Organisation, die sie eingeladen hat, ebenso für ihre Sicherheit verantwortlich ist wie sie.«

Ralph machte den Mund auf, um zu fragen, ob es viele Drohungen gegeben hätte, aber er vermutete, daß er die Antwort darauf bereits kannte. Er hatte mit Unterbrechungen siebzig Jahre lang in Derry gelebt und wußte, daß es eine gefährliche Maschine war – unter der Oberfläche lauerten viele scharfe Spitzen und Schnittkanten. Das traf selbstverständlich auf viele Städte zu, aber in Derry schien das Häßliche schon immer eine zusätzliche Dimension gehabt zu haben. Helen hatte es ihre Heimat genannt, und es war auch seine Heimat, aber…

Er erinnerte sich an etwas, das sich vor fast zehn Jahren abgespielt hatte, kurz nach dem Ende des jährlichen KanalFestivals. Drei Jungs hatten einen bescheidenen und harmlosen jungen Schwulen namens Adrian Mellon in den Kenduskeag geworfen, nachdem sie ihn mehrmals gebissen und auf ihn eingestochen hatten; man munkelte, daß sie auf der Brücke hinter der Falcon Tavern gestanden und zugesehen hätten, wie er starb. Der Polizei sagten sie, daß ihnen der Hut nicht gefallen hätte, den er trug. Auch das war Derry, und nur ein Narr hätte so getan, als wüßte er es nicht.

Als hätte der Gedanke ihn daran erinnert (was möglicherweise zutraf), betrachtete Ralph wieder das Foto auf der ersten Seite der heutigen Zeitung – Harn Davenport mit erhobenen Fäusten, Dan Dalton mit der blutigen Nase und dem leeren Blick, der Harns Schild auf dem Kopf trug.

»Wie viele Drohungen?« fragte er. »Mehr als ein Dutzend?«

»Etwa dreißig«, sagte Gretchen. »Davon nehmen ihre Leibwächter ein halbes Dutzend ernst. In zweien ist davon die Rede, das Bürgerhaus in die Luft zu sprengen, sollte sie nicht absagen. Einer – ein echtes Herzblatt -behauptet, daß er eine Big Squirt Wasserpistole hat, die mit Batteriesäure gefüllt ist. >Wenn ich Dich damit direkt treffe, wird Dich nicht einmal mehr eine Deiner Lesbenfreundinnen ansehen können, ohne zu kotzen<, stand darin.«

»Nett«, sagte Ralph.

»Damit kommen wir auf jeden Fall zum Wesentlichen«, sagte Gretchen. Sie kramte in ihrer Handtasche, holte eine kleine Dose mit rotem Deckel heraus und stellte sie auf den Tisch. »Ein kleines Geschenk von Ihren dankbaren Freundinnen bei Woman-Care.«

Ralph hob die Dose auf. Auf einer Seite sah er das Bild einer Frau, die einem Mann mit Schlapphut und Augenmaske a la Panzerknacker eine Gaswolke ins Gesicht sprühte. Auf der anderen Seite stand ein einziges Wort in grellroten Großbuchstaben:

BODYGUARD.

»Was ist das?« fragte er unwillkürlich erschrocken. »Tränengas?«

»Nein«, sagte Gretchen. »Tränengas ist rechtlich gesehen eine fragwürdige Sache in Maine. Dieses Zeug ist viel milder… aber wenn man jemand eine volle Ladung ins Gesicht sprüht, wird er mindestens zwei Minuten nicht mehr daran denken, einen zu überfallen. Es betäubt die Haut, reizt die Augen und verursacht Brechreiz.«

Ralph nahm den Deckel ab, betrachtete das rote Sprühventil darunter und drückte den Deckel wieder darauf. »Großer Gott, gute Frau, weshalb sollte ich diese Spraydose mit mir herumschleppen.«

»Weil Sie offiziell zum Zenturio ernannt worden sind«, sagte Gretchen.

»Zum was?« fragte Ralph, aber die Erinnerung stellte sich bereits ein: Ed Deepneau, der in der Gischt des Rasensprengers auf und ab ging und die Regenbogen mit seinem Körper zerstörte, während Grace Slick »White Rabbit« sang.

»Zum Zenturio«, wiederholte Helen. Nat schlief fest in ihren Armen, und Ralph stellte fest, daß die Auren wieder verschwunden waren. »So nennen die Friends of Life ihre Hauptgegner – die Anführer der Opposition.«

»Okay«, sagte Ralph. »Jetzt habe ich verstanden. Ed hat an dem Tag, als er dich… geschlagen hat, von Leuten geredet, die er Zenturionen nannte. An dem Tag hat er eine Menge geredet, und alles war verrückt.«

»Ja, Ed steckt hinter alledem, und er ist verrückt«, sagte Helen. »Wir glauben nicht, daß er diese Zenturiogeschichte außerhalb eines kleinen Kreises von Eingeweihten erwähnt hat – Leute, die fast so plemplem sind wie er selbst. Der Rest der Friends of Life… ich glaube nicht, daß die eine Ahnung haben. Ich meine, du etwa? Hattest du bis letzten Monat eine Ahnung, daß er verrückt ist?«

Ralph schüttelte den Kopf. Nein, und das ist das Beängstigende, dachte er, sagte es aber nicht.

»Die Hawking Labors haben ihn jetzt gefeuert«, sagte Helen. »Gestern. Sie haben ihn so lange gehalten, wie sie konnten – er ist ein As in seinem Beruf -, aber schließlich mußten sie ihn gehenlassen. Drei Monatsgehälter Abfindung aufgrund fristloser Kündigung… nicht schlecht für einen Mann, der seine Frau verprügelt und mit falschem Blut gefüllte Puppen an die Fenster der örtlichen Frauenklinik wirft.« Sie klopfte auf die Zeitung. »Diese letzte Demonstration war der Tropfen, der das Faß zum

Überlaufen brachte. Er wurde zum dritten-oder viertenmal verhaftet, seit er sich mit den Friends of Life eingelassen hat.«

»Ihr habt jemanden eingeschleust, richtig?« sagte Ralph. »Daher wißt ihr das alles.«

Gretchen lächelte. »Wir sind nicht die einzigen, die jemanden eingeschleust haben; ein geflügeltes Wort bei uns ist, daß es gar keine Friends of Life gibt, nur eine Bande von Doppelagenten. Die Polizei von Derry hat jemanden; die Staatspolizei auch. Und das sind nur die, von der unser… unsere Person weiß. Verdammt, das FBI könnte sie ebenfalls überwachen. Man kann die Friends of Life so ungeheuer leicht infiltrieren, Ralph, weil sie überzeugt sind, daß in seinem tiefsten Inneren jeder auf ihrer Seite steht. Aber wir sind überzeugt, daß unsere Person als einzige in den inneren Kreis vorgedrungen ist, und wenn man dort angelangt ist, dann ist Dan Dalton nur der Schwanz, mit dem Ed Deepneau wedelt.«

»Das habe ich mir schon gedacht, als ich sie zum erstenmal im Fernsehen gesehen habe«, sagte Ralph.

Gretchen stand auf, sammelte die Kaffeetassen ein, ging zum Waschbecken und spülte sie aus. »Ich bin jetzt seit dreizehn Jahren in der Frauenbewegung aktiv, und ich habe eine Menge irrsinnige Scheiße mit ansehen müssen, aber so etwas ist mir noch nicht untergekommen. Er macht diesen Trotteln weis, daß Frauen in Derry unfreiwillig Abtreibungen unterzogen würden, daß die Hälfte von ihnen nicht einmal wüßten, daß sie schwanger seien, bevor die Zenturionen kämen und ihnen die Babys wegnähmen.«

»Hat er ihnen von der Müllverbrennungsanlage drüben in Newport erzählt?« fragte Ralph. »Die in Wirklichkeit ein Babykrematorium sein soll?«

Gretchen drehte sich mit aufgerissenen Augen zu ihm um. »Woher wissen Sie das?«

»Oh, ich habe es von Ed selbst erfahren, höchstpersönlich und aus nächster Nähe. Angefangen hat es im Juli 1992.« Er zögerte nur einen Augenblick, dann schilderte er ihnen, was sich an dem Tag zugetragen hatte, als er Ed beim Flughafen traf, und wie Ed dem Mann im Lastwagen vorwarf, er würde tote Babys in Fässern mit der Aufschrift Dünger transportieren. Helen hörte stumm zu, aber ihre Augen wurden immer größer und runder. »Dasselbe hat er an dem Tag erzählt, als er dich verprügelte«, kam Ralph zum Ende, »aber da hatte er es schon ziemlich ausgeschmückt.«

»Das erklärt wahrscheinlich, warum er so auf Sie fixiert ist«, sagte Gretchen, »aber das Warum spielt in durchaus realem Sinne überhaupt keine Rolle. Tatsache ist, er hat seinen verdrehteren Freunden eine Liste dieser sogenannten Zenturionen gegeben. Wir wissen nicht, wer alles darauf steht, aber ich und Helen und Susan Day, logischerweise… und Sie.«

Warum ich? hätte Ralph fast gefragt, aber dann wurde ihm klar, daß auch das eine sinnlose Frage gewesen wäre. Vielleicht hatte Ed ihn auserkoren, weil er, Ralph, die Polizei gerufen hatte, als er Helen verprügelt hatte; wahrscheinlich aber aus keinem ersichtlichen Grund. Ralph erinnerte sich, daß er irgendwo gelesen hatte, David Berkowitz – auch als Son of Sam bekannt – habe behauptet, er hätte manchmal auf Befehl seines Hundes getötet.

»Was meinen Sie, werden sie versuchen?« fragte Ralph. »Bewaffneten Überfall, wie in einem Chuck-Norris-Film?«

Er lächelte, aber Gretchen erwiderte das Lächeln nicht. »Leider haben wir keine Ahnung, was sie versuchen könnten«, sagte sie. »Die wahrscheinlichste Antwort ist, gar nichts. Aber andererseits könnte es sich Ed oder einer der anderen in den Kopf setzen, Sie aus Ihrem eigenen Küchenfenster hinauszuwerfen. Bei dem Spray handelt es sich im Grunde genommen um nichts anderes als verdünntes Tränengas. Eine kleine Versicherungspolice, mehr nicht.«

»Versicherung«, sagte er nachdenklich.

»Du befindest dich in einer sehr erlesenen Gesellschaft«, sagte Helen mit matten Lächeln. »Der einzige andere männliche Zenturio auf ihrer Liste – jedenfalls soweit wir wissen – ist Bürgermeister Cohen.«

»Habt ihr dem auch so eine gegeben?« fragte Ralph und hob die Spraydose auf. Sie sah nicht gefährlicher aus als die Gratisproben Rasierschaum, die er von Zeit zu Zeit mit der Post bekam.

»Das war nicht nötig«, sagte Gretchen. Sie sah wieder auf die Uhr. Helen bemerkte die Geste und stand mit dem schlafenden Baby auf dem Arm auf. »Er hat die Erlaubnis, eine Schußwaffe bei sich tragen zu dürfen.«

»Woher wissen Sie das?« fragte Ralph.

»Wir haben die Akten im Rathaus durchgesehen«, antwortete sie und grinste. »Waffenscheine sind öffentliche Unterlagen.«

»Oh.« Dann kam ihm ein Gedanke. »Was ist mit Ed? habt ihr ihn überprüft? Hat er eine?«

»Nee«, sagte sie. »Aber Typen wie Ed beantragen nicht unbedingt einen Waffenschein, wenn sie einen bestimmten Punkt überschritten haben… das wissen Sie doch, oder nicht?«

»Ja«, antwortete Ralph, der ebenfalls aufstand. »Ich denke schon. Was ist mit euch beiden? Seid ihr auf der Hut?«

»Worauf Sie sich verlassen können, Väterchen. Worauf Sie sich verlassen können.«

Er nickte, war aber nicht völlig zufrieden. Ihre Stimme hatte einen gönnerhaften Unterton, der ihm nicht besonders gefiel, als wäre die Frage an sich albern. Aber die Frage war nicht albern, und wenn sie das nicht wußte, konnten sie und ihre Freundinnen in Schwierigkeiten kommen. In große Schwierigkeiten.

»Das hoffe ich«, sagte er. »Wirklich. Kann ich Nat für dich nach unten tragen, Helen?«

»Besser richt – du würdest sie aufwecken.« Sie sah ihn ernst an. »Würdest du mir zuliebe die Spraydose nehmen, Ralph? Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, daß dir etwas zustößt, weil du versucht hast, mir zu helfen, und dieser Kerl nicht mehr ganz bei Trost ist.«

»Ich denke ernsthaft darüber nach. Reicht dir das?«

»Ich glaube, das muß es wohl.« Sie betrachtete prüfend sein Gesicht. »Du siehst viel besser aus als bei unserer letzten Begegnung – du schläfst wieder, richtig?«

Er grinste. »Nun, um die Wahrheit zu sagen, ich habe immer noch meine Probleme, aber es muß mir besser gehen, weil mir jeder dasselbe sagt.«

Sie stellte sich auf Zehenspitzen und gab ihm einen Kuß auf den Mundwinkel. »Wir bleiben in Verbindung, oder?« »Ich werde meinen Teil dazu beitragen, wenn du deinen beiträgst, meine Süße.«

Sie lächelte. »Darauf kannst du dich verlassen, Ralph – du bist der netteste männliche Zenturio, den ich kenne.«

Darüber mußten sie alle lachen, und zwar so laut, daß Natalie aufwachte und sie voll verschlafener Überraschung ansah.

6

Nachdem er sich von den Frauen verabschiedet hatte (ICH BIN FÜR FREIE ENTSCHEIDUNG, UND ICH GEHE WÄHLEN! stand auf der hinteren Stoßstange von Gretchen Tillburys Accord), ging Ralph langsam wieder in den ersten Stock hinauf. Die Müdigkeit zog wie unsichtbare Gewichte an seinen Füßen. Als er wieder in der Küche war, sah er zuerst zu der Blumenvase und versuchte, den seltsamen und atemberaubenden grünen Dunst von den Stengeln aufsteigen zu sehen. Nichts. Dann nahm er die Spraydose in die Hand und betrachtete die Zeichnung auf der Seite. Eine bedrohte Frau, die ihren Angreifer heldenhaft abwehrte; ein böser Bube mit Augenmaske und Schlapphut. Keine Grautöne, nur ein Fall von Los doch, Dreckskerl, mach mir die Freude.

Ralph überlegte sich, ob Eds Wahnsinn ansteckend sein könnte. Überall in Derry gab es Frauen – darunter Gretchen Tillbury und seine reizende Helen -, die mit diesen kleinen Spraydosen in den Handtaschen herumliefen, und sämtliche Spraydosen sagten im Grunde genommen das gleiche: Ich habe Angst. Böse Männer mit Schlapphüten und Augenmasken sind in Derry eingetroffen, und ich habe Angst.

Ralph wollte nichts damit zu tun haben. Er stellte sich auf Zehenspitzen und verstaute die Spraydose Bodyguard auf dem Küchenschrank neben der Spüle, dann schlüpfte er in seine alte graue Lederjacke. Er wollte zum Picknickplatz beim Flughafen gehen und sehen, ob er eine Partie Schach spielen konnte. Und wenn daraus nichts wurde, vielleicht ein paar Runden Cribbage.

Unter der Tür blieb er stehen, sah die Blumen starr an und versuchte, den wabernden grünen Nebel herbeizuzwingen. Nichts geschah.

Aber er war da. Du hast ihn gesehen; Natalie auch.

Hatte sie das? Hatte sie das wirklich? Babys sahen andauernd etwas an, alles setzte sie in Erstaunen, wie also wollte er es mit Sicherheit wissen?

»Ich weiß es eben«, sagte er zu der verlassenen Wohnung. Richtig. Der grüne Nebel, der von den Stengeln der Blumen aufgestiegen war, war da gewesen, alle Auren waren da gewesen, und…

»Und sie sind noch da«, sagte er und wußte nicht, ob die Gewißheit in seiner Stimme ihn betroffen oder erleichtert machen sollte.

Warum im Augenblick nicht beides, Süßer?

Sein Gedanke, Carolyns Stimme, ein guter Rat.

Ralph schloß sein Apartment ab und ging ins Derry der Altvorderen, um eine Partie Schach zu spielen.

Kapitel 7

Als Ralph am zweiten Oktober auf dem Weg zu seinem Apartment die Harris Avenue hoch kam, in einer Hand zwei Secondhandwestern von Eimer Kelton aus dem Back Pages, sah er jemand mit seinem eigenen Buch auf der Veranda sitzen. Aber der Besucher las nicht; er beobachtete mit verträumter Aufmerksamkeit, wie der warme Wind, der den ganzen Tag geweht hatte, die gelben und goldenen Blätter von den Eichen und den drei verbliebenen Ulmen auf der anderen Straßenseite erntete.

Ralph kam näher, sah das dünne weiße Haar, das dem Mann auf der Veranda um den Schädel wehte, und sein Körpergewicht, das sich einzig und allein in Bauch, Hüften und Hintern zu konzentrieren schien. Die üppige Leibesmitte in Verbindung mit dem dünnen Hals, der schmalen Brust und den spindeldürren Beinen verliehen ihm das Aussehen eines Mannes, der einen Schwimmreifen trug. Selbst aus hundertfünfzig Meter Entfernung konnte kein Zweifel daran bestehen, um wen es sich bei seinem Besucher handelte: Dorrance Marstellar.

Seufzend legte Ralph die restliche Strecke bis zu seinem Haus zurück. Dorrance, der von den bunten, fallenden Blättern hypnotisiert zu sein schien, sah erst auf, als Ralphs Schatten auf ihn fiel. Dann drehte er den Hals und lächelte sein seltsames, verwundbares Lächeln.

Faye Chapin, Don Veazie und einige der anderem Oldtimer, die auf dem Picknickplatz bei Startbahn 3 herumhingen (sie würden sich bald ins Billard Emporium in der Jackson Street zurückziehen, da der Indianersommer angefangen hatte und das Wetter langsam kalt wurde), betrachteten dieses Lächeln als weiteren Beweis dafür, daß der alte Dor Gedichtbände hin oder her, im Grunde genommen senil war. Don Veazie, den gewiß niemand für Mr. Feinfühlig hielt, hatte sich angewöhnt, Dorrance den Alten Dummkopf zu nennen, und Faye hatte Ralph einmal erzählt, daß es ihn nicht im geringsten wunderte, wie der alte Dor fünfundneunzig hatte werden können. »Leute, die nichts mehr im Oberstübchen haben, leben immer am längsten«, hatte er Ralph Anfang des Jahres erklärt. »Sie müssen sich um nichts Sorgen machen. Das senkt den Blutdruck und die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ventil platzt oder ein Brennstab durchschmort.«

Ralph jedoch war nicht so sicher. Für ihn sah der alte Mann mit seinem liebenswürdigen Lächeln nicht hohlköpfig aus; es machte ihn irgendwie ätherisch und gleichzeitig wissend… eine Art Kleinstadt-Merlin. Trotzdem hätte er heute auf einen Besuch von Dor verzichten können; heute morgen hatte er einen neuen Rekord aufgestellt und war um 1:58 Uhr aufgewacht, und er war erschöpft. Er wollte nur in seinem Wohnzimmer sitzen, Kaffee trinken und versuchen, die Western zu lesen, die er sich in der Stadt gekauft hatte. Vielleicht würde er später noch einmal versuchen, ein Nickerchen zu machen.

»Hallo«, sagte Dorrance. Das Buch, das er bei sich hatte, war ein Taschenbuch – Cemetery Nights, von einem Autor namens Stephen Dobbyns.

»Hallo, Dor«, sagte er. »Gutes Buch?«

Dorrance sah auf das Buch hinunter, als hätte er vergessen, daß er eines hatte, lächelte und nickte. »O ja, sehr gut. Er schreibt Gedichte, die wie Geschichten sind. Das gefällt mir nicht immer, aber manchmal schon.«

»Das ist gut. Hör zu, Dor, es ist schön, dich zu sehen, aber der Spaziergang den Hügel herauf hat mich müde gemacht, also könntest du vielleicht ein anderm -« »Oh, schon gut«, sagte Dorrance und stand auf. Ein schwacher Zimtgeruch umgab ihn, bei dem Ralph immer an ägyptische Mumien hinter roten Samtkordeln in dunklen Museen denken mußte. Sein Gesicht war fast ohne Falten, abgesehen von winzigen Krähenfüßen um die Augen, aber an sein Alter stand außer Frage (und war ein wenig beängstigend): Seine blauen Augen waren zum wäßrigen Grau eines Aprilhimmels verblaßt, und seine Haut hatte etwas Durchscheinendes, das Ralph an Nats Haut erinnerte. Seine Lippen waren schlaff und fast lavendelfarben. Sie erzeugten kurze Schmatzlaute, wenn er sprach. »Schon gut, ich bin nicht auf einen Besuch gekommen. Ich bin gekommen, um dir eine Botschaft zu überbringen.«

»Was für eine Botschaft? Von wem?«

»Ich weiß nicht, von wem sie ist«, sagte er und warf Ralph einen Blick zu, als würde er ihn entweder für begriffsstutzig halten oder denken, daß er sich dumm stellte. »Ich lasse mich nicht in langfristige Geschäfte ein. Und ich habe dir gesagt, daß du es auch nicht tun sollst, weißt du nicht mehr?«

Ralph konnte sich an etwas erinnern, aber er wußte nicht genau, an was. Er war erschöpft und hatte sich schon einen ermüdenden Vortrag zum Thema Susan Day von Harn Davenport anhören müssen. Er hatte keine Lust, sich jetzt auch noch mit Dorrance Marstellar herumzuschlagen, so wunderschön der Samstagvormittag auch sein mochte. »Nun, dann gib mir einfach die Botschaft«, sagte er, »und ich schleppe mich nach oben. Wie wäre das?«

»Oh, sicher, bestens, gerne.« Aber dann verstummte Dorrance und sah über die Straße, als eine frische Windbö einen Trichter aus Laub in den strahlenden Oktoberhimmel zog. Seine verblaßten Augen wurden groß, und etwas darin ließ Ralph wieder an das Verherrlichte & Angebetete Baby denken – wie es nach den grau-blauen Spuren seiner Finger gegriffen und die dampfenden Blumen in der Vase über der Spüle betrachtet hatte. Ralph hatte Dor schon gesehen, wie er mit demselben schlaffen Gesichtsausdruck Flugzeugen auf der Rollbahn 3 beim Starten und Landen zugesehen hatte – manchmal eine Stunde oder noch länger.

»Dor?« drängte er.

Dorrance’ dünne Wimpern flatterten. »Oh! Richtig! Die Botschaft! Die Botschaft ist… « Er runzelte verhalten die Stirn und betrachtete das Buch, das er in den Händen hin und her bog. Dann strahlte er übers ganze Gesicht und sah wieder zu Ralph auf. »Die Botschaft ist: >Sag den Termin ab.<«

Nun war Ralph derjenige, der die Stirn runzelte. »Was für einen Termin?«

»Du hättest dich nicht einmischen sollen«, wiederholte Dorrance und stieß einen Seufzer ajs. »Aber jetzt ist es zu spät. Geschehenes läßt sich nicht mehr ungeschehen machen. Sag nur den Termin ab. Laß den Kerl keine Nadeln in dich stecken.«


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