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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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Er betrachtete das Bild ein paar Sekunden fasziniert, fast hypnotisiert, dann wandte er den Blick mühsam ab und kroch hinter Lois her.

Ralph hatte Angst, sie würden wertvolle Zeit vergeuden, wenn sie versuchten, den Rückweg durch das Labyrinth der Gänge zu finden, die sich kreuz und quer durch Atropos Lagerhalle der Andenken zogen, aber wie sich herausstellte, war das kein Problem. Ihre eigenen Fußspuren, die zwar verblaßten, aber immer noch sichtbar waren, wiesen ihnen den Weg.

Als sie die schreckliche kleine Kammer hinter sich gelassen hatten, fühlte er sich ein wenig kräftiger, aber jetzt machte Lois beinahe schlapp. Als sie den Torbogen zwischen der Lagerhalle und der schmutzigen Behausung von Atropos erreichten, mußte sie sich auf ihn stützen. Er fragte sie, ob sie es schaffen würde. Lois brachte ein Schulterzucken und ein kleines, müdes Lächeln zustande.

[»Mein größtes Problem ist dieser Ort. Es spielt keine Rolle, wie weit wir emporsteigen, er ist und bleibt schrecklich, und ich hasse ihn. Ich glaube, wenn ich etwas frische Luft bekommen habe, geht es mir besser. Ehrlich.«]

Ralph hoffte, daß sie recht hatte. Als er sich unter dem Torbogen hindurch in Atropos’ Zimmer duckte, versuchte er, sich einen Vorwand auszudenken, unter dem er Lois voraus schicken konnte. Das würde ihm die Möglichkeit geben, die Behausung rasch zu durchsuchen. Wenn er die Ohrringe nicht finden konnte, mußte er davon ausgehen, daß Atropos sie noch trug.

Er bemerkte, daß ihr Slip wieder unter dem Rocksaum hervorhing, wollte sie darauf ansprechen und sah eine Bewegung aus dem linken Augenwinkel. Ihm wurde bewußt, daß sie auf dem Rückweg längst nicht so vorsichtig gewesen waren – was teilweise an ihrer Erschöpfung lag -, und daß sie jetzt möglicherweise einen hohen Preis für diese Sorglosigkeit zahlen mußten.

[»Lois, paß auf!«]

Zu spät. Ralph spürte, wie Lois Arm von ihm weggerissen wurde, als die Kreatur im schmutzigen Gewand sie an der Taille packte und rückwärts zog. Atropos’ Kopf reichte nur bis zu ihrer Achselhöhle, aber das genügte, daß er das rostige Skalpell über sie halten konnte. Als Ralph sich instinktiv auf ihn stürzen wollte, ließ Atropos die scharfe Klinge sinken, bis sie die perlgraue Schnur berührte, die von ihrem Scheitel emporschwebte. Er entblößte die Zähne zu einem unsäglichen Grinsen.

[Keinen Schritt weiter, Kurzer… keinen einzigen!]

Nun, jetzt mußte er sich zumindest keine Gedanken wegen Lois’ fehlender Ohrringe mehr machen. Sie funkelten trübe rötlich-rosa an Atropos Ohrläppchen. Ihr Anblick bewirkte mehr als die Aufforderung, daß Ralph stehenblieb.

Das Skalpell wurde ein wenig zurückgezogen… aber nur ein wenig.

[Also gut, Kurzer – du hast etwas genommen, was mir gehört, richtig? Versuch nicht, es zu leugnen; ich weiß es. Und jetzt wirst du es mir wiedergeben.]

Das Skalpell kehrte zu Lois’ Ballonschnur zurück; Atropos liebkoste sie mit der flachen Seite der Schneide.

[Du gibt es mir zurück, oder dieses Flittchen hier wird vor deinen Augen sterben – du kannst da stehen und zusehen, wie ihre Aura schwarz wird. Also, was sagst du, Kurzer? Her damit!]

Kapitel 26

Atropos’ Lächeln leuchtete regelrecht, erfüllt von widerlichem Triumph, erfüllt von -

Von Angst. Er hat dich kalt erwischt, er hält das Skalpell an Lois’ Ballonschnur und die Hand um ihre Kehle, und trotzdem hat er Todesangst. Warum?

[Komm schon! Hör auf, meine Zeit zu vergeuden, Pißkopf Gib mir den Ring!]

Ralph griff langsam in die Tasche und ergriff den Ring, während er sich fragte, warum Atropos Lois nicht gleich getötet hatte. Sicher hatte er nicht vor, sie – sie beide – gehen zu lassen.

Er hat Angst, ich könnte ihn mit einem dieser telepathischen Karateschläge umhauen. Und das ist nur der Anfang. Ich glaube, er hat auch Angst davor, daß er es vermasselt. Er hat Angst vor dem Ding – der Wesenheit -, die ihn dirigiert. Angst vor dem Scharlachroten König. Du hast Angst vor dem Boss, oder nicht, mein schmutziger kleiner Freund?

Er hielt den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und sah wieder durch.

[»Komm und hol ihn dir, ja? Nicht so schüchtern.«]

Atropos verzerrte das Gesicht vor Wut. Der Ausdruck machte aus seinem nervtötenden, gemeinen Grinsen eine Zeichentrickgrimasse.

[Ich töte sie, Kurzer, hast du nicht gehört? Willst du das etwa?]

Ralph hob langsam und mit Bedacht die linke Hand. Er machte eine sägende Bewegung damit in der Luft und nahm dankbar zur Kenntnis, wie Atropos zusammenzuckte, als die Handkante kurz in seine Richtung zeigte.

[»Wenn du ihr auch nur einen Kratzer mit der Klinge zufügst, verpasse ich dir dermaßen eine, daß du deine Zähne mit dem Taschenmesser aus der Wand klauben mußt. Das ist ein Versprechen.«]

[Gib mir einfach den Ring, Kurzer!]

Sie können nicht lügen, dachte Ralph plötzlich. Ich weiß nicht mehr, ob mir das tatsächlich jemand gesagt hat oder ob ich es intuitiv geahnt halte, alter ich bin sicher, daß es stimmt – sie können nicht lügen, aber ich kann es.

[»Ich will dir was sagen, Mr. A. – versprich mir, daß wir einen Pakt geschlossen haben, und ich gebe ihn dir.«]

Atropos sah ihn mit einem verkniffenen Ausdruck von Argwohn und Zweifel an.

[Einen Pakt? Was meinst du mit einem Pakt?]

[•»Ralph, nein!«]

Er sah sie an, dann wieder Atropos. Er hob die linke Hand und kratzte sich am Kinn, ohne zu überlegen, wie die Geste für den kleinen kahlköpfigen Arzt wirken mußte. Das Skalpell wurde wieder gegen Lois’ Ballonschnur gepreßt, diesmal so fest, daß die Schnur eingedrückt wurde und sich ein kleiner dunkler Fleck an der Stelle des Kontakts bildete. Er sah wie eine Blutblase aus. Dicke Schweißperlen standen auf Atropos’ Stirn, und er sprach mit einem schrillen Unterton der Panik in der Stimme.

[Wage es nicht, welche von deinen Miniblitzen nach mir zu schleudern! Die Frau stirbt, wenn du das tust!]

Ralph ließ hastig beide Hände sinken und verschränkte sie hinter dem Rücken wie ein bußfertiges Kind. Eds Ring hielt er immer noch in der rechten, aber nun steckte er ihn fast ohne nachzudenken in die Gesäßtasche seiner Hose. Erst da war er vollkommen überzeugt, daß er den Ring nicht hergeben würde. Selbst wenn es Lois das Leben kosten würde – wenn es sie beide das Leben kosten würde – würde er ihn nicht hergeben.

Aber vielleicht würde es gar nicht soweit kommen.

[»Ein Pakt heißt, wir gehen beide unserer Wege, Mr. A. – ich gebe dir den Ring, du gibst mir meine Freundin zurück. Du mußt mir nur versprechen, daß du ihr nichts tust. Was meinst du?«]

[»Nein, Ralph, nein!«]

Atropos sagte nichts. Seine Augen sahen Ralph tückisch und vor Ohnmacht funkelnd an. Wenn er sich jemals in seinem langen Leben gewünscht hatte, er könnte lügen, dann mußte er es jetzt wünschen. Er müßte nur sagen: Abgemacht, ich bin einverstanden, und Ralph wäre wieder in Zugzwang. Aber das konnte er nicht sagen, weil er es nicht tun konnte.

Er weiß, daß er in einer Zwickmühle steckt, dachte Ralph. Es spielt eigentlich keine Rolle, ob er ihre Schnur durchschneidet oder sie gehenläßt – er wird denken, daß ich ihn so oder so rösten werde, und damit hat er nicht unrecht.

Wie sehr kannst du ihm wirklich schaden, Liebling? fragte Carolyn zweifelnd von dem Platz, den sie in seinem Kopf beanspruchte. Wieviel Saft hast du noch in dir, nachdem du das Leichentuch um den Ehering herum aufgeschnitten hast?

Die Antwort lautete unglücklicherweise: nicht viel. Vielleicht genug, um seinen Glatzkopf zu versengen, aber wahrscheinlich nicht genug, um ihn zu grillen. Und -

Dann sah Ralph etwas, das ihm gar nicht gefiel: Die Panik in Atropos’ Grinsen wich einer zaghaften Zuversicht. Und er spürte, wie diese irren Augen ihn eingehend studierten – sein Gesicht, seinen Körper, aber am meisten seine Aura. Ralph sah plötzlich als deutliche Vision einen Mechaniker, der mit einem Prüfstab nachsah, wieviel Getriebeöl sich noch in einem Auto befand.

Tu etwas, flehte Lois ihn mit Blicken an. Bitte, Ralph.

Aber er wußte nicht, was er tun sollte. Er hatte nicht die geringste Ahnung.

Atropos’ Lächeln bekam einen gönnerhaften, gemeinen Beigeschmack.

[Keine Munition mehr, Kurzer, was? Das ist aber ein Jammer.]

[»Wenn du ihr wehtust, wirst du es herausfinden, du abgesägter Scheißkerl.«]

Atropos’ Grinsen wurde immer breiter.

[Du könntest mit deinem kümmerlichen Rest keiner Ratte eins überbraten. Warum bist du kein guter Junge und gibst mir den Ring, bevor ich -]

[»Oh, du Dreckskerl!«]

Das war Lois. Sie sah Ralph nicht mehr an, sie sah durch das Zimmer in den Spiegel, wo Atropos zweifellos Sitz und Aussehen seiner neuesten Modeaccessoires überprüfte -Rosalies Halstuch oder Bill McGoverns Panama. Ihre Augen waren groß und voller Wut, und Ralph wußte genau, was sie sah.

[»Die gehören MIR, du elender kleiner Dieb!«]

Sie warf sich heftig nach hinten und drückte Atropos mit ihrem größeren Gewicht gegen den Torbogen. Er stieß ein verblüfftes Grunzen aus. Die Hand, die das Skalpell hielt, flog in die Höhe; die Schneide löste trockene Schuppen Schmutz von der Wand. Lois drehte sich zu ihm um und verzerrte das Gesicht zu einer wütenden Grimasse – eine Grimasse, die so wenig dem Bild von »unserer Lois« entsprach, daß McGovern bei dem Anblick wahrscheinlich vor Schreck ohnmächtig geworden wäre, wenn er sie gesehen hätte. Sie zerkratzte ihm mit den Händen das Gesicht und griff nach den Ohrringen. Einer ihrer Finger grub sich in seine Wange. Atropos kläffte wie ein Hund, dem jemand auf die Pfote getreten war, dann packte er sie wieder an den Handgelenken und wirbelte sie herum.

Er drehte die Schneide des Skalpells nach innen und holte zum Stoß aus. Ralph streckte den Zeigefinger wie beim Schimpfen danach aus. Ein so kümmerlicher Lichtstrahl, daß er fast unsichtbar war, schoß aus dem Fingernagel, traf die Spitze des Skalpells und stieß es vorübergehend von Lois’ Ballonschnur weg. Und das war alles; Ralph spürte, daß seine persönlichen Reserven damit verbraucht waren.

Atropos fletschte die Zähne über die Schulter von Lois, die sich in seinen Armen wand und zappelte, in seine Richtung. Sie versuchte nicht, ihm zu entkommen; sie wollte sich umdrehen und ihn angreifen. Ihre Füße vollführten einen wilden Tanz, als sie sich wieder mit ihrem ganzen Gewicht gegen ihn warf und versuchte, ihn hinter sich an die Wand zu quetschen, und Ralph warf sich ohne die geringste Ahnung zu haben, was er tun wollte, nach vorne, fiel auf die Knie und breitete die Arme aus. Er sah wie ein leidenschaftlicher Freier aus, der einen theatralischen Heiratsantrag macht, und Lois hätte mit einem wilden Fußtritt fast seine Kehle getroffen. Er zog am Saum ihres Slips, der sich mit einem gleitenden Rauschen von rosa Nylon löste. Derweil kreischte Lois immer noch. [»Elender kleiner Dieb! Da hast du’sl Wie gefällt dir das?«] Atropos stieß einen Schmerzensschrei aus, und als Ralph aufschaute, konnte er sehen, daß Lois die Zähne in sein rechtes Handgelenk gegraben hatte. Mit der linken Hand, in der er das Skalpell hielt, schlug er blindlings nach ihrer Ballonschnur und verfehlte sie nur um einen knappen Zentimeter. Ralph sprang auf die Füße und zog, obwohl er immer noch keine klare Vorstellung davon hatte, was er tat, Lois’ rosa Slip über Atropos’ um sich schlagende Hand… und seinen Kopf. [»Weg von ihm, Lois! Lauf!«]

Sie spie seine kleine weiße Hand aus und stolperte auf den Faß-Tisch in der Mitte des Zimmers zu, während sie sich Atropos’ Blut mit einer atavistischen Gebärde des Ekels vom Mund wischte… aber ihr vorherrschender Gesichtsausdruck war immer noch Wut. Atropos selbst, momentan nur eine plärrende, sich windende Gestalt unter dem rosa Slip, tastete mit der freien Hand nach ihr. Ralph schlug sie weg und schob ihn unter den Torbogen zurück. [»Nein, mein Freund, das wirst du nicht-keinesfalls.«] [Laß mich los, Dreckskerl! Das kannst du nicht machen!] Und das Unheimliche daran ist, daß er das selbst glaubt, dachte Ralph. Es ist schon so lange alles nach seinem Willen gegangen, daß er völlig vergessen hat, was Kurzfristige tun können. Ich glaube, das kann ich ändern.

Ralph erinnerte sich, wie Atropos Rosalies Ballonschnur durchgeschnitten hatte, obwohl der Hund ihm die Hand leckte, und sein Haß auf diese großspurige, höhnische, auf eine selbstgefällige Art verrückte Kreatur explodierte plötzlich in seinem Kopf wie eine fäulnisgrüne Leuchtkugel. Er ergriff eine Seite von Lois’ Slip und drehte die Faust zweimal mit einer brutalen Geste herum, als wollte er etwas aufziehen, und zog dabei den Stoff so straff, daß sich Atropos’ Gesichtszüge wie unter einer rosa Nylontotenmaske abzeichneten.

Als die Schneide des Skalpells durch den Stoff stieß und ihn aufzuschlitzen begann, wirbelte Ralph Atropos herum, wobei er den Slip wie eine Schlinge durch die Luft schwang, mit der man einen Stein schleudert, und stieß ihn durch den Torbogen. Der Schaden wäre geringer gewesen, wenn Atropos gestürzt wäre, aber er stürzte nicht; seine Füße stießen zusammen, ohne sich jedoch zu überkreuzen. Er prallte klatschend gegen den Stein des Torbogens, stieß einen gedämpften Schmerzensschrei aus und sank auf die Knie. Blutflecken erblühten auf Lois’ Nylonslip wie Blumen. Das Skalpell war wieder in den Schlitz hineingezogen worden, den es in den Stoff geschnitten hatte. Ralph sprang zu Atropos, als das Skalpell gerade wieder erschien und den ursprünglichen Schnitt vergrößerte, so daß das bestürzte, glotzäugige Gesicht der kahlköpfigen Kreatur sichtbar wurde. Seine Nase blutete; ebenso die Stirn und die rechte Schläfe. Bevor er sich aufrichten konnte, packte Ralph ihn an den schlüpfrigen rosa Ausbuchtungen seiner Schultern.

[Aufhören! Ich warne dich, Kurzer! Es wird dir leid tun, daß du je gebo-]

Ralph achtete nicht auf diese sinnlosen Drohgebärden und stieß Atropos mit aller Kraft nach vorn. Der Arm des Zwergs war immer noch in dem Slip verstrickt, und er landete voll auf dem Gesicht. Sein Schrei war teils Erstaunen, aber überwiegend Schmerz. Unglaublicherweise spürte Ralph Lois in seinem Hinterkopf, die ihm sagte, genug sei genug, er solle ihm nicht wehtun – solle dem kleinen Psychopathen nicht wehtun, der gerade versucht hatte, sie zu töten. Atropos versuchte, sich umzudrehen. Ralph rammte ihm das Knie zwischen die Schulterblätter und zwang ihn wieder nach unten.

[»Keine Bewegung, mein Freund. Ich mag dich genau da, wo du bist.«]

Er sah Lois an und stellte fest, daß ihr überraschender Wutanfall so schnell verschwunden war, wie er gekommen war wie ein seltsames Wetterphänomen. Ein Tornado vielleicht, der aus heiterem Himmel herabstößt, das Dach einer Scheune herunterreißt und dann wieder verschwindet. Aber ihr Finger zitterte nicht, als sie auf Atropos deutete.

[»Er hat meine Ohrringe, Ralph. Der gemeine kleine Dieb hat meine Ohrringe. Und er trägt sie auch noch!«]

[»Ich weiß. Ich habe es gesehen.«]

Eine Seite von Atropos’ verzerrter Fratze ragte aus dem Schlitz im Nylon heraus wie das Gesicht des häßlichsten Babys der Welt im Augenblick der Geburt. Ralph konnte spüren, wie die Rückenmuskeln der kleinen Kreatur unter seinem Knie zitterten, und da fiel ihm ein altes Sprichwort ein, das er irgendwann einmal gelesen hatte… möglicherweise auf dem Etikett eines Teebeutels von Salada: Wer einen Tiger am Schwanz packt, sollte besser nicht loslassen. In dieser ungewöhnlichen unterirdischen Behausung, wo er sich vorkam wie der Held eines Märchens, das sich ein Irrer ausgedacht hatte, glaubte Ralph, daß er zu einem geradezu überirdischen Verständnis dieses Sprichworts gelangt war. Durch das Zusammenwirken von Lois’ Wutanfall und schlichtem Scheißglück, war es ihm zumindest vorübergehend gelungen, den widerlichen kleinen Scheißer unterzubuttern. Die Frage – eine ziemlich drängende obendrein – war nun, wie es weitergehen sollte.

Die Hand mit dem Skalpell schnellte in die Höhe, aber der Schlag war schwach und wurde blind geführt. Ralph konnte ihm mühelos ausweichen, zuckte aber vor dem Geruch zurück, den die Schneide verströmte: alte Fleischfetzen, die in vergessenen Ecken eines alten Schlachthauses verfaulten. Der schluchzende und fluchende, keineswegs ängstliche, aber eindeutig verletzte und von rasender, ohnmächtiger Wut erfüllte Atropos holte wieder aus.

[Laß mich hoch, du zu groß geratener kurzfristiger Dreckskerl! Dummer alter Esel! Häßliches Faltengesicht!]

[»In letzter Zeit sehe ich ein bißchen besser aus, mein Freund. Ist dir das nicht auch aufgefallen?«]

[Arschloch! Dummes kurzfristiges Arschloch! Das wird dir noch leid tun! Das wird dir noch leid tun!]

Nun, dachte Ralph, wenigstens fleht er nicht. Ich hätte fast damit gerechnet, daß er jetzt anfängt zu flehen.

Atropos fuchtelte weiter kläglich mit dem Skalpell. Ralph wehrte zwei oder drei Stöße mühelos ab, dann legte er der Kreatur unter sich eine Hand um den Hals.

[»Ralph! Nein! Nicht!«]

Er schüttelte den Kopf in ihre Richtung, wußte aber nicht, ob er Ärger, Trost oder beides ausdrücken wollte. Er berührte Atropos’ Haut und spürte, wie der erschauerte. Der kahlköpfige Doc stieß einen erstickten Schrei des Ekels aus, und Ralph wußte genau, wie ihm zumute war. Es war für sie beide ekelerregend, aber er nahm die Hand nicht weg. Statt dessen versuchte er, sie um Atropos’ Hals zu schließen und war nicht besonders überrascht, daß er es nicht konnte. Aber hatte Lachesis nicht gesagt, daß sich nur Kurzfristige dem Willen von Atropos widersetzen konnten? Die Frage war nur, wie?

Unter ihm lachte Atropos häßlich.

[»Bitte, Ralph! Bitte nimm nur meine Ohrringe, und dann gehen wir!«]

Atropos verdrehte die Augen in ihre Richtung, dann sah er Ralph wieder an.

[Hast du gedacht, du könntest mich töten, Kurzer? Nun, das war wohl nichts.]

Nein, das hatte er nicht gedacht, aber er mußte es ganz sicher wissen.

[Das Leben ist beschissen, was, Kurzer? Warum gibst du mir nicht einfach den Ring zurück? Früher oder später werde ich ihn doch bekommen, das garantiere ich dir.]

[»Hol dich der Teufel, du kleine Ratte.«]

Große Worte, aber Worte konnten nichts ausrichten. Die drängendste Frage war immer noch unbeantwortet: Was, zum Teufel, sollte er mit diesem Monster anfangen?

Was auch immer, du wirst es nicht tun können, so lange Lois da steht und dich beobachtet, riet ihm eine kalte Stimme, die nicht ganz die von Carolyn war. Als sie wütend war, ging es gut mit ihr, aber jetzt ist sie nicht wütend. Sie ist zu zart besaitet für das, was als nächstes passieren wird, Ralph. Du mußt sie hier rausschaffen.

Er drehte sich zu Lois um. Sie hatte die Augen halb geschlossen. Es sah aus, als könnte sie sich unter dem Torbogen hinlegen und einschlafen.

[»Lois, ich möchte, daß du hier verschwindest. Sofort. Geh die Treppe hinauf und warte unter dem Baum aufm -«]

Das Skalpell schnellte wieder in die Höhe, und diesmal schnitt es fast Ralphs Nasenspitze ab. Er schrak zurück, und sein Knie rutschte auf Nylon ab. Atropos bäumte sich gewaltig auf und wäre um ein Haar unter ihm hervorgerollt. Im letzten Augenblick drückte Ralph dem kleinen Mann den Kopf mit dem Handballen hinunter – das, so schien es, ließen die Regeln zu – und rückte das Knie wieder zurecht.

[Auuul Auuul Aufhören! Du bringst mich um!]

Ralph beachtete ihn gar nicht, sondern sah Lois an.

[»Geh schon, Lois. Geh rauf! Ich komme nach, sobald ich kann!«]

[»Ich glaube nicht, daß ich alleine klettern kann. Ich bin zu müde.«]

[»Doch, du kannst. Du mußt, und du kannst.«]

Atropos fügte sich wieder – jedenfalls vorläufig -, ein kleines, keuchendes Bündel unter Ralphs Knie. Aber das reichte bei weitem noch nicht aus. Die Zeit verging im Flug, die Zeit verging viel zu schnell, und im Augenblick war die Zeit der wahre Gegner, nicht Ed Deepneau.

[»Meine Ohrringe…«]

[»Ich bringe sie mit, wenn ich komme, Lois. Ich verspreche es.«]

Lois richtete sich auf, wie es schien unter größter Anstrengung, und sah Ralph ernst an.

[»Du solltest ihm nicht wehtun, Ralph, wenn es sich vermeiden läßt. Es wäre nicht christlich.«]

Nein, ganz und gar nicht christlich, stimmte ein übermütiges kleines Wesen in Ralphs Kopf zu. Ganz und gar nicht christlich, aber trotzdem… ich kann es nicht erwarten, bis ich endlich anfangen kann.

[»Geh nur, Lois. Überlaß ihn mir.«]

Sie sah ihn traurig an.

[»Es würde nichts nützen, wenn du mir versprechen müßtest, ihm nicht wehzutun, oder?«]

Er dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf.

[»Nein, aber soviel werde ich dir versprechen: Es wird nicht schlimmer werden, als er es macht. Ist das gut genug?«]

Lois dachte gründlich darüber nach, dann nickte sie.

[»Ja, ich denke, das genügt. Und vielleicht schaffe ich es doch bis nach oben, wenn ich es langsam und vorsichtig mache… was ist mit dir?«]

[»Ich komme zurecht. Warte unter dem Baum auf mich.«]

[»Gut, Ralph.«]

Er sah ihr nach, wie sie durch das schmutzige Zimmer ging; Helens Turnschuh baumelte an ihrem Handgelenk. Sie duckte sich unter dem Torbogen zwischen Apartment und Treppe hindurch und begann mit dem langsamen Aufstieg. Ralph wartete, bis ihre Füße nicht mehr zu sehen waren, dann wandte er sich wieder Atropos zu.

[»Nun, mein Freund, da sind wir wieder – zwei alte Kameraden, endlich vereint. Was sollen wir machen? Spielen? Du spielst doch gerne, oder nicht?«]

Atropos fing sofort wieder an, sich zu wehren, während er gleichzeitig mit dem Skalpell über Ralphs Kopf fuchtelte und versuchte, Ralph abzuwerfen.

[Hör auf! Faß mich nicht an, du alte Schwuchtel!]

Atropos schlug so wild um sich, daß es Ralph vorkam, als würde er auf einer Schlange knien. Aber er achtete nicht auf die Schreie, das Aufbäumen und das blind um sich stoßende Skalpell. Atropos’ ganzer Kopf ragte jetzt aus dem Slip heraus, was es viel einfacher machte. Er griff nach Lois’ Ohrringen und zog. Sie blieben, wo sie waren, aber er erntete einen Schmerzensschrei von Atropos, der aus vollem Herzen kam. Ralph beugte sich nach vorne und lächelte verhalten.

[»Die sind für Ohrlöcher gemacht, richtig, Kumpel?«]

[Ja! Ja, gottverdammt!]

[»Um dich zu zitieren: Das Leben ist beschissen, oder nicht?«]

Ralph packte die Ohrringe wieder und riß sie los. Zwei Blutrinnsale sprudelten, als die Löcher in Atropos’ Ohrläppchen zu Rissen wurden. Der Schrei des kahlköpfigen Mannes war schrill wie ein Bohrer. Ralph verspürte eine unangenehme Mischung aus Mitleid und Verachtung.

Der kleine Dreckskerl ist daran gewöhnt, anderen Menschen wehzutun, aber nicht, daß ihm selbst wehgetan wird. Vielleicht hat ihm noch nie jemand wehgetan. Nun, herzlich willkommen bei uns Normalsterblichen, Kumpel.

[Hör auf! Hör auf! Das kannst du mit mir nicht machen!]

[»Ich hab Neuigkeiten für dich, Freundchen… ich mache es schon. Also warum findest du dich nicht einfach mit dem Programm ab?«]

[Was willst du damit erreichen, Kurzer? Weißt du, es wird sowieso passieren. Die Leute im Bürgerzentrum sind hinüber, und wenn du den Ring nimmst, wirst du daran nichts ändern.]

Was du nicht sagst, dachte Ralph.

Atropos keuchte immer noch, aber er schlug nicht mehr um sich. Ralph konnte den Blick einen Moment von ihm abwenden und rasch durch den Raum schweifen lassen. Er vermutete, daß er in Wirklichkeit nach einer Inspiration suchte – eine kleine würde schon genügen.

[»Darf ich einen Vorschlag machen, Mr. A.? Als neuer Freund und Spielgefährte? Ich weiß, du bist beschäftigt, aber du solltest dir die Zeit nehmen und hier etwas aufräumen. Ich meine nicht, daß House Beautiful darüber berichten sollte oder so, aber igitt! Was für ein Schweinestall!«]

Atropos, verdrossen und argwöhnisch zugleich: [Glaubst du, deine Meinung interessiert mich einen Scheißdreck, Kurzer?]

Ihm fiel nur eine weitere Vorgehensweise ein. Sie gefiel ihm nicht, aber er würde sie trotzdem durchziehen. Er mußte sie durchziehen; vor seinem geistigen Auge sah er ein Bild, das dafür sorgte. Es war das Bild von Ed Deepneau, der mit einem Kleinflugzeug von der Küste Richtung Derry flog und entweder Sprengstoff oder einen Tank mit Nervengas im Bug verstaut hatte.

[»Was kann ich nur mit dir anstellen, Mr. A.? Irgendwelche Vorschläge?«]

Die Antwort erfolgte auf der Stelle.

[Laß mich gehen. Das ist die Antwort. Die einzige Antwort. Ich lasse euch in Ruhe, alle beide. Ich überlasse euch dem Plan. Ihr werdet noch zehn Jahre leben, verdammt, vielleicht zwanzig, unmöglich wäre es nicht. Du und deine kleine Lady müßt euch nur zurückziehen. Geht heim. Und wenn der große Knall kommt, seht ihn euch in den Nachrichten im Fernsehen an.]

Ralph versuchte sich anzuhören, als würde er ernsthaft darüber nachdenken.

[»Und du würdest uns in Ruhe lassen? Versprichst du, daß du uns in Ruhe lassen wirst?«]

[Ja!]

Atropos’ Gesicht hatte einen Ausdruck der Hoffnung angenommen, und Ralph konnte die ersten Spuren einer Aura um den kleinen Dreckskerl herum erkennen. Sie hatte dieselbe häßliche rote Farbe wie das pulsierende Leuchten, welches die Behausung erhellte.

[»Weißt du was, Mr. A.?«]

Atropos, hoffnungsvoller denn je: [Nein, was?]

Ralph streckte eine Hand aus, packte Atropos’ linkes Handgelenk und drehte es brutal herum. Atropos schrie vor Schmerzen auf. Er ließ den Griff des Skalpells los, worauf Ralph es so mühelos an sich nehmen konnte wie ein professioneller Taschendieb eine Brieftasche.

[»Ich glaube dir.«]

[Gib es mir zurück! Gib es mir zurück! Gib es -]

In seiner Hysterie hätte Atropos vielleicht stundenlang so weitergeschrien, daher bereitete Ralph ihm auf die direkteste Art und Weise ein Ende, die er kannte. Er beugte sich nach vorne und fügte dem großen kahlen Hinterkopf, der aus Lois’ Slip herausragte, einen flachen vertikalen Schnitt zu. Keine unsichtbare Hand versuchte, ihn daran zu hindern, und seine eigene Hand bewegte sich mühelos. Blut – eine erschreckende Menge – quoll aus dem Schnitt. Die Aura um Atropos hatte das dunkle und abscheuliche Rot einer entzündeten Wunde angenommen. Er schrie wieder.

Ralph beugte sich nach vorne und flüsterte ihm freundschaftlich ins Ohr.

[»Vielleicht kann ich dich nicht töten, aber ich kann dir auf jeden Fall die Hölle heiß machen, richtig? Und dazu muß ich nicht mit psychischem Saft aufgeladen sein. Dieses kleine Werkzeug hier genügt voll und ganz.«]

Er kreuzte mit der Klinge den ersten Schnitt, den er beigebracht hatte, und schrieb ein kleines t auf Atropos’ Kopf. Atropos kreischte und schlug wie wild um sich. Ralph stellte zu seiner Betroffenheit fest, daß ein Teil von ihm – der vergnügte Troll -einen Heidenspaß dabei hatte.

[»Wenn du willst, daß ich dich weiter aufschlitze, mußt du dich nur weiter wehren. Wenn du möchtest, daß ich aufhöre, dann mußt du aufhören.«]

Atropos wurde augenblicklich still.

[»Okay. Ich werde dir jetzt ein paar Fragen stellen. Ich glaube, es wäre in deinem Interesse, wenn du sie beantwortest.«]

[Frag mich ruhig! Was du willst! Nur schneid mich nicht mehr!] [»Das ist die richtige Einstellung, Freundchen, aber ich glaube, man kann sie immer noch verbessern, du nicht? Mal sehen.«]

Ralph stieß wieder zu, und diesmal fügte er der Seite von Atropos’ Kopf einen langen Schnitt zu. Ein Hautfetzen löste sich wie schlecht angeklebte Tapete. Atropos heulte. Ralph verspürte vor lauter Ekel einen Krampf in der Magengegend und war richtig erleichtert darüber… aber als er zu Atropos sprach/dachte, gab er sich große Mühe, sich dieses Gefühl nicht anmerken zu lassen.

[»Okay, das war meine Lektion in Motivation, Doc. Wenn ich sie wiederholen mußt, wirst du Sekundenkleber brauchen, damit deine Kopfhaut bei starkem Wind nicht davonweht. Hast du verstanden?«]

[Ja! Ja!]

[»Und glaubst du mir?«]

[Ja! Dreckiges, altes, weißhaariges Aas, JA!]

[»Okay, das ist gut. Hier ist meine Frage Mr. A.: Wenn du ein Versprechen gibst, bist du dann verpflichtet, es einzuhalten?«]

Atropos antwortete zögernd, ein gutes Zeichen. Ralph drückte ihm die flache Seite des Skalpells an die Wange, um ihn anzuspornen. Er wurde mit einem weiteren Schrei und sofortiger Kooperation belohnt.

[Ja! Ja! Schneid mich nicht mehr! Bitte schneid mich nicht mehr!]

Ralph nahm das Skalpell weg. Der Umriß der Schneide brannte auf der glatten Wange der kleinen Kreatur wie ein Muttermal.

[»Okay, Sonnenschein, dann hör gut zu. Du mußt mir versprechen, daß du mich und Lois in Ruhe lassen wirst, bis die Veranstaltung im Bürgerhaus vorbei ist. Keine Verfolgung mehr, kein Durchschneiden, kein Quatsch. Versprich mir das.«]

[Verpiß dich! Nimm dein Versprechen und schieb es dir in den Arsch!]

Das erboste Ralph nicht; sein Lächeln wurde sogar noch breiter. Denn Atropos hatte nicht gesagt: Das werde ich nicht, und noch wichtiger, er hatte nicht gesagt: Das kann ich nicht. Er hatte nur nein gesagt. Ein kleiner Ausrutscher, mit anderen Worten, der sich leicht korrigieren ließ.

Ralph wappnete sich und strich mit dem Skalpell die ganze Länge von Atropos’ Rücken entlang. Der Slip klaffte auf, die schmutzige weiße Tunika darunter klaffte auf, und die Haut unter der Tunika auch. Eine ekelhafte Menge Blut quoll heraus, und Atropos’ gellender, gequälter Schrei hallte in Ralphs Ohren.

Er beugte sich nach vorne und flüsterte wieder in das kleine Ohr, während er gleichzeitig das Gesicht verzog, weil warmes Blut den Stoff seiner Hose tränkte.

[»Ich tu das nicht gern, Freundchen – noch etwa zwei Schnitte, und ich muß wieder kotzen -, aber du sollst wissen, daß ich es kann und auch tun werde, bis du mir entweder das Versprechen gegeben hast oder die Macht, die mich daran gehindert hat, dich zu erwürgen, mich wieder aufhält. Ich glaube, wenn du darauf wartest, wirst du höllische Schmerzen erleiden müssen. Also, was meinst du? Gibst du mir das Versprechen, oder soll ich dich schälen wie eine Apfelsine?«]

Atropos blubberte. Es war ein ekelerregender, schrecklicher Laut.

[Du verstehst nicht! Wenn es dir gelingt, zu verhindern, was begonnen worden ist – die Chancen sind nicht groß, aber es wäre möglich -, werde ich von dem Wesen bestraft werden, das du den Scharlachroten König nennst!]

Ralph biß die Zähne zusammen und stieß wieder zu, wobei er die Lippen so fest zusammenpreßte, daß sein Mund wie eine längst verheilte Narbe aussah. Er spürte einen leichten Widerstand, als die Schneide des Skalpells durch Knorpel glitt, und dann fiel das linke Ohr von Atropos auf den Boden. Blut spritzte aus dem Loch in seinem kahlen Kopf, und diesmal war sein Schrei so laut, daß er Ralph in den Ohren weh tat.


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