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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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Текущая страница: 20 (всего у книги 50 страниц)

Und zu Beginn der Unterhaltung hatte er etwas ähnlich Beunruhigendes gesagt – daß es Wesen in Derry gab, von denen Ralph lieber nichts wissen wollte… und bestimmt nicht, daß sie von ihm erführen.

»Wesenheiten«, murmelte Ralph. »Er hat sie Wesenheiten genannt.«

Die Tür hinter ihm ging auf. »Herrje, du führst Selbstgespräche«, sagte McGovern. »Du mußt Geld auf der Bank haben, Ralphie.«

»Ja, gerade genug, daß es für die Beerdigung reicht«, sagte Ralph. Er fand, er hörte sich wie ein Mann an, der gerade einen schlimmen Schock erlitten hat und immer noch versucht, den Rest Angst zu verarbeiten; er rechnete fast damit, daß Bill mit besorgtem (oder auch argwöhnischem) Gesicht auf ihn zugestürzt kommen und fragen würde, was nicht mit ihm stimmte.

Aber McGovern tat nichts dergleichen. Er ließ sich auf den Schaukelstuhl fallen, verschränkte die Arme über der Brust zu einem abweisenden X und betrachtete die Harris Avenue, die Bühne, auf der er und Ralph und Lois und Dorrance Märstellar und so viele andere alte Leute – wir im goldenen Alter, auf McGovemesisch – ihre häufig langweiligen und manchmal schmerzlichen letzten Akte spielen mußten.

Wenn ich ihm jetzt von seinem Hut erzählen würde? dachte Ralph. Angenommen, ich beginne das Gespräch einfach mit den Worten: »Bill, ich weiß auch, wo dein Panama abgeblieben ist. Ein böser Verwandter der Typen, die ich gestern nacht gesehen habe, hat ihn. Er trägt ihn, wenn er zwischen der Bäckerei und dem Sonnenstudio Seilhüpfen spielt.«

Wenn Bill noch Zweifel an seinem Geisteszustand hatte, würde ihn diese Neuigkeit mit Sicherheit überzeugen. Jawoll.

Ralph hielt den Mund.

»Tut mir leid, daß ich so lange weg war«, sagte McGovem. »Larry behauptete, ich hätte hn erwischt, wie er gerade zum Bestattungsinstitut gehen wollte, aber bevor ich meine Fragen stellen konnte, hatte er mir Mays halbes Leben und seines so gut wie ganz geschildert. Er hat fünfundvierzig Minuten nonstop geredet.«

Ralph war überzeugt, daß das eine Übertreibung sein mußte -McGovern war mit Sicherheit nicht länger als fünf Minuten weg gewesen -, aber als er auf die Uhr sah, stellte er zu seinem Erstaunen fest, daß es Viertel nach elf geworden war. Er sah die Straße entlang und stellte fest, daß Mrs. Bennigan fort war. Ebenso der Laster von Budweiser. Hatte er doch geschlafen? Anscheinend… aber er konnte um nichts auf der Welt einen Bruch in seiner bewußten Wahrnehmung entdecken.

Oh, komm schon, mach dich nicht lächerlich. Du hast geschlafen, als du den kleinen kahlköpfigen Kerl gesehen hast. Du hast ihn nur geträumt.

Das schien die sinnvollste Erklärung zu sein. Sogar die Tatsache, daß er Bills Panamahut getragen hatte, ergab einen Sinn. Derselbe Hut war in seinem Alptraum von Carolyn vorgekommen. Da hatte ihn Rosalie zwischen den Pfoten gehabt.

Aber diesmal hatte er nicht geträumt. Er war ganz sicher.

Nun… fast sicher.

»Willst du mich nicht fragen, was Mays Bruder gesagt hat?« McGovern hörte sich ein wenig pikiert an.

»Entschuldige«, sagte Ralph. »Ich muß mit meinen Gedanken woanders gewesen sein.«

»Vergeben, mein Sohn… das heißt, immer vorausgesetzt, daß du von jetzt an genau zuhörst. Der Detective, der den Fall betreut, Funderburke…«

»Ich bin ziemlich sicher, daß er Utterback heißt. Steve Utterback.«

McGovern winkte unbekümmert mit der Hand, seine übliche Reaktion, wenn er verbessert wurde. »Wie auch immer. Jedenfalls hat er Larry angerufen und gesagt, daß die Autopsie die natürliche Todesursache bestätigt hat. Was ihnen angesichts deines Anrufs am meisten Kopfzerbrechen bereitete, ist die Möglichkeit, daß May durch Einbrecher erschreckt wurde, was zum Herzschlag führte – buchstäblich zu Tode geängstigt. Daß die Türen von innen abgeschlossen waren und keine wertvollen Gegenstände fehlen, spricht dagegen, aber sie haben deinen Anruf so ernst genommen, daß sie die Möglichkeit immerhin in Betracht gezogen haben.«

Sein vorwurfsvoller Ton – als hätte Ralph absichtlich Leim in den Mechanismus einer funktionstüchtigen Maschine geschüttet – erfüllte Ralph mit Ungeduld. »Natürlich haben sie ihn ernstgenommen. Ich habe gesehen, wie zwei Männer ihr Haus verlassen haben, und das habe ich den Behörden gemeldet. Als sie dort ankamen, fanden sie die Lady tot vor. Wie sollten sie den Anruf da nicht ernst nehmen?«

»Warum hast du deinen Namen nicht genannt, als du den Anruf gemacht hast?«

»Ich weiß nicht. Was spielt das schon für eine Rolle? Und wie, um alles in der Welt, können sie sicher sein, daß sie nicht vor Angst einen Herzschlag bekommen hat?«

»Ich weiß nicht, ob sie hundertprozentig sicher sein können«, sagte McGovern und hörte sich jetzt selbst ein wenig gekränkt an, »aber ich denke mir, sie müssen sich ihrer Sache ziemlich sicher sein, wenn sie den Leichnam zur Beerdigung freigeben. Wahrscheinlich ein Bluttest oder so. Ich weiß nur, daß dieser Funderburke -«

»Utterback -«

»– Larry gesagt hat, daß May wahrscheinlich im Schlaf gestorben ist.«

McGovern überkreuzte die Beine, machte sich an den Bügelfalten seiner blauen Hose zu schaffen und betrachtete Ralph mit einem klaren und durchdringenden Blick.

»Ich werde dir einen Rat geben, also hör gut zu. Geh zum Arzt. Jetzt. Heute noch. Geh nicht über Los, zieh keine zweihundert Dollar ein, geh direkt zu Litchfield. Es wird allmählich ernst.«

Die beiden, die aus Mrs. Lochers Haus gekommen sind, haben mich nicht gesehen, aber der vorhin schon, dachte Ralph. Er hat mich gesehen und auf mich gezeigt. Könnte sein, daß er sogar nach mir gesucht hat.

Das war ein hübscher paranoider Gedanke.

»Ralph? Hast du gehört, was ich gesagt habe?«

»Ja. Ich entnehme daraus, du glaubst nicht, daß ich tatsächlich jemanden aus dem Haus von May Locher habe kommen sehen habe.«

»Da hast du ganz recht. Ich habe eben deinen Gesichtsausdruck gesehen, als ich dir sagte, daß ich fünfundvierzig Minuten weg war, und ich habe auch mitbekommen, wie du auf die Uhr gesehen hast. Du hast nicht geglaubt, daß soviel Zeit vergangen war, richtig? Und der Grund dafür ist, du bist eingedöst und hast es nicht einmal bemerkt. Hast ein kleines Nickerchen gemacht. Dasselbe ist dir wahrscheinlich gestern nacht passiert. Nur hast du gestern nacht von den beiden Männern geträumt, und der Traum war so realistisch, daß du nach dem Aufwachen 911 angerufen hast. Klingt das nicht logisch?«

Drei-sechs-neun, dachte Ralph. Die Gans trank Wein.

»Was ist mit dem Fernglas?« fragte er. »Es liegt immer noch auf dem Tisch neben dem Sessel am Fenster. Beweist das nicht, daß ich wach war?«

»Ich wüßte nicht warum. Vielleicht hast du schlaf gewandelt, hast du dir das schon mal überlegt? Du hast die Eindringlinge gesehen, aber du kannst sie nicht richtig beschreiben.«_ »Die grellen orangefarbenen Lampen -«

»Alle Türen waren von innen abgeschlossen… «

»Trotzdem habe ich -«

»Und diese Auren, von denen du gesprochen hast. Die Schlaflosigkeit bewirkt sie – da bin ich mir fast sicher. Aber es könnte ernster sein.«

Ralph stand auf, ging die Treppe hinunter, blieb am Anfang des Fußwegs stehen und drehte McGovern den Rücken zu. In seinen Schläfen pochte es, und sein Herz schlug schnell. Zu schnell.

Er hat nicht nur auf mich gezeigt. Ich hatte gleich beim erstenmal recht, der kleine Hurensohn hat mich markiert. Und er war kein Traum. Ebenso wenig wie die, die ich aus Mrs. Lochers Haus habe kommen sehen. Ich bin mir ganz sicher.

Selbstverständlich, Ralph, antwortete eine andere Stimme. Verrückte sind immer überzeugt, daß die verrückten Sachen, die sie sehen und hören, wirklich sind. Das macht sie ja verrückt, nicht die Halluzinationen selbst. Wenn du wirklich gesehen hast, was du zu sehen glaubtest, was ist dann aus Mrs. Bennigan geworden? Und dem Lastwagen von Budweiser? Wie hast du die fünfundvierzig Minuten verlieren können, die McGovern mit Larry Perrault telefoniert hat?

»Du leidest an einigen ziemlich schwerwiegenden Symptomen«, sagte McGovern hinter ihm, und Ralph fand, er hörte etwas Schreckliches in der Stimme des Mannes. Genugtuung? Konnte es tatsächlich Genugtuung sein?

»Einer hatte eine Schere bei sich«, sagte Ralph, ohne sich umzudrehen. »Ich habe sie gesehen.«

»Ach, komm schon, Ralph! Denk nach! Benutz dein Gehirn und denk nach! An einem Sonntagnachmittag, keine vierundzwanzig Stunden vor deiner Akupunkturbehandlung, kommt ein Irrer und spießt dich fast mit dem Messer auf. Ist es ein Wunder, daß dein Gehirn in der Nacht einen Alptraum fabriziert, in dem ein scharfer Gegenstand vorkommt? Aus Hongs Nadeln und Pickerings Jagdmesser ist eine Schere geworden, das ist alles. Siehst du nicht ein, daß diese Hypothese alles erklärt, während das, was du gesehen haben willst, überhaupt nichts erklärt?« »Und ich habe geschlafwandelt, als ich das Fernglas geholt habe? Denkst du das?«

»Es wäre möglich. Wahrscheinlich.«

»Auch das mit der Spraydose in meiner Jackentasche, richtig? Der alte Dor hatte überhaupt nichts damit zu tun.«

»Mich interessieren die Spraydose und der alte Dor nicht!« schrie McGovern. »Du interessierst mich. Du leidest seit April oder Mai an Schlaflosigkeit, du bist seit dem Tod von Carolyn deprimiert und niedergeschlagen -«

»Ich bin nicht deprimiert!« brüllte Ralph. Auf der anderen Straßenseite blieb der Briefträger stehen und sah zu ihnen herüber, bevor er in Richtung Park weiterging.

»Wie du willst«, sagte McGovern. »Du warst nicht deprimiert. Außerdem hast du nicht geschlafen, du siehst Auren, Typen mitten in der Nacht aus abgeschlossenen Häusern kommen… « Und dann sagte McGovern mit trügerisch unbekümmerter Stimme das, wovor Ralph sich die ganze Zeit gefürchtet hatte: »Du solltest aufpassen, alter Junge. Du hörst dich verdächtig wie Ed Deepneau an.«

Ralph drehte sich um. Heißes Blut pulsierte hinter seinem Gesicht. »Warum tust du das? Warum versuchst du so sehr, mir eins auszuwischen?«

»Ich versuche nicht, dir eins auszuwischen, Ralph, ich versuche, dir zu helfen. Dein Freund zu sein.«

»Den Eindruck habe ich nicht.«

»Nun, manchmal tut die Wahrheit ein bißchen weh«, sagte McGovern ruhig. »Du solltest zumindest über die Möglichkeit nachdenken, daß dein Körper und dein Geist versuchen, dir etwas zu sagen. Ich will dir eine Frage stellen – war das der einzige beunruhigende Traum, den du in letzter Zeit gehabt hast?«

Ralph dachte ganz kurz an Carol, die bis zum Hals im Sand begraben war und von Spuren des weißen Mannes kreischte. An die Käfer, die aus ihrem Kopf gequollen waren. »Ich hatte in letzter Zeit überhaupt keine Alpträume«, sagte er steif. »Ich nehme an, das wirst du mir nicht glauben, weil es nicht in das kleine Drehbuch paßt, das du dir zurechtgelegt hast.« »Ralph -«

»Ich will dich etwas fragen. Glaubst du wirklich, es war nur ein Zufall, daß ich diese beiden Männer gesehen habe und May Locher gestorben ist?«

»Vielleicht nicht. Vielleicht hat dein körperlich und emotional aufgewühlter Zustand Bedingungen geschaffen, die eine echte übersinnliche Wahrnehmung ermöglicht haben.«

Ralph schwieg.

»Ich glaube, daß so etwas von Zeit zu Zeit vorkommt«, sagte McGovem und stand auf. »Hört sich von einem rationalen alten Vogel wie mir wahrscheinlich komisch an, aber es ist so. Ich will nicht behaupten, daß es sich tatsächlich so abgespielt hat, aber es könnte sein. Ich bin aber ganz sicher, daß die beiden Männer, die du gesehen hast, in Wirklichkeit nicht existiert haben.«

Ralph sah zu McGovern auf; er hatte die Hände in den Taschen stecken und so fest zu Fäusten geballt, daß sie sich wie Steine anfühlten. Er konnte die Muskeln in seinen Armen vibrieren spüren.

McGovern kam die Verandastufen herunter und hielt ihn dicht über dem Ellbogen behutsam am Arm. »Ich glaube nur…«

Ralph zog den Arm so ruckartig weg, daß McGovern überrascht grunzte und ein wenig stolperte. »Ich weiß, was du glaubst.«

»Du begreifst nicht, was ich -«

»Oh, ich begreife durchaus. Mehr als mir lieb ist. Glaub mir. Und entschuldige mich bitte – ich glaube, ich werde noch einen Spaziergang machen. Ich brauche einen klaren Kopf.« Er konnte das heiße Blut in Wangen und Stirn pochen fühlen. Er versuchte, einen Vorwärtsgang in seinem Gehirn einzulegen, der ihm ermöglichen würde, diese sinnlose, ohnmächtige Wut hinter sich zu lassen, aber er schaffte es nicht. Er fühlte sich fast so, wie nach dem Traum von Carolyn; seine Gedanken wirbelten vor Angst und Verwirrung durcheinander, und als er seine Beine in Bewegung setzte, hatte er nicht das Gefühl, als würde er gehen, sondern fallen, wie er am Montag morgen aus dem Bett gefallen war. Trotzdem ging er weiter. Manchmal konnte man nichts anderes tun.

»Ralph, du mußt zu einem Arzt gehen!« rief McGovern ihm nach, und nun konnte sich Ralph nicht mehr einreden, daß er nicht eine unheimliche, heftige Schadenfreude in McGoverns Stimme hörte. Die Sorge, die darin mitschwang, war wahrscheinlich aufrichtig, aber sie war wie ein süßer Zuckerguß auf einem bitteren Kuchen.

»Keinem Apotheker, keinem Hypnotiseur, keinem Akupunkteur! Du mußt zu deinem Hausarzt gehen!«

Klar, zu dem Typ, der meine Frau unterhalb der Flutlinie begraben hat! dachte er mit einer Art geistigem Aufschrei. Dem Mann, der sie bis zum Hals im Sand begraben und ihr anschließend gesagt hat, sie müßte keine Angst vor dem Ertrinken haben, solange sie schön brav ihre Valium und Tylenol-nahm!

Laut sagte er: »Ich muß einen Spaziergang machen! Das brauche ich, und mehr brauche ich nicht.« Sein Herz pochte jetzt mit den kurzen, harten Schlägen eines Vorschlaghammers in seinen Schläfen, und er überlegte sich, daß so ein Schlaganfall anfangen mußte; wenn er sich nicht bald unter Kontrolle bekam, würde er ins Wutkoma fallen, wie sein Vater sich immer ausgedrückt hatte.

Er konnte hören, wie McGovern ihm den Fußweg entlang folgte. Faß mich nicht an, Bill, dachte Ralph. Wage es nicht, mir die Hand auf die Schultern zu legen, denn in diesem Fall werde ich mich wahrscheinlich umdrehen und dir eine scheuern.

»Ich versuche nur, dir zu helfen, begreifst du das nicht?« brüllte McGovern. Der Briefträger auf der anderen Straßenseite war wieder stehengeblieben und beobachtete sie, und vor dem Red Apple starrten sie Karl, der morgens arbeitete, und Sue, das Mädchen, das nachmittags arbeitete, mit offenen Mündern unverhohlen an. Karl, stellte er fest, hielt eine Tüte Hamburgerbrötchen in einer Hand. Es war wirklich erstaunlich, was einem in solchen Augenblicken alles auffiel… allerdings nicht annähernd so erstaunlich wie das meiste, das er heute morgen gesehen hatte.

Was du dir zu sehen eingebildet hast, Ralph, sagte eine verräterische Stimme leise flüsternd in seinem Kopf.

»Geh weiter«, murmelte Ralph verzweifelt. »Geh einfach weiter, verdammt.« Vor seinem geistigen Auge spielte sich ein Film ab. Es war ein unangenehmer Film, wie er sie sich selten ansah, selbst wenn er alles andere schon gesehen hatte, was sie im Kino Center zeigten. Und der Soundtrack dieses Films war ausgerechnet »Pop Goes the Weasel.«

»Ich will dir was sagen, Ralph – in unserem Alter sind Geisteskrankheiten was ganz Normales! Was völlig Normales, also GEH ZU DEINEM ARZT!«

Mrs. Bennigan stand jetzt auf ihrer Veranda und hatte ihren Stock am Fuß der Treppe abgestellt. Sie hatte immer noch den hellroten Herbstmantel an, und ihr Mund schien offenzustehen, als sie über die Straße zu ihnen hersah.

»Hörst du mich Ralph? Ich hoffe es. Ich hoffe wirklich, daß du mich hörst!«

Ralph ging schneller und zog die Schultern wie bei einem kalten Gegenwind zusammen. Wenn er nun einfach weiter schreit, immer lauter und lauter? Und wenn er mir einfach die Straße entlang folgt?

Wenn er das tut, werden die Leute denken, daß er der Verrückte ist, sagte er zu sich, aber der Gedanke hatte keine beruhigende Wirkung auf ihn. Im Geiste hörte er immer noch ein Klavier ein Kinderlied spielen – nein, eigentlich nicht spielen, die Noten eines Kinderreims klimpern:

All around the mulberry bush The monkey chased the weasel, The monkey thought ‘twas all infun, Pop! Goes the weasel!

Und jetzt sah Ralph die alten Anwohner der Harris Avenue, die ihre Versicherungen bei Gesellschaften abschlössen, welche im Kabelfernsehen Werbung machten, die Gallensteine und Hautkrebs hatten, deren Gedächtnis in dem Maß schrumpfte wie ihre Prostata anschwoll, die von Sozialhilfe lebten und die Welt durch den grauen Star statt durch die rosa Brille sahen. Es waren die Leute, die mittlerweile sämtliche Briefe mit der Adresse »An den Bewohner« lasen und die Werbezettel der Supermärkte nach Dosen im Sonderangebot und tiefgefrorenen Fertiggerichten absuchten. Er sah sie in grotesken kurzen Hosen und flauschigen kurzen Röcken, sah sie mit Propellermützchen und TShirts, auf denen Figuren wie Beavis und Butt-Head und Rüde Dog abgebildet waren. Er sah sie, kurz gesagt, als die ältesten Vorschüler der Welt. Sie marschierten um eine doppelte Stuhlreihe herum, während ein kleiner kahlköpfiger Mann im weißen Kittel »Pop Goes the Weasel« auf dem Klavier spielte. Ein anderer Kahlkopf nahm einen Stuhl nach dem anderen weg, und jedesmal, wenn die Musik aufhörte und alle sich setzten, blieb einer stehen -diesmal war es May Locher gewesen, das nächste Mal wahrscheinlich McGoverns alter Dekan. Die Person mußte selbstverständlich das Zimmer verlassen. Und Ralph hörte McGovern lachen. Lachen, weil er wieder einen Stuhl bekommen hatte. May Locher war tot, Bob Polhurst lag im Sterben, Ralph Roberts hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank, aber mit ihm war noch alles in Ordnung, Sir William D. McGovern ging es noch prächtig, noch bestens, er war noch in der Vertikalen und nahm Nahrung zu sich, und er konnte noch einen Stuhl finden, wenn die Musik aufhörte.

Ralph ging weiter, krümmte die Schultern noch mehr und rechnete mit einem weiteren Bombardement von Ratschlägen und Belehrungen. Er hielt es für unwahrscheinlich, daß McGovern ihm tatsächlich weiter nachkommen würde, aber nicht für völlig ausgeschlossen. Wenn McGovern wütend genug war, könnte er sich genau dazu hinreißen lassen – Vorhaltungen machen, Ralph sagen, er solle mit dem Unsinn aufhören und zum Arzt gehen, ihn daran erinnern, daß das Klavier jeden Moment aufhören konnte zu spielen, jederzeit, und wenn er keinen Stuhl fand, solange er noch Gelegenheit dazu hatte, war es vielleicht für immer aus mit ihm.

Aber es ertönten keine Rufe mehr. Er wollte sich umdrehen, um nachzusehen, wo McGovern abgeblieben war, besann sich aber eines Besseren. Wenn er sah, daß Ralph sich umdrehte, legte er vielleicht von vorne los. Ambesten war es, einfach weiterzugehen. Also machte er größere Schritte, ging ohne darüber nachzudenken, wieder in Richtung Flughafen, schritt mit gesenktem Kopf aus und versuchte, nicht das unbarmherzige Klavier zu hören, nicht die alten Kinder zur Kenntnis zu nehmen, die um die Stühle herumspazierten, nicht die ängstlichen Augen über dem vorgeschützten Lächeln zu sehen.

Beim Gehen überlegte er sich, daß seine Hoffnung nicht erfüllt worden war. Er war doch in den Tunnel gestoßen worden, und die Dunkelheit umgab ihn auf allen Seiten.

ZWEITER TEIL

Die heimliche Stadt

Alte Männer müßten Forscher sein.

T. S. Eliot

Kapitel 11

Das Derry der Altvorderen war nicht die einzige heimliche Stadt, die unauffällig innerhalb des Ortes existierte, den Ralph immer als seine Heimat betrachtet hatte; als Junge, der in Mary Mead aufgewachsen war, wo heute die verschiedenen Cape-Cod-Häuserkomplexe standen, hatte Ralph herausgefunden, daß es neben dem Derry der Erwachsenen ein Derry gab, das ausschließlich den Kindern gehörte. Da waren die verlassenen Hobo-Dschungel beim Eisenbahndepot in der Nähe der Neibolt Street, wo man manchmal Tomatensuppendosen finden konnte, die halb mit Currygeschnetzeltem gefüllt waren, und Flaschen mit einem oder zwei Schluck Bier; da war die Gasse hinter dem Aladdin Theater, wo Zigaretten Marke Bull Durham geraucht und manchmal Black Cat Kracher gezündet wurden; da war die große alte Ulme, die über den Fluß hing, wo hunderte Mädchen und Jungs gelernt hatten, wie man ins Wasser springt; da waren die hundert (wahrscheinlich eher zweihundert) verschlungenen Pfade, die durch die Barrens führten, ein zugewachsenes Tal, das sich durch die Stadtmitte erstreckte wie eine schlecht verheilte Narbe.

Diese heimlichen Straßen und Highways lagen allesamt unter der Ebene der Wahrnehmung Erwachsener und wurden infolgedessen von ihnen übersehen… aber es hatte Ausnahmen gegeben. Eine war ein Polizist namens Aloysius Neu gewesen -für Generationen Kinder von Derry nur Mr. Nell -, und erst jetzt, als er zum Picknickplatz in der Nähe der Stelle ging, wo die Harris Avenue zur Harris Avenue Extension wurde, überlegte sich Ralph, daß Chris Nell wahrscheinlich der Sohn des alten Mr. Nell war… aber das konnte nicht ganz stimmen, denn der Polizist, den Ralph zum erstenmal in Begleitung von John Leydecker gesehen hatte, war nicht alt genug, daß er der Sohn des alten Mr. Nell sein konnte. Wahrscheinlich war er sein Enkel.

Ralph war eine zweite heimliche Stadt aufgefallen-die den alten Leuten gehörte -, als er selbst pensioniert worden war, aber erst nach Carols Tod war ihm wirklich bewußt geworden, daß er nun auch deren Einwohner war. Und da hatte er eine versunkene Geographie gefunden, die unheimliche Ähnlichkeit mit der hatte, die er als Kind gekannt hatte, ein Ort, welcher von der Arbeitswelt, die geschäftig ringsum brodelte, weitgehend ignoriert wurde. Und das Derry der Altvorderen überlappte noch eine dritte heimliche Stadt: das Derry der Verdammten, ein gräßlicher Ort, der hauptsächlich von Pennern, Flüchtlingen und Irren bewohnt wurde, die man nicht einsperren konnte.

Auf diesem Picknickgelände hatte Lafayette Chapin Ralph mit einer der wichtigsten Überlegungen des Lebens vertraut gemacht… das heißt, nachdem man selbst ein aufrechter Altvorderer geworden war. Diese Überlegung hatte etwas mit dem »wirklichen Leben« zu tun. Das Thema war zur Sprache gekommen, als die beiden Männer sich gerade kennengelernt hatten. Ralph hatte Faye gefragt, was er gemacht hätte, bevor er mit seinen Ausflügen zu dem Picknickgelände begonnen hätte.

»Nun, in meinem wirklichen Leben war ich Zimmermann und Tischler«, hatte Chapin geantwortet und seine verbliebenen Zähne zu einem breiten Grinsen entblößt, »aber das alles hat vor fast zehn Jahren aufgehört.« Als wäre, hatte Ralph gedacht, wie er sich noch genau erinnerte, die Pensionierung eine Art Vampirkuß, der diejenigen, die ihn überlebten, in die Welt der Untoten zog. Und wenn man es genauer überlegte, war das wirklich so weit von der Wahrheit entfernt?

Nachdem er McGovern nun sicher hinter sich gelassen hatte (jedenfalls hoffte er es), ging Ralph durch das schmale Waldstück aus Eichen und Ahornbäumen, das den Picknickplatz von der Extension abschirmte. Er sah, daß sich seit seinem Spaziergang vorhin acht oder neun Leute versammelt hatten, die meisten mit Vespertüten oder Sandwiches von Coffee Pot. Die Eberlys und Zells spielten Hearts mit dem abgegriffenen Blatt Top-Hole-Karten, das sie in einem Astloch der nächsten Eiche versteckten; Faye und Doc Mulhare, ein pensionierter Tierarzt, spielten Schach; ein paar Kiebitze wanderten zwischen den beiden Spielrunden hin und her.

Auf dem Picknickplatz drehte sich alles um die Spiele – wie bei den meisten Treffpunkten im Derry der Altvorderen -, aber Ralph dachte, daß die Spiele in Wirklichkeit nur Beiwerk waren. Eigentlich kamen die Leute hierher, um den Kontakt nicht zu verlieren, sich zu melden, zu bestätigen (und sei es nur sich selbst), daß sie immer noch eine Art von Leben führten, wirklich oder sonstwie.

Ralph setzte sich auf eine freie Bank in der Nähe des Sturmzauns und strich mit einem Finger zerstreut über die eingeschnitzten Botschaften – Namen, Initialen, jede Menge FUCK YOUs -, während er Flugzeuge in regelmäßigen Zwei-Minuten-Intervallen landen sah: eine Cessna, eine Apache, eine Piper, eine Twin Bonanza, den 11:45 Air Express aus Boston. Mit einem Ohr verfolgte er das Auf und Ab der Gespräche hinter ihm. May Lochers Name wurde mehr als einmal erwähnt -mehrere der Anwesenden hatten sie gekannt, und der allgemeine Tenor schien zu sein, daß Gott sich endlich erbarmt und ihrem Leiden ein Ende gesetzt hätte -, aber die meisten Gespräche kreisten heute um den bevorstehenden Besuch von Susan Day. Als Faustregel konnte man sagen, daß Politik kein Thema für die Altvorderen war, die jederzeit einen guten Darmkrebs oder Hirnschlag vorzogen, aber selbst hier draußen verlor das Thema Abtreibung nicht seine einzigartige Fähigkeit, zu erzürnen, zu verbittern und zu entzweien.

»Sie hat sich eine schlechte Stadt ausgesucht, und das Schlimme daran ist, ich bezweifle, ob sie das weiß«, sagte Doc Mulhare und betrachtete das Schachbrett voll verdrossener Konzentration, während Faye Chapin die restliche Streitmacht seines Königs im Blitzkrieg niedermähte. »Hier passiert so allerhand. Erinnerst du dich an den Brand im Black Spot, Faye?«

Faye grunzte und schlug Docs letzten Läufer.

»Ich verstehe nur diese Scherzkekse hier nicht«, sagte Lisa Zell, hob die Derry News hoch und zeigte auf das Foto der Kapuzengestalten, die vor Woman-Care marschierten. »Sieht so aus, als wünschten sie sich die Zeiten zurück, als Frauen Abtreibungen mit Kleiderbügeln vorgenommen haben.«

»Genau das wollen sie«, sagte Georgina Eberly. »Sie denken sich, wenn eine Frau genügend Angst vor dem Sterben hat, wird sie das Baby bekommen. Sie kommen nicht auf den Gedanken, daß eine Frau mehr Angst davor haben könnte, ein Baby zu bekommen, als davor, es mit einem Kleiderbügel wegzumachen.«

»Was hat denn Angst damit zu tun?« fragte einer der Kiebitze -ein flachgesichtiger Alter namens Pedersen – trotzig. »Mord ist Mord, ob das Baby drinnen oder draußen ist, so sehe ich das. Selbst wenn sie so klein sind, daß man ein Mikroskop braucht, um sie zu sehen, ist es Mord. Weil sie Kinder wären, wenn man sie in Ruhe ließe.«

»Ich denke, das macht dich jedesmal, wenn du dir einen runterholst, zu Adolf Eichmann«, sagte Faye und zog mit der Dame. »Schach.«

»La-tay-ette Oza-pin!« rief Lisa Zell.

»Ist überhaupt nicht dasselbe, wenn man an sich selber rumspielt«, sagte Pedersen finster.

»Ach nein? Gab es nicht in der Bibel einen, der von Gott verflucht wurde, weil er sich einen von der Palme gelockt hat?« fragte der andere Kiebitz.

»Wahrscheinlich meinst du Onan«, sagte eine Stimme hinter Ralph. Er drehte sich erschrocken um und sah den alten Dor da stehen. In einer Hand hielt er ein Taschenbuch mit einer großen

5 auf dem Umschlag. Woher, um alles in der Welt, kommst du denn? Er hätte fast schwören können, daß vor einer Minute noch niemand hinter ihm gestanden hatte.

»Onan, Schmonan«, sagte Pedersen. »Diese Spermien sind nicht dasselbe wie ein Baby -«

»Nicht?« fragte Faye. »Und warum verkauft die katholische Kirche dann keine Gummis bei Bingospielen? Sag mir das.«

»Das ist die blanke Unwissenheit«, sagte Pedersen. »Und wenn du nicht begreifst -«

»Aber Onan wurde nicht wegen Masturbation bestraft«, sagte Dorrance mit seiner hohen, durchdringenden Altmännerstimme. »Er wurde bestraft, weil er sich weigerte, die Witwe seines Bruders zu schwängern, damit das Geschlecht seines Bruders fortbestehen konnte. Es gibt ein Gedicht, von Allen Ginsberg, glaube ich -«

»Halt den Mund, du alter Narr!« schrie Pedersen und sah dann Faye Chapin wütend an. »Und wenn du nicht begreifst, daß es etwas völlig anderes ist, ob ein Mann seine Nudel walkt oder eine Frau das Baby im Klo runterspült, das Gott in sie gepflanzt hat, dann bist du ein so großer Narr wie er.«

»Das ist eine ekelhafte Unterhaltung«, sagte Lisa Zell, die allerdings mehr fasziniert als angeekelt klang. Ralph sah über ihre Schulter und stellte fest, daß ein Stück des Maschendrahtzauns von einem Pfosten abgerissen und nach hinten gebogen worden war, wahrscheinlich von den Jugendlichen, die den Platz nachts für sich beanspruchten. Damit war immerhin ein Rätsel gelöst. Er hatte Dorrance nicht bemerkt, weil der alte Mann sich überhaupt nicht auf dem Picknickplatz aufgehalten hatte; er war auf dem Gelände des Flughafens herumgelaufen.

Ralph überlegte sich, daß das seine Chance war, sich Dorrance zu schnappen und ihn zur Rede zu stellen… nur würde er hinterher wahrscheinlich verwirrter sein als vorher. Der alte Dor glich zu sehr der Cheshirekatze in Alice im Wunderland – mehr Lächeln als Substanz.

»Großer Unterschied, hm?« wandte sich Faye an Pedersen.

»Klar!« Rote Flecken leuchteten auf Pedersens rissigen Wangen.

Doc Mulhare rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Hört zu, vergessen wir es einfach und spielen weiter, Faye, einverstanden?«

Faye beachtete ihn gar nicht; seine Aufmerksamkeit galt immer noch Pedersen. »Vielleicht solltest du noch mal an die vielen kleinen Spermien denken, die jedesmal auf deiner Handfläche gestorben sind, wenn du auf dem Klo gesessen und daran gedacht hast, wie schön es wäre, wenn dir Marilyn Monroe einen blasen -«

Pedersen streckte die Hand aus und fegte die restlichen Figuren vom Schachbrett. Doc Mulhare zuckte zurück, sein Mund zitterte, die Augen hinter der Brille mit dem rosa Gestell, das an zwei Stellen mit Isolierband geklebt war, waren groß und ängstlich.

»Ja, gut!« brüllte Faye. »Das ist wirklich ein überzeugendes, vernünftiges Argument, du Arsch!«

Pedersen hob die Fäuste zu einer übertriebenen John L. Sullivan-Pose. »Willst du was dagegen unternehmen?« fragte er. »Los doch, fangen wir an!«

Faye stand langsam auf. Er war gut dreißig Zentimeter größer als der flachgesichtige Pedersen und mindestens sechzig Pfund schwerer.

Ralph traute seinen Augen nicht. Und wenn das Gift schon soweit vorgedrungen war, wie mußte es im Rest der Stadt aussehen? Er fand, daß Doc Mulhare recht hatte; Susan Day konnte nicht die geringste Ahnung haben, wie schlecht es war, ihre Ansprache in Derry zu halten. In mancher Hinsicht – sogar in ziemlich vieler Hinsicht – war Derry nicht wie andere Städte.

Er bewegte sich, bevor er sich überlegte, was er vorhatte, war aber erleichtert, als er Stan Eberly dasselbe tun sah. Sie wechselten einen Blick, als sie sich den beiden Männern näherten, die Nase an Nase standen, und Stan nickte unmerklich. Ralph legte eine Sekunde bevor Stan Pedersens linken Oberarm festhielt einen Arm um Fayes Schultern.


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