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Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


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Ужасы

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Текущая страница: 34 (всего у книги 50 страниц)

»– dachte er an Susan Day«, führte Lois weiter aus. »Atropos hat ihn… wie sagt man im Fernsehen… aufgeputscht. Hat ihn in einen lenkbaren Marschflugkörper verwandelt. Was meinst du, woher hat Ed diesen Schal?«

»Von Atropos«, sagte Ralph. »Atropos hat bestimmt eine Menge solcher Andenken.« »Und was, meinst du, hat er in dem Flugzeug, das er heute nacht fliegen wird?« Lois’ Stimme zitterte. »Sprengstoff oder Giftgas?«

»Wenn er wirklich vorhaben sollte, alle zu töten, dürfte Sprengstoff wahrscheinlicher sein; bei Gas könnte starker Wind ihm zu schaffen machen.« Ralph trank einen Schluck Wasser und stellte fest, daß seine Hand ein wenig zitterte. »Andererseits können wir nicht wissen, was für hübsche Sachen er in seinem Labor zusammengeköchelt hat, oder?«

»Nein«, sagte Lois mit leiser Stimme.

Ralph stellte das Wasserglas weg. »Aber was er benützen will, interessiert mich nicht besonders.«

»Was dann?«

Die Kellnerin kam mit frischem Kaffee zurück, und allein schon der Duft schien Ralphs Nerven aufleuchten zu lassen wie Neonröhren. Er und Lois griffen nach ihren Tassen und tranken, kaum daß die Kellnerin weg war. Der Kaffee war stark und so heiß, daß Ralph sich die Lippen verbrannte, aber er schmeckte himmlisch. Als er die Tasse wieder auf den Unterteller stellte, war sie halb leer, und er hatte eine ganz warme Stelle in der Leibesmitte, als hätte er glühende Kohlen verschluckt. Lois betrachtete ihn ernst über den Rand ihrer eigenen Tasse hinweg.

»Was mich interessiert«, sagte er, »sind wir. Du hast gesagt, Atropos hätte Ed in einen lenkbaren Marschflugkörper verwandelt. Das stimmt; genau das waren die Kamikazepiloten im Zweiten Weltkrieg. Hitler hatte seine V2; Hirohito hatte seinen Göttlichen Wind. Das Beunruhigende ist nur, daß Klotho und Lachesis dasselbe mit uns gemacht haben. Wir sind mit einer Menge spezieller Begabungen ausgestattet und programmiert worden, mit meinem Oldsmobile nach High Ridge zu fliegen und Susan Day aufzuhalten. Ich wüßte nur gerne, warum.«

»Aber das wissen wir doch«, wandte sie ein. »Wenn wir nicht eingreifen, wird Ed Deepneau heute abend während der Rede dieser Frau Selbstmord begehen und zweitausend Menschen mitnehmen.«

»Ja«, antwortete Ralph, »und wir werden versuchen, was in unserer Macht steht, um ihn daran zu hindern, Lois, keine Bange.« Er trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse wieder hin. Sein Magen war jetzt hellwach und lechzte nach Nahrung. »Ich könnte ebensowenig tatenlos zusehen, wie Ed diese Menschen umbringt, als ich irgendwo stehen und mich nicht ducken könnte, wenn jemand mir einen Baseball an den Kopf wirft. Es ist nur so, daß wir nie die Möglichkeit gehabt haben, das Kleingedruckte unten auf dem Vertrag zu lesen, und das macht mir angst.« Er zögerte einen Moment. »Und außerdem macht es mich stinkwütend.«

»Wovon redest du?«

»Davon, daß wir für dumm verkauft werden. Wir wissen, warum wir versuchen werden, die Rede von Susan Day zu verhindern; wir können den Gedanken nicht ertragen, daß ein Irrer zweitausend unschuldige Menschen ermordet. Aber wir wissen nicht, warum wir das tun sollen. Das ist der Teil, der mir angst macht.«

»Wir haben die Möglichkeit, zweitausend Menschenleben zu retten«, sagte sie. »Willst du mir sagen, das ist genug für uns, aber nicht für sie?«

»Das will ich damit sagen. Ich glaube nicht, daß Zahlen diese Burschen besonders beeindrucken; sie servieren uns nicht zu Zehnen oder Hunderten oder Tausenden ab, sondern zu Millionen. Und sie sind daran gewöhnt, daß der Plan und der Zufall uns routinemäßig abmurksen.«

»Katastrophen wie der Brand im Coconut Grove«, sagte Lois. »Oder die Überschwemmung hier in Derry vor acht Jahren.«

»Ja, aber auch das sind nur relativ kleine Fische, verglichen mit dem, was jedes Jahr in der Welt vor sich geht. Bei der Überschwemmung hier in Derry 1985 sind zweihundertundzwanzig Menschen ums Leben gekommen, ungefähr jedenfalls, aber letztes Frühjahr starben bei einer Überschwemmung in Pakistan dreieinhalbtausend, und beim letzten großen Erdbeben in der Türkei über viertausend. Und was ist mit Tschernobyl? Ich habe irgendwo gelesen, daß man letztendlich siebzigtausend Tote darauf zurückführen kann. Das sind eine Menge Panamahüte und Springseile und… Brillen, Lois.« Er war entsetzt, weil ihm beinahe Ohrringe herausgerutscht wäre.

»Nicht«, sagte sie erschauernd.

»Ich denke ebenso ungern darüber nach wie du«, sagte er, »aber wir müssen es tun, und sei es nur, weil die beiden Typen so erpicht darauf sind, daß wir es nicht tun. Verstehst du, worauf ich hinauswill? Du mußt. Große Tragödien sind von jeher Bestandteil des Zufalls gewesen; warum sollte es hier anders sein?«

»Ich weiß nicht«, sagte Lois, »aber es war wichtig genug für sie, daß sie uns rekrutiert haben, und ich denke, das war ein ziemlich großer Schritt.«

Ralphnickte. Jetzt konnte er spüren, wie das Koffein wirkte, ihn aufputschte und seine Finger ein bißchen zum Zittern brachte. »Dessen bin ich ganz sicher. Aber jetzt denk mal an das Krankenhausdach zurück. Hast du jemals in deinem Leben zwei Typen soviel erklären hören, ohne tatsächlich auf den Punkt zu kommen?«

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Lois, aber ihr Gesicht drückte etwas anderes aus: daß sie nicht verstehen wollte, was er meinte.

»Was ich meine, basiert auf einer grundsätzlichen Annahme: Möglicherweise können sie nicht lügen. Gehen wir davon aus, sie können es nicht. Wenn du bestimmte Informationen hast, die du nicht preisgeben willst, aber keine Lüge erzählen kannst, was tust du dann?«

»Um die Gefahrenzone herumtanzen«, sagte Lois. »Oder die Gefahrenzonen.«

»Bingo. Und haben Sie nicht genau das getan?«

»Nun«, sagte sie, »ich schätze, es war ein Tanz, aber ich finde, du hast über weite Strecken geführt, Ralph. Ich war sogar ziemlich beeindruckt von den Fragen, die du gestellt hast. Ich glaube, solange wir auf dem Dach waren, habe ich die meiste Zeit nur versucht, mich davon zu überzeugen, daß das alles tatsächlich passierte.«

»Sicher, ich habe eine Menge Fragen gestellt, aber…« Er verstummte, weil er nicht sicher war, wie er das Konzept in Worte fassen sollte, das ihm durch den Kopf ging, ein Konzept, das ihm komplex und kinderleicht zugleich vorkam. Er unternahm noch einmal einen Versuch, ein wenig aufzusteigen, und suchte in seinem Kopf nach diesem Gefühl des Blinzeins, weil er wußte, wenn er auf geistiger Ebene mit ihr Kontakt aufnehmen konnte, könnte er ihr ein kristallklares Bild zeigen. Nichts geschah, und er trommelte frustriert mit den Fingerspitzen auf dem Tischtuch.

»Ich war nicht weniger verblüfft als du«, sagte er schließlich. »Wenn sich mein Erstaunen in Form von Fragen ausgedrückt hat, dann nur deshalb, weil man Männern – jedenfalls denen meiner Generation – beigebracht hat, daß es einen ziemlich schlechten Eindruck macht, wenn man dasteht und Ooh und Aah sagt. Das ist etwas für Frauen, die die Vorhänge aussuchen.«

»Sexist.« Sie lächelte, als sie es sagte, aber es war ein Lächeln, das Ralph nicht erwidern konnte. Er mußte an Barbie Richards zurückdenken. Wäre Ralph auf sie zugegangen, hätte sie mit Sicherheit den Alarmknopf unter ihrem Schreibtisch gedrückt, aber Lois hatte sie näherkommen lassen, weil sie zuviel von der alten Schwestern-Scheiße geschluckt hatte.

»Ja«, sagte er leise. »Ich bin ein Sexist, ich bin altmodisch, und manchmal bringt mich das in Schwierigkeiten.«

»Ralph, ich wollte nicht -«

»Ich weiß, was du wolltest, und es ist gut. Ich versuche dir zu vermitteln, daß ich estaunt war… überwältigt… vollkommen von den Socken… genau wie du. Also habe ich Fragen gestellt, na und? Waren es gute Fragen? Nützliche Fragen?«

»Wahrscheinlich nicht, hm?«

»Nun, vielleicht hatte ich gar keinen schlechten Start. Soweit ich mich erinnere, habe ich, als wir auf dem Dach waren, als erstes gefragt, wer sie waren und was sie wollten. Diese Fragen haben sie mit einer Menge philosophischem Geschwafel umgangen, aber ich denke, eine Weile sind sie doch ganz schön ins Schwitzen gekommen. Danach bekamen wir die ganzen Hintergrundinformationen über den Plan und den Zufall

– faszinierend, aber eigentlich hätten wir es nicht gebraucht, um nach High Ridge zu fahren und Gretchen Tillbury davon zu überzeugen, daß sie Susan Days Rede absagt. Verdammt, es wäre besser gewesen – zeitsparender -, wenn sie uns die Wegbeschreibung gegeben hätten, die wir jetzt von Simones Nichte holen mußten.«

Lois sah ihn erstaunt an. »Das stimmt, nicht?« »Ja. Und während wir geredet haben, ist die Zeit unaufhaltsam verflogen, wie das nunmal ist, wenn man ein paar Ebenen höhersteigt. Und sie haben es auch bemerkt, davon kannst du ausgehen. Sie haben das ganze Gespräch so hingedeichselt, daß wir keine Zeit mehr hatten, die Fragen zu stellen, die sie nicht beantworten wollten, als sie uns endlich alles erzählt hatten, was wir wissen mußten. Ich glaube, sie wollten uns in dem Glauben lassen, wir würden der Öffentlichkeit einen Dienst erweisen, daß es nur darum geht, die vielen Menschenleben zu retten, aber das konnten sie nicht frei heraus sagen, weil…«

»Weil das eine Lüge gewesen wäre, und möglicherweise können sie nicht lügen.«

»Richtig. Möglicherweise können sie nicht lügen.«

»Aber was wollen sie wirklich, Ralph?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, Lois. Keinen blassen Schimmer.«

Sie trank ihren eigenen Kaffee leer, stellte die Tasse behutsam auf den Unterteller, betrachtete einen Moment ihre Fingerspitzen und sah wieder auf. Wieder war er beeindruckt von ihrer Schönheit – fast überwältigt.

»Sie waren gut«, sagte sie. »Sie sind gut. Das habe ich sehr stark gespürt. Du nicht?«

»Doch«, sagte er fast widerwillig. Selbstverständlich hatte er es gespürt. Sie waren das genaue Gegenteil von Atropos.

»Und du wirst trotzdem versuchen, Ed aufzuhalten – du hast gesagt, du könntest es ebensowenig nicht tun, wie du dich nicht ducken könntest, wenn dir jemand einen Baseball an den Kopf wirft. Ist es nicht so?«

»Ja«, sagte er noch widerwilliger.

»Dann solltest du es dabei bewenden lassen«, sagte sie ruhig und sah ihm mit ihren dunklen in seine blauen Augen. »Es nimmt nur Platz in deinem Kopf weg, Ralph. Macht eine Rumpelkammer daraus.«

Er sah ein, daß sie recht hatte, bezweifelte aber, daß er einfach die Hand aufmachen und diesen Teil davonfliegen lassen konnte. Vielleicht mußte man Siebzig werden, bis man voll und ganz einsah, wie schwer es war, seiner Erziehung zu entkommen. Seine Ausbildung, ein Mann zu sein, hatte vor Adolf Hitlers Aufstieg zur Macht begonnen, und er war immer noch ein Gefangener der Generation, die sich H. V. Kaltenborn und die Andrews Sisters im Radio angehört hatte – einer Generation von Männern, die auf Cocktails bei Mondlicht stand und meilenweit für eine Camel Filter ging. Diese Erziehung ignorierte im Grunde so hübsche moralische Fragen wie, wer für die Guten und wer für die Bösen arbeitete; das Wichtigste war, daß man sich von den Schlägern keinen Sand in die Augen kicken ließ. Daß man sich nicht an der Nase herumführen ließ.

Ist das so? fragte Carolyn kühl amüsiert. Wie faszinierend. Aber ich will die erste sein, die dir ein kleines Geheimnis erzählt, Ralph: Das ist Quatsch. Das war schon Quatsch bevor Glenn Miller am Horizont erschienen ist, und es ist heute immer noch Quatsch. Aber die Vorstellung, daß ein Mann tun muß, was ein Mann tun muß… darin könnte ein Körnchen Wahrheit enthalten sein, auch heutzutage. Auf jeden Fall ist es ein langer Weg zurück ins Paradies, oder nicht, Liebling?

Ja. Ein sehr langer Weg zurück ins Paradies.

»Weshalb lächelst du, Ralph?«

Die Kellnerin, die mit einem riesigen Tablett Essen kam, ersparte ihm, darauf antworten zu müssen. Er bemerkte zum ersten Mal, daß sie einen roten Button am Saum ihrer Schürze stecken hatte. LEBEN IST EINE ALTERNATIVE, stand darauf.

»Werden Sie heute abend die Veranstaltung im Bürgerzentrum besuchen?« fragte Ralph sie.

»Ich bin da«, sagte sie und stellte das Tablett auf den freien Tisch neben ihrem, damit sie die Hände freibekam. »Draußen. Mit einem Schild. Marschieren.«

»Gehören Sie zu den Friends of Life?« fragte Lois, als die Kellnerin Omelettes und Beilagen verteilte.

»Bin ich am Leben?« fragte die Kellnerin.

»Ja, das scheinen Sie durchaus zu sein«, sagte Lois höflich.

»Nun, ich schätze, dann bin ich ein Friend of Life, oder nicht? Jemanden zu töten, der eines Tages vielleicht ein großes Gedicht schreibt oder ein Heilmittel gegen Aids oder Krebs erfinden könnte, ist meiner Meinung nach einfach falsch. Darum werde ich mein Schild hochhalten und darauf achten, daß die Norma-Kamali-Feministinnen und Volvo-Liberalen auch sehen, daß das Wort MORD darauf steht. Sie hassen dieses Wort. Sie benützen es nicht bei ihren Cocktailpartys und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Brauchen Sie Ketchup?«

»Nein«, sagte Ralph. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Ein schwaches grünes Leuchten breitete sich um sie herum aus – es schien fast aus ihren Poren gezischelt zu kommen. Die Auren kamen wieder und erwachten zu vollem, strahlenden Glanz.

»Ist mir’n zweiter Kopf gewachsen, als ich nicht aufgepaßt hab, oder was?« fragte die Kellnerin. Sie ließ den Kaugummi platzen und schob ihn auf die andere Seite des Mundes.

»Ich habe Sie angestarrt, was?« fragte Ralph. Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. »Entschuldigung.«

Die Kellnerin zuckte die derben Schultern, was den oberen Teil ihrer Aura in eine träge, faszinierende Bewegung versetzte. »Ich versuche, mich nicht zu sehr hineinzusteigern, wissen Sie. Meistens tue ich meine Arbeit und halte den Mund. Aber das soll nicht heißen, daß ich kusche. Wissen Sie, wie lange ich schon vor diesem Backsteinschlachthof herumspaziere, und zwar an so heißen Tagen, daß mir der Hintern anfing zu kochen, und in so kalten Nächten, daß ich ihn mir fast abgefroren habe?«

Ralph und Lois schüttelten die Köpfe.

»Seit 1984. Neun lange Jahre. Und ich werde es weitere neun machen, wenn es erforderlich sein sollte. Wissen Sie, was mich an den Befürwortern am meisten aufregt?«

»Was?« fragte Lois leise.

»Es sind dieselben Leute, die Waffen verbieten lassen wollen, damit die Leute sich nicht mehr gegenseitig damit erschießen, die die Gaskammer und den elektrischen Stuhl für verfassungswidrig halten, weil sie eine grausame und ungewöhnliche Strafe darstellen. Das alles sagen sie, und dann gehen sie auf die Straße und unterstützen Gesetze, die Ärzten -Ärzten! – erlauben, einer Frau einen Staubsauger in die Gebärmutter zu schieben und deren ungeborene Söhne und Töchter in Stücke zu reißen. Das regt mich am meisten auf.«

Die Kellnerin sagte das alles – wie eine Ansprache, die sie schon viele Male gehalten hatte -, ohne die Stimme zu heben oder äußerlich auch nur eine Spur von Wut erkennen zu lassen. Ralph hörte ihr nur mit halbem Ohr zu; der größte Teil seiner Aufmerksamkeit galt der hellgrünen Aura, die sie umgab. Aber sie war nicht nur hellgrün. Ein gelblich-schwarzer Fleck drehte sich langsam wie ein schmutziges Wagenrad über der unteren rechten Seite.

Ihre Leber, dachte Ralph. Etwas stimmt mit ihrer Leber nicht.

»Sie möchten doch nicht wirklich, daß Susan Day etwas zustößt, oder?« fragte Lois und sah die Kellnerin mit besorgtem Blick an. »Sie scheinen ein netter Mensch zu sein, und ich bin sicher, das wollten Sie nicht.«

Die Kellnerin seufzte durch die Nase, was zwei dünne Strahlen grünen Dunsts erzeugte. »Ich bin nicht so nett, wie ich aussehe, Schatz. Wenn Gott ihr etwas antun würde, dann wäre ich die erste, die vor Freude Luftsprünge macht und sagt: >Dein Wille geschehe glauben Sie mir. Aber wenn Sie einen Irren wie Charlie Pickering meinen, das ist etwas anderes. So etwas bringt uns alle in Verruf und stellt uns auf eine Stufe mit den Leuten, die wir bekämpfen. Aber Irre wie Pickering sehen das nicht so. Sie sind die Joker im Spiel.«

»Ja«, sagte Ralph. »Joker im Spiel, genau das sind sie.«

»Ich glaube, ich möchte nicht, daß dieser Frau etwas Schlimmes zustößt«, sagte die Kellnerin, »aber es könnte sein. Wirklich. Und wenn ihr etwas passiert, ist sie meiner Meinung nach ganz allein daran schuld. Sie heult mit den Wölfen… und Frauen, die mit den Wölfen heulen, sollten sich nicht wundern, wenn sie gebissen werden.«

Ralph war nicht sicher, ob er danach noch etwas essen wollte, aber sein Appetit schien die Ansichten der Kellnerin zur Abtreibung und zu Susan Day unbeschadet überstanden zu haben. Die Auren erwiesen sich als hilfreich; Essen hatte ihm noch nie so gut geschmeckt, nicht einmal als Teenager, als er fünf oder gar sechs Mahlzeiten täglich zu sich genommen hatte, wenn er sie bekommen konnte.

Lois hielt Bissen für Bissen mit ihm Schritt, jedenfalls eine Weile. Schließlich schob sie die Reste ihrer Bratkartoffeln und die beiden letzten Streifen Speck beiseite. Ralph ging wacker allein in die Zielgerade. Er wickelte das letzte Stück Speck um das letzte Würstchen, schob es sich in den Mund, schluckte und lehnte sich mit einem lauten Seufzen auf dem Stuhl zurück.

»Deine Aura ist zwei Stufen dunkler geworden, Ralph. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, daß du endlich genug hast oder daß du an einer Magenverstimmung sterben wirst.«

»Beides wäre möglich«, sagte er. »Du siehst sie auch wieder, hm?«

Sie nickte.

»Weißt du was?« fragte er. »Am allermeisten auf der Welt würde mir jetzt ein Nickerchen gefallen.« Ja, wahrhaftig. Jetzt, wo er satt und schön warm war, schienen die vergangenen vier Monate weitgehend schlafloser Nächte wie ein Sack voll schwerer Gewichte auf ihm zu liegen. Seine Lider fühlten sich an, als wären sie in Beton getaucht worden.

»Ich glaube, das wäre im Augenblick eine ziemlich schlechte Idee«, sagte Lois erschrocken. »Eine ziemlich schlechte Idee.«

»Wahrscheinlich«, stimmte Ralph zu.

Lois wollte die Hand heben und um die Rechnung bitten, ließ sie aber wieder sinken. »Wie wäre es, wenn wir deinen Freund bei der Polizei anrufen? Leydecker, richtig? Könnte er uns nicht helfen? Würde er uns nicht helfen?«

Ralph dachte, so gründlich sein übermüdeter Verstand es zuließ, darüber nach, dann schüttelte er widerwillig den Kopf. »Ich wage nicht, es zu versuchen. Was könnte ich ihm sagen, das uns nicht ins Irrenhaus bringen würde? Und das ist nur ein Teil des Problems. Wenn er sich einmischen würde… aber in der falschen Weise… könnte er es schlimmer machen statt besser.«

»Er könnte uns im Weg sein.«

»Richtig.«

»Okay.« Lois winkte der Kellnerin. »Wir werden mit offenen Fenstern da raus fahren, und wir werden im Dunkin Donuts in Old Cape Rast machen und zwei riesige Kaffee trinken. Auf meine Rechnung.«

Ralph lächelte. Das Lächeln fühlte sich irgendwie riesig und albern und zusammenhanglos auf seinem Gesicht an fast wie das Lächeln eines Betrunkenen. »Ja, Ma’am.«

Als die Kellnerin herüberkam und die Rechnung verdeckt vor ihn schob, fiel Ralph auf, daß sich der Button mit der Aufschrift LEBEN IST EINE ALTERNATIVE nicht mehr an ihrer Schürze befand.

»Hören Sie«, sagte sie mit einem Ernst, den Ralph beinahe schmerzlich rührend fand, »es tut mir leid, wenn ich Sie vor den Kopf gestoßen habe. Sie sind zum Frühstücken gekommen, und nicht, um sich einen Vortrag anzuhören.«

»Sie haben uns nicht vor den Kopf gestoßen«, sagte Ralph. Er sah über den Tisch zu Lois, die zustimmend nickte.

Die Kellnerin lächelte knapp. »Danke, daß Sie das sagen, aber ich bin trotzdem ziemlich über Sie hergefallen. An jedem anderen Tag hätte ich das nicht getan, aber wir haben heute nachmittag um vier unsere eigene Veranstaltung, und ich muß Mr. Dalton vorstellen. Sie haben mir gesagt, ich hätte drei Minuten Zeit, und ich denke, genau so lange habe ich Sie belabert.«

»Schon gut«, sagte Lois und tätschelte ihr die Hand. »Wirklich.«

Diesmal war das Lächeln der Kellnerin aufrichtiger und wärmer, aber als sie sich abwandte, sah Ralph, wie Lois freudiger Gesichtsausdruck erlosch. Sie betrachtete den schwarzgelben Fleck, der über der rechten Hüfte der Kellnerin schwebte.

Ralph nahm den Kugelschreiber zur Hand, den er an der Brusttasche festgeklemmt hatte, drehte die Papiermatte vor seinem Platz herum und schrieb hastig etwas auf die Rückseite. Als er fertig war, holte er den Geldbeutel heraus und legte vorsichtig einen Fünfdollarschein unter das, was er geschrieben hatte. Wenn die Kellnerin nach dem Trinkgeld griff, konnte es sie nicht übersehen.

Er nahm die Rechnung und schwenkte sie vor Lois. »Da dies unsere erste richtige Verabredung ist, werde ich das wohl übernehmen müssen«, sagte er. »Wenn ich ihr den Fünfer gebe, fehlen mir drei Dollar. Bitte sag mir, daß du nicht pleite bist.«

»Wer, die Pokerkönigin von Ludlow Grange? Sei nicht albern, Püppchen.« Sie gab ihm eine Handvoll verschiedener Geldscheine aus der Handtasche. Während er suchte, was er brauchte, las sie, was er auf die Matte geschrieben hatte:

Madam,

Sie leiden an einer Störung der Leberfunktion und sollten unverzüglich zum Arzt gehen. Und ich gebe Ihnen den guten Rat, heute abend nicht in die Nähe des Bürgerzentrums zu kommen.

»Ziemlich dumm, ich weiß«, sagte Ralph.

Sie gab ihm einen Kuß auf die Nasenspitze. »Es ist nie dumm, wenn man versucht, anderen Menschen zu helfen. Ich liebe dich, Ralph.«

»Danke. Aber sie wird es nicht glauben. Sie wird denken, daß wir trotz unserer Beteuerungen sauer wegen ihrem Button und ihrer kleinen Ansprache waren. Daß das, was ich geschrieben habe, nur eine verschrobene Art ist, es ihr heimzuzahlen.«

»Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sie zu überzeugen.«

Lois betrachtete die Kellnerin – die angelehnt an der Durchreiche zur Küche stand und sich mit dem Koch unterhielt, während sie eine Tasse Kaffee trank – mit einem finsteren Ausdruck der Konzentration. Dabei sah Ralph, wie Lois’ normalerweise blaugraue Aura dunkler wurde und sich zusammenzog; sie wurde zu einer Art Kapsel, die den Körper umgab, statt einer verschwommenen Korona.

Er war nicht ganz sicher, was vor sich ging… aber er konnte es spüren. Seine Nackenhaare richteten sich auf; er bekam eine Gänsehaut auf den Unterarmen. Sie lädt sich auf, dachte er. Sie drückt alle Schalter und schaltet alle Turbinen ein, und das für eine Frau, die sie noch nie vorher gesehen hat und wahrscheinlich auch nie wieder sehen wird.

Nach einem Augenblick spürte die Kellnerin es auch. Sie drehte sich zu ihnen um, als hätte sie gehört, wie ihr Name gerufen worden war. Lois lächelte beiläufig und krümmte die Finger zu einem knappen Winken, aber als sie zu Ralph sprach, bebte ihre Stimme vor Anstrengung. »Ich habe… habe es fast.«

»Was fast?«

»Ich weiß nicht. Was immer ich brauche. Es kommt gleich. Ihr Name ist Zoe, mit zwei Pünktchen über dem e. Geh die Rechnung bezahlen. Versuch sie abzulenken, damit sie mich nicht ansieht. Das macht es schwerer.«

Er fügte sich ihrem Wunsch, und es gelang ihm ziemlich erfolgreich, obwohl Zoe immer über seine Schulter zu Lois schauen wollte. Als sie zum erstenmal versuchte, die Gesamtsumme mit der Registrierkasse aufzurechnen, kam Zoe auf ene Gesamtsumme von $ 234,20. Sie löschte die Zahl mit einer ungeduldigen Bewegung ihres Zeigefingers, und als sie zu Ralph aufsah, war ihr Gesicht blaß und ihr Blick beunruhigt.

»Was ist mit Ihrer Frau?« fragte sie Ralph. »Ich habe mich entschuldigt, oder nicht? Also warum sieht sie mich dauernd so an?«

Ralph wußte, Zoe konnte Lois nicht sehen, weil er förmlich einen Steptanz aufführte, um zwischen den beiden zu bleiben, aber er wußte auch, daß sie recht hatte – Lois starrte wirklich her.

Er versuchte zu lächeln. »Ich weiß nicht, was -«

Die Kellnerin zuckte zusammen und warf dem Koch einen erschrockenen, bösen Blick zu. »Hör auf, so mit den Töpfen zu klappern!« schrie sie, obwohl Ralph aus der Küche nichts anderes als ein Radio hörte, das Fahrstuhlmusik spielte. Zoe sah Ralph wieder an. »Herrgott, das hört sich da hinten an wie der Zweite Weltkrieg. Könnten Sie Ihrer Frau vielleicht sagen, daß es unhöflich ist -«

»Andere Leute anzustarren? Das tut sie nicht. Wirklich nicht.« Ralph ging zur Seite. Lois war zur Tür gegangen, hatte ihnen den Rücken zugedreht und sah zum Fenster hinaus. »Sehen Sie?«

Zoe antwortete eine ganze Weile nicht, aber sie griff zu ihrem Mund, nahm den Kaugummi heraus und warf ihn in den Mülleimer. Das tat sie mit der langsamen, übertriebenen Gestik einer Schlafwandlerin. Schließlich sah sie Ralph wieder an. »Ja, ich sehe es. Warum verziehen Sie beide sich jetzt nicht einfach?«

»Na gut – sind wir noch Freunde?«

»Wie Sie wollen«, sagte Zoe, sah ihn aber nicht an.

Als Ralph zu Lois ging, stellte er fest, daß deren Aura sich wieder bis auf ihr normales, diffuseres Niveau entspannt hatte, aber immer noch viel heller als vorher war.

»Immer noch müde, Lois?« fragte er leise.

»Nein. Mir geht es sogar blendend. Laß uns gehen.«

Als er ihr die Tür aufmachen wollte, hielt er inne. »Hast du meinen Kugelschreiber?«

»Herrje, nein – der muß noch auf dem Tisch liegen.«

Ralph ging ihn holen. Unter seine Nachricht in Blockbuchstaben hatte Lois sechs Sätze mit rollender Kurzschrift nach Palmer geschrieben:

Mit 19 hatten Sie ein Baby und haben es zur Adoption freigegeben. Saint Anne’s in Providence, Rhode. Island. Gehen Sie zu Ihrem Hausarzt, bevor es zu spät ist, Zoe. Kein Witz. Kein Trick. Wir wissen, wovon wir sprechen.

»O Mann«, sagte Ralph, als er wieder bei ihr war. »Das wird ihr einen Heidenschreck einjagen.«

»Wenn sie zum Arzt geht, bevor ihre Leber mit dem Bauch nach oben schwimmt, ist mir das egal.«

Er nickte, und sie gingen hinaus.

»Hast du das mit ihrem Kind erfahren, als du in ihre Aura eingetaucht bist?« fragte Ralph, als sie den laubübersäten Parkplatz überquerten.

Lois nickte. Hinter dem Parkplatz erstrahlte die gesamte East Side von Derry in hellem, kaleidoskopähnlichen Licht. Es kehrte zurück, mit Macht zurück, dieses heimliche, pulsierende Licht. Ralph streckte den Arm aus und legte eine Hand auf die Karosserie des Autos. Als er es berührte, war ihm, als würde er ein glattes Hustenbonbon mit Lakritzgeschmack schmecken.

»Ich glaube nicht, daß ich viel von ihrer… ihrer Substanz genommen habe«, sagte Lois, »aber es war, als hätte ich alles von ihr geschluckt.«

Ralph fiel etwas ein, das er vor nicht allzu langer Zeit in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift gelesen hatte. »Wenn jede Zelle in unserem Körper eine vollständige Blaupause davon in sich trägt, woraus wir bestehen, warum sollte dann nicht jedes Stückchen der Aura eines Menschen eine vollständige Blaupause davon enthalten, was wir sind?«

»Das klingt nicht sehr wissenschaftlich, Ralph.« »Wahrscheinlich nicht.«

Sie drückte seinen Arm und sah grinsend zu ihm auf. »Aber es klingt richtig.«

Er grinste sie ebenfalls an.

»Du mußt auch noch etwas mehr von den Farben nehmen«, sagte sie zu ihm. »Es kommt mir immer noch falsch vor, trotz allem, was die beiden kleinen Männer gesagt haben – wie Stehlen -, aber wenn du es nicht tust, befürchte ich, wirst du einfach umkippen.«

»Sobald ich kann. Im Augenblick möchte ich nur schnellstens nach High Ridge.« Doch kaum saß er am Steuer, schrak seine Hand vor dem Zündschlüssel zurück, kaum daß sie ihn berührt hatte.

»Ralph? Was ist denn?«

»Nichts… alles. Ich kann so nicht fahren. Ich werde uns um einen Telefonmasten wickeln oder bei jemandem im Wohnzimmer landen.«

Er schaute zum Himmel und sah einen der riesigen transparenten Vögel auf der Satellitenschüssel eines nicht weit entfernten Mietshauses auf der anderen Straßenseite sitzen. Ein dünner, zitronengelber Dunst stieg von seinen angelegten, prähistorischen Schwingen auf.

Siehst du das wirklich? fragte ein Teil seines Verstands zweifelnd. Bist du ganz sicher, Ralph? Bist du wirklich, völlig sicher?

Ich sehe es wirklich. Glücklicherweise oder unglücklicherweise sehe ich alles… aber wenn es einen geeigneten Zeitpunkt gibt, so etwas zu sehen, dann nicht jetzt.

Er konzentrierte sich und spürte dieses innere Blinzeln tief in seinem Verstand. Der Vogel verschwand wie das Geisterbild auf einem Fernsehschirm. Die warm leuchtende, über den Morgen ausgebreitete Farbenpalette verlor ihre pulsierende Kraft. Er nahm den anderen Teil der Welt lange genug wahr, daß er sehen konnte, wie die Farben ineinander liefen und einen hellen, grau-blauen Dunst bildeten, den er an dem Tag gesehen hatte, als er mit Joe Wyzer auf Kaffee und Kuchen im Day Break, Sun Down gewesen war – der unscharfe Nimbuseffekt, der seinen Zugang zur Welt der Auren markierte.

Dann war auch der verschwunden. Ralph verspürte das fast erdrückende Bedürfnis, sich zusammenzurollen, den Kopf auf den Arm zu betten und zu schlafen. Statt dessen atmete er in tiefen Zügen, sog jeden etwas tiefer in die Lungen, und drehte den Zündschlüssel herum. Der Motor erwachte mit einem Aufheulen zum Leben, begleitet von dem tickenden Geräusch. Es war jetzt viel lauter.

»Was ist das?« fragte Lois.

»Ich weiß nicht«, sagte Ralph, aber er glaubte, daß er es wußte

– entweder eine Pleuelstange oder ein Kolben. Was auch immer, sie würden in der Tinte sitzen, wenn es schlimmer wurde. Schließlich ließ das Geräusch nach, und Ralph stellte den Schalthebel auf Fahrt. »Gib mir einfach einen festen Stoß, wenn du siehst, daß ich eindöse, Lois.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, sagte sie. »Und jetzt fahren wir.«

Kapitel 21

Das Dunkln Donuts in der Newport Avenue war ein fröhliches rosa Zuckerhäuschen in einer häßlichen Nachbarschaft von Reihenhäusern. Die meisten waren innerhalb eines einzigen Jahres erbaut worden, 1946, und fielen bereits auseinander. Dies war Derrys Old Cape, wo alte Autos, deren Auspufftöpfe mit Draht festgebunden waren, Stoßstangenaufkleber mit Aufschriften wie GEBT MIR NICHT DIE SCHULD, ICH HABE FÜR PEROT GESTIMMT und BIS ZUM ENDE MIT DER N.R.A. trugen; wo kein Haus vollständig war, wenn nicht mindestens ein Big Wheel Spielzeuglaster von Fisher Price auf dem vertrockneten Rasen stand; wo Mädchen mit sechzehn Drogen einwarfen und allzu häufig mit vierundzwanzig stumpfe Augen und dicke Hintern hatten und Mütter von drei Kindern waren.

Zwei Jungs mit neonfarbenen Fahrrädern und extravaganten Lenkern sausten auf dem Parkplatz herum und kreuzten ihre Bahnen mit einem Geschick, das auf solide Übung mit Videospielen und eine mögliche hochdotierte Laufbahn als Fluglotse hindeutete… das heißt, wenn es ihnen gelang, Koks und Autounfällen aus dem Weg zu gehen. Beide trugen die Mützen verkehrt herum. Ralph fragte sich kurz, warum sie an einem Freitagmorgen nicht in der Schule oder zumindest auf dem Weg dorthin waren, kam aber zu dem Ergebnis, daß es ihn nicht interessierte. Sie wahrscheinlich auch nicht.


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