355 500 произведений, 25 200 авторов.

Электронная библиотека книг » Stephen Edwin King » Schlaflos » Текст книги (страница 27)
Schlaflos
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 02:36

Текст книги "Schlaflos"


Автор книги: Stephen Edwin King


Жанры:

   

Ужасы

,

сообщить о нарушении

Текущая страница: 27 (всего у книги 50 страниц)

Du hast ihr etwas von ihrer Lebenskraft statt von ihrem Blut gestohlen, aber Vampir ist Vampir, Ralph.

Ja, wahrhaftig. Und plötzlich fiel Ralph ein, daß dies nicht das erstemal gewesen sein konnte, daß er so etwas getan hatte.

Du siehst verändert aus, Roberts. Irgendwie jünger. Das hatte Mrs. Perrine gerade gesagt, aber seit der Sommer zu Ende ging, bekam er immer wieder ähnliche Bemerkungen zu hören, oder nicht? Der Hauptgrund, weshalb seine Freunde ihn nicht zum Arzt getragen hatten, war der, daß er nicht aussah, als würde ihm etwas fehlen. Er beschwerte sich über seine Schlaflosigkeit, sah aber offenbar aus, als würde er vor Gesundheit strotzen. Ich schätze, die Honigwabe hat wirklich geholfen, was? hatte John Leydecker gesagt, bevor sie beide am Sonntag die Bibliothek verlassen hatten – ihm kam es jetzt so vor, als wäre das noch in der Eisenzeit gewesen. Und als Ralph ihn gefragt hatte, wovon er spreche, hatte Leydecker geantwortet, er spreche von Ralphs Schlaflosigkeit. Sie sehen eine Zillionmal besser aus als am Tag, als wir uns kennenlernten.

Und Leydecker war nicht der einzige gewesen. Ralph hatte sich mehr oder weniger durch den Tag geschleppt und sich übernächtigt, erschöpft und verstümmelt gefühlt… aber die Leute erzählten ihm andauernd, wie gut er aussah, ;vie erfrischt er aussah, wie jung er aussah. Helen… McGovern… sogar Faye Chapin hatte vor ein oder zwei Wochen etwas gesagt, aber Ralph konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, was-»Aber klar doch«, sagte er mit leiser, mißfälliger Stimme. »Er hat mich gefragt, ob ich Faltencreme benütze. Faltencreme, um Gottes willen!«

Hatte er damals schon die Lebenskraft von anderen gestohlen? Sie gestohlen, ohne es zu wissen?

»So muß es sein«, sagte er mit derselben leisen Stimme. »Großer Gott, ich bin ein Vampir.«

Aber war das das richtige Wort? fragte er sich plötzlich. War es nicht immerhin denkbar, daß man in der Welt der Auren einen Dieb, der Lebenskraft stahl, einen Zenturio nannte?

Eds blasses, hektisches Gesicht tauchte vor ihm auf wie ein Geist, der zurückkehrt, um seinen Mörder anzuklagen, und Ralph, der plötzlich schreckliche Angst hatte, schlang die Arme um die Knie, ließ den Kopf sinken und legte ihn darauf.

Kapitel 15

Um zwanzig Minuten vor sieben stoppte ein perfekt erhaltener Lincoln Town Car aus den siebziger Jahren am Bordstein vor Lois’ Haus. Ralph – der die letzte Stunde damit verbracht hatte, zu duschen, sich zu rasieren, und der versucht hatte, sich zu beruhigen – stand auf der Veranda und sah zu, wie Lois vom Rücksitz ausstieg. Man sagte sich auf Wiedersehen, und mädchenhaftes, schrilles Gelächter wurde ihm mit dem Wind zugetragen.

Der Lincoln fuhr weg, und Lois ging den Fußweg zu ihrem Haus entlang. Auf halbem Weg blieb sie stehen und drehte sich um. Eine ganze Weile betrachteten die beiden sich von ihren gegenüberliegenden Positionen auf der Harris Avenue und sahen trotz der hereinbrechenden Dunkelheit und der zweihundert Meter, die sie voneinander trennten, ausgezeichnet. Sie leuchteten in dieser Dunkelheit füreinander wie Fackeln.

Lois deutete mit dem Finger auf ihn. Die Geste ähnelte der, mit der sie auf Doc Nr. 3 geschossen hatte, aber das beunruhigte Ralph nicht im geringsten.

Absicht, dachte er verträumt. Alles liegt in der Absicht. Es gibt wenige Fehler auf dieser Welt… und wenn man sich erst einmal auskennt, gibt es vielleicht gar keine Fehler mehr.

Ein schmaler, grau leuchtender Energiestrahl kam aus Lois’ Finger und bahnte sich einen Weg durch die dunklen Schatten der Harris Avenue. Ein vorbeifahrendes Auto durchquerte ihn unbeschadet. Die Fenster des Autos leuchteten kurz grell und grau auf, und die Scheinwerfer schienen einen Moment zu flackern, aber das war alles.

Ralph hob ebenfalls einen Finger, aus dem ein blauer Strahl hervorschoß. Diese beiden gebündelten Lichtstrahlen trafen sich in der Mitte der Harris Avenue und schlangen sich umeinander wie wilder Wein. Der geflochtene Zopf stieg immer höher und höher, wobei er leicht verblaßte. Dann krümmte Ralph den Finger, und seine Hälfte des Liebesknotens verschwand. Einen Moment später erlosch Lois’ Hälfte ebenfalls. Ralph ging langsam die Verandatreppe hinunter und über seinen Rasen. Lois kam ihm entgegen. Sie trafen sich mitten auf der Straße… wo sie einander in einem durchaus realen Sinne bereits getroffen hatten. Ralph legte die Arme um ihre Taille und küßte sie.

Du siehst verändert aus, Roberts. Irgendwie jünger.

Diese Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn – sie wiederholten sich wie eine Endlosbandschleife -, als Ralph in Lois’ Küche saß und Kaffee trank. Er konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Sie sah problemlos zehn Jahre jünger und zehn Pfund leichter als die Lois aus, an die er sich in den vergangenen Jahren gewöhnt hatte. Hatte sie heute morgen im Park schon so jung und hübsch ausgesehen? Ralph glaubte es nicht, aber selbstverständlich war sie heute morgen durcheinander gewesen und hatte geweint, und er vermutete, daß das schon etwas ausmachte.

Trotzdem…

Ja, trotzdem. Das Netz winziger Fältchen um ihren Mund herum war verschwunden. Ebenso die beginnenden Truthahnhautfalten am Hals und das erschlaffte Fleisch an den Oberarmen. Heute morgen hatte sie geweint, und heute abend strahlte sie vor Glück, aber Ralph wußte, das konnte unmöglich alle Veränderungen erklären, die er sah.

»Ich weiß, was du siehst«, sagte Lois. »Es ist unheimlich, nicht? Ich meine, es beantwortet die Frage, ob wir uns alles nur eingebildet haben oder nicht, aber es ist trotzdem unheimlich. Wir haben den Jungbrunnen gefunden. Vergiß Florida; er ist die ganze Zeit hier in Derry gewesen.«

»Wir haben ihn gefunden?«

Einen Augenblick sah sie nur überrascht aus… und ein wenig argwöhnisch, als würde sie denken, daß er sie auf den Arm nahm, sich über sie lustig machte. Sie als »unsere Lois« behandelte. Dann streckte sie die Hand über den Tisch aus und drückte seine. »Geh ins Bad. Schau dich an.«

»Ich weiß, wie ich aussehe. Verdammt, ich habe mich gerade eben erst rasiert. Und ich habe mir dabei richtig Zeit gelassen.«

Sie nickte. »Du hast es gut gemacht, Ralph… aber es geht hier nicht um deinen Fünf-Uhr-Bartschatten. Schau dich nur an.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ja«, sagte sie nachdrücklich. »Mein voller Ernst.«

Er war fast an der Tür angelangt, als sie sagte: »Du hast dich nicht nur rasiert, du hast auch das Hemd gewechselt. Das ist gut. Ich wollte nichts sagen, aber das karierte war zerrissen.«

»Tatsächlich?« fragte Ralph. Er hatte ihr den Rücken zugedreht, so daß sie sein Lächeln nicht sehen konnte. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«

Er stand mit auf das Waschbecken gestützten Händen vor dem Spiegel und betrachtete sein Gesicht fast zwei Minuten lang. So lange brauchte er, um sich einzugestehen, daß er wirklich sah, was er zu sehen glaubte. Die schwarzen, wie Krähenfedern glänzenden Strähnen in seinem Haar waren erstaunlich genug, ebenso die Tatsache, daß die häßlichen Tränensäcke unter seinen Augen verschwunden waren, aber er kam nicht darüber hinweg, wie die Linien und tiefen Runzeln auf seinen Lippen sich geglättet hatten. Es war eine Kleinigkeit… aber es war auch etwas Gigantisches. Er sah den Mund eines jungen Mannes. Und…

Plötzlich steckte sich Ralph einen Finger in den Mund und fuhr an der rechten unteren Zahnreihe entlang. Er konnte nicht völlig sicher sein, aber ihm schien, als wären sie länger, als wäre ein Teil der Abnutzung rückgängig gemacht worden.

»Ach du Scheiße«, murmelte Ralph, und seine Gedanken kehrten zu jenem drückend heißen Tag im vergangenen Sommer zurück, als er Ed Deepneau in dessen Vorgarten gegenübergetreten war. Ed hatte ihn zuerst gebeten, sich einen Stuhl ranzuziehen, und ihm dann eröffnet, daß Derry von bösen, babytötenden Kreaturen heimgesucht wurde. Lebensstehlenden Kreaturen. Alle Kraftlinien laufen hier zusammen, hatte Ed ihm gesagt. Ich weiß, das ist schwer zu glauben, aber es stimmt.

Ralph stellte fest, daß es immer leichter zu glauben war. Immer schwerer zu glauben fiel ihm dagegen, daß Ed verrückt sein sollte.

»Wenn das nicht aufhört«, sagte Lois von der Tür und erschreckte ihn, »müssen wir heiraten und die Stadt verlassen, Ralph. Simone und Mina konnten – buchstäblich – keinen Blick von mir nehmen. Ich habe eine Menge über ein neues Makeup erzählt, das ich angeblich im Einkaufszentrum gekauft habe, aber sie haben es nicht geschluckt. Ein Mann hätte es, aber eine Frau weiß, was man mit Make-up machen kann. Und was nicht.«

Sie gingen in die Küche zurück, und obwohl die Auren vorläufig wieder verschwunden waren, stellte Ralph fest, daß er doch eine sehen konnte: eine Röte, die aus dem Kragen von Lois’ weißer Seidenbluse aufstieg.

»Schließlich erzählte ich ihnen das einzige, das sie glauben würden.«

»Und das wäre?« fragte Ralph.

»Ich sagte, ich hätte einen Mann kennengelernt.« Sie zögerte, und als das aufsteigende Blut ihre Wangen erreicht und rosa gefärbt hatte, kam sie zur Sache. »Und daß ich mich in ihn verliebt hätte.«

Er berührte sie am Arm und drehte sie zu sich um. Er betrachtete die kleine, saubere Falte in ihrer Ellbogenbeuge und überlegte sich, wie gerne er sie mit dem Mund berühren würde. Oder mit der Zungenspitze. Dann sah er ihr in die Augen. »Und ist es wahr?«

Sie erwiderte den Blick mit Augen voll Hoffnung und Offenheit. »Ich glaube es«, sagte sie mit leiser, deutlicher Stimme, »aber alles ist jetzt so seltsam. Ich weiß nur mit Sicherheit, ich möchte, daß es wahr ist. Ich möchte einen Freund haben. Ich bin schon eine ganze Weile ängstlich und unglücklich und einsam. Die Einsamkeit ist das Schlimmste am Älterwerden, glaube ich – nicht die Leiden und Schmerzen, nicht die eingerosteten Gedärme oder daß man kurzatmig ist, wenn man eine Treppe hinaufgehen mußte, die man mit zwanzig hinauigeflogen wäre, sondern die Einsamkeit.« »Ja«, sagte Ralph. »Das ist das Schlimmste.« »Niemand redet mehr mit einem – oh, sie sagen manchmal etwas zu einem, aber das ist nicht dasselbe – und meistens ist es, als würden die Leute einen nicht mal sehen. Ist es dir nicht auch schon so gegangen?«

Ralph dachte an das Derry der Altvorderen, eine Stadt, die von der hektischen, betriebsamen Welt ringsum weitgehend ignoriert wurde, und nickte. »Ralph, würdest du mich in den Arm nehmen?« »Mit Vergnügen«, sagte er, zog sie sanft zu sich und legte die Arme um sie.

Einige Zeit später saßen Ralph und Lois zerzaust und benommen, aber glücklich auf der Couch im Wohnzimmer, ein derart rigoros hobbitgroßes Möbelstück, daß es eigentlich kaum mehr als ein Zweiersessel war. Den beiden machte es nichts aus. Ralph hatte Lois einen Arm um die Schultern gelegt. Sie hatte ihr Haar aufgemacht, und er drehte eine Locke davon in seinen Fingern und dachte darüber nach, wie leicht man vergaß, wie sich Frauenhaar anfühlte – so völlig anders als Männerhaare. Sie hatte ihm von ihrem Kartenspiel erzählt, und Ralph hatte aufmerksam zugehört, erstaunt, aber, wie er feststellte, nicht überrascht.

Etwa ein Dutzend Frauen spielten regelmäßig jede Woche im Ludlow Grange um kleine Summen. Es war möglich, daß man mit fünf Dollar Verlust oder zehn Dollar Gewinn nach Hause ging, aber meistens lag man bei Spielende einen Dollar vorn oder ein bißchen Kleingeld hinten. Zwar gab es einige gute Spieler und einige Flaschen (Lois zählte sich zu ersteren), aber hauptsächlich ging es nur darum, einen heiteren Nachmittag zu verbringen – die Damenversion der Schachturniere und Romme-Marathons, wie sie die Altvorderen pflegten.

»Aber heute nachmittag konnte ich einfach nicht verlieren. Ich hätte eigentlich völlig pleite nach Hause kommen müssen, wo mich alle ständig fragten, was für Vitamine ich zu mir nähme und wo ich mir das Gesicht hätte liften lassen und dergleichen. Wer kann sich auf ein albernes Kartenspiel konzentrieren, wenn man ständig neue Lügen erzählen und darauf achten muß, daß man sich nicht in die verstrickt, die man bereits erzählt hat?« »Muß schwer gewesen sein«, sagte Ralph und bemühte sich, nicht zu grinsen.

»Das war es. Sehr schwer! Aber statt zu verlieren, habe ich immer mehr eingesackt. Und weißt du, warum, Ralph?«

Er wußte es, schüttelte aber den Kopf, damit sie es ihm sagen konnte. Er hörte ihr gerne zu.

»Wegen ihrer Auren. Ich wußte nicht immer genau, welche Karten sie hatten, aber meistens schon. Und selbst wenn ich es nicht wußte, hatte ich eine gute Vorstellung davon, wie ihr Blatt aussah. Die Auren waren nicht immer da, du weißt ja, sie kommen und gehen, aber selbst wenn sie nicht da waren, spielte ich besser als jemals vorher in meinem Leben. In der letzten Stunde verlor ich absichtlich, damit sie mich nicht alle haßten. Und weißt du was? Selbst absichtlich zu verlieren ist mir schwergefallen.« Sie betrachtete ihre Hände, die sie nervös im Schoß knetete. »Und auf dem Rückweg habe ich etwas getan, wofür ich mich schäme.«

Ralph sah ihre Aura wieder, ein vager grauer Geist, in dem ungeformte dunkelblaue Klumpen schwebten. »Bevor du es mir erzählst«, sagte er, »hör dir das an und sag mir, ob es etwas Ähnliches ist.«

Er schilderte ihr, wie Mrs. Perrine vorbeigekommen war, als er auf der Veranda saß, Bohnen und Würstchen aus dem Topf aß und darauf wartete, daß Lois zurückkam. Als er ihr erzählte, was er der alten Frau angetan hatte, senkte er den Blick und spürte, wie seine Ohren wieder warm wurden.

»Ja«, sagte sie, als er fertig war. »Dasselbe habe ich getan… aber ich wollte es nicht, Ralph… jedenfalls glaube ich nicht, daß ich es wollte. Ich saß mit Mina auf dem Rücksitz, und sie hörte nicht mehr auf damit, wie verändert ich aussähe, wie jung ich aussähe, und ich dachte mir – ich schäme mich, es laut auszusprechen, aber ich sollte es wohl besser -, ich dachte mir: >Ich stopf dir das Maul, du naseweise, neidische alte Eule. Denn es war Neid, Ralph. Ich sah es ihrer Aura an. Große, spitze Dornen in der Farbe von Katzenaugen. Kein Wunder, daß man Eifersucht das Ungeheuer mit den grünen Augen nennt! < Wie dem auch sei, ich deutete zum Fenster hinaus und sagte: >Oh, Mina, ist das nicht ein entzückendes kleines Häuschen?< Und als sie sich umdrehte und nachsah, da habe ich… ich getan, was du getan hast, Ralph. Nur habe ich nicht die Hand zum Trichter geformt, ich habe einfach nur die Lippen geschürzt… etwa so…« Sie führte es vor und machte einen derartigen Kußmund, daß Ralph sich veranlaßt (fast genötigt) sah, sich den Ausdruck zunutze zu machen. »… und ich atmete eine große Wolke ihrer Aura ein.«

»Was ist passiert?« fragte Ralph fasziniert und ängstlich.

Lois lachte bedrückt. »Mit mir oder ihr?«

»Mit euch beiden.«

»Mina zuckte zusammen und schlug sich in den Nacken. >Da sitzt ein Käfer auf mir!<« sagte sie. >Er hat mich gebissen! Nimm ihn weg, Lo! Bitte nimm ihn weg!< Selbstverständlich saß kein Käfer auf ihr – ich war der Käfer -, aber ich strich ihr trotzdem über den Hals, machte das Fenster auf und sagte ihr, er wäre dort, er wäre weggeflogen. Sie kann von Glück sagen, daß ich ihr nicht das Gehirn rausgehauen habe, statt nur über ihren Nacken zu streichen – so voller Pep war ich. Mir war, als hätte ich die Autotür aufreißen und den ganzen Weg nach Hause laufen können.«

Ralph nickte.

»Es war wunderbar… zu wunderbar. Wie in den Geschichten über Drogen, die man im Fernsehen sieht, wie sie einen zuerst in den Himmel bringen und dann in die Hölle. Was ist, wenn wir damit anfangen und nicht mehr aufhören können?«

»Ja«, sagte Ralph. »Und wenn es den Leuten schadet? Ich muß immerzu an Vampire denken.«

»Weißt du, woran ich denken muß?« Lois hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Was du mir erzählt hast, wovon Ed gesprochen hat. Diese Zenturionen. Was ist, wenn wir das sind, Ralph? Was ist, wenn wir das sind?«

Er umarmte sie und küßte sie auf den Kopf. Daß er seine schlimmste Befürchtung aus ihrem Munde hörte, machte es ihm etwas leichter ums Herz, und da mußte er wieder daran denken, wie Lois gesagt hatte, die Einsamkeit sei das Schlimmste am Älterwerden.

»Ich weiß«, sagte er. »Und am schlimmsten finde ich, daß das, was ich mit Mrs. Perrine gemacht habe, einfach impulsiv geschah – ich kann mich nicht erinnern, daß ich darüber nachgedacht habe, ich habe es einfach getan. War es bei dir genauso?«

»Ja. Einfach so.« Sie legte den Kopf an seine Schulter.

»Wir dürfen es nicht mehr tun«, sagte er. »Es könnte wirklich süchtig machen. Alles, was so gut tut, muß süchtig machen, findest du nicht auch? Und wir müssen versuchen, einen Schutzmechanismus zu entwickeln, damit wir es nicht unbewußt tun. Ich glaube nämlich, daß ich das getan habe. Es könnte der Grund dafür sein, weshalb -«

Quietschende Bremsen und kreischende Reifen unterbrachen ihn. Sie sahen einander mit großen Augen an, während draußen auf der Straße das Geräusch nicht aufhören wollte, und das Auto nach einem Aufprallpunkt zu suchen schien.

Laß nicht zu, daß es passiert, betete Ralph. Bitte laß nicht zu, daß es passiert, und wenn es denn sein muß, dann laß nicht Bill McGovern am Ende dieser Bremsspur sein.

Aber Ralph hatte schreckliche Angst, daß er es sein würde.

Ein gedämpftes Klatschen ertönte auf der Straße, als das Quietschen von Bremsen und Reifen verstummte. Es folgte ein kurzer Schrei von einer Frau oder einem Kind, Ralph konnte es nicht genau sagen. Jemand anders schrie: »Was ist passiert?« Und dann: »O Gott!« Schritte hallten auf dem Bürgersteig.

»Bleib auf der Couch«, sagte Ralph und eilte zum Wohnzimmerfenster. Als er das Rollo hochzog, stand Lois direkt neben ihm, und Ralph verspürte einen Anflug von Bewunderung. Carolyn hätte unter diesen Umständen nicht anders gehandelt.

Sie sahen in eine nächtliche Welt hinaus, in der seltsame Farben und wundersame Bewegungen pulsierten. Ralph wußte, sie würden Bill sehen, er wußte es – Bill, der von einem Auto überfahren worden war und tot auf der Straße lag, der Panama mit der angebissenen Krempe neben einer ausgestreckten Hand. Er legte einen Arm um Lois, und sie hielt seine Hand.

Aber es war nicht McGovern, der im Lichtkegel der Scheinwerfer des Ford lag, der schräg auf der Harris Avenue stand; es war Rosalie. Ihre frühmorgendlichen Spaziergänge waren vorbei. Sie lag in einer wachsenden Blutlache auf der Seite, und ihr Rücken war an mehreren Stellen geknickt und verkrümmt. Als der Fahrer des Autos, das sie angefahren hatte, neben dem alten Streuner niederkniete, erhellte der unbarmherzige Schein der nächsten Straßenlaterne sein Gesicht. Es war Joe Wyzer, der Apotheker von Rite Aid, in dessen orangegelber Aura nun rote und blaue Schnörkel der Verwirrung kreisten. Er streichelte die Seite der alten Hündin, und jedesmal, wenn seine Hand in die häßliche schwarze Aura eindrang, die das Tier umgab, verschwand sie.

Alptraumähnliches Grauen durchlief Ralph, senkte seine Temperatur und ließ seine Hoden schrumpfen, bis sie sich wie kleine harte Pfirsichkerne anfühlten. Plötzlich war es wieder Juli 1992, Carolyn starb, die Todesuhr tickte, und etwas Unheimliches geschah mit Ed Deepneau. Ed war ausgeflippt, und Ralph hatte versucht, Helens normalerweise gutmütigen Ehemann daran zu hindern, den Mann mit der Mütze von West Side Gardeners anzufallen, um ihm die Kehle zu zerfleischen. Dann – das Sahnehäubchen auf der Charlotte russe, wie Carolyn gesagt hätte – war Dorrance Marstellar dazugekommen. Der alte Dor. Und was hatte er gesagt?

Ich an deiner Stelle würde ihn nicht mehr anfassen. Ich kann deine Hände nicht sehen.

Ich kann deine Hände nicht sehen.

»O mein Gott«, flüsterte Ralph.

Lois schwankte, als würde sie ohnmächtig werden, und das holte ihn ins Hier und Jetzt zurück.

»Lois!« sagte er schneidend und hielt sie am Arm fest. »Lois, alles in Ordnung?«

»Ich glaube schon… aber Ralph… siehst du…«

»Ja, es ist Rosalie. Ich glaube, sie ist…«

»Ich meine nicht sie; ich meine ihn!« Sie deutete nach rechts.

Doc Nr. 3 lehnte an der Motorhaube von Joe Wyzers Ford und hatte McGoverns Panama keck auf dem kahlen Schädel nach hinten geschoben. Er sah zu Ralph und Lois, grinste frech, dann hielt er langsam den Daumen an die Nase und bewegte die Finger zappelnd in ihre Richtung.

»Du Dreckskerl!« schrie Ralph und schlug hilflos mit der Faust auf die Wand neben dem Fenster.

Ein halbes Dutzend Leute liefen zum Schauplatz des Unfalls, aber sie konnten nichts tun; Rosalie würde sterben, bevor die ersten auch nur in die Nähe der Stelle kamen, wo sie im Licht der Scheinwerfer lag. Die schwarze Aura verfestigte sich und wurde zu etwas, das fast wie rußgeschwärzter Backstein aussah. Sie hüllte sie ein wie ein maßgeschneidertes Leichentuch, und Wyzers Hand verschwand jedesmal, wenn sie durch das gräßliche Kleidungsstück glitt, bis zum Gelenk.

Jetzt hob Doc Nr. 3 die Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger und legte den Kopf schief – eine schulmeisterliche Pantomime, die so gut war, daß sie fast laut zu sagen schien: Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Er schlich auf Zehenspitzen näher völlig unnötig, da ihn die Leute da unten sowieso nicht sehen konnte, aber ungeheuer dramatisch – und streckte die Hand nach Joe Wyzers Gesäßtasche aus. Er drehte sich zu Ralph und Lois um, als wollte er sich vergewissern, daß sie ihm nach wie vor ihre Aufmerksamkeit schenkten. Dann schlich er wieder auf Zehenspitzen näher und streckte die linke Hand aus.

»Du mußt ihn aufhalten, Ralph«, stöhnte Lois. »O bitte, du mußt ihn aufhalten.«

Ralph hob langsam die Hand, wie ein Mann, der unter Drogen steht, und ließ sie heruntersausen. Ein blauer Lichtstrahl sauste aus seinen Fingerspitzen, aber er wurde unscharf, als er durch die Fensterscheibe drang. Pastellf arbener Nebel breitete sich ein Stück von Lois’ Haus entfernt aus und verschwand. Der kahlköpfige Arzt bewegte den Finger in einer nervtötenden Pantomime – Oh, du böser Bube, sagte sie.

»Nützt nichts«, sagte Ralph.

Doc Nr. 3 streckte wieder die Hand aus und holte etwas aus Wyzers Tasche, während dieser auf der Straße kniete und um den Hund trauerte. Ralph wußte nicht mit Sicherheit, was es war, bis die Kreatur im schmutzigen Kittel McGoverns Hut vom Kopf zog und so tat, als würde sie den Gegenstand, den sie gerade gestohlen hatte, durch das nichtvorhandene Haar ziehen. Es war ein schwarzer Taschenkamm, wie man sie für einen Dollar im Kramladen kaufen konnte. Dann sprang Doc Nr. 3 in die Luft und schlug die Hacken zusammen wie ein bösartiger Kobold.

Rosalie hatte den Kopf gehoben, als der kahlköpfige Arzt nähergekommen war. Jetzt legte sie ihn wieder auf den Asphalt und starb. Die Aura, die sie umgab, verschwand sofort, sie verblaßte nicht, sondern platzte einfach wie eine Seifenblase. Wyzer stand auf, drehte sich zu einem Mann um, der am Bordstein stand, und erzählte ihm was passiert war, wobei er mit den Händen gestikulierte und zeigte, wie ihm der Hund vors Auto gelaufen war. Ralph stellte fest, dass er tatsächlich eine Kette von sechs Worten lesen konnte, die über Wyzers Lippen kamen: schien aus dem Nichts zu kommen.

Und als Ralph seinen Blick wieder auf die Seite von Wyzers Auto richtete, stellte er fest, daß der kleine kahlköpfige Arzt dorthin gegangen war.

Kapitel 16

Es gelang Ralph, seinen rostigen Oldsmobile anzulassen, aber er brauchte trotzdem noch zwanzig Minuten, bis er sie beide quer durch die Stadt zum Derry Home in der East Side gebracht hatte. Carolyn hatte seine wachsenden Zweifel an seiner Fahrtüchtigkeit verstanden und versucht, Rücksicht drauf zu nehmen, aber sie hatte eine ungeduldige, hektische Ader in sich gehabt, die im Lauf der Jahre nicht schwächer geworden war. Wenn eine Fahrt länger als eine halbe Meile war, hatte sie sich selten zurückhalten können. Sie köchelte eine Zeitlang schweigend und nachdenklich vor sich hin, und dann fing sie an zu kritisieren. Wenn sie besonders unzufrieden mit seiner Fahrweise war, konnte sie ihn fragen, ob seiner Ansicht nach ein Einlauf helfen würde, das Blei aus seinem Hintern zu bekommen. Sie war ein reizendes Ding, aber sie hatte immer eine spitze Zunge gehabt.

Nach so einer Bemerkung bot Ralph jedesmal – und ohne verängstigt zu sein – an, rechts ran zu fahren und sie weiterfahren zu lassen. Dieses Angebot hatte Carol stets abgelehnt. Ihrer Überzeugung nach war es, zumindest bei kurzen Ausflügen, die Aufgabe des Ehemanns, zu fahren, und die der Frau, konstruktive Kritik zu üben.

Er wartete die ganze Zeit darauf, daß Lois eine Bemerkung über seine Geschwindigkeit oder seine Unaufmerksamkeit machen würde (er glaubte, selbst wenn ihm jemand eine Waffe an den Kopf hielte, würde er heutzutage nicht jedesmal daran denken, den Blinker zu setzen), aber sie sagte nichts sie saß nur auf dem Sitz, wo Carolyn bei fünftausend oder mehr Fahrten gesessen hatte, und hielt genau wie Carolyn die Handtasche auf dem Schoß. Das Spiel der Lichter -Neonreklamen, Ampeln, Straßenlampen – glitt wie Regenbogen über Lois’ Wangen und Stirn. In ihren dunklen Augen lag ein distanzierter und nachdenklicher Ausdruck. Sie hatte geweint, als Rosalie gestorben war, hemmungslos geweint, und Ralph hatte das Rollo wieder herunterlassen müssen.

Das hätte Ralph fast nicht getan. Sein erster Impuls war gewesen, auf die Straße zu laufen, bevor Joe Wyzer wegfahren konnte. Um Joe zu sagen, daß er vorsichtig sein mußte. Um ihm zu sagen, wenn er heute abend die Hosentaschen leerte, würde er feststellen, daß ein billiger Kamm fehlte, kein Beinbruch, die Leute verloren ständig solche Kämme, aber diesmal war es ein Beinbruch, und nächstesmal konnte Joe Wyzer, Apotheker bei Rite Aid, am Ende einer Bremsspur auf der Straße liegen. Hören Sie mir zu, Joe, und hören Sie mir gut zu. Sie müssen besonders vorsichtig sein, denn es gibt jede Menge Neuigkeiten aus der Hyperrealitäts-Zone, und in Ihrem Fall stehen sie alle in einem schwarzen Rahmen.

Aber das hätte gewisse Probleme aufgeworfen. Das größte war, so verständnisvoll Joe Wyzer an dem Tag gewesen war, als er Ralph den Termin beim Akupunkteur verschafft hatte, er würde Ralph für verrückt halten. Und außerdem, wie sollte man sich vor einem Wesen schützen, das man noch nicht mal sehen konnte?

Also hatte er das Rollo heruntergelassen… aber zuvor hatte er einen letzten prüfenden Blick auf den Mann geworfen, der ihm gesagt hatte, er sei früher einmal Joe Wyze gewesen, aber heute sei er älter und Wyzer. Die Auren waren noch da, und er konnte Wyzers Ballonschnur sehen, hell gelborange, die unversehrt von seinem Scheitel emporstieg. Demnach war noch alles in Ordnung mit ihm.

Jedenfalls vorläufig.

Ralph hatte Lois in die Küche geführt und ihr noch eine Tasse Kaffee eingeschenkt – schwarz, mit viel Zucker.

»Er hat sie getötet, nicht wahr?« fragte sie, als sie die Tasse mit beiden Händen an die Lippen führte. »Das kleine Biest hat sie getötet.«

»Ja. Aber ich glaube nicht, daß er es heute nacht getan hat. Ich glaube, in Wirklichkeit hat er es schon heute morgen getan.« »Warum? Warum?«

»Weil er es konnte«, sagte Ralph grimmig. »Ich glaube, einen anderen Grund braucht er nicht. Nur weil er es konnte.«

Lois hatte ihn mit einem langen, abschätzenden Blick angesehen, und ihr Gesicht nahm allmählich einen erleichterten Ausdruck an. »Du bist dahintergekommen, richtig? Ich hätte es in dem Moment wissen müssen, als ich dich heute abend gesehen habe. Ich hätte es gewußt, wenn mir nicht so viele andere Dinge durch meinen dummen alten Kopf gegangen wären.«

»Dahintergekommen? Davon bin ich noch meilenweit entfernt, aber einiges habe ich mir zuammengereimt. Lois, hast du Lust, mit mir ins Derry Home zu fahren?«

»Gerne. Möchtest du Bill besuchen?«

»Ich bin nicht sicher, wen ich besuchen möchte. Es könnte Bill sein, aber auch Bills Freund Bob Polhurst. Vielleicht sogar Jimmy Vandermeer – du kennst ihn doch?«

»Jimmy V.? Natürlich kenne ich ihn. Seine Frau kannte ich noch besser. Sie hat bis zu ihrem Tod mit uns Poker gespielt. Ein Herzanfall, und so plötzlich -« Sie verstummte unvermittelt und sah Ralph mit ihren dunklen spanischen Augen an. »Jimmy liegt im Krankenhaus? O Gott, es ist der Krebs, richtig? Der Krebs hat wieder angefangen.«

»Ja. Er liegt im Zimmer gleich neben Bills Freund.« Ralph erzählte ihr von der Unterhaltung mit Faye heute morgen und dem Zettel, den er am Nachmittag auf dem Picknickplatz gefunden hatte. Er wies auf die seltsame Konstellation der Zimmer und ihrer Bewohner hin – Polhurst, Jimmy V., Carolyn und fragte Lois, ob sie das für einen Zufall hielte.

»Nein. Ich bin sicher, daß es keiner ist.« Sie hatte auf die Uhr gesehen. »Komm mit – ich glaube, die reguläre Besuchszeit endet um halb zehn. Wenn wir vorher dort sein wollen, sollten wir uns besser beeilen.«

Als er jetzt in die Zufahrt zum Krankenhaus einbog (Du hast wieder vergessen den Blinker zu setzen, Herzblatt, bemerkte Carolyn), sah er Lois an – Lois, die ihre Handtasche umklammerte und deren Aura gerade nicht zu sehen war – und fragte sie, ob es ihr gut gehe.

Sie nickte. »Ja. Nicht gerade toll, aber einigermaßen. Mach dir um mich keine Sorgen.«

Aber ich mache mir Sorgen, Lois, dachte Ralph. Jede Menge. Und übrigens, hast du gesehen wie Doc Nr. 3 Joe Wyzer den Kamm aus der Tasche genommen hat?

Das war eine dumme Frage. Natürlich hatte sie es gesehen. Der kahle Gnom hatte gewollt, daß sie es sah. Er wollte, daß sie es beide sahen. Die wichtige Frage war, wieviel Bedeutung hatte sie dem beigemessen?

Wieviel weißt du wirklich, Lois? Wie viele Zusammenhänge hast du hergestellt? Das frage ich mich, denn eigentlich sind sie nicht so schwer zu sehen.

Er stellte fest, daß er Angst davor hatte, sie zu fragen.

Ein flaches Backsteingebäude lag etwa eine Viertelmeile entfernt an dem Zubringer – Woman-Care. Einige Scheinwerfer (neu aufgestellt, da war er ganz sicher) beleuchteten den Rasen, und Ralph konnte zwei Männer mit grotesk langen Schatten davor auf und ab marschieren sehen… Wachpersonal, vermutete er. Eine weitere Neuerung; ein weiteres böses Omen.

Er bog nach links ab (diesmal dachte er wenigstens an den Blinker) und fuhr mit dem Olds vorsichtig die Rampe zum Parkhaus des Hospitals hinauf. Oben versperrte eine orangefarbene Schranke den Weg. BITTE HALTEN UND PARKSCHEIN ZIEHEN stand auf einem Schild daneben. Ralph konnte sich noch erinnern, als richtige Menschen an solchen Orten gesessen hatten, was sie ein bißchen weniger unheimlich machte. Those were the days, myfriend, we thought they’d never end, dachte er, als er die Scheibe hinunterkurbelte und einen Parkschein aus dem automatischen Spender zog.


    Ваша оценка произведения:

Популярные книги за неделю