Текст книги "Todesschrein"
Автор книги: Clive Cussler
Соавторы: Graig Dirgo
Жанр:
Триллеры
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TEIL Eins
1
Lieutenant Chris Hunt sprach nur selten über seine Vergangenheit, doch die Männer, mit denen er Dienst tat, hatten seinem Auftreten einige Hinweise entnehmen können. Der erste war, dass Hunt keineswegs aus irgendeinem verschlafenen Provinznest stammte und die Armee dazu benutzte, die Welt zu sehen. Er kam aus Südkalifornien. Und wenn man ihn mit Fragen bedrängte, äußerte Hunt, in der Los-Angeles-Regionaufgewachsen zu sein, da er nicht publik machen wollte, dass er seine Jugend in Beverly Hills verbracht hatte. Das Zweite, was den Männern auffiel, war die Tatsache, dass Hunt eine Führerpersönlichkeit war – weder war er herablassend, noch spielte er den in allen Dingen Überlegenen, allerdings versuchte er auch gar nicht erst zu kaschieren, dass er kompetent und intelligent war.
Das Dritte fanden die Männer an diesem Tag heraus.
Ein eisiger Wind wehte von den Bergen in dieses Tal in Afghanistan, wo der Zug unter Hunts Kommando damit beschäftigt war, sein Lager abzubrechen. Hunt und drei andere Soldaten schlugen sich mit einer Zeltplane herum, die sie zusammenfalten wollten, um sie verpacken zu können. Während die Männer die längsseitigen Kanten aufeinanderlegten, wagte Sergeant Tom Agnes, sich nach dem Wahrheitsgehalt der Gerüchte zu erkundigen, die ihm zu Ohren gekommen waren. Hunt reichte ihm die Seitenkante der Zeltplane, damit Agnes sie auf die Hälfte zusammenlegen konnte.
»Sir«, sagte Agnes, »es heißt, Sie hätten in Yale studiert – stimmt das?«
Alle Männer trugen getönte Skibrillen, Agnes aber war nahe genug, um Hunts Augen sehen zu können. Ein überraschtes Blinzeln war zu erkennen, gefolgt von einem resignierten Ausdruck. Dann lächelte Hunt.
»Aha«, sagte er ruhig, »Sie haben mein schreckliches Geheimnis also aufgedeckt.«
Agnes nickte und faltete das Zelt um die Hälfte zusammen. »Nicht gerade die ideale Brutstätte für eine militärische Karriere.«
»George Bush war auch dort«, wehrte sich Hunt. »Er war Marineflieger.«
»Ich dachte, er war bei der Nationalgarde«, sagte Specialist Jesus Herrara, der das Zelt von Agnes übernahm.
»Ich meinte George Bush Senior«, sagte Hunt. »Unser Präsident hat ebenfalls in Yale studiert, und ja, er war Düsenpilot der Nationalgarde.«
»Yale«, sagte Agnes. »Wenn Sie die Frage gestatten, wie kommt es, dass es Sie ausgerechnet hierher verschlug?«
Hunt wischte sich Schneeflocken von der Brille. »Ich habe mich freiwillig gemeldet«, antwortete er, »genauso wie Sie.«
Agnes nickte.
»Und jetzt sollten wir endlich einpacken«, sagte Hunt und deutete auf den Berg vor ihnen, »und dort hinaufgehen und diesen Mistkerl suchen, der die Vereinigten Staaten angegriffen hat.«
»Jawohl, Sir«, riefen die Männer im Chor.
Zehn Minuten später, mit fünfzig Pfund schweren Lasten auf den Rücken, begannen sie mit dem Aufstieg.
In einer Stadt, in der es von schönen Frauen wimmelte, brachte Michelle Hunt mit neunundvierzig Jahren noch immer Männer dazu, sich nach ihr umzudrehen. Hoch gewachsen, mit braunem Haar und blaugrünen Augen, war sie mit einer Figur gesegnet, die weder einer ständigen Diät noch eines regelmäßigen sportlichen Trainings bedurfte, um fit und vollkommen zu erscheinen. Michelle Hunt hatte volle Lippen und wunderbare Zähne, doch es waren ihre Rehaugen und der makellose Teint, die den stärksten Eindruck hinterließen. Und obwohl sie insgesamt eine schöne Frau war, gehörte dies zu Südkalifornien wie der ewige Sonnenschein und die Erdbeben.
Was die Menschen zu Michelle hinzog, war etwas, das nicht mit dem Skalpell eines Schönheitschirurgen geschaffen oder durch Kleidung und Maniküre unterstrichen oder auch durch Ehrgeiz oder Wandlungsfähigkeit erzeugt werden konnte. Michelle verfügte über jene ganz besondere Ausstrahlung, die sowohl Männer als auch Frauen dazu brachte, sie zu mögen und in ihrer Nähe sein zu wollen – sie war glücklich, zufrieden und der Optimismus in Person. Michelle Hunt ruhte in sich selbst. Und die Menschen kamen zu ihr wie Bienen zu einer Blume, die in voller Blüte stand.
»Sam«, sagte sie zu dem Anstreicher, der soeben die Wände in ihrer Kunstgalerie mit frischer Farbe verschönt hatte, »Sie verstehen wirklich Ihr Handwerk.«
Sam war achtunddreißig Jahre alt und errötete.
»Für Sie ist das Beste gerade gut genug, Ms. Hunt«, gab er zurück.
Sam hatte die Galerie gestrichen, als sie vor fünf Jahren ihre Tore dort geöffnet hatte, desgleichen ihr Haus in Beverly Hills sowie ihre Ferienwohnung am Lake Tahoe. Und er hatte auch diese letzte Renovierung durchgeführt. Und jedes Mal hatte sie ihm das Gefühl gegeben, von ihr bewundert zu werden und großes Talent zu besitzen.
»Darf ich Ihnen ein Glas Wasser oder eine Cola anbieten?«, fragte sie.
»Ich bin wunschlos glücklich, danke.«
In diesem Augenblick meldete ihre Assistentin aus dem Ausstellungsraum der Galerie, jemand verlange sie am Telefon. Sie lächelte, winkte dem Handwerker zu und entfernte sich.
»Das ist eine Lady«, murmelte Sam, »eine wahre Lady.«
Während sie sich in den Ausstellungsraum begab, wo sie von ihrem Schreibtisch aus auf den Rodeo Drive hinausblicken konnte, bemerkte Michelle, dass einer der Künstler, die sie vertrat, gerade durch den Eingang hereinkam. Auch hier hatte sich ihre sprichwörtliche Liebenswürdigkeit reichlich ausgezahlt – Künstler sind eine empfindliche und launenhafte Spezies, doch Michelles Künstler beteten sie geradezu an und wechselten so gut wie nie die Galerie. Dies und die Tatsache, dass sie ihr Unternehmen mit einem beruhigenden finanziellen Polster begonnen hatte, waren im Wesentlichen die Gründe für die bisher erfolgreichen Jahre.
»Ich wusste, dies würde ein guter Tag sein«, begrüßte sie den bärtigen Mann. »Ich hatte nur keine Ahnung, dass der Grund dafür ein Besuch meines Lieblingskünstlers wär.«
Der Mann lächelte.
»Ich will nur gerade dieses Telefongespräch annehmen«, sagte sie, »dann reden wir.«
Ihre Assistentin geleitete den Künstler zu einer Sitzgruppe mit Sofas und einer kleinen Bar. Während sich Michelle in ihren Schreibtischsessel sinken ließ und nach dem Telefonhörer griff, nahm die Assistentin den Getränkewunsch des Künstlers entgegen und begann dann, ihm einen Cappuccino zuzubereiten.
»Michelle Hunt.«
»Ich bin’s«, antwortete eine raue Stimme.
Diese Stimme bedurfte keiner weiteren Vorstellung. Er hatte ihr den Kopf verdreht, als sie eine junge Frau von einundzwanzig war, soeben aus Minnesota angekommen und auf der Suche nach einem neuen Leben voll Spaß und Sonne – im Südkalifornien der achtziger Jahre. Nach einer wechselvollen Beziehung, bestimmt durch seine Unfähigkeit, eine feste Bindung einzugehen, und die regelmäßige durch seinen Job bedingte Abwesenheit, hatte sie mit vierundzwanzig Jahren seinem Sohn das Leben geschenkt. Und obwohl sein Name nicht auf der Geburtsurkunde erschien – und Michelle und er vorher oder seitdem niemals zusammengelebt hatten – waren sie einander doch eng verbunden gewesen. Zumindest so eng, wie es mit diesem Mann möglich war.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Ich kann nicht klagen.«
»Wo bist du gerade?«
Es war die Standardfrage, die sie immer stellte, um den Anfang zu machen. Im Laufe der Jahre reichten die Antworten von Osaka über Peru und Paris bis Tahiti.
»Moment mal«, sagte er aufgeräumt und blickte auf eine Landkarte, die auf einem Bildschirm in der Nähe des Pilotensessels seines Jets zu sehen war. »Sechshundertsiebenundachtzig Meilen von Honolulu entfernt, unterwegs nach Vancouver in British Columbia.«
»Willst du Skifahren?«, fragte sie. Sport war seit eh und je ihr gemeinsames Hobby gewesen.
»Nein, einen Wolkenkratzer bauen«, antwortete er.
»Du hast immer etwas Besonderes vor.«
»Das stimmt wohl«, gab er zu. »Michelle, ich rufe an, weil ich gehört habe, dass unser Junge nach Afghanistan geschickt wurde«, sagte er ernst.
Michelle hatte keine Ahnung – der Einsatz war immer noch geheim, und Chris hatte seinen Bestimmungsort nicht nennen dürfen, als er den Marschbefehl erhalten hatte.
»O nein«, platzte sie heraus, »das ist nicht gut.«
»Ich hatte mir schon gedacht, dass du das sagen würdest.«
»Wie hast du das rausgekriegt?«, fragte sie. »Ich muss immer wieder über deine Fähigkeit staunen, Informationen zu beschaffen.«
»Daran ist nichts Staunenswertes«, sagte er. »Ich habe so viele Senatoren und andere Politiker in meinen Taschen, dass ich mir irgendwann mal größere Hosen kaufen muss.«
»Hast du irgendwas gehört, wie es läuft?«
»Ich nehme an, die Mission entwickelt sich schwieriger, als der Präsident es sich vorgestellt hat«, sagte er. »Chris führt offensichtlich ein spezielles Eingreifkommando, das die Bösen jagen und zur Strecke bringen soll. Bislang sind die Kontakte mit dem Gegner eher spärlich – aber meinen Quellen zufolge ist es eine kalte und schmutzige Angelegenheit. Wenn er sich für eine Weile nicht bei dir meldet, solltest du dich nicht wundern.«
»Ich habe Angst um ihn«, sagte Michelle schleppend.
»Soll ich meine Beziehungen spielen lassen?«, fragte der Mann. »Damit er dort abgezogen und in die Heimat zurückgeschickt wird?«
»Ich dachte, er hätte dir das Versprechen abgenommen, niemals etwas Derartiges zu tun.«
»Das hat er«, gab er zu.
»Dann lass es auch.«
»Ich ruf dich an, wenn ich mehr weiß.«
»Kommst du irgendwann mal wieder in diese Gegend?«, fragte sie.
»Ich melde mich, wenn es sich ergibt«, versprach er. »Ich sollte jetzt lieber Schluss machen – da ist ein starkes Rauschen auf der Satellitenverbindung. Das muss an den Sonnenflecken liegen.«
»Bete, dass unserem Jungen nichts zustößt«, sagte sie.
»Ich könnte mehr als das tun«, sagte er und unterbrach die Verbindung.
Michelle legte den Telefonhörer hin und lehnte sich zurück. Ihr Ex-Geliebter gehörte nicht zu denen, die offen Angst zeigten. Dennoch war die Sorge um seinen Sohn nicht zu überhören. Sie konnte nur hoffen, dass diese Befürchtungen unbegründet waren und Chris schon bald wieder wohlbehalten heimkehrte.
Sie erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und ging zu dem Künstler hinüber. »Ich hoffe, du hast mir etwas Schönes mitgebracht«, sagte sie in lockerem Ton.
»Draußen im Wagen«, erwiderte der Künstler, »ich glaube, es wird dir gefallen.«
Vier Stunden nach Sonnenaufgang und in knapp dreihundertfünfzig Metern Höhe auf der Flanke der Bergkette oberhalb des Lagerplatzes, wo sie die Nacht verbracht hatten, traf Hunts Gruppe auf einen zu allem entschlossenen Feind. Das Feuer kam aus einer Reihe Höhlen direkt über und östlich von ihnen. Und es traf sie unerwartet und mit voller Wucht. Gewehrsalven, Panzerabwehrraketen, Granaten und Pistolenfeuer regneten auf sie herab. Der Feind belegte den Berg mit Dynamitladungen, um Erdrutsche zu erzeugen, und er hatte das Gelände vermint, in dem Hunts Leute Deckung suchten.
Der Feind hatte sich zum Ziel gesetzt, Hunts Trupp auf einen Schlag auszulöschen – und er schaffte es beinahe.
Hunt hatte hinter einer Reihe Felsblöcke Zuflucht gesucht. Geschosse prallten gegen die Felsen und flogen als Querschläger in alle Richtungen, sprengten Gesteinssplitter ab, die seine Männer trafen. Sie konnten sich nirgendwo verstecken, konnten auch nicht weiter vorrücken, und außerdem wurde ihr Rückzugsweg von einem Erdrutsch versperrt.
»Das Funkgerät hierher!«, rief Hunt.
Die Hälfte seines Zuges befand sich etwa zwanzig Meter geradeaus vor ihm, ein Viertel seiner Leute hatte in ungefähr gleicher Höhe eine Position weiter links bezogen. Glücklicherweise war der Funker in der Nähe des Leutnants geblieben. Der Mann rutschte auf dem Rücken liegend auf Hunt zu, um das Funkgerät zu schützen. Als Belohnung für seine Bemühungen handelte er sich eine Verwundung ein, als eine Kugel seine Kniescheibe streifte, während er die Beine anwinkelte, um sich mit der Füßen weiter nach oben zu schieben. Hunt zog ihn das letzte Stück zu sich in Deckung.
»Antenico«, rief Hunt einem anderen Mann in der Nähe zu, »kümmern Sie sich um Lassiters Verletzung.«
Antenico hastete herüber und begann, die Hose des Funkers aufzuschneiden. Er stellte fest, dass die Wunde nicht allzu tief war, und bandagierte das Knie, während Hunt das Funkgerät einschaltete und die richtige Frequenz suchte.
»Sie sind schon bald wieder auf den Beinen, Lassiter«, sagte er zu dem Funker. »Ich rufe schnellstens Hilfe her. Dann werden Sie ausgeflogen.«
Die Angst war in den Augen des Soldaten abzulesen. Für die meisten von ihnen – auch für Hunt – war dies der erste Kampfeinsatz. Als ihr Führer musste er die Kontrolle übernehmen und einen Plan entwerfen.
»Control, Control, hier ist Stoßtrupp Drei«, brüllte Hunt ins Mikrofon, »wir brauchen Unterstützung, Planquadrat drei null eins acht. Wir liegen unter schwerem Feuer.«
»Stoßtrupp Drei«, antwortete sofort eine Stimme, »beschreiben Sie die Lage.«
»Wir sitzen fest«, sagte Hunt, »und der Feind besetzt das Gelände oberhalb von uns. Die Lage ist kritisch.«
Hunt blickte nach oben, während er sprach. Ein Dutzend bärtige Männer kam in flatternden Gewändern den Berghang herunter. »Feuert nach oben, Leute«, brüllte er den Männern zu, die oberhalb von ihm Stellung bezogen hatten. Eine Sekunde später ertönte eine Salve.
»Stoßtrupp Drei, wir haben in zwei Minuten eine Spectre in der Luft und unterwegs zu euch. Vier Helis – zwei Transporter und zwei Gunships – starten in drei Minuten. Sie werden ungefähr zehn Minuten brauchen, um eure Position zu erreichen.«
Hunt konnte das Summen des schweren propellergetriebenen Gunships hören, das durch die Schlucht einige Meilen unter ihnen herauf jagte. Er lugte über den Felsen und sah acht feindliche Gestalten den Berghang herunterkommen. Er richtete sich auf und schoss eine Panzerabwehrrakete ab. Ein Rauschen, dann ein dumpfes Dröhnen, als das Geschoss durch die Luft flog und explodierte. Er schickte noch eine Maschinengewehrsalve hinterher.
»Stoßtrupp Drei, bestätigen Sie.«
»Stoßtrupp Drei hat verstanden«, brüllte Hunt.
Wo vorher acht Männer gewesen waren, befanden sich jetzt noch insgesamt vier. Sie waren nur zwanzig Meter von seiner Vorhut entfernt. Hunt setzte sein Bajonett auf. Die Männer der Vorhut wirkten wie gelähmt. Sie waren jung, unerfahren und im Begriff, überrannt zu werden. Eine Granate landete in nächster Nähe der Felsklötze und explodierte. Das Gelände wurde mit zertrümmertem Gestein und Staub überschüttet. Weiter oben am Berghang startete eine weitere Gruppe Feinde bergab. Hunt stand auf und feuerte. Er spurtete die zwanzig Meter bis zu den Männern seiner Vorhut und griff den vorrückenden Feind frontal an.
Aller guten Dinge sind drei – und genauso viele Feinde schoss Hunt nieder. Den Letzten schaltete er mit dem Bajonett aus, da sein Magazin leer war.
»Zurück, Männer«, rief er, »hinter die Felsen.«
Zu zweit zogen sie sich in die relative Sicherheit der Felsklötze hinter ihnen zurück, während die noch in der Ausgangsposition ausharrenden Männer weiter auf den vordringenden Feind feuerten. Der war high von destilliertem Mohnsaft, fehlgeleitetem religiösem Eifer und dann auch von den berauschenden Khatblättern, die sie ständig kauten. Der Abhang war rot vom Blut ihrer gefallenen Kameraden, doch sie rückten immer noch weiter vor.
»Stoßtrupp Drei«, krächzte das Sprechfunkgerät.
Antenico griff nach dem Kasten. »Hier ist Stoßtrupp Drei«, meldete er sich. »Unser befehlshabender Offizier ist im Augenblick nicht erreichbar. Hier ist Specialist 367.«
»Wir haben eine B-52 beim Anflug auf ein anderes Ziel gefunden«, sagte die Stimme. »Wir konnten Sie zu Ihnen umleiten.«
»Verstanden – ich sage dem Lieutenant Bescheid.«
Doch Antenico sollte keine Gelegenheit mehr bekommen, diese Meldung weiterzugeben.
Nur Hunt und ein kampferprobter alter Sergeant hielten noch die vordere Stellung, als die AC-130 am Ort des Geschehens eintraf. Sekunden später ergoss sich eine regelrechte Wand aus Blei aus den 25-, 40– und 105-Millimetergeschützen, die seitlich aus dem Rumpf ragten.
Der Sergeant hatte schon früher miterleben können, welche Feuerkraft eine Spectre – auch Fliegendes Kanonenrohrgenannt – hatte, und er vergeudete keine Zeit. »Ziehen wir uns zurück, Sir«, rief er Hunt zu, »wir haben ein paar Sekunden Feuerschutz.«
»Dann los, rennen Sie«, sagte Hunt, riss den Sergeant hoch und schob ihn in Richtung Sicherheit. »Ich bin dicht hinter Ihnen.«
Die Spectre wanderte vom Rückstoß seiner feuernden Kanonen seitwärts. Ein paar Sekunden später zog der Pilot die Maschine hoch, um zu wenden und einen weiteren Anflug durch die Schlucht einzuleiten. Während das Gunship die Wende vollendete und zum zweiten Anflug ansetzte, waren immer noch insgesamt sieben feindliche Kämpfer auf dem Vormarsch. Hunt deckte den Rückzug seines Sergeants.
Er tötete fünf Gegner mit einer Panzerabwehrrakete und gezieltem Feuer. Zwei aber kamen bis dicht an Hunts Position heran. Einer traf ihn in die Schulter, während er kehrtmachte, um sich zurückzuziehen.
Der Zweite schlitzte ihm mit einem bösartig aussehenden, gekrümmten Messer die Kehle auf.
Während er in den Sinkflug ging, um seine Maschine in Schussposition zu bringen, sah der Pilot des AC-130, wie Hunt getötet wurde, und meldete es per Funk den anderen Fliegern. Hunts Soldaten sahen es ebenfalls – und der Anblick vertrieb ihre Angst und ersetzte sie durch rasende Wut. Während der AC-130 den Anflug begann, sprangen die Soldaten auf und beharkten eine weitere Angriffswelle, die soeben die schützende Höhle verlassen hatte und sich bergab bewegte. Geschlossen vorrückend, erreichten die Soldaten ihren gefallenen Anführer und bildeten einen schützenden Kreis um seine Leiche. Sie warteten darauf, dass der Feind näher kam, doch wie durch einen geheimnisvollen Zauber oder weil sie die Wut der amerikanischen Soldaten vielleicht spürten, kehrten die bärtigen Krieger um und zogen sich zurück.
Zwanzigtausend Fuß über ihnen und weniger als zehn Minuten vom Ziel entfernt schaltete der Pilot der B-52 das Mikrofon aus und hängte es zurück in seine Halterung.
»Habt ihr das gehört?«, fragte er leise über Intercom seine Besatzung.
Im Flugzeug herrschte bis auf das Dröhnen der acht Motoren Stille. Der Pilot brauchte keine Antwort – er wusste, dass sie das schreckliche Geschehen alle mitbekommen hatten.
»Wir werden diesen Berg in einen Haufen Staub verwandeln«, verkündete er grimmig. »Wenn der Feind seine Gefallenen holt, dann will ich, dass er sie mit einem Schwamm einsammeln muss.«
Vier Minuten später erschienen die Helikopter, um Stoßtrupp Drei abzuholen. Hunts Leiche und die Verwundeten wurden in den ersten Blackhawk geladen. Die restlichen Soldaten kletterten mit hängenden Köpfen in die zweite Maschine. Dann begannen die mit schweren Waffen ausgerüsteten Hubschrauber und der AC-130, den Berghang mit einem Inferno aus Blei und Explosivgeschossen zu überschütten. Kurz danach meldete sich die B-52 zur Stelle. Das Blut strömte den Berghang hinunter, der Feind wurde ausgelöscht. Doch diese Demonstration geballter Feuerkraft kam für Lieutenant Hunt zu spät.
Irgendwann war nur noch der Wunsch nach Vergeltung übrig und erinnerte an seinen Tod.
Und es dauerte Jahre, bis dieser Wunsch in Erfüllung ging.
2
Die Oregonlag in Reykjavik an einem Kai, fest vertäut an den Pollern. Die Schiffe im Hafen bildeten ein Sammelsurium von Arbeits– wie auch Vergnügungsbooten, Fischerbooten und Fabriktrawlern, kleinen Passagierschiffen und – ungewöhnlich für Island – einigen größeren Jachten. Die Fischerboote versorgten die bedeutendste Industrie Islands, und die Jachten lagen im Hafen, weil hier zur Zeit der arabische Friedensgipfel tagte.
Die Oregonwürde niemals einen Schönheitswettbewerb gewinnen. Der gut fünfhundert Fuß lange Frachtdampfer schien vorwiegend von Rost zusammengehalten zu werden. Die oberen Decks waren mit Abfall übersät, der obere und der untere Rumpf stellten ein Mischmasch nicht zueinander passender Farben dar, und der mittschiffs aufragende Ladebaum sah aus, als würde er jeden Moment ins Wasser kippen.
Doch die äußere Erscheinung der Oregonwar eine reine Illusion. Der Rost war eine sorgfältig aufgebrachte Farbe, die Radarstrahlen absorbierte und dem Schiff erlaubte, wie eine Geistererscheinung von Radarschirmen zu verschwinden. Und hinter dem Abfall und Gerümpel an Deck steckten lediglich besonders echt wirkende Attrappen. Die Ladebäume funktionierten einwandfrei. Zwei arbeiteten wie vorgesehen, ein paar dienten als Funkantennen, und die restlichen ließen sich wegklappen und gaben so Rohre frei, aus denen Raketen abgefeuert werden konnten. Die Einrichtung unter Deck entsprach der von Luxusjachten. Opulent ausgestattete Kabinen, ein Kommunikations– und Kommandozentrum modernsten Zuschnitts, ein Helikopter, Beiboote und eine komplett eingerichtete Fälscherwerkstatt befanden sich dort. Der Speisesaal machte den elegantesten Restaurants Konkurrenz. Das Sanitätszentrum glich eher einer teuren Krankenhausstation. Angetrieben von zwei magnetohydrodynamischen Rückstoß-Einheiten, war das Schiff so schnell wie ein Gepard und wendig wie ein Autoscooter. Das Schiff entsprach ganz und gar nicht dem, was seine äußere Hülle vermuten ließ.
Die Oregonwar eine bewaffnete, hochtechnisierte Spionagebasis, und zwar mit bestens trainierten Leuten bemannt.
Die Corporation, der die Oregongehörte und die sie betrieb, setzte sich aus ehemaligen militärischen und dem Geheimdienst angehörenden Agenten zusammen, die sich an alle Nationen und Einzelpersonen vermieteten, die ganz besondere Dienstleistungen in Anspruch nehmen mussten. Alles in allem waren sie eine kleine Söldnerarmee mit hohen moralischen und ethischen Prinzipien. Häufig von der amerikanischen Regierung in Anspruch genommen, um Missionen auszuführen, da sie außerhalb der Kontrolle durch den Kongress operieren konnten, existierten sie in einer Schattenwelt ohne diplomatischen Schutz oder die offizielle Kenntnis der Regierung.
Zwar war die Corporation eine Streitmacht, die man mieten konnte – doch suchte sie sich ihre Klienten äußerst sorgfältig aus.
Während der vergangenen Woche hatten sie sich in Island aufgehalten, um für den Schutz und die Sicherheit des Emirs von Katar zu sorgen, der an der Gipfelkonferenz teilnahm. Island war aus einer Vielzahl von Gründen für derartige Treffen ausgesucht worden. Das Land war klein, Reykjavik hatte eine Bevölkerung von gerade mal 100000 Menschen, was den Sicherheitsbestrebungen entgegenkam. Die Bevölkerung war ziemlich homogen, so dass Fremde sofort wie bunte Hunde auffielen, was die Chance erheblich verbesserte, Terroristen zu identifizieren, die die Absicht hatten, den Friedensprozess zu stören. Und außerdem konnte Island für sich in Anspruch nehmen, das älteste gewählte Parlament zu besitzen. Das Land war seit Jahrhunderten mit demokratischen Gepflogenheiten vertraut.
Auf der Tagesordnung der sich über einen Zeitraum von einer Woche hinziehenden Treffen standen unter anderem die Besetzung des Irak, die Lage in Israel und Palästina sowie die Ausbreitung des fundamentalistisch motivierten islamischen Terrorismus. Und während das Gipfeltreffen weder von den Vereinten Nationen noch von irgendeiner anderen weltumspannenden Institution gebilligt wurde, waren sich die teilnehmenden Staatsoberhäupter darüber einig, dass entscheidende politische Richtlinien festgelegt und Handlungsweisen beschlossen würden.
Russland, Frankreich, Deutschland, Ägypten, Jordanien und eine Reihe nahöstlicher Staaten nahmen an der Konferenz teil. Israel, Syrien und der Iran hatten ihre Teilnahme abgesagt. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Polen waren als die alliierten Befreier des Irak ebenso zugegen wie mehrere kleinere Nationen. Fast zwei Dutzend Nationen und ihre Botschafter, Sicherheits– und Geheimagenten wie auch Helfer waren in Islands Hauptstadt eingefallen: ein Schwarm Moskitos bei Nacht. Angesichts der vergleichsweise geringen Einwohnerzahl der Stadt fielen die zahlreichen Spione und Sicherheitsleute den Bürgern von Reykjavik so deutlich ins Auge, als liefen sie in dem eisigen Wetter in spärlicher Badekleidung herum. Isländer hatten helle Haut, blondes Haar und blaue Augen – eine Kombination, die nur schwer imitiert werden kann, wenn man versucht, sich unerkannt unter den Einheimischen zu bewegen.
Reykjavik war eine Stadt der niedrigen Gebäude und bunt gestrichenen Häuser, die in der schneebedeckten Landschaft wie der Schmuck an einem Weihnachtsbaum wirkten. Das höchste Gebäude, die Hallgrimskirkja-Kirche, war nur wenige Stockwerke hoch, und die Dampfschwaden, die aus den geothermalen Quellen aufstiegen, verliehen der Landschaft eine geheimnisvolle Ausstrahlung. Der Geruch von Hydrosulfid – aus den heißen Quellen – durchsetzte die Luft mit dem Gestank fauler Eier.
Reykjavik drängte sich um den zu allen Jahreszeiten eisfreien Hafen, der auch die Fischereiflotte, die Grundlage der isländischen Wirtschaft, beherbergte. Überhaupt waren die durchschnittlichen Wintertemperaturen in der Stadt deutlich milder als in New York. Die Bürger von Island gelten als außerordentlich gesund und wirken glücklich. Das Glücklichsein lässt sich auf eine positive Lebenseinstellung zurückführen, die Gesundheit auf den Überfluss an heißen Quellbecken in der näheren und weiteren Umgebung.
Die arabischen Gipfeltreffen fanden im Hofoi statt, dem großen Haus, das mittlerweile für städtische Veranstaltungen benutzt wurde und außerdem 1986 Schauplatz der Begegnung zwischen Mikhail Gorbatschow und Ronald Reagan gewesen war. Das Hofoi war weniger als zwei Kilometer vom Liegeplatz der Oregonentfernt, ein Vorteil, der die Sicherheitsmaßnahmen erheblich erleichterte.
Katar hatte die Corporation schon früher benutzt – und sie unterhielten eine Partnerschaft, die von gegenseitiger Hochachtung geprägt war.
Aus Respekt vor den christlichen Teilnehmern am Gipfeltreffen hatte man für den ersten Weihnachtstag keine Konferenzen angesetzt. Daher waren unter Deck in der Küche der Oregondrei Köche damit beschäftigt, die letzten Vorbereitungen für das bevorstehende große Festmahl zu treffen.
Der Hauptgang befand sich bereits im Ofen – zwölf große Turducken. Die Turducken waren das Lieblingsgericht der Mannschaft – es handelte sich um entbeinte Hühner mit einer Füllung aus Maismehl und Salbei, die in entbeinte Enten mit einer sparsameren Füllung aus Knoblauchbrot gestopft worden waren. Letztere wanderten dann in ebenfalls entbeinte Truthähne, die man mit einer Füllung aus Austern und Kastanien versehen hatte. Wenn die Vögel angeschnitten würden, enthielten die Scheiben drei verschiedene Arten Fleisch.
Tabletts mit Hors d’œuvres befanden sich bereits auf den Tischen: geeiste Möhren, Sellerie, Schalotten, Meerrettich und Zucchini. Daneben standen Schüsseln mit Nüssen, Früchten, Käse und mit Kräckern sowie Platten mit Krabbenscheren, frischen Austern und Hummerfleisch. Drei verschiedene Suppen; Waldorf– und grüner Salat; ein Fischgang; ein Käsegang; Minze-, Kürbis-, Apfel– und Blaubeerkuchen; Sherry; Liköre und Jamaican-Blue-Mountain-Kaffee.
Niemand von der Besatzung würde hungrig vom Tisch aufstehen.
In seiner geräumigen Kabine frottierte Juan Cabrillo seine nassen Haare, dann rasierte er sich und benetzte seine Wangen mit einem pimentölhaltigen Aftershave. Sein blonder Bürstenhaarschnitt bedurfte nur geringer Pflege, doch in den letzten Wochen hatte er sich einen Spitzbart stehen lassen, den er nun mit einer kleinen Schere sorgfältig stutzte. Angetan von seinem Werk blickte er in den Spiegel und lächelte. Er sah gut aus – ausgeruht, gesund und zufrieden.
Dann begab er sich in die Kabine und entschied sich für ein gestärktes weißes Oberhemd, den leichten grauen Schurwollanzug eines Londoner Maßschneiders, eine Seidenkrawatte, weiche graue Wollsocken und ein Paar schwarzer glänzender Cole-Haan-Sportschuhe mit Troddeln. Nachdem er die Sachen herausgelegt hatte, zog er sich an.
Während er den Knoten der rotblau gestreiften Krawatte band, überprüfte er seine äußere Erscheinung mit einem letzten kritischen Blick, dann öffnete er die Tür und ging durch den Korridor zum Fahrstuhl. Vor ein paar Stunden hatte sein Team von einer Drohung gegen den Emir erfahren. Mittlerweile war ein Plan angelaufen, der, falls er sich als erfolgreich erwies, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde.
Wenn sie jetzt auch noch die Atombombe wiederfänden, die auf der anderen Seite des Globus verloren gegangen war, dann könnte dieses Jahr durchaus positiv enden. Cabrillo hatte nicht die geringste Ahnung, dass er in nur vierundzwanzig Stunden über einer Eiswüste in Richtung Osten unterwegs wäre – oder dass das Schicksal einer großen Stadt an einem berühmten Fluss auf dem Spiel stünde.