Текст книги "Todesschrein"
Автор книги: Clive Cussler
Соавторы: Graig Dirgo
Жанр:
Триллеры
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10
Hickman betrachtete die Listen aus dem saudi-arabischen Beschaffungsbüro, die seine Hacker aus einer Datenbank gefischt hatten. Sie waren vom Arabischen ins Englische übersetzt worden, doch die Übersetzung war alles andere als gelungen. Während er die Listen überflog, machte er sich neben den Kolonnen verschiedentlich Notizen. Ein Eintrag fiel besonders auf. Er betraf aus Wolle gewirkte Kniekissen, der Lieferant residierte in Maidenhead, England. Hickman aktivierte sein Intercom und rief seine Sekretärin an.
»Im Hotel in Nevada gibt es einen Mr. Whalid, der für mich arbeitet. Ich glaube, er ist Assistent des Direktors, der für die Speisen und Getränke zuständig ist.«
»Ja, Sir«, sagte die Sekretärin.
»Bitten Sie ihn, mich umgehend anzurufen«, verlangte Hickman. »Ich muss ihn etwas fragen.«
Ein paar Minuten später klingelte sein Telefon.
»Hier ist Abdul Whalid«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Ich wurde gebeten, Sie anzurufen.«
»Ja«, sagte Hickman. »Rufen Sie für mich diese Firma in England an« – er rasselte eine Telefonnummer herunter – »und tun Sie dabei so, als seien Sie ein arabischer Beamter oder so was Ähnliches. Sie haben eine millionenschwere Bestellung für wollene Kniekissen, und ich möchte wissen, was genau mit dieser Art von Kniekissen gemeint ist.«
»Darf ich fragen warum, Sir?«
»Ich besitze Spinnereien«, log Hickman. »Und ich würde gerne wissen, wie diese Dinger aussehen und wozu sie dienen, denn wenn wir sie herstellen können, möchte ich wissen, weshalb meine Leute bei diesem Auftrag nicht mitgeboten haben.«
Das schien Whalid einzuleuchten. »Sehr gut, Sir. Ich rufe dort an und melde mich sofort wieder bei Ihnen.«
»Hervorragend.« Hickman wandte sich erneut dem Foto des Meteoriten zu. Zehn Minuten später rief Whalid zurück.
»Sir«, sagte er, »es sind Gebetsteppiche. Die Bestellung ist so groß, weil das Land das gesamte Inventar, das in Mekka benutzt wird, auswechselt. Offenbar geschieht das ungefähr alle zehn Jahre.«
»Hm, demnach haben wir eine Gelegenheit verschwitzt, die sich so bald nicht wieder ergeben wird. Das ist nicht gut.«
»Tut mir Leid, Sir«, sagte Whalid. »Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass ich in meinem Land vor dem Umsturz eine Fabrik besaß. Ich wäre sehr daran interessiert …«
Hickman schnitt ihm grob das Wort ab. Seine Gedanken rasten. »Schicken Sie mir eine kurze Zusammenfassung, Whalid«, verlangte er, »und ich sorge dafür, dass sie an die richtige Stelle gelangt.«
»Ich verstehe, Sir«, sagte Whalid unterwürfig.
Hickman legte auf, ohne sich zu verabschieden.
Pieter Vanderwald meldete sich über sein Handy, während er kurz vor Palm Springs, Kalifornien, mit dem Wagen unterwegs war.
»Ich bin’s«, sagte die Stimme.
»Dies ist keine sichere Verbindung«, antwortete Vanderwald, »drücken Sie sich also so allgemein wie möglich aus. Und wir sollten darauf achten, dass das Gespräch nicht länger als drei Minuten dauert.«
»Es geht um die Substanz, über die wir uns schon mal unterhalten haben«, sagte der Mann, »kann sie auch als Spray angewendet werden?«
»Das wäre eine Möglichkeit, sie einzusetzen. Sie würde dann durch die Luft verbreitet oder durch Berührung oder Husten weitergegeben werden.«
»Würde die Substanz auch von Mensch zu Mensch wandern, wenn sie sich auf der Kleidung befindet?«
Vanderwald blickte auf die Digitaluhr auf dem Radiodisplay seines Mietwagens. Die Hälfte der vorgesehenen Zeitdauer war verstrichen. »Ja, sie würde vom Stoff auf die Haut übergehen, und das sogar durch die Luft.«
»Wie lange würde es dauern, bis jemand durch den Kontakt stirbt?«
Eine Ziffer der Digitaluhr sprang um. »Eine Woche – vielleicht weniger. Ich bin heute Abend über meinen Festnetzanschluss erreichbar, wenn Sie mehr wissen wollen.«
Die Verbindung brach ab, und der Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück. Dann lächelte er.
»Knapp über zwei Millionen scheint mir ein hoher Preis zu sein, wenn man die Einnahmen vom letzten Jahr betrachtet«, sagte der Anwalt am Telefon. »Wenn sie erst einmal ihre Verträge erfüllt haben, sieht es in ihren Büchern ziemlich traurig aus, was die weiteren Geschäfte betrifft.«
»Schließen Sie das Geschäft ruhig ab«, sagte Hickman gelassen. »Ich verrechne mögliche Verluste mit den Gewinnen aus meinem Docklands-Engagement.«
»Sie sind der Boss«, sagte der Anwalt.
»Da haben Sie ganz Recht.«
»Woher sollen die Gelder kommen?«
Hickman blickte auf den Monitor seines Computers.
»Benutzen Sie das Pariser Konto«, sagte er, »aber die Transaktion soll morgen abgewickelt werden, und übernehmen Sie die Firma in spätestens zweiundsiebzig Stunden.«
»Meinen Sie denn, dass während der nächsten zwei Tage ein Engpass an englischen Spinnereien herrschen wird?«, fragte der Anwalt. »Oder wissen Sie etwas, was ich nicht weiß?«
»Ich weiß sehr viel, was Sie nicht wissen«, sagte Hickman, »aber wenn Sie jetzt weiterreden, haben Sie nur noch einundsiebzig Stunden, um alles unter Dach und Fach zu bringen. Tun Sie einfach, wofür Sie bezahlt werden – ich kümmere mich um die Planung.«
»Ich erledige alles«, sagte der Anwalt, ehe er sich verabschiedete.
Hickman lehnte sich in seinem Sessel zurück und entspannte sich für einen Augenblick. Dann nahm er das Vergrößerungsglas von seinem Schreibtisch und betrachtete die Luftaufnahmen, die vor ihm lagen. Danach legte er das Vergrößerungsglas wieder beiseite und zog eine Landkarte hervor. Schließlich schlug er einen Dokumentenordner auf und blätterte die Fotos durch, die sich darin befanden.
Sie zeigten Opfer der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben. Und obgleich die Fotos sehr plastisch und erschütternd waren, lächelte der Mann. Mein ist die Rache, dachte er.
An diesem Abend rief er Vanderwald über seinen Festnetzanschluss an.
»Ich habe etwas Besseres gefunden«, sagte Vanderwald. »Eine auf dem Luftweg übertragene Seuche, die die Lunge angreift. Sie ist sehr virulent und müsste achtzig Prozent der Bevölkerung des Landes töten.«
»Wie viel?«, fragte Hickman.
»Die Menge, die Sie dazu brauchen, würde sechshunderttausend Dollar kosten.«
»Bestellen Sie sie«, sagte Hickman, »und so viel C-6, wie Sie zusammenkriegen können.«
»Wie groß ist das Bauwerk, das Sie zerstören wollen?«, fragte Vanderwald.
»So groß wie das Pentagon.«
»So viel dürfte eins Komma zwei Millionen kosten.«
»Bankscheck?«, fragte Hickman.
»Gold«, sagte Vanderwald.
11
Cabrillo betrachtete die Hörner eines Moschusochsen an der Tür, dann hob er einen fischförmigen eisernen Türklopfer an und ließ ihn gegen die massive Holztür fallen. Von drinnen hörte er das Geräusch schwerer Schritte, dann wurde es still. Plötzlich öffnete sich in der Tür eine kleine Klappe, groß genug, um einen Laib Brot hindurchzureichen, und ein Gesicht schaute heraus. Der Mann hatte eingefallene Wangen, einen mit braunen Tabakflecken durchsetzten braunen Kinnbart, einen Schnurrbart und blutunterlaufene Augen. Seine Zähne waren fleckig und mit Essensresten verklebt.
»Schieben Sie ihn durch die Öffnung.«
»Was soll ich durch die Öffnung schieben?«, fragte Cabrillo.
»Den Jack«, erwiderte der Mann, »die Flasche Jack.«
»Eigentlich bin ich hier, um Sie zu fragen, ob ich Ihre Schneekatze leihen kann.«
»Sie kommen nicht von der Handelsstation?«, fragte der andere und machte kein Hehl aus seiner Enttäuschung, die fast an Verzweiflung grenzte.
»Nein«, antwortete Cabrillo, »aber wenn Sie mich reinlassen, damit wir uns unterhalten können, besorge ich Ihnen nachher eine Flasche.«
»Sie meinen doch Jack Daniels, nicht wahr?«, fragte der Mann. »Nicht irgendeinen billigen Fusel, oder?«
Cabrillo fror immer heftiger. »Ja, gebrannt in Lynchburg, Tennessee, Black Label – ich weiß, was Sie meinen. Und jetzt öffnen Sie endlich die Tür.«
Das Guckloch wurde zugeklappt, und der Mann schloss die Tür auf. Cabrillo betrat ein Wohnzimmer, dessen Einrichtungsstil von Verwahrlosung und Unordnung geprägt war. Staub vom letzten Sommer bedeckte die Tischplatten und die oberen Ränder der Bilderrahmen. Der vorherrschende Geruch war eine Mischung aus altem Fisch und Schweißfüßen. Ein Lampenpaar auf zwei Beistelltischen erzeugte gelbe Lichtinseln in dem sonst dunklen Raum.
»Entschuldigen Sie das Durcheinander«, sagte der Mann. »Meine Haushaltshilfe hat vor einigen Jahren gekündigt.«
Cabrillo blieb an der Tür stehen – nichts trieb ihn an, weiter in den Raum vorzudringen.
»Wie ich schon sagte, ich würde gerne Ihre Schneekatze mieten.«
Der andere ließ sich in einen ramponierten Sessel fallen. Auf dem kleinen Tisch neben ihm stand eine Literflasche Whiskey. Sie war bis auf einen kleinen Bodensatz leer. Dann, wie auf ein Stichwort, kippte der Mann diesen Rest in eine angeschlagene Kaffeetasse und trank einen Schluck.
»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte er.
Ehe Cabrillo antworten konnte, bekam der Mann einen Hustenanfall. Cabrillo wartete ab.
»Zum Mount Forel.«
»Gehören Sie zu diesen Archäologen?«
»Ja«, log Cabrillo.
»Sind Sie Amerikaner?«
»Ja.«
Der Mann nickte. »Entschuldigen Sie meine schlechten Manieren. Ich bin Woody Campbell. Jeder in der Stadt nennt mich nur Woodman.«
Cabrillo trat zu ihm hin und streckte Campbell seine Hand im Handschuh entgegen. »Juan Cabrillo.«
Sie tauschten einen Händedruck aus, dann deutete Campbell auf einen freien Sessel. Cabrillo setzte sich und Campbell musterte ihn stumm. Die Stille lastete auf dem Raum wie ein Ziegelstein auf einem Kartoffelchip. Schließlich gab sich Campbell einen Ruck.
»Sie sehen mir nicht wie ein Akademiker aus«, behauptete er.
»Wie soll Ihrer Meinung nach ein Archäologe aussehen?«
»Nicht wie jemand, der kampferprobt ist«, antwortete Campbell, »nicht wie jemand, der weiß, wie es ist, jemandem das Leben zu nehmen.«
»Sie sind betrunken«, stellte Cabrillo fest.
»Ich achte nur darauf, meinen Pegel zu halten«, sagte Campbell, »aber bisher haben Sie mir nicht widersprochen. Also scheine ich mit meiner Vermutung gar nicht so weit danebenzuliegen.«
Cabrillo sagte nichts.
»Militär?«, fragte Campbell und blieb beim Thema.
»CIA, aber das ist schon eine Weile her.«
»Ich wusste doch, dass Sie kein Archäologe sind.«
»Bei der CIA gibt es auch Archäologen«, gab Cabrillo zurück.
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Cabrillo bedeutete Campbell, er solle sitzen bleiben, und ging zur Tür. Ein Inuit in einem Wärmeoverall stand vor der Tür. Er hatte eine Tüte in der Hand.
»Ist das der Whiskey?«, fragte Cabrillo.
Der Mann nickte. Cabrillo griff in die Tasche und holte eine Geldklammer hervor. Er pellte einen Hundert-Dollar-Schein von der Rolle, reichte ihn dem Mann und nahm die Flasche entgegen.
»Ich kann nicht rausgeben«, sagte der Inuit.
»Reicht das für diese Flasche und eine weitere später«, fragte Cabrillo, »und einen Bonus für Ihre Mühe?«
»Ja«, sagte der Inuit, »aber ich darf Woodman immer nur eine Flasche pro Tag bringen.«
»Dann kommen Sie morgen mit der anderen Flasche und behalten Sie den Rest«, sagte Cabrillo.
Der Inuit nickte, und Cabrillo schloss die Tür. Er ging mit der Flasche Whiskey zu Campbell und gab sie ihm. Campbell nahm die Flasche aus der Tüte, knüllte das Papier zusammen, warf es in Richtung Abfalleimer und verfehlte ihn, dann öffnete er die Flasche und füllte seine Tasse.
»So gefällt es mir«, sagte er.
»Das sollte es aber nicht«, riet ihm Cabrillo. »Sie sollten damit aufhören.«
»Kann ich nicht«, erwiderte Campbell und betrachtete die Flasche. »Ich hab’s versucht.«
»Quatsch. Ich habe mit Typen gearbeitet, die waren viel schlimmer dran als Sie – heute sind sie trocken.«
Campbell zuckte die Achseln. »Na schön, Mr. CIA«, meinte er schließlich, »lassen Sie sich was einfallen, wie Sie mich trockenlegen, und die Schneekatze gehört Ihnen. Ich hab sie seit Monaten nicht mehr benutzt – ich komm nicht aus dem Haus.«
»Sie haben in der Armee gedient«, sagte Cabrillo.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte Campbell. »Niemand auf Grönland weiß das.«
»Ich habe eine ganz spezielle Firma, die im Spionage– und Sicherheitsbereich tätig ist – ein privates Unternehmen. Wir kriegen alles raus.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich«, bestätigte Cabrillo. »Welchen Job hatten Sie während Ihrer Dienstzeit? Das habe ich meine Leute nicht gefragt.«
»Ich war bei den Green Berets, danach beim Phoenix Project.«
»Sie haben ebenfalls bei der Firma gearbeitet?«
»Indirekt«, gab Campbell zu, »aber sie ließen mich im Regen stehen. Sie haben mich ausgebildet, mir eins über den Schädel gegeben und mich ausgemustert. Als ich nach Hause zurückkam, hatte ich ein Heroinproblem, das ich ganz allein geregelt habe. Und einen Haufen schlimmer Erinnerungen.«
»Auch wenn das kein Trost für Sie ist, aber da sind Sie nicht der Einzige«, sagte Cabrillo. »Und wo ist jetzt die Schneekatze?«
»Draußen.« Campbell deutete auf eine Tür, die hinters Haus führte.
»Ich sehe sie mir mal an«, sagte Cabrillo und ging zur Tür. »Überlegen Sie sich in der Zwischenzeit, ob Sie wirklich aufhören wollen. Wenn ja und wenn die Schneekatze in Ordnung ist, dann habe ich vielleicht einen Vorschlag. Wenn nicht, dann können wir uns darüber unterhalten, dass ich Ihnen genug zahle, um Sie mit Jack Daniels zu versorgen, bis Ihre Leber sich verabschiedet. Einverstanden?«
Campbell nickte, während Cabrillo hinausging.
Überraschenderweise befand sich die Schneekatze in einwandfreiem Zustand. Es war eine Thiokol Spryte 1202B-4. Angetrieben von einem Sechszylinder Ford-Motor mit 3 Litern Hubraum und Vierganggetriebe, erinnerte die Karosserie an einen Pick-up mit Ladepritsche. Das Fahrzeug verfügte über eine Lampenleiste auf dem Dach des Führerhauses und einen zusätzlichen Treibstofftank auf der Ladefläche – und die Raupen sahen aus wie neu. Cabrillo öffnete die Tür. Im Führerhaus waren zwischen den Sitzen ein stählerner Buckel mit dem seltsam gebogenen Schalthebel sowie zwei Hebel vor dem Fahrersitz zu sehen, die die panzerähnliche Lenkung darstellten. Cabrillo wusste, dass die Thiokol bei entsprechender Bedienung der Hebel auf der Stelle wenden konnte. Das Armaturenbrett war ebenfalls aus Stahl und wies eine Reihe von Anzeigeinstrumenten vor dem Fahrersitz und Heizungsöffnungen auf, die auf den Fußraum gerichtet waren. Hinter dem Sitz und in einer Halterung vor dem Rückfenster fixiert, erblickte Cabrillo ein großkalibriges Gewehr. Hinzu kamen Notfackeln, ein Werkzeugkasten mit Ersatzteilen und ein Stapel wasserfester Landkarten.
Alles war mit einem frischen Farbanstrich versehen, geölt und bestens gepflegt.
Cabrillo beendete seine Inspektion und kehrte ins Haus zurück. Hinter der Tür hielt er inne, klopfte sich den Schnee von den Stiefeln, dann begab er sich wieder ins Wohnzimmer.
»Wie sieht es mit der Reichweite aus?«, wollte er von Campbell wissen.
»Mit dem Zusatztank und einigen Kanistern kommen Sie damit bis zum Mount Forel und wieder zurück, sogar inklusive einer Sicherheitsreserve von hundert Meilen, falls Sie sich verfahren oder eine Lawine den Weg versperrt«, sagte Campbell. »Ich hätte keine Hemmungen, damit wer weiß wohin zu fahren – sie hat mich nie im Stich gelassen.«
Cabrillo stellte sich neben einen Ölofen. »Sie sind am Zug.«
Campbell schwieg. Er starrte die Flasche an, dann blickte er zur Decke, senkte den Blick, studierte den Fußboden und dachte nach. Wenn er so weitermachte, dann schaffte er höchstens noch einen Sommer. Danach würde sein Körper nach und nach den Geist aufgeben – oder er machte in seiner Trunkenheit einen Fehler, und das in einer Gegend, in der Fehler tödlich sein konnten. Er war siebenundfünfzig Jahre alt und fühlte sich wie hundert. Er war wirklich am Ende.
»Ich bin erledigt«, sagte Campbell.
»Leicht wird es nicht«, sagte Cabrillo. »Vor Ihnen liegt ein harter Kampf.«
»Ich will’s versuchen«, entschied Campbell.
»Als Gegenleistung für die Pistenraupe holen wir Sie hier raus und legen Sie trocken. Haben Sie noch irgendwelche Angehörigen?«
»Zwei Brüder und eine Schwester in Colorado«, gestand Campbell, »aber mit denen habe ich schon seit Jahren nicht mehr geredet.«
»Sie haben die Wahl«, sagte Cabrillo, »entweder Sie gehen nach Hause und lassen sich behandeln – oder Sie sterben hier.«
Zum ersten Mal seit Jahren lächelte Campbell. »Ich denke, ich versuche es mit Zuhause.«
»Während der nächsten Tage müssen Sie sich zusammenreißen«, sagte Cabrillo. »Zuerst müssen Sie mir auf der Karte die Route durch die Berge zeigen und bei den Vorbereitungen helfen. Dann lasse ich Ihnen mein zweites Satellitentelefon hier, damit ich Sie anrufen kann, wenn ich in Schwierigkeiten gerate. Meinen Sie, das schaffen Sie?«
»Den Turkey werde ich wohl kaum aufhalten können«, sagte Campbell ehrlich. »Entweder zittere ich mich zu Tode, oder ich kriege furchtbare Krämpfe.«
»Das sollen Sie nicht, und das erwarte ich auch nicht von Ihnen«, sagte Cabrillo. »Sie brauchen medizinische Hilfe. Sie sollen lediglich nüchtern genug bleiben, um meinen Anruf zu empfangen und mir Ratschläge zu geben, falls sich Probleme ergeben sollten, mit denen ich nicht zurechtkomme.«
»Das kann ich tun.«
»Dann reißen Sie sich zusammen«, verlangte Cabrillo, während er das Telefon hervorholte und die Nummer der Oregonwählte, »und lassen Sie mich alles in die Wege leiten.«
Campbell hielt die Nase witternd in den Wind und blickte nach Norden. Ein paar Schritte entfernt stand die Pistenraupe mit laufendem Motor. Das Ladepritsche war mit zusätzlichen Treibstoffkanistern und mit Gerätekisten beladen, die Cabrillo vom Flughafen geholt hatte. Andere Kisten mit Lebensmitteln und Gegenständen, die nicht einfrieren sollten, packte er auf und unter den Beifahrersitz. Die Tür des Führerhauses stand offen, die heiße Luft aus der Heizung erzeugte Dampfschwaden.
»Ein Unwetter ist im Anmarsch«, stellte Campbell fest, »aber ich schätze, dass es nicht vor morgen Nachmittag oder Abend hier ist.«
»Gut«, sagte Cabrillo. Er beendete seine Reisevorbereitungen und richtete sich auf. »Sie wissen noch, wie Sie das Telefon bedienen müssen?«
»Ich bin ein Säufer«, erwiderte Campbell, »aber kein Idiot.«
Cabrillo starrte in die Dunkelheit. »Was meinen Sie, wie lange wird die Fahrt dauern?«
»Sie müssten morgen früh am Ziel sein«, antwortete Campbell, » wennSie der Route folgen, die ich Ihnen beschrieben habe.«
»Ich habe ein mobiles GPS und den Kompass in der Raupe, außerdem die Landkarten, auf denen Sie den Weg eingezeichnet haben. Daher glaube ich, dass ich mich schon zurechtfinden werde.«
»Egal, was Sie vorhaben«, sagte Campbell, »folgen Sie dieser Route. Der größte Teil des Weges führt am Rand der Eisplatte entlang, aber irgendwann müssen Sie auf die Platte rauf. Und da oben geht es ziemlich rau zu, ständig ändern sich die Verhältnisse. Falls Sie in Schwierigkeiten geraten oder die Schneekatze auf den Rücken legen, wird es lange dauern, ehe jemand Sie erreicht – vielleicht zu lange.«
Cabrillo nickte, dann ging er einen Schritt auf Campbell zu und schüttelte ihm die Hand. »Passen Sie auf sich auf«, rief er gegen das zunehmende Heulen des Windes an, »und halten Sie sich mit dem Whiskey zurück, bis wir Sie in ein Behandlungszentrum schaffen können.«
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Mr. Cabrillo«, versprach Campbell, »und vielen Dank für alles – zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich das Gefühl, Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Oder von mir aus auch Hoffnung.«
Cabrillo nickte abermals und kletterte dann in die Führerkanzel der Thiokol Spryte. Er schloss die Tür hinter sich und schlüpfte aus seinem Parka. Dann gab er Gas, ließ den Motor aufheulen und im Leerlauf weiterlaufen. Nun trat er auf die Kupplung, legte den ersten Gang ein und lenkte das Vehikel langsam vom Haus weg. Die Ketten der Thiokol-Raupe schleuderten Schnee in die Luft, während das Haus zurückblieb.
Campbell wartete im Rahmen der Hintertür seines Hauses, bis die Lichter der Schneekatze in der Dunkelheit verschwanden. Dann kehrte er ins Haus zurück und schenkte sich eine sparsam bemessene Portion Whiskey ein. Er musste die Dämonen in sich beruhigen, die schon jetzt damit begannen, ihr wahres Gesicht zu zeigen.
Cabrillo spürte, wie sich der Sicherheitsgurt um seine Hüften spannte, als die Raupe die Bergflanke hinunterglitt und die weite ebene Eisfläche erreichte, die die Verbindung zum Festland darstellte. Als die Schneekatze ihre Fahrt bergab beendete und die letzten Meter schneebedeckten steinigen Untergrundes bis zum zugefrorenen Meeresarm überwand, hatte er das deutliche Gefühl, dass sich seine Blase krampfartig zusammenzog. Unter dem Eis, nicht allzu weit entfernt, warteten gut dreihundert Meter eisiges Wasser und ein felsiger Meeresboden.
Falls die Schneekatze auf eine dünne Stelle geriet und er mit dem Fahrzeug einbrach, hätte er nur noch wenige Sekunden zu leben.
Indem er diese Vorstellung schnellstens verdrängte, trat Cabrillo aufs Gaspedal.
Die Ketten der Schneekatze fraßen sich in den Rand der Eisfläche, dann zogen sie das gesamte Fahrzeug auf die spiegelglatte Piste. Das Licht der Dachlampen illuminierte das Schneetreiben, während das Fahrzeug übers Eis ratterte. Der heftige Wind animierte die Schneeflocken zu einem wilden Tanz in den Lichtkegeln, so dass es völlig unmöglich wurde, Entfernungen zu schätzen.
Cabrillo befand sich in einer Welt ohne Zeit und räumliche Dimensionen.
Fast jeder andere hätte es mit der Angst zu tun bekommen und daran gedacht umzukehren …