Текст книги "Todesschrein"
Автор книги: Clive Cussler
Соавторы: Graig Dirgo
Жанр:
Триллеры
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6
Pieter Vanderwald war ein Händler des Todes. Als ehemaliger Chef des von der Apartheidregierung Südafrikas initiierten Experimental Weapons Program, kurz EWP, hatte er die grässlichsten Experimente durchführen lassen, wie zum Beispiel die chemische Sterilisation durch Nahrungsmittelzusätze, die Verbreitung von Seuchen und biologischer Kampfmittel, auf dem Luftweg in bewohnte Gegenden übertragen, sowie die Verbreitung chemischer Massenvernichtungsmittel in flüssiger Form.
Ob nuklear, chemisch, biologisch, akustisch oder elektrisch – wenn es zum Töten eingesetzt werden konnte, war Vanderwald mit seinem Team zur Stelle und baute es, kaufte es oder konstruierte es selbst. Ihre geheimen Versuche bewiesen, dass eine Kombination verschiedener Mittel bei sorgfältiger Planung eingesetzt werden konnte, um innerhalb von sechsunddreißig Stunden Tausende Angehörige der farbigen südafrikanischen Bevölkerung zu töten. Weitere Studien kamen zu dem Ergebnis, das letztlich innerhalb einer Woche 99 Prozent der ungeschützten Bevölkerung südlich des Wendekreises des Steinbocks oder die Hälfte der gesamten Spitze Afrikas dem Tod geweiht wäre.
Für seine Arbeit erhielt Vanderwald eine Auszeichnung und einen Bonus in Höhe eines doppelten Monatsgehalts.
Ohne Langstreckentransportsysteme wie ICBMs oder SCUD-Raketen und mit eher unbedeutenden Luftstreitkräften, derer sie sich hätten bedienen können, hatten Vanderwald und sein Team die Methoden perfektioniert, die tödlichen Substanzen mit der Bevölkerung in Kontakt zu bringen und sie danach von den Opfern selbst verbreiten zu lassen. Am Ende lief es darauf hinaus, die Trinkwasservorräte zu vergiften, die Seuchen vom Wind verbreiten zu lassen oder mit Hilfe von Spezialpanzern oder Artilleriebeschuss eine größtmögliche Streuung zu erreichen.
Das EWP hatte sich auf diesem Sektor als meisterlich und richtungweisend erwiesen, doch sobald die Apartheidpolitik offiziell als beendet betrachtet werden konnte, war das Programm schnellstens und geheim abgeschafft und aufgelöst worden, und Vanderwald und die anderen Wissenschaftler mussten selbst zusehen, wie sie ihr weiteres Dasein fristeten und womit sie in Zukunft ihren Lebensunterhalt verdienten.
Viele von ihnen steckten ihre Abfindungen ein und setzten sich zur Ruhe, doch einige wenige – wie Vanderwald – boten ihre besonderen Fertigkeiten und ihr Wissen auf dem freien Markt an, wo sich eine zunehmend gewaltbereitere Welt lebhaft für ihre einmaligen Talente interessierte. Länder im Mittleren Osten, in Asien und in Südamerika hatten seinen Rat und seine Erfahrung gesucht und davon profitieren können. Vanderwald kannte nur eine einzige Regel – er arbeitete niemals gratis.
»Das war wirklich toll«, stellte Vanderwald anerkennend fest.
Ein leichter Wind wehte vom Abschlag in Richtung Loch. Die Temperatur betrug gut zwanzig Grad Celsius. Die Luft war so trocken wie ein Sack Mehl und klar wie Glas.
»Der Wind hat geholfen«, wiegelte Halifax Hickman ab, während er zum Golfwagen zurückging, den Schläger in den Sack schob und sich dann auf den Fahrersitz schwang.
Auf dem Golfkurs waren weder Caddies zu sehen noch andere Golfspieler. Zugegen waren lediglich ein Trupp Sicherheitsmänner, die zwischen den Bäumen und Büschen herumschlichen, ein paar Enten auf dem See und ein magerer Fuchs, der ein paar Minuten zuvor über den Fairway getrottet war. Es war seltsam ruhig, und die Luft schien mit Reminiszenzen an dieses Jahr geschwängert, das mittlerweile fast zu Ende gegangen war.
»Sie müssen diese Leute abgrundtief hassen«, sagte Vanderwald.
Hickman trat aufs Gaspedal, und der Karren machte einen Satz vorwärts den Fairway hinunter zu ihren Golfbällen. »Ich bezahle Sie für Ihr Wissen und nicht für eine Psychoanalyse.«
Vanderwald nickte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Fotografie zu. »Wenn es wirklich das ist, was Sie annehmen«, sagte er ruhig, »dann haben Sie einen wahren Schatz an Land gezogen. Die Strahlung ist sehr hoch, und in fester oder Pulverform ist es extrem gefährlich. Sie haben eine ganze Reihe von Möglichkeiten.«
Hickman trat auf die Bremse, als sie sich Vanderwalds Ball näherten. Sobald der Karren stehen geblieben war, stieg der Südafrikaner aus, ging nach hinten und zog einen Schläger aus dem Sack, dann begab er sich zu dem Ball und ging in Schlagposition. Nach einigen Probeschwüngen hielt er inne und konzentrierte sich. Dann holte er aus und vollführte mit dem Schläger einen weiten glatten Schwung gegen den Ball. Der Ball prallte vom Schlägerkopf ab und gewann auf seiner Reise an Höhe. Nach gut hundert Metern freien Fluges landete er weniger als zehn Meter vom Grün entfernt im Gras und verfehlte um Haaresbreite den Sandbunker.
»Also würde die Substanz in zermahlenem Zustand und in die Luft geblasen ihre größte Wirkung entfalten?«, fragte Hickman, während Vanderwald wieder seinen Platz neben ihm einnahm.
»Vorausgesetzt man schafft es, mit einem Flugzeug in die Nähe des Zielortes zu gelangen.«
»Haben Sie eine bessere Idee?«, fragte Hickman, während sie auf seinen Ball zurollten.
»Ja«, sagte Vanderwald, »die Feinde mitten ins Herz zu treffen. Aber das wird Sie einiges kosten.«
»Glauben Sie wirklich«, fragte Hickman, »dass Geld ein Problem ist?«
7
Manchmal ist Temperatur ebenso ein Gemütszustand wie auch eine Umweltbedingung. Wenn man Hitzewellen vom Asphalt aufsteigen sieht, liegt es nahe, davon auszugehen, dass es draußen wärmer ist, als wenn dieselbe Straße rechts und links mit Schnee gesäumt ist. Hinsichtlich dessen, was er vor sich sah, machte sich Juan Cabrillo keinerlei Illusionen. Der Blick aus dem Fenster der Turbopropmaschine auf ihrem Weg über die Dänemarkstraße von Island nach Grönland konnte das Herz eines Menschen gefrieren lassen und ihn dazu bringen, sich voller Mitleid die Hände zu reiben. Die Ostküste von Grönland war mit Bergen gesäumt und bot einen tristen und kahlen Anblick. Auf all den Tausenden von Quadratkilometern, aus denen Ostgrönland bestand, traf man eine Bevölkerung von weniger als fünftausend Menschen an.
Der Himmel war blauschwarz und voller Wolken, prall von Schnee. Man brauchte nicht erst die Hand in die mit Gischt gekrönten Fluten zu tauchen, um zu erfahren, dass sich die Wassertemperatur unterhalb des Gefrierpunktes bewegte und die rollenden Wogen nur wegen ihres Salzgehalts noch nicht zu Eis erstarrt waren. Die dünne Eisschicht auf den Tragflächen und die Eisblumen auf der Windschutzscheibe unterstrichen diesen Eindruck, doch der mächtige Eispanzer, der Grönland bedeckte und durch die Windschutzscheibe kaum zu erkennen war, verlieh dem Ganzen eine eisige und bedrohliche Ausstrahlung.
Cabrillo fröstelte unwillkürlich und blickte aus dem Seitenfenster.
»Wir brauchen noch ungefähr zehn Minuten«, bemerkte der Pilot. »Der Wetterbericht meldet Windgeschwindigkeiten von zehn bis fünfzehn Metern pro Sekunde. Die Landung sollte ein Spaziergang sein.«
»Okay«, sagte Cabrillo mit erhobener Stimme, um den Motorenlärm zu übertönen.
Die Männer verfielen in Schweigen, während das Bergpanorama näher kam.
Ein paar Minuten später hörte und spürte Cabrillo, wie die Turbopropmaschine abgebremst wurde, als der Rand des Rollfeldes sichtbar wurde. Der Pilot verließ also diesen Kurs und richtete die Maschine so aus, dass sie Rückenwind bekam und sich parallel zur Rollbahn bewegte. Auf diese Weise legten sie eine kurze Strecke zurück, und Cabrillo verfolgte, wie der Pilot behutsam die Flugsteuerung bediente. Nach knapp einer Minute leitete er eine Kehre ein und ging in den endgültigen Landeanflug.
»Nicht mehr lange«, sagte der Pilot, »und wir sind unten.«
Cabrillo blickte hinab auf die eisige Einöde. Die Lichter, die die Rollbahn säumten, erhellten die Nachmittagsdämmerung mit ihrem matten Glanz. Im Schneetreiben kam die durchbrochene Markierungslinie der Rollbahn in Sicht und huschte unter dem Flugzeug durch. Cabrillo erhaschte in der zunehmenden Dunkelheit einen kurzen Blick auf den leicht aufgeblähten Windsack.
Der Flugplatz von Kulusuk, auf dem sie landeten, versorgte rund vierhundert Einwohner und war kaum mehr als eine holprige Piste, die zusammen mit ein paar kleinen Gebäuden hinter einer Bergkette Schutz suchte. Die nächste Stadt – Angmagssalik oder Tasiilaq, wie sie von den Inuit genannt wurde – war einen zehnminütigen Hubschrauberflug weit entfernt und hatte dreimal so viele Einwohner wie Kulusuk.
Als die Turbopropmaschine genau über der Rollbahn schwebte, betätigte der Pilot das Seitenruder und stellte sie gegen den Wind. Nur Sekunden später setzte er sie leicht wie eine Feder auf die Rollbahn. Er lenkte sie über festgebackenen Schnee und bremste vor einem Wellblechbau. Dann ging er im Schnellverfahren die Landecheckliste durch, unterbrach die Zündung des Motors und deutete auf das Gebäude.
»Ich muss auftanken«, sagte er. »Solange können Sie dort reingehen und warten.«
8
Zurgleichen Zeit, als Cabrillo in Kulusuk landete, schaltete der Pilot der Hawker 800XP auf dem Flugfeld des International Airport in Kangerlussuaq an der Westküste Grönlands die Maschinen aus. Kangerlussuaq verfügte über eine zwei Kilometer lange asphaltierte Rollbahn, auf der auch große Linienjets starten und landen konnten, und wurde häufig als Tankstation für Frachtflüge nach Europa und weiter genutzt. Der Flugplatz war gut siebenhundert Kilometer vom Mount Forel entfernt, doch war er die nächstgelegene Einrichtung seiner Art mit einer Rollbahn versehen, die für die Hawker lang genug war.
Clay Hughes wartete, während der Pilot die Tür entriegelte, dann erhob er sich aus seinem Sessel. »Wie lauten Ihre Befehle?«, fragte Hughes.
»Wir sollen hier warten, bis Sie zurückkommen«, antwortete der Kopilot, »oder wir erhalten von unserem Boss einen Befehl, dass wir abfliegen sollen.«
»Wie kann ich Sie erreichen?«
Der Kopilot reichte Hughes eine Visitenkarte. »Dort steht die Nummer des Satellitentelefons, das der Pilot bei sich hat. Rufen Sie uns an und geben Sie uns eine halbe Stunde Zeit für die notwendigen Vorbereitungen.«
»Wurde Ihnen mitgeteilt, wie ich von hier an den Ort gelange, zu dem ich will?«
Der Pilot schob den Kopf aus dem Cockpit. »Da kommt ein Mann auf die Maschine zu«, sagte er und deutete auf die Windschutzscheibe. »Ich vermute, er möchte zu Ihnen.«
Hughes verstaute die Visitenkarte in einer Tasche seines Parkas. »Na schön.«
Ein eisiger Wind wehte über die Rollbahn und wirbelte den Schnee hoch wie Konfetti während einer Parade. Während Hughes die Treppe der Hawker hinunterging, tränten seine Augen sofort.
»Sie müssen der Fluggast sein, den ich zum Mount Forel bringen soll«, sagte der Mann und streckte eine Hand aus.
»Mein Name ist Mike Neilsen.«
Hughes nannte Neilsen einen Fantasienamen, dann blickte er hoch. »Können Sie gleich starten?«
»Vor morgen früh kommen wir nicht weg«, erwiderte Neilsen. »Im Hotel wurden für Sie und die Piloten zwei Zimmer reserviert. Wir können beim ersten Tageslicht aufbrechen, vorausgesetzt das Wetter klart auf.«
Die Männer machten sich in Richtung Terminal auf den Weg. »Haben Sie genügend Reichweite, um von hier direkt zum Mount Forel zu fliegen?«, wollte Hughes wissen.
»Bei Windstille schaffe ich sechshundert Meilen«, klärte Neilsen ihn auf. »Ich denke jedoch, zur Sicherheit sollten wir zwischendurch in Tasiilaq tanken, ehe wir Kurs auf den Berg nehmen.«
Sie erreichten die Abfertigungshalle, Neilsen öffnete die Tür und ließ Hughes den Vortritt. Dann bugsierte Neilsen seinen Fluggast zu einem schlichten Stahlschreibtisch, hinter dem ein einzelner Inuit saß. Seine mukluks,bequeme und warme Stiefel aus Seehundfell, lagen auf der Tischplatte, und er schlief.
»Isnik«, sagte Neilsen zu dem Mann, »die Arbeit ruft.«
Der Mann schlug die Augen auf und sah die beiden Männer an, die vor ihm standen. »Hey, Mike«, sagte er freundlich. »Ihren Pass, bitte«, wandte er sich dann an Hughes.
Hughes reichte ihm einen amtlichen amerikanischen Reisepass mit einem falschen Namen, jedoch mit seinem aktuellen Foto. Isnik würdigte das Dokument kaum eines Blickes, dann vermerkte er mit einem Stempel die Einreise.
»Der Grund Ihres Besuchs?«, erkundigte er sich.
»Wissenschaftliche Forschung«, antwortete Hughes.
»Ich vermute, wegen des Wetters kommt hier niemand her, stimmt’s?«, sagte Isnik, während er auf einem Blatt Papier, das in seinem Klemmbrett steckte, etwas notierte.
»Können Sie die Piloten bitten, nachher ins Hotel zu kommen?«, bat Neilsen den Inuit.
»Aber gern«, versprach Isnik und legte die Füße wieder zurück auf die Schreibtischplatte.
Neilsen geleitete Hughes durch die Tür aus der Halle hinaus. »Dies ist eine alte Basis der U.S. Air Force«, erklärte er. »Das Hotel war die Unterkunft der Basis. Eigentlich ganz nett. Es besitzt das einzige Hallenbad in Grönland und sogar eine Bowlinghalle mit sechs Bahnen. Für dieses Land gilt das schon als Vier-Sterne-Standard.«
Die Männer gingen das kurze Stück über den Parkplatz zum Hotel, und Hughes bekam seinen Zimmerschlüssel ausgehändigt. Zwei Stunden später, nach einer Mahlzeit aus Moschusochsensteak und Pommes frites, ging er zu Bett. Es war erst früher Nachmittag, doch hatte er am nächsten Tag eine Menge Arbeit vor sich und wollte dazu gründlich ausgeruht sein.
9
Juan Cabrillo brachte die Zollkontrolle in der kleinen Abfertigungshalle in Kulusuk zügig hinter sich, dann betrachtete er die Landkarte neben der Tür, die nach draußen führte. In den wenigen Monaten des kurzen Sommers war Kulusuk von Wasser umgeben. Sobald der Herbst anbrach und die Temperaturen sanken, gefror das Meerwasser zu dicken Eisschollen. Und obgleich das Eis niemals dick genug wurde, um zum Beispiel eine Lokomotive zu tragen, hatten Autos, Lastwagen oder Schneemobile keine Probleme, das Festland zu erreichen.
Im Winter war Kulusuk keine Insel mehr. Dank des Eises wurde es zu einem festen Bestandteil Grönlands.
Von dort, wo Cabrillo stand, waren es noch gut hundertzehn Kilometer nach Norden bis zu dem Breitengrad, der den eigentlichen Polarkreis markierte, und von dort aus waren es dann noch einmal rund zwanzig Kilometer bis zum Mount Forel. Seit der Wintersonnenwende, dem 22. Dezember, waren erst ein paar Tage verstrichen. Genau auf dem Polarkreis war dieser Tag der einzige Tag mit vollkommener Dunkelheit im Jahr.
Nördlich des Polarkreises herrschte, je nachdem wie weit man sich nach Norden bewegte, ohnehin ständige Dunkelheit. Je weiter man nach Norden vordrang, desto länger dauerte dieser Zustand an. Genau auf dem Polarkreis und südlich davon stellte der 22. Dezember einen Wendepunkt dar. Während der Winter andauerte und der Frühling näher rückte, verlängerte sich die Tageslichtperiode jeden Tag um einige weitere Minuten. Sobald der Sommer angebrochen war, ging die Mitternachtssonne auf und würde in der Region nördlich des Polarkreises für einige Zeit nicht mehr untergehen.
Es war ein Kreislauf, der sich seit unzähligen Jahrtausenden ständig wiederholte.
Draußen peitschte ein heulender Wind harte Schrotkugeln aus gefrorenem Schnee gegen die Fenster der Abfertigungshalle. Das Wetter wirkte so einladend wie das Innere eines Gefrierschranks. Cabrillo blickte hinaus und verspürte ein Frösteln. Obgleich er sich noch immer in der Halle aufhielt, zog er den Reißverschluss seines Parkas ein Stück weiter zu.
Da sich Kulusuk ganz knapp außerhalb des Polarkreises befand, würde an diesem Tag einige Minuten lang Tageslicht herrschen. Im Gegensatz dazu fristete der Mount Forel sein Dasein in totaler Dunkelheit. Während der nächsten Tage und Wochen könnte man miterleben, wie die Bergspitze die ersten Lichtstrahlen des Tages einfing. Dann, während die Monate ins Land gingen, begann der Sonnenschein an den Bergflanken hinunterzusickern wie gelbe Farbe, die über eine Pyramide gegossen worden war.
Wenn man jedoch hinausschaute, würde man niemals vermuten, dass die Sonne irgendwo in der Nähe geschienen hatte.
Im Augenblick hingegen machte sich Cabrillo weniger Sorgen wegen der Dunkelheit als vielmehr wegen eines Transportmittels zur Weiterreise. Während er durch die Halle zum Ausgang schlenderte, holte er ein Satellitentelefon hervor und gab eine Kurzwahlnummer ein.
»Was hast du erreicht?«, fragte er, als sich Max Hanley meldete.
Weil Langston Overholt das Ganze so dringlich gemacht hatte, war Cabrillo ohne einen genauen Plan, wie er zum Mount Forel gelangen sollte, von der Oregonaufgebrochen. Hanley hatte ihm versichert, ein Plan läge bereit, sobald er landete.
»Man kann sich einen Hundeschlitten mieten«, antwortete Hanley, »aber dann bräuchtest du jemanden als Hundeführer – und ich dachte mir, dass du lieber auf einen Zeugen verzichten würdest, deshalb habe ich das verworfen. Die Hubschrauber, die Kulusuk versorgen, haben feste Zeiten und Routen, von Tasiilaq und zurück, aber die kann man nicht mieten. Und wegen der augenblicklichen Wetterlage können sie sowieso nicht starten.«
»Zum Wandern eignet sich das Wetter auch nicht«, erklärte Cabrillo, während er hinausblickte.
»Oder zum Skilaufen«, fügte Hanley hinzu, »obwohl ich weiß, dass du dir auf deine Skikünste eine Menge einbildest.«
»Also, was ist es?«
»Ich habe den Computer sämtliche Fahrzeuganmeldungen aus der Gegend überprüfen lassen – lange hat es nicht gedauert, weil in Kulusuk nur an die vierhundert Leute wohnen. Schneemobile habe ich von Anfang an gestrichen, weil du damit dem Schnee und der Kälte ausgesetzt wärest, und auch, weil sie gerne streiken. Bleiben also nur noch Schneekatzen übrig. Sie sind zwar langsam und verbrauchen eine Menge Sprit, sind aber geheizt und haben genügend Platz, um Vorräte und Ausrüstung einzuladen. Ich denke, sie wären die beste Lösung.«
»Klingt vernünftig«, sagte Cabrillo. »Und wo finde ich die Vermietung?«
»So etwas gibt es nicht«, dämpfte Hanley seine Hoffnung, »aber ich habe die Namen und Adressen von Privateigentümern aus dem Einwohnerverzeichnis von Grönland rausgesucht und ein paar Telefonate geführt. Niemand von denen, die ein solches Vehikel besitzen, hat eine private Telefonnummer, aber ich konnte den Pastor der örtlichen Kirche erreichen. Und er meinte, es gebe da einen Mann, der vielleicht bereit sei, sein Fahrzeug zu vermieten – die anderen sind alle in Gebrauch.«
»Und die Adresse?« Cabrillo holte einen Bleistift und einen kleinen Notizblock aus seinem Parka.
»Das sechste Haus nach der Kirche. Es hat rote, mit gelben Streifen abgesetzte Wände.«
»Gibt es so hoch im Norden keine Straßennamen mehr?«
»Ich denke, hier kennt jeder jeden«, sagte Hanley.
»Das klingt, als seien die Eingeborenen ganz fremdenfreundlich.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, erwiderte Hanley. »Der Pastor sagte, dass der Eigentümer während des Winters ziemlich viel trinkt. Er erzählte auch, fast jeder in der Stadt habe eine Waffe bei sich, um Bären abzuwehren.«
Cabrillo nickte. »Demnach brauche ich lediglich einen bewaffneten und besoffenen Einheimischen zu überreden, mir seine Schneekatze zu leihen, und schon bin ich unterwegs«, sagte Cabrillo und klopfte prüfend auf das Paket Hundert-Dollar-Scheine in seiner Parkatasche. »Das klingt einfach.«
»Ach ja, da ist noch etwas – er ist kein Eingeborener. Er ist in Arvada, Colorado, aufgewachsen und wurde während des Vietnamkriegs zum Wehrdienst eingezogen. Nach dem, was ich mir aus allen möglichen Datenbanken habe zusammensuchen können, verbrachte er nach seiner Rückkehr aus dem Krieg mit kurzen Unterbrechungen einige Jahre in Veteranenheimen. Dann verließ er das Land, um die Vereinigten Staaten so weit wie möglich hinter sich zu lassen.«
Cabrillo sah aus dem Fenster. »Scheint, als hätte er sein Ziel erreicht.«
»Tut mir Leid, Juan«, sagte Hanley. »In zwei Tagen, wenn die Gipfelkonferenz zu Ende geht, können wir die Oregonumdirigieren, und Adams könnte dich mit dem Helikopter raufbringen. Im Augenblick ist das alles, was wir kriegen können.«
»Nicht so schlimm«, sagte Cabrillo und warf einen Blick auf seine Notizen. »Das sechste Haus nach der Kirche also.«
»Rote Wände«, sagte Hanley, »und gelbe Zierstreifen.«
»Na schön, dann will ich mir den Verrückten mal ansehen.«
Er unterbrach die Verbindung und trat durch die Tür hinaus.
Cabrillo ließ seine Materialkisten im Flughafen stehen und ging auf ein Schneemobiltaxi zu, neben dem ein halbwüchsiger Inuit wartete. Der Junge runzelte leicht die Stirn, als ihm Cabrillo die Adresse nannte, sagte aber nichts. Er schien sich viel mehr für den Fahrpreis zu interessieren, den er in dänischer Währung nannte.
»Wie viel in amerikanischen Dollars?«, fragte Cabrillo.
»Zwanzig«, antwortete der Junge, ohne zu zögern.
»In Ordnung«, sagte Cabrillo und reichte dem Jungen einen Geldschein.
Dieser stieg auf das Schneemobil und streckte die Hand nach dem Starterknopf aus. »Kennen Sie Garth Brooks?«, fragte er, da er offenbar annahm, dass ebenso wie in seinem Dorf auch in den USA jeder jeden kannte.
»Nein«, antwortete Cabrillo, »aber ich habe mal mit Willie Nelson Golf gespielt.«
»Cool. Ist er gut?«
»Er schlägt einen spitzenmäßigen Slice«, sagte Cabrillo, während der Junge endlich auf den Starter drückte und der Motor knatternd ansprang.
»Steigen Sie auf!«, rief er.
Sobald Cabrillo halbwegs sicher saß, gab der Junge Gas und ließ den Flughafen hinter sich. Der Scheinwerfer des Schneemobils schaffte es kaum, die Dunkelheit und das Schneetreiben zu durchdringen. Kulusuk war kaum mehr als eine Ansammlung von Häusern knapp zwei Kilometer vom Flughafen entfernt. Die Seitenwände der Häuser wurden teilweise von Schneewehen zugedeckt. Rauchfahnen und Dampfschwaden drangen aus den Häusern. Hundegespanne sowie zahlreiche Schneemobile drängten sich daneben. Gebogene Skispitzen ragten aus Schneewällen, Schneeschuhe hingen an Nägeln in Griffweite neben den Haustüren.
Das Leben in Kulusuk musste hart und entbehrungsreich sein.
Nördlich der Stadt war die Eisfläche, die die Verbindung zum Festland darstellte, als schmaler dunkler Streifen nur vage zu erkennen. Das Eis war schwarz und glatt, und der Wind trieb den Schnee vor sich her, häufte ihn zu kleinen Verwehungen auf und blies sie wieder auseinander. Die Berge jenseits der Eisfläche waren nur als dunkler Streifen zu erahnen, nicht mehr als eine andere Grauschattierung vor einem undefinierbaren Hintergrund. Die Szenerie wirkte in etwa genauso einladend wie ein Rundgang durch ein Krematorium. Cabrillo spürte, wie das Schneemobil langsamer wurde und schließlich stoppte.
Er stieg von der Sitzbank auf den festgebackenen Schnee.
»Bis später«, sagte der Teenager und winkte lässig.
Dann riss er den Lenker scharf nach links, wendete auf der Schneepiste und jagte davon. Cabrillo blieb allein in der Kälte und Dunkelheit zurück. Er betrachtete einen Moment lang das halb unterm Schnee begrabene Haus, dann stapfte er durch die Schneewehen zur Haustür. Sekundenlang hielt er davor inne, ehe er klopfte.