Текст книги "Das letzte Relikt"
Автор книги: Robert Masello
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»Hausaufgaben?«, schlug er vielsagend vor. »Ich meine, wir wollen doch den guten Onkel Doktor nicht enttäuschen, oder?«
Beth runzelte die Stirn, als versuchte sie sich eine Meinung zu einem besonders heiklen Problem zu bilden. Dann sagte sie: »Vielleicht hast du recht. Es ist nie gut, die Dinge hinauszuschieben.«
2. Kapitel
»Wir landen in wenigen Minuten«, sagte der Pilot über die Bordsprechanlage. »Ich bitte die Flugbegleiter, alles für die Landung vorzubereiten.«
Ezra Metzger öffnete seine silberne Pillendose, nahm einen weiteren Tranquilizer heraus und spülte ihn mit dem Rest seines Evian-Wassers herunter. Er hatte es bereits bis hierher geschafft, jetzt musste er nur noch eine Stunde lang Ruhe bewahren.
»Bitte schließen Sie den Sicherheitsgurt«, sagte die Stewardess und griff nach seinem leeren Plastikbecher. Er reichte ihn ihr, dann sagte sie dasselbe zu der jungen Frau Anfang zwanzig, die den ganzen Flug über auf dem Sitz hinter ihm geschnieft hatte. Jedermann schien sehr besorgt um das Mädchen zu sein, und Ezra hatte sich gefragt, was wohl dahinterstecken mochte. War sie eine Fernsehschauspielerin, die öffentlich ihren Liebeskummer zelebrierte? Er wusste, dass er ziemlich hinter dem Mond lebte, was Popkultur anging. Dabei war er nicht einmal besonders alt, gerade mal dreißig. Aber in den letzten drei Jahren hatte er sich nahezu rund um die Uhr im Institut in Jerusalem aufgehalten, und selbst, als er noch in New York gelebt hatte, hatte er eher dazu tendiert, Vorträge im Cooper-Hewitt-Museum zu besuchen, als fernzusehen oder sich einen Film anzuschauen.
Als das Flugzeug mit dem Sinkflug begann, schloss er die Augen und versuchte, entspannt zu bleiben. Er wusste, dass er einen vollkommen ungezwungenen Eindruck machen musste, wenn er den Zoll passierte, und bei jeder Verzögerung, Frage oder Bitte ganz ruhig bleiben musste. Er ermahnte sich, dem Zollbeamten gerade in die Augen zu schauen, nicht zur Seite zu blicken, seine Nase zu berühren, sich am Kinn zu kratzen oder sonst irgendetwas zu tun, das womöglich seine Nervosität und Angst verraten könnte. Und falls er tatsächlich das Pech haben sollte, dass man seine Taschen durchsuchte oder ihn in aller Ausführlichkeit befragte, musste er Gleichmut und Unbekümmertheit zeigen. Das Geheimnis, so sagte er sich zum hundertsten Mal, lag darin, so zu tun, als hätte er nichts zu verbergen. Als sei er nur ein weiterer amerikanischer Staatsbürger, der glücklich war, nach einem ausgedehnten Auslandsaufenthalt wieder nach Hause zu kommen.
Obwohl das meilenweit von der Wahrheit entfernt war.
Sobald das Flugzeug gelandet war und auf das Gate zurollte, wurde das hübsche Mädchen mit dem haselnussbraunen Haar hinter ihm erneut bevorzugt behandelt. Während Ezra und die anderen Passagiere der ersten Klasse warteten, durfte sie das Flugzeug als Erste verlassen und die Fluggastbrücke betreten. Ezra konnte sie immer noch nicht einordnen, also fragte er eine gutgekleidete Frau, die im Gang neben ihm wartete, wer sie sei.
»Ich weiß nicht, wie sie heißt, aber ich habe in der Herald Tribuneetwas über sie gelesen. Sie stammt aus einer angesehenen Familie und war gerade in den Flitterwochen, als ihr Mann bei einem Bootsunfall oder so etwas getötet wurde, in der Nähe von Neapel.«
Ezra ließ das Gesagte auf sich wirken, bis er feststellte, dass die Frau ihn ansah, als erwarte sie eine Reaktion von ihm. »Das ist sehr traurig«, sagte er pflichtschuldig. Konzentration, Ezra. Konzentration!
»Ja«, sagte sie, »furchtbar, nicht wahr?«, ehe sie sich so weit zurückzog, wie der schmale Gang es zuließ.
Als sich die Menschen vor ihm in Richtung Ausgang schoben, holte Ezra seine Papprolle aus dem Gepäckfach über seinem Kopf und klemmte sie sich unter den Arm. Verhalte dich ganz normal.
»Danke, dass Sie mit Alitalia geflogen sind«, sagte die Stewardess mit starkem Akzent, als er das Flugzeug verließ.
Er ging langsam, so dass er allmählich von der größeren Masse an Passagieren aus der Touristenklasse eingeholt wurde, und folgte den Schildern zur Einreise-und Passkontrolle. Eine Frau in blauer Uniform fragte: »Fremde Staatsangehörigkeit?«, und berührte ihn am Ärmel, um ihn in die ganz rechte Reihe zu dirigieren.
Bei ihrer Berührung riss er den Arm zurück, und sie sah ihn überrascht an.
»Sind Sie ein Ausländer, der unser Land besucht?«, fragte die Frau betont langsam.
»Nein, tut mir leid«, sagte Ezra. »Ich bin Amerikaner.«
»Oh, dann können Sie sich links anstellen.«
Er nickte zum Dank und ging auf die Schlange auf der linken Seite zu, aber er meinte ihre Blicke auf sich zu spüren, als er sich entfernte. Er musste sich besser in den Griff bekommen. Allerdings konnte er verstehen, warum sie sich geirrt hatte. Er war dunkelhaarig und angespannt, seine Kleidung stammte aus dem Ausland, und selbst sein Haarschnitt wirkte vermutlich irgendwie falsch. Bei seinen Reisen wurde er häufig für alles Mögliche vom Spanier bis zum Griechen gehalten, und als er mit der Hand übers Kinn strich, spürte er die Stoppeln, die während des langen Fluges nachgewachsen waren. Wenn er doch bloß daran gedacht hätte, sich im Waschraum des Flugzeugs zu rasieren …
Der Grenzschutzbeamte, der den Pass kontrollierte, war ein älterer Mann mit Drahtgestellbrille. Schweigend studierte er den Reisepass und blätterte bedächtig die Seiten ein paar Sekunden lang vor und zurück.
»Wann waren Sie das letzte Mal in den Vereinigten Staaten, Mr Metzger?«
»Vor etwa drei Jahren.«
»Sie haben im Ausland gearbeitet?«
»Ja, in Israel.«
»Was für eine Arbeit war das?«
»Ich war Stipendiat des Feldstein-Instituts.« Das traf zumindest teilweise zu. Ezra hatte bereits beschlossen, sich so eng wie möglich an die Wahrheit zu halten.
Der Beamte musterte ihn intensiv durch den oberen Teil seiner Gleitsichtbrille. Er schien auf mehr zu warten.
»Das ist ein Forschungsinstitut. Wir arbeiten dort mit modernster Technik, um archäologische Funde zu datieren und zu analysieren.«
Der Beamte nickte. »In dem Teil der Welt muss es eine Menge von dem Zeugs geben.«
»Ja, auf jeden Fall«, stimmte Ezra bereitwillig zu.
»Ist das der Grund, warum Sie so oft in …«, der Beamte hielt kurz inne und warf erneut einen Blick auf die Seiten des Reisepasses, »… Ägypten, Saudi-Arabien, Kuwait und dem Libanon waren?«
»Ja, genau deswegen. Manchmal habe ich bei Ausgrabungen gearbeitet.«
Der Beamte schwieg erneut, und Ezra befürchtete, er habe bereits zu viel gesagt. Er hatte versucht, das Wichtigste auszulassen und gleichzeitig so viel vom Rest der Geschichte preiszugeben wie möglich. Die Papprolle hatte er vorsichtig an seine Beine gelehnt.
Der Beamte hob seinen Stempel und hämmerte damit auf die letzte Seite von Ezras arg mitgenommenem Reisepass. Ezra unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung.
»Willkommen zu Hause«, sagte der Beamte und reichte ihm den Pass. »Die Gepäckausgabe und der Zoll befinden sich direkt vor Ihnen.«
Als Ezra durch den Gang neben dem Schalter schritt und gerade dachte: Ein Hindernis ist überwunden, eines liegt noch vor mir,hörte er die Stimme des Beamten hinter sich. »Mr Metzger?«
Ezra blieb stehen und drehte sich um. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals.
»Falls Sie planen, weiterhin so viel zu reisen, sollten Sie einen neuen Reisepass beantragen. Ihrer ist schon ziemlich zerfleddert.«
Ezra lächelte und schwenkte den alten Pass. »Mach ich.« Dann wandte er sich wieder der Gepäckausgabe zu.
Seine Koffer gehörten zu den ersten, die auf dem Förderband ankamen, ein weiterer Vorteil bei Flügen erster Klasse. Während er sein Gepäck in Richtung Zoll schleppte, versuchte er, zu einer raschen Einschätzung zu gelangen. Welcher Zollbeamte wirkte am wenigsten aufmerksam? Vor wem hatte sich die längste Schlange gebildet, in der die Fluggäste ungeduldig darauf warteten, durchgelassen zu werden?
Er entschied sich für eine untersetzte Beamtin, die mehr Interesse daran zu haben schien, mit einer ihrer Kolleginnen herumzualbern, als die Taschen der Passagiere vor ihr zu inspizieren. Als er an die Reihe kam, lächelte er sie an und reichte ihr ungezwungen die Zollerklärung, die er an Bord ausgefüllt hatte.
»Langer Flug«, sagte er, streckte sich wie beiläufig und schaute sich um.
Sie erwiderte sein Lächeln und warf einen kurzen Blick auf das Formular. »Sie kommen mit dem Alitalia-Flug aus Rom?«
»Ja.«
»Anschlussflug?«
»Wie bitte?«
»War das ein Anschlussflug von einem anderen Flughafen?«
»O ja. Ich komme aus Tel Aviv.«
»Mit welcher Fluglinie?«
»El Al.«
Warum fragte sie ihn das alles? Damit hatte Ezra nicht gerechnet. Warum hatte sie plötzlich beschlossen, sich auf ihren Job zu konzentrieren? Die andere Beamtin, mit der sie vorhin herumgealbert hatte, war ebenfalls wieder konzentriert bei der Sache.
»Haben Sie irgendjemandem Zugang zu Ihrem Gepäck gewährt?«
»Außer den Mitarbeitern der Fluggesellschaften niemandem.«
»Hat jemand anders die Koffer für Sie gepackt?«
»Nein, das habe ich selbst getan.«
»Bitte stellen Sie sie auf den Tresen und öffnen Sie …«, sie zögerte einen Moment, als wollte sie abwarten, wo sein Blick unwillkürlich hinwanderte, »… diesen hier.«
Ezra hob den Koffer auf den Tresen und öffnete den Reißverschluss. Mein Gott, er hatte sich die Falsche rausgepickt – er wurde tatsächlich durchsucht! Bleib ruhig, ganz ruhig,redete er sich gut zu. Selbst wenn sie fand, was er dabei hatte, würde sie nichts damit anzufangen wissen.
Sie klappte den Deckel zurück und begann den Inhalt des Koffers durchzusehen. Schwarze Rollkragenpullover aus Baumwolle, khakifarbene Cargohosen, so wie er sie auch jetzt trug. Außerdem Socken, Unterwäsche sowie ein paar Bücher, die er nicht der Post anvertrauen wollte und sie deshalb eigenhändig mitschleppte. Seine anderen mehrere hundert Bücher hatte er eingeschifft.
Die Beamtin tippte auf den ledernen Kulturbeutel. »Bitte öffnen Sie den für mich.«
Er nahm den Beutel heraus, öffnete ihn und legte ihn für die Frau auf den Tresen. Sie wühlte in seiner Zahnpasta und Zahnseide, dem Rasierer und der Aspirinflasche herum, bis sie auf das Fata-Morgana-Körperpeeling stieß. »Benutzen Sie das?«, fragte sie.
»Ich habe manchmal draußen gearbeitet und bin dabei ziemlich schmutzig geworden«, sagte er. »Nichts hilft besser als dieses Zeug.«
Sie schraubte den Deckel auf, und er versuchte, nicht besorgt auszusehen. Aber er spürte sein Herz pochen, und seine Hände wurden feucht. Wisch sie nicht ab,sagte er sich. Lass sie einfach in Ruhe.
Das Glas war mit einer milchig-roten Paste gefüllt. Die Beamtin roch daran. »Puh!«, sagte sie und zuckte zurück. »Und dieses Zeug schmieren Sie sich ins Gesicht?«
»Ja. Wenn man sich damit einreibt, fühlt es sich großartig an.«
Sie schraubte das Glas wieder zu. »Ich bleibe lieber bei Noxzema.«
Sie legte das Glas zurück in den Kulturbeutel und deutete auf die Papprolle. »Was ist da drin?«
»Ein paar Graphiken auf Papyrus, Souvenirs, die ich am Flughafen in Israel gekauft habe.« Er kramte in seiner Tasche herum. »Ich habe sogar noch die Rechnung«, sagte er und förderte sie zutage. »Sie sind überhaupt nicht wertvoll.«
»Entfernen Sie bitte die Deckel von der Rolle.«
Ezra tat, worum sie ihn gebeten hatte, und sie hob den Zylinder wie ein Teleskop und drehte ihn, um hineinzusehen. Wie viel würde sie so erkennen können?
»Wer ist der Kerl mit dem Hundekopf?«
»Das ist wahrscheinlich Anubis, den Sie gerade sehen«, erklärte er. »Der Totengott. Genaugenommen ist es der Kopf eines Schakals.« Himmel, was dachte er sich bloß dabei, sie zu korrigieren?
Sie stopfte die Plastikdeckel dorthin zurück, wohin sie gehörten, und legte die Rolle neben den Koffer auf den Tresen. Seine Zollerklärung stempelte sie unten auf der Seite ab.
»Danke«, sagte sie. »Der Ausgang befindet sich diesen Korridor entlang und dann links.«
Ezra sammelte seine Koffer zusammen, stopfte sich die Rolle wieder unter den Arm und machte sich auf den Weg aus dem Zollbereich heraus. Er spürte, wie sein schwarzer Rollkragenpullover schweißnass an seinem Rücken klebte, aber er musste sich zusammenreißen, um keine Freudensprünge zu machen.
Sobald er die Ankunftshalle betreten hatte, entdeckte er seinen Onkel Maury in einer blauen Windjacke. Er hielt ein handbemaltes Schild mit dem Namen METZGER in die Höhe.
Ezra, beladen mit seinen Koffern, hob das Kinn, um ihn zu begrüßen, und Maury eilte herbei, um ihm zu helfen. Ezra stellte die Koffer ab, und sie umarmten sich. Dann trat Maury einen Schritt zurück und musterte ihn von oben bis unten. »Du hast abgenommen.«
»Du aber auch.« Das war eine Lüge. Sein Onkel sah nicht nur genauso schwer aus wie eh und je, sondern man sah ihm auch jedes seiner fünfundsechzig Jahre an, vielleicht sogar ein paar mehr. »Aber was soll das Schild? Dachtest du, ich würde dich nicht wiedererkennen?«
»Ich hatte Angst, dass ich dichvielleicht nicht erkenne.«
Maury wollte gerade den sperrigsten Koffer aufheben, doch Ezra hielt ihn zurück. »Hier«, sagte er und reichte ihm einen kleinen Bordkoffer, »du kannst den hier nehmen.«
Maury ging langsam und schwankte dabei von einer Seite zur anderen, als sie das Terminal verließen. Obwohl er nur ein Jahr mehr zählte als sein Bruder, Ezras Dad, sah er wesentlich älter aus. Das Leben war hart mit Maury umgesprungen, doch er war, wie er gerne sagte, auch hart zum Leben gewesen. Während sein Bruder Sam ihn in allem ausgestochen und mit dreißig bereits ein Vermögen gemacht hatte, hangelte Maury sich von Job zu Job, von Frau zu Frau, ohne sich jemals ernsthaft festlegen zu wollen. Schließlich endete er als Mädchen für alles für Sam und seine Familie und fungierte je nach Bedarf als Handwerker, Babysitter oder, wie heute Abend, Chauffeur.
Die schwarze Lincoln-Limousine stand auf dem ersten für VIPs reservierten Parkplatz. Was Ezra daran erinnerte, dass er wieder einmal die Einflusssphäre seines Vaters betrat. Maury hielt ihm die Fondtür auf.
»Soll ich nicht vorn bei dir sitzen?«, fragte Ezra.
»Komm schon, steig ein. Vorne habe ich zu viel von meinem Kram.«
Ezra wusste, dass es seinem Onkel so schon immer lieber gewesen war. Also stieg er hinten ein und wartete, während Maury sich auf den Fahrersitz setzte, seine Wettzeitschrift Daily Racing Formbeiseiteschob und den Wagen aus dem Flughafenlabyrinth navigierte.
Auf dem Weg in die City erkundigte sich Ezra, wo sein Vater und seine Stiefmutter Kimberly den heutigen Abend verbrachten. Er hoffte, dass sie vielleicht in ihrem Haus in Palm Beach seien.
»Sie sind zu Hause. Das heißt, sie schmeißen eine Dinnerparty.«
Ezras Herz sank.
»Wer steht auf der Gästeliste?«
Maury wusste, dass das nicht gut ankommen würde. »Der Bürgermeister«, sagte er mit einem gewissen Widerwillen, »und ein Haufen weiterer großer Tiere.«
»Kannst du mich am Hintereingang rauslassen?«
Maury warf ihm im Rückspiegel einen kurzen Blick zu. Selbst nach all der Zeit hatte sich nicht viel verändert. »Du kannst es versuchen, aber sie erwarten, dass du dich blicken lässt.«
Vor so einer Heimkehr hatte Ezra sich immer gefürchtet, und das war auch der Grund, warum er es jahrelang vermieden hatte. Die letzten Worte, die er persönlich mit seinem Vater gewechselt hatte, waren ziemlich unverblümt gewesen. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, kamen jetzt noch die merkwürdigen Umstände hinzu, unter denen er Israel verlassen musste. Er war sich nicht sicher, wie viel genau sein Vater von dem wusste, was dort vorgefallen war. Er selbst hatte niemandem die ganze Geschichte erzählt, aber sein Vater hatte überall seine Quellen, wie Ezra sein Leben lang immer wieder hatte erfahren müssen. Was Samuel Metzger noch nicht wusste, würde er in Kürze herausfinden.
Für den Rest der Fahrt hielten sie sich eher an neutrale Themen – die Mets, die Stadtpolitik, die Haushälterin Gertrude, die Köchin Trina. Als sie das Haus erreichten, lenkte Maury den Wagen in die kreisrunde Auffahrt und hielt an. »Du kannst dein Gepäck im Kofferraum lassen«, sagte er. »Ich schicke es dir mit dem Lastenaufzug nach oben.«
»Danke«, sagte Ezra. »Sehe ich dich morgen?«
»Aber auf jeden Fall.«
Ezra nahm die Papprolle und trug sie hinein. Der Pförtner war neu und kannte ihn nicht, aber er erkannte die Lincoln-Limousine und Maury, der die Koffer auslud.
»Ich will zum Penthouse; ich bin Mr Metzgers Sohn«, erklärte Ezra trotzdem, und der Pförtner fragte: »Soll ich Sie anmelden?«
»Nein, nein, nicht nötig. Sie wissen, dass ich komme.«
Im Lift begrüßte Ezra den Fahrstuhlführer, einen der Angestellten, die am längsten in diesem Gebäude arbeiteten. Im obersten Stock stieg er aus und stand direkt im mit Marmor ausgestatteten Foyer des riesigen Apartments seiner Familie. Zum Glück war er vorgewarnt, dass der Bürgermeister zum Dinner da war, andernfalls hätte ihm der Anblick eines Polizisten womöglich einen Schock versetzt. Unter dem Gemälde einer Ballerina von Rodin hockte der Beamte auf dem Stuhl aus der Zeit des Französischen Empires und las in einer Boulevardzeitung.
»Wer sind Sie?«, fragte der Cop.
»Ich wohne hier«, sagte Ezra und fragte sich einen Moment später, ob das eigentlich stimmte.
»Okay, dann können Sie rein.«
»Furchtbar großzügig von Ihnen«, sagte Ezra.
In der Wohnung hörte er Gläserklirren und Geplauder, doch er dachte, dass er, wenn er vorsichtig genug war und sich heimlich durch den Flur schlich, es vielleicht bis in seine Zimmer schaffen könnte, ohne entdeckt zu werden.
»Ezra!«
So viel also zum Thema Heimlichkeit. Oder hatte der Pförtner doch angerufen und Bescheid gegeben?
Seine Stiefmutter betrat die Halle. Ihre achtundneunzig Pfund in ein hautenges schwarz-silbernes Etwas gehüllt, stakste sie auf zehn Zentimeter hohen Absätzen auf ihn zu. An ihrem Hals glitzerte ein Collier aus Diamanten und Smaragden, ohne Zweifel das jüngste Geschenk seines vernarrten Vaters.
»Willkommen zu Hause«, sagte sie und legte ihm die Hände, kalt wie Diamanten, auf die Wangen. Eine perfekte Simulation von Zuneigung. »Es ist so lange her.«
»Ja«, sagte er, »das stimmt.« Er fragte sich bereits, ob es lange genug gewesen war.
»Wie war der Flug?«
»Gut, danke.«
»Dein Vater ist schon ganz ungeduldig, dich zu sehen. Du wirst doch zumindest kurz hereinkommen und hallo sagen, nicht wahr?«
»Klar, natürlich. Sobald ich mich frisch gemacht habe.«
»Gut. Tu das. Der Bürgermeister ist heute Abend hier.«
Ezra wusste, dass Kimberly ihr ganzes Leben lang davon geträumt hatte, Sätze wie diesen sagen zu können. Und nachdem sie seinen Vater an der Angel gehabt hatte, war dieser Traum Wirklichkeit geworden. Sie war nur wenige Jahre älter als ihr Stiefsohn, aber sie würde am liebsten ewig so weitermachen – solange sie es schaffte, den alten Mann glücklich zu machen.
Ezra wandte sich zum Gehen, den Korridor entlang zu seinen alten Räumen. Die Papprolle hatte er noch immer unter den Arm geklemmt.
»Ezra, zieh bitte möglichst einen Blazer an, und ein frisches weißes Hemd, das wäre super. Die Krawatte kannst du weglassen, wir sind heute Abend ganz zwanglos.«
Wenn daszwanglos war, dachte Ezra, wollte er lieber nicht sehen, was sie anhatte, wenn sie sich schick machte. Aber er nickte, ohne sich umzudrehen, und ging weiter. Seine eigenen Räume befanden sich am anderen Ende des Penthouses, und er atmete erst wieder aus, als er die Tür hinter sich geschlossen und abgesperrt hatte.
Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, das kostbare Mitbringsel in den Armen, und dachte: Zuhause.Jetzt konnte er sich ernsthaft wieder seiner Aufgabe widmen.
3. Kapitel
Nachdem Beth kurz geduscht hatte und zur Party in der Kunstgalerie aufgebrochen war, lag Carter einfach nur faul im Bett und sah sich die Lokalnachrichten an. Ein drohender Busfahrerstreik, eine Premiere am Broadway, eine junge Frau, die nach einer Tragödie irgendwo im Ausland allein aus den Flitterwochen zurückgekehrt war. Schließlich bekam er Hunger, und er machte sich daran, den Kühlschrank zu plündern.
Er fand das Übliche – ein Dutzend Plastikbeutel mit frischem Obst und Gemüse, alle ordentlich verschlossen, ein Stapel Danone Joghurt in allen Geschmacksrichtungen, ein Sechserpack Pellegrino. Beth erledigte beinahe ihre gesamten Lebensmitteleinkäufe, und sie nahm nichts in den Mund, das nicht gesund, ungepanscht und biologisch angebaut war. Carter tat sein Bestes, um bei diesem Programm mitzuhalten, aber wann immer Beth ihn nicht direkt überwachte, erlitt er einen ernsthaften Rückfall. Und sie wusste es.
Fünfzehn Minuten später schlang er auf der Sixth Avenue einen Burger und Pommes herunter. Es ging doch nichts über Fett und Proteine, um ihn so richtig auf Hochtouren zu bringen, und solange Beth bei diesem Empfang in der Galerie war, gab es keinen besonderen Grund, anschließend wieder nach Hause zu gehen. Der Abend war kühl und klar, und Carter brannte darauf, sich wieder an die Arbeit mit ein paar kleinen Fossilien zu machen, die der Universität gespendet und dann zwecks Identifizierung an ihn weitergereicht worden waren. Sie warteten im Erdgeschoss des Biologiegebäudes auf ihn, wo er sich mit mehreren anderen Mitgliedern seines Fachbereichs ein Labor teilte.
Das Gebäude selbst war geöffnet, was ihn nicht überraschte, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass im Labor noch Licht brennen würde. Abends konnte er zumeist damit rechnen, den Raum ganz für sich zu haben. Als er jedoch Eminem aus den Laborlautsprechern hörte, wusste er, wen er zu erwarten hatte.
Leise trat Carter ein und beobachtete Bill Mitchell ein, zwei Sekunden lang. Tief über eine Probe gebeugt, hockte er auf einem Stuhl und rappte leise mit. Mitchell war ein Juniorprofessor, und dies war das alles entscheidende Jahr für ihn. Entweder bekam er eine feste Stelle oder nicht. Insgeheim wusste Carter, dass seine Chancen nicht gut waren. Seine Arbeit war einfach nicht gut genug, seine Aufsätze wurden nicht veröffentlicht, und er hatte die Tendenz, ständig anzuecken. Trotzdem machte der Typ massenweise Überstunden, ein allerletzter Versuch, sich einen Namen und einen Ruf zu erwerben, egal womit. Unwillkürlich empfand Carter Mitleid für ihn.
»Du arbeitest heute aber lange«, sagte Carter, und Mitchell schreckte auf.
»Mann, ich habe dich gar nicht hereinkommen hören«, sagte er und schob seine Brille auf der Nase nach oben. Sein langes schwarzes Haar, das immer so fettig aussah, als könnte er damit einen Motor schmieren, hing ihm in die Stirn. Aus irgendeinem Grund sah er noch nervöser aus als gewöhnlich. »Ich dachte, du hättest mittwochs abends ein Seminar.«
»Das war letztes Semester.«
»Und warum bist du dann nicht zu Hause bei deiner wunderschönen Frau?«
»Meine wunderschöne Frau arbeitet heute Abend«, sagte Carter und hängte seine Lederjacke an die Rückseite der Tür. »Ich dachte mir, ich komme mal vorbei und arbeite die liegengebliebenen Sachen auf.«
Als sei er unsicher, was er machen sollte, blickte Mitchell auf die Proben vor sich.
»Woran arbeitest du gerade?«, fragte Carter, aber als er näher kam, konnte er es selbst erkennen. Und es machte ihn nicht gerade glücklich. Mitchell hatte einen der transparenten Umschläge aufgerissen und untersuchte eifrig eines der gespendeten Fossile unter der Leuchtstofflampe.
»Ich konnte einfach nicht widerstehen«, sagte Mitchell mit einem matten Lächeln. »Ich dachte, vielleicht entdecke ich etwas und erspare dir so etwas Zeit.«
Carter sagte nichts.
»Dies hier, zum Beispiel«, sagte Mitchell und holte tief Luft, »sieht aus wie das Fragment eines Kieferknochens. Ich denke da an den Smilodon, bin mir aber nicht wirklich sicher. Was siehst du darin?«
Carter wusste nicht, was er sagen sollte. Das war ein ziemlich heftiger Verstoß gegen die Laboretikette, ganz zu schweigen vom beruflichen Ethos. Wenn er wollte, könnte er Mitchell deswegen in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Zweifellos wusste Mitchell das ebenfalls, weshalb ihm jetzt auch der Schweiß auf die Stirn trat. Carter streckte die Hand aus und drückte den Stopp-Button des Ghettoblasters.
»Ist das die erste Probe, die du geöffnet hast?«, fragte er.
»Äh, ja, eindeutig. Ich meine, ich habe gerade an etwas anderem gearbeitet, aber ich habe diese Tüten ständig aus dem Augenwinkel gesehen, und na ja, du weißt ja, wie das ist … wie soll man als Paläontologe die Finger von so verlockendem Material lassen können?«
»Ja«, sagte Carter trocken. »Ich weiß, wie das ist.« Er wusste auch, wie es war, so verzweifelt zu sein, so sehr auf den Durchbruch bei der Arbeit zu hoffen, der einem irgendwo eine Festanstellung bescheren würde. Aber das war keine Entschuldigung. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn du mir die Anfangsarbeit überlässt. Dafür werde ich schließlich bezahlt.«
»Absolut«, bestätigte Mitchell und schaltete die Lampe aus.
»Wenn ich Unterstützung brauche, lasse ich es dich wissen.«
»Cool. Kein Problem«, sagte Mitchell, schob die Probe zurück in den Umschlag und reichte ihn Carter.
Carter wandte sich ab und ging zu seiner eigenen Ecke im Labor. Was für eine Schwachsinnsaktion! Er hatte bereits beschlossen, niemandem davon zu erzählen, weder innerhalb noch außerhalb des Fachbereichs, als Mitchell sagte: »Hey, Carter …«
»Ja?«
»Tut mir leid, falls ich eine Grenze überschritten habe. Da kommt doch nichts nach, oder?«
Carter schüttelte den Kopf. »Nein.«
Er konnte Mitchells erleichterten Seufzer beinahe hören.
»Carter?«
»Ja.«
»Eins noch.«
Carter fragte sich, ob er überhaupt zum Arbeiten kommen würde, solange Mitchell im Labor war.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich die Musik wieder anmache? Ich kann mich dann besser konzentrieren.«
»Mach ruhig«, sagte Carter. Wenigstens würde Mitchell nicht versuchen, mit ihm zu reden, solange der Ghettoblaster plärrte.
In der Raleigh Galerie in der Siebenundfünfzigsten East schlenderten die Käufer durch den Hauptsaal. Es handelte sich um ein paar Europäer, zwei von ihnen mit einem Titel, ein paar asiatische Wirtschaftsbosse und eine Handvoll ausgewählte Plutokraten. Derjenige, den Beth im Auge behielt, war selbst nicht einmal besonders reich. Aber er war Kurator des Getty-Museums in L. A. Die anderen entschieden sich möglicherweise, etwas zu kaufen, das konnte man nie wissen, aber der Vertreter des Museums mit seinem gewaltigen jährlichen Budget war geradezu verpflichtet, etwas davon auszugeben. Und die Werke, die in der Galerie zum Verkauf standen, gehörten genau zu jenen Stücken, die das Getty normalerweise gerne erwarb. Obwohl es ein paar gute Ölgemälde gab, vor allem den Salvator Rosa, handelte es sich zumeist um Zeichnungen der Alten Meister, einschließlich mehrerer Tizians. Es bedurfte schon echten Sachverstands, um zu begreifen, wie erlesen und wertvoll sie waren.
»Was hat es mit diesem hier auf sich?«, fragte ein jüngerer Typ und deutete mit einem Kopfnicken auf eine Studie von Tizian, die den Kopf eines Mannes mit geschlossenen Augen darstellte, eingehüllt wie für eine Beerdigung. Beth drehte sich zu dem Besucher um. Er hatte ein rundliches Gesicht, das vollkommene Ahnungslosigkeit ausstrahlte, und einen blonden Bürstenhaarschnitt. Das musste einer von den Typen sein, die mit einem intakten Vermögen aus Silicon Valley entwischt waren. Davon gab es immer noch welche.
»Das ist ein später Tizian.«
»Italiener, stimmt’s?«
»Ja, richtig.« Sie sah seine Augen vor Stolz aufleuchten. »Aus der Gegend um Venedig.«
»Ist der Kerl auf dem Bild tot?«
»Nein, er betet. Es zeigt den Kaiser Karl V., der bei Tizian ein Gemälde des Jüngsten Gerichts in Auftrag gab. Aus eigenem Antrieb fügte Tizian den Kaiser und seine Familie in das Bild mit ein. Dies hier ist eine Studie dafür.«
»Es ist nett«, verkündete der Bürstenkopf. »Wie teuer soll das sein?«
Obwohl sie den Preis auswendig wusste, öffnete Beth ihre Ledermappe und tat, als würde sie nachsehen. Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen, als sie mit dem Finger die Ausstellungsliste entlangfuhr. »Der geforderte Preis beträgt 250 000 Dollar.«
Der Bürstenkopf blinzelte nicht einmal.
» Das Jüngste Gericht«, fuhr sie fort, »ist eines von Tizians bekanntesten und ergreifendsten Werken. Wenn Sie wünschen, kann ich den Eigentümer der Galerie herbitten, damit er Ihnen mehr darüber erzählt, und über diese Zeichnung im Besonderen.«
»Nein«, erwiderte er und sah sie erneut an. »Ich würde lieber mit Ihnen reden.«
Welch eine Überraschung.
»Mein Name ist Bradley Hoyt«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.
»Beth Cox«, erwiderte sie und schüttelte die Hand.
»Es gefällt mir sehr, Beth, aber ich würde nie etwas kaufen, ehe meine eigenen Leute nicht einen Blick darauf geworfen haben.«
»Das verstehe ich vollkommen«, sagte sie und zog ihre Hand zurück. »Wir können jederzeit eine private Schau arrangieren. Oder, wenn Ihnen das lieber ist, können wir das Stück auch zu Ihren Experten bringen lassen.«
»Nee, das ist schon okay. Die können ruhig zu Ihnen kommen. Sind Sie die ganze Zeit hier?«
Sie lächelte. »Meistens, leider.«
»Wo sind Sie, wenn Sie nicht hier sind?«
Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um die Sache im Keim zu ersticken. »Zu Hause. Bei meinem Mann.«
»Ja, ich habe den Ring gesehen. Aber wenn Sie sich wegen eines so großen Kaufs mit einem Kunden treffen müssen, können Sie doch für ein paar Stunden weg, um ihn zu beraten, stimmt’s?«
»Wir können die Galerie jederzeit öffnen.«
»Ich dachte eher an so etwas wie Lunch im Stanhope. Oder ein Dinner.«
»Tut mir leid, aber mir wäre nicht wohl dabei, so ein wertvolles Stück auf eigene Faust aus der Galerie mitzunehmen.«
»Das brauchen Sie auch nicht. Ich habe die Bilder bereits gesehen.«
Beth schloss ihre Ledermappe. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, Mr Hoyt. Es war sehr nett, Sie kennenzulernen, aber ich fürchte, es gibt noch jemanden, der Interesse an diesem Gemälde hat.«
Sie wandte sich ab und ging hinüber zum Kurator des Getty-Museums. Er beobachtete sie über den Rand seiner Halbbrille und sagte mit leiser Stimme: »Sie dürfen diese Gericht-Studie nicht an diesen Kretin verkaufen – das wäre ein Verbrechen.«
Beth unterdrückte ein Lachen.
»Sie haben es doch nicht getan, oder?«, fragte er.
»Nein, noch nicht. Kann ich es vielleicht stattdessen dem Getty verkaufen?«
Er nahm seine Brille ab und schob sie in die Brusttasche seiner Anzugjacke. »Lassen Sie uns darüber reden.«
»Ja«, sagte sie erleichtert, »reden wir. Solange Sie können.«