Текст книги "Das letzte Relikt"
Автор книги: Robert Masello
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Dritter Teil
27. Kapitel
Obwohl die Feuerwehr alle elektrischen Leitungen in diesem Teil des Gebäudes gekappt hatte, gab es immer noch genügend Licht im Behelfslabor, damit Carter sich hindurchtasten konnte. Aber es gab wesentlich mehr Trümmer, mehr zerstörte Einrichtungsgegenstände und verdrehte Metallblöcke, als er sich erklären konnte. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass überhaupt so viel Zeug hier gewesen war. Woher also stammten jetzt die ganzen Trümmer?
Auch die Vertiefung im Boden, genau in der Mitte des Raumes, dort, wo das Fossil in seiner Felsplatte gefangen gewesen war, wirkte tiefer, als er es in Erinnerung hatte. Er trat an den Rand des Kraters und schaute nach unten. Der Anblick erinnerte ihn an die Knochengrube, an die Mine, in die er in Sizilien hinabgestiegen war. Wie damals auch bestanden die Wände dieser Grube aus Fels und Erde, und es roch nach uraltem Staub und tödlichem Verfall. Jetzt aber befand sich etwas darin, das er zuvor nicht gesehen hatte, etwas Kleines, Glänzendes auf dem Boden der Kuhle. Er ging in die Hocke, um es besser erkennen zu können.
Es war etwa dreißig Zentimeter lang, schwarz, aber poliert, etwa wie ein Spazierstock. Aber er konnte es immer noch nicht richtig erkennen. Carter stützte sich mit der Hand ab, um das Gleichgewicht zu halten, und kletterte vorsichtig in die Senke hinunter. Es war noch tiefer, als er gedacht hätte, und seine Finger scharrten an den dreckigen Wänden, als er nach unten rutschte. Er landete auf dem Knöchel, den er sich einmal beim Basketball verletzt hatte, und zuckte zusammen. Mist, dachte er, das kann ich jetzt auch gerade noch gebrauchen. Der Schmutz zu seinen Füßen war vom Feuer schwarz verbrannt, und als er sich umsah, fand er den glänzenden Gegenstand wieder. Er bückte sich und hob ihn auf. Als er sich wieder aufrichtete, stellte er angenehm überrascht fest, dass er sich nicht länger in der Grube befand. Er lag in seinem alten Kinderzimmer außerhalb von Chicago, demjenigen, in dem er sich vom Mumps erholt hatte.
Das war es also! Das war gar nicht real, es war ein Traum! Es fühlte sich nur nicht an wie ein Traum, genauso wenig wie das Ding in seiner Hand sich wie ein Phantasiegebilde anfühlte.
Das Schlafzimmer war genauso, wie er es in Erinnerung hatte. Die Trophäe, die er beim Westinghouse Forschungswettbewerb gewonnen hatte, stand auf der zerschrammten Kommode. Das Poster von Raiders of the Lost Ark schmückte die Schranktür. Und in dem alten Sessel unter dem Dachvorsprung las eine Frau einem kleinen Kind etwas vor.
Jetzt wusste er definitiv, dass es ein Traum sein musste. Er hatte niemals ein Mädchen mit nach oben in sein Zimmer genommen, und schon gar nicht eins mit einem Kleinkind.
Doch als er näher herantrat, blickte die Frau auf, ohne mit dem Vorlesen innezuhalten, und lächelte ihn an. Es war Beth. Aber wessen Kind war es? War es seins? Er dachte, das sei völlig unmöglich. Aber vielleicht stimmte das nicht, vielleicht hatten die Ärzte sich geirrt! Plötzlich fühlte er sich so glücklich, so erleichtert.
»Ist er … unser Sohn?«, fragte Carter und deutete nickend auf den kleinen Jungen, dessen blonder Haarschopf in Beths Armbeuge geschmiegt war.
Aber sie antwortete nicht, stattdessen las sie einfach weiter aus dem Buch vor, bei dem es sich, wie er jetzt zu seinem Erstaunen feststellte, um Vergils Aeneishandelte – jene uralte Ausgabe, die er in Princeton gelesen hatte. Seit wann war das eine Gutenachtgeschichte?
»Hochauf ragte die Höhle«, las sie laut in einem weichen Singsang, »gewaltig mit klaffendem Rachen …«
Carter beugte sich näher, um seinen Sohn zu betrachten.
»… schroff und geschützt vom schwarzen See und finsteren Wäldern …«
Sein Haar war blond, fast weiß, und hing in niedlichen Löckchen herunter.
»… Nimmer konnten straflos hier hinüber die Vögel nehmen im Fluge die Bahn …«
Doch als er schläfrig den Kopf hob, erkannte Carter, dass dort, wo seine Augen hätten sein sollen –
»… ein solcher Brodem entquoll dem schwarzen Schlunde und stieg empor zum Himmelsgewölbe …«
– sich nur zwei klaffende Löcher befanden, wie Höhlen in den Kopf eingebrannt, in denen ein Feuer loderte.
Würgend saß Carter kerzengerade im Bett. Sein Herz pochte so heftig, dass er das Gefühl hatte, seine Brust müsste zerspringen. Sein Körper war eiskalt und schweißgebadet.
»Was ist los?«, fragte Beth besorgt.
Er schluckte hart und zitterte.
Beth setzte sich ebenfalls auf. Sie trug ihren Lieblingspyjama mit Leopardenmuster. »Alles in Ordnung?«, fragte sie und zog die Decke um seine Schultern.
»Alles okay«, keuchte er.
»Hattest du einen Albtraum?«
»Den schlimmsten, den ich je hatte.«
Sie stieß ihren Atem aus. »Das glaube ich gerne.«
Er zitterte erneut und zog die Decke fester um sich.
»Willst du mir davon erzählen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich würde ihn lieber vergessen.«
Besänftigend strich sie ihm über den Rücken. »Vielleicht ist das wirklich besser.« Im schwachen bläulichen Licht des Weckers sah sie, dass er etwas in der Hand hielt. »Was hast du da?«
Er wusste nicht, wovon sie sprach.
»In deiner Hand – du umklammerst etwas.«
Carter blickte nach unten und stellte erst jetzt fest, dass er in der Tat etwas in der Hand hielt. Er öffnete die Faust und ließ es auf die Decke fallen.
»Ein Kruzifix«, sagte Beth verwirrt. »Wo kommt das denn her?«
»Es gehört Joe.«
»Warum hältst du dich daran fest?«
Carter hatte keinen Schimmer. Er wusste nicht einmal, wo er es plötzlich herhatte.
»Wenn es Joe gehört, möchte er es vielleicht haben«, sagte Beth. »Vielleicht sollten wir es ihm ins Krankenhaus bringen.«
Verblüfft starrte Carter das Kreuz an. »Ja, das mache ich«, sagte er. »Morgen.«
Nach all dem wusste Carter, dass er unmöglich wieder einschlafen konnte. Er zog einen Bademantel über das T-Shirt und die Boxershorts, schlüpfte in seine Gummi-Flip-Flops und ging in die Küche. Seine Kehle war wie ausgedörrt, vielleicht vom angestrengten Atmen, und er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Die Kühle würde vielleicht seiner Kehle guttun … und den Dingen ein wenig die Schärfe nehmen.
O Mann, das war aber auch ein Albtraum gewesen! Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er so übel geträumt – oder so etwas erlebt. Wo kam der Traum her? Und warum hatte Beth ausgerechnet in der Aeneisgelesen, selbst wenn es nur ein Traum gewesen war? Gewiss, er hatte das Werk auf dem College durchgearbeitet und sogar ein paar Aufsätze darüber geschrieben, aber er hatte seit Jahren nicht mehr daran gedacht. Jetzt, wo er genauer darüber nachsann, war er sich nicht einmal sicher, wo seine kommentierte Ausgabe abgeblieben war.
Er ging ins Wohnzimmer, nippte hin und wieder an seinem Bier und suchte die Bücher ab, die in dichten Reihen in den Regalen aus Schlackenbetonsteinen standen. Die meisten Bücher von Beth, übergroße Werke zur Kunstgeschichte, standen in den unteren Regalen, während der Großteil seiner Bücher, von Die Entstehung der Artenbis zu ornithologischen Bestimmungsbüchern, oben einsortiert war. Als er und Beth zusammengezogen waren, war ihnen rasch klar geworden, dass sie nicht genug Platz hatten, um all ihre Bücher in der Wohnung unterzubringen, so dass sie viele von ihnen in Kisten verstaut hatten. In Kisten, die jetzt im Keller standen.
Er nahm an, dass in einer von ihnen auch seine Ausgabe der Aeneissteckte. Am Morgen würde er danach suchen.
Aus müßiger Neugier nahm er eines von Beths Büchern über die Kunst der Renaissance heraus und nahm es mit zu seinem Lehnsessel. Er blätterte darin, betrachtete die kuriose Mischung aus biblischen und mythologischen Motiven und nippte an seinem Bier. Doch seine Gedanken kehrten immer wieder zur Aeneiszurück, zu den Zeilen, an die er sich aus seinem Traum dunkel erinnerte und die er bereits wieder zu vergessen begann. Etwas über einen beschatteten See und vergiftete Luft, die von ihm aufstieg. Er fragte sich, ob er sich tatsächlich so genau an einzelne Zeilen erinnern konnte. Hatte das Epos während seiner Studentenjahre einen so tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen? Oder lag er vollkommen daneben? Erneut fragte er sich, wo das Buch wohl gelandet war. Er wollte es sehen, und aus irgendeinem Grund wollte er es jetzt sehen.
Er legte den Kunstband auf den Couchtisch und warf einen Blick auf die Uhr über dem Regal. Es war halb vier morgens. Zumindest würde er keinen Nachbarn über den Weg laufen, wenn er jetzt nach unten ginge.
Er schlich sich aus der Wohnung und nahm die Treppe. Im Treppenhaus wehte ein kalter Wind, und als er das Erdgeschoss erreichte, erkannte er den Grund dafür. Die Tür zum Foyer, die eigentlich immer geschlossen sein sollte, stand weit offen. Er stieß sie zu und wartete auf das Geräusch, mit dem der Schnapper einrastete. Dann drehte er sich um und ging ans andere Ende der Halle, wo sich die Kellertür hinter dem Fahrstuhl verbarg. Trotz der späten Stunde hörte er die Fahrstuhlkabine im Schacht rumpeln. Vielleicht hätte er nicht gerade in Bademantel und Flip-Flops aus der Wohnung gehen sollen. Es wäre ziemlich peinlich, in diesem Aufzug einem Nachbarn in die Arme zu laufen. An der Kellertür hing zwar ein Vorhängeschloss, aber Carter wusste wie alle übrigen Mieter, dass es nicht abgeschlossen war. Er entfernte das Schloss, klappte den Riegel zurück und stieg die enge Treppenflucht hinab.
Hier unten gab es zwei Waschmaschinen und einen Trockner, einen klapprigen Tisch, um die Wäsche zusammenzulegen, und einen Plastikstuhl. Der Boden bestand aus Beton, die Decke aus schmutzigen schalldämmenden Platten. Der Versuch des Hausmeisters, den Raum freundlicher zu gestalten, indem er einen Lampenschirm aus gelbem und rotem Glas über das Deckenlicht gehängt hatte, verstärkte nur noch den Eindruck der Trostlosigkeit. Im nächsten Raum stand an der Rückwand der Heizungskessel, und hier durften die Mieter ein paar Dinge lagern. Es gab ein paar Fahrräder, ein Paar Skier und einige Dutzend Kisten. Carters standen ganz hinten.
Er zog am Band an der nackten Glühbirne, die hier von der Decke hing, und betrachtete den Stapel brauner Pappkartons. Sie sahen alle gleich aus. In welchem steckten seine Bücher aus den Literatur-und Klassikkursen? Er wusste, dass es nicht der oberste war; der enthielt verschiedene Aufsätze, die er verfasst hatte, seine Doktorarbeit, kurze Zusammenfassungen und Monographien. Er nahm sie vom Stapel und hob den Deckel des nächsten Kartons an. Er entdeckte eine Reihe von Texten zu Biologie und Chemie. Er stellte den Karton auf den ersten. Der nächste Karton könnte sich als Treffer erweisen. Ganz obenauf lag Dryden, direkt darunter Chaucer. Er ließ den Karton auf den Boden plumpsen, setzte sich auf die beiden anderen und begann sich durch die eselsohrigen Bände mit Lyrik und Literatur zu wühlen. Ganz unten entdeckte er die Aeneis. Es war ein dickes Taschenbuch, mit einem Gemälde von Aeneas und Dido in Karthagoauf dem Cover. Als er es erblickte, erinnerte er sich auf der Stelle, dass es von Claude Lorraine stammte. Mit einer Kunsthistorikerin verheiratet zu sein, hatte ihn ein paar Dinge gelehrt.
Aber wie sollte er die Zeilen finden, nach denen er suchte? Und warum suchte er überhaupt danach? Er hatte das überaus merkwürdige Gefühl, dass es etwas zu bedeuten hatte; dass sein Unterbewusstsein versuchte, ihn auf etwas hinzuweisen. Dass es schon eine ganze Weile versuchte, ihm etwas mitzuteilen.
Aber die Aeneisbestand aus zwölf Büchern, und jedes bestand aus Tausenden von Zeilen. Im Geiste ging er noch einmal die Zeilen aus seinem Traum durch. Es gab keine einfache Möglichkeit, um zielgerichtet im Glossar oder Index die Stelle mit einem schwarzen See oder finsteren Wäldern aufzuspüren. Jedes Wort hatte vermutlich Dutzende von Verweisen. Aber es wurden Vögel erwähnt, an der Stelle, wo es im Gedicht hieß, kein Vogel könnte über den Brodem des Sees fliegen. Carter wusste, dass es im Altgriechischen den Begriff vogellosgab, mit dem auch ein karger Ort selbst bezeichnet wurde. Er erinnerte sich, dass er den Begriff in einem seiner ersten Aufsätze über die Verbindung zwischen Vögeln und Dinosauriern verwendet hatte. Das Wort lautete aornos, und das, fand er, war ein guter Anfang.
Er schlug die hinteren Seiten des Buchs auf, und da war es, ein Verweis auf die erste Erwähnung im sechsten Buch, Zeile 323 der Mandelbaum-Übersetzung, die er benutzt hatte.
Doch dann, ehe er die Seite umblättern konnte, fiel ihm in derselben Begriffserklärung etwas ins Auge. Es war ein anderer Name für denselben kargen Ort, eine Alternative, die ihm vage vertraut vorgekommen war, seit Russo ihm die ersten Berichte über das Fossil aus Rom geschickt hatte. Avernus. Den Anmerkungen zufolge, die er jetzt las, war das der Ort, an dem die bekannte Sibylle von Cumae, die ungestüme und furchterregende Seherin der Antike, den Eingang zur Unterwelt bewachte. Die Pforte zur Hölle, wie es hieß.
Und war nicht auch dort, am Lago d’Averno, das Fossil gefunden worden, in einer Höhle, die seit Millionen von Jahren unterhalb der Wasseroberfläche lag?
Ohne sich zu rühren, saß Carter da, während ein kalter Windzug um seine Füße und Knöchel strich. Hinter dem Heizkessel vernahm er ein verstohlenes Scharren. Er hatte das Gefühl, als würde etwas Massives, ein roh behauener Block der Pyramiden zum Beispiel, endlich an seinen Platz gleiten. Etwas nahm Form an, ohne dass er indes erkennen konnte, was es war. Das Scharren ertönte erneut, und er bemerkte eine gespannte Mausefalle in der Ecke. Zeit, wieder nach oben zu gehen, dachte er. Zeit, über all das in einer wärmeren und behaglicheren Umgebung nachzudenken.
Er zog an dem Band der Lampe, ging durch die Waschküche zurück und erklomm, die Aeneisin der Hand, die Treppe zum Erdgeschoss. Im Treppenhaus war es immer noch kalt, und für den Rest des Weges nach oben nahm er den alten knarrenden Aufzug.
Er hatte die Wohnungstür nicht abgeschlossen und trat leise ein, leerte das Bier, das noch auf dem Couchtisch stand, und warf die leere Flasche gedankenverloren in den Abfalleimer in der Küche. Besorgt, dass er Beth damit gestört haben könnte, warf er einen Blick über den Flur auf die Schlafzimmertür. Sie war zum Glück geschlossen.
Aber das war seltsam.
Sie schlossen diese Tür nur selten, und er wusste, dass er sie heute Nacht nicht zugemacht hatte. War es Beth gewesen? Nachdem sein Albtraum sie aus dem Schlaf gerissen hatte, hatte er geglaubt, sie sei sofort wieder eingeschlafen.
Avernus. Morgen würde er in der Universitätsbibliothek ein paar weitere Quellen nachschlagen müssen, um herauszufinden, ob es noch weitere Bezüge gab, die weniger erschreckend waren als die, die er bereits kannte.
Im Wohnzimmer schaltete er das Licht an, blickte über den leeren weiten Washington Square Park unter sich und ging schließlich zur Schlafzimmertür. Er wollte sie öffnen, stellte aber zu seiner großen Überraschung fest, dass sie sich nicht bewegen ließ. Er wusste ganz sicher, dass sie nicht abgeschlossen sein konnte, denn das Schloss war schon vor ihrem Einzug kaputt gewesen. Er probierte es erneut, und dieses Mal gab die Tür nach, wenn auch nur ein kleines Stück. Dann, als hätte sie einen eigenen Willen, schloss sie sich erneut.
Verwirrt stand Carter da. Gab es einen heftigen Windzug, der die Tür von der anderen Seite wieder zudrückte? Tatsächlich konnte er einen kühlen Luftzug unter der Tür spüren, der seine nackten Knöchel streifte. Er stützte die Schulter gegen die Tür und schob sie Stück für Stück etwa einen halben Meter weit auf. Er spähte durch den Spalt und stellte fest, dass das Fenster weit offen stand. Die Jalousien klapperten und hingen schief. Und plötzlich schien etwas sein Herz zu umklammern. Mit seinem ganzen Gewicht warf er sich gegen die Tür und erzwang sich Zutritt zu dem Zimmer.
»Beth!«, schrie er und stolperte über etwas Sperriges am Boden. »Bist du in Ordnung?«, rief er und schaffte es gerade noch, nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Beinahe nackt lag sie auf dem Bett, die Laken zurückgeworfen. Die obere Hälfte des Leoparden-Pyjamas fehlte völlig, und die Hose hatte sich um ihre Knöchel verheddert.
»Beth! Was ist hier los!«, drängte er und rannte zum Bett. »Beth!«
Doch so unglaublich es klang, sie schlief, tief und fest. Als er die Hand auf ihre Schulter legte und sie schüttelte, war es, als bewegte er eine Lumpenpuppe. Ihr Kopf rollte zurück, und ihre Haut war so kalt, dass sie überall Gänsehaut hatte. Ein feuchter Wind wehte durch das offene Fenster herein. Er sprang auf, schlug die Jalousien beiseite und zog das Fenster herunter. Draußen auf der Feuerleiter war der Geranientopf umgekippt.
Als er Beth erneut packte, öffnete sie langsam die Augen. »Beth, wach auf! Sprich mit mir!«
Aber es schien ihr schwerzufallen, ihn deutlich zu erkennen. Ihr verschwommener Blick wanderte im schwach erleuchteten Zimmer umher, als er eine Decke, die halb auf dem Boden hing, zurück aufs Bett zerrte und sie damit zudeckte.
»Beth, ich bin’s. Beth!«
Allmählich wurde ihr Blick klarer, aber damit schien auch Panik in ihr aufzusteigen. Ihre Finger umklammerten Carters Arme, und sie stöhnte voller Angst.
»Es ist alles in Ordnung, du bist okay«, sagte er immer wieder und versuchte, sie zu beruhigen. »Was ist passiert?« Dabei wollte sein Verstand es gar nicht so genau wissen … noch nicht.
Ihr Haar war zerzaust, als ob kräftige Finger es zerwühlt hätten.
»Ich dachte, ich sei derjenige mit dem Albtraum heute Nacht«, sagte Carter tröstend. Er lachte halbherzig. »Jetzt hattest du auch einen, was?« Er hoffte inständig, dass es nur das gewesen war.
Sie sagte immer noch nichts, sondern drängte sich nur an ihn.
Zärtlich rieb er ihren Rücken und blickte sich auf dem Boden um. Der Schlafzimmerteppich, der normalerweise vom Bettgestell an Ort und Stelle gehalten wurde, lag in einem Haufen vor der Tür. Das musste die Tür blockiert haben, und darüber musste er gestolpert sein.
Aber das erklärte noch lange nicht, wie der Teppich dort hingekommen war.
»Beth«, sagte er leise, »erinnerst du dich, ob du die Schlafzimmertür zugemacht hast?«
Er spürte, wie sie verneinend den Kopf schüttelte.
»Oder den Teppich verschoben hast?«
Erneutes Kopfschütteln. Nein. Er brauchte sie gar nicht erst wegen des offenen Fensters zu fragen. Er wusste, wie die Antwort lautete.
Aber was war dann passiert? Hatte sie schlafgewandelt, so wie Joe? In all den Jahren, seit sie zusammen waren, war ihm nie aufgefallen, dass Beth so etwas täte. Aber was war die Alternative? Dass etwas oder jemand anderes dafür verantwortlich war?
Soweit er erkennen konnte, war sie körperlich in keiner Weise verletzt. Zumindest das nicht. In der Luft lag ein seltsam frischer Duft, der ihn an regennasse Blätter denken ließ. Aber irgendetwas Unfassbares war hier geschehen. Beth umklammerte ihn noch fester als je zuvor. Sie hatte die Arme um ihn geschlungen und zog ihn eng an sich. Unter der Decke hatte sie die Pyjamahose weggetreten.
»Jetzt ist alles gut«, sagte er und dachte, dass sie vielleicht nur die Bestärkung brauchte, doch ihre Umarmung zeigte, dass sie noch mehr wollte.
»Fick mich«, sagte sie.
Es war das Letzte, was er erwartet hatte von ihr zu hören, und er glaubte, sie nicht richtig verstanden zu haben.
»Fick mich!«
Auch ihre Stimme, distanziert und fordernd, klang nicht nach der Beth, die er kannte.
Abrupt riss sie sich die Decke vom nackten Leib und zog ihn hinunter, bis er auf ihr lag. Ihre Hände glitten unter seinen Bademantel.
»Beth, willst du wirklich …«
»Ja, ich will wirklich«, sagte sie mit spöttischem und zugleich drängendem Ton, »es ist genau das, was ich will.« Sie zerrte seine Boxershorts nach unten. »Jetzt.«
»Aber ich …«
Sie brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihre Lippen gegen seinen Mund presste und ihre Zunge sich drängend Einlass verschaffte. Es fühlte sich falsch an, überhaupt nicht gut. Carter hatte den Eindruck, mit jemandem im Bett zu liegen, den er nicht kannte.
Ihre Hand rutschte tiefer, packte ihn.
Unwillkürlich reagierte er darauf.
Beth presste ihre Hüften gegen ihn und stöhnte. Das Geräusch ihres quälenden Verlangens hallte in seinen Ohren wider. Sie spreizte die Beine und schlang sie um seinen Rücken.
Als er in sie eindrang, war sie so offen, so nass, als seien sie bereits stundenlang zugange, nicht erst seit wenigen Sekunden. Sie zog ihn noch enger an sich und ließ ein ekstatisches Stöhnen hören, ein Stöhnen, das ihn ebenfalls entflammte. Noch nie zuvor hatte er sie solche Geräusche machen hören, er hatte nicht gewusst, dass ihr Körper vor Leidenschaft so erhitzt und im selben Moment so kalt in der Berührung sein konnte. Sie warf den Kopf ins Kissen zurück, das Kinn angehoben, und er stieß zu, immer und immer wieder.
»Mehr«, bettelte sie, »mehr … mehr …«
Gleichgültig, wie heftig er zustieß oder wie tief er in sie eindrang, sie drängte ihn, weiterzumachen, und packte ihn noch fester. Als er sich nicht länger zurückhalten konnte, bohrte sie die Fingernägel in seinen Rücken, wie Klauen, und ein unterdrückter Schrei blieb ihr in der Kehle stecken.
Er schloss die Augen, verloren im Augenblick, und dachte ausnahmsweise einmal an nichts.
Doch als er die Augen wieder aufschlug, hatte sie den Kopf dem Fenster zugewandt. Ihre Lippen bildeten ein dünnes, eingefrorenes Lächeln, und ihre Augen waren so weit nach oben verdreht, dass nur noch das Weiße zu sehen war.
Ein Schauder lief Carter über den Rücken. Dort, wo ihre Nägel sich in seine Schultern gebohrt hatten, begann Blut hervorzusickern.