Текст книги "Das letzte Relikt"
Автор книги: Robert Masello
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25. Kapitel
»Hören Sie, ich wünschte, ich hätte nur gute Nachrichten für Sie«, sagte Dr. Permut und lehnte sich mit einem Aktenordner in der Hand zurück, »aber mit der Probe, die Sie uns gegeben haben, kann etwas nicht stimmen.«
»Ich habe die Probe selbst entnommen, direkt vom Ende der einen Klaue«, sagte Carter. »Wollen Sie damit sagen, sie sei kontaminiert?«
Dr. Permut rieb sich zweifelnd das Kinn. »Ich weiß nicht, was damit nicht stimmt, aber nein, ich glaube nicht, dass Kontamination das Problem ist.«
»Was ist dann damit? Was haben Sie herausgefunden?«
»Sehen Sie selbst«, sagte Permut und reichte Carter den Ordner.
Während Carter die Seiten überflog, gab Permut laufend Kommentare ab.
»Bei den obersten Seiten handelt es sich um den Bericht der Datierungsanalysen. Wie Sie sehen, sind die Ergebnisse dermaßen jenseits von Gut und Böse, dass sie völlig unbrauchbar sind.«
»Wieso?«
»Nichts, das auch nur im Entferntesten einem Menschen, Saurier oder Vogel ähneln könnte, also einer der Möglichkeiten, die Sie erwähnten, kann so alt sein. Wenn Sie mit einer Probe des Mondgesteins angekommen wären, das Apollo 12mitbrachte, wären die Ergebnisse brauchbarer gewesen.«
Carter war nicht erfreut, aber auch nicht überrascht. Schließlich war Russo in Rom bereits zum gleichen Schluss gekommen.
»Aber was ist mit den biologischen Tests? Den Zelluntersuchungen?« Und dann die Millionen-Dollar-Frage: »Konnten Sie überhaupt irgendwelche DNA-Spuren finden?«
Dr. Permut kippte den Stuhl weit nach hinten und nahm eine Rolle Verdauungspastillen aus der Tasche seines weißen Laborkittels. »Möchten Sie?«
»Nein danke.«
»Ich nehme sie wegen des Kalziums. Aber wenn Sie mit Knochen arbeiten, wissen Sie das ja.«
»Aber ich arbeite normalerweise nicht mit DNA-Analysen«, sagte Carter, um wieder auf das Thema zurückzukommen. »Konnten Sie etwas Brauchbares finden?«
Permut nickte. »Ob Sie’s glauben oder nicht«, sagte er und lutschte an der Tablette, »wir konnten ein inaktives Bruchstück lokalisieren und extrahieren. Es war kleiner als nahezu alles, das irgendjemand je zuvor untersucht hat.« Stolz blickte er sich im biomedizinischen Forschungslabor der NYU um. »Aber hier sind Sie genau an der richtigen Stelle.«
Carter war ermutigt, hielt sich jedoch zurück.
»Wir mussten ein Computermodell erstellen, um einige der Lücken zu füllen«, fuhr Permut fort, »und dann haben wir etwas vom Rest am anderen Ende extrapoliert.«
»Und das bedeutet was?«
»Das bedeutet, dass wir das haben, was ich eine spekulative DNA nenne.«
Für Carter hörte sich das nicht so gut an. »Und? Konnten Sie etwas damit anfangen oder nicht?«
Permut wackelte mit dem Kopf. »Ein wenig von beidem. Wir haben eine solide chromosomale Grundlage für unser Profil, doch andererseits sind wir angesichts der winzigen Probe sowie ihres Alters und Zustands auf Mutmaßungen angewiesen.«
Carters Enttäuschung wuchs. Das war der Grund, warum normale Leute die Wissenschaft und Wissenschaftler hassten. »Dann erklären Sie mir«, sagte er beherrscht, »Ihre beste Mutmaßung. Können Sie mir, basierend auf den zur Verfügung stehenden DNA-Spuren, sagen, womit wir es hier zu tun haben?«
Permut stieß die Luft aus, und Carter wehte eine Wolke Kalziumatem entgegen. »Ich kann Ihnen sagen, womit wir es nichtzu tun haben.«
»Also gut, fangen wir damit an.«
»Wir haben keinen Homo sapiens.«
Okay, dachte Carter, zumindest machen wir Fortschritte.
»Und wir haben es mit keinem anderen bekannten Vertreter aus dem Tierreich zu tun.«
Permut langte quer über den Tisch nach dem Ordner und blätterte ein paar Seiten vor. Carter starrte auf eine wilde Mischung aus Zahlen und den vier Buchstaben C, G, T und A, die sich ohne erkennbare Ordnung endlos zu wiederholen schienen und Reihe um Reihe die Seiten füllten. Die Zahlen waren ihm ein Rätsel, doch bei den Buchstaben wusste Carter, dass sie für die vier Nukleinbasen Cytosin, Guanin, Thymin und Adenin standen. »Wenn ich mir diese Ausdrucke anschaue«, sagte Permut, »sehe ich ein Muster.«
»Gut, dass das wenigstens einer tut.«
»Am Anfang dachte ich sogar, ich hätte ein menschliches Gen-Muster vor mir. Dann sah ich genauer hin und dachte, hm, vielleicht doch nicht. Es könnte ein Säugetier sein, aber das ist alles, was wir sagen können. Dann habe ich noch genauer hingeschaut und festgestellt, dass es weder das eine noch das andere ist.«
Carter wartete, dass er zum Schluss käme.
»Sie sind der Paläontologe«, sagte Permut, »und Sie können es nennen, wie Sie wollen, aber für uns haben wir hier bereits einen Namen dafür gefunden.«
»Und der wäre?«
»Missing link.«
Das fehlende Bindeglied. »Vielen Dank«, sagte Carter trocken. »Das hilft mir ungemein.«
»Hey, erschießen Sie nicht den Boten«, protestierte Permut. »Und das war nur zur Hälfte als Scherz gemeint. Die DNA weist eine neunundneunzigprozentige Übereinstimmung mit den Genen des Homo sapiensauf. Natürlich liegen alle Unterschiede in den letzten ein oder zwei Prozent.«
»Wie beim Schimpansen?«, fragte Carter.
»Es ist sogar noch näher mit uns verwandt – so nah wie nur irgend möglich, ohne tatsächlich übereinzustimmen.«
Carter holte tief Luft. Was hatte er da im Stein gehabt? Nach allem, was er gerade erfahren hatte, wurde der Verlust des Fossils noch schmerzlicher.
»Tut mir leid«, sagte Permut, der Carters Niedergeschlagenheit spürte. »Falls es noch etwas gibt, was ich für Sie tun kann, helfe ich Ihnen gerne weiter.«
»In der Tat«, sagte Carter und fischte müde nach dem Plastikbeutel, den Ezra ihm gegeben hatte. »Hier.« Er holte den Beutel aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.
»Was ist das?«, fragte Permut. »Noch so eine harte Nuss?«
»So ähnlich.«
Permut nahm die Tüte und hielt sie ins Licht, um das kleine Fragment der Schriftrolle darin zu betrachten. »Zumindest ist es dieses Mal kein Knochen.«
»Es ist ein Stück von einem uralten Dokument«, sagte Carter vorsichtig, als wollte er keine Hinweise auf seine eigenen Thesen oder Mutmaßungen geben. »Ich muss wissen, wie alt es ist, woraus es gemacht ist und woraus die Tinte besteht.«
»Ich hatte schon befürchtet, Sie würden von mir wissen wollen, was diese Schnörkel besagen.«
»Nein, darum kümmert sich jemand anders.«
Permut sah ihn lange an. »Wird dieser Jemand auch für die Laborkosten aufkommen? Für den letzten Auftrag hatten wir eine unterschriebene Genehmigung von Ihrem Fachbereichsleiter Stanley Mackie. Wer wird für diese Probe hier unterschreiben? Die Laborkosten können sich leicht auf ein paar Tausender summieren.«
»Sie werden bezahlt.«
Permut wirkte beeindruckt. »Sie müssen mir unbedingt bei Gelegenheit Ihren Spender verraten.« Den Beutel in der Hand, schwenkte er mit seinem Stuhl herum, bereit, loszulegen, dann wandte er sich wieder Carter zu. »Werde ich dafür in die Annalen der Wissenschaft eingehen?«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, sagte Carter. »Liefern Sie mir erst einmal so schnell wie möglich die Ergebnisse.«
Auf dem Weg zum St. Vincent’s Hospital kaufte Carter an einem Kiosk mit internationaler Presse ein paar italienische Zeitschriften. Obwohl er wusste, dass Joe der Sinn eher nach Scientific Americanals nach GQstand, würde er sich mit dem bescheiden müssen, was er bekommen konnte.
Auf der Intensivstation bekam er es einen Moment lang mit der Angst zu tun, als eine Krankenschwester ihm erklärte, dass Russo nicht länger dort sei.
»Er wurde verlegt«, fügte sie hinzu. »Er ist jetzt in der Station für Verbrennungsopfer, eine Etage höher.«
»Heißt das, dass es ihm besser geht?«
Sie hob den Blick von ihrem Schreibtisch. »Es ist die Intensivstation für Brandopfer.«
Carter begriff, was sie meinte.
Doch als er nach oben kam, stellte er fest, dass es zumindest eine kleine Verbesserung war. Die Atmosphäre war weniger frostig und abweisend. Hier ertönte leise Musik aus den Deckenlautsprechern, und es gab ein paar Münzautomaten mit Getränken und Snacks für die Besucher. Er entdeckte Dr. Baptiste, als sie gerade aus einem Zimmer am Ende des Flures kam, und fragte sie, ob Joe hierhergebracht worden sei.
»Ja, wir haben ihn heute Morgen verlegt. Sein Zustand ist jetzt stabil, und wir können bald mit den Hauttransplantationen beginnen.«
Bei dem Gedanken zuckte Carter zusammen.
»Sie haben recht, es wird nicht gerade ein Zuckerschlecken für ihn. Wenn seine Familie kommen und ihn besuchen möchte, wäre jetzt ein sehr guter Zeitpunkt.«
»Die einzige lebende Verwandte ist seine Mutter«, sagte Carter, »und die ist selbst zu krank, um Italien zu verlassen.«
Dr. Baptiste schüttelte den Kopf. »Dann hat er ja großes Glück, Sie zum Freund zu haben.«
Wenn sie wüsste, dachte Carter. Wenn sie bloß wüsste. »Kann ich ihn besuchen? Ich habe ihm ein paar Zeitschriften mitgebracht.«
Sie blickte auf die Titel und runzelte die Stirn. »Sieht nicht so aus, als träfe das genau seinen Geschmack«, sagte sie, »aber gehen Sie ruhig hinein.«
Im Zimmer fand er Joe in einem Bett mit hochgestelltem Kopfteil. Er war allein im Raum, und ein Rollwagen, vollgestellt mit leeren Tellern und Aluminiumdeckeln, war zur Seite geschoben worden.
»Das«, sagte Carter und schaute sich um, »ist eine große Verbesserung.« Und das war es in der Tat. In einer Vase standen sogar ein paar Blumen, und an der Wand hing ein Weizenfeld von van Gogh. Doch das Beste von allem war ein breites Fenster, dessen Jalousien noch hochgezogen waren.
Joe selbst sah leider nicht wesentlich besser aus. Dort, wo seine Haut nicht von Verbänden bedeckt war, bildete sie ein furchtbares Flickwerk aus schwarzen und hellroten Flecken. Doch zumindest war das Plastikzelt, das bisher seinen Kopf bedeckt hatte, zurückgeschlagen.
»Ich habe dir etwas zum Lesen mitgebracht«, sagte Carter und legte die Zeitschriften vorsichtig neben Joes mit Blasen bedeckte Hand auf das Bett. Er berührte ihn nicht, aus Angst, dass der körperliche Kontakt immer noch tabu war.
»Danke«, sagte Joe mit einer Stimme, die irgendwo zwischen Flüstern und Krächzen lag.
Carter schaute kurz aus dem Fenster. Man hatte einen guten Blick auf die Autos, die am Haupteingang direkt unter ihnen entlangfuhren, und einen beinahe unverstellten Ausblick nach Süden. Das Einzige, was den Blick teilweise verstellte, war das alte Sanatorium auf der anderen Straßenseite. Die Fenster waren verbarrikadiert, und die Feuertreppen, die noch übrig waren, hingen nur noch an wenigen Stellen an der zerbröckelnden Fassade. Das Gebäude wirkte, als könnte ein kräftiger Wind es in Schutt und Asche legen. Es sei denn, die Abrissbirne war schneller.
»Hast du … ihn gesehen?«, fragte Joe.
Ezra. »Ja, ich habe mich mit ihm getroffen.« Womit sollte er anfangen? »In einer Sache hatte ich recht, er stammt tatsächlich aus einer wohlhabenden Familie.«
»Aber was … hat er gesagt?«
»Er sagte, dass er dir glaubt und ebenfalls denkt, dass das Fossil lebendig geworden sei.« Carter konnte kaum fassen, dass er diese Worte tatsächlich wiederholte. »Er sagte, dass die meisten Wissenschaftler voreingenommen sind, aber dass du durch das, was du gesehen hast, der Sache aufgeschlossen gegenüberstehst.«
Grummelnd signalisierte Joe seine Zustimmung.
»Was … weiß er … sonst noch?«
Jetzt wurde es schwierig. Selbst Carter war sich dessen nicht sicher. Aber er wusste, was Ezra glaubte: dass hier mächtige und wichtige Kräfte am Werk waren, die es noch zu verstehen galt. Aber wie sollte er das Joe erklären, zumal er selbst nur so wenig davon begriff oder akzeptierte? »Es stellte sich heraus, dass er so etwas wie ein freischaffender Bibelforscher ist.«
Joe sah verwirrt aus.
»Ich weiß, ich verstehe es selbst nicht so richtig. Aber wenn ich nicht völlig meschugge bin, hat der Typ ein Original der Schriftrollen vom Toten Meer in seiner Wohnung. Und die setzt er Stück für Stück zusammen. Er wollte meine Hilfe, um sie zu analysieren.« Er beschrieb seinem Freund Ezras Arbeitszimmer und was er dort gesehen hatte. Dann berichtete er, was Ezra über die Kirchenglocken erzählt hatte, die direkt nach der Explosion zu läuten begonnen hatten. Je länger er sprach, desto verrückter klang die Geschichte in seinen Ohren, doch Joes Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Er schien alle Informationen in sich aufzusaugen und zu versuchen, das heillose Wirrwarr in eine logische Ordnung zu bringen. Als Carter schließlich innehielt, um Luft zu holen, schürzte Joe die Lippen, die nicht mehr als zwei geschwärzte Hautstreifen waren, und sagte: » Bene.«
» Bene?«, wiederholte Carter. »Was soll daran gut sein?«
»Wenn ich verrückt bin«, krächzte Joe, »dann ist es gut, Gesellschaft zu haben.«
Er weiß also, dachte Carter, dass ich immer noch Zweifel habe.
»Noch ein … Gefallen?«
»Sicher«, sagte Carter, »solange ich dir keine Zigaretten besorgen soll. Du weißt, dass man hier drin nicht rauchen darf.«
»Bring ihn her.«
»Ezra Metzger?«, fragte Carter, obwohl er genau wusste, wer gemeint war. War das eine gute Idee? Seinen schwerverletzten Freund mit einem möglichen Geisteskranken bekannt zu machen?
Joe nickte.
»Ich werde ihn anrufen«, gab er nach.
»Gut. Und jetzt«, sagte Joe und hob unter Schmerzen die Finger der verstümmelten Hand, »eine Zigarette?«
26. Kapitel
»Ich sehe leere Champagnergläser«, warnte Kimberly einen der Kellner, »und auf meinen Partys will ich keine leeren Gläser sehen.«
»Jawohl, Madam«, erwiderte der Mann, »ich kümmere mich sofort darum«, und floh aus der Küche, um seine Cristal-Vorräte aufzufüllen.
Bis auf kleine Pannen wie diese hatte Kimberly jedoch das Gefühl, dass die Party sehr gut lief. Der Bürgermeister, seine Gattin und seine Geliebte, auch bekannt als seine Kampagnen-Schatzmeisterin, waren gekommen und hielten in den verschiedenen Ecken Hof. Auch verschiedene Spitzenreporter und Journalisten, einen Haufen hochdotierter Banker und Rechtsanwälte und sogar ein paar Broadway-Stars hatte sie herlocken können. Völlig unmöglich, dass diese Party es nicht auf die Seite sechs schaffen würde, und vielleicht sogar bis in Liz Smiths Kolumne. Wenn dann zufällig auch noch ein paar Spenden für die Kampagne zur Wiederwahl des Bürgermeisters flössen, was schließlich der vorgebliche Grund für diese Party war, nun, dann wäre das auch nicht schlecht.
Während sie von einem Raum zum nächsten schlenderte, ihre Gäste begrüßte und dafür sorgte, dass jeder die Verbindungen knüpfte, um deretwillen er hergekommen war, hielt sie Ausschau, um die Ankunft ihres geheimnisvollen Gastes nicht zu verpassen. Seit sie ihn gestern zum ersten Mal gesehen hatte, musste sie ständig an ihn denken. Mr Arius. Nie zuvor hatte sie einen Mann gesehen, der aussah wie er oder einen so unauslöschlichen und unmittelbaren Eindruck auf sie gemacht hätte. Der Abend war noch jung, aber sie begann sich bereits Sorgen zu machen, dass er womöglich gar nicht auftauchen würde.
Sam hatte sich in eine Ecke des Hauptsalons verzogen, wo er mit zwei, drei der anderen Größen der Immobilienbranche zusammenhockte und zweifelsohne bereits Pläne für einen weiteren Büroturm, ein Einkaufszentrum oder ein Kaufhaus in New Jersey schmiedete. Sie winkte ihm mit drei Fingern zu, als sie an ihm vorbeikam, aber er schien nicht einmal Notiz von ihr zu nehmen.
Andere Männer bemerkten sie sehr wohl, wie sie erfreut zur Kenntnis nahm.
Sie trug ein scharlachrotes schulterfreies Chiffonkleid von Thierry Mugler, das den Rücken frei ließ und an der Seite geschlitzt war. Die Haare hatte sie zu einem strengen Chignon gedreht und mit einer mit Diamanten und Rubinen besetzten Spange in Form eines Regenbogens festgesteckt. Der Bürgermeister persönlich hatte sie länger als nötig festgehalten, als er sie zur Begrüßung geküsst hatte, und Kimberly hatte den besorgten Ausdruck im Gesicht seiner »Schatzmeisterin« gesehen. Mach dir keine Sorgen,dachte Kimberly, heute Abend bin ich auf einen größeren Fisch aus.
Als sie das nächste Mal nachschaute, stand er im Foyer und reichte dem Bediensteten seinen langen schwarzen Kaschmirmantel. Er trug wieder einen dunklen Anzug, und die Augen waren immer noch hinter den runden bernsteinfarbenen Gläsern verborgen. Mit hochgerecktem Kinn wandte er den Kopf um, wie ein blinder Mann, der seine Umgebung zu erspüren versuchte. Kimberly ging auf ihn zu, um ihn zu begrüßen.
»Ich bin sofroh, dass Sie es geschafft haben, Mr Arius«, sagte sie und bot ihm ihre Hand und ihre Wange an.
»Danke. Dass Sie mich eingeladen haben«, sagte er, ergriff ihre Hand, blieb ansonsten jedoch eher reserviert. »Ich freue mich, hier zu sein.«
Was, dachte sie, war nur so merkwürdig und zugleich so verlockend an diesem Mann? Die Art, wie er sprach, in diesem seltsamen Tonfall, als hätte er Englisch nur in der Schule gelernt? Die Art, wie er seine Augen bedeckt hielt? Die Art, wie sich seine Hand anfühlte, so kalt und glatt wie Glas, als er ihre ergriff? Und war da nicht mit einem seiner Finger etwas nicht in Ordnung? Er hatte sogar einen ganz eigenen feinen Geruch an sich, anders als jedes Aftershave, das sie kannte. Sein Geruch wirkte irgendwie organisch, als ginge er direkt von seiner Haut, seinen Haaren und seinem Atem aus.
»Lassen Sie uns hineingehen«, sagte sie. »Ich werde Sie einigen der anderen Gäste vorstellen.« Sie hakte sich bei ihm unter und führte ihn in den nächsten Raum. Ihr kam es vor, als eskortierte sie einen Filmstar, und die anderen Gäste reagierten ebenfalls dementsprechend. Die Menge teilte sich, um sie hindurchzulassen, Gespräche wurden unterbrochen, und jemand fragte laut: »Wer ist der Mann neben Kimberly?« Arius selbst schien vollkommen unberührt von all der Aufmerksamkeit. Wenn er jemandem vorgestellt wurde, war er höflich, ansonsten schwieg er. Er sprach überhaupt sehr wenig. Seine Antworten waren freundlich, aber knapp, und immer ein wenig vage oder ausweichend. Nachdem Kimberly ein halbes Dutzend Mal zugehört hatte, wie er jemanden auflaufen ließ, hatte sie das Gefühl, nicht mehr darüber zu wissen, wo er herkam, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente oder wo er in New York wohnte, als bei seiner Ankunft. Nicht einmal Sam bekam mehr als ein paar Worte aus ihm heraus, und Kimberly wusste sehr gut, wie seine Meinung über ihn sein würde. Längliches weiß-blondes Haar, eine affige Sonnenbrille und die Tatsache, dass seine Frau ihn bei diesem extravaganten Richard Raleigh kennengelernt hatte? Sam würde ihn in einen Topf mit ihrem Friseur, ihrem Innenarchitekten, ihrem Antiquitätenberater und all ihren anderen schwulen Freunden werfen. Und soweit es Kimberly anging, könnte es gar nicht besser kommen.
Es sei denn, es stellte sich als zutreffend heraus. Was der Himmel verhüten mochte.
Was diesen kleinen Mistkerl Ezra betraf, so hatte er bereits seine Pflichtrunde gedreht und sich, soviel Kimberly wusste, sogar beim Bürgermeister dafür bedankt, dass er ihm nach dem Fiasko im UN-Park geholfen hatte, aus dem Gefängnis zu kommen. Jetzt war er nirgends zu sehen, und wenn Kimberly nicht völlig daneben lag, war er wieder auf seinem Zimmer und brütete über seinen nutzlosen Übungen, die er seine »Forschung« nannte.
Der Partyservice schien alles unter Kontrolle zu haben, die Getränke flossen, überall wurden Tabletts mit Kanapees und Appetithäppchen herumgereicht, und im Esszimmer war ein üppiges Bufett aufgebaut. Jedes Mal, wenn sie durchs Foyer ging, öffneten sich die Lifttüren und spuckten eine weitere Handvoll Gäste aus. Sogar die Journalistin Katie Couric ließ sich für eine halbe Stunde blicken, und das, da war Kimberly sicher, bedeutete praktisch, dass die Party morgen irgendwo in den Medien erwähnt werden würde.
Die einzige Person, die sich nicht ausgezeichnet zu amüsieren schien, war ihr mysteriöser Mr Arius. Sie ließ ihn nur widerstrebend allein, aber sie musste ihren Pflichten nachkommen, so dass sie keine andere Wahl hatte, als ihn sich selbst zu überlassen. Wann immer sie ihn erblickte, stand er ganz für sich, hielt ein Champagnerglas in der Hand, das stets voll zu sein schien, schlenderte allein über die Terrasse oder kam herein, um mit tiefem Interesse eine Zeichnung oder Skulptur zu betrachten. Vielleicht war er tatsächlich eine Art ernsthafter Kunstsammler mit einem riesigen Château im Süden Frankreichs, bis unters Dach mit berühmten Gemälden und wunderschönen Statuen gefüllt. Einem plötzlichen Impuls folgend, ging sie zu ihm hinüber, als er gerade ein nichtssagendes kleines Ölbild betrachtete, das Sams erste Frau gekauft hatte. »Sie sind ein echter Kunstkenner, nicht wahr?«
»Ich bewundere Schönheit«, sagte er langsam. »In allen Dingen.«
Hatte sie da gerade eine subtile Ermunterung gehört? »Dann lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen, das Ihnen ganz bestimmt gefallen wird.«
Sie drehte sich um, aber er blieb, wo er war. »Folgen Sie mir«, sagte sie und winkte ihn mit dem Zeigefinger heran. »Ich werde schon nicht beißen.«
So unauffällig wie möglich führte sie ihn den Korridor hinunter und dann rasch um die Ecke auf die Schlafzimmertür zu. Dort blieb sie stehen und sagte: »Was jetzt kommt, ist allein für Ihre Augen bestimmt. Selbst mein Mann weiß noch nicht, dass ich es gekauft habe. Ich vertraue Ihnen also mein Leben an.« Sie lachte unbekümmert, aber er lächelte nur höflich.
Sobald er ihr ins Zimmer gefolgt war, schloss sie die Tür hinter sich und sperrte sie, zu ihrer eigenen Überraschung, ab. Was glaubte sie, was jetzt passieren würde? Mitten während ihrer eigenen Party?
Sie ging voran in das riesige Schlafzimmer, vorbei am gewaltigen Himmelbett, dem Louis-Seize-Kleiderschrank, den Scalamandre-Sesseln und in ihr vollkommen privates Reich – ihre Kleiderkammer mit angrenzendem Badezimmer. Sie dachte oft daran, dass die Abmessungen ihres Ankleidezimmers ziemlich genau denen ihres ersten Apartments in New York entsprachen. Und das hatte sie sich sogar noch mit einem anderen Mädchen teilen müssen.
Dieser Raum hatte Sams erster Frau als eine Art Nähzimmer gedient, aber Kimberly hatte ihren Mann überzeugt, dass sie einen eigenen Bereich bräuchte, wo sie ihre Kleider aufbewahren und sich schminken konnte. Sie müsse ganz allein sein können, um sich anzuziehen und für ihn schön zu machen. Daraufhin hatte sie alle alten Möbel rausgeworfen und den Raum mit verspiegelten Wänden und marmornen Flächen im Badezimmer, mit Halogenlampen und Einbauregalen aus Zedernholz im Ankleidezimmer komplett neu einrichten lassen. Aber es war allein Kimberlys Entscheidung gewesen, für den Platz neben ihrem Schminktisch den hinreißenden kleinen Degas zu kaufen. Das Bild stellte eine Frau dar, die gerade aus dem Bad stieg. »Die Eigentümer wollten ihn schon über Sotheby’s versteigern lassen«, gab sie zu, »aber Richard Raleigh, der Gute, konnte sie überreden, ihn stattdessen direkt an mich zu verkaufen.«
Sie blieb davor stehen, wandte sich zu Arius um und hob die offenen Hände. »Ich nehme an, ich muss Ihnen nicht erklären, was Sie hier vor sich haben. Wahrscheinlich können Sie mir sogar mehr darüber erzählen.« Ganz ruhig,sagte sie sich, du hörst dich an wie ein Schulmädchen.
Arius hatte nie zuvor eine solche Arbeit gesehen, aber während er sie anschaute, nahm er auf der Stelle alles auf und ordnete ein, was es darüber zu wissen gab. Die Künste waren schließlich eine der vielen Gaben, die er und seinesgleichen gespendet hatten, so dass es eine Freude war, die unzähligen raffinierten Wege zu sehen, die sie seitdem genommen hatten. Dieses besondere Gemälde vor ihm war offensichtlich ein Degas, eine sehr feine und ausdrucksstarke Arbeit. Mit jeder Sekunde lernte er mehr darüber, und sei es nur der Name des Künstlers, ein Wort oder die Bedeutung eines Blicks. Sein Durst nach mehr war unstillbar.
Den Ausdruck zum Beispiel, den er jetzt auf Kimberlys Gesicht sah, kannte er bereits. Möglicherweise war sie sich nicht bewusst, dass er ihr Bild im Spiegel verschlang, während er vorgab, das Gemälde daneben zu betrachten. Sein Blick war hinter den dunklen Brillengläsern verborgen. Sie sah ihn an, und ihre Miene verriet, dass sie neugierig war, sich zu ihm hingezogen fühlte und Angst verspürte. Sie hatte guten Grund, genau das alles zu empfinden.
Vor langer Zeit, während seiner Zeit der Wache, hatte er diesen Blick häufig gesehen … und seiner Verlockung widerstanden. Zumindest eine gewisse Zeit.
Und danach?
Er hatte Einsamkeit jenseits jeglicher Vorstellungskraft ertragen, eine kalte und öde Nacht, die kein Ende nahm … eine Nacht, die sich bis jetzt niemals vollkommen gelichtet hatte.
Er wandte sich vom Gemälde ab und blickte sie wortlos an. War das also der Anfang?
»Es ist wunderschön, nicht wahr?«, sagte sie mit einem nervösen Flattern in der Stimme.
»Ja.«
»Ich musste es einfach haben.«
Obwohl seine Augen immer noch hinter den bernsteinfarbenen Gläsern verborgen waren, spürte sie die Intensität und Eindringlichkeit seines Blickes. Leicht schwankend trat sie zurück.
»Vielleicht sollten wir zurückgehen.«
Er antwortete nicht.
»Zur Party.« Aber sie versuchte nicht, sich an ihm vorbeizuschieben. Wie angewurzelt stand sie da, und ihr nackter Rücken spiegelte sich an der verspiegelten Wand hinter ihrem Schminktisch.
»Ja«, sagte er.
Aber er sagte es auf so eine Art, dass Kimberly nicht sicher war, was er meinte. Ja, sollten sie zurück zur Party gehen? Oder ja … etwas anderes?
Sie ertappte sich dabei, wie sie unsinnigerweise über seinen Geruch nachdachte. Als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, schien er ganz subtil gewesen zu sein, aber jetzt wirkte er wesentlich kräftiger, regelrecht überwältigend.
»Dürfte ich Sie«, sagte sie und stützte sich mit einer Hand am Schminktisch ab, »um einen Gefallen bitten?«
Er nickte.
»Würden Sie für mich Ihre Brille abnehmen?«
»Warum?«
»Ich habe noch nie Ihre Augen gesehen. Ich muss Ihre Augen sehen.«
Er lächelte. Natürlich musste sie das.
Sie lachte freudlos. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das klug ist, aber ich möchte es. Dabei habe ich das Gefühl, immer noch nicht zu wissen, wer Sie sind.«
Also würde es tatsächlich der Anfang sein.
Er trat näher, beugte den Kopf über ihren wie ein großer goldener Vogel sich über seine Beute beugt, und nahm die Brille ab. In ihrem Blick sah er Überraschung, Angst … sprachloses Nichtbegreifen.
Er hob die Hände zu ihren Schultern. Ihre Haut war heiß, er spürte das Blut direkt unter der Oberfläche pochen. Er ließ das rote Kleid, leicht wie der Flügel eines Schmetterlings, an ihrem Körper entlang auf den Boden gleiten. Er entfernte die diamantenbesetzte Spange, bis ihr Haar kaskadengleich über ihre nackten Schultern fiel. Er beugte sich tiefer und presste seine kalten Lippen auf ihren Mund und ihre Kehle. Sie roch nach Hyazinthen und streckte sich ihm entgegen.
Er schüttelte die Anzugjacke von den Schultern, öffnete mit einer Hand den Kragen und die Knöpfe darunter. Er sog den heißen Atem ihres Körpers ein, als sie blind mit den Fingern an seinem Gürtel und der Hose nestelte.
In seinem Kopf hörte er das Pfeifen des Windes, das Krachen des Donners. Er erblickte einen Schauer aus Feuer, der, brennenden Pfeilen gleich, tosend aus dem sich endlos ausdehnenden schwarzen Himmel niederging.
Kimberly rutschte zurück gegen die Kante des Schminktischs. Parfumflaschen kippten klirrend auf die Seite, während andere herabfielen und verstreut im dicken Teppich liegen blieben. Sie hörte nur noch das Rauschen ihres eigenen Blutes, roch nur noch einen Sommergarten nach dem Regen, sah nur noch seine Augen, die sie in sich aufsogen wie in einen geheimen Pool aus honigsüßem Licht. Sie schlang die Arme um ihn, berührte seine glatte, makellose Haut … doch was sie spürte, war Eis. Hart und kalt wie die Diamantspange, die auf dem Boden lag. Als seine Hände ihre Brüste umfassten, erbebte sie unter der Berührung.
»Arius …«, hauchte sie verunsichert, »du bist nicht einmal ein …«
Nein,flüsterte er in ihren verwirrten Verstand, das bin ich nicht.
Und dann nahm er sie, wie ein Falke, der herabstürzte, um zu töten. Hilflos spürte sie, wie sie in den immer größer werdenden See seiner Augen gezogen wurde, in das grüne Aroma der vom Regen gewaschenen Blätter. Licht, zu hell, um es zu ertragen, durchflutete das Zimmer, als würde ein Stern explodieren … um sie herum, in ihrem Inneren.
Lieber Gott,dachte sie voller Entsetzen, als das Licht sie umhüllte, umschloss und sie schließlich überwältigte … O mein Gott, was habe ich getan?