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Das letzte Relikt
  • Текст добавлен: 8 октября 2016, 21:19

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Автор книги: Robert Masello


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Ужасы


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Zweiter Teil

15. Kapitel

Ironischerweise hatte Carter erst am Sonntagnachmittag, als es Zeit wurde zu packen und in den Mahlstrom der Stadt zurückzukehren, das Gefühl, sich allmählich auf dem Land zu entspannen.

Joe hatte das ganze Wochenende über nicht angerufen, aber auf der anderen Seite hatte Carter sich auch nicht gemeldet. Am Samstag hatte er sich ein paar Stunden in die detaillierte Beschreibung des Lasers vertieft, bis Beth schließlich darauf bestanden hatte, dass er das Handbuch beiseitelegte und mit ihr einen Spaziergang durch den Wald machte. Abbie und Ben schienen ihren Streit, den sie auf der Fahrt hierher ausgetragen hatten, beigelegt zu haben und luden sie zum Apfelpflücken auf eine nahegelegene Apfelplantage ein. Jetzt hatten sie einen Zentner frische Äpfel, und Carter fragte sich, was um Himmels willen sie damit anfangen sollten.

Nicht einmal Joe wäre in der Lage, mehr als ein Dutzend davon zu vertilgen.

Auf dem Rückweg in die Stadt duftete es im Wagen nach Äpfeln und dem Kürbiskuchen, den Abbie und Beth am Morgen gebacken hatten. Ben schaltete das Radio ein, um die Verkehrsmeldungen zu hören. »Solange ich nichts anderes höre«, sagte Ben, »halte ich mich an den Saw Mill River Parkway.«

Doch zuerst mussten sie eine ganze Reihe von Werbespots über sich ergehen lassen, anschließend den Wetterbericht und mehrere Minuten idiotischen Geplänkels zwischen den beiden überkandidelten und nervtötenden Moderatoren Gary und Gil. Carter achtete nicht auf ihre Betrachtungen über Elvira, die großzügig ausgestattete Herrin der Dunkelheit – »Ich meine, sind diese Brüste wirklich echt? Sie sind seit dreißig Jahren genau an der gleichen Stelle!« Aber dann spitzte er doch die Ohren, als Gil sagte: »Und was ist das für eine verrückte Geschichte mit den New Yorker Kirchenglocken letzte Nacht?«

»Das ist unheimlich, was?«, klinkte Gary sich ein.

»Für alle, die immer noch zu verkatert von der Halloweenparty sind, um sich daran zu erinnern, was gestern Abend um genau sechzehn Minuten nach zehn passiert ist: Jede Kirchenglocke in Manhattan …«

»… und wir meinen jedeGlocke in jeder Kirche«, mischte sich Gary erneut ein.

»… hat wie verrückt zu läuten angefangen.«

»Wie eine Art Warnsignal bei einem Luftangriff«, sagte Gary.

»Sie kommen! Sie kommen!«, rief Gil.

»Aber nichts kam, stimmt’s?«

»Das will ich doch hoffen.«

»Aber eins sag ich dir, wenn das eine Art Halloweenstreich war …«

»Was sollte es sonst gewesen sein?«, fragte Gil.

»… dann haben die Jungs einen erstklassigen Job gemacht, um das alles zu koordinieren. Wie um alles in der Welt schafft man es, jede Kirchenglocke, von der altmodischen Sorte, die immer noch ganz oben in ihrem Turm hängt, bis zu den elektronisch gesteuerten Glockenspielen in Kirchen wie der St. Patrick’s Cathedral, gleichzeitig zum Läuten zu bringen?«

»Und warum ausgerechnet um sechzehn Minuten nach zehn?«, fragte Gil sich laut. »Ich für meinen Teil hätte ja bis Mitternacht gewartet, wenn ich so etwas geplant hätte.«

»Ich kann jedenfalls sagen, wenn die Leute, die hinter diesem Halloweentrick stecken, uns jetzt zuhören, ruft uns an unter 1–800-GIL-GARY, und erzählt uns, wie ihr das durchgezogen habt. Echt eine coole Sache!«

»Total irre.«

Ben drehte das Radio leiser. »Wetten, dass da dieser Magier dahintersteckt, dieser David Blaine? Der, der schon einmal in einem Eisblock am Times Square gestanden hat?«

»Aber wenn er nicht sagt, dass er es war«, erwiderte Carter, »was für einen Zweck sollte das Ganze dann haben?«

»Vielleicht wartet er nur eine Weile, damit es um so geheimnisvoller wirkt?«

»In dieser Stadt ist das am Dienstag doch schon Schnee von gestern«, warf Abbie ein. »Er sollte sich besser schnell zu erkennen geben.«

Nach dem Verkehrsbericht ließ Ben das Radio an. Aus der ganzen Stadt riefen Leute an und schalteten sich in die Diskussion um die läutenden Glocken ein. Ein paar von ihnen unterstützten die Theorie vom Halloweenstreich, aber die meisten Anrufer plädierten zu Carters Bestürzung für eine übernatürliche, oder, um es anders zu formulieren, eine irrationaleUrsache. Ein Typ behauptete, der »Geist des Houdini hat das bewerkstelligt, um zu beweisen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt«, doch die meisten bevorzugten eher traditionelle religiöse Erklärungen. Ein Mitglied der Zeugen Jehovas rief an, um zu erklären, es handele sich um ein Zeichen der bevorstehenden Apokalypse. Ein Pfarrer aus Harlem meldete sich und schlug vor, dass es vielleicht ein Warnsignal für New York sei, »das Sodom und Gomorrha unseres Landes«, um die Stadt von ihrem verderbten Weg abzubringen. Und ein Theologieprofessor von der Columbia-Universität erklärte, dass das Läuten der Kirchenglocken an Halloween ein altes Mittel sei, um Hexen abzuwehren.

»Früher dachte man«, so fuhr der Professor fort, »dass, wenn die Kirchenglocke läutete, während eine Hexe darüber hinwegflog, der Klang der Glocke sie erledigen würde wie eine Rakete.«

»Wir müssen also nichts weiter tun«, unterbrach der Moderator Gil ihn, »als in den Straßen nach abgestürzten Hexen Ausschau zu halten?«

»Nun, das können Sie natürlich gerne machen«, erwiderte der Professor, »aber ich an Ihrer Stelle würde nicht allzu viel Zeit damit verschwenden.«

»Ich glaube immer noch, dass dieser David Blaine dahintersteckt«, sagte Ben. »Hat jemand was dagegen, wenn ich den Sender wechsle? Mehr von Gary und Gils Affentheater ertrage ich nicht.«

Niemand erhob Einwände, und Ben drückte ein paar Knöpfe, ehe er den öffentlichen Sender NPR fand.

Den Rest des Weges in die Stadt hörten sie sich eine Nachrichtensendung an, in der über vernünftigere Themen gesprochen wurde. Sobald sie das West Village erreicht hatten, manövrierten sie durch die verstopften Straßen, bis sie vor Beths und Carters Wohnhaus anhielten.

»Vielen Dank, es war klasse«, sagte Beth und stieg aus dem Wagen, wobei sie vorsichtig den Kürbiskuchen balancierte.

Carter stieg auf der anderen Seite aus und lud mit Bens Hilfe ihre Taschen aus dem Kofferraum, zusammen mit einem Vorrat an Äpfeln, der bis an ihr Lebensende reichen würde.

»Iss sie nicht alle auf einmal«, sagte Ben.

»Zum Glück haben wir einen hungrigen Hausgast«, sagte Carter. »Danke für das Wochenende. Es war genau das, was der Arzt befohlen hatte.«

»Kommst du, Carter?«, rief Beth von der Treppe her. »Abbie und Ben wollen heute Abend bestimmt auch noch mal nach Hause.«

»Bis dann«, sagte Carter, nahm eine kleine Tasche in die eine und den Sack mit Äpfeln in die andere Hand.

Oben angekommen, klopfte er zuerst an, um Joe vorzuwarnen.

»Ich glaube nicht, dass er zu Hause ist«, sagte Beth. »Die Zeitung liegt immer noch auf der Fußmatte.«

Sie hatte recht. Die Sonntagsausgabe der Timesruhte mit ihren ganzen zwölf Pfund vor ihrer Tür.

Nirgends in der Wohnung brannte Licht, und als Carter es einschaltete, stellte er fest, dass Joe tatsächlich nicht hier war. Sein Bettzeug, das er normalerweise zusammengelegt unter den Couchtisch stopfte, lag immer noch auf dem Sofa und teilweise auf dem Boden. Und das Kruzifix, das er in der Nacht von Joes Ankunft gesehen hatte, hing wieder an der Wand.

Beth zerrte die Äpfel in die Küche.

»Ist da irgendwo eine Nachricht?«, fragte Carter. »Ich frage mich, wo er steckt.«

»Nichts«, sagte sie. »Keine Nachricht.« Sie kam wieder zurück. »Im Badezimmer ist er auch nicht, oder?«

»Nein«, sagte Carter.

»Bisher hat er jeden Morgen das Bettzeug weggepackt«, grummelte sie und schaute zum Sofa hinüber. »Und was ist das da an der Wand?«

Während Beth hinüberging, um einen Blick darauf zu werfen, versuchte Carter, sich einen Reim auf alles zu machen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es sah Joe gar nicht ähnlich, das Sofa in so einem Durcheinander zu hinterlassen, und es passte auch nicht zu ihm, die Zeitung auf der Fußmatte liegen zu lassen. Er las gerne Zeitung.

»Carter, hast du das hier gesehen? Ein Kruzifix. Ich wusste gar nicht, dass Joe religiös ist.«

»Ich auch nicht. Er war es auch nicht, als ich ihn in Europa kennengelernt habe.«

»Mir fällt gerade etwas ein«, sagte sie mit einem halben Lächeln. »Hast du nicht gesagt, er würde zu Bill Mitchells Party gehen?«

»Ja. Ich habe ihm die Einladung gegeben.«

»Vielleicht hat er da jemanden kennengelernt.«

»Das war Freitagabend.«

»Ich weiß, aber vielleicht haben sie die letzte Nacht zusammen verbracht, hier.« Sie sah auf die zerwühlten Decken und Laken auf dem Sofa. »Meinst du, wir hätten ihm sagen sollen, dass er gerne das Schlafzimmer benutzen kann, solange wir nicht da sind?« Vorsichtig hob sie den Saum des Lakens an und warf es zurück aufs Sofa. »Vielleicht ist er gerade bei dieser geheimnisvollen Frau.«

Das war sicherlich möglich. Carter hatte Joe zwar nicht unbedingt als Frauenheld erlebt, aber das war damals auf der Ausgrabungsstätte auf Sizilien gewesen. Hier in New York hatte er womöglich ein besonderes Prestige; hier war er ein bedeutender Wissenschaftler, der gerade aus Italien zu Besuch weilte.

»Wollen wir uns etwas vom Chinesen zu essen bestellen?«, fragte Beth. »Ich bin zu müde, um noch einmal rauszugehen.«

»Nein, so hungrig bin ich nicht«, sagte er. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne noch mal rüber zum Labor und nachschauen, ob Joe da ist.«

»Es macht mir gar nichts aus. Ich bin vollkommen erledigt. Warum geht ihr nicht noch ein wenig aus und amüsiert euch?«

Sich zu amüsieren war nicht unbedingt das, was Carter im Sinn hatte, als er die Treppe wieder hinunterstieg. Er hatte immer noch ein merkwürdiges Gefühl. Als er nach Hause gekommen war, hatte er erwartet, Joe vor dem Fernseher zu finden, die Füße hochgelegt. Stattdessen hatte er ein ungemachtes Bett vorgefunden. Dazu das Kruzifix und die Zeitung vor der Tür. Nichts davon ergab einen Sinn.

An der Ecke wartete Carter, dass es grün wurde. Vielleicht benahm er sich einfach lächerlich, und Beth hatte recht. Vielleicht war Joe auf der Party schlicht von einer Frau angebaggert worden und war jetzt mit ihr unterwegs und glücklich. Möglicherweise hatte er sie zu dieser Circle Line Cruise mitgeschleppt, die er machen wollte. Wenn sie da mitgekommen war, dann mussten sie echt verliebt sein.

Oder er war im Labor und fragte sich, was Carter so lange davon abhielt, wiederzukommen und weiterzuarbeiten.

Als Carter sich der Vorderseite des Bio-Gebäudes näherte, meinte er, einen leichten Geruch von Asche wahrzunehmen. Und als er seitlich herumging, um durch den Ladebereich ins Labor zu gelangen, wurde der Geruch stärker. Zu Halloween flippte das West Village immer ein wenig aus, und Carter nahm an, dass jemand am Abend unbedingt ein Lagerfeuer veranstalten musste. Doch als er zur Rückseite des Gebäudes kam, sah der gelbe Backstein, der schon immer ziemlich schmutzig gewesen war, noch schlimmer aus als sonst, schwarz, schmutzig und verrußt. Der Rauchgeruch war überwältigend.

Er sah den nassen Beton, das gelbe Polizeiband, die hölzernen Absperrungen, die verbogenen Stahltüren und blieb stehen.

Was war hier passiert?

Joe.

Er rannte auf den Ladebereich zu und überwand ohne Mühe zwei der Absperrungen aus Holz. Niemand war zu sehen bis auf zwei Studenten auf der anderen Straßenseite, die sich flüchtig den Schaden besahen. Einer von ihnen hatte einmal in Carters Einführungsseminar gesessen.

»Wissen Sie, was hier passiert ist?«, rief Carter ihnen zu.

»Ich habe gehört, es habe gebrannt. Mehr weiß ich nicht«, sagte sein ehemaliger Student.

»Wurde jemand verletzt?«

Der andere erwiderte: »Ja, ich glaube schon. Aber ich weiß nicht, wer es war.«

Carter sprang auf die Laderampe, die zur Seitentür führte. Ein Polizeiband klebte quer darüber, ebenso ein Warnschild der Feuerwehr

LEBENSGEFAHR –

ZUTRITT BIS AUF WEITERES VERBOTEN.

Carter riss das Band ab und zerrte seinen Schlüssel hervor. Er schloss die Tür auf, aber sie hatte sich im Rahmen verzogen und klemmte. Mit der Schulter stemmte er sich dagegen und drückte sie gewaltsam auf, bis sie über den Beton quietschte.

»Hey, Professor, ich glaube, das ist nicht sicher«, rief sein Student.

Aber Carter hatte die Tür weit genug geöffnet, um hineinschlüpfen zu können.

Außer dem Licht, das durch die offene Tür hereinfiel, war das improvisierte Labor dunkel. Trotzdem war es hell genug, um zu erkennen, dass der Raum vollkommen verwüstet war. Der Boden war nass und mit grauem Schutt, verkohltem Holz und zerbrochenem Glas bedeckt. Die leeren Gehäuse der Deckenscheinwerfer baumelten nutzlos von der Decke herunter. Und in der Mitte des Raumes, dort, wo das Fossil gestanden hatte, war selbst der Betonfußboden verschwunden. An der Stelle war eine Senke entstanden, fast dreißig Zentimeter tief und gleichmäßig schwarz ausgebrannt. Es sah aus, als hätte dort eine Bombe eingeschlagen.

War es das, was geschehen war? Hatte es eine Explosion gegeben? Sie hatten immer vermutet, dass in der Felsplatte gefährliche Gase eingeschlossen waren. Aber das Gestein war stabil gewesen, und sie waren noch nicht mit dem Laser rangegangen.

Oder doch?

Und wo war Joe? War er im Labor gewesen, als der Unfall, oder was immer es gewesen war, sich ereignet hatte?

Carter ließ sich das alles durch den Kopf gehen und versuchte, einen Sinn darin zu erkennen, als er auf der anderen Seite des Labors einen Lichtschimmer bemerkte.

»Wer ist da?«, rief eine Stimme. »Hier ist der Zutritt verboten!«

Es war der Hausmeister.

»Ich bin’s, Hank – Carter Cox.«

Hank kam, eine große Taschenlampe schwenkend, aus dem Lagerraum. »Wusst ich’s doch, dass ich was gehört hatte.«

»Hank, was ist passiert? Wo ist Professor Russo?«

Hank schlurfte herein und bahnte sich seinen Weg durch die nassen Trümmer. »Wer zum Teufel weiß schon, was passiert ist? Ich weiß nur, dass es nicht die Lampen waren.«

»Die was?«

»Der Brandermittler behauptet, dass die Scheinwerfer schuld sind, die ich aufgehängt habe, mit dem separaten Verteilerkasten. Aber die Lampen waren astrein, ich habe sie selbst überprüft.«

»War Russo hier, als es passierte?«, wiederholte Carter.

Hank holte Luft, als sei dies eine Frage, auf die er am liebsten keine Antwort gegeben hätte. »Er und dieser andere Typ, der junge Prof.«

»Welcher andere junge Professor?«

»Mitchell sowieso.«

»Bill Mitchell?« Was zum Teufel hatte der hier zu suchen gehabt? Er hätte im Grunde nicht einmal wissen dürfen, dass dieses Behelfslabor überhaupt existierte.

»Jau. Er hat das meiste abbekommen.« Schweigend biss Hank sich auf die Lippen. »Er ist tot.«

Carter war erschüttert. Sprachlos.

»Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass Ihr Freund Russo noch lebt. Aber nur so gerade eben. Er liegt drüben im St. Vincent’s.«

Hank hatte den Satz kaum beendet, als Carter sich schon abgewandt und auf den Weg gemacht hatte.

»Ich weiß nicht, was hier schiefgelaufen ist«, rief Hank ihm nach, »aber die Lampen waren es nicht.«

Draußen rannte Carter gerade die Treppe der Laderampe hinunter, als eine Limousine am Straßenrand anhielt und eine hochgewachsene schwarze Prostituierte in einer kurzen weißen Kaninchenfelljacke auf der Beifahrerseite ausstieg. Der Wagen fuhr rasch weiter. Erst als Carter an der Hure vorbeiging und diese ihn am Ärmel packte, begriff er, dass es ein Mann in Frauenkleidung war.

»Arbeiten Sie in diesem Gebäude?«, fragte er.

Aber Carter hatte den Arm bereits zurückgezogen. »Lassen Sie mich los, ich habe es eilig.«

»Ich sagte, arbeiten Sie in diesem Gebäude? Wenn ja, dann möchte ich nämlich wissen, was da drin vor sich geht.«

»Wovon reden Sie?«

»Ich war letzte Nacht hier, und ich habe gesehen, was da rauskam.«

Widerwillig blieb Carter stehen. »Was sagen Sie da? Was haben Sie gesehen, was kam da raus?«

»Das ist es ja, was ich gerne wüsste. Ich sah einen Mann, aber eigentlich war es kein Mann. Er bestand vollkommen aus Licht, und er leuchtete.«

Der Typ war nicht ganz dicht.

»Schön für Sie. Aber jetzt muss ich gehen.«

Doch der Mann folgte ihm und packte ihn erneut am Ärmel. Er war stark genug, um Carter aufzuhalten und ihn halb herumzuwirbeln. »Ich habe dem Mann – dem Mann, der eigentlich keiner war – meinen Mantel gegeben. Meinen besten roten Mantel. Wissen Sie, warum?«

»Warum?«

Der Transvestit blickte ihm direkt in die Augen. »Weil er keinen Fetzen Stoff am Leib hatte.«

Carter riss sich los und wandte sich ab. Er hatte keine Zeit für diesen Quatsch.

»Und wissen Sie, aus welchem Grund ich es noch tat?«, rief der Transvestit ihm nach. »Weil ich glaube, dass dieser Mann ein Engel ist.«

An der Ampel musste Carter stehen bleiben und auf Grün warten. Als sie endlich umsprang, eilte er über die Straße.

»Ich behalte Sie im Auge«, rief der Typ. »O ja! Ich weiß, dass hier etwas nicht stimmt.«

Dessen war Carter sich sicher. Aber was immer dieser Kerl gesehen haben mochte oder auch nicht, er hatte keine Zeit, es herauszufinden. Er musste so schnell wie möglich ins Krankenhaus. Er blieb nicht einmal stehen, um ein Taxi anzuhalten, weil er das für eine nicht tolerierbare Verzögerung hielt. Er musste in Bewegung bleiben, und das tat er. Er wich anderen Fußgängern aus, rannte über die Straßen, sobald es grün wurde, und hastete die letzten Blocks auf das Krankenhaus zu.

Solange er sich auf den Weg konzentrierte, musste er nicht darüber nachdenken, was Joe zugestoßen sein mochte. Und in welchem Zustand er ihn im St. Vincent’s finden würde. Lebend oder … sein Verstand konnte es nicht einmal denken. Noch nicht.

Die Ampel sprang auf Grün, und er rannte über eine weitere Straße.


16. Kapitel

Feuer.

Dann Licht.

Wie zuvor.

Vor so langer Zeit.

Und dann, wieder Nacht.

Eine Nacht indes, erfüllt mit Licht, überall.

Und Klängen. So vielen Klängen.

Und Stimmen. So vielen Stimmen.

So vielen … Menschen.

War es das … was daraus entstanden war?

Kälte.

Ein Umhang.

So viele Menschen.

Überall, und sie redeten.

Verschiedene Stimmen.

Ihre Gerüche.

Jeder von ihnen ein anderer Geruch.

Aber war er … allein?

Die Dunkelheit.

Die Kälte.

Ewigkeit.

War er allein?

War er der Letzte?

Und war er endlich … frei?


17. Kapitel

Selbst an einem so trostlosen Tag wie heute amüsierte Ezra sich über die Inschrift. In die Wand über der geschwungenen Treppe, gegenüber des massiven UNO-Hochhauses selbst, waren die Worte aus Jesaja 2,4 eingemeißelt: »Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen.« Die Ironie war so unübersehbar, dass es keines weiteren Kommentars bedurfte. Seiner Ansicht nach waren sich die Vereinten Nationen nur in einem einzigen Punkt einig: der Einschränkung, Denunziation und letztendlich der Vernichtung Israels. Bis auf diesen einen Punkt war die ganze Organisation nichts als Heuchelei, ein Haufen aufgeblasener, machtloser Delegierter, die sich in New York ein schönes Leben machten, während ihre Völker in Uganda, Ruanda, Kambodscha, Serbien, Tschetschenien, Indien, Pakistan oder wo auch immer hungerten und litten und einander millionenfach meuchelten.

Für Ezra hatte die UN nur eine gute Seite, und das war der öffentliche Park, der sich am East River entlangzog. Er war gut gepflegt, und Ezra hatte angefangen, hier spazieren zu gehen, wenn er das Gefühl hatte, frische Luft zu brauchen. Es gab einen breiten ellipsenförmigen Fußweg mit Bänken und Statuen und einem großen grünen Rasen in der Mitte, den niemand auch nur betreten durfte. Niemand belästigte einen, die Sicherheitsleute hielten den Großteil des Gesindels draußen, und man musste nicht ständig aufpassen, um nicht in Hundehaufen zu treten. An manchen Tagen, wenn er viel nachzudenken hatte und nicht nach Hause gehen wollte, drehte Ezra zehn, zwölf Runden in dem Park.

Heute war so ein Tag.

Ganz wie Maury ihn gewarnt hatte, waren sein Vater und seine Stiefmutter heute Morgen zurückgekehrt. Sein Vater hatte sich allerdings gleich bei seinem Büro absetzen lassen, so dass bisher nur Kimberly tatsächlich wieder zu Hause war.

Unter Gertrudes wachsamen und ermutigenden Blicken hatte Ezra sich die Mühe gemacht, sie an der Tür zu begrüßen. Er hatte ihr sogar angeboten, ihr das Paket abzunehmen, das sie trug.

»Danke, Ezra«, hatte Kimberly gesagt, »das ist eine sehr gute Idee. Besonders, da es ohnehin für dich ist.«

»Für mich?«

»Ja.«

Auf der Stelle wurde er misstrauisch. Hüte dich vor den Griechen, wenn sie Geschenke bringen.

»Du kannst es aufmachen«, sagte sie. Die Ferien in Palm Beach hatten ihr einen leichten braunen Teint beschert und das Haar aufgehellt. »Es ist nichts Großartiges.«

Hätte er ebenfalls ein Geschenk für sie besorgen müssen? Immerhin hatte er mit dem Streit angefangen und sie in die Flucht geschlagen. Aber es war ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, ein Versöhnungsgeschenk bereitzuhalten. Er warf Gertrude einen raschen Blick zu, deren Stirnrunzeln ihm riet, sich dankbar zu zeigen und das Geschenk auszupacken.

»Danke«, sagte er, während er vorsichtig die weiße Schleife entfernte und die kleine türkisblaue Schachtel öffnete. Sie war mit einer ganzen Wolke aus Seidenpapier gefüllt, und darin eingebettet sah er eine glitzernde silberne Uhr mit weißem Zifferblatt und schwarzen Ziffern. Ein kleiner Umschlag war an dem oberen Ring befestigt. Ezra nahm die Uhr heraus und stellte die leere Schachtel auf den Tisch.

»Das ist ein Wecker von Tiffany«, sagte Kimberly. »Lies die Karte.«

Ezra zog die kleine braungelbe Karte aus dem dazupassenden Umschlag und las: »Wach endlich auf und kapier, wie der Hase läuft! Alles Liebe, Kimberly.«

Er war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte; er meinte, diesen Ausdruck schon einmal irgendwo gehört zu haben, aber er war sich absolut nicht sicher.

»In unserem Haus in Palm Beach hatten Sam und ich eine Menge Zeit, um miteinander zu reden«, erklärte Kimberly. Vielleicht hatte sie seine Verwirrung bemerkt. »Wir sind beide zu dem Schluss gekommen, dass es zu deinem eigenen Besten höchste Zeit für dich wird, aus deinen alten Zimmern auszuziehen, dir eine eigene Wohnung zu suchen und anzufangen, auf eigenen Füßen zu stehen.«

Ezra war völlig schockiert.

»Es ist nicht eilig. Lass dir eine Woche Zeit, zwei, wenn es sein muss. Ich habe gehört, dass der Wohnungsmarkt zurzeit ziemlich angespannt ist. Aber wir glauben beide, dass du glücklicher sein wirst, wenn du von jetzt an allein lebst.«

Ezra, der nicht wusste, wie er reagieren sollte, blickte zu Gertrude hinüber, deren Gesichtsausdruck Mitgefühl verriet, aber keine Überraschung. Wahrscheinlich hatte sie so etwas erwartet, dachte Ezra. Sein ganzes Leben lang schienen die Leute mit den Dingen gerechnet zu haben, die Ezra zustießen, nur Ezra selbst wurde von den Ereignissen immer völlig überrascht. Was stimmte nicht mit seinem zwischenmenschlichen Radar?

»Aber ich will nicht gehen«, stammelte er. »Ich bin mitten bei der Arbeit. Ich kann sie jetzt nicht unterbrechen.«

»Natürlich kannst du das«, sagte Kimberly unbekümmert und durchquerte die Halle in Richtung Schlafzimmer. »In deiner eigenen Wohnung wirst du wahrscheinlich sogar noch besser arbeiten können. Besonders nach Montag nächster Woche.«

»Was ist denn Montag nächster Woche?«

»Da kommt Laurent vorbei, um sich deine Zimmer anzuschauen. Er ist Innenarchitekt.«

Kimberly hatte die Halle jetzt zur Hälfte durchquert und ihm den Rücken zugewandt.

»Wir werden diesen Teil der Wohnung komplett neu gestalten«, sagte sie über die Schulter, ehe sie in ihrem Schlafzimmer verschwand.

Ezra hörte, wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte.

Er stand immer noch so da, wie der Blitz ihn getroffen hatte, die silberne Uhr in den Händen.

»Das hatte ich befürchtet«, sagte Gertrude, trat auf ihn zu und nahm die Uhr. Sie blickte darauf. »Du solltest versuchen, sie immer am Ring hier oben festzuhalten. Dafür ist er da. Sonst hinterlässt du überall auf dem Silber deine Fingerabdrücke.«

Ezra beendete eine weitere Runde durch den Park. Es war ein grauer Tag und ziemlich kalt, so dass die meisten Bänke mit Blick auf den Fluss frei waren. Auf einer hatte jemand eine ordentlich zusammengefaltete Ausgabe der New York Timesliegen gelassen.

Er breitete den Mantel unter sich aus, setzte sich und nahm die Zeitung. Die Titelseite war voll mit den üblichen Schreckensmeldungen. Ein Bombenanschlag in Belfast, Unruhen im Westjordanland, ein politischer Mord in Osteuropa. Doch unten rechts in der Ecke erweckte eine eigenartige Story Ezras Aufmerksamkeit. KIRCHENGLOCKEN LÄUTEN ZU HALLOWEEN? Er las rasch und stellte fest, dass in allen Bezirken von New York kurz nach zehn am Samstagabend die Glocken geläutet hatten. Bevor er zur Fortsetzung auf der Seite zwei des Lokalteils weiterblätterte, ließ er die Zeitung sinken und dachte einen Moment nach. Am Halloweenabend hatte er wie üblich in seinen Räumen gearbeitet, aber nach zehn hatte er eine Pause gemacht. Und ja, jetzt erinnerte er sich, dass er die Glocken über dem Fluss gehört hatte, wie sie unablässig läuteten. Es war ihm merkwürdig vorgekommen, aber er hatte nicht weiter darüber nachgedacht. Er war zurzeit schon nervös genug, auch ohne sich über Unregelmäßigkeiten und Vorkommnisse da draußen Gedanken zu machen.

Dann blätterte er zum Lokalteil der Zeitung weiter und las den Rest der Story. Es schien immer noch ein ungelöstes Rätsel zu sein, obwohl die TimesMeinungen und Kommentare von solch erhabenen Quellen wie dem Diözesanrat, einer Hohepriesterin des Wicca-Glaubens und, basierend auf der Theorie, dass es sich um einen erstaunlich aufwendigen Halloweenstreich gehandelt hatte, von Penn Jillette wiedergab. Ezra glaubte keine Sekunde lang, dass es sich um einen Streich handelte. Er hatte in letzter Zeit zu viel durchgemacht und wusste nur zu gut, dass es Dinge gab, die im Traum nicht ins Weltbild der meisten Menschen passten.

Eine Mutter mit ihrer Tochter an der Hand ging an der Bank vorbei, auf der er saß.

»L’Assemble Generale est ou les delegats viennent a faire le paix l’un avec l’autre«, sagte die Mutter. Das Mädchen lächelte Ezra an, aber er vergaß, das Lächeln zu erwidern, bis sie vorbeigegangen war. Er dachte immer noch verbittert über das nach, was die Mutter gesagt hatte – dass die Vollversammlung der Ort sei, an dem die Nationen zusammenkamen, um Frieden miteinander zu schließen. Was für ein Unsinn. Als er in Jerusalem gelebt hatte, hatte er es stets als äußerst passend empfunden, dass sich das örtliche UN-Büro an dem Ort befand, der seit der Antike als Berg des Bösen Rates bekannt war.

Er blätterte zur ersten Seite des Lokalteils und sah das Bild eines brennenden Backsteingebäudes.

EXPLOSION AN DER NYU.

EIN WISSENSCHAFTLER TOT, EIN WEITERER VERLETZT.

Müßig überflog er den Artikel. Offensichtlich hatte am Samstagabend eine Explosion mit anschließendem Brand in einem Labor des Bio-Gebäudes großen Schaden angerichtet. Während immer noch unklar war, was die Katastrophe ausgelöst hatte, wurde ein Brandschutzexperte mit den Worten zitiert: »Wir untersuchen gerade eine Reihe extrem starker Scheinwerfer, die erst vor kurzem stümperhaft installiert wurden und durch unpassende Sicherungen gesichert waren.« Ein Juniorprofessor war bei der Explosion getötet worden, und ein weiterer Professor, der gerade zu Besuch weilte, wurde schwerverletzt. Ezra wollte gerade weiterblättern und zu dem Rätsel mit den Kirchenglocken zurückkehren, als ihm etwas auffiel, das wahrscheinlich niemandem sonst auffallen würde.

Es war die Übereinstimmung des Zeitpunkts.

Die tödliche Explosion hatte sich etwa gegen viertel nach zehn ereignet, nur eine Minute, bevor die Kirchenglocken zu läuten begonnen hatten. Und während niemand sonst auch nur auf die Ideekam, ein brennendes Gebäude und Glockengeläut miteinander in Verbindung zu bringen, war es genau das, was Ezra momentan die ganze Zeit tat. Er fügte die Dinge zusammen, stellte Verbindungen her, entwarf aus scheinbar nicht zusammengehörenden Fragmenten und Bruchstücken eine logische Geschichte.

Nichts beruhte tatsächlich auf Zufall. Nicht einmal die Tatsache, dass diese Zeitung vollständig auf genau dieser Bank liegengelassen worden war. Damit er sie finden und darin lesen konnte.

Einige Fragen stellten sich ihm: Erstens, hatten diese beiden Ereignisse tatsächlich irgendetwas miteinander zu tun?

Und wenn ja, ging ihn diese Verbindung irgendetwas an? Konnten diese Ereignisse in irgendeiner Weise, wie abseitig und unwahrscheinlich es auch klang, etwas mit seiner eigenen Arbeit zu tun haben?

Er versuchte, gründlich darüber nachzudenken. Versuchte, kühl und rational zu bleiben. In dem, was er tat, lag notwendigerweise ein theologischer Aspekt, und dieser Aspekt würde – oder könntezumindest – eine Verbindung zum Glockengeläut darstellen. Traditionell wurden die Glocken geläutet, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen, um den Beginn und das Ende eines Tages anzuzeigen, um solche Dinge wie die Hochzeit eines Königs oder die Nachricht eines Schlachtsieges zu verkünden.

Aber im Laufe der Jahrhunderte waren sie auch als Warnung vor einer nahenden Katastrophe geläutet worden. Invasoren vor der Küste. Ein Feuer oder eine Flut. Der schwarze Tod.

Gab es irgendeinen Aspekt bei seiner Arbeit am verschollenen Buch Henoch, der dieses Läuten ausgelöst haben könnte? Was würde Dr. Neumann wohl von solchen Fragen halten? Innerhalb von zwei Sekunden wäre sie damit fertig. Ach, ein weiteres Symptom seines Jerusalem-Syndroms, würde sie behaupten. Ein weiterer Ausdruck der zügellosen Selbstüberhöhung, die wesentlicher Bestandteil seiner allumfassenden Wahnvorstellung sei.

Dabei wusste er Dinge, die sie nicht wusste, er sah Zusammenhänge, die sie niemals begreifen würde. Er setzte die älteste Erzählung der Welt zusammen und übersetzte, langsam und mühselig, die Worte der geheimen Schrift. Von Henoch, dem Vater Methusalems, erfuhr er die Wege des Guten und des Bösen. Es gab eine Schlacht, so hatte er letzte Nacht gelesen, um die Seele jedes Menschen. Eine Schlacht, ausgetragen zwischen zwei Engeln, und der Ausgang des Kampfes würde das Schicksal des Menschen bis in alle Ewigkeit bestimmen. War er dabei, etwas zu enthüllen, das seit vielen Jahrtausenden verschollen gewesen war? Etwas so Fundamentales für das Verständnis des Universums und unseren Platz darin, dass er die Alarmglocken ausgelöst hatte, die dann tatsächlich in der ganzen Stadt geläutet hatten? Selbst Ezra kam das weit hergeholt vor … aber es schien nicht unmöglich zu sein.


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