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Die weisse Massai
  • Текст добавлен: 4 октября 2016, 02:44

Текст книги "Die weisse Massai"


Автор книги: Corinne Hofmann



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Zweimal passieren wir eine Polizeisperre. Der Bus muß anhalten, da auf der Fahrbahn Holzbalken mit langen Nägeln liegen. Dann läuft auf jeder Seite ein Polizist mit Maschinenpistole bewaffnet den Bus entlang und leuchtet mit einer Taschenlampe in jedes Gesicht. Nach fünf Minuten geht die nächtliche Fahrt weiter.

Ich weiß bald nicht mehr, wie ich sitzen sol, als ich ein Schild „245 Kilometer bis Mombasa“ erblicke. Gott sei Dank, jetzt ist es nicht mehr so weit bis nach Hause.

Lketinga hat immer noch nicht geschlafen. Offensichtlich hält dieses Miraa wirklich wach. Nur seine Augen sind unnatürlich starr, und Unterhaltung scheint er keine zu benötigen. Ich werde langsam unruhig. Schon rieche ich das Salz in der Luft, die Temperatur wird angenehmer. Von der feuchten Kälte Nairobis ist nichts mehr zu spüren.

Zurück in Mombasa

Kurz nach fünf Uhr früh fahren wir endlich in Mombasa ein. Einige Leute steigen beim Busbahnhof aus. Ich wil auch raus, doch Lketinga hält mich zurück und erklärt, vor sechs Uhr ginge kein Bus an die Küste, wir müßten hier warten, weil es sonst zu gefährlich sei. Jetzt sind wir endlich angekommen, und aussteigen kann man immer noch nicht! Meine Blase zerreißt es fast. Ich versuche, dies Lketinga mitzuteilen.

„Come!“ sagt er und erhebt sich. Wir steigen aus und begeben uns zwischen zwei leere Busse. Da außer ein paar streunenden Katzen und Hunden weit und breit niemand zu sehen ist, leere ich im Schutz der Busse meine Blase. Lketinga lacht, als er meinen „Bach“ bemerkt.

Die Luft ist herrlich an der Küste, und ich frage ihn, ob wir nicht langsam zur nächsten Matatu-Station gehen könnten. Er holt meine Tasche, und wir ziehen in der Morgendämmerung los. Bei einem Wächter, der ein Geschäft bewacht und sich seinen Chai auf einem Kohleöfchen wärmt, bekommen wir sogar unseren Frühstückstee. Dafür gibt Lketinga ihm etwas Miraa. Ab und zu schleichen zerlumpte Gestalten an uns vorbei, die einen still, die anderen lallend. Da und dort liegen Menschen auf Kartons oder Zeitungen am Boden und schlafen. Es ist wirklich noch die Zeit der Gespenster, bevor das geschäftige Treiben beginnt. Doch ich fühle mich ganz und gar sicher in Gegenwart meines Kriegers.

Kurz vor sechs Uhr hupen die ersten Matatus, und nur etwa zehn Minuten später erwacht die ganze Gegend.

Auch wir sitzen wieder in einem Bus zur Fähre. Auf der Fähre überkommt mich erneut ein großes Glücksgefühl. Nun folgt das letzte Stündchen Busfahrt zur Südküste. Lketinga scheint nervös zu werden, und ich frage ihn: „Darling, you are okay?“ „Yes“,

antwortet er und redet dann auf mich ein. Ich verstehe nicht alles, doch will er anscheinend bald herausfinden, welcher Massai meine Briefe gestohlen und wer mir erzählt hat, er wäre verheiratet. Dabei schaut er so finster, daß es mir unbehaglich wird. Ich versuche ihn zu beruhigen, daß dies doch keine Rolle mehr spiele, weil ich ihn gefunden habe. Er erwidert nichts und schaut unruhig zum Fenster hinaus.

Wir gehen direkt ins Vil age. Priscilla ist überrascht, als wir zwei ankommen. Sie begrüßt uns freudig und macht sofort Chai. Esther ist nicht mehr hier. Meine Sachen hängen schön geordnet über einer Schnur hinter der Tür. Priscilla und Lketinga unterhalten sich zuerst freundlich, doch schon bald wird die Diskussion heftiger. Ich versuche herauszukriegen, was los ist. Priscilla meint, er mache ihr Vorwürfe. Sie hätte sicher gewußt, daß ich geschrieben habe. Schließlich beruhigt sich Lketinga und legt sich endlich auf unserem großen Bett schlafen.

Priscilla und ich bleiben draußen und suchen nach einer Lösung des Schlafproblems, denn zu dritt mit einer Massai-Frau geht das nicht in einem Häuschen. Da bietet uns ein anderer Massai, der an die Nordküste will, seine Hütte an. Also putzen wir sie und schleppen meine Sachen und das große Bett in unsere neue Behausung. Nachdem ich alles so gemütlich wie möglich eingerichtet habe, bin ich zufrieden. Die Miete kostet umgerechnet zehn Franken.

Wir verbringen zwei schöne Wochen. Tagsüber lehre ich Lketinga lesen und schreiben. Er ist begeistert, lernt mit wirklicher Freude. Die englischen Bücher mit den Bildchen helfen uns dabei sehr, und er ist stolz über jeden Buchstaben, den er mehr erkennt. Nachts besuchen wir manchmal Massai-Vorführungen mit Schmuckverkauf. Den Schmuck stel en wir zum Teil selbst her. Lketinga und ich fertigen schöne Armbänder, Priscilla bestickt Gürtel.

Einmal findet einen ganzen Tag lang ein Schmuck-, Schilder– und Speerverkauf im Robinson-Club statt. Zu diesem Zweck kommen viele von der Nordküste, auch Massai-Frauen. Lketinga ist nach Mombasa gefahren und hat diverse Sachen von Händlern gekauft, damit wir mehr zum Ausstellen haben. Das Geschäft läuft phantastisch. Alle Weißen belagern unseren Stand und bedrängen mich mit Fragen.

Als wir fast al es verkauft haben, helfe ich auch den anderen, ihre Sachen loszuwerden. Lketinga paßt das nicht, denn diese Massai sind immerhin schuld daran, daß wir so lange getrennt waren. Andererseits wil ich keine Mißstimmung, weil sie uns ja großzügig mitmachen lassen.

Wir werden immer wieder eingeladen, mit dem einen oder anderen Touristen an der Bar etwas zu trinken. Ein-, zweimal setze ich mich dazu, dann habe ich genug.

Schließlich macht der Verkauf mehr Spaß. Lketinga hockt mit zwei Deutschen an der Bar. Ich schaue ab und zu hinüber, sehe aber nur ihre Rücken. Nach längerer Zeit gesel e ich mich kurz zu ihnen und erschrecke, als ich bemerke, daß Lketinga Bier trinkt. Als Krieger darf er doch keinen Alkohol trinken. Auch wenn die Massai von der Küste dies ab und zu machen, kommt Lketinga gerade erst vom Samburu-District und ist sicher nicht an Alkohol gewöhnt. Besorgt frage ich: „Darling, why you drink beer?“

Doch er lacht nur: „Diese Freunde haben mich eingeladen.“ Ich sage den Deutschen, sie sollten sofort aufhören, ihm Bier zu spendieren, da er keinen Alkohol gewöhnt sei. Sie entschuldigen sich und versuchen mich zu beschwichtigen, er hätte erst drei Bier getrunken. Wenn das nur gut geht!

Der Verkauf geht langsam zu Ende, und wir packen die restlichen Sachen zusammen. Draußen vor dem Hotel wird Geld zwischen den Massai verteilt. Ich habe Hunger, bin erschöpft von der Hitze und vom ständigen Stehen und möchte endlich nach Hause. Lketinga, leicht angetrunken, aber immer noch fröhlich, beschließt, mit ein paar anderen nach Ukunda zum Essen zu gehen. Schließlich war es ein Riesenerfolg, und alle haben Geld. Ich passe und gehe enttäuscht al ein ins Village.

Das ist ein großer Fehler, wie ich später feststellen muß. In fünf Tagen läuft mein Visum ab. Das fällt mir auf dem Heimweg plötzlich wieder ein, und Lketinga und ich haben beschlossen, zusammen nach Nairobi zu fahren. Mir graut vor der langen Fahrt, noch mehr aber vor den kenianischen Behörden! Es wird schon gut werden, beruhige ich mich und schließe unser Häuschen auf. Ich koche mir etwas Reis mit Tomaten, mehr gibt die Küche nicht her. Es ist still im Vil age.

Vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, daß seit meiner Rückkehr mit Lketinga unser Haus fast nie mehr Besuch hat. Jetzt vermisse ich es ein wenig, denn die Abende mit Kartenspielen waren immer lustig. Priscilla ist ebenfal s nicht zu Hause, und so lege ich mich aufs Bett und schreibe einen Brief an meine Mutter. Ich berichte ihr über unser friedliches Leben, das wir nun führen und teile ihr mit, daß ich glücklich bin.

Es ist bereits zweiundzwanzig Uhr, und Lketinga ist noch nicht zurück. Langsam werde ich unruhig, doch die zirpenden Grillen dämpfen meine Nerven. Kurz vor Mitternacht springt die Türe krachend auf, und Lketinga steht im Türrahmen. Er starrt zuerst mich an und erfaßt mit einem Blick den Raum. Seine Gesichtszüge sind kantig, von Fröhlichkeit ist nichts mehr zu erkennen. Er kaut Miraa, und als ich ihn begrüße, fragt er: „Wer war hier?“ „Niemand“, antworte ich. Gleichzeitig beginnt mein Puls zu rasen. Nochmals fragt er, wer vorhin das Haus, verlassen habe. Verärgert beteuere ich, es sei wirklich niemand dagewesen, während er, immer noch im Türrahmen stehend, behauptet, er wisse, daß ich einen Freund habe. Das sitzt! Ich richte mich im Bett auf und schaue ihn zornig an. „Wie kommst du auf eine so verrückte Idee?“ Er wisse es, in Ukunda habe man ihm erzählt, daß ich jeden Abend einen anderen Massai zu Besuch gehabt hätte. Sie seien bis spät in der Nacht bei mir und Priscilla gewesen. Alle Frauen seien doch gleich, immer habe jemand bei mir gelegen!

Schockiert über seine harten Worte verstehe ich die Welt nicht mehr. Jetzt habe ich ihn endlich gefunden, wir hatten zwei schöne Wochen miteinander, und nun dies.

Der Bierkonsum und dieses Miraa müssen ihn völlig verstört haben. Um nicht loszuheulen, reiße ich mich zusammen und frage statt dessen, ob er nicht einen Chai wolle. Endlich kommt er von der Tür weg und setzt sich auf das Bett. Mit zitternden Händen mache ich Feuer und versuche, möglichst gelassen zu sein. Er fragt, wo Priscil a sei. Das weiß ich auch nicht, bei ihr im Haus ist alles finster. Lketinga lacht böse und sagt: „Viel eicht ist sie in der Bush-Baby-Disco, um sich einen Weißen zu angeln!“ Fast muß ich lachen, denn das kann ich mir bei ihrer Fülle doch nicht ganz vorstellen. Trotzdem schweige ich lieber.

Wir trinken Chai, und ich frage vorsichtig, ob es ihm gut gehe. Er behauptet, außer daß sein Herz stark klopfe und das Blut rausche, sei al es okay. Ich versuche, diese Worte zu interpretieren und komme doch nicht weiter. Er geht ständig ums Haus oder läuft im Village herum. Dann plötzlich steht er wieder da und kaut sein Kraut. Er wirkt fahrig und ruhelos. Wie kann ich ihm nur helfen? Sicher, das viele Miraa schadet ihm, aber ich darf es ihm doch nicht einfach wegnehmen!

Nach zwei Stunden hat er endlich alles aufgegessen, und ich hoffe, daß er schlafen kommt und morgen der ganze Spuk vorbei ist. Er legt sich wirklich ins Bett, doch er findet keine Ruhe. Ich wage nicht, ihn zu berühren, statt dessen quetsche ich mich an die Wand und bin froh, daß das Bett so groß ist. Nach kurzer Zeit springt er auf und sagt, er könne nicht mit mir im selben Bett schlafen. Sein Blut rausche wie verrückt, und er glaube, sein Kopf zerspringe. Er will raus. Verzweiflung überkommt mich: „Darling, where you will go?“

Er gehe zu den anderen Massai schlafen, und mit dieser Bemerkung ist er weg.

Ich bin niedergeschlagen und wütend zugleich. Was haben die nur mit ihm gemacht in Ukunda, frage ich mich. Die Nacht will nicht enden. Lketinga kommt nicht mehr. Ich weiß nicht, wo er schläft.

Krank im Kopf

Beim ersten Sonnenstrahl stehe ich total gerädert auf und wasche mein verquollenes Gesicht. Dann gehe ich zu Priscil as Häuschen. Es ist nicht verschlossen, also ist sie da. Ich klopfe und rufe leise: „Ich bin's, Corinne, please open the door, I have a big problem!“

Völ ig verschlafen kommt Priscil a heraus und schaut mich erschrocken an. „Where is Lketinga?“

fragt sie. Krampfhaft halte ich die aufsteigenden Tränen zurück und erzähle ihr alles. Sie hört aufmerksam zu, während sie sich anzieht und sagt, ich solle warten, sie gehe zu den Massai, um nachzusehen. Nach zehn Minuten ist sie zurück und erklärt, wir müßten warten. Er sei nicht dort, habe auch nicht bei ihnen geschlafen und sei in den Busch gelaufen. Er käme bestimmt, wenn nicht, gingen andere ihn suchen. „Was wil er im Busch?“ frage ich verzweifelt. Wahrscheinlich habe er durch das Bier und das Miraa Störungen im Kopf. Ich sol e Geduld haben.

Er taucht aber nicht auf. Ich gehe in unser Häuschen zurück und warte. Dann, gegen zehn Uhr, erscheinen zwei Krieger und bringen mir einen völlig erschöpften Lketinga. Jeder der beiden hat einen Arm von ihm über den Schultern. So schleppen sie ihn ins Haus und legen ihn aufs Bett. Dabei wird hin– und herdiskutiert, und es macht mich rasend, daß ich nichts verstehe. Er liegt apathisch da und starrt an die Decke. Ich spreche ihn an, aber er erkennt mich offensichtlich nicht. Er blickt durch mich hindurch und schwitzt am ganzen Körper. Ich bin einer Panik nahe, denn ich kann mir das al es nicht erklären. Auch die anderen sind ratlos. Sie haben ihn im Busch unter einem Baum gefunden und berichten, er sei Amok gelaufen, deshalb sei er so erschöpft. Ich frage Priscil a, ob ich einen Arzt holen, sol, doch sie entgegnet, es gebe nur einen hier am Diani Beach

und der komme nicht hierher. Man muß zu ihm gehen. Das allerdings ist in diesem Zustand ausgeschlossen.

Lketinga schläft wieder und phantasiert wirres Zeug von Löwen, die ihn angreifen.

Er schlägt wild um sich, und die beiden Krieger müssen ihn festhalten. Der Anblick bricht mir fast das Herz. Wo ist mein stolzer, fröhlicher Massai geblieben? Ich kann nur noch heulen. Priscilla schimpft: „Das ist nicht gut! Man weint nur, wenn jemand gestorben ist.“

Erst im Laufe des Nachmittags kommt Lketinga zu sich und sieht mich verwundert an. Ich lächle ihn glücklich an und frage vorsichtig: „Hello, darling, you remember me?“ „Why not, Corinne?“

gibt er schwach zurück, schaut zu Priscil a und fragt, was los sei. Sie reden miteinander. Er schüttelt den Kopf und glaubt selbst nicht, was er hört. Ich bleibe bei ihm, während die anderen ihrer Arbeit nachgehen. Er habe Hunger, aber auch Bauchschmerzen. Auf meine Frage, ob ich etwas Fleisch holen soll, antwortet er: „O

yes, it's okay.“

Hastig mache ich mich auf den "Weg zum Meat-Stand und eile zurück. Lketinga liegt schlafend im Bett. Nach etwa einer Stunde, als das Essen zubereitet ist, versuche ich ihn zu wecken. Er schlägt die Augen auf und starrt mich erneut verwirrt an. Was ich von ihm wol e, wer ich überhaupt sei, fährt er mich barsch an. „I'm Corinne, your girlfriend“,

ist meine Antwort. Immer wieder fragt er mich, wer ich sei. Ich bin am Verzweifeln, zumal Priscilla von ihrem Kangaverkauf am Strand noch nicht zurück ist. Er solle etwas essen, bitte ich ihn. Doch er lacht höhnisch, von diesem „food“ esse er nichts, ich wol e ihn bestimmt vergiften.

Nun kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Er sieht es und fragt, wer gestorben sei. Um Ruhe zu bewahren, bete ich laut vor mich hin. Endlich kommt Priscil a zurück, und ich hole sie sofort. Auch sie versucht, mit ihm zu sprechen, kommt aber nicht weiter. Nach einer Weile sagt sie: „He's crazy!“

Viele Morans, die Krieger, die an die Küste kommen, bekämen den Mombasa-Koller. Bei ihm sei es allerdings sehr schlimm. Vielleicht habe ihn jemand „crazy“

gemacht. „Was, wie und welcher jemand?“ stottere ich und erwähne, daß ich nicht an solche Sachen glaube. Hier in Afrika gebe es vieles, was ich lernen müsse, belehrt mich Priscil a. „Wir müssen ihm helfen!“ flehe ich sie an. „Okay!“ sagt sie, sie werde jemanden an die Nordküste senden, um Hilfe zu holen. Dort sei das große Zentrum der Küsten-Massai. Ihrem Oberhaupt unterstünden im weitesten Sinne al e Krieger.

Er müsse entscheiden, was geschehen sol.

Um etwa neun Uhr abends kommen zwei Krieger von der Nordküste zu uns.

Obwohl sie mir nicht sehr angenehm sind, bin ich froh, daß endlich etwas geschieht.

Sie sprechen auf Lketinga ein und massieren seine Stirn mit einer intensiv riechenden getrockneten Blume. Während sie sich unterhalten, gibt Lketinga ganz normal Antwort. Ich kann es kaum glauben. Vorher war er noch so verwirrt, jetzt redet er ruhig. Damit auch ich eine Aufgabe habe, koche ich für alle Chai. Verstehen kann ich nichts und fühle mich deshalb hilflos und überflüssig.

Zwischen den drei Männern herrscht eine solche Vertrautheit, daß sie mich gar nicht mehr wahrnehmen. Trotzdem nehmen sie gerne Tee, und ich frage, was los sei. Einer von ihnen spricht etwas Englisch und erklärt mir, Lketinga gehe es nicht gut, er sei krank im Kopf. Viel eicht ginge es bald vorbei. Er brauche Ruhe und viel Platz, deshalb würden sie etwas abseits zu dritt im Busch schlafen. Morgen führen sie mit ihm zur Nordküste, um alles zu regeln. „Aber warum kann er nicht hier schlafen bei mir?“ frage ich verstört, denn bald glaube ich niemandem mehr, obwohl es ihm im Moment sichtlich besser geht. Nein, meinen sie, für sein Blut sei meine Nähe jetzt nicht gut. Sogar Lketinga pflichtet ihnen bei, da er eine solche Krankheit bisher nicht hatte, es müsse also an mir liegen. Ich bin schockiert, dennoch bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn mit den anderen ziehen zu lassen.

Am nächsten Morgen kommen sie tatsächlich zurück, um Tee zu trinken. Lketinga geht es gut, er ist fast wieder der alte. Die zwei bestehen trotzdem darauf, daß er zur Nordküste mitgeht. Lachend willigt er ein: „Now I'm okay!“

Als ich erwähne, daß ich heute nacht nach Nairobi muß, um mein Visum zu holen, sagt er: „No problem,

wir fahren zur Nordküste und dann zusammen nach Nairobi.“ An der Nordküste angekommen wird da und dort zuerst geschwatzt, bis wir zur Hütte des „Häuptlings“

geführt werden. Er ist nicht so alt, wie ich angenommen habe, und empfängt uns herzlich, obwohl er uns nicht sehen kann, denn er ist blind. Geduldig spricht er auf Lketinga ein. Ich sitze da und beobachte die Szene, ohne nur das geringste zu verstehen. Andererseits wage ich im Moment nicht, den Dialog zu unterbrechen. Mir läuft langsam die Zeit davon. Obwohl ich erst den Nachtbus nehmen will, muß ich doch das Ticket drei bis vier Stunden vor der Abfahrt besorgen, sonst bekomme ich keinen Platz. Nach einer Stunde erklärt mir der Häuptling, ich solle ohne Lketinga fahren, denn Nairobi sei für seinen Zustand und sein sensibles Gemüt nicht gut. Sie würden auf ihn aufpassen, und ich sol e so schnell wie möglich wiederkommen. Ich bin einverstanden, weil ich völlig hilflos wäre, wenn in Nairobi etwas Ähnliches passieren würde. So verspreche ich Lketinga, wenn alles wunschgemäß verläuft, bereits morgen abend den Bus zurück zu nehmen und übermorgen in der Früh wieder hierherzukommen. Als ich in den Bus einsteige, ist Lketinga sehr traurig. Er hält meine Hand und fragt mich, ob ich auch wirklich zurückkomme. Ich versichere ihm, er solle sich keine Gedanken machen, ich käme wieder und dann würden wir weitersehen. Wenn es ihm nicht gut gehe, könnten wir auch einen Arzt aufsuchen. Er verspricht mir, zu warten und alles zu probieren, um keinen Rückfall zu bekommen.

Das Matatu fährt ab, und mir wird schwer ums Herz. Wenn nur alles gut geht!

In Mombasa erhalte ich meine Fahrkarte und muß bis zur Abfahrt fünf Stunden warten. Nach acht Stunden Fahrt bin ich schließlich am frühen Morgen in Nairobi.

Wieder muß ich im Bus bis kurz vor sieben Uhr warten, um auszusteigen. Ich trinke zuerst Tee und nehme mir ein Taxi zum Nyayo-Gebäude, weil ich den Weg dorthin nicht kenne. Als ich ankomme, herrscht großes Durcheinander. Weiße wie Schwarze drängeln an den verschiedenen Schaltern, jeder wil etwas. Ich quäle mich durch diverse Formulare, die ich auszufüllen habe, natürlich in Englisch! Dann gebe ich sie ab und warte. Vol e drei Stunden vergehen, bis endlich mein Name aufgerufen wird.

Ich hoffe inständig, daß ich meinen Stempel bekomme. Die Frau hinter dem Schalter mustert mich und fragt, warum ich nochmals um drei Monate verlängern möchte. So gelassen wie möglich antworte ich: „Weil ich längst nicht alles gesehen habe von diesem herrlichen Land und genügend Geld besitze, um noch mal drei Monate zu bleiben.“ Sie schlägt meinen Paß auf, blättert hin und her und klatscht einen riesigen Stempel auf die Seite. Ich habe mein Visum und bin wieder einen Schritt weiter!

Glücklich bezahle ich die gewünschte Gebühr und verlasse das schreckliche Gebäude. Zu diesem Zeitpunkt kann ich nicht ahnen, daß ich dieses Gebäude noch so häufig betreten werde, bis ich es schließlich hasse.

Mit einem Ticket für den Abendbus in der Tasche gehe ich anschließend essen. Es ist früher Nachmittag, und ich spaziere etwas in Nairobi umher, um nicht einzuschlafen. Seit mehr als dreißig Stunden habe ich nicht mehr geschlafen. Ich schlendere nur zwei Straßen entlang, um mich nicht zu verlaufen. Um neunzehn Uhr ist es dunkel, und langsam, als die Geschäfte geschlossen werden, erwacht das Nachtleben in den Bars. Auf der Straße möchte ich mich nicht mehr aufhalten, die Gestalten werden von Minute zu Minute finsterer. Eine Bar kommt nicht in Frage, deshalb betrete ich einen nahe gelegenen McDonald, um die letzten zwei Stunden abzusitzen.

Endlich hocke ich wieder im Bus nach Mombasa. Der Busfahrer kaut Miraa. Er rast wie verrückt, und tatsächlich sind wir in Rekordzeit um vier Uhr früh am Ziel. Wieder muß ich warten, bis das erste Matatu zur Nordküste fährt. Ich bin gespannt, wie es Lketinga geht. Kurz vor sieben Uhr bin ich bereits im Massai-Dorf. Da al es schläft und das Chaihaus noch geschlossen ist, warte ich davor, weil ich nicht weiß, in welcher Hütte sich Lketinga aufhält. Um halb acht kommt der Besitzer des Teehauses und öffnet. Ich setze mich hinein und warte auf den ersten Chai. Er bringt ihn mir und verzieht sich gleich wieder in die Küche. Bald kommen einzelne Krieger und lassen sich an anderen Tischen nieder. Es herrscht gedrückte Stimmung, und niemand spricht. Wahrscheinlich liegt es daran, daß es noch früh am Morgen ist, denke ich.

Kurz nach acht Uhr halte ich es nicht mehr aus und frage den Besitzer, ob er wisse, wo Lketinga sei. Er schüttelt den Kopf und verschwindet wieder. Doch nach einer halben Stunde setzt er sich an meinen Tisch und sagt, ich solle zur Südküste fahren und nicht mehr warten. Erstaunt schaue ich ihn an und frage: „Warum?“ „Er ist nicht mehr hier. Er ist diese Nacht zurück nach Hause gefahren“, erklärt mir der Mann. Mein Herz verkrampft sich. „Nach Hause zur Südküste?“ frage ich naiv. „No, home to Samburu-Maralal.“

Vol er Entsetzen schreie ich: „No, that's not true!

Er ist hier, sag mir wo!“ Vom anderen Tisch kommen zwei auf mich zu und reden beruhigend auf mich ein. Ich schlage ihre Hände von mir weg, tobe und schreie, so laut ich kann, dieses Pack in Deutsch an: „Ihr verdammte Saubande, hinterhältiges Pack, ihr habt das alles geplant!“ Tränen der Wut laufen mir über das Gesicht, doch diesmal ist es mir völ ig gleichgültig.

Am liebsten würde ich den erstbesten zusammenschlagen, so wütend bin ich. Die haben ihn einfach in den Bus gesetzt, obwohl sie wußten, daß ich mit dem gleichen Bus, nur in entgegengesetzter Richtung, wiederkomme, genau zur gleichen Zeit, so daß wir uns irgendwo auf der Strecke begegnet sind. Ich kann es nicht fassen. Soviel Gemeinheit! Als ob es auf diese acht Stunden angekommen wäre. Ich stürze aus dem Lokal, da immer mehr Schaulustige kommen und ich mich kaum mehr beherrschen kann. Für mich ist klar, die stecken al e unter einer Decke. Traurig und voller Zorn fahre ich zurück an die Südküste.

You come to my home

Im Moment weiß ich nicht, wie es weitergehen sol. Das Visum habe ich, aber Lketinga ist fort. Priscilla ist mit zwei Kriegern in ihrem Häuschen. Ich berichte, und die beiden lassen sich von ihr übersetzen. Abschließend rät mir Priscilla, ich solle Lketinga, obwohl er sehr lieb sei, doch vergessen. Entweder sei er wirklich krank, oder die anderen hätten ihm etwas Schlechtes angewünscht, was ihn zwinge, zu seiner Mutter zurückzukehren, denn so sei er in Mombasa verloren. Er müsse zu einem Medizinmann. Ich könne ihm nicht helfen. Auch wäre es gefährlich, mich als Weiße gegen alle anderen zu stel en.

Ich bin völ ig verzweifelt und weiß nicht mehr, was und vor al em wem ich glauben soll. Nur mein Gefühl sagt mir, daß man Lketinga gegen seinen Willen vor meiner Rückkehr weggebracht hat. Am selben Abend kommen die ersten Krieger in mein Häuschen, um mir den Hof zu machen. Als der zweite eindeutig wird und meint, ich brauche ihn als boyfriend, da Lketinga „crazy“ sei und nicht mehr herkomme, werfe ich, erbost über soviel Frechheit, alle hinaus. Als ich Priscil a davon erzähle, lacht sie nur, das sei normal, ich solle al es nicht so eng sehen. Offensichtlich hat auch sie noch nicht begriffen, daß ich nicht irgend jemanden will, sondern mein ganzes Leben in der Schweiz für Lketinga aufgegeben habe.“

Am nächsten Tag schreibe ich gleich einen Brief an seinen Bruder James in Maralal. Vielleicht weiß er mehr. Nun werden sicher zwei Wochen vergehen, bevor ich Antwort erhalte. Zwei lange Wochen, in denen ich nicht erfahre, was los ist, da werde ich verrückt! Am vierten Tag halte ich es nicht mehr aus. Klammheimlich beschließe ich, aufzubrechen und die weite Strecke nach Maralal auf mich zu nehmen. Dort werde ich weitersehen, aber ich gebe nicht auf, die werden noch staunen! Nicht einmal Priscilla erzähle ich von meinen Plänen, denn ich traue niemandem mehr. Als sie an den Strand geht, um Kangas zu verkaufen, packe ich meine Reisetasche und verschwinde Richtung Mombasa.

Wieder lege ich gute 1400 Kilometer zurück und komme nach zwei Tagen in Maralal an. Ich beziehe dasselbe Lodging für vier Franken wie beim letzten Mal, und die Besitzerin staunt, als ich schon wieder auftauche. Im spärlichen Zimmer lege ich mich auf die Pritsche und überlege: Was jetzt? Morgen gehe ich zu Lketingas Bruder.

Zuerst muß ich den Headmaster überreden, bevor er bereit ist, James zu holen.

Auch ihm erzähle ich al es, und er meint, falls er die Erlaubnis bekäme, würde er mich zu seiner Mutter bringen. Der Headmaster ist nach langem Hin und Her einverstanden, wenn ich ein Auto auftreiben kann, das James und mich nach Barsaloi bringen wird. Zufrieden, so viel mit meinem spärlichen Englisch erreicht zu haben, ziehe ich durch Maralal und frage mich durch, wer ein Auto besitzt. Die wenigen sind fast alle Somalis. Doch wenn ich sage, wohin ich will, werde ich entweder ausgelacht, oder sie verlangen Preise, die mir astronomisch erscheinen.

Am zweiten Tag der Suche treffe ich auf meinen damaligen Retter Tom, der Lketinga gesucht und gefunden hat. Auch er möchte wissen, wo Lketinga ist. Erneut versteht er meine Situation und will versuchen, ein Auto zu bekommen, denn bei meiner Hautfarbe würde der Preis um das Fünffache steigen. Tatsächlich sitzen wir beide kurz nach Mittag in einem Landrover, den er samt Chauffeur für zweihundert Franken chartern konnte. Bei James melde ich mich ab, da Tom mitkommen will.

Der Landrover fährt durch Maralal und dann eine öde, rote Lehmstraße entlang.

Nach kurzer Zeit kommen wir in einen dichten Wald mit riesigen Bäumen, die von Lianen überwuchert sind. Man sieht keine zwei Meter in den Busch hinein. Auch das Sträßchen ist bald nur noch an den Fahrspuren, die die Reifen verursacht haben, erkennbar. Der Rest ist zugewachsen. Hinten im Landrover kann ich al erdings nicht viel erkennen. Nur an der Seitenlage, die ab und zu entsteht, merke ich, daß der Weg sehr steil und schräg sein muß. Als wir nach einer Stunde den Wald verlassen, stehen wir vor mächtigen Felsbrocken. Hier kann es unmöglich weitergehen! Aber meine zwei Begleiter steigen aus und verschieben einige Steine. Dann poltert das Gefährt langsam über die Geröllhalde. Spätestens hier wird mir klar, daß der Preis nicht zu hoch ist. Nach dem wenigen, was ich sehe, aber dem vielen, das ich spüre, wäre ich jetzt bereit, mehr zu bezahlen. Es wäre ein Wunder, wenn wir das Auto heil hinüberbrächten. Aber wir schaffen es, der Chauffeur ist ein hervorragender Fahrer.

Ab und zu fahren wir an Manyattas und Kindern mit Ziegen– oder Kuhherden vorbei. Ich bin aufgeregt. Wann sind wir endlich da? Ist hier mein Darling irgendwo zu Hause, oder ist die ganze Anstrengung vergebens? Gibt es noch eine Chance?

Leise bete ich vor mich hin. Mein Retter hingegen ist sehr ruhig. Endlich überqueren wir ein breites Flußbett, und nach zwei oder drei Kurven erspähe ich einige einfache Blockhütten und weiter oben, auf einer Anhöhe, ein riesiges Gebäude, das sich von der Landschaft wie eine Oase abhebt, grün und schön. „Wo sind wir?“ frage ich meinen Begleiter. „Hier ist Barsaloi-Town und dort oben die neu gebaute Mission.

Zuerst gehen wir aber zu den Manyattas und schauen, ob Lketinga zu Hause bei seiner Mutter ist“, erklärt er mir. Wir fahren nahe an der Mission vorbei, und ich staune über das viele Grün, denn hier ist es sehr trocken, wie in einer Halbwüste oder Steppe.

Nach dreihundert Metern biegen wir ab und holpern über die Steppe. Zwei Minuten später hält das Fahrzeug. Tom steigt aus und fordert mich auf, ihm langsam nachzukommen. Den Chauffeur bittet er zu warten. Unter einem großen, flachen Baum sitzen mehrere Erwachsene und Kinder. Mein Begleiter geht auf die Leute zu, während ich in angemessenem Abstand warte. Alle blicken herüber. Nach längerem Schwatz mit einer alten Frau kommt er zurück und sagt: „Corinne, come, his Mama teils me, Lketinga is here.“

Wir gehen durch hohes, stacheliges Gebüsch und gelangen zu drei sehr einfachen Manyattas, die in etwa fünf Metern Abstand voneinander stehen. Vor der mittleren stecken zwei lange Speere im Boden. Tom deutet darauf und sagt: „Here he is inside.“

Ich wage mich nicht zu bewegen, und so bückt er sich und geht hinein. Da ich dicht hinter ihm bin, verdeckt mich sein Rücken. Nun höre ich Tom sprechen und kurz darauf Lketingas Stimme. Jetzt halte ich es nicht mehr aus und quetsche mich vorbei. Wie überrascht und freudig, ja ungläubig Lketinga mich in diesem Moment ansieht, werde ich mein ganzes Leben nicht mehr vergessen. Er liegt auf einem Kuhfell in dem kleinen Raum hinter der Feuerstel e im rauchigen Halbdunkel und lacht plötzlich los. Tom macht Platz, so gut es geht, und ich krieche in seine ausgestreckten Arme. Wir halten uns lange fest. „I know always, if you love me, you come to my home.“

Dieses Wiedersehen, ja Wiederfinden ist schöner als alles bisher Dagewesene. In dieser Minute weiß ich, hier werde ich bleiben, auch wenn wir nichts haben außer uns. Lketinga spricht mir aus dem Herzen, als er sagt: „Now you are my wife, you stay with me like a Samburu-wife.“

Ich bin überglücklich.

Mein Begleiter schaut mich skeptisch an und fragt, ob er wirklich allein mit dem Landrover nach Maralal zurückfahren sol. Es sei schwer für mich hier. Es gäbe fast nichts zu essen, und schlafen müsse ich am Boden. Zu Fuß nach Maralal käme ich auch nicht. Mir ist das alles egal, und ich sage zu ihm: „Wo Lketinga lebt, da kann auch ich leben.“

Für einen kurzen Moment wird es dunkel in der Hütte, Lketingas Mutter schiebt sich durch das kleine Loch am Eingang. Sie setzt sich gegenüber der Feuerstelle nieder und schaut mich lange schweigend und düster an. Ich bin mir bewußt, daß dies entscheidende Minuten sind, und sage nichts. Wir sitzen da, halten unsere Hände, und unsere Gesichter glühen. Würden wir Licht damit erzeugen, wäre die Hütte hell erleuchtet.


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