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Die weisse Massai
  • Текст добавлен: 4 октября 2016, 02:44

Текст книги "Die weisse Massai"


Автор книги: Corinne Hofmann



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Es ist ein typisches Stundenhotel. Im Zimmer hört man das Gedudel der Kikuyu-Musik fast so laut wie im unteren Stock an der Bar. Ich lasse mich auf das Bett fal en, und augenblicklich ist mir übel. Ich deute an, daß ich erbrechen muß. Lketinga stützt mich und schleppt mich zur Toilette. Doch ich schaffe es nicht mehr. Schon im Gang stürzt die erste Fontäne aus meinem Mund. Auf der Toilette geht es weiter. Ich würge, bis nur noch gelbe Galle kommt. Mit schlotternden Beinen kehre ich ins Zimmer zurück. Mir ist die Schweinerei peinlich. Ich lege mich ins Bett und habe das Gefühl zu verdursten. Lketinga besorgt mir Schweppes. Ich leere die Flasche in einem Zug, dann noch eine und noch eine. Plötzlich friere ich. Ich friere, als säße ich in einem Kühlschrank. Es wird immer schlimmer. Meine Zähne klappern so sehr, daß mein Kiefer schmerzt, aber ich kann es nicht abstel en. „Lketinga, I feel so cold, please give me blankets!“

Lketinga gibt mir die Decke, doch es nützt nichts. Jomo geht und bringt zwei weitere Decken vom Lodging. Trotz der vielen Decken hebt sich mein steifer, klappernder Körper vom Bett ab. Ich will Tee, ganz, ganz heißen Tee. Ich habe das Gefühl, es vergehen Stunden, bis ich ihn endlich bekomme. Weil ich so zittere, kann ich ihn kaum trinken. Nach zwei, drei Schlucken dreht sich mein Magen schon wieder um. Doch aus dem Bett kann ich nicht mehr. Lketinga eilt und holt eines der Waschbecken, die überall in den Duschen stehen. Ich erbreche al es, was ich getrunken habe.

Lketinga ist verzweifelt. Er fragt mich dauernd, was los sei, doch ich weiß es auch nicht. Ich habe Angst. Der Schüttelfrost hört auf, und ich falle wie Pudding in die Kissen. Mein ganzer Körper schmerzt. Ich bin so erschöpft, als wäre ich Stunden um mein Leben gerannt. Jetzt spüre ich, wie ich heiß werde. Nach kurzer Zeit bin ich am ganzen Körper patschnaß. Meine Haare kleben am Kopf. Ich habe das Gefühl, ich verglühe. Nun will ich kaltes Cola. Wieder stürze ich das Getränk hinunter. Ich muß auf die Toilette. Lketinga bringt mich hin, und schon geht der Durchfal los. Ich bin froh, daß Lketinga bei mir ist, obwohl er völlig verzweifelt ist. Wieder im Bett will ich nur schlafen. Ich kann auch nicht sprechen. Vor mich hindösend lausche ich den Stimmen der beiden, die leiser sind als das Gedudel unten an der Bar.

Ein neuer Anfall bahnt sich an. Die Kälte schleicht in meinen Körper, und kurz darauf klappere ich schon wieder. Voller Panik halte ich mich so gut es geht am Bett fest. „Darling, help me!“

flehe ich. Lketinga legt sich mit seinem halben Körper auf mich, und ich zittere weiter. Unser Begleiter steht daneben und meint, ich hätte wohl Malaria und müsse in ein Spital. In meinem Kopf dröhnt es: Malaria, Malaria, Malaria! Von einer Sekunde zur anderen höre ich auf zu zittern und schwitze aus al en Poren. Die Bettlaken sind richtig naß. Durst, Durst! Ich muß trinken. Die Lodging-Vermieterin steckt den Kopf ins Zimmer. Als sie mich sieht, höre ich „Mzungu, Malaria, Hospital“.

Doch ich schüttle den Kopf. Hier in Nairobi will ich nicht in ein Spital. Ich habe soviel Schlimmes gehört. Und dann Lketinga! Er ist verloren al ein in Nairobi.

Die Zimmerwirtin geht und kommt mit Malariapulver zurück. Ich trinke es mit Wasser und bin müde. Als ich wieder erwache, ist al es dunkel. Mein Kopf brummt.

Ich rufe Lketinga, doch niemand ist hier. Nach weiteren Minuten oder Stunden, ich weiß es nicht, kommt Lketinga ins Zimmer. Er war unten an der Bar. Ich rieche die Bierfahne, und schon dreht sich mein Magen von neuem. Während der Nacht löst ein Schüttelfrost den anderen ab.

Als ich am Morgen aufwache, höre ich die beiden diskutieren. Es geht um das Fest zu Hause. Jomo kommt ans Bett und fragt, wie es mir geht. Einfach schlecht, erwidere ich.

Ob wir denn heute nicht zurückfahren? Für mich ist das unmöglich. Ich muß auf die Toilette. Meine Beine wackeln, ich kann kaum stehen. Ich sol te essen, geht es mir durch den Kopf.

Lketinga geht hinunter und kommt mit einem Tel er Fleischbrocken zurück. Als ich das Essen rieche, verkrampft sich mein Magen, der inzwischen höl isch schmerzt. Ich übergebe mich schon wieder. Außer etwas gelber Flüssigkeit kommt nichts mehr, aber gerade diese Art von Brechen schmerzt gräßlich. Durch die Würgerei setzt auch noch der Durchfall ein. Mir ist hundeelend, und ich habe das Gefühl, meine letzten Stunden sind gezählt.

Am Abend des zweiten Tages schlafe ich während der Hitzewellen ständig ein und verliere jegliches Zeitgefühl. Das Gedudel geht mir so auf den Geist, daß ich heule und mir die Ohren zuhalte. Jomo wird wohl alles zuviel, denn er meint, er gehe Verwandte besuchen, sei aber in drei Stunden zurück. Lketinga zählt unser Bargeld, und mir ist, als würde einiges fehlen. Aber es ist mir gleichgültig. Mir wird langsam klar, wenn ich jetzt nichts unternehme, werde ich Nairobi, ja nicht einmal dieses schreckliche Lodging überleben.

Lketinga geht los, um Vitamintabletten und das einheimische Malariamittel zu holen. Die Tabletten würge ich hinunter. Wenn ich breche, schlucke ich sofort wieder eine. Mittlerweile ist es Mitternacht, und Jomo ist immer noch nicht zurück. Wir machen uns Sorgen, da Nairobi in dieser Gegend gefährlich ist. Lketinga schläft fast nicht und kümmert sich liebevoll um mich.

Meine Anfälle haben durch das Mittel etwas nachgelassen, doch bin ich so schwach, daß ich nicht einmal meine Arme heben kann. Lketinga ist verzweifelt. Er wil unseren Begleiter suchen gehen, doch das ist Irrsinn in dieser Stadt, in der er sich nicht auskennt. Ich flehe ihn an, bei mir zu bleiben, sonst bin ich ganz al ein. Wir müssen Nairobi, sobald es geht, verlassen. Wie Bonbons verschlinge ich die Vitamintabletten. Langsam wird mein Kopf etwas klarer. Wenn ich hier nicht verrecken will, muß ich meine letzte Kraft zusammennehmen. Ich schicke meinen Darling los, mir Früchte und Brot zu kaufen. Nur nichts, das nach Essen riecht! Ich zwinge mich, Stück für Stück hinunterzuschlucken. Meine gesprungenen Lippen brennen höl isch beim Essen der Früchte, doch muß ich Kraft sammeln, um weggehen zu können. Jomo hat uns im Stich gelassen.

Allein die Angst, Lketinga könnte durchdrehen, läßt mich stärker werden. Ich wil versuchen, mich zu waschen, damit ich mich besser fühle. Mein Darling bringt mich zur Dusche, und ich schaffe es mit Müh und Not, mich zu duschen. Dann verlange ich nach drei Tagen endlich neue Bettwäsche. Bis al es frisch bezogen ist, will ich ein paar Schritte laufen. Auf der Straße ist mir schwindlig, doch ich will es schaffen. Wir gehen vielleicht fünfzig Meter, und mir scheint, es wären fünf Kilometer. Ich muß zurück, denn der Gestank der Straße läßt meinem Magen keine Ruhe. Dennoch bin ich stolz auf meine Leistung. Ich verspreche Lketinga, daß wir morgen Nairobi verlassen werden. Als ich wieder erschöpft im Bett liege, wünsche ich mir, zu Hause bei meiner Mutter in der Schweiz zu sein.

Morgens bringt uns ein Taxi zur Busstation. Lketinga ist beunruhigt, weil er glaubt, wir ließen den anderen zurück. Aber nach zwei Tagen Wartezeit ist es wohl unser Recht abzureisen, da auch Lketingas Fest immer näherrückt. Die Fahrt nach Isiolo dauert ewig. Lketinga muß mich stützen, damit ich in den Kurven nicht kraftlos vom Sitz falle. In Isiolo schlägt Lketinga vor, hier zu übernachten, doch ich will nach Hause. Wenigstens nach Maralal möchte ich, vielleicht sehe ich Jutta oder Sophia.

Ich schleppe mich zur Mission und steige ins Fahrzeug, während sich Lketinga bei den Missionaren verabschiedet. Er will ans Steuer, aber das kann ich nicht verantworten. Wir sind in einer kleineren Stadt, und es wimmelt von Straßenkontrollen.

Ich fahre los und schaffe kaum, das Kupplungspedal durchzudrücken. Die ersten paar Kilometer sind noch asphaltiert, dann beginnt die Naturstraße. Unterwegs halten wir an und nehmen drei Samburus mit, die nach Wamba wol en. Beim Fahren denke ich an nichts mehr und konzentriere mich nur auf die Straße. Die Schlaglöcher erkenne ich schon von weitem. Was im Fahrzeug geschieht, nehme ich nicht wahr.

Erst als jemand eine Zigarette anzündet, verlange ich, sie sofort zu löschen, sonst muß ich brechen. Ich spüre, wie mein Magen rebelliert. Nur jetzt nicht anhalten und kotzen, das kostet zu viel Energie. Der Schweiß läuft mir am Körper herunter.

Ständig wische ich mir mit dem Handrücken über die Stirn, damit er mir nicht in die Augen tropft. Endlos dahinfahrend wende ich meine Augen keine Sekunde von der Straße ab.

Es wird Abend, und Lichter tauchen auf, wir sind in Maralal. Ich kann es kaum glauben, denn ich fuhr ohne jedes Zeitgefühl, und parke sofort bei unserem Lodging.

Ich stelle den Motor ab und schaue Lketinga an. Dabei merke ich, wie leicht mein Körper wird, und dann ist al es dunkel.

Im Spital

Ich öffne die Augen und glaube, aus einem bösen Traum zu erwachen. Doch um mich blickend, merke ich, daß das Schreien und Stöhnen Wirklichkeit ist. Ich liege im Spital und befinde mich in einem riesigen Raum, in dem Bett an Bett steht. Links von mir liegt eine alte, ausgemergelte Samburu-Frau. Rechts von mir steht ein rosarotes Kinderbett mit Gitter. Darinnen schlägt etwas ständig ans Holz und schreit. Wo ich hinschaue, nichts als Elend. Warum bin ich im Spital? Ich verstehe nicht, wie ich hierher gekommen bin. Wo ist Lketinga? Panik ergreift mich. Wie lange bin ich schon hier? Draußen ist es hell, die Sonne scheint. Mein Bett ist ein Eisengestel mit dünner Matratze und schmuddligen, gräulichen Bettlaken.

Zwei junge Mediziner in weißen Kitteln gehen vorbei. „Hello!“ Ich winke. Meine Stimme ist nicht laut genug. Das Gestöhne übertönt mich, und aufrichten kann ich mich nicht. Mein Kopf ist zu schwer. Tränen schießen mir in die Augen. Was soll das hier? Wo ist Lketinga?

Die Samburu-Frau spricht mit mir, doch ich verstehe nichts. Dann endlich sehe ich Lketinga auf mich zukommen. Sein Anblick beruhigt mich und macht mich sogar etwas froh. „Hello, Corinne, how you feel now?“

Ich versuche zu lächeln und sage, nicht schlecht. Er berichtet mir, daß ich gleich nach unserer Ankunft ohnmächtig geworden bin. Unsere Zimmerwirtin hat sofort den Krankenwagen alarmiert. Und nun sei ich seit gestern abend hier. Er sei die ganze Nacht bei mir gewesen, doch ich sei nicht aufgewacht. Ich kann kaum glauben, daß ich von al em nichts mitbekommen habe. Der Arzt hat mir eine Spritze gegeben.

Nach einer Weile stehen die beiden einheimischen Mediziner neben dem Bett. Ich habe eine akute Malaria, doch machen können sie nicht viel, da es an Medikamenten fehlt. Lediglich Pil en geben sie mir. Ich solle viel essen und schlafen. Allein bei dem Wort Essen wird mir übel, und schlafen bei diesem Gestöhne und Kindergeschrei scheint mir auch unmöglich. Lketinga sitzt am Bettrand und schaut mich hilflos an.

Plötzlich steigt mir ein penetranter Geruch von Kohl in die Nase. Mein Magen dreht sich. Ich brauche irgendeinen Behälter. In meiner Verzweiflung greife ich zum Wasserkrug und erbreche mich. Lketinga hält den Krug und stützt mich, al ein würde ich es kaum schaffen. Sogleich steht eine dunkle Krankenschwester neben uns, reißt mir den Krug weg und ersetzt diesen durch einen Kübel. „Why you make this? This is for drinking water!“

schnauzt sie mich an. Ich fühle mich elend. Der Geruch kommt vom Essenswagen.

Auf diesem stehen Blechnäpfe, in die eine Reis-Kohlmasse gefüllt wird. An jedem Bett wird ein Napf abgestellt.

Völ ig erschöpft vom Erbrechen, liege ich auf der Pritsche und halte mir mit dem Arm die Nase zu. Ich kann unmöglich essen. Vor etwa einer Stunde habe ich die ersten Tabletten bekommen, und langsam juckt es mich am ganzen Körper. Wie wild kratze ich überall. Lketinga bemerkt in meinem Gesicht Flecken und Pickel. Ich hebe meinen Rock, und wir entdecken, daß die Beine ebenfalls mit Pusteln übersät sind.

Er holt einen Arzt.

Offensichtlich reagiere ich auf das Medikament allergisch.

Doch er kann mir im Moment nichts anderes geben, da alles verbraucht ist und sie täglich auf Nachschub aus Nairobi hoffen.

Gegen Abend verläßt mich Lketinga. Er will etwas essen gehen und schauen, ob er jemanden von zu Hause trifft, um zu erfahren, wann sein großes Fest beginnt.

Todmüde möchte ich nur noch schlafen. Mein ganzer Körper ist in Schweiß gebadet, und das Fieberthermometer zeigt einundvierzig Grad. Vom vielen Wassertrinken verspüre ich das Bedürfnis nach einer Toilette. Aber wie komme ich nur dahin? Das Toilettenhäuschen befindet sich etwa dreißig Meter vom Eingang entfernt. Wie soll ich diese Strecke schaffen? Langsam stel e ich die Beine auf den Boden und steige in meine Plastiksandalen. Dann ziehe ich mich am Bettgestel hoch. Meine Beine zittern, ich kann kaum stehen. Ich reiße mich zusammen, denn ich will auf keinen Fal jetzt zusammenbrechen. Von Bett zu Bett Halt suchend, erreiche ich den Ausgang. Die dreißig Meter erscheinen mir unendlich weit, und ich bin versucht, die letzten Meter zu kriechen, da ich mich nirgends festhalten kann. Ich beiße die Zähne zusammen und erreiche mit letzter Kraft das Klo. Doch hier kann man nicht sitzen, im Gegenteil, ich muß in die Hocke. So gut es geht, halte ich mich an den Steinwänden fest.

Die ganze Tragik dieser Malaria wird mir bewußt, als ich realisiere, wie schwach ich bin, ich, die ich noch nie richtig krank war. Vor der Tür steht eine hochschwangere Massai-Frau. Als sie bemerkt, daß ich die Türe nicht loslasse, weil ich sonst hinfal en würde, hilft sie mir wortlos bis zum Eingang zurück. Ich bin ihr so dankbar, daß mir Tränen übers Gesicht laufen. Mühsam schleppe ich mich zurück ins Bett und heule vor mich hin. Die Schwester kommt und fragt, ob ich Schmerzen habe. Ich schüttle den Kopf und fühle mich noch elender. Irgendwann schlafe ich ein.

In der Nacht erwache ich. Das Kind im Gitterbett schreit furchtbar und schlägt mit dem Kopf an das Gitter. Es kommt niemand, und ich werde fast verrückt. Nun bin ich schon vier Tage hier, und mir geht es miserabel. Lketinga kommt häufig vorbei. Auch er sieht schlecht aus, er wil nach Hause, aber nicht ohne mich, da er Angst hat, ich sterbe. Außer Vitamintabletten habe ich immer noch nichts gegessen. Die Schwestern schimpfen ständig mit mir, doch jedesmal übergebe ich mich, wenn ich etwas in den Mund stecke. Mein Bauch schmerzt wahnsinnig. Einmal bringt mir Lketinga ein ganzes Ziegenbein, schön gebraten, und bittet verzweifelt, es zu essen, dann würde ich wieder gesund. Doch ich kann nicht. Enttäuscht geht er.

Am fünften Tag kommt Jutta. Sie hat gehört, eine Weiße sei im Spital. Sie ist entsetzt, als sie mich sieht. Sofort müsse ich hier raus, in das Missionsspital nach Wamba. Doch ich begreife nicht, warum ich in ein anderes Spital soll, es ist doch alles dasselbe. Viereinhalb Stunden Autofahrt halte ich sowieso nicht durch. „Wenn du dich sehen könntest, würdest du begreifen, daß du weg mußt. Fünf Tage, und die haben dir nichts gegeben? Da bist du weniger wert als eine Ziege draußen. Viel eicht wollen sie dir gar nicht helfen“, meint sie. „Jutta, bitte bring mich in ein Lodging. Hier wil ich nicht sterben, und nach Wamba schaffe ich es nicht bei diesen Straßen, ich kann mich ja nicht einmal festhalten!“ Jutta spricht mit den Ärzten. Sie wollen mich nicht gehen lassen. Erst als ich einen Zettel unterschreibe und al e Verantwortung übernehme, machen sie meine Entlassungspapiere bereit.

In der Zwischenzeit sucht Jutta Lketinga, damit er hilft, mich bis zum Lodging zu bringen. Sie nehmen mich in die Mitte, und so gehen wir langsam ins Dorf. Überal bleiben die Menschen stehen und starren uns an. Ich schäme mich, so hilflos durch das Dorf geschleppt zu werden.

Aber ich will kämpfen und überleben. Deshalb bitte ich die beiden, mich zum Somali-Restaurant zu bringen. Dort werde ich versuchen, eine Portion Leber zu essen. Das Restaurant ist mindestens zweihundert Meter entfernt, und mir sacken die Beine weg. Ununterbrochen rede ich mir zu: „Corinne, du schaffst es! Du mußt es erreichen!“ Erschöpft, aber stolz setze ich mich. Der Somali ist ebenfalls entsetzt, als er mich sieht. Wir bestellen Leber. Mein Magen rebelliert, als ich auf den Teller blicke. Mit aller Kraft überwinde ich mich und beginne, langsam zu essen. Nach zwei Stunden habe ich meinen Teller fast leer gegessen und rede mir ein, mich phantastisch zu fühlen. Lketinga ist zufrieden. Wir gehen zu dritt ins Lodging, wo sich Jutta verabschiedet. Sie will morgen oder übermorgen wieder vorbeikommen. Den Rest des Nachmittags sitze ich vor dem Lodging in der Sonne. Es ist schön, die Wärme zu spüren. Am Abend liege ich im Bett, esse langsam eine Karotte und bin stolz auf meinen Fortschritt. Mein Magen hat sich beruhigt, und ich kann al es behalten. „Corinne, jetzt geht es aufwärts!“ denke ich zuversichtlich und schlafe ein.

In der Früh erfährt Lketinga, daß die Zeremonie bereits begonnen hat. Er ist aufgebracht und möchte sofort nach Hause, zum Festplatz. Ich kann aber unmöglich so weit fahren, und wenn er zu Fuß geht, ist er auch erst am nächsten Tag dort.

Er denkt viel an seine Mama, die verzweifelt wartet und nicht weiß, was passiert ist. Morgen, verspreche ich meinem Darling, werden wir losfahren. So habe ich noch einen vollen Tag, um Kräfte zu sammeln, damit ich wenigstens das Steuer halten kann. Wenn wir aus Maralal raus sind, kann Lketinga weiterfahren, aber hier, mit der Polizei, ist es zu gefährlich.

Wir gehen wieder zum Somali, und ich bestel e mir dasselbe Essen. Heute habe ich fast die ganze Strecke ohne Hilfe geschafft. Mit dem Essen geht es schon viel leichter. Langsam spüre ich wieder Leben in meinem Körper. Mein Bauch ist flach und nicht mehr hohl eingefal en. Im Lodging betrachte ich mich zum ersten Mal wieder in einem Spiegel. Mein Gesicht hat sich sehr verändert. Die Augen kommen mir riesengroß vor, meine Backenknochen stechen kantig ab. Bevor wir aufbrechen, hat Lketinga noch einige Kilo Kautabak und Zucker gekauft, ich besorge Reis und Früchte. Die ersten Kilometer bereiten mir enorme Mühe, da ich ständig vom ersten in den zweiten Gang schalten muß und viel Kraft für die Kupplung benötige.

Lketinga, der neben mir sitzt, hilft, indem er meinem Schenkel mit dem Arm zusätzlichen Druck verleiht. Wieder fahre ich wie in Trance, und wir erreichen nach mehreren Stunden den Festplatz.

Die Zeremonie

Völ ig erschöpft bin ich dennoch überwältigt vom Anblick des riesigen Krals. Aus dem Nichts haben die Frauen ein neues Dorf erbaut. Es sind weit mehr als fünfzig Manyattas. Überal ist Leben. Aus jeder Hütte quil t Rauch. Lketinga sucht zuerst die Manyatta von Mama, während ich beim Landrover warte. Meine Beine zittern, und meine dünnen Arme schmerzen. Innerhalb kurzer Zeit haben sich Kinder, Frauen und Alte um mich versammelt und starren mich an. Ich hoffe, Lketinga kommt bald zurück. Tatsächlich erscheint er in Begleitung von Mama. Sie macht ein finsteres Gesicht, als sie mich mustert. „Corinne, jambo… wewe Malaria?“ Ich nicke und unterdrücke die aufsteigenden Tränen.

Wir packen alles aus und lassen den abgeschlossenen Wagen vor dem Kral stehen. An etwa fünfzehn Manyattas müssen wir vorbeigehen, bevor wir die von Mama erreichen. Der ganze Weg ist mit Kuhfladen übersät. Natürlich haben al e ihre Tiere mitgebracht, die momentan unterwegs sind und erst abends heimkehren. Wir trinken Chai, und Mama unterhält sich aufgeregt mit Lketinga. Später erfahre ich, daß wir zwei von den drei Festtagen verpaßt haben. Mein Darling ist enttäuscht und wirkt verstört. Er tut mir leid. Es wird einen Ältestenrat geben, bei dem die wichtigsten Alten bestimmen, ob er noch zugelassen wird und wie es weitergeht. Mama, die auch zu diesem Rat gehört, ist viel unterwegs, um die wichtigsten Männer aufzusuchen.

Die Festlichkeiten beginnen erst, wenn es dunkel wird und die Tiere zurück sind.

Vor der Manyatta sitzend schaue ich dem Treiben zu. Lketinga läßt sich von zwei Kriegern berichten, während sie ihn schmücken und kunstvoll bemalen. Es liegt eine enorme Spannung über dem Kral. Ich fühle mich ausgeschlossen und vergessen.

Seit Stunden hat niemand auch nur ein Wort an mich gerichtet. Bald werden die Kühe und Ziegen nach Hause kommen, und kurz darauf wird es Nacht sein. Mama kehrt zurück und bespricht die Situation mit Lketinga. Sie scheint etwas betrunken zu sein. Alle Alten trinken selbstgebrautes Bier in großen Mengen.

Ich wil endlich wissen, wie es weitergeht. Lketinga erklärt mir, daß er einen großen Ochsen oder fünf Ziegen für die Alten schlachten muß. Dann seien sie bereit, ihn zu der Zeremonie zuzulassen. Sie würden vor Mamas Manyatta heute nacht den Segen sprechen, und er dürfe den Tanz der Krieger anführen, damit alle offiziell erfahren, daß ihm diese krasse Verspätung, die normal den Ausschluß bedeutet, verziehen wird. Ich bin erleichtert. Doch er meint, im Moment besitze er keine fünf großen Ziegen. Höchstens zwei, die anderen seien schwanger und die dürfe man nicht töten.

Ich schlage vor, den Verwandten welche abzukaufen. Dabei ziehe ich ein Bündel Geld hervor und gebe es ihm. Er wil erst nicht, da er weiß, daß heute jede Ziege das Doppelte kosten wird. Aber Mama spricht energisch auf ihn ein. Er steckt das Geld ein und verläßt beim ersten Klingeln der Glöckchen, das die Rückkehr der Tiere ankündigt, die Hütte.

Unsere Manyatta füllt sich nach und nach mit weiteren Frauen. Mama kocht Ugali, ein Maisgericht, und es wird viel geredet. Die Hütte ist vom Feuer nur spärlich erhellt.

Ab und zu versucht eine Frau ein Gespräch mit mir. Eine jüngere Frau mit Kleinkind sitzt neben mir und bestaunt zuerst meine Arme, die vol er Massai-Schmuck sind, und später wagt sie auch, in meine langen glatten Haare zu fassen. Wieder wird gelacht, und sie zeigt auf ihren kahlen Kopf, der nur mit einem Perlenband geschmückt ist. Ich schüttle den Kopf. Mich mit einer Glatze vorzustellen, fällt mir schwer.

Draußen ist es bereits stockdunkel, als ich ein grunzendes Geräusch vernehme.

Es ist das typische Geräusch der Männer, wenn sie in erregtem Zustand sind, sei es bei Gefahr oder auch beim Sex. Augenblicklich ist es still in der Hütte. Mein Krieger streckt den Kopf herein, verschwindet aber beim Anblick der vielen Frauen gleich wieder. Ich höre Stimmen, die immer lauter werden. Plötzlich ertönt ein Schrei, und sofort fallen mehrere Personen in eine Art Summen oder Gurren ein. Neugierig krieche ich hinaus und bin überrascht, wie viele Krieger und junge Mädchen vor unserer Hütte zum Tanz versammelt sind. Die Krieger sind schön bemalt und tragen ein rotes Hüfttuch. Ihre Oberkörper sind frei und mit gekreuzten Perlenketten geschmückt. Die rote Bemalung ist vom Hals bis zur Mitte der Brust im Spitz zulaufend. Mindestens drei Dutzend Krieger bewegen ihre Körper im gleichen Rhythmus. Die Mädchen, zum Teil sehr jung, vielleicht neun– bis etwa fünfzehnjährig, tanzen in einer Reihe, den Männern zugewandt, im Rhythmus den Kopf bewegend mit. Nur ganz allmählich wird der Rhythmus gesteigert. Nach gut einer Stunde springen die ersten Krieger in die Höhe, die typischen Massai-Sprünge.

Mein Krieger sieht wunderbar aus. Er springt wie eine Feder höher und höher. Die langen Haare flattern bei jedem Sprung. Die nackten Oberkörper glänzen vor Schweiß.

Man sieht alles nur undeutlich in der sternenklaren Nacht, dafür spürt man förmlich die Erotik, die sich durch das stundenlange Tanzen verbreitet. Die Gesichter sind ernst und die Augen starr. Ab und zu ertönt ein wilder Schrei, oder ein Vorsprecher singt, und die anderen fal en mit ein. Es ist phantastisch, und für Stunden vergesse ich meine Krankheit und Müdigkeit.

Die Mädchen suchen sich immer wieder andere Krieger aus, denen sie mit ihren nackten Brüsten und dem riesigen Halsschmuck entgegenwippen. Bei ihrem Anblick überkommt mich Traurigkeit. Mir wird bewußt, daß ich mit meinen siebenundzwanzig Jahren hier schon alt bin. Vielleicht nimmt Lketinga später so ein junges Mädchen als Zweitfrau. Von Eifersucht geplagt, fühle ich mich deplaziert und ausgeschlossen.

Die Gruppe formiert sich zu einer Art Polonaise, und Lketinga führt stolz die Kolonne an. Er sieht wild und unnahbar aus. Langsam geht der Tanz zu Ende. Die Mädchen begeben sich kichernd etwas abseits. Die Alten sitzen in ihre Wolldecken gehüllt im Kreis am Boden. Die Morans bilden ebenfal s einen Kreis. Nun wird der Segen von den Alten gesprochen. Einer spricht einen Satz, und alle sagen „Enkai“, das Massai-Wort für Gott. Dies wiederholt sich eine halbe Stunde lang, dann ist das gemeinsame Fest für heute beendet. Lketinga kommt zu mir und meint, ich solle nun mit Mama schlafen gehen. Er gehe mit den anderen Kriegern in den Busch, um eine Ziege zu schlachten. Geschlafen wird nicht, sondern von alten und kommenden Zeiten gesprochen. Ich kann das gut verstehen und wünsche ihm eine wunderbare Nacht.

In der Manyatta richte ich mich zwischen den anderen, so gut es geht, ein. Ich liege lange wach, weil überall Stimmen zu hören sind. In der Ferne brül en Löwen, vereinzelt meckern Ziegen. Ich bete, daß ich bald wieder zu Kräften komme.

Morgens um sechs Uhr beginnt die Tagwache. So viele Tiere auf einem Platz verursachen großen Lärm. Mama geht hinaus, um unsere Ziegen und Kühe zu melken. Wir machen Chai. Ich sitze eingehül t in meine Decke, weil es kühl ist.

Ungeduldig warte ich auf Lketinga, da ich seit längerem auf die Toilette muß, es aber bei so vielen Menschen nicht wage, den Kral zu verlassen. Jeder würde mir nachschauen, besonders die Kinder, die mir ständig hinterherlaufen, wenn ich ohne Lketinga ein paar Schritte umhergehe.

Endlich kommt er. Strahlend streckt er den Kopf in die Hütte: „Hel o, Corinne, how are you?“

Dabei wickelt er seinen zweiten Kanga auf und streckt mir, in Blätter eingepackt, ein gebratenes Schafbein entgegen: „Corinne, now you eat slowly, after Malaria this is very good.“

Es ist schön, daß er an mich gedacht hat, denn normal ist es nicht, daß ein Krieger seiner Braut fertig gebratenes Fleisch bringt. Als ich das Bein unschlüssig in der Hand halte, setzt er sich neben mich und schneidet mit seinem großen Buschmesser kleine, mundgerechte Teile ab. Lust auf Fleisch habe ich überhaupt nicht, doch etwas anderes gibt es nicht, und essen muß ich, wenn ich kräftiger werden will. Mit Überwindung verzehre ich ein paar Stücke, und Lketinga ist zufrieden. Ich frage, wo wir uns waschen können. Da lacht er und meint, der River sei sehr weit weg und mit dem Auto nicht erreichbar. Die Frauen holen nur das nötige Teewasser, für mehr reicht es nicht. Also müssen wir mit Waschen noch ein paar Tage warten. Dieser Gedanke ist mir unangenehm. Dafür gibt es fast keine Moskitos, aber um so mehr Fliegen. Beim Zähneputzen vor der Manyatta werde ich neugierig beobachtet. Als ich den Schaum ausspucke, sind die Zuschauer in hel er Aufregung. Nun muß auch ich wieder lachen.

An diesem Tag wird ein Ochse geschlachtet, mitten auf dem Platz. Es ist ein schauriges Schauspiel. Sechs Männer versuchen den Ochsen seitlich auf den Boden zu drücken. Das ist nicht einfach, da das Tier in seiner Todesangst mit dem Kopf wild um sich schlägt. Erst nach mehreren Versuchen gelingt es zwei Kriegern, den Ochsen an den Hörnern zu packen und den Kopf zur Seite zu drücken. Der Ochse sinkt langsam zu Boden. Sofort werden die Beine gefesselt. Drei Leute sind damit beschäftigt, ihn zu ersticken, während die anderen die Beine festhalten. Es ist grauenhaft, für die Massai aber die einzige Form, ein Tier zu töten. Als es sich nicht mehr regt, wird dem Tier die Schlagader geöffnet, und alle umstehenden Männer wollen von dem Blut schlürfen. Es muß eine Delikatesse sein, denn es entsteht ein richtiges Gedränge. Dann beginnt die Zerlegung. Alte Männer, Frauen und Kinder stehen bereits an, um ihre Teile zu bekommen. Die besten Stücke gehen an die alten Männer, dann erst kommen die Frauen– und Kinderanteile. Nach vier Stunden ist außer einer Blutlache und dem aufgespannten Fel nichts mehr übrig. Die Frauen haben sich in ihre Hütten zurückgezogen und kochen. Die alten Männer sitzen unter den Bäumen im Schatten, trinken Bier und warten auf ihre gekochten Stücke.

Am späten Nachmittag höre ich ein Motorengeräusch, und kurz darauf erscheint Giuliano auf seinem Motorrad. Ich begrüße ihn freudig. Er hat gehört, daß ich hier bin und Malaria habe, deshalb wol e er nach mir schauen. Er hat selbstgebackenes Brot und Bananen mitgebracht. Ich bin froh und fühle mich wie vom Weihnachtsmann beschenkt.

Nun erzähle ich ihm die ganze Misere von der geplatzten Hochzeit bis zur Malaria.

Er rät mir dringend, nach Wamba zu fahren oder zurück in die Schweiz, bis ich wieder kräftiger bin. Mit Malaria sei nicht zu spaßen. Bei diesen Worten schaut er mich eindringlich an, und mir wird klar, daß ich noch lange nicht über den Berg bin.

Dann steigt er auf sein Motorrad und braust davon.

Ich denke an zu Hause, an meine Mutter und an ein warmes Bad. Ja, im Moment wäre das wirklich schön, obwohl es nicht al zu lange her ist, daß ich in der Schweiz war. Allerdings kommt es mir wie eine Ewigkeit vor. Beim Anblick meines Darlings vergesse ich die Gedanken an die Schweiz. Er erkundigt sich nach meinem Befinden, und ich erzähle ihm vom Besuch des Paters. Von ihm habe ich erfahren, daß heute die Schüler von Maralal nach Hause kommen. Zum Teil bringt Pater Roberto einige mit seinem Fahrzeug her. Als Mama davon erfährt, hofft sie inständig, daß James dabei ist. Auch ich freue mich auf die Möglichkeit, mich zwei Wochen Englisch unterhalten zu können. Ab und zu esse ich ein paar Stücke Fleisch, die ich allerdings erst von einem Fliegenschwarm befreien muß. Das Trinkwasser sieht nicht wie Wasser aus, sondern eher wie Kakao. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es zu trinken, wenn ich nicht verdursten will. Milch bekomme ich keine, denn Mama meint, nach einer Malaria sei diese sehr gefährlich, es könne einen Rückfall geben.

Die ersten Burschen aus der Schule treffen ein, und James ist mit zwei Freunden dabei. Sie sind gleich angezogen, kurze graue Hosen, ein hellblaues Hemd und ein dunkelblauer Pullover. Er begrüßt mich freudig, seine Mutter dagegen eher respektvol. Beim gemeinsamen Teetrinken beobachte ich diese Generation und bemerke, wie sehr sie sich von Lketinga und seinen Altersgenossen unterscheidet.


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