Текст книги "Die weisse Massai"
Автор книги: Corinne Hofmann
Жанр:
Биографии и мемуары
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Mein Mann müsse sich ebenfalls schnellstens untersuchen lassen. Nach diesen niederschmetternden Informationen schwirrt mein Kopf. Zwei schwarze Schwestern kommen mit dem Rol stuhl, und ich werde mit al meinen Sachen in einen neuen Trakt des Spitals verlegt. Ich bekomme ein Zimmer mit WC, das vorne eine Glasfront, aber keine Tür hat. Von innen kann man den Raum nicht öffnen. In der Tür gibt es eine Luke, die für die Essensausgabe geöffnet wird. Der Trakt ist neu, und das Zimmer sieht freundlich aus, doch ich fühle mich schon jetzt als Gefangene.
Unsere Sachen werden zum Desinfizieren mitgenommen, und ich bekomme wieder die Spital-Uniform. Jetzt wird auch Napirai untersucht. Als man ihr Blut abzapft, schreit sie natürlich wie am Spieß. Mir tut sie unendlich leid, sie ist noch so klein, gerade sechs Wochen alt, und muß schon so viel leiden. Ich werde an eine Infusion gehängt und bekomme einen Krug mit Wasser, das mit einem halben Kilo Zucker gesüßt ist. Ich muß viel Zuckerwasser trinken, denn damit kann sich die Leber am schnellsten erholen. Dann brauche ich Ruhe, absolute Ruhe. Das ist alles, was man für mich tun kann. Mein Baby nehmen sie mit. Verzweifelt weine ich mich in den Schlaf.
Bei hellem Sonnenschein werde ich wach und weiß nicht, wie spät es ist. Die Totenstille versetzt mich in Panik. Man hört absolut nichts, und wenn ich Kontakt nach draußen wil, muß ich klingeln. Daraufhin erscheint eine schwarze Schwester hinter der Glasscheibe, die mich durch die gelöcherte Luke anspricht. Ich will wissen, wie es Napirai geht. Sie wird die Ärztin holen. Es vergehen Minuten, die mir in dieser Stille wie eine Ewigkeit vorkommen. Dann betritt die Ärztin mein Zimmer. Ich frage erschrocken, ob sie sich denn nicht anstecken würde. Lächelnd beruhigt sie mich:
„Einmal Hepatitis, nie mehr Hepatitis!“ Sie hatte die Krankheit selbst schon vor Jahren.
Dann erhalte ich endlich eine gute Nachricht. Napirai ist völlig gesund, nur will sie absolut keine Kuhmilch oder Pulvermilch trinken. Mit zittriger Stimme frage ich, ob ich sie nun die ganzen sechs Wochen nicht mehr halten darf. Wenn sie die andere Nahrung bis morgen nicht akzeptiert, muß ich sie wohl oder übel stillen, obwohl die Ansteckungsgefahr enorm groß ist, erklärt die Ärztin. Ohnehin sei es ein Wunder, daß sie noch nicht infiziert ist.
Gegen fünf Uhr bekomme ich mein erstes Essen, Reis mit Kohl aus dem Wasser gezogen, dazu eine Tomate. Ich esse langsam. Diesmal behalte ich die kleine Portion bei mir, aber die Schmerzen kommen wieder, wenn auch nicht so stark.
Napirai wird mir zweimal an der Scheibe gezeigt. Mein Mädchen schreit, und ihr Bäuchlein ist richtig hohl. Am nächsten Mittag bringen mir die entnervten Schwestern mein kleines, braunes Bündelchen. Mich durchströmt ein tiefes Glücksgefühl, wie ich es schon lange nicht mehr empfunden habe. Gierig sucht sie nach meiner Brust und beruhigt sich beim Saugen. Beim Betrachten meiner Napirai wird mir klar, daß ich sie brauche, wenn ich die notwendige Ruhe und den Willen finden soll, diese Isolation zu überstehen. Während des Trinkens schaut sie mich mit ihren großen dunklen Augen unverwandt an und ich muß mich zusammenreißen, damit ich sie nicht zu fest an mich drücke. Als die Ärztin später vorbeischaut, sagt sie: „Ich sehe, ihr beiden braucht einander, um gesund zu werden oder es zu bleiben!“ Endlich kann ich wieder lächeln und verspreche ihr, mir Mühe zu geben.
Täglich würge ich bis zu drei Liter extrem süßes Wasser hinunter, wobei ich mich fast übergeben muß. Da ich nun auch Salz bekomme, schmeckt das Essen etwas besser. Zum Frühstück gibt es Tee und eine Art Knäckebrot mit einer Tomate oder einer Frucht, zum Mittag– und Abendessen immer dasselbe: Reis mit oder ohne Kohl direkt aus dem Wasser gezogen. Alle drei Tage werden mir zur Untersuchung Blut und Urin abgenommen. Nach einer Woche fühle ich mich bereits besser, wenngleich noch sehr schwach.
Zwei Wochen später kommt der nächste Schlag. Am Urin haben sie festgestellt, daß meine Nieren nicht mehr richtig arbeiten. Ich hatte zwar Schmerzen im Kreuz, die ich aber auf das ewige Liegen zurückgeführt habe. Nun bekomme ich auch kein Salz mehr in das ohnehin fade Essen. Dafür wird mir ein Beutel für den Urin angeschlossen, was sehr schmerzhaft ist. Nun muß ich täglich aufschreiben, wieviel ich trinke, und die Schwester mißt anhand des Beutels, was wieder herauskommt.
Da hatte ich endlich wieder Kraft für ein paar Schritte und bin nun von neuem ans Bett gefesselt! Wenigstens ist Napirai bei mir. Ohne sie hätte ich sicher keine Freude mehr am Leben. Sie muß spüren, daß es mir nicht gut geht, denn seit sie bei mir ist, weint sie nicht mehr.
Mein Mann ist zwei Tage nach meiner Einlieferung zur Untersuchung ins Spital gekommen. Er ist gesund und hat sich die letzten zehn Tage nicht mehr gezeigt.
Mein Anblick damals war sicher nicht sehr erfreulich, und sprechen konnten wir nicht miteinander. Er stand traurig vor dem Glasfenster und ging dann eine halbe Stunde später wieder. Ab und zu bekomme ich Grüße von ihm. Wir fehlen ihm sehr, und um die Zeit herumzukriegen, ist er dauernd mit unserer Herde unterwegs, wird mir mitgeteilt. Seit in Wamba bekannt ist, daß eine Mzungu im Spital liegt, stehen regelmäßig fremde Besucher vor der Scheibe und starren das Baby und mich an.
Manchmal sind es bis zu zehn Personen. Mir ist es jedesmal peinlich, und ich ziehe das Bettlaken über den Kopf.
Die Tage schleppen sich dahin. Entweder spiele ich mit Napirai oder lese Zeitung.
Nun bin ich schon zweieinhalb Wochen hier und habe während dieser Zeit weder einen Sonnenstrahl noch frische Luft gespürt. Auch das Gezirpe der Grillen und das Zwitschern der Vögel vermisse ich sehr. Langsam überkommt mich eine Depression.
Ich denke viel über mein Leben nach und fühle deutlich, daß mein Heimweh Barsaloi und dessen Bewohnern gehört.
Wieder naht die Besuchszeit, und ich verkrieche mich unter die Decke, als eine Schwester mir mitteilt, Besuch sei für mich da. Ich luge hervor und sehe meinen Mann mit einem anderen Krieger an der Scheibe. Glücklich strahlt er Napirai und mich an. Sein fröhlicher, schöner Anblick versetzt mich augenblicklich in eine seit langem nicht mehr verspürte Hochstimmung. So gerne würde ich jetzt auf ihn zugehen, ihn berühren und sagen: „Darling, no problem, everything becomes okay.“
Statt dessen halte ich Napirai so, daß er seine Tochter von vorne sieht und zeige auf ihren Papa. Sie strampelt und fuchtelt lustig mit ihren fetten Beinchen und Ärmchen. Als Fremde wieder versuchen, durch die Scheibe zu spähen, sehe ich, wie mein Mann die Leute einschüchtert, und sie schleichen davon. Ich muß lachen, und auch er unterhält sich lachend mit seinem Freund. Sein geschmücktes Gesicht glänzt im Sonnenschein. Ach, ich liebe ihn trotz allem noch immer! Die Besuchszeit ist zu Ende, und wir winken uns zu. Der Besuch meines Mannes gibt mir die nötige Kraft, mich psychisch zu fangen.
Nach der dritten Woche wird mir der Urinbeutel entfernt, da die Werte nun bedeutend besser sind. Endlich kann ich mich richtig waschen, sogar duschen. Bei der Visite staunt die Ärztin, wie hübsch ich mich gemacht habe. Meine Haare sind durch ein rotes Band zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, und ich habe Lippenstift aufgetragen. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch. Als sie mir eröffnet, daß ich in einer Woche für eine Viertelstunde nach draußen gehen darf, bin ich glücklich. Ich zähle die Tage, bis es soweit ist.
Die vierte Woche ist vorbei, und ich darf meinen Käfig mit meiner Tochter auf dem Rücken verlassen. Mir verschlägt es fast den Atem bei der tropischen Luft, die ich gierig einsauge. Wie wunderbar die Vögel singen und wie gut diese roten Büsche riechen, nehme ich jetzt überdeutlich wahr, nachdem mir dies al es für einen Monat verwehrt war. Am liebsten möchte ich jauchzen vor Freude.
Da ich mich nicht vom Trakt entfernen soll, laufe ich ein paar Meter an den anderen Scheiben entlang. Was sich hinter ihnen auftut, ist schrecklich. Fast alle Kinder haben Mißbildungen. Manchmal stehen bis zu vier Bettchen in einem Raum.
Ich sehe deformierte Köpfe oder Körper, Kinder mit offenem Rücken, mit fehlenden Beinen oder Armen oder mit Klumpfüßchen. Am dritten Fenster verschlägt es mir fast den Atem. Ein kleiner Babykörper mit einem Riesenkopf, der zu platzen droht, liegt ganz still da. Nur die Lippen bewegen sich, wahrscheinlich weint es. Diesen Anblick kann ich nicht mehr ertragen und gehe in mein Zimmer zurück. Ich bin völlig verstört, denn solche Mißbildungen habe ich noch nie gesehen. Mir wird bewußt, wieviel Glück ich mit meinem Kind habe.
Als die Ärztin zu mir kommt, frage ich, warum diese Kinder überhaupt noch leben.
Sie erklärt mir, daß dies ein Missionsspital sei und hier keine Sterbehilfe geleistet würde. Die Kinder sind meistens vor den Toren des Spitals ausgesetzt worden und warten hier auf ihren Tod. Mir ist noch ganz elend, und ich habe Bedenken, ob ich jemals wieder ruhig und traumlos schlafen kann. Die Ärztin schlägt mir vor, morgen hinter dem Trakt spazierenzugehen, so bleibe mir dieser Anblick erspart. Tatsächlich befindet sich dort eine Wiese mit schönen Bäumen, und wir dürfen täglich bis zu einer halben Stunde draußen bleiben. Ich laufe mit Napirai im Grünen umher und singe laut. Es gefäl t ihr, denn ab und zu gibt auch sie einen Laut dazu.
Doch bald treibt mich die Neugier wieder zu den entstellten Kindern. Da ich nun darauf gefaßt bin, erschreckt mich der Anblick weniger. Einige von ihnen nehmen wahr, daß jemand zu ihnen hinunterschaut. Als ich in mein Zimmer zurückgehen wil, ist gerade die Türe zu dem Vierbett-Zimmer offen. Die schwarze Schwester, die die Kinder wickelt, winkt mich lachend heran, und ich gehe zögernd bis zum Türrahmen.
Sie demonstriert mir die verschiedenen Reaktionen der Kinder, wenn sie mit ihnen spricht oder lacht. Ich bin erstaunt, wie freudig diese Kinder reagieren können. Es berührt und beschämt mich zugleich, daß ich jemals an der Lebensberechtigung dieser Wesen gezweifelt habe. Sie empfinden Schmerz und Freude, Hunger und Durst.
Von diesem Tag an gehe ich immer an die verschiedenen Türen und singe meine drei Lieder, die ich noch aus der Schulzeit kenne. Ich bin überwältigt, wieviel Freude sie schon nach einigen Tagen empfinden, wenn sie mich erkennen oder hören.
Sogar das Wasserkopf-Baby hört auf zu wimmern, wenn ich ihm meine Lieder vorsinge. Endlich habe ich eine Aufgabe gefunden, bei der ich meine wiedergewonnene Lebensfreude weitergeben kann.
Eines Tages schiebe ich Napirai in einem Kindersitz mit Rädern im Sonnenschein hin und her. Sie lacht fröhlich auf, wenn die Räder knirschen und der Wagen holpert.
Mittlerweile ist sie die Attraktion bei den Schwestern. Jede kommt und wil das hellbraune Kind herumtragen. Geduldig läßt sie al es über sich ergehen und zeigt sogar Vergnügen. Auf einmal steht mein Mann mit seinem Bruder James vor mir.
Lketinga stürzt sich sofort auf Napirai und hebt sie aus dem Wagen. Dann begrüßt er auch mich. Ich freue mich mächtig über ihren unverhofften Besuch.
Napirai jedoch scheint mit dem bemalten Gesicht und den langen, roten Haaren ihres Vaters Schwierigkeiten zu haben, denn schon nach kurzer Zeit fängt sie an zu heulen. James geht sofort zu ihr und spricht leise mit ihr. Auch er ist hingerissen von unserem Kind. Lketinga versucht es noch mit Singen, doch es nützt nichts, sie will zu mir. James nimmt sie ihm ab, und sofort wird sie wieder ruhig. Tröstend lege ich meinen Arm um Lketinga und versuche ihm zu erklären, daß sich Napirai erst wieder an ihn gewöhnen muß, da wir nun schon mehr als fünf Wochen hier sind. Verzweifelt wil er wissen, wann wir endlich nach Hause kommen. Ich verspreche ihm, am Abend die Ärztin zu fragen, er solle dann noch einmal während der Besuchszeit kommen.
Bei der Nachmittagsvisite frage ich den Arzt, der mir versichert, daß ich das Spital in einer Woche verlassen kann, wenn ich nicht arbeite und Diät halte. In drei bis vier Monaten dürfe ich langsam wieder ein wenig Fett probieren. Ich glaube, mich verhört zu haben. Noch drei bis vier Monate soll ich dieses nur in Wasser gekochte Reis-oder Kartoffelmenu essen! Mein Verlangen nach Fleisch und Milch ist enorm. Am Abend erscheinen Lketinga und James wieder. Sie bringen mir mageres, gekochtes Fleisch mit. Ich kann nicht widerstehen und esse ganz langsam und ausgiebig kauend ein paar Brocken, den Rest gebe ich ihnen schweren Herzens mit. Wir vereinbaren, daß sie mich in einer Woche abholen kommen.
Nachts bekomme ich heftige Magenschmerzen. Mein Inneres brennt, als ob Feuer die Magenwand verzehren würde. Nach einer halben Stunde halte ich es nicht mehr aus und läute nach der Schwester. Als diese sieht, wie ich mich zusammengerollt im Bett winde, holt sie den Arzt. Er schaut mich streng an und fragt, was ich gegessen habe. Ich schäme mich sehr, als ich zugeben muß, etwa fünf Stückchen fettloses Fleisch zu mir genommen zu haben. Nun wird er sehr ärgerlich und schimpft mich eine dumme Kuh. Wozu ich eigentlich hergekommen sei, wenn ich mich nicht ihrer Weisung fügen wol e. Er habe nun genug Lebensretter gespielt, schließlich sei er nicht nur für mich zuständig!
Wenn nicht gerade die Ärztin ins Zimmer käme, müßte ich mir sicher noch mehr anhören. Jedenfal s bin ich geschockt über seinen Ausbruch, da er bisher sehr nett war. Napirai schreit, und ich heule ebenfal s. Er verläßt das Zimmer, und die Schweizer Ärztin beruhigt mich, während sie sich für den Doktor entschuldigt, der völlig überlastet sei. Seit Jahren hat er keine Ferien mehr gehabt und täglich kämpft er, zum größten Teil vergeblich, um Menschenleben. Gekrümmt vor Schmerzen entschuldige ich mich und fühle mich dabei wie eine Schwerverbrecherin. Die Ärztin geht, und ich quäle mich durch die Nacht. Sehnsüchtig warte ich auf meine Entlassung. Endlich ist es soweit. Wir haben uns schon bei den meisten Schwestern verabschiedet und warten auf Lketinga. Erst kurz nach Mittag erscheint er in Begleitung von James, aber er strahlt nicht so, wie ich es eigentlich erwartet habe.
Unterwegs gab es Ärger mit dem Wagen. Die Gangschaltung hat wieder nicht richtig funktioniert. Mehrmals konnte er nicht weiterschalten, und jetzt steht der Wagen in Wamba in der Missionswerkstatt.
Nairobi
James trägt Napirai und Lketinga meine Tasche. Endlich wieder in Freiheit! An der Rezeption bezahle ich meinen Aufenthalt, und wir gehen hinüber zur Mission. Ein Mechaniker liegt unter dem Landrover und hantiert an verschiedenen Teilen.
Ölverschmiert kriecht er hervor und meint, lange halte die Gangschaltung nicht mehr.
Den zweiten Gang können wir nicht mehr benutzen.
Jetzt ist es genug, sage ich mir in diesem Augenblick. Mit meiner wiedergewonnenen Gesundheit und meinem Baby will ich nichts mehr riskieren.
Deshalb schlage ich meinem Mann vor, zuerst nach Maralal und morgen weiter nach Nairobi zu fahren, um einen neuen Wagen zu kaufen. James ist sofort begeistert, nach Nairobi zu kommen. Vor Anbruch der Dunkelheit erreichen wir Maralal. Im Getriebe hat es zwar dauernd gekracht, doch sind wir gut bis zum Lodging gekommen. Hier lassen wir den Wagen stehen und brechen zu fünft nach Nairobi auf.
James hat darauf bestanden, einen Freund mitzunehmen, da er in Nairobi nicht alleine in einem Zimmer übernachten will. In unserem Gepäck befinden sich 12000
Franken, alles, was wir vom Shop und bei meiner Bank im Moment auftreiben konnten. Wie wir zu einem neuen Wagen kommen, ist mir noch nicht klar, denn es gibt in Kenia keine Gebrauchtwagen-Händler, bei denen man sich einfach einen aussuchen kann. Autos sind Mangelware.
Wir erreichen die Stadt gegen 16 Uhr und sind an diesem Tag nur damit beschäftigt, für uns al e ein Lodging zu finden. Das Igbol ist voll besetzt. Also versuchen wir es wieder in der billigen Absteige, da ich annehme, es ist höchstens für eine oder zwei Übernachtungen. Wir haben Glück und bekommen noch zwei Zimmer. Zuerst muß ich Napirai waschen und wickeln. In einem Waschbecken kann ich mein Mädchen von Staub und Dreck befreien. Natürlich ist die Hälfte der Windeln schon wieder verbraucht, doch eine Waschmöglichkeit gibt es nicht. Nachdem wir noch etwas gegessen haben, gehen wir frühzeitig zu Bett.
Wo fangen wir an, lautet am Morgen die Frage. In einem Telefonbuch suche ich nach eventuellen Gebrauchtwagen-Händlern, doch es ist vergeblich. Ich halte einen Taxifahrer an und frage ihn. Er erkundigt sich sofort, ob wir denn auch Geld dabei haben, was ich wohlweislich verneine, da ich erst einen geeigneten Wagen finden wil. Er verspricht uns, sich umzuhören. Morgen zur selben Zeit sollen wir wieder hier sein. Wir sind einverstanden, aber ich will nicht untätig herumsitzen. Deshalb frage ich drei weitere Taxichauffeure, die uns nur komisch anschauen. So bleibt uns nichts anderes übrig, als am nächsten Tag zu dem vereinbarten Taxistand zu gehen.
Der Fahrer erwartet uns und sagt, er kenne einen Mann, der vielleicht einen Landrover hat. Wir fahren durch halb Nairobi und halten vor einem kleinen Laden. Ich spreche mit dem Afrikaner. Er hat tatsächlich drei Autos anzubieten, doch leider keinen Vierrad-Wagen. Sehen könnten wir die Fahrzeuge sowieso nicht, da er bei Interesse den jetzigen Besitzer anrufen müsse, daß er uns den Wagen vorbeibringt.
Wir würden nirgends einen Gebrauchtwagen finden, der nicht noch im Verkehr wäre.
Enttäuscht lehne ich ab, da wir unbedingt einen Vierrad brauchen. Verzweifelt frage ich ihn, ob er wirklich niemand anderen kennt. Er telefoniert noch ein paarmal und gibt dem Taxi-Chauffeur eine Adresse.
Wir fahren in eine andere Gegend und halten mitten in der Stadt vor einem Laden.
Ein Inder mit Turban begrüßt uns erstaunt und erkundigt sich, ob wir die Leute seien, die einen Wagen suchen. „Yes“, ist meine kurze Antwort. Er bittet uns in sein Büro.
Wir bekommen Tee vorgesetzt, und er erklärt, daß es zwei Occasionen gebe.
Die erste, ein Landrover, ist viel zu teuer, und ich verliere wieder jede Hoffnung.
Dann erzählt er von einem fünf Jahre alten Datsun mit Doppelkabine, der für etwa 14000 Franken zu haben wäre. Auch das übersteigt bei weitem meine Möglichkeit.
Zudem weiß ich nicht einmal, wie dieses Fahrzeug aussieht. Immer wieder erklärt er mir, wie schwierig es sei, einen Wagen zu finden. Dennoch verlassen wir ihn wieder.
Als wir auf der Straße sind, kommt er uns nach, wir sol ten doch morgen noch einmal vorbeischauen, er werde uns diesen Wagen unverbindlich zeigen. Wir verabreden uns, obwohl ich nicht bereit bin, so viel Geld auszugeben. Wieder müssen wir den Rest des Tages mit Abwarten verbringen. Ich kaufe weitere Windeln, da schon al e gebraucht sind. Mittlerweile stapeln sich die schmutzigen Stoffwindeln im Hotelzimmer, was nicht gerade zur Luftverbesserung beiträgt.
Noch einmal gehen wir zum Inder, obwohl ich keine Kaufabsichten habe. Freudig begrüßt er uns und zeigt uns den Datsun. Auf Anhieb bin ich bereit, ihn, wenn es irgendwie geht, zu kaufen. Er sieht gepflegt und komfortabel aus. Der Inder bietet mir eine Probefahrt an, die ich aber entsetzt ablehne, da ich bei dreispurigem Linksverkehr sicher die Übersicht verliere. So starten wir lediglich den Motor. Alle sind begeistert von dem Fahrzeug, nur habe ich noch Bedenken wegen des Preises.
Wir begeben uns in sein Büro.
Als ich ihm von meinem Landrover in Maralal erzähle, ist er bereit, mir diesen für 2000 Franken abzukaufen, was ein gutes Geschäft ist. Ich zögere trotzdem, 12000
Franken herzugeben, denn das ist unser ganzes Geld, und wir müssen ja wieder nach Hause. Das Ganze wil noch mal überlegt sein, als er anbietet, mir einen Chauffeur mitzugeben, der uns nach Maralal fährt und unseren Landrover von dort mitnimmt. Ich müsse ihm jetzt 10 000 Franken bezahlen, das restliche Geld solle ich dem Chauffeur als Scheck mitgeben. Nun bin ich wirklich überrascht über sein Vertrauen und das großzügige Angebot, denn Maralal ist immerhin etwa 450
Kilometer entfernt.
Kurz entschlossen nehme ich das Angebot an, da damit auch die Fahrt durch Nairobi geklärt ist. Mein Mann und die Burschen strahlen, als sie hören, daß ich den Wagen kaufen will. Ich bezahle, und wir machen einen richtigen Vertrag. Der Inder bemerkt, daß wir sehr mutig seien, mit so viel Bargeld durch Nairobi zu fahren.
Morgen abend habe er den Wagen samt Logbuch bereit, denn er muß noch auf meinen Namen umgeschrieben werden. Das bedeutet zwei weitere Nächte in Nairobi! Aber der Gedanke an den schönen Wagen läßt mich nicht verzweifeln. Wir haben es geschafft und werden mit einem fabelhaften Auto heimkehren.
Wie abgemacht erscheint der Chauffeur mit dem Wagen am zweiten Tag in der Früh bei unserem Lodging. Ich lasse mir die Papiere zeigen, in denen nun tatsächlich mein Name steht. Wir laden unser Gepäck ein, darunter etliche Kilo ungewaschener Windeln. Wie Könige fühlen wir uns in dem ruhigen, schönen Wagen mit Chauffeur.
Sogar Napirai scheint nun am Autofahren Gefal en zu finden. Gegen Abend sind wir in Maralal. Der Chauffeur staunt nicht schlecht, wo er sich befindet. Auch fällt es natürlich in Maralal sofort auf, daß ein neues Fahrzeug angekommen ist. Wir parken im Lodging direkt hinter dem Landrover. Dem Chauffeur, der auch Mechaniker ist, erkläre ich die Probleme des Wagens. „It's okay“, antwortet er und geht schlafen. Am nächsten Tag gebe ich ihm den Scheck, und er verläßt uns.
Noch einmal übernachten wir in Maralal und schauen bei Sophia vorbei. Ihr und ihrer Tochter Anika geht es gut. Sie hat sich gewundert, daß sie mich nie mehr gesehen hat. Als ich ihr von meiner Hepatitis erzähle, ist sie geschockt. Wir tauschen noch kurz die letzten Ereignisse aus. Dann brechen wir auf, während ich, mit einem Blick auf ihre Katze mit drei Jungen, erwähne, eines solle sie für mich reservieren.
Wir fahren über Baragoi und erreichen Barsaloi fast eine Stunde früher als mit dem alten Landrover. Mama strahlt, als sie uns wiedersieht, denn sie hatte sich schon große Sorgen gemacht. Sie wußte ja nicht, daß wir in Nairobi waren. Kaum angekommen, stehen schon die ersten Bewunderer um unseren Wagen herum. An meine Mutter habe ich in Maralal geschrieben und sie gebeten, mir von meinem Schweizer Konto Geld zu überweisen.
Nach dem Chai gehen wir in unser Haus hinunter. Am Nachmittag besuche ich Pater Giuliano und erzähle stolz von meinem neuen Wagen. Er gratuliert mir zu dem Kauf und bietet an, falls ich die Schüler nach Maralal oder hin und wieder Kranke transportiere, die Fahrten großzügig zu entschädigen. So habe ich wenigstens ein paar Einnahmen.
Wir genießen das Leben, es geht uns gut. Immer noch muß ich Diät halten, was hier oben schwierig ist. Die Schüler bleiben noch einige Tage, und dann sind die Ferien vorbei. Während Napirai bei der „Gogo“, ihrer Großmutter, bleibt, fahre ich sie nach Maralal. Auf dem Weg besprechen James und ich, den Shop erst in drei Monaten, wenn er die Schule beendet hat, wieder zu eröffnen. Er wil dann gerne mitarbeiten.
Im Ort besuche ich kurz Sophia, die mir erzählt, daß sie in zwei Wochen nach Italien fährt, um die Tochter ihren Eltern zu zeigen. Ich freue mich für sie und empfinde gleichzeitig etwas Heimweh nach der Schweiz. Wie gerne würde auch ich meine Tochter zeigen! Nicht einmal die ersten Fotos sind etwas geworden, weil jemand den Film belichtet hat. Ich suche mir eine kleine rotweiß getigerte Katze aus, die ich in einer Schachtel mitnehme. Die Fahrt nach Hause verläuft wunderbar, und ich bin trotz Umweg vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause. Napirai bekam den ganzen Tag Kuhmilch mit einem Teelöffelchen eingeflößt. Als sie mich hört, ist sie jedoch nicht mehr zu beruhigen, bis sie ihre heißgeliebte Brust hat.
Mein Mann war den ganzen Tag bei seinen Kühen. In Sitedi geht eine Kuhpest um, und täglich sterben wertvolle Tiere. Spät in der Nacht kommt er und ist niedergeschlagen. Zwei unserer Kühe sind tot, drei weitere stehen nicht mehr auf.
Ich frage, ob es denn keine Medizin gibt. Er bejaht, aber nur für die noch gesunden Tiere, die infizierten werden alle sterben. Die Medizin ist teuer und nur mit viel Glück in Maralal erhältlich. Er geht zum Veterinär und berät sich mit ihm. Am folgenden Tag fahren wir schon wieder nach Maralal. Wir nehmen den Veterinär und auch Napirai mit. Für teures Geld bekommen wir die Medizin sowie eine Spritze, um die noch gesunden Tiere zu impfen, was wir in fünf aufeinanderfolgenden Tagen machen müssen. Lketinga beschließt, diese Zeit ganz in Sitedi zu verbringen.
Erholung in der Schweiz
Nach drei Tagen fühle ich mich einsam, obwohl wir abwechselnd Mama oder meine neue Freundin besuchen. Aber es ist doch sehr eintönig. Allein zu essen macht mir auch keinen Spaß. Ich sehne mich nach meiner Familie und nehme mir vor, demnächst für einen Monat in die Schweiz zu reisen. Dort wäre es auch mit der Diätkost wesentlich leichter. Aber es wird nicht einfach sein, Lketinga zu überzeugen, auch wenn die Ärzte mir diese Ferien sehr ans Herz gelegt haben, als ich das Spital verließ. Der Gedanke an Erholung in der Schweiz beflügelt mich von Stunde zu Stunde mehr, und ich warte ungeduldig auf meinen Mann.
Gerade bin ich in der Küche und koche am Boden unter dem geöffneten Fenster, als die Haustür aufgeht und Lketinga hereinkommt. Er begrüßt uns nicht, sondern schaut sofort aus dem Fenster und fragt argwöhnisch, wer gerade hinausgestiegen sei. Nach fünf Tagen Warten und Einsamkeit trifft mich diese Verdächtigung wieder wie ein Fausthieb, doch ich versuche mich zu beherrschen, weil ich eigentlich meine Reiseabsichten mit ihm besprechen will. So erwidere ich gelassen: „Nobody, why do you ask me this?“
Statt eine Antwort zu geben, geht er ins Schlafzimmer und untersucht die Decke und die Matratze. Ich schäme mich für sein Mißtrauen, und meine Wiedersehensfreude ist dahin. Fortwährend fragt er, wer mich besucht habe.
Natürlich waren zweimal Krieger hier, doch ich habe sie nicht einmal ins Haus gelassen.
Endlich richtet er ein paar Worte an seine Tochter und nimmt sie aus ihrem Korbbettchen, das ich beim letzten Besuch in Maralal gekauft habe. Tagsüber liegt sie in diesem Tragebettchen draußen unter dem Baum, während ich die Kleider und Windeln wasche. Er nimmt sie auf den Arm und geht in Richtung Manyattas davon.
Ich nehme an, er geht zu Mama. Mein Essen ist fertig, und ich stochere lustlos darin herum. Wieder und wieder frage ich mich, warum er dieses Mißtrauen hat.
Als er nach zwei Stunden noch nicht zurück ist, gehe ich ebenfal s zur Mama. Sie sitzt mit anderen Frauen unter ihrem Baum, und Napirai schläft neben ihr auf dem Kuhfell. Lketinga liegt in der Manyatta. Ich setze mich zu Mama, und sie fragt mich etwas, wovon ich nur die Hälfte verstehe. Anscheinend glaubt auch sie, daß ich einen Freund habe. Offensichtlich hat Lketinga ihr Schauermärchen erzählt. Sie lacht verschwörerisch, meint aber, es sei gefährlich. Enttäuscht von ihr sage ich, daß ich nur Lketinga habe, nehme meine Tochter und gehe nach Hause. In dieser Situation fäl t es mir schwer, mein Vorhaben, in die Schweiz zu fahren, vorzubringen. Dabei wird jetzt immer klarer, daß ich Ferien brauche. Doch im Moment behalte ich es für mich und will warten, bis wieder Ruhe eingekehrt ist.
Ab und zu versuche ich, wenigstens etwas Fleisch zu essen, büße dies aber sofort mit Magenschmerzen. Lieber bleibe ich bei Mais, Reis oder Kartoffeln. Da ich fettlos esse und täglich stille, nehme ich immer mehr ab. Meine Röcke muß ich mit Gürteln festhalten, um sie nicht zu verlieren. Napirai ist jetzt gut drei Monate alt, und wir müssen zum Impfen und zur al gemeinen Kontrolle ins Spital in Wamba. Mit dem neuen Wagen ist dies eine wil kommene Abwechslung. Lketinga kommt mit, möchte aber endlich auch einmal den neuen Wagen steuern.
Von seiner Idee bin ich nicht begeistert. Da ich jedoch mit Napirai nicht al ein fahren kann und deshalb auf ihn angewiesen bin, gebe ich ihm zögernd den Schlüssel. Bei jeder Fehlschaltung gibt es mir einen Stich. Er fährt langsam, fast zu langsam, wie mir scheint. Als ich einen komischen Geruch wahrnehme, stel e ich fest, daß er mit angezogener Handbremse fährt. Ihm ist es furchtbar peinlich, weil sie jetzt nicht mehr richtig funktioniert, und mich ärgert es sehr, weil uns die unbrauchbare Handbremse beim Landrover schon viel zu schaffen gemacht hat. Nun wil er nicht mehr fahren, sitzt deprimiert neben mir und hält Napirai. Er tut mir leid, und ich beruhige ihn, wir könnten die Bremse ja reparieren lassen.
Im Spital müssen wir fast zwei Stunden warten, bis wir aufgerufen werden. Die Schweizer Ärztin untersucht mich und meint, ich sei viel zu dünn und habe zu wenig Reserven. Falls ich nicht bald wieder als Patientin hierher kommen wolle, müsse ich für mindestens zwei Monate in die Schweiz. Ich erzähle ihr, daß ich mir dies schon vorgenommen hätte, nur wüßte ich nicht, wie ich es meinem Mann beibringen kann.
Sie holt den Arzt, der mich ebenfalls auffordert, sofort nach Europa zu reisen. Ich sei völlig unterernährt, und Napirai koste mich meine letzte Energie. Sie selber strotzt vor Gesundheit.
Ich bitte den Arzt, mit Lketinga zu sprechen. Mein Mann fällt aus al en Wolken, als er hört, daß ich für so lange Zeit weggehen soll. Nach längerem Hin und Her willigt er resigniert für fünf Wochen ein. Der Arzt gibt mir ein Zeugnis, damit ich schneller zu den nötigen Reisedokumenten für Napirai komme. Sie bekommt ihre Impfungen, und wir fahren zurück nach Barsaloi. Lketinga ist traurig und fragt immerzu: „Corinne, why you are always sick? Why you go with my baby so far? I don't know, where is Switzerland. What shall I make without you such a long time?“
Mir bricht fast das Herz, als ich wahrnehme, wie schwer es für ihn ist. Auch Mama ist traurig, als ihr berichtet wird, daß ich in die Schweiz fliege. Doch ich verspreche, gesund und kräftig wiederzukommen, damit wir den Shop wieder öffnen können.
Schon zwei Tage später brechen wir auf. Pater Giuliano nimmt uns mit nach Maralal. Meinen Wagen stelle ich bei ihm ein. Lketinga begleitet Napirai und mich nach Nairobi. Es ist wieder eine lange Reise, und das Baby muß während der Fahrt mehrmals gewickelt werden. Viel Gepäck habe ich nicht.