Текст книги "Die weisse Massai"
Автор книги: Corinne Hofmann
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Биографии и мемуары
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Irgendwie paßt sie nicht in diese Manyattas. James betrachtet mich und sagt, er hätte in Maralal gehört, daß ich Malaria habe. Er bewundere mich, wie ich in Mamas Manyatta als Weiße leben könne. Er als Samburu habe anfangs immer große Mühe, wenn er in den Schulferien nach Hause komme. Alles sei schmutzig und eng.
Die Jungen bringen Abwechslung, der Tag vergeht wie im Flug. Schon kommen die Kühe und Ziegen nach Hause. Abends findet ein großes Tanzfest statt. Heute tanzen sogar die alten Frauen, al erdings ganz unter sich. Auch die Burschen tanzen außerhalb des Krals, zum Teil in ihrer Schuluniform. Es sieht lustig aus. Später in der Nacht sammeln sich erneut die Könige des Festes, die Krieger. James steht daneben und nimmt den Gesang mit unserem Kassettenrecorder auf. Diese Idee war mir gar nicht gekommen. Nach zwei Stunden ist die Kassette vol. Die Krieger tanzen immer wilder. Einer der Morans fällt plötzlich in eine Art Rausch. Er schüttelt sich ekstatisch, bis er zu Boden sinkt und laut brüllend um sich schlägt. Zwei Krieger lösen sich aus dem Tanzritual und halten ihn mit Gewalt am Boden fest. Aufgeregt trete ich zu James und frage, was los sei. Dieser Moran habe vermutlich zuviel Blut getrunken und sei durch den Tanz in eine Art Trance gefallen. Nun kämpfe er in seinem Wahn mit einem Löwen. Es sei nicht so schlimm, da er bewacht und irgendwann auch wieder normal würde. Der Mann wälzt sich schreiend am Boden.
Die Augen sind starr gegen den Himmel gerichtet, er hat Schaum vor dem Mund. Es sieht grauenhaft aus. Ich hoffe nur, daß so etwas nicht Lketinga passiert. Außer den zwei Bewachern kümmert sich niemand um ihn, das Fest geht weiter. Auch ich schaue bald wieder Lketinga zu, wie er elegant in die Höhe schnel t. Noch einmal genieße ich diesen Anblick, denn offiziel ist das Fest heute nacht beendet.
Mama sitzt angetrunken in der Manyatta. Die Burschen lassen den Recorder laufen, und al es ist in heller Aufregung. Neugierig versammeln sich die Krieger um das Gerät, das James auf den Boden stellt. Lketinga erfaßt es als erster und strahlt über das ganze Gesicht, als er die einzelnen Morans am Schrei oder am Gesang erkennt. Während es die einen reglos mit aufgerissenen Augen anstarren, tasten andere das Gerät ab. Lketinga schultert stolz den Recorder, und einige Morans beginnen von neuem zu tanzen.
Langsam wird es kühl, und ich gehe in die Manyatta zurück. James wird bei einem Freund schlafen, und mein Darling zieht mit den anderen in den Busch. Wieder höre ich von überall Geräusche. Der Eingang der Hütte ist nicht zugedeckt, so daß ich noch ab und zu Beine vorbeihuschen sehe. Ich freue mich, wieder nach Barsaloi zu ziehen. Meine Kleider sind rauchig und schmutzig. Auch mein Körper sol te mit Wasser in Berührung kommen, von meinen Haaren ganz zu schweigen.
Die Burschen sind morgens früher als Lketinga in der Manyatta. Mama kocht Chai, als Lketinga den Kopf zur Hütte hereinstreckt. Beim Anblick der Burschen spricht er zornig auf sie ein. Mama erwidert etwas, und die Burschen verlassen unsere Manyatta ohne Chai. Dafür setzen sich Lketinga und ein zweiter Moran in die Hütte.
„What's the problem, darling?“
frage ich etwas verstört. Nach einer längeren Pause erklärt er mir, daß dies eine Kriegerhütte sei, und die unbeschnittenen Jungen hier nichts zu suchen hätten.
James müsse Essen und Trinken in einer anderen Hütte einnehmen, wo die Mama keinen Sohn im Moranalter, sondem in seinem Alter hat. Mama schweigt verbissen.
Ich bin enttäuscht, auf die englische Unterhaltung verzichten zu müssen, und empfinde gleichzeitig Mitleid mit den vertriebenen Burschen. Aber ich muß diese Gesetze akzeptieren.
Wie lange wir noch hier bleiben, frage ich. Etwa zwei bis drei Tage, ist die Antwort, dann geht jede Familie an ihren alten Platz zurück. Ich bin entsetzt, hier so lange aushalten zu müssen ohne Wasser, mit lästigen Kuhfladen und den Fliegen. Erneut beschleicht mich der Gedanke an die Schweiz. Ich fühle mich nach wie vor sehr schwach. Weiter als ein paar Meter in den Busch, um meine Notdurft zu verrichten, gehe ich nie. Auch möchte ich wieder ein normales Leben mit meinem Freund führen.
Nachmittags schaut Giuliano vorbei und bringt mir einige Bananen und einen Brief von meiner Mutter. Der Brief richtet mich auf, obwohl sich meine Mutter große Sorgen macht, weil sie lange nichts mehr von mir gehört hat. Der Pater und ich wechseln ein paar Worte, dann ist er schon wieder weg. Ich nutze die Zeit, einen Antwortbrief zu schreiben. Meine Krankheit erwähne ich nur beiläufig und verharmlose sie, um meine Mutter nicht zu beunruhigen. Allerdings deute ich an, daß ich eventuell bald in die Schweiz kommen werde. Den Brief wil ich bei unserer Rückkehr in der Mission abgeben. Meine Mutter wird drei Wochen auf ihn warten müssen.
Endlich brechen wir auf. Alles ist schnell verpackt. Möglichst viel wird im Landrover verstaut, den Rest bindet Mama auf die zwei Esel. Wir sind natürlich lange vor Mama in Barsaloi, und so fahre ich direkt zum Fluß. Da Lketinga den Wagen nicht unbewacht abstellen will, fahren wir im ausgetrockneten Bachbett weiter, bis wir ungestört sind. Ich entledige mich der rauchigen Kleider, und wir waschen uns ausgiebig. Der Seifenschaum läuft mir schwarz am Körper herunter. Auf meiner Haut hatte sich eine richtige Rußschicht gebildet. Geduldig wäscht mir Lketinga die Haare in mehreren Gängen.
Lange habe ich mich nicht mehr nackt betrachtet, deshalb fallen mir jetzt meine dünnen Beine auf. Nach dem Waschen fühle ich mich wie neu geboren. Ich wickle mich in einen Kanga und beginne mit dem Waschen der Kleider. Wie immer ist es mühsam, den Schmutz mit kaltem Wasser auszuwaschen, doch mit genügend Omo gelingt es einigermaßen. Lketinga hilft mir dabei und beweist, wie sehr er mich liebt, indem er meine Röcke, T-Shirts und sogar Unterwäsche mitwäscht. Kein anderer Mann würde die Kleider einer Frau waschen.
Unsere Zweisamkeit genieße ich sehr. Die nassen Kleider hängen wir über Büsche oder auf die heißen Felsen. Wir setzen uns in die Sonne, ich im Kanga, Lketinga völlig nackt. Er holt seinen kleinen Taschenspiegel hervor und beginnt sein gewaschenes Gesicht kunstvoll in orangefarbenem Ocker mit einem kleinen Hölzchen zu bemalen. Er macht dies mit seinen langen, eleganten Fingern so exakt, daß es für mich eine Freude ist, ihn zu beobachten. Er sieht phantastisch aus.
Endlich fühle ich wieder ein aufsteigendes Begehren. Er schaut zu mir und lacht:
„Why you look always to me, Corinne?“ „Beautiful, it's very nice“, erkläre ich. Doch Lketinga schüttelt den Kopf und meint, so etwas darf man nicht sagen, das bringt einem Menschen Unglück.
Die Kleider trocknen schnell, wir packen alles zusammen und brechen auf. Im Dorf halten wir an und besuchen das Chaihaus, in dem es neben Tee auch Mandazi, kleine Maisfladen, gibt. Das Gebäude ist eine Mischung zwischen Baracke und einer großen Manyatta. Am Boden befinden sich zwei Feuerstel en mit kochendem Chai.
Entlang den Wänden dienen Bretter als Bänke. Drei alte Männer und zwei Morans sitzen dort. Man begrüßt sich: „Supa Moran!“ „Supa“, ist die Antwort. Wir bestellen Tee, und während mich die zwei Krieger mustern, beginnt Lketinga das Gespräch mit den immer gleichen Anfangssätzen, die ich inzwischen verstehen kann. Man fragt hier jeden Unbekannten nach dem Geschlechtsnamen, dem Wohngebiet, wie es seiner Familie und seinen Tieren geht, woher man gerade kommt und wohin man wil. Dann bespricht man Begebenheiten, die stattgefunden haben. So funktioniert im Busch, was in der Stadt die Zeitung oder das Telefon leisten. Wenn wir zu Fuß unterwegs sind, wird mit jeder entgegenkommenden Person auf diese Weise gesprochen. Die beiden Morans wol en al erdings noch wissen, wer diese Mzungu sei. Dann ist das Gespräch beendet, und wir verlassen das Teehaus.
Mama ist angekommen und mit dem Flicken und Ausbessern unserer alten Manyatta beschäftigt. Das Dach wird wieder mit Pappkarton oder Sisalmatten zugestopft. Kuhmist ist momentan nicht vorhanden. Lketinga geht mit James in den Busch, um weitere Dornenbüsche zu schlagen. Sie wollen die Umzäunung ausbessern und erhöhen. Die Menschen, die in Barsaloi geblieben waren, wurden vor ein paar Tagen von zwei Löwen heimgesucht, die Ziegen gerissen haben. Sie kamen nachts und sprangen über den Dornenzaun. Dann schnappten sie die Ziegen und verschwanden spurlos in der Finsternis. Da keine Krieger hier waren, wurde die Verfolgung nicht aufgenommen. Doch die Zäune wurden daraufhin erhöht. Die ganze Gegend spricht von diesem Vorfal. Man muß auf der Hut sein, denn sie werden wiederkommen. In unserem Kral werden sie es schwieriger haben, denn wir beschließen, den Landrover neben der Hütte stehenzulassen, so ist der halbe Platz schon versperrt.
Gegen Abend kehren unsere Tiere zurück. Wegen der Schweizer Kuhglocke hören wir sie von weitem, und Lketinga und ich gehen ihnen entgegen. Es ist ein schönes Schauspiel, wenn die Tiere nach Hause drängen. Vorab die Ziegen, hinter ihnen die Kühe.
Unser Nachtessen besteht aus Ugali, das Lketinga erst spät in der Nacht ißt, wenn alles schläft. Endlich können wir uns lieben. Es muß geräuschlos vor sich gehen, da Mama und Saguna anderthalb Meter von uns entfernt schlafen. Trotzdem ist es schön, seine seidige Haut und sein Begehren zu spüren. Nach diesem Liebesspiel flüstert Lketinga: „Now you get a baby.“
Ich muß lachen über seine überzeugten Worte. Gleichzeitig wird mir bewußt, daß meine Regel seit längerem ausgeblieben ist. Doch schreibe ich das eher meinem angeschlagenen Zustand als einer Schwangerschaft zu. Mit dem Gedanken an ein Baby schlafe ich glücklich ein.
In der Nacht erwache ich und fühle ein Ziehen im Magen. Im nächsten Augenblick spüre ich, daß ich Durchfall bekomme. Panik erfaßt mich. Vorsichtig stupse ich Lketinga an, doch er schläft tief. Mein Gott, die Zaunöffnung finde ich nie! Außerdem sind vielleicht die Löwen in der Nähe. Lautlos krieche ich aus der Manyatta und spähe kurz um mich, ob jemand in der Nähe ist. Dann kauere ich mich hinter den Landrover, und schon geht es los. Es wil kein Ende nehmen. Ich schäme mich sehr, da ich weiß, daß es ein grobes Vergehen ist, wenn man diese Art von Notdurft innerhalb des Krals erledigt. Papier darf ich auf keinen Fall benutzen, und so reinige ich mich mit meiner Unterwäsche, die ich unter dem Landrover im Fahrgestell verstecke. Meine angerichtete Misere schütte ich mit Sand zu und hoffe, daß am Morgen von diesem Alptraum nichts mehr zu sehen ist. Ängstlich krieche ich zurück in die Manyatta. Niemand wacht auf, lediglich Lketinga grunzt kurz.
Wenn nur kein weiterer Schub kommt! Bis zum Morgen geht es gut, dann muß ich schnel im Busch verschwinden. Mein Durchfall hält an, und meine Beine zittern von neuem. Zurück im Kral schaue ich unauffällig neben den Landrover und stel e erleichtert fest, daß von meinem nächtlichen Mißgeschick nichts mehr sichtbar ist.
Ein streunender Hund hat wahrscheinlich den Rest erledigt. Ich erzähle Lketinga, daß ich Probleme habe und gedenke, bei der Mission nach Medizin zu fragen. Doch trotz der Kohletabletten hält der Durchfal den ganzen Tag an. Mama bringt mir selbstgemachtes Bier, von dem ich einen Liter trinken soll. Es sieht scheußlich aus und schmeckt auch so. Nach zwei Tassen zeigt sich zumindest die alkoholische Wirkung, den halben Tag döse ich vor mich hin.
Irgendwann kommen die Burschen vorbei. Lketinga ist im Dorf, und ich kann die Unterhaltung unbeschwert genießen. Wir sprechen über Gott und die Welt, über die Schweiz, meine Familie und über die hoffentlich baldige Heirat. James bewundert mich und ist stolz, daß der in seinen Augen nicht einfache Bruder eine weiße, gute Frau bekommt. Sie berichten viel aus der strengen Schule und wie anders das Leben wird, wenn man eine Schule besuchen kann. Viele Dinge zu Hause verstehen sie nun nicht mehr. Sie erzählen Beispiele, über die wir gemeinsam lachen.
Während der Unterhaltung fragt James, warum ich kein Geschäft mit meinem Auto betreibe. Ich könnte doch für die Somalis Mais oder Zuckersäcke bringen, Leute transportieren etc. Wegen der Straßen bin ich von dieser Idee nicht begeistert, erwähne aber, nach der Hochzeit irgend etwas zu machen, was Geld bringt. Am liebsten hätte ich einen Laden, in dem man alles Eßbare kaufen könnte. Dies ist jedoch zunächst ein Wunsch. Im Moment bin ich zu schwach, und erst muß die Heirat genehmigt werden, bevor ich arbeiten darf. Die Burschen sind von der Idee eines Shops fasziniert. James beteuert, daß er mir in knapp einem Jahr, wenn er seine Schule beendet hat, helfen will. Der Gedanke ist verlockend, doch ein Jahr ist eine lange Zeit.
Lketinga kommt zurück, und kurz darauf verziehen sich die Burschen respektvol.
Er will wissen, worüber wir uns unterhalten haben. Ich erzähle ihm von der vagen Idee mit einem Laden. Zu meiner Überraschung läßt auch er sich mitreißen von dieser Vorstel ung. Es wäre der einzige Massai-Laden weit und breit, und die Somalis hätten keine Kunden mehr, denn alle Leute kämen nur zu gerne zu einem Stammesbruder. Dann schaut er mich an und sagt, dies werde viel Geld kosten, ob ich denn soviel habe. Ich beruhige ihn, in der Schweiz sei noch etwas. Aber alles muß gut überlegt werden.
Pole, pole
In letzter Zeit habe ich mich häufig mit verletzten Personen beschäftigt. Seit ich das Kleinkind einer Nachbarin mit einem eiternden Geschwür am Bein mittels Zugsalbe geheilt habe, bringen täglich Mütter ihre Kinder mit zum Teil grauenhaften Abszessen zu mir. Ich reinige, salbe und verbinde, so gut es geht, und bestelle die Leute alle zwei Tage von neuem. Doch der Zulauf wird so groß, daß ich bald keine Salbe mehr besitze und nicht mehr helfen kann. Ich schicke sie zum Hospital oder in die Mission, aber die Frauen gehen wortlos, ohne meinen Rat zu befolgen.
In zwei Tagen werden die Schüler in die Schule zurückkehren. Mir tut es leid, denn sie waren sehr unterhaltsam. Die Idee vom Shop hat sich inzwischen festgesetzt, und eines Tages fasse ich den Entschluß, doch in die Schweiz zu fahren, um Energie zu tanken und mir einige Kilo zuzulegen. Die Gelegenheit, von Roberto oder Giuliano nach Maralal mitgenommen zu werden, ist verlockend. Unseren Landrover könnte ich hier lassen und müßte in meinem geschwächten Zustand die Strecke nicht selber bewältigen. Kurzerhand teile ich Lketinga meine Entscheidung mit. Er ist völlig irritiert von meinem Vorhaben, ihn in zwei Tagen zu verlassen. Ich verspreche ihm, über den Shop nachzudenken und Geld mitzubringen. Er sol sich erkundigen, wo und wie wir ein Gebäude erstellen können. Während ich mit ihm alles bespreche, wird für mich die Vorstellung von einem gemeinsamen Shop konkreter. Jetzt brauche ich nur Zeit, um al es vorzubereiten und Kraft zu sammeln.
Natürlich hat Lketinga wieder Angst, daß ich ihn verlassen will, doch diesmal stehen mir die Burschen zur Seite und können ihm mein Versprechen, in drei bis vier Wochen gesund zurück zu sein, Wort für Wort übersetzen. Den genauen Tag würde ich ihm bekannt geben, sobald ich ein Ticket gelöst habe. Ich führe auf gut Glück nach Nairobi und hoffte auf einen möglichst schnellen Abflug in die Schweiz.
Schweren Herzens willigt er ein. Ich lasse ihm etwas Geld zurück, etwa 300 Franken.
Mit wenig Gepäck warte ich mit mehreren Schülern vor der Mission. Wann es losgeht, wissen wir nicht, doch wer dann nicht da ist, muß zu Fuß gehen. Mama und mein Darling sind ebenfalls anwesend. Während Mama James die letzten Anweisungen gibt, tröste ich Lketinga. Einen Monat ohne mich findet er sehr, sehr lang. Dann kommt Giuliano. Ich kann neben ihm sitzen, während sich die Burschen in den hinteren Teil quetschen. Lketinga winkt und gibt mir „Take care of our baby!“
mit auf den Weg. Wie überzeugt er von meiner angeblichen Schwangerschaft ist, läßt mich lächeln.
Pater Giuliano rast förmlich über die Straße. Mit Mühe halte ich mich fest. Wir sprechen nicht viel. Lediglich als ich ihm erkläre, daß ich in einem Monat zurück sein wil, meint er, daß ich mindestens drei Monate benötigen würde, um mich zu erholen.
Aber das ist für mich nicht vorstellbar.
In Maralal herrscht Chaos. Das Städtchen ist mit abreisenden Schülern überfüllt.
Sie werden über ganz Kenia verteilt, damit sich die verschiedenen Stämme vermischen. James hat Glück, weil er in Maralal bleiben kann. Ein Bursche aus unserem Dorf muß nach Nakuru, so daß wir einen Teil der Strecke gemeinsam fahren können. Aber erst müssen wir an ein Busticket kommen. Das scheint für die nächsten zwei Tage aussichtslos. Alle Plätze sind vergeben. Einige Auswärtige sind mit offenen Pick-ups nach Maralal gekommen, um mit überteuerten Fahrten gutes Geld zu machen. Sogar bei diesen finden wir keinen Platz. Vielleicht am nächsten Morgen um fünf Uhr, stel t jemand in Aussicht. Wir reservieren, aber Geld geben wir noch keines.
Der Bursche steht ratlos herum, weil er nicht weiß, wo er ohne Geld übernachten soll. Er ist sehr scheu und hilfsbereit. Dauernd schleppt er meine Reisetasche. Ich schlage vor, in das mir bekannte Lodging zu gehen, um etwas zu trinken und nach Zimmern Ausschau zu halten. Die Wirtin begrüßt mich freudig, doch auf meine Anfrage nach zwei Zimmern schüttelt sie bedauernd den Kopf. Eines kann sie mir bis zum Abend frei machen, weil ich ihr Stammgast bin. Wir trinken Chai und klappern die anderen Lodgings ab. Ich bin bereit, diesen für mich kleinen Betrag zu übernehmen. Doch alle sind belegt. Inzwischen wird es dunkel und kälter. Ich überlege hin und her, ob ich den Jungen im zweiten Bett in meinem Zimmer einquartieren soll. Für mich wäre es kein Problem, aber wie das die Leute auffassen, weiß ich nicht. Ich frage ihn, was er zu tun gedenkt. Er erklärt mir, er müsse außerhalb von Maralal verschiedene Manyattas aufsuchen. Wenn er eine Mama findet, die einen Sohn seines Alters hat, muß sie ihn aufnehmen.
Das erscheint mir nun wirklich zu umständlich, denn wir wollen um fünf Uhr losfahren. Kurz entschlossen biete ich ihm mein zweites Bett an, das an der gegenüberliegenden Wand steht. Im ersten Moment schaut er mich verlegen an und lehnt dankend ab. Er meint, er könne unmöglich im Raum einer Krieger-Braut schlafen, das würde Probleme geben. Ich lache, nehme das Ganze nicht so ernst und sage, er sol e es eben niemandem erzählen. Ich gehe zuerst ins Lodging. Dem Wächter gebe ich ein paar Schilling mit der Bitte, mich um 4.30 Uhr zu wecken. Der Junge erscheint eine halbe Stunde später. Voll angezogen liege ich bereits im Bett, obwohl es erst acht Uhr ist. Bei der Dunkelheit draußen ist nichts mehr los, außer in vereinzelten Bars, die ich meide.
Die kahle Glühbirne erhel t den häßlichen Raum in aller Deutlichkeit. An den Wänden bröckelt der blau gestrichene Putz ab, und überall sind braune Flecken, von denen sich dünne Tropfspuren nach unten ziehen. Es sind scheußliche Reste von ausgespucktem Tabak. Daheim in der Manyatta haben das am Anfang Mama und andere ältere Besucher auch gemacht, bis ich mich darüber beschwerte. Jetzt spuckt Mama unter einen der Feuersteine. Das Lodging-Zimmer empfinde ich als äußerst eklig. Der Bursche legt sich angezogen ins Bett und dreht sich sofort zur Wand. Wir löschen die grelle Glühbirne und reden nicht mehr.
Es poltert an der Tür. Ich schrecke aus dem Tiefschlaf auf und frage, was los ist.
Noch bevor eine Antwort kommt, sagt der Bursche, es sei schon fast fünf Uhr. Wir müssen los! Wenn der Pick-up voll ist, fährt er einfach ab. Wir raffen unsere Sachen zusammen und stürzen zum verabredeten Ort. Überall stehen Schüler in kleinen Gruppen zusammen. Einige steigen in ein Fahrzeug. Der Rest wartet wie wir in der kalten Dunkelheit. Ich friere fürchterlich. Um diese Zeit ist Maralal kalt und feucht vom Tau. Wir können nicht einmal Tee trinken, da in den Lodgings noch kein Betrieb ist.
Um sechs Uhr fährt der normal verkehrende Bus überbesetzt und hupend an uns vorbei. Unser Fahrer ist noch nicht aufgetaucht. Er scheint es nicht eilig zu haben, da wir auf ihn angewiesen sind. Es wird hel, und wir warten nach wie vor. Nun packt mich die Wut. Ich will weg hier, und zwar heute noch bis Nairobi. Der Junge sucht verzweifelt nach einer Mitfahrgelegenheit, doch die wenigen Wagen sind restlos überfül t, es gibt nur die Möglichkeit, von einem mit Kohlköpfen beladenen Lastwagen mitgenommen zu werden. Ich sage sofort zu, denn wir haben keine Wahl.
Schon nach den ersten paar Metern bezweifle ich, ob ich richtig gehandelt habe.
Es ist die reinste Tortur, auf den harten Dingern zu sitzen, die sich dauernd bewegen. Festhalten kann ich mich nur am Geländer, und das schlägt mir ständig in die Rippen. Bei jedem Schlagloch hebt es uns in die Luft, um anschließend auf den harten Kohlköpfen zu landen. Unterhalten kann man sich nicht. Es ist viel zu laut und zu gefährlich, denn bei diesen Schlägen könnte man sich auf die Lippen beißen.
Irgendwie überlebe ich die viereinhalb Stunden bis Nyahururu.
Völ ig zerschlagen klettere ich vom Laster und verabschiede mich von meinem jungen Begleiter, da ich in ein Restaurant gehen will, um eine Toilette aufzusuchen.
Als ich meine Jeans herunterstreife, entdecke ich große violette Flecken an den Oberschenkeln. Mein Gott, bis ich in der Schweiz bin, sind meine mageren Beine auch noch dunkelblau unterlaufen! Meine Mutter wird der Schlag treffen, denn seit meinem letzten Besuch vor zwei Monaten habe ich mich körperlich sehr verändert.
Sie weiß bis jetzt nicht einmal, daß ich schon wieder nach Hause komme, unverheiratet und schwer angeschlagen.
Im Restaurant bestel e ich mir eine Cola und ein richtiges Essen. Es gibt Hühnchen, und so verzehre ich ein halbes Poulet mit pappigen Pommes frites. Um hier zu übernachten, ist es noch zu früh. Deshalb schleppe ich meine Tasche zum Busbahnhof, wo wie immer viel Betrieb ist. Ich habe Glück, ein Bus nach Nairobi ist abfahrbereit. Die Strecke ist geteert, was eine Wohltat ist, und ich schlafe auf meinem Sitz ein. Als ich wieder einmal aus dem Fenster schaue, sind wir nur noch etwa eine Stunde von meinem Ziel entfernt. Wenn ich Glück habe, erreichen wir die Megastadt, bevor es dunkel ist. Das Igbol liegt nicht gerade in einer ungefährlichen Gegend. Es dämmert bereits, als wir die Außenbezirke der Stadt erreichen.
Überall steigen jetzt Menschen mit ihren Habseligkeiten aus, während ich mein Gesicht krampfhaft an die Scheibe drücke, um mich im Lichtermeer zu orientieren.
Bis jetzt kommt mir nichts bekannt vor. Im Bus sind noch fünf Personen, und ich bin unschlüssig, ob ich nicht einfach aussteigen sol, denn bis zum Busbahnhof will ich auf keinen Fal, dort ist es um diese Zeit für mich zu gefährlich. Ständig schaut der Chauffeur im Rückspiegel zu mir und wundert sich, warum die Mzungu nicht aussteigt. Nach einer Weile fragt er, wohin ich wil. Ich antworte: „To Igbol-Hotel.“
Er zuckt die Schultern. Da fäl t mir der Name eines riesigen Kinos ein, das in unmittelbarer Nähe des Igbol liegt. „Mister, you know Odeon Cinema?“
frage ich hoffnungsvol. „Odeon Cinema? This place is no good for Mzungu-lady!“
belehrt er mich. „It's no problem for me. I only go into the Igbol-Hotel. There are some more white people“,
gebe ich zur Antwort. Er wechselt ein paarmal die Fahrspur, biegt mal links, mal rechts ab und hält direkt vor dem Hotel. Dankbar für diesen Service gebe ich ihm ein paar Schillinge. In meinem erschöpften Zustand bin ich um jeden Meter froh, den ich nicht laufen muß.
Es geht hektisch zu im Igbol. Alle Tische sind belegt, und überal stehen Tramper-Rucksäcke herum. Mittlerweile kennt mich der Mann an der Rezeption und begrüßt mich mit „Jambo, Massai-lady!“ Er hat nur noch ein Bett in einem Dreierzimmer frei.
Im Zimmer treffe ich auf zwei Engländerinnen, die den Reiseführer studieren. Sofort gehe ich in den Gang zum Duschen, meine Beuteltasche mit Geld und Paß nehme ich mit. Ich ziehe mich aus und sehe mit Entsetzen, wie zerschlagen mein Körper ist.
Meine Beine, eine Hinterbacke und die Unterarme sind übersät mit blauen Flecken.
Aber das Duschen macht aus mir wieder einen etwas komfortableren Menschen.
Danach setze ich mich ins Restaurant, um endlich etwas zu essen und die verschiedenen Touristen zu beobachten. Je länger ich den Europäern zuschaue, vor allem den männlichen, desto stärker überkommt mich die Sehnsucht nach meinem schönen Krieger. Kurz darauf verziehe ich mich in mein Bett, um meine müden Knochen auszustrecken.
Nach dem Frühstück marschiere ich zum Swissair-Office. Zu meiner großen Enttäuschung haben sie erst in fünf Tagen einen Platz frei. Das dauert mir zu lange.
Bei Kenya-Airways ist die Wartezeit noch länger. Fünf Tage Nairobi, da werde ich mit Sicherheit depressiv. Deshalb klappere ich weitere Fluggesellschaften ab, bis ich bei Allitalia einen Flug in zwei Tagen bekomme, allerdings mit vier Stunden Aufenthalt in Rom. Ich frage nach dem Preis und buche. Anschließend hetze ich zur nahe gelegenen Kenya Commercial Bank, um Geld abzuheben.
In der Bank stehen die Menschen Schlange. Der Eingang wird durch zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten bewacht. Ich stelle mich in eine der wartenden Schlangen und kann nach einer guten halben Stunde mein Anliegen vorbringen. Ich habe einen Scheck auf den benötigten Betrag ausgestel t. Es wird ein riesiges Bündel Geld sein, das ich durch Nairobi zur Allitalia bringen muß. Der Mann hinter dem Schalter dreht und wendet den Scheck und fragt mich, wo denn Maralal liegt. Er geht und kommt nach einigen Minuten zurück. Ob ich sicher sei, soviel Bargeld mitnehmen zu wollen? „Yes“, antworte ich genervt. Mir ist selber nicht wohl bei dem Gedanken. Nachdem ich diverse Belege unterschrieben habe, bekomme ich stapelweise Geldnoten, die ich sofort in meinem Rucksack verschwinden lasse. Zum Glück sind fast keine Personen mehr anwesend. Der Bankbeamte fragt nebenbei, was ich mit dem vielen Geld machen wil und ob ich einen boyfriend brauche. Ich lehne dankend ab und gehe.
Unbehelligt erreiche ich das Allitalia Office. Erneut muß ich Formulare ausfüllen, und der Paß wird kontrolliert. Eine Angestellte erkundigt sich, warum ich kein Retourticket in die Schweiz habe. Ich erkläre ihr, daß ich in Kenia lebe und vor zweieinhalb Monaten nur ferienhalber in der Schweiz war. Die Dame meint höflich, ich sei aber Touristin, da nirgends vermerkt sei, daß ich in Kenia lebe. All diese Fragen verwirren mich. Ich will lediglich ein Flugticket zurück und bezahle es bar.
Doch genau das ist das Problem. Ich habe einen Beleg, daß ich das Geld von einem kenianischen Bankkonto bezogen habe. Als Touristin dürfe ich nicht Kontoinhaberin sein und müsse zudem belegen, daß das Geld aus der Schweiz eingeführt wurde.
Sonst müsse sie annehmen, daß es Schwarzgeld sei, da Touristen nicht erlaubt ist, in Kenia zu arbeiten. Nun bin ich völlig sprachlos. Die Überweisungen hat meine Mutter veranlaßt, und deshalb sind die Belege in Barsaloi. Bestürzt stehe ich vor dieser Dame mit einem Bündel Geld, das sie mir nicht abnehmen will. Die Afrikanerin hinter dem Counter bedauert, mir ohne Nachweis, woher das Geld stammt, kein Ticket ausstellen zu können. Völlig entnervt breche ich in Tränen aus und stammle, daß ich mit soviel Geld dieses Office nicht mehr verlasse, ich sei doch nicht lebensmüde. Die Afrikanerin starrt mich erschrocken an, und beim Anblick meiner Tränen gibt sie augenblicklich ihre Arroganz auf. „Wait a moment“, sagt sie beruhigend und verschwindet. Kurz darauf erscheint eine zweite Dame, erklärt mir noch mal das Problem und versichert, daß sie nur ihre Pflicht täten. Ich bitte sie, in Maralal bei der Bank nachzufragen, denn der Manager kenne mich gut.
Die beiden besprechen die Angelegenheit. Dann kopieren sie lediglich meinen Wechsel sowie meinen Paß. Zehn Minuten später verlasse ich das Office mit dem Ticket. Nun muß ich ein internationales Telefon finden, um meiner Mutter den Überraschungsbesuch anzukündigen.
Während des Fluges wechseln meine Gefühle zwischen der Vorfreude auf die Zivilisation und Heimweh nach meiner afrikanischen Familie. Am Flughafen Zürich kann meine Mutter ihr Entsetzen bei meinem Anblick kaum verbergen. Ich bin dankbar, daß sie es nicht auch noch in Worte faßt. Hunger verspüre ich nicht, da ich im Flugzeug meine Mahlzeit sehr genossen habe, doch einen guten Schweizer Kaffee möchte ich trinken, bevor wir ins Berner Oberland aufbrechen. In den folgenden Tagen werde ich von Mutters Kochkünsten richtig verwöhnt und langsam werde ich etwas ansehnlicher. Wir reden viel über meine Zukunft, und ich erzähle von unserem Vorhaben mit dem Lebensmittelladen. Sie versteht, daß ich ein Einkommen und eine Aufgabe brauche.
Am zehnten Tag kann ich endlich zu einem Frauenarzt, der mich untersuchen sol.
Leider fäl t das Ergebnis negativ aus, ich bin nicht schwanger. Dafür besitze ich viel zu wenig Blut und bin stark unterernährt. Nach dem Arztbesuch stel e ich mir vor, wie enttäuscht Lketinga sein wird. Aber ich tröste mich mit der Gewißheit, daß wir noch viel Zeit haben, Nachwuchs zu bekommen. Täglich spaziere ich in der grünen Natur und bin in Gedanken in Afrika. Nach zwei Wochen plane ich bereits meine Abreise und buche meinen Rückflug, der in zehn Tagen stattfinden wird. Wiederum kaufe ich viele Medikamente, diverse Gewürze und packweise Teigwaren. Meine Ankunft teile ich Lketinga mit einem Telegramm an die Mission mit.
Die restlichen neun Tage schleichen ereignislos dahin. Die einzige Abwechslung ist die Hochzeit meines Bruders Eric mit Jelly. Sie spielt sich für mich wie in Trance ab, und ich empfinde den Luxus und das üppige Essen als unangenehm. Alle wollen wissen, wie das Leben in Kenia ist. Zu guter Letzt versucht jeder, mich zur Vernunft zu bringen. Doch für mich ist die Vernunft in Kenia, bei meiner großen Liebe und dem bescheidenen Leben. Ich will endlich wieder abreisen.
Abschied und Willkommen
Schwer beladen treffe ich am Flughafen ein. Der Abschied von meiner Mutter fällt mir diesmal besonders schwer, weil ich nicht weiß, wann ich wiederkommen werde.
Am 1. Juni 1988 lande ich in Nairobi und nehme ein Taxi zum Igbol-Hotel.
Zwei Tage später treffe ich in Maralal ein, schleppe mein Gepäck ins Lodging und überlege, wie ich nach Barsaloi gelangen kann. Täglich durchkämme ich den Ort in der Hoffnung, ein Fahrzeug zu finden. Sophia will ich ebenfal s besuchen, aber ich erfahre, daß sie im Moment ferienhalber in Italien ist. Am dritten Tag höre ich, daß nachmittags ein Laster mit Maismehl und Zucker für die Mission nach Barsaloi startet. Gespannt warte ich am Morgen vor dem Großverteiler, bei dem die Säcke abgeholt werden sollen. Tatsächlich erscheint gegen Mittag der Lastwagen. Ich spreche mit dem Fahrer und handle um den Preis, wenn ich vorne mitfahre.







