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Die weisse Massai
  • Текст добавлен: 4 октября 2016, 02:44

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Автор книги: Corinne Hofmann



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Corinne Hofmann, 1960 als Tochter einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters im Schweizer Kanton Thurgau geboren, gelang mit ihrem Lebensbericht „Die weiße Massai“ über ihre Zeit in Kenia ein internationaler Bestseller, der bereits in 19 Sprachen übersetzt wurde. 2003 erschien ihr zweites Buch „Zurück aus Afrika“, in dem sie von ihrem Neuanfang in der Schweiz erzählt.

Seit einigen Jahren lebt sie mit ihrer Tochter am Luganer See.

Corinne Hofmann

Für Napirai

Auf der Suche

Ein langes halbes Jahr

Das Wiedersehen

Bürokratische Hürden

Abschied und Aufbruch

In der neuen Heimat

Meine Reise mit Priscilla

Begegnung mit Jutta

Glücklich in Maralal

Zurück in Mombasa

Krank im Kopf

You come to my home

Der Landrover

Gefahren im Busch

Pole, pole

Abschied und Willkommen

Standesamt und Hochzeitsreise

Unsere eigene Manyatta

Samburu-Hochzeit

Der Shop

Dschungelpfade

Die Frau des Lehrers

Angst um mein Kind

Am Todeshang

Auszug aus der Manyatta

Flying doctor

Sophia

Napirai

Heimkehr zu dritt

Hunger

Quarantäne

Nairobi

Erholung in der Schweiz

Weiße Gesichter

Wird alles gut?

Mißtrauen

Zuspitzung

Verzweifelte Lage

Ohnmacht und Wut

Die gute Spucke

Neue Hoffnung

Bittere Enttäuschung

Ausweglosigkeit

Flucht

Lieber Lketinga,

Lieber James,

Lieber Pater Giuliano,

Hallo Sophia!


Corinne Hofmann

Die weiße Massai

Knaur Taschenbuch Verlag

Von Corinne Hofmann ist außerdem erschienen:

Zurück aus Afrika

Über die Autorin: www.massai.ch

Besuchen Sie uns im Internet: www.droemer-knaur.de

Für Napirai

Ankunft in Kenia

Herrliche Tropenluft empfängt uns bei der Ankunft auf dem Flughafen Mombasa, und bereits hier ahne und spüre ich: dies ist mein Land, hier werde ich mich wohl fühlen. Doch allem Anschein nach bin nur ich empfänglich für die wunderbare Aura, die uns umgibt, denn mein Freund Marco bemerkt trocken: „Hier stinkt's!“

Nach der Zollabfertigung geht es mit dem Safaribus zu unserem Hotel. Auf dem Weg dorthin müssen wir mit der Fähre einen Fluß überqueren, der die Südküste von Mombasa trennt. Es ist heiß, wir sitzen im Bus und staunen. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, daß diese Fähre drei Tage später mein ganzes Leben verändern, ja auf den Kopf stellen wird.

Auf der anderen Seite des Flusses fahren wir etwa eine Stunde über Landstraßen durch kleine Siedlungen. Die meisten Frauen vor den einfachen Hütten scheinen Moslems zu sein, denn sie sind in schwarze Tücher gehüllt. Endlich erreichen wir unser Hotel, das Africa-Sea-Lodge. Es ist eine moderne, aber noch im afrikanischen Stil erbaute Anlage, in der wir ein kleines Rundhäuschen, das hübsch und gemütlich eingerichtet ist, beziehen. Ein erster Besuch am Strand bestärkt das überwältigende Gefühl: Dies ist das schönste al er Länder, die ich je besucht habe, hier würde ich gerne bleiben.

Nach zwei Tagen haben wir uns gut eingelebt und wol en auf eigene Faust mit dem öffentlichen Bus nach Mombasa und mit der Likoni-Fähre hinüber zu einer Stadtbesichtigung. Unauffällig geht ein Rastaman an uns vorbei, und ich höre:

„Haschisch, Marihuana.“ Marco nickt: „Yes, yes, where we can make a deal?“

Nach einem kurzem Gespräch sollen wir ihm folgen. „Laß das, Marco, es ist zu gefährlich!“ sage ich, doch er achtet nicht auf meine Bedenken. Als wir in eine heruntergekommene, verlassene Gegend kommen, möchte ich das Unternehmen abbrechen, doch der Mann erklärt uns, wir sol en auf ihn warten, und verschwindet daraufhin. Mir ist unbehaglich zumute, und endlich sieht auch Marco ein, daß wir gehen sollten. Wir verziehen uns gerade noch rechtzeitig, bevor der Rastaman in Polizeibegleitung auftaucht. Ich bin wütend und frage aufgebracht: „Siehst du jetzt, was hätte passieren können!?“

Mittlerweile ist es später Nachmittag, wir sollten uns auf den Heimweg machen.

Aber in welche Richtung? Ich weiß nicht mehr, wo diese Fähre ablegt, und auch Marco versagt kläglich. Schon haben wir den ersten handfesten Streit, und erst nach langer Suche sind wir am Ziel, die Fähre ist in Sicht. Hunderte von Menschen mit vollgepackten Kartons, Karren und Hühnern stehen zwischen den wartenden Autos.

Jeder will auf die zweistöckige Fähre.

Endlich sind auch wir an Bord, und das Unfaßbare geschieht. Marco sagt:

„Corinne, schau, da drüben, das ist ein Massai!“ „Wo?“ frage ich und schaue in die gezeigte Richtung. Es trifft mich wie ein Blitzschlag. Da sitzt ein langer, tiefbrauner, sehr schöner, exotischer Mann lässig auf dem Fährengeländer und schaut uns, die einzigen Weißen in diesem Gewühl, mit dunklen Augen an. Mein Gott, denke ich, ist der schön, so etwas habe ich noch nie gesehen. Er ist nur mit einem kurzen, roten Hüfttuch bekleidet, dafür aber reich geschmückt. Seine Stirn ziert ein großer, an bunten Perlen befestigter Perlmuttknopf, der hell leuchtet. Die langen roten Haare sind zu feinen Zöpfchen geflochten, und sein Gesicht ist mit Zeichen bemalt, die bis auf die Brust hinabreichen. Über dieser hängen gekreuzt zwei lange Ketten aus farbigen Perlen, und an den Handgelenken trägt er mehrere Armbänder. Sein Gesicht ist so ebenmäßig schön, daß man fast meinen könnte, es sei das einer Frau.

Aber die Haltung, der stolze Blick und der sehnige Muskelbau verraten, daß er ein Mann ist. Ich kann den Blick nicht mehr abwenden. So, wie er dasitzt in der untergehenden Sonne, sieht er wie ein junger Gott aus.

In fünf Minuten siehst du diesen Menschen nie wieder, denke ich bedrückt, denn dann legt die Fähre an, und al e rennen los, verteilen sich auf die Busse und verschwinden in alle Himmelsrichtungen. Mir wird das Herz schwer, und gleichzeitig bekomme ich kaum noch Luft. Neben mir beendet Marco gerade den Satz „… vor diesen Massai müssen wir uns in acht nehmen, die rauben die Touristen aus.“ Das ist mir im Moment jedoch völlig egal, und ich überlege fieberhaft, wie ich mit diesem atemberaubend schönen Mann in Kontakt kommen kann. Englisch beherrsche ich nicht, und ihn einfach nur anzustarren bringt auch nichts.

Die Ladeklappe wird heruntergelassen, und alle drängen zwischen den abfahrenden Autos an Land. Von dem Massai sehe ich nur noch seinen glänzenden Rücken, als er geschmeidig zwischen den anderen, schwerfällig schleppenden Menschen verschwindet. Aus, vorbei, denke ich und könnte in Tränen ausbrechen.

Weshalb mich das so mitnimmt, weiß ich nicht.

Wir haben wieder festen Boden unter den Füßen und drängen zu den Bussen.

Mittlerweile ist es finster geworden, in Kenia bricht die Dunkelheit innerhalb einer halben Stunde herein. Die vielen Busse füllen sich in kurzer Zeit mit Menschen und Gepäck. Wir stehen ratlos da. Zwar wissen wir den Namen unseres Hotels, aber nicht, an welchem Strand es liegt. Ungeduldig stoße ich Marco an: „Frag doch mal jemanden!“ Das sei meine Sache, meint er, dabei war ich noch nie in Kenia und spreche kein Englisch. Es war ja seine Idee, nach Mombasa zu fahren. Ich bin traurig und denke an den Massai, der sich bereits in meinem Kopf festgesetzt hat.

In völliger Dunkelheit stehen wir da und streiten. Alle Busse sind weg, als hinter uns eine dunkle Stimme „Hello!“ sagt. Wir drehen uns gleichzeitig um, und mir bleibt fast das Herz stehen. „Mein“ Massai! Einen Kopf größer als ich, obwohl ich bereits 1,80 m groß bin. Er schaut uns an und redet in einer Sprache auf uns ein, die wir beide nicht verstehen. Mein Herz scheint aus der Brust zu springen, meine Knie zittern. Ich bin völ ig durcheinander. Marco versucht währenddessen zu erklären, wohin wir müssen. „No problem“, erwidert der Massai, wir sollen warten. Etwa eine halbe Stunde vergeht, in der ich nur diesen schönen Menschen ansehe. Er beachtet mich kaum, Marco hingegen reagiert sehr irritiert. „Was ist eigentlich los mit dir?“ wil er wissen. „Du starrst diesen Mann geradezu penetrant an, ich muß mich schämen.

Reiß dich zusammen, so kenne ich dich ja gar nicht!“ Der Massai steht dicht neben uns und sagt kein Wort. Nur durch die Umrisse seines langen Körpers und seinen Geruch, der auf mich erotisch wirkt, spüre ich, daß er noch da ist.

Am Rande des Busbahnhofs gibt es kleine Geschäfte, die eher wie Baracken aussehen und al e dasselbe anbieten: Tee, Süßigkeiten, Gemüse, Früchte und Fleisch, das an Haken hängt. Vor den nur schwach mit Petroleumlampen beleuchteten Buden stehen Menschen in zerlumpten Kleidern. Als Weiße fallen wir hier sehr auf.

„Laß uns zurück nach Mombasa gehen und ein Taxi suchen. Der Massai versteht doch nicht, was wir wollen, und ich traue ihm nicht. Außerdem glaube ich, daß du von ihm richtig verhext bist“, sagt Marco. Mir allerdings erscheint es wie eine Fügung, daß ausgerechnet er unter all den Schwarzen auf uns zugekommen ist.

Als kurz darauf ein Bus hält, sagt der Massai „Come, come!“, schwingt sich hinein und reserviert uns zwei Plätze. Wird er wieder aussteigen oder mitfahren, frage ich mich. Zu meiner Beruhigung setzt er sich auf die andere Seite des Durchgangs direkt hinter Marco. Der Bus fährt auf einer Landstraße, die völlig im Dunkeln liegt. Ab und zu sieht man zwischen den Palmen und Sträuchern ein Feuer und ahnt die Anwesenheit von Menschen. Die Nacht verwandelt alles, wir haben völlig die Orientierung verloren. Marco erscheint die Strecke viel zu lang, so daß er mehrmals den Versuch macht auszusteigen. Nur durch mein gutes Zureden und nach ein paar Worten des Massai sieht er ein, daß wir dem Fremden vertrauen müssen. Ich habe keine Angst, im Gegenteil, ich möchte ewig so weiterfahren. Die Anwesenheit meines Freundes beginnt mich zu stören. Alles sieht er negativ und obendrein versperrt er mir die Sicht! Krampfhaft überlege ich: „Was ist, wenn wir am Hotel eintreffen?“

Nach gut einer Stunde ist der gefürchtete Moment gekommen. Der Bus hält, und Marco steigt erleichtert aus, nachdem er sich bedankt hat. Ich schaue noch einmal den Massai an, bringe kein Wort hervor und stürze aus dem Bus. Er fährt weiter, irgendwohin, viel eicht sogar nach Tansania.

Von diesem Moment an will sich bei mir keine Ferienstimmung mehr einstellen.

Ich denke viel über mich, Marco und mein Geschäft nach. Seit bald fünf Jahren betreibe ich in Biel eine exklusive Secondhand-Boutique mit einer Abteilung für Brautkleider. Nach anfänglichen Schwierigkeiten läuft das Geschäft bestens, und ich beschäftige mittlerweile drei Schneiderinnen. Mit siebenundzwanzig Jahren habe ich es geschafft, auf einen ansehnlichen Lebensstandard zu kommen.

Marco lernte ich kennen, als es beim Einrichten meiner Boutique Schreinerarbeiten zu erledigen gab. Er war höflich und lustig, und da ich in Biel neu zugezogen war und niemanden kannte, nahm ich eines Tages seine Einladung zum Essen an. Langsam entwickelte sich unsere Freundschaft, und nach einem halben Jahr zogen wir zusammen. Wir gelten in Biel als „Traumpaar“, haben viele Freunde, und al e warten auf unseren Hochzeitstermin. Doch ich gehe völlig in der Aufgabe als Geschäftsfrau auf und bin auf der Suche nach einem zweiten Laden in Bern. Mir bleibt kaum Zeit für Gedanken an Hochzeit oder Kinder. Marco ist von meinen Plänen allerdings nicht sehr angetan, sicher auch, weil ich schon jetzt wesentlich mehr verdiene als er. Das macht ihm zu schaffen und hat in letzter Zeit zu Auseinandersetzungen geführt.

Und nun diese für mich völlig neue Erfahrung! Ich versuche immer noch zu begreifen, was da in mir vorgeht. Mit meinen Gefühlen bin ich weit weg von Marco und merke, daß ich ihn kaum wahrnehme. Dieser Massai hat sich in meinem Gehirn festgesetzt. Ich kann nichts essen. Im Hotel haben wir die besten Buffets, aber ich bringe nichts mehr hinunter. In meinem Bauch haben sich anscheinend die Gedärme verknotet. Den ganzen Tag spähe ich zum Strand oder spaziere an ihm entlang, in der Hoffnung, ihn zu erblicken. Ab und zu sehe ich einige Massai, aber al e sind kleiner und weit entfernt von seiner Schönheit. Marco läßt mich gewähren, es bleibt ihm ja nichts anderes übrig. Er freut sich auf die Heimreise, weil er fest davon überzeugt ist, daß sich dann alles normalisiert. Doch dieses Land hat mein Leben aus den Fugen gerissen, und es wird nichts mehr so sein wie bisher.

Marco beschließt, eine Safari ins Massai-Mara zu unternehmen. Mir behagt diese Idee nicht besonders, denn unter diesen Umständen habe ich keine Chance, den Massai wiederzufinden. Aber mit einer Zweitagesreise bin ich einverstanden.

Die Safari ist anstrengend, weil es mit den Bussen weit ins Landesinnere geht. Wir fahren bereits mehrere Stunden, und Marco geht alles zu langsam. „Wegen der paar Elefanten und Löwen hätten wir wirklich nicht diese Strapaze auf uns nehmen müssen, die können wir auch bei uns im Zoo sehen.“ Mir aber gefäl t die Fahrt. Bald erreichen wir die ersten Massai-Dörfer. Der Bus hält, und der Fahrer fragt, ob wir Lust hätten, die Hütten und deren Bewohner zu besichtigen. „Klar“, sage ich, und die anderen Safariteilnehmer schauen mich kritisch an. Der Fahrer handelt einen Preis aus. In weißen Turnschuhen stapfen wir durch lehmigen Morast, darauf bedacht, nicht auf die Kuhfladen zu treten, die überall herumliegen. Kaum sind wir bei den Hütten, den Manyattas, stürzen sich die Frauen mit ihrer Kinderschar auf uns, zerren an unseren Kleidern und wollen praktisch al es, was wir an uns tragen, gegen Speere, Stoffe oder Schmuck eintauschen.

Inzwischen sind die Männer in die Hütten gelockt worden. Ich kann mich nicht überwinden, in diesem Morast noch einen einzigen Schritt zu machen. So reiße ich mich von den rabiaten Frauen los und stürme zurück zum Safaribus, gefolgt von Hunderten von Fliegen. Auch die anderen Gäste eilen zum Bus und rufen:

„Losfahren!“ Der Chauffeur lächelt und meint: „Jetzt seid ihr hoffentlich gewarnt vor diesem Stamm, den letzten unzivilisierten Menschen in Kenia, mit denen auch die Regierung ihre Schwierigkeiten hat.“

Im Bus stinkt es fürchterlich, und die Fliegen sind eine Plage, während Marco lacht und meint: „So, jetzt weißt du wenigstens, woher dein Schönling kommt und wie es bei denen ausschaut.“ An meinen Massai habe ich komischerweise in diesen Minuten überhaupt nicht gedacht.

Schweigend fahren wir weiter, vorbei an großen Elefantenherden. Nachmittags erreichen wir ein Touristenhotel. Es ist fast unwirklich, in dieser Halbwüste in einem luxuriösen Hotel zu übernachten. Als erstes beziehen wir unsere Zimmer und gehen unter die Dusche. Das Gesicht, die Haare, al es klebt. Dann gibt es ein üppiges Abendessen, und selbst ich verspüre nach fast fünf Tagen Hungerns so etwas wie Appetit. Am nächsten Morgen stehen wir sehr früh zur Löwenbesichtigung auf und tatsächlich finden wir drei noch schlafende Tiere. Dann treten wir den langen Heimweg an. Je näher wir Mombasa kommen, desto mehr überkommt mich ein merkwürdiges Glücksgefühl. Für mich steht fest: Noch knapp eine Woche sind wir hier, und ich muß meinen Massai wiederfinden.

Abends findet im Hotel ein Massai-Tanz mit anschließendem Schmuckverkauf statt, und ich bin voller Hoffnung, ihn hier wiederzusehen. Wir sitzen in der ersten Reihe, als die Krieger hereinkommen. Es sind etwa zwanzig Männer, kleine, große, hübsche, häßliche, aber mein Massai ist nicht dabei. Ich bin enttäuscht. Trotzdem gefällt mir ihre Darbietung, und wieder rieche ich diese Ausdünstung, die sich von der anderer Afrikaner stark unterscheidet.

In der Nähe des Hotels sol es ein Freiluft-Dancing, die „Bush-Baby-Disco“, geben, wo auch Einheimische hingehen können. So sage ich: „Marco, komm, wir suchen dieses Tanzlokal.“ Er wil nicht so recht, da natürlich die Hotel eitung auf die Gefahren hingewiesen hat, aber ich setze mich durch. Nach kurzer Wanderung entlang der dunklen Straße erspähen wir Licht und hören die ersten Töne von Rockmusik. Wir gehen hinein, und mir gefällt es sofort. Endlich nicht mehr diese kahlen, klimatisierten Hotel-Discos, sondern eine Tanzfläche unter freiem Himmel mit einigen Bars zwischen Palmen. Überall hocken Touristen mit Einheimischen an den Theken. Hier geht es locker zu. Wir setzen uns an einen Tisch. Marco bestellt Bier und ich eine Cola. Dann tanze ich allein, da Marco nicht viel vom Tanzen hält.

Gegen Mitternacht betreten einige Massai die Disco. Ich sehe sie mir genau an, erkenne aber nur ein paar von denen, die im Hotel ihren Auftritt hatten. Enttäuscht kehre ich an den Tisch zurück. Ich fasse den Entschluß, die restlichen Abende in der Disco zu verbringen, denn es scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, meinen Massai wiederzufinden. Marco protestiert zwar, aber allein im Hotel bleiben will er auch nicht. So machen wir uns jeden Abend nach dem Essen auf den Weg zur Bush-Baby-Disco.

Nach dem zweiten Abend, es ist bereits der 21. Dezember, hat mein Freund genug von den Ausflügen. Ich verspreche ihm, es sei nur noch dieses eine Mal. Wie immer sitzen wir an dem inzwischen zu unserem Stammplatz gewordenen Tisch unter der Palme. Ich entschließe mich zu einem Solotanz inmitten der tanzenden Schwarzen und Weißen. Er muß doch einfach kommen!

Kurz nach elf Uhr, ich bin schon ganz schweißgebadet, öffnet sich die Tür. Mein Massai! Er legt seinen Schlagstock beim Kontrolleur nieder, geht langsam zu einem Tisch und setzt sich mit dem Rücken zu mir. Meine Knie zittern, ich kann kaum noch stehen. Jetzt schießt mir der Schweiß erst recht aus allen Poren. Ich muß mich an einer Säule am Rand der Tanzfläche festhalten, um nicht umzukippen. Fieberhaft überlege ich, was ich tun könnte. Auf diesen Augenblick habe ich Tage gewartet. So ruhig wie möglich gehe ich an unseren Tisch zurück und sage zu Marco: „Schau, da ist der Massai, der uns geholfen hat. Hol ihn bitte an unseren Tisch und spendiere ihm ein Bier als Dankeschön!“ Marco dreht sich um, und im selben Moment sieht uns der Massai. Er winkt, steht auf und kommt tatsächlich zu uns. „Hello, friends!“

Schon streckt er uns lachend seine Hand entgegen. Sie fühlt sich kühl und geschmeidig an. Er setzt sich neben Marco direkt mir gegenüber. Warum nur kann ich kein Englisch! Marco bemüht sich um ein Gespräch, wobei sich herausstel t, daß auch der Massai kaum Englisch spricht. Mit Gestik und Mimik versuchen wir uns zu verständigen. Er schaut zuerst Marco, dann mich an und fragt schließlich, auf mich zeigend: „Your wife?“

Auf Marcos „Yes, yes“

reagiere ich empört: „No, only boyfriend, no married!“

Der Massai versteht nicht. Er fragt nach Kindern. Wieder sage ich: „No, no! No married!“ So nah war er mir noch nie. Nur der Tisch ist zwischen uns, und ich kann ihn nach Herzenslust anstarren. Er ist faszinierend schön, mit seinem Schmuck, den langen Haaren und dem stolzen Blick! Von mir aus könnte die Zeit stehenbleiben. Er fragt Marco: „Warum tanzt du nicht mit deiner Frau?“ Als Marco, zum Massai gewandt, antwortet, er trinke lieber Bier, ergreife ich die Gelegenheit und mache dem Massai klar, daß ich mit ihm tanzen will. Er schaut Marco an, und als keine Reaktion kommt, stimmt er zu.

Wir tanzen, er mehr hüpfend wie beim Volkstanz, ich europäisch. Er bewegt keinen Muskel im Gesicht. Ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt gefal e. Dieser Mann, so fremd er mir ist, zieht mich wie ein Magnet an. Nach zwei Songs kommt langsame Musik, und ich würde ihn am liebsten an mich drücken. Statt dessen reiße ich mich zusammen und gehe von der Bühne, ich würde sonst völlig die Kontrolle verlieren.

Am Tisch reagiert Marco prompt: „Corinne, komm, wir gehen ins Hotel, ich bin müde.“ Aber ich will nicht. Der Massai gestikuliert wieder mit Marco. Er will uns einladen, uns morgen seine Wohnstätte zeigen und eine Bekannte vorstel en. Ich stimme schnel zu, bevor Marco widersprechen kann. Wir verabreden uns vor dem Hotel.

In der Nacht liege ich schlaflos auf dem Bett, und gegen Morgen ist mir klar, daß meine Zeit mit Marco zu Ende ist. Fragend schaut er mich an, und plötzlich bricht es aus mir heraus: „Marco, ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, was mir mit diesem völlig fremden Mann passiert ist. Ich weiß nur, dieses Empfinden ist stärker als jede Vernunft.“ Marco tröstet mich und meint gutmütig, wenn wir wieder in der Schweiz seien, werde sich al es wieder einrenken. Kläglich erwidere ich: „Ich will nicht mehr zurück. Ich will hier bleiben in diesem schönen Land bei den liebenswerten Menschen und vor allem bei diesem faszinierenden Massai.“ Marco versteht mich natürlich nicht.

Bei brütender Hitze stehen wir am nächsten Tag wie verabredet vor dem Hotel.

Plötzlich taucht er auf der anderen Seite der Straße auf und kommt herüber. Nach kurzer Begrüßung sagt er: „Come, come!“ und wir folgen ihm. Wir gehen ungefähr zwanzig Minuten durch Wald und Gestrüpp. Da und dort springen Affen, manche halb so groß wie wir, vor uns her. Wieder bewundere ich den Gang des Massai. Er scheint den Boden kaum zu berühren. Es ist fast wie ein Schweben, obwohl seine Füße in schweren Autoreifen-Sandalen stecken. Marco und ich wirken dagegen wie Trampeltiere.

Dann kommen fünf Rundhäuschen in Sicht, in einem Kreis zusammengestel t, ähnlich wie im Hotel, nur viel kleiner, und statt Beton sind hier Natursteine aufeinander gestapelt, mit rotem Lehm verputzt. Das Dach ist aus Stroh. Vor einem Häuschen steht eine stämmige Frau mit einem großen Busen. Der Massai stellt sie uns als seine Bekannte Priscilla vor, und erst jetzt erfahren wir den Namen des Massai: Lketinga.

Priscilla begrüßt uns freundlich, und zu unserer Verwunderung spricht sie gut Englisch. „You like tea?“ fragt sie. Ich nehme dankend an. Marco meint, es sei viel zu heiß, er hätte lieber ein Bier. Das bleibt hier natürlich Wunschvorstellung. Priscilla holt einen kleinen Spirituskocher hervor, stel t ihn vor unsere Füße, und wir warten, bis das Wasser kocht. Wir erzählen von der Schweiz, von unserer Arbeit und fragen, wie lange sie hier schon wohnen. Priscilla lebt bereits seit zehn Jahren an der Küste.

Lketinga hingegen sei neu hier, er sei erst vor einem Monat angekommen und spreche deshalb fast noch kein Wort Englisch.

Wir fotografieren, und jedesmal, wenn ich in Lketingas Nähe komme, zieht er mich körperlich spürbar an. Ich muß mich zusammenreißen, damit ich ihn nicht berühre.

Wir trinken den Tee, der ausgezeichnet schmeckt, aber verdammt heiß ist. Wir verbrennen uns beinahe die Finger an den Emailletassen.

Es beginnt, rasch dunkel zu werden, und Marco sagt: „Komm jetzt, wir müssen langsam zurück.“ Wir verabschieden uns von Priscilla und tauschen, mit dem Versprechen zu schreiben, unsere Adressen aus. Schweren Herzens trabe ich hinter Marco und Lketinga zurück. Vor dem Hotel fragt er: „Tomorrow Christmas, you come again to Bush-Baby?“

Ich strahle Lketinga an, und bevor Marco antworten kann, sage ich „Yes!“

Morgen ist unser drittletzter Tag, und ich habe mir vorgenommen, meinem Massai mitzuteilen, daß ich Marco nach den Ferien verlassen werde. Neben dem, was ich für Lketinga empfinde, erscheint mir al es andere, was vorher war, lächerlich. Ich will ihm das morgen irgendwie klarmachen und ihm auch sagen, daß ich bald al ein zurückkommen werde. Nur einmal denke ich kurz darüber nach, was er für mich empfindet, doch sofort gebe ich mir selbst die Antwort. Er muß einfach genauso empfinden wie ich!

Heute ist Weihnachten. Bei vierzig Grad im Schatten ist hier von weihnachtlicher Stimmung al erdings nichts zu spüren. Ich mache mich für den Abend so schön wie möglich und ziehe mein bestes Ferienkleid an. An unserem Tisch haben wir zum Fest Champagner bestellt, der teuer ist, dafür um so schlechter und viel zu warm serviert. Um zehn Uhr ist von Lketinga und seinen Freunden noch nichts zu sehen.

Was ist, wenn er ausgerechnet heute nicht kommt? Wir sind nur noch morgen hier, und tags darauf geht es in aller Frühe zum Flughafen. Erwartungsvoll starre ich zur Tür und hoffe inständig, daß er kommen wird. Da taucht ein Massai auf. Er schaut sich um und kommt zögernd auf uns zu. „Hello“, begrüßt er uns und fragt, ob wir die Weißen seien, die mit Lketinga verabredet sind. Ich habe einen Klumpen im Hals und bekomme einen Schweißausbruch, während wir nicken. Er berichtet uns, Lketinga sei am Nachmittag am Strand gewesen, was normalerweise für Einheimische verboten ist. Dort wurde er von anderen Schwarzen wegen seiner Haare und seiner Kleidung gehänselt. Als stolzer Krieger wehrte er sich seiner Haut und schlug mit seinem Rungu, dem Schlagstock, auf seine Gegner ein. Die Strandpolizei nahm ihn kurzerhand mit, weil sie seine Sprache nicht verstanden. Jetzt sei er irgendwo in einem Gefängnis zwischen der Süd– und Nordküste. Er sei hier, um uns das mitzuteilen, und wünsche uns im Namen von Lketinga eine gute Heimreise.

Marco übersetzt, und als ich begreife, was geschehen ist, stürzt für mich eine Welt zusammen. Nur mit größter Anstrengung kann ich die Tränen der Enttäuschung zurückhalten. Ich flehe Marco an: „Frag, was wir tun können, wir sind nur noch morgen hier!“ Er antwortet kühl: „Das ist hier eben so, wir können nichts machen, und ich bin froh, wenn wir endlich zu Hause sind.“ Ich lasse nicht locker: „Edy“, so heißt der Massai, „können wir ihn suchen?“ Ja, er sammle heute abend bei den anderen Massai Geld und morgen um zehn Uhr fahre er los und versuche, ihn zu finden. Es sei schwierig, weil man nicht wisse, in welches der fünf Gefängnisse er gebracht worden sei.

Ich bitte Marco darum, daß wir mitgehen, er habe uns ja schließlich auch geholfen.

Nach längerem Hin und Her wil igt er ein, und wir verabreden uns mit Edy um zehn Uhr vor dem Hotel. Die ganze Nacht kann ich nicht schlafen. Ich weiß immer noch nicht, was in mich gefahren ist. Ich weiß nur, daß ich Lketinga wiedersehen will, ja muß, bevor ich in die Schweiz zurückfliege.

Auf der Suche

Marco hat es sich anders überlegt und bleibt im Hotel. Er versucht noch, mir das Vorhaben auszureden, aber gegen diese Kraft, die mir sagt, ich muß gehen, kommen al e gutgemeinten Ratschläge nicht an. So lasse ich ihn zurück und verspreche, gegen zwei Uhr wieder da zu sein. Edy und ich fahren in Richtung Mombasa mit dem Matatu. Diese Art von Taxi benutze ich zum ersten Mal. Es ist ein kleiner Bus mit zirka acht Sitzplätzen. Als er hält, befinden sich bereits dreizehn Leute darin, dichtgedrängt zwischen ihrem Gepäck. Der Kontrolleur hängt draußen am Fahrzeug. Ich schaue ratlos in das Gewühl. „Go, go in!“ sagt Edy, und ich klettere über Taschen und Beine und halte mich in gebückter Haltung fest, damit ich in den Kurven nicht auf die anderen falle.

Gott sei Dank steigen wir nach etwa fünfzehn Kilometern aus. Wir sind in Ukunda, dem ersten größeren Dorf, das ein Gefängnis hat. Gemeinsam gehen wir hinein.

Noch bevor ich einen Fuß über die Schwelle gesetzt habe, hält uns ein bulliger Typ auf. Fragend sehe ich Edy an. Er verhandelt, und nach etlichen Minuten, nachdem ich angewiesen wurde, stehenzubleiben, öffnet der Typ eine Tür hinter sich. Da es im Inneren dunkel ist und ich draußen in der Sonne stehe, kann ich nicht viel erkennen.

Dafür schlägt uns ein so schrecklicher Gestank entgegen, daß ich Brechreiz verspüre. Der Dicke schreit etwas in das dunkle Loch, und nach ein paar Sekunden erscheint ein Mensch, der völ ig verwahrlost aussieht. Es ist anscheinend ein Massai, doch ohne Schmuck. Ich schüttle erschreckt den Kopf und frage Edy: „Ist nur dieser Massai hier?“ Offensichtlich ist es so, und der Gefangene wird zurückgestoßen zu den anderen, die am Boden kauern. Wir gehen, und Edy sagt: „Komm, wir nehmen noch mal ein Matatu, die sind schneller als die großen Busse, und suchen in Mombasa weiter.“

Wieder geht es hinüber mit der Likoni-Fähre und weiter mit dem nächsten Bus an den Stadtrand zum dortigen Gefängnis. Es ist wesentlich größer als das letzte. Auch hier werde ich als Weiße grimmig angeschaut. Der Mann hinter der Barriere nimmt keine Notiz von uns. Er liest gelangweilt in seiner Zeitung, und wir stehen ratlos herum. Ich stupse Edy an: „Frag doch mal!“ Nichts passiert, bis Edy mir erklärt, ich solle diesem Kerl unauffällig einige Kenia-Schillinge hinlegen. Aber wieviel? Ich habe in meinem Leben noch nie jemanden bestechen müssen. Also lege ich 100 Kenia-Schillinge hin, was etwa zehn Franken entspricht. Scheinbar achtlos streicht er das Geld ein und schaut uns endlich an. Nein, in letzter Zeit sei kein Massai namens Lketinga eingeliefert worden. Es seien zwei Massai hier, aber die seien viel kleiner als der Beschriebene. Ich will sie trotzdem sehen, denn vielleicht täuscht er sich ja, und das Geld hat er bereits genommen. Mit einem finsteren Blick auf mich erhebt er sich und sperrt eine Tür auf.

Was ich hier sehe, schockiert mich. In einem Raum ohne Fenster hocken zusammengepfercht mehrere Personen, die einen auf Pappkartons, die anderen auf Zeitungen oder direkt auf dem Betonboden. Durch den Lichtstrahl geblendet, halten sie sich die Hände vor die Augen. Nur ein kleiner Gang zwischen den kauernden Menschen ist frei. Im nächsten Augenblick sehe ich auch, warum, denn ein Angestel ter kommt, um einen Kübel mit „Essen“ hineinzuschütten, direkt auf den Betongang. Es ist unfaßbar, so füttert man bestenfalls Schweine! Bei dem Wort Massai kommen zwei Männer heraus, aber keiner von beiden ist Lketinga. Ich bin entmutigt. Was erwartet mich überhaupt, wenn ich ihn finde?

Wir fahren in die Innenstadt, nehmen ein anderes Matatu und rumpeln zirka eine Stunde zur Nordküste. Edy beruhigt mich und meint, hier müsse er sein. Doch wir kommen gar nicht erst bis zum Eingang. Ein bewaffneter Polizist fragt, was wir wollen. Edy erklärt unser Anliegen, doch der andere schüttelt den Kopf, seit zwei Tagen hätten sie keinen Neuen bekommen. Wir verlassen den Ort, und ich bin völlig ratlos.

Edy sagt, es sei bereits spät, wenn ich um zwei Uhr zurück sein wolle, müßten wir uns beeilen. Ich wil aber nicht ins Hotel. Nur noch heute habe ich Zeit, Lketinga zu finden. Edy schlägt vor, wir sol ten noch mal beim ersten Gefängnis nachfragen, weil die Insassen oft verlegt werden. Also fahren wir in der brütenden Hitze wieder zurück nach Mombasa.

Als sich unsere Fähre mit einer entgegenkommenden kreuzt, sehe ich, daß sich auf dem anderen Schiff fast keine Menschen, sondern nur Fahrzeuge befinden, wovon eines besonders hervorsticht. Es ist knallgrün und vergittert. Edy sagt, dies sei der Gefangenentransporter. Mir wird übel beim Gedanken an diese armen Geschöpfe, aber weiter denke ich nicht. Ich bin müde, durstig und total verschwitzt.


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