Текст книги "Die weisse Massai"
Автор книги: Corinne Hofmann
Жанр:
Биографии и мемуары
сообщить о нарушении
Текущая страница: 2 (всего у книги 25 страниц)
Um 14.30 Uhr sind wir wieder in Ukunda.
Vor dem Gefängnis steht jetzt ein anderer Wächter, der wesentlich freundlicher wirkt. Edy erklärt nochmals, wen wir suchen, und es wird lebhaft diskutiert. Ich verstehe nichts. „Edy, was ist los?“ Er erklärt mir, Lketinga sei vor einer knappen Stunde an die Nordküste, von der wir gerade kommen, gebracht worden. Er sei in Kwale gewesen, dann kurz hier und jetzt auf dem Weg zu dem Gefängnis, in dem er bis zu seiner Verhandlung bleiben müsse.
Langsam beginne ich durchzudrehen. Wir waren den ganzen Morgen unterwegs, und vor einer halben Stunde fuhr er an uns vorbei, in der grünen Minna. Edy schaut mich ratlos an. Wir sollten besser ins Hotel gehen, er werde es morgen wieder versuchen, er wisse jetzt, wo Lketinga sei. Ich könne ihm ja das Geld geben, er werde ihn auslösen.
Ich muß nicht lange überlegen und bitte Edy, noch einmal mit mir zur Nordküste zu fahren. Er ist nicht begeistert, aber er kommt mit. Schweigend fahren wir den langen Weg zurück, und ständig frage ich mich, warum, Corinne, warum tust du das? Was wil ich Lketinga überhaupt sagen? Ich weiß es nicht, ich werde einfach von dieser unheimlichen Kraft weitergetrieben.
Kurz vor sechs Uhr erreichen wir erneut das Gefängnis an der Nordküste. Es steht noch derselbe bewaffnete Mann dort. Er erkennt uns und berichtet, daß Lketinga vor etwa zweieinhalb Stunden angekommen sei. Jetzt bin ich völ ig wach. Edy erklärt, wir wollten den Massai herausholen. Der Wächter schüttelt den Kopf und meint, vor Silvester gehe das nicht, da der Gefangene noch keine Verhandlung gehabt habe und der Chef des Gefängnisses bis dahin in Ferien sei.
Mit allem habe ich gerechnet, damit aber nicht. Selbst mit Geld ist Lketinga nicht freizubekommen. Mit Müh und Not bringe ich den Wächter soweit, mir zumindest zu erlauben, Lketinga für zehn Minuten zu sehen, da er verstanden hat, daß ich morgen abfliege. Und dann kommt er strahlend heraus auf das Gelände. Ich erschrecke zutiefst.
Er trägt keinen Schmuck mehr, hat die Haare in ein schmutziges Tuch gewickelt und stinkt fürchterlich. Dennoch scheint er sich zu freuen und wundert sich nur, warum ich ohne Marco hier bin. Ich könnte schreien, der merkt auch gar nichts! Ich sage ihm, daß wir morgen nach Hause fliegen, ich aber so schnell wie möglich wiederkommen werde. Ich schreibe ihm meine Adresse auf und bitte ihn um seine.
Nur zögernd schreibt er mühsam seinen Namen und die P. O. Box auf. Ich kann ihm gerade noch das Geld zustecken, und schon nimmt ihn der Wärter wieder mit. Beim Weggehen schaut er zurück, bedankt sich und sagt, ich solle Marco grüßen.
Langsam gehen wir zurück und warten in der einfal enden Dunkelheit auf einen Bus. Erst jetzt merke ich, wie erschöpft ich bin, heule plötzlich los und kann nicht mehr aufhören. Im überfül ten Matatu starren alle die weinende Weiße mit dem Massai an. Mir ist es egal, ich will am liebsten sterben.
Es ist bereits nach 20 Uhr, als wir die Likoni-Fähre erreichen. Marco fällt mir wieder ein, und ich bekomme Schuldgefühle, weil ich seit mehr als sechs Stunden über die vereinbarte Zeit hinaus verschwunden bin.
Während wir auf die Fähre warten, sagt Edy: „No bus, no Matatu to Diani-Beach.“
Ich glaube, mich verhört zu haben. „Ab 20 Uhr fahren keine öffentlichen Busse mehr bis zum Hotel.“ Das kann nicht wahr sein! Wir stehen im Dunkeln bei der Fähre, und drüben geht es nicht weiter. Ich gehe die wartenden Autos ab, ob sich unter den Insassen Weiße befinden. Zwei heimkehrende Safari-Busse sind dabei. Ich klopfe an die Scheibe und frage, ob ich mitfahren kann. Der Fahrer verneint, er dürfe keine Fremden aufnehmen. Die Insassen sind Inder, die ohnehin schon al e Plätze belegt haben. Im letzten Moment fährt ein Auto auf die Rampe, und ich habe Glück. Zwei italienische Nonnen, denen ich mein Problem erklären kann, sitzen darin. Angesichts meiner Situation sind sie bereit, mich und Edy zum Hotel zu bringen.
Eine dreiviertel Stunde fahren wir durch die Dunkelheit, und ich bekomme Angst vor Marco. Wie wird er reagieren? Selbst wenn er mir eine Ohrfeige verpaßt, würde ich das verstehen, er wäre völlig im Recht. Ja, ich hoffe sogar, daß er soweit geht und ich dadurch vielleicht wieder zu mir komme. Immer noch begreife ich nicht, was in mich gefahren ist und warum ich die Kontrolle über jegliche Vernunft verloren habe. Ich merke nur, daß ich so müde bin wie nie in meinem Leben zuvor und das erste Mal große Angst empfinde, vor Marco und vor mir selbst.
Beim Hotel verabschiede ich mich von Edy und stehe kurz darauf vor Marco. Er schaut mich traurig an, kein Geschrei, keine langen Worte, nur dieser Blick. Ich fal e ihm um den Hals und weine schon wieder. Marco führt mich in unser Häuschen und spricht beruhigend auf mich ein. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit einem so liebevol en Empfang. Er sagt nur: „Corinne, es ist al es gut. Ich bin so froh, daß du überhaupt noch lebst. Ich wollte gerade zur Polizei gehen und eine Vermißtenmeldung aufgeben. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben und gedacht, dich nicht mehr zu sehen. Soll ich dir etwas zu essen holen?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, geht er und kommt mit einem beladenen Teller zurück. Es sieht köstlich aus, und ihm zuliebe esse ich, soviel ich kann. Erst nach dem Essen fragt er:
„Und, hast du ihn wenigstens gefunden?“ „Ja“, antworte ich und berichte ihm al es. Er schaut mich an und meint: „Du bist eine verrückte, aber sehr starke Frau. Wenn du etwas wil st, gibst du nicht auf, nur warum kann nicht ich den Platz dieses Massai einnehmen?“ Eben das weiß ich nicht. Ich kann mir auch nicht erklären, welches magische Geheimnis diesen Mann umgibt. Hätte mir jemand vor zwei Wochen gesagt, ich würde mich in einen Massai-Krieger verlieben, ich hätte ihn ausgelacht.
Nun stehe ich vor einem riesengroßen Chaos.
Während des Heimflugs fragt Marco: „Wie soll es nun weitergehen mit uns, Corinne? Es liegt an dir.“ Es fällt mir schwer, Marco das Ausmaß meiner Verwirrung deutlich zu machen. „Ich suche mir so schnel wie möglich eine eigene Wohnung, auch wenn es nicht für sehr lange sein wird, denn ich will wieder nach Kenia, vielleicht für immer“, antworte ich. Marco schüttelt nur traurig den Kopf.
Ein langes halbes Jahr
Bis ich endlich eine neue Wohnung oberhalb von Biel finde, vergehen zwei Monate. Der Umzug ist einfach, da ich nur meine Kleider mitnehme und einige persönliche Sachen, den Rest überlasse ich Marco. Am schwersten fällt es mir, meine zwei Katzen zurückzulassen. Aber angesichts der Tatsache, daß ich sowieso weggehe, gibt es nur diese Lösung. Mein Geschäft betreibe ich weiterhin, aber mit weniger Engagement, weil ich ständig von Kenia träume. Ich besorge mir alles, was ich finden kann über dieses Land, auch dessen Musik. Von früh bis spät höre ich im Geschäft Suaheli-Songs. Meine Kunden merken natürlich, daß ich nicht mehr so aufmerksam bin, doch erzählen kann und mag ich nicht.
Täglich warte ich auf Post. Dann endlich, nach fast drei Monaten, bekomme ich Nachricht. Nicht von Lketinga, dafür von Priscilla. Sie schreibt viel Belangloses.
Immerhin erfahre ich, daß Lketinga drei Tage, nachdem wir abgereist waren, freigelassen wurde. Noch am gleichen Tag schreibe ich an die Adresse, die ich von Lketinga bekommen habe, und berichte von meinem Vorhaben, im Juni oder Juli wieder nach Kenia zu fahren, diesmal jedoch allein.
Ein weiterer Monat verstreicht, und endlich erhalte ich einen Brief von Lketinga. Er bedankt sich für meine Hilfe und würde sich sehr freuen, wenn ich sein Land wieder besuchen würde. Am selben Tag stürme ich in das nächste Reisebüro und buche für drei Wochen im Juli im selben Hotel.
Nun heißt es warten. Die Zeit scheint stillzustehen, die Tage kriechen dahin. Von unseren gemeinsamen Freunden ist nur einer treu geblieben, der sich ab und zu meldet, um sich mit mir auf ein Glas Wein zu treffen. Er scheint mich wenigstens etwas zu verstehen. Der Abreisetag rückt näher, und ich werde unruhig, da meine Briefe nur von Priscilla erwidert werden. Und doch kann mich nichts erschüttern; nach wie vor bin ich überzeugt, daß mir nur dieser Mann fehlt, um glücklich zu werden.
Inzwischen kann ich mich einigermaßen auf Englisch ausdrücken, meine Freundin Jelly unterrichtet mich täglich. Drei Wochen vor der Abreise entschließen sich mein jüngerer Bruder Eric und die mit ihm li erte Jelly mitzukommen. Das längste halbe Jahr meines Lebens ist überstanden. Wir fliegen ab.
Das Wiedersehen
Nach gut neun Stunden landen wir im Juli 1987 in Mombasa. Uns umgibt dieselbe Hitze, dieselbe Aura. Nur ist mir diesmal alles vertraut, Mombasa, die Fähre und die lange Busfahrt bis zum Hotel.
Ich bin angespannt. Ist er da oder nicht? An der Rezeption ertönt hinter mir ein
„Hello!“ Wir drehen uns um, und da steht er! Er lacht und kommt mir strahlend entgegen. Das halbe Jahr ist wie weggefegt. Ich stupse ihn an und sage: „Jelly, Eric, schaut, das ist er, Lketinga.“ Mein Bruder wühlt verlegen in einer Tasche, meine Freundin Jelly lächelt und begrüßt ihn. Ich stelle sie einander vor. Mehr als einen Händedruck wage ich im Moment nicht.
Im allgemeinen Durcheinander beziehen wir erst einmal unser Häuschen, und Lketinga wartet an der Bar. Endlich kann ich Jel y fragen: „Und, wie findest du ihn?“
Sie antwortet, nach Worten suchend: „Schon etwas speziell, vielleicht muß ich mich erst an ihn gewöhnen, im Moment erscheint er mir etwas fremd und wild.“ Mein Bruder meint gar nichts. Die Begeisterung liegt offensichtlich allein bei mir, denke ich doch etwas enttäuscht.
Ich ziehe mich um und gehe zur Bar. Lketinga sitzt dort mit Edy. Auch ihn begrüße ich freudig, und dann versuchen wir zu erzählen. Von Lketinga erfahre ich, daß er kurz nach seiner Freilassung zu seinem Stamm gegangen und erst vor einer Woche wieder in Mombasa eingetroffen ist. Er hat durch Priscil a die Nachricht von meiner Ankunft erhalten. Es sei eine Ausnahme, daß sie uns im Hotel begrüßen dürften, denn normalerweise gebe es keinen Zutritt für Schwarze, die nicht hier arbeiten.
Mir fällt auf, daß ich ohne Edys Hilfe Lketinga fast nichts erzählen kann. Mein Englisch ist noch in den Anfängen, und auch Lketinga spricht kaum mehr als zehn Wörter. So sitzen wir bisweilen schweigend am Strand und strahlen einander einfach an, während meine Freundin und Eric die meiste Zeit am Pool oder im Zimmer verbringen. Langsam wird es Abend, und ich überlege, wie es weitergehen soll. Im Hotel können wir nicht länger bleiben, und abgesehen von unserem ersten Händedruck ist nicht viel passiert. Es ist schwierig, wenn man ein halbes Jahr auf einen Mann gewartet hat. In Gedanken habe ich mich in dieser Zeit oft in die Arme dieses schönen Mannes geträumt, mir Küsse ausgemalt und die wildesten Nächte vorgestel t. Jetzt, wo er da ist, verspüre ich Angst davor, auch nur seinen braunen Arm zu berühren. So gebe ich mich völ ig dem Glücksgefühl hin, ihn an meiner Seite zu haben.
Eric und Jelly gehen schlafen, sie sind erschöpft von der langen Reise und der schwülen Hitze. Lketinga und ich schlendern zur Bush-Baby-Disco. Ich fühle mich königlich neben meinem „Prinzen“. Wir setzen uns an einen Tisch und schauen den Tanzenden zu. Er lacht ständig. Und weil wir uns kaum unterhalten können, sitzen wir und lauschen der Musik. Durch seine Nähe und die Atmosphäre werde ich kribbelig, und gerne würde ich einmal sein Gesicht streicheln oder gar erfahren, wie es ist, ihn zu küssen. Als endlich langsame Musik ertönt, ergreife ich seine Hände und deute auf die Tanzfläche. Hilflos steht er herum und macht keine Anstalten.
Plötzlich aber liegen wir uns in den Armen und bewegen uns im Rhythmus der Musik. Die Anspannung in mir schwindet. Ich zittere am ganzen Körper, doch diesmal kann ich mich an ihm festhalten. Die Zeit scheint stil zustehen, und langsam erwacht mein Verlangen nach diesem Mann, das ein halbes Jahr geschlummert hatte. Ich wage nicht, meinen Kopf zu heben und ihn anzusehen. Was wird er von mir denken? Ich weiß so wenig von ihm! Erst als sich der Rhythmus der Musik ändert, gehen wir an unseren Platz zurück, und ich merke, daß wir als einzige getanzt haben. Ich glaube zu spüren, wie uns Dutzende von Augenpaaren folgen.
Wir sitzen noch eine Weile zusammen, dann gehen wir. Es ist weit nach Mitternacht, als er mich zum Hotel bringt. Am Eingang schauen wir einander in die Augen, und ich glaube, bei ihm einen veränderten Ausdruck wahrzunehmen. Etwas wie Verwunderung und Erregung erkenne ich in diesen wilden Augen. Endlich wage ich, mich seinem schönen Mund zu nähern, und drücke sanft meine Lippen auf seine. Da spüre ich, daß der ganze Mann erstarrt und mich fast entsetzt anschaut.
„What you do?“ fragt er und tritt einen Schritt zurück. Ernüchtert stehe ich da, verstehe nichts, empfinde Scham, drehe mich um und renne aufgelöst ins Hotel. Im Bett überfäl t mich ein Weinkrampf, die Welt scheint einzustürzen. Mir geht nur eines durch den Kopf: daß ich ihn bis zum Wahnsinn begehre und er sich anscheinend nichts aus mir macht. Irgendwann schlafe ich dennoch ein.
Ich erwache sehr spät, das Frühstück ist längst vorbei. Es ist mir gleichgültig, weil ich absolut keinen Hunger verspüre. So, wie ich momentan ausschaue, wil ich nicht gesehen werden, setze mir eine Sonnenbrille auf und schleiche am Pool vorbei, wo sich mein Bruder wie ein verliebter Hahn mit Jel y tummelt.
Am Strand lege ich mich unter eine Palme und starre in den blauen Himmel. War das alles? frage ich mich. Habe ich mich dermaßen getäuscht in meiner Wahrnehmung? Nein, schreit es in mir, woher hätte ich sonst die Kraft genommen, mich von Marco zu trennen und ein halbes Jahr auf jeglichen sexuel en Kontakt zu verzichten, wenn nicht für diesen Mann.
Plötzlich nehme ich einen Schatten über mir wahr und verspüre eine sanfte Berührung am Arm. Ich öffne die Augen und blicke direkt in das schöne Gesicht dieses Mannes. Er strahlt mich an und sagt wieder nur: „Hel o!“ Ich bin froh, meine Sonnenbril e auf der Nase zu haben. Er schaut mich lange an und scheint mein Gesicht zu studieren. Nach geraumer Zeit fragt er nach Eric und Jel y und erklärt umständlich, daß wir heute nachmittag bei Priscilla zum Tee eingeladen sind. Auf dem Rücken liegend schaue ich in zwei mich sanft und hoffnungsvoll anblickende Augen. Als ich nicht sofort antworte, verändert sich sein Ausdruck, die Augen werden dunkler, ein stolzer Schimmer glänzt in ihnen. Ich kämpfe mit mir und frage dann doch, um welche Zeit wir kommen sol en.
Eric und Jelly sind einverstanden, und so warten wir zur verabredeten Zeit am Hoteleingang. Nach etwa zehn Minuten hält eines der überfüllten Matatus. Zwei lange Beine steigen aus, gefolgt vom langen Körper Lketingas. Er hat Edy mitgebracht. Ich kenne den Weg zu Priscilla noch vom ersten Besuch, mein Bruder allerdings schaut den Affen, die unweit des Weges spielen und essen, skeptisch zu.
Das Wiedersehen mit Priscilla ist sehr herzlich. Sie holt ihren Spirituskocher hervor und bereitet Tee. Während wir warten, diskutieren die drei miteinander, und wir schauen verständnislos zu. Immer wieder wird gelacht, und ich spüre, daß auch über mich gesprochen wird. Nach etwa zwei Stunden brechen wir auf, und Priscilla bietet mir an, jederzeit mit Lketinga hierherkommen zu können.
Obwohl ich für zwei weitere Wochen bezahlt habe, beschließe ich, aus dem Hotel auszuziehen und mich bei Priscilla einzuquartieren. Ich habe genug vom ewigen Disco-Besuch und den Abendessen ohne ihn. Die Hotelleitung warnt mich zwar, daß ich nachher wohl weder Geld noch Kleider besitzen werde. Auch mein Bruder ist mehr als skeptisch, doch hilft er mir, al es in den Busch zu schleppen. Lketinga trägt die große Reisetasche und scheint sich zu freuen.
Priscilla räumt ihre Hütte und zieht zu einer Freundin. Als es draußen finster wird und wir dem Moment des körperlichen Zusammentreffens nicht mehr aus dem Weg gehen können, setze ich mich auf die schmale Pritsche und warte mit klopfendem Herzen auf den lang ersehnten Augenblick. Lketinga setzt sich neben mich, und ich erkenne nur das Weiß in seinen Augen, den Perlmuttknopf auf der Stirn und die weißen Elfenbeinringe in den Ohren. Plötzlich geht al es sehr schnell. Lketinga drückt mich auf die Liege, und schon spüre ich seine erregte Männlichkeit. Noch bevor ich mir im klaren bin, ob mein Körper überhaupt bereit ist, spüre ich einen Schmerz, höre komische Laute, und alles ist vorbei. Ich konnte heulen vor Enttäuschung, ich hatte es mir völlig anders vorgestellt. Erst jetzt wird mir richtig bewußt, daß ich es mit einem Menschen aus einer mir fremden Kultur zu tun habe.
Weiter komme ich mit meinen Überlegungen nicht, denn schon wiederholt sich das Ganze. In dieser Nacht folgen noch weitere Anläufe, und nach dem dritten oder vierten „Beischlaf“ gebe ich es auf, ihn mit Küssen oder anderen Berührungen etwas zu verlängern, denn das scheint Lketinga nicht zu mögen.
Endlich wird es hell, und ich warte darauf, daß Priscil a an die Tür klopft.
Tatsächlich vernehme ich gegen sieben Uhr morgens Stimmen. Ich schaue hinaus und finde vor der Tür ein Becken vol Wasser. Ich hole es herein und wasche mich gründlich, weil ich überall am Körper rote Farbe von Lketingas Bemalung habe.
Er schläft immer noch, als ich mich bei Priscilla melde. Sie hat bereits Tee gekocht und bietet ihn an. Als sie mich fragt, wie ich meine erste Nacht in einer afrikanischen Behausung verbracht habe, sprudelt es aus mir heraus. Sichtlich verlegen hört sie zu und sagt: „Corinne, wir sind nicht wie die Weißen. Geh zurück zu Marco, mach Ferien in Kenia, aber suche keinen Mann fürs Leben.“ Über die Weißen habe sie erfahren, daß sie gut zu den Frauen seien, auch in der Nacht. Massai-Männer seien da anders, so wie ich es gerade erlebt hätte, sei es normal. Massai küssen nicht. Der Mund sei zum Essen da, küssen, und dabei macht sie ein verächtliches Gesicht, sei schrecklich. Ein Mann fasse eine Frau unterhalb des Bauches niemals an, und eine Frau dürfe das Geschlechtsteil eines Mannes nicht berühren. Die Haare und das Gesicht eines Mannes seien ebenfal s tabu. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich begehre einen wunderschönen Mann und darf ihn nicht anfassen.
Erst jetzt fällt mir die Szene mit dem mißglückten Kuß wieder ein und zwingt mich, das Gehörte zu glauben.
Während des Gespräches hat Priscilla mich nicht angesehen, es muß ihr schwer gefallen sein, über dieses Thema zu sprechen. Mir geht vieles durch den Kopf, und ich bezweifle, ob ich al es richtig verstanden habe. Plötzlich steht Lketinga in der Morgensonne. Mit nacktem Oberkörper, seinem roten Hüfttuch und den langen roten Haaren sieht er traumhaft aus. Die Erlebnisse der letzten Nacht rücken in den hintersten Teil meines Gehirns, und ich weiß nur, daß ich diesen Mann will und keinen anderen. Ich liebe ihn, und außerdem ist alles erlernbar, beruhige ich mich.
Später fahren wir mit einem überfüllten Matatu nach Ukunda, das nächste größere Dorf. Dort treffen wir auf weitere Massai, die in einem einheimischen Teehaus sitzen.
Es besteht aus ein paar Brettern, die notdürftig zusammengenagelt sind, einem Dach, einem langen Tisch, sowie ein paar Stühlen. Der Tee wird in einem großen Kübel über dem Feuer gekocht. Als wir uns setzen, werde ich teils neugierig, teils kritisch gemustert. Und wieder wird wild durcheinandergeredet. Es geht eindeutig um mich. Ich mustere al e und stel e fest, daß keiner so gut und so friedlich aussieht wie Lketinga.
Stundenlang sitzen wir da, und mir ist egal, daß ich nichts verstehe. Lketinga ist rührend besorgt um mich. Er bestellt ständig etwas zu trinken und später auch einen Tel er Fleisch. Es sind zerkleinerte Teile einer Ziege, die ich kaum herunterkriege, weil sie noch blutig und sehr zäh sind. Nach drei Stücken würgt es mich, und ich gebe Lketinga zu verstehen, er sol e es essen. Doch weder er noch die anderen Männer nehmen etwas von meinem Teller, obwohl deutlich zu sehen ist, daß sie hungrig sind.
Nach einer halben Stunde stehen sie auf, und Lketinga versucht, mir mit Händen und Füßen etwas zu erklären. Ich verstehe allerdings nur, daß al e essen gehen wollen, ich jedoch nicht mitgehen kann. Ich wil aber unbedingt mitgehen. „No, big problem! You wait here“,
höre ich. Dann sehe ich, wie sie hinter einer Wand verschwinden und kurz darauf auch Berge von Fleisch. Nach einiger Zeit kommt mein Massai zurück. Er scheint den Bauch voll zu haben. Ich begreife immer noch nicht, warum ich hierbleiben mußte, und er meint nur: „You wife, no lucky meat.“
Ich werde am Abend Priscilla danach fragen. Wir verlassen das Teehaus und fahren mit dem Matatu zum Strand zurück. Beim Africa-Sea-Lodge steigen wir aus und beschließen, Jel y und Eric zu besuchen. Am Eingang werden wir angehalten, doch als ich dem Wärter klarmache, daß wir nur meinen Bruder und seine Freundin besuchen, läßt er uns kommentarlos ein. An der Rezeption werde ich vom Manager lachend begrüßt: „So, you will now come back in the hotel?“
Ich verneine und erwähne, daß es mir sehr gut gefäl t im Busch. Er zuckt nur mit den Schultern und meint: „Mal sehen, wie lange noch!“
Wir finden die beiden am Pool. Aufgeregt kommt Eric zu mir: „Wird aber auch Zeit, daß du dich wieder einmal zeigst!“ Ob ich gut geschlafen habe. Über diese Besorgnis muß ich lachen und erwidere: „Sicher habe ich schon komfortabler genächtigt, aber ich bin glücklich!“ Lketinga steht da, lacht und fragt: „Eric, what's the problem?“
Einige badende Weiße starren uns an. Ein paar Frauen laufen auffäl ig langsam an meinem geschmückten und mit neuer Bemalung gefärbten, schönen Massai vorbei und bestaunen ihn unverhohlen. Er seinerseits verschenkt keinen Blick, da es ihn eher geniert, soviel Haut ansehen zu müssen.
Wir bleiben nicht lange, da ich einiges einkaufen möchte, Petroleum, WC-Papier und vor allem eine Taschenlampe. Letzte Nacht blieb es mir erspart, mitten in der Nacht das Busch-WC aufsuchen zu müssen, aber das wird nicht so bleiben. Das WC
befindet sich außerhalb des Dorfes. Man erreicht es über eine halsbrecherische Hühnerleiter etwa zwei Meter über dem Boden. Dort befindet sich aus geflochtenen Palmenblättern eine Art Häuschen mit zwei Fußbodenbrettern und einem größeren Loch in der Mitte.
Wir finden alles in einem kleinen Laden, wo anscheinend auch die Hotelangestel ten ihre Ware beziehen. Jetzt erst merke ich, wie preiswert hier al es ist. Für meine Verhältnisse kostet, außer den Taschenlampen-Batterien, der Einkauf fast nichts.
Ein paar Meter weiter befindet sich eine weitere Bruchbude, wo mit roter Farbe
„Meat“ angeschrieben ist. Lketinga zieht es dorthin. An der Decke hängt ein riesiger Fleischerhaken und daran eine gehäutete Ziege. Lketinga schaut mich fragend an und meint: „Very fresh! You take one kilo for you and Priscilla.“
Mich schüttelt es beim Gedanken, dieses Fleisch essen zu müssen. Trotzdem wil ige ich ein. Der Verkäufer nimmt eine Axt und schlägt dem Tier ein Hinterbein ab, um mit zwei, drei weiteren Schlägen unsere Portion abzutrennen. Der Rest wird wieder an den Haken gehängt. Alles wird in Zeitungspapier gewickelt, und wir ziehen in Richtung Dorf.
Priscilla freut sich riesig über das Fleischgeschenk. Sie kocht uns Chai und holt bei der Nachbarin einen zweiten Kocher. Dann wird das Fleisch zerkleinert, gewaschen und in Salzwasser zwei Stunden gekocht. Inzwischen haben wir unseren Tee getrunken, den ich langsam als angenehm empfinde. Priscilla und Lketinga reden pausenlos. Nach einiger Zeit steht Lketinga auf und sagt, er gehe weg, sei aber bald wieder da. Ich versuche herauszukriegen, was er vorhat, doch er meint nur: „No problem, Corinne, I come back“,
lacht mich an und verschwindet. Ich frage Priscil a, wo er hingeht. Sie meint, so genau wisse sie es nicht, denn einen Massai könne man das nicht fragen, das sei seine Sache, aber sie vermute, nach Ukunda. „Um Gottes willen, was will er denn in Ukunda, von dort kommen wir ja gerade!“ sage ich etwas empört. „Vielleicht wil er noch etwas essen“, erwidert Priscilla. Ich starre auf das siedende Fleisch in dem großen Blechtopf: „Für wen ist dann dies hier?“ „Das ist für uns Frauen“, belehrt sie mich, „Lketinga kann von diesem Fleisch nichts essen. Kein Massai-Krieger ißt jemals etwas, was eine Frau angefaßt oder angeschaut hat. Sie dürfen nicht in Gegenwart von Frauen essen, nur Tee trinken ist erlaubt.“
Mir kommt die merkwürdige Szene in Ukunda in den Sinn, und meine Frage an Priscil a, warum al e hinter der Mauer verschwunden sind, erübrigt sich. Lketinga darf also gar nicht mit mir essen gehen, und ich kann nie etwas für ihn kochen.
Komischerweise erschüttert mich diese Tatsache mehr als der Verzicht auf guten Sex. Als ich mich einigermaßen gefangen habe, wil ich mehr wissen. Wie das sei, wenn zwei verheiratet sind. Auch da enttäuscht mich ihre Antwort. Die Frau ist grundsätzlich bei den Kindern und der Mann in Gesel schaft von anderen Männern seines Standes, also Kriegern, von denen ihm mindestens einer beim Essen Gesellschaft leisten muß. Es gehört sich nicht, al ein eine Mahlzeit einzunehmen.
Ich bin sprachlos. Meine romantischen Phantasien vom gemeinsamen Kochen und Essen im Busch oder in der einfachen Hütte stürzen ein. Ich kann meine Tränen kaum zurückhalten, und Priscilla schaut mich erschrocken an. Dann bricht sie in Gelächter aus, was mich fast wütend macht. Plötzlich fühle ich mich einsam und merke, daß auch Priscil a eine mir fremde, in einer anderen Welt lebende Person ist.
Wo bleibt nur Lketinga? Es ist Nacht geworden, und Priscilla serviert auf zwei zerbeulten Aluminiumtel ern das Fleisch. Inzwischen bin ich richtig hungrig, probiere und bin überrascht, wie weich es ist. Der Geschmack ist allerdings sehr eigenartig und salzig wie Sudfleisch. Wir essen schweigend mit den Händen.
Spät verabschiede ich mich und ziehe mich in Priscil as ehemaliges Häuschen zurück. Ich bin müde, zünde die Petroleumlampe an und lege mich auf das Bett.
Draußen zirpen die Gril en. Meine Gedanken kehren in die Schweiz zurück, zu meiner Mutter, zu meinem Geschäft und dem Bieler Alltag. Wie anders ist hier die Welt! Trotz al er Einfachheit scheinen die Menschen glücklicher zu sein, vielleicht gerade weil sie mit weniger Aufwand leben können. Dies geht mir durch den Kopf, und sofort fühle ich mich wohler.
Plötzlich geht die Holztüre quietschend auf, und Lketinga steht lachend im Türrahmen. Er muß sich bücken, damit er überhaupt eintreten kann. Er schaut sich kurz um und setzt sich zu mir auf die Bettpritsche. „Hello, how are you? You have eat meat?“
fragt er, und so wie er mich fragend und gleichzeitig fürsorglich aushorcht, fühle ich mich gut und empfinde ein großes Verlangen nach ihm. Im Schein der Petroleumlampe sieht er wunderbar aus. Sein Schmuck glänzt, der Oberkörper ist nackt und nur mit den zwei Perlenschnüren verziert. Das Wissen, daß sich unter dem Hüftrock nichts außer Haut befindet, erregt mich sehr. Ich ergreife seine schlanke, kühle Hand und drücke sie fest an mein Gesicht. In diesem Moment fühle ich mich verbunden mit diesem mir im Grunde völlig fremden Menschen und weiß, daß ich ihn liebe. Ich ziehe ihn an mich und spüre sein Körpergewicht auf mir. Ich presse meinen Kopf seitlich an seinen und rieche den wilden Geruch seiner langen roten Haare.
Eine Ewigkeit verharren wir so, und ich merke, wie auch ihn die Erregung überkommt. Es trennt uns nur mein leichtes Sommerkleid, das ich jetzt ausziehe. Er dringt in mich ein, und diesmal spüre ich, wenn auch nur für kurze Zeit, ein ganz neues Glücksgefühl, ohne zum Höhepunkt zu kommen. Ich fühle mich eins mit diesem Menschen und weiß in dieser Nacht, daß ich trotz al er Hindernisse bereits eine Gefangene seiner Welt bin.
Nachts spüre ich ein Ziehen in der Bauchgegend und packe meine Taschenlampe, die ich glücklicherweise am Kopfende deponiert habe. Beim Öffnen der quietschenden Türe hören mich vermutlich al e, denn außer den nimmermüden Grillen ist es still. Ich begebe mich auf den Weg zur „Hühnertoilette“, die letzten Stufen springe ich förmlich und erreiche den Ort gerade noch rechtzeitig. Da sich alles in der Hocke abspielt, zittern meine Knie. Mit letzter Kraft komme ich wieder hoch, fasse die Lampe und klettere zurück über die Hühnerleiter zum Häuschen.
Lketinga schläft friedlich. Ich quetsche mich zwischen ihn und die Wand auf die Pritsche.
Als ich erwache, ist es bereits acht Uhr, und die Sonne brennt kräftig, so daß es im Häuschen stickig heiß ist. Nach dem üblichen Tee und dem Waschritual will ich meine Haare waschen. Aber wie, ohne fließendes Wasser? Wir bekommen unser Wasser in Zwanzig-Liter-Kanistern, die mir Priscilla täglich am nahen Ziehbrunnen auffüllt. Ich versuche, meine Absicht Lketinga mit der Händesprache klarzumachen.
Er ist sofort hilfsbereit: „No problem, I help you!“
Lketinga leert mit einer Konservendose Wasser über meinen Kopf. Dann shampooniert er mir unter großem Gelächter sogar die Haare. Bei soviel Schaum wundert er sich, daß danach noch al e Haare auf dem Kopf sind. Danach wol en wir meinen Bruder und Jelly im Hotel besuchen. Als wir ankommen, sitzen beide genüßlich bei einem üppigen Frühstück. Beim Anblick dieser herrlichen Speisen wird mir bewußt, wie kärglich mein derzeitiges Frühstück ist. Diesmal erzähle ich, und Lketinga sitzt lauschend daneben. Nur als ich meinen nächtlichen Besuch schildere und die zwei sich entgeistert anschauen, fragt er: „What's the problem?“ „No problem“,
entgegne ich lachend, „everything is okay!“
Wir laden die beiden zum Mittagessen bei Priscil a ein. Ich möchte Spaghetti kochen. Sie stimmen zu, und Eric meint, sie würden den Weg schon finden. Uns bleiben zwei Stunden, um Spaghetti und Sauce sowie Zwiebeln und Gewürze aufzutreiben. Lketinga weiß gar nicht, von welchem Essen wir sprechen, meint aber lachend: „Yes, yes, it's okay.“
Wir besteigen ein Matatu und fahren zum nahegelegenen Supermarket, wo wir tatsächlich das Gewünschte finden. Als wir endlich im Dorf ankommen, bleibt mir nur wenig Zeit, um das „Festessen“ zu kochen. Am Boden kauernd bereite ich alles vor.
Priscil a und Lketinga schauen beim Spaghettikochen belustigt zu und meinen: „This is no food!“