Текст книги "Die weisse Massai"
Автор книги: Corinne Hofmann
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Биографии и мемуары
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Um etwa vier Uhr morgens ist es so kalt, daß der Chauffeur für fast eine Stunde den Motor laufen läßt, um zu heizen. Die Zeit schleicht dahin. Langsam färbt sich der Himmel rötlich, und die Sonne zeigt sich zögernd. Es ist kurz nach sechs. Die ersten verlassen den Bus, um ihre Notdurft hinter den Büschen zu verrichten. Auch ich steige aus und strecke meine steifen Glieder. Vor dem Bus ist es genauso schlammig wie tags zuvor. Wir müssen warten, bis die Sonne richtig scheint, dann wollen wir es noch mal probieren. Von zehn Uhr bis mittags wird geschoben und versucht, den Bus aus dem Graben zu fahren. Doch weiter als dreißig Meter kommt er nicht. Eine weitere Nacht hier draußen wäre schrecklich.
Plötzlich sehe ich einen weißen Landrover, der sich durch den Morast schlängelt und teils neben der Straße fährt. In meiner Verzweiflung renne ich auf den Wagen zu und stoppe ihn. In ihm sitzt ein älteres, englisches Paar. Ich erkläre kurz meine Situation und flehe die Leute an, mich mitzunehmen. Die Frau willigt sofort ein.
Freudig springe ich zum Bus und lasse mir meine Tasche herunterholen. Im Landrover hört sich die Lady entsetzt meine Geschichte an. Mitleidig hält sie mir ein Sandwich hin, das ich gierig verzehre.
Wir sind noch keinen Kilometer gefahren, als uns ein grauer Landrover entgegenkommt. Jetzt gilt es, höllisch aufzupassen, daß keiner der Wagen ins Schlängeln kommt, da die Straße sehr schmal ist. Wir fahren langsam, und der andere Wagen kommt schnel näher. Als er noch zwanzig Meter von uns entfernt ist, glaube ich, eine Fata Morgana zu sehen. „Stop, please, stop your car, this is my boyfriend!“
Am Steuer des Wagens sitzt Lketinga und fährt auf dieser Horrorstraße.
Wie verrückt winke ich aus dem Fenster, um auf mich aufmerksam zu machen, da Lketinga nur starr auf die Straße blickt. Ich weiß nicht, was größer ist: Meine riesige Freude und der Stolz auf ihn oder die Angst, wie er den Wagen zum Stehen bringen wird. Jetzt erkennt er mich und lacht uns stolz durch die Scheiben an. Nach etwa zwanzig Metern steht der Wagen. Ich stürze hinaus und renne zu Lketinga. Unser Wiedersehen ist phantastisch. Er hat sich besonders schön bemalt und geschmückt.
Ich kann meine Freudentränen kaum zurückhalten. Er hat zwei Begleiter bei sich und gibt mir freiwillig die Schlüssel, jetzt solle lieber ich zurückfahren. Wir holen mein Gepäck und laden um. Ich bedanke mich bei meinen Gastgebern, und der Engländer meint, jetzt verstehe er, bei so einem schönen Mann, warum ich hier sei.
Während der Rückfahrt erzählt Lketinga, daß er auf den Bus gewartet habe. Er hatte die Nachricht von Pater Giuliano erhalten und war sofort nach Maralal marschiert. Erst gegen zweiundzwanzig Uhr erfuhr er, daß der Bus steckengeblieben war und eine Weiße dabei sei. Als am Morgen der Bus wieder nicht kam, war er in die Garage gegangen, hatte unser repariertes Auto geholt und war einfach losgefahren, um seine Frau zu retten. Ich kann es nicht fassen, wie er das geschafft hat. Die Straße ist zwar ziemlich gerade, aber ganz und gar schlammig. Er fuhr alles im zweiten Gang und mußte ab und zu den abgestorbenen Motor wieder anlassen, aber sonst „hakuna matata, no problem“.
Wir erreichen Maralal und beziehen unser Lodging. Alle drei sitzen auf dem einen Bett und ich ihnen gegenüber. Lketinga wil natürlich wissen, was ich mitgebracht habe, und auch die Krieger schauen erwartungsvol. Ich öffne die Taschen und hole zuerst die Decken heraus. Beim Anblick der weichen, knallroten Decke strahlt Lketinga, ich habe es vol getroffen. Die gestreifte wil er gleich seinem Freund geben, doch da protestiere ich, weil ich sie selber in der Manyatta haben möchte, die kenianischen kratzen. Ich habe Lketinga ja noch drei Kanga-Tücher genäht, und die kann er meinetwegen verschenken, weil die anderen so große Augen machen. Beim Radio-Kassettengerät mit den Stimmen meiner Familie ist Lketinga wirklich platt, vor allem als er Eric und Jel y wiedererkennt. Seine Freude ist grenzenlos, und ich freue mich mit, weil ich so viel Staunen und ehrliche Freude über normale europäische Dinge bisher nicht erlebt habe. Mein Darling wühlt in der Reisetasche, um zu schauen, was noch alles kommt. Als er die Kuhglocke, das Hochzeitsgeschenk meiner Mutter, entdeckt, ist er begeistert. Nun werden auch die zwei anderen munter, und jeder schüttelt an der Glocke, die hier, so scheint es mir, viel lauter und schöner klingt. Die beiden wollen auch so eine, doch ich habe nur diese, und so gebe ich ihnen zwei kleine Ziegenglöckchen, über die sie sich auch freuen. Als ich erkläre, das sei alles, räumt mein Darling trotzdem weiter aus und staunt über meine Puddingbeutel und die Medikamente.
Jetzt endlich versuchen wir, einander zu erzählen. Zu Hause sei alles gut, da der Regen gekommen sei, doch gebe es viele Moskitos. Saguna, Mamas Mädchen, sei krank und esse nichts mehr, seit ich weg bin. Ach, ich freue mich so, morgen nach Hause zu fahren.
Erstmal gehen wir al e zum Essen, natürlich wieder zähes Fleisch, Brotfladen sowie eine Art Blattspinat, und nach kurzer Zeit liegen Knochen auf dem Boden verstreut. Die Welt sieht wieder ganz anders aus als noch vor drei Tagen, hier fühle ich mich wohl. Spät abends gehen die zwei, und wir sind endlich allein im Lodging.
Durch den ständigen Regen ist es kalt in Maralal, und das Duschen im Freien kann ich vergessen. Lketinga besorgt mir ein großes Waschbecken mit heißem Wasser, so kann ich mich wenigstens im Zimmer waschen. Ich bin glücklich, wieder so nahe bei meinem Darling zu sein. Schlafen kann ich jedoch fast nicht, das Bett ist so schmal und durchhängend, daß ich mich erst wieder daran gewöhnen muß.
Am frühen Morgen gehen wir zuerst ins Office, ob sich schon etwas in Hinblick auf Lketingas Identitätskarte ergeben hat. Leider nein! Weil wir die Nummer nicht angeben können, verzögere sich alles, meint der Beamte. Diese Nachricht entmutigt mich sehr, da ich bei meiner Einreise nur ein Visum für zwei Monate erhalten habe.
Wie ich unter diesen Umständen in so kurzer Zeit verheiratet sein soll, ist mir schleierhaft.
Wir beschließen, erst mal nach Hause zu fahren. Wegen der Nässe können wir die Regenwaldstraße nicht benutzen und müssen den Umweg fahren. Diese Straße hat sich schwer verändert. Überall liegen große Steine und Äste, oder größere Gräben queren den Weg. Dennoch kommen wir gut voran. Die Halbwüste blüht, und stel enweise ist sogar Gras gewachsen. Unglaublich schnell geht das hier. Ab und zu grasen Zebras friedlich, oder Straußenfamilien fliehen in großem Tempo vor dem Motorenlärm. Wir müssen einen kleineren und kurz darauf auch den größeren Fluß durchqueren. Beide führen Wasser, aber Gott sei Dank kommen wir mit Hilfe des Vierrads durch, ohne im Treibsand steckenzubleiben.
Wir sind noch gut eine Stunde von Barsaloi entfernt, als ich ein leises Zischen vernehme, und kurz darauf steht der Wagen schief. Ich schaue nach, ein Platten!
Zuerst müssen wir alles ausladen, um an das Reserverad zu gelangen, dann krieche ich unter das völ ig verdreckte Auto, um den Wagenheber zu platzieren. Lketinga hilft, und nach einer halben Stunde haben wir es geschafft, es geht weiter. Endlich erreichen wir die Manyattas.
Mama steht lachend vor dem Häuschen. Saguna fliegt mir in die Arme. Es ist ein herzliches Wiedersehen, und sogar der Mama drücke ich einen Kuß auf die Wange.
Wir schleppen alles in die Manyatta, die dadurch fast voll ist. Mama kocht Chai, und ich gebe ihr und Saguna die selbstgenähten Röcke. Alle sind glücklich. Lketinga läßt das Radio mit der Kassette laufen, was ein großes Geschnatter in Gang setzt. Als ich Saguna die braune Puppe, die meine Mutter für sie gekauft hat, übergebe, stehen alle Münder offen, und Saguna springt schreiend aus der Hütte. Ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht. Auch die Mama schaut die Puppe nur mit Abstand an, und Lketinga fragt mich tatsächlich, ob es ein totes Kind sei. Nach der ersten Verblüffung muß ich loslachen: „No, this is only plastic.“
Aber der Puppe mit den Haaren und vor allem den Augen, die auf– und zuklappen, trauen sie erst nach einiger Zeit. Immer mehr staunende Kinder kommen, und erst als ein anderes Mädchen die Puppe aufheben will, springt Saguna dazwischen und drückt sie an sich. Von diesem Moment an darf niemand mehr die Puppe anfassen, nicht einmal die Marna. Saguna schläft nur noch mit ihrem „Baby“.
Bei Sonnenuntergang fallen die Mücken über uns her. Da al es feucht ist, scheinen sie sich richtig wohl zu fühlen. Obwohl das Feuer in der Hütte brennt, schwirren sie um unsere Köpfe. Ständig wedle ich mit der Hand vor meinem Gesicht. So kann ich nicht schlafen! Sogar durch die Socken werde ich gestochen. Meine Freude, zu Hause zu sein, ist getrübt. Ich schlafe in Kleidern und ziehe die neue Decke über mich. Doch den Kopf kann ich nicht zudecken, im Gegensatz zu den anderen. Fast hysterisch geworden schlafe ich gegen Morgen ein. In der Früh bringe ich ein Auge nicht auf, so zerstochen bin ich. Ich wil mir keine Malaria einfangen. Deshalb möchte ich ein Moskitonetz kaufen, obwohl das in der Manyatta mit dem offenen Feuer nicht ungefährlich ist.
In der Mission frage ich den Pater, ob er eventuell den Reifen flicken kann. Er hat keine Zeit, gibt mir jedoch einen Ersatzreifen und rät mir, ein zweites Reserverad zu kaufen, denn es könne vorkommen, daß man zwei Pannen auf einmal hat. Bei der Gelegenheit frage ich ihn, was er gegen die Moskitos unternimmt. Er hat in seinem guten Haus keine großen Probleme und hilft sich mit Spray. Am besten wäre es, möglichst schnell ein Haus zu bauen, das koste nicht viel. Der Chief könne uns einen Platz zuweisen, den wir in Maralal registrieren lassen müßten.
Der Hausbau läßt mich nicht mehr los. Es wäre großartig, eine richtige Blockhütte zu haben! Beschwingt von der Idee kehre ich in die Manyatta zurück und erzähle alles Lketinga. Er ist nicht so begeistert und weiß nicht, ob er sich in einem Haus überhaupt wohl fühlt. Wir können es uns ja noch überlegen. Trotzdem wil ich nach Maralal, denn ohne Moskitonetz möchte ich keine Nacht mehr verbringen.
Innerhalb kurzer Zeit stehen wieder mehrere Menschen um den Landrover. Alle wollen nach Maralal. Einige kenne ich vom Sehen, andere sind mir völlig fremd.
Lketinga bestimmt die Mitfahrer. Wieder dauert es fast fünf Stunden, bis wir am späten Nachmittag ohne Pannen unser Ziel erreichen. Zuerst lassen wir den Reifen flicken, was sich als langwierige Unternehmung herausstellt. Währenddessen schaue ich mir die Reifen an meinem Fahrzeug genauer an und muß feststellen, daß sie fast kein Profil mehr haben. Bei der Garage erkundige ich mich nach neuen Reifen. Es haut mich fast um, als ich die horrenden Preise vernehme.
Umgerechnet wollen sie fast 1 000 Franken für vier Pneus. Das sind Preise wie in der Schweiz! Hier entspricht das drei Monatslöhnen. Aber ich brauche sie, wenn ich nicht ständig steckenbleiben will.
In der Zwischenzeit bin ich wegen des Moskitonetzes in einem der Shops fündig geworden und besorge außerdem schachtelweise Moskitokeulen. Abends lerne ich in der Lodging-Bar den großen Chief vom Samburu-District kennen. Er ist ein angenehmer Mensch und spricht gut Englisch. Er hat bereits von meiner Existenz gehört und wollte uns ohnehin bald besuchen. Meinem Massai gratuliert er zu einer so mutigen Frau. Ich erzähle ihm vom Plan des Hausbaus, unserer Hochzeit und dem Problem mit der Identitätskarte. Er verspricht uns zu helfen, wo er kann, doch der Hausbau sei schwierig, da es fast kein Holz mehr gebe.
Wenigstens wird er sich um die Identitätskarte kümmern. Am nächsten Tag kommt er gleich mit ins Office. Es wird viel geredet, Formulare werden ausgefüllt und diverse Namen genannt. Da er alles über Lketingas Familie weiß, kann der Ausweis in zwei bis drei Wochen auch in Maralal ausgestel t werden. Den Heiratsantrag fül en wir gleich aus. Wenn innerhalb von drei Wochen niemand Einspruch erhebe, könnten wir heiraten. Nur zwei schreibkundige Trauzeugen müßten wir mitbringen. Ich weiß gar nicht, wie ich diesem Chief danken soll, so froh bin ich. Hie und da muß ich etwas bezahlen, aber nach einigen Stunden ist alles in die Wege geleitet. Wir sollen in vierzehn Tagen wieder vorbeikommen und die Bescheinigungen mitbringen. Gut gelaunt laden wir den Chief zum Essen ein. Er ist der erste, der uns wirklich von Herzen geholfen hat. Lketinga schiebt ihm auch großzügig etwas Geld zu.
Nach einer Nacht in Maralal wol en wir wieder los. Kurz bevor wir den Ort verlassen, treffe ich Jutta. Natürlich müssen wir noch einen Chai trinken und uns alles erzählen. Sie wil bei unserer Hochzeit dabei sein. Momentan wohnt sie bei Sophia, einer anderen Weißen, die vor kurzem mit ihrem Rasta-Freund nach Maralal gezogen ist. Ich soll sie doch gelegentlich besuchen. Wir Weißen müßten zusammenhalten, meint sie lachend. Lketinga schaut finster, er versteht nichts, weil wir dauernd Deutsch sprechen und viel lachen. Er wil nach Hause, deshalb brechen wir auf. Diesmal wagen wir den Dschungelweg. Die Straße ist miserabel, und am schlüpfrigen Schräghang traue ich mich kaum noch zu atmen. Meine Stoßgebete werden diesmal erhört, und wir erreichen Barsaloi ohne Schwierigkeiten.
Die nächsten Tage verlaufen ruhig, das Leben geht den gewohnten Gang. Die Leute haben genug Milch, und in den halb zerfallenen Shops gibt es Maismehl und Reis zu kaufen. Die Mama ist mit der Vorbereitung für das größte Samburu-Fest beschäftigt. Bald sol die Endzeit der Krieger, der Altersklasse meines Darlings, gefeiert werden. Nach dem Fest, das in einem guten Monat stattfindet, dürfen diese Krieger offiziell auf Brautsuche gehen und heiraten. Ein Jahr später folgt die Aufnahme der nächsten Generation, der jetzigen Boys, in den Kriegerstatus, die mit einem großen Beschneidungsfest begangen wird.
Das kommende Fest, das an einem besonderen Ort stattfindet, an dem sich alle Mütter mit ihren Kriegersöhnen treffen, ist sehr wichtig für Lketinga. Schon in zwei oder drei Wochen werden Mama und wir unsere Manyatta verlassen und an jenen Ort ziehen, an dem die Frauen nur für dieses Fest neue Hütten aufbauen werden.
Den genauen Zeitpunkt dieses Dreitagefestes erfahren alle erst kurz vorher, denn der Mond spielt eine große Rolle. Ich rechne mir aus, daß wir ungefähr vierzehn Tage vorher das Standesamt aufsuchen müssen. Fal s etwas schiefgeht, bleiben mir nur wenige Tage bis zum Ablauf meines Visums.
Lketinga ist nun viel unterwegs, da er einen schwarzen Bullen von einer bestimmten Größe auftreiben muß. Das erfordert viele Besuche bei den Verwandten, um notwendige Tauschgeschäfte vorzuschlagen. Ab und zu gehe ich mit, doch schlafe ich nur zu Hause unter dem Moskitonetz, das mich gut schützt. Tagsüber erledige ich die gewohnte Arbeit. Morgens gehe ich mit oder ohne Lketinga zum Fluß. Manchmal nehme ich Saguna mit, die einen Riesenspaß hat, wenn sie baden darf. Es ist das erste Mal für das kleine Mädchen. In der Zwischenzeit wasche ich unsere rauchigen Kleider, was meinen Knöcheln nach wie vor nicht gut bekommt.
Dann schleppen wir Wasser nach Hause, und danach geht es auf Feuerholzsuche.
Behördenstreß
Die Zeit vergeht, und wir müssen nach Maralal, um zu heiraten. Mama ist ungehalten, daß Lketinga so kurz vor der Zeremonie wegfährt. Doch wir denken, daß eine Woche wirklich mehr als genug ist. Mama bricht am selben Tag alles ab und zieht mit den anderen Müttern und den bepackten Eseln los. Mitfahren will sie auf keinen Fal. Sie ist noch nie in einem Auto gesessen und will dies auch nicht mehr ausprobieren. So packe ich lediglich meine Taschen in den Wagen, den Rest erledigt Mama.
Lketinga nimmt Jomo mit, einen älteren Typ, der etwas Englisch kann. Er ist mir unsympathisch und drängt sich unterwegs dauernd auf, unser Trauzeuge zu sein oder zumindest zu assistieren. Dann sprechen sie über das bevorstehende Fest. Von überall kommen aus diesem Anlaß die Mütter zusammen. Es werden sicher vierzig bis fünfzig Manyattas gebaut, und es soll viel getanzt werden. Ich freue mich sehr auf dieses große Fest, dem ich beiwohnen darf. Nach dem Stand des Mondes dauert es noch ungefähr zwei Wochen, meint unser Fahrgast.
In Maralal gehen wir zuerst zum Meldeamt. Der diensthabende Beamte ist nicht da, wir sollen morgen mittag noch mal kommen. Ohne Ausweis können wir keinen Heiratstermin beantragen. Wir ziehen durch Maralal, um zwei Trauzeugen zu finden.
Doch das ist nicht so einfach. Diejenigen, die Lketinga kennt, können nicht schreiben oder verstehen kein Suaheli oder Englisch. Sein Bruder ist zu jung, wieder andere haben Angst, in das Office zu kommen, weil sie nicht verstehen, wofür das alles gut ist. Erst am nächsten Tag treffen wir zwei Morans mit Mombasa-Erfahrung, die außerdem einen Ausweis besitzen. Sie versprechen, in den nächsten Tagen in Maralal zu bleiben.
Als wir nachmittags wieder im Office erscheinen, liegt dort tatsächlich Lketingas Ausweis bereit. Er muß nur noch seinen Fingerabdruck daruntersetzen, und wir begeben uns zum „Standesamt“, um einen Termin zu bekommen. Der Beamte prüft meinen Paß sowie die Bescheinigung, daß ich noch ledig bin. Ab und zu stel t er Lketinga auf Suaheli einige Fragen, die er anscheinend nicht immer versteht. Er wird nervös. Ich wage zu fragen, wann der Termin nun sei und gebe auch gleich die Namen der Trauzeugen bekannt. Der Beamte meint, wir müßten beim District-Officer direkt vorsprechen, denn nur dieser könne die Trauung vornehmen.
Wir setzen uns in die Reihe der wartenden Menschen, die al e diesen wichtigen Mann sprechen wol en. Nach gut zwei Stunden können wir hinein. Hinter einem mondänen Schreibtisch sitzt ein massiger Mensch, dem ich unsere Papiere auf den Tisch lege und erkläre, daß wir um einen Heiratstermin ersuchen. Er blättert in meinem Paß und fragt, weshalb ich einen Massai heiraten wolle und wo wir leben würden. In der Aufregung fällt es mir schwer, richtige englische Sätze zu bilden.
„Weil ich ihn liebe und wir uns in Barsaloi ein Haus bauen wol en.“ Seine Blicke wandern eine Weile zwischen Lketinga und mir hin und her. Endlich sagt er, wir sollten in zwei Tagen um vierzehn Uhr mit den Trauzeugen hier sein. Freudig bedanken wir uns und gehen hinaus.
Alles läuft auf einmal so normal, wie ich es mir nicht im Traum erhofft hätte.
Lketinga kauft Miraa und setzt sich mit einem Bier ins Lodging. Ich rate ihm ab, doch er meint, er brauche dies nun. Gegen neun Uhr klopft es an die Tür. Draußen steht unser Begleiter. Auch er kaut Miraa. Wir sprechen alles noch mal durch, doch je länger der Abend dauert, desto unruhiger wird Lketinga. Er zweifelt, ob es richtig ist, so zu heiraten. Er kenne niemand, der dies auf dem Office macht. Jetzt bin ich froh, daß ihm der andere alles erklärt. Lketinga nickt nur. Wenn nur die zwei Tage gut vergehen, ohne daß er durchdreht! Solche Officebesuche erträgt er sehr schlecht.
Am nächsten Tag suche ich Jutta und Sophia auf und treffe beide an. Sophia lebt richtig feudal in einem Zwei-Zimmer-Haus mit elektrischem Licht, Wasser und sogar einem Kühlschrank. Beide freuen sich über unsere Hochzeit und versprechen, morgen um vierzehn Uhr beim Office zu sein. Sophia leiht mir eine hübsche Haarspange und eine tol e Bluse. Für Lketinga kaufen wir zwei schöne Kangas. Wir sind bereit.
Am Morgen unseres Hochzeitstages werde ich doch etwas nervös. Unsere Trauzeugen sind bis zwölf Uhr immer noch nicht hier und wissen nicht einmal, daß in zwei Stunden ihre Anwesenheit erforderlich ist. Deshalb müssen wir zwei andere finden. Jomo kommt nun doch zum Zug, was mir mittlerweile egal ist, wenn wir nur eine zweite Person finden. In meiner Verzweiflung frage ich unsere Lodging-Wirtin, die sofort begeistert zustimmt. Um vierzehn Uhr stehen wir vor dem Office. Sophia und Jutta sind zur Stelle, sogar mit Fotoapparaten. Wir sitzen auf der Bank und warten mit einigen anderen Leuten. Die Stimmung ist etwas gespannt, und Jutta foppt mich ständig. Tatsächlich habe ich mir die Minuten vor meiner Hochzeit etwas feierlicher vorgestellt.
Eine halbe Stunde ist bereits vergangen, wir werden nicht aufgerufen. Leute gehen hinein und kommen heraus. Einer fäl t mir besonders auf, da er schon zum dritten Mal hineingeht. Die Zeit verstreicht, und Lketinga regt sich auf. Er befürchtet, ins Gefängnis zu müssen, falls mit den Papieren etwas nicht in Ordnung ist. So gut es geht, versuche ich, ihn zu beruhigen. Wegen des Miraakonsums hat er fast nicht geschlafen. „Hakuna matata, wir sind in Afrika, pole, pole“, sagt Jutta, als plötzlich die Tür aufgeht und Lketinga und ich hereingebeten werden. Die Trauzeugen müssen warten. Jetzt wird auch mir etwas mulmig.
Der District-Officer sitzt wieder an seinem feudalen Pult, und am langen Tisch vor ihm befinden sich zwei weitere Männer. Einer von ihnen ist derjenige, der ständig rein– und rausgegangen ist. Wir sollen uns den beiden gegenüber hinsetzen. Die zwei Männer stellen sich als Polizisten in Zivil vor und verlangen meinen Paß sowie den Ausweis von Lketinga.
Mein Herz klopft bis in die Schläfen. Was ist hier los? Ich habe Angst, in der Aufregung das Beamtenenglisch nicht mehr zu verstehen. Viele Fragen prasseln auf mich nieder. Seit wann ich im Samburu-Gebiet lebe, wo ich Lketinga kennengelernt habe, seit wann, wie und wovon wir hier lebten, was mein Beruf sei, wie wir uns verständigen, usw. Die Fragen nehmen kein Ende.
Lketinga will ständig wissen, wovon wir sprechen, doch ich kann ihm das hier nicht auf unsere Art, uns miteinander zu verständigen, erklären. Bei der Frage, ob ich schon mal verheiratet war, platzt mir langsam der Kragen. Erregt antworte ich, daß meine Geburtsurkunde und mein Paß denselben Namen tragen und ich auch eine Bescheinigung der Schweizer Gemeinde auf Englisch habe. Diese wird nicht anerkannt, da die Botschaft in Nairobi das nicht bestätigt hat, sagt der eine. „Aber mein Paß“, entgegne ich aufgebracht. Doch weiter komme ich nicht. Der könnte ja ebenfal s gefälscht sein, antwortet der Officer. Nun bin ich außer mir vor Wut. Der Officer fragt Lketinga, ob er schon eine Samburu-Frau geheiratet habe. Er antwortet wahrheitsgetreu mit nein. Wie er das beweisen kann, will der Officer wissen. Ja, in Barsaloi wissen das alle. Wir sind aber hier in Maralal, ist die Antwort. In welcher Sprache wir denn getraut werden wollen? Ich denke in Englisch, gedolmetscht in Massai. Der Officer lacht dreckig und meint, für solche Spezialfälle habe er keine Zeit und übrigens könne er die Massai-Sprache nicht. Wir sollen wiederkommen, wenn wir dieselbe Sprache, Englisch oder Suaheli, sprechen, ich in Nairobi mein Papier gestempelt habe und Lketinga einen vom Chief unterzeichneten Brief bringt, daß er noch nicht verheiratet ist.
Vor Wut über diese Schikane raste ich völlig aus und schreie den Officer an, warum er das al es nicht schon beim ersten Mal erwähnt habe. Hochmütig erklärt er, hier bestimme immer noch er, wann er was mitteilt, und wenn es mir nicht paßt, könne er dafür sorgen, daß ich morgen das Land verlassen muß. Das sitzt! „Come, darling, we go, they don't want give the marriage.“
Wütend und heulend verlasse ich das Office, Lketinga hinter mir. Draußen zucken die Kameras von Sophia und Jutta, da sie glauben, wir hätten es hinter uns.
In der Zwischenzeit haben sich mindestens zwanzig Leute hier versammelt. Am liebsten würde ich im Boden versinken. Jutta bemerkt es als erste: „Was ist los, Corinne, Lketinga, what's the problem?“ „I don't know“, antwortet er verwirrt. Ich stürze zu meinem Landrover und rase zum Lodging. Ich wil allein sein. Dort falle ich aufs Bett und kann nur noch heulen, es schüttelt mich am ganzen Körper. „Diese verdammten Schweine!“ denke ich.
Irgendwann sitzt Lketinga neben mir und versucht mich zu beruhigen. Obwohl ich weiß, daß er mit Tränen wenig anfangen kann, schaffe ich es nicht, aufzuhören. Jutta schaut ebenfalls herein und bringt mir einen Kenia-Schnaps. Widerwil ig stürze ich ihn hinunter, und al mählich löst sich der Weinkrampf. Ich fühle mich müde und wie taub. Irgendwann geht Jutta, Lketinga trinkt Bier und kaut sein Miraa.
Eine Weile später klopft es an der Tür. Ich liege im Bett und starre die Decke an.
Lketinga öffnet, und die zwei zivilen Polizisten schleichen herein. Sie entschuldigen sich höflich und wollen ihre Hilfe anbieten. Da ich nicht reagiere, spricht der eine, ein Samburu, mit Lketinga. Als mir klar wird, daß diese Schweine nur viel Geld wollen, damit sie uns heiraten lassen, platzt mir noch mal der Kragen. Ich schreie sie an, unser Zimmer zu verlassen. Ich werde diesen Mann eben in Nairobi oder sonstwo heiraten, und zwar ohne ihre dreckigen Angebote. Betreten verlassen sie unseren Raum.
Morgen werden wir nach Nairobi fahren, um mein Formular bestätigen und vorsorglich mein Visum verlängern zu lassen. Jetzt, mit den Heiratsantragsformularen, sollte das gehen. Dann haben wir wieder drei Monate Zeit, um das Papier vom Chief zu bekommen. Es wäre ja gelacht, wenn es nicht ohne Schmiergeld ginge! Der unsympathische Jomo schaut herein, als ich gerade schlafen wil. Lketinga erzählt ihm unseren Plan, und er möchte uns begleiten, da er Nairobi bestens kenne, wie er versichert. Weil die Straße nach Nyahururu immer noch in sehr schlechtem Zustand ist, beschließen wir, über Wamba nach Isiolo zu fahren und von dort mit den öffentlichen Bussen nach Nairobi. Wegen des bevorstehenden Festes haben wir nur vier bis fünf Tage Zeit.
Die Strecke ist neu für mich, doch verläuft alles problemlos. Nach etwa fünf Stunden erreichen wir Isiolo. Ich frage mich zur Mission durch, um dort mit etwas Glück unseren Wagen zu parken. Vom Missionar bekomme ich die Erlaubnis. Würde man das Fahrzeug einfach irgendwo abstellen, wäre es mit Sicherheit nicht sehr lange dort.
Da es von hier nochmals drei bis vier Stunden bis Nairobi sind, beschließen wir, zu übernachten, um frühmorgens loszufahren und nachmittags das Office aufzusuchen.
Nun erklärt mir unser Begleiter, daß er kein Geld mehr habe. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als sein Zimmer, Essen und Trinken zu bezahlen. Ich mache es nicht gern, da er mir immer noch nicht sympathisch ist. Im Zimmer falle ich ins Bett und schlafe ein, bevor es dunkel ist. Die beiden trinken Bier und reden. Am Morgen fühle ich mich sehr durstig. Wir frühstücken und steigen in einen Bus nach Nairobi. Nach mehr als einer Stunde ist er endlich vol, so daß die Reise losgeht. Kurz vor Mittag erreichen wir Nairobi.
Wir suchen zuerst die Schweizer Botschaft auf, um mein Gemeindepapier beglaubigen zu lassen. Doch so etwas machen sie nicht, und überhaupt müsse ich zur deutschen Botschaft mit meinem deutschen Paß. Ich bezweifle, daß die Deutschen die Schweizer Gemeindestempel kennen, aber sie lassen sich nicht überzeugen. Die deutsche Botschaft liegt in einem anderen Stadtteil. Mühsam schleppe ich mich durch das schwüle, stickige Nairobi. Bei den Deutschen ist viel Betrieb, man muß anstehen. Als ich endlich an die Reihe komme, schüttelt der Sachbearbeiter den Kopf und will mich an die Schweizer Botschaft verweisen. Als ich entnervt sage, daß wir gerade von dort kommen, greift der Mann zum Hörer und fragt bei den Schweizern nach. Kopfschüttelnd kommt er zurück und meint, er mache jetzt etwas völlig Sinnloses. Aber für Maralal reiche es, wenn nur möglichst viele Stempel und Unterschriften auf dem Papier sind. Dankend verlasse ich die Botschaft.
Lketinga will wissen, warum al e meine Papiere nicht gut finden. Mir fällt keine Antwort ein, und so wächst sein Mißtrauen gegen mich. Nun trotten wir wieder in einen anderen Bezirk zum Nyayo-Gebäude für mein Visum, das in zehn Tagen abläuft. Meine Beine sind wie bleischwere Klumpen, aber ich will das Visum in den verbleibenden anderthalb Stunden bekommen. Im Nyayo-Gebäude heißt es wieder Formulare auszufüllen. Jetzt bin ich froh um unsere Begleitung, denn mein Kopf schwirrt, und ich kapiere nur jede zweite Frage einigermaßen. Lketinga, der von al en angestarrt wird in seiner Aufmachung, hat seinen Kanga tief ins Gesicht gezogen.
Wir warten, daß ich aufgerufen werde. Die Zeit vergeht. Schon über eine Stunde sitzen wir in der stickigen Halle. Das Geschwätz der Menschenmenge kann ich kaum mehr ertragen. Ich schaue auf die Uhr. In fünfzehn Minuten schließt das Office, und morgen fängt die Warterei von vorne an.
Endlich jedoch wird mein Paß in die Höhe gehalten. „Miß Hofmann!“ ertönt eine resolute Frauenstimme. Ich zwänge mich zum Schalter. Die Frau schaut mich an und fragt, ob ich einen Afrikaner heiraten wolle.
„Yes!“ ist meine knappe Antwort. „Where is your husband?“
Ich zeige in die Richtung, wo Lketinga steht. Die Frau fragt belustigt, ob ich tatsächlich die Frau eines Massai werden wol e. „Yes, why not?“
Sie geht und kommt mit zwei Kolleginnen zurück, die ebenfal s auf Lketinga und dann auf mich starren. Alle drei lachen. Ich stehe stolz da und lasse mich von ihren Unverschämtheiten nicht kränken. Endlich klatscht der Stempel auf eine Seite des Passes, ich habe mein Visum. Höflich bedanke ich mich, und wir verlassen das Gebäude.
Malaria
Draußen ist die Luft stickig, und die Autoabgase sind mir noch nie so unangenehm aufgefallen wie heute. Es ist sechzehn Uhr, alle meine Papiere sind in Ordnung. Ich möchte mich so gerne freuen, aber ich bin zu erschöpft. Wir müssen zurück in die Gegend, wo wir ein Lodging finden können. Schon nach einigen hundert Metern wird mir schwindlig. Meine Beine drohen wegzusacken. „Darling, help me!“
Lketinga fragt: „Corinne, what's the problem?“
Alles dreht sich. Ich muß mich setzen, doch es gibt kein Restaurant in der Nähe.
Ich lehne mich an ein Schaufensterbrett und fühle mich elend und enorm durstig.
Lketinga ist es peinlich, denn die ersten Passanten bleiben stehen. Er will mich weiterziehen, doch ich schaffe es nicht, ohne gestützt zu werden. Sie schleppen mich in Richtung Lodging. Plötzlich bekomme ich Platzangst. Die Leute, die mir entgegenkommen, verschwimmen vor meinen Augen. Und diese Gerüche! An jeder Ecke brät jemand Fisch, Maiskolben oder Fleisch. Mir ist schlecht. Wenn ich nicht sofort von dieser Straße wegkomme, muß ich mich auf der Stelle übergeben. Eine Bierbar ist in der Nähe. Wir gehen hinein. Ich will ein Bett. Zuerst wollen sie mir keines geben, doch als unser Begleiter sagt, daß ich nicht mehr gehen kann, führen sie uns in den oberen Stock in ein Zimmer.